Kitabı oku: «In der Falle», sayfa 3

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MORD AN DER HUNDEKEHLE

HANNA UND BRUNO kennen sich seit einem Jahr. Bruno Lietz, der noch zu Hause bei Muttern in SO 36 wohnt, hat Maurer gelernt und Arbeit bei einer Firma gefunden, die in Karlshorst eine Pionierschule errichtet. Hanna, eine rotblonde Schönheit mit aufregenden Beinen, war ihm ein paar Mal morgens in der S-Bahn begegnet, bis ihre Blicke ihm genug Mut eingeflößt hatten, sie anzusprechen. Seitdem fahren sie jeden Morgen gemeinsam mit der S-Bahn, wobei Bruno gerne einen Umweg in Kauf nimmt, um schon an der Jannowitzbrücke zu ihr in den verabredeten Wagen zu steigen und nicht erst an der Warschauer Brücke. Hanna wohnt am Hackeschen Markt und arbeitet in der Eisfabrik in Rummelsburg. Wenn Bruno sie an sich drückt, hat er eher das Gefühl, er wärme sich an einem Backofen, aber das kann auch daran liegen, dass er für sie glüht.

Hanna ist neunzehn, Bruno zwei Jahre älter. Jeden Tag muss er damit rechnen, dass ihn die Wehrmacht einzieht und er seine Hanna nicht mehr regelmäßig sehen kann. Sein Chef versucht, ihn zu beruhigen: «Wir bauen hier fürs Militär, da wird jede Hand gebraucht.»

Über Ostern hatten sie eigentlich wegfahren wollen, irgendwohin aufs Land, wo man in einem Heuschober übernachten konnte, doch das kalte Wetter hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nun sind sie am Sonntag zur Wassersportausstellung am Funkturm gefahren und haben sich am Abend mit Hannas Freundin Edith und deren Verlobten Erwin getroffen, um gemeinsam etwas zu unternehmen. Erwin, der in Charlottenburg zu Hause ist, hat zum Entzücken der Mädchen vorgeschlagen, in der Waldschenke am Bahnhof Grunewald tanzen zu gehen. Bruno musste notgedrungen zustimmen, obwohl er alles andere als ein begnadeter Tänzer ist.

Die Stimmung im Bahnhofsrestaurant ist ausgelassen, nur die Musik könnte nach Erwins und der Mädchen Geschmack etwas weniger altdeutsch sein. Bruno ist das einerlei, solange er seine Hanna fest an sich pressen und mit den Händen tief über ihre Rückenpartie fahren kann. In dem Gewimmel auf der Tanzfläche fällt das kaum auf, zumal wohl die meisten Pärchen auf das Gleiche aus sind, egal ob Rheinländer, Schmalztango oder Foxtrott gespielt werden.

Viel zu früh kündigt Berthold Wurzbacher, der Wirt, den letzten Tanz an. Sperrstunde, da kennt die Polizei auch hier draußen keinen Spaß. Beamte laufen genug herum, die meisten in Zivil. Dass im Grunewald keine Holzauktion stattfindet, sondern die Räuber umgehen, weiß jeder.

«Die sollen mal kommen!», sagt Bruno lachend und spannt die kräftigen Schultern. Er hat keine Angst vor Räubern, schon gar nicht nach den fünf, sechs Bier, die er intus hat.

Der Alkohol verleiht auch dem schmalschultrigen Erwin Mut.

«Ich denke, die sind jetzt abgehauen in den Osten», meint er. «Jedenfalls werden die wohl kaum jemanden direkt hier an der S-Bahn überfallen.»

Der Meinung sind auch die Mädchen. Dass man den angebrochenen Abend noch nutzen muss, ist ausgemachte Sache.

Die Auerbachstraße mündet nach kaum hundert Metern in den Uferweg am Hundekehlensee. Links liegen die Tennisplätze, am Ufer stehen Bänke, und so kalt ist es nun auch wieder nicht. Bruno lässt sich auf die nächste Bank fallen und zieht Hanna auf seinen Schoß. Vom Wasser her weht es kühl, doch das spüren sie nicht.

Edith und Erwin sind ein Stück weitergegangen und hinter den Uferbüschen verschwunden, da nähert sich von der Auerbachstraße eine dunkel gekleidete Gestalt. Bruno und Hanna sind viel zu beschäftigt miteinander, um sie wahrzunehmen. Erst als der Mann direkt vor ihnen steht und ihnen der Taschenlampenstrahl in die Augen sticht, reagiert Bruno.

«Mach die Funzel aus, aber dalli!», murrt er und schiebt sicherheitshalber Hanna von seinem Schoß.

«Halt’s Maul! Geld her, oder es kracht!» Tatsächlich zeigt der Kerl im Lampenschein eine Pistole.

Bruno ist nicht bei jeder Gelegenheit der Schnellste. Diesmal jedoch fährt er sofort hoch und stürzt sich auf den Mann. Der ist etwas kleiner als er und hat die Schirmmütze tief ins Gesicht gezogen. Mit dem werde ich allemal fertig, denkt Bruno. Bis ein Schuss kracht.

Hanna schreit laut auf.

«Hau ab!», ruft Bruno ihr zu. «Hol die Polizei!»

Hanna verschwindet in der Dunkelheit.

Bruno holt zu einem neuen Schlag gegen den Räuber aus, da knallt es ein zweites Mal. Er sinkt zu Boden. Dass der heimtückische Schütze seine Taschen durchwühlt, spürt er nicht mehr.

Zwei Minuten später hat der düstere Wald den Mann verschluckt. Er kennt sich hier aus. Der Kleine Stern, wo die Spandauer Straße auf die verlängerte Koenigsallee trifft und sich mit dem Weg von Paulsborn zum Großen Stern kreuzt, ist nur einen Kilometer entfernt. Aber dahin will er nicht. Allzu oft haben sie dort Beute gemacht. Da liegen die Bullen auf der Lauer. Der Mann zieht die Mütze vom Kopf, wickelt das Portemonnaie und die Pistole darin ein. Das Päckchen muss er loswerden, dazu die übergezogene Arbeitskleidung. Ihm bleibt nicht viel Zeit. Das Mädel braucht zum Bahnhof nur Minuten, dort gibt es eine Telefonzelle. In zehn Minuten werden die Grünen ausschwärmen wie die Hornissen.

Wie immer hat er an alles gedacht. Unter einer Baumwurzel ist ein Versteck vorbereitet. Hunde könnten ihm gefährlich werden. Also hat er Pfeffer verstreut. Jetzt muss er nur noch ungesehen die Bahngleise kreuzen und dann die Avus und den Königsweg.

Auf der anderen Seite liegen die Sportplätze der Berliner Hochschulen, da könnte er sich über Nacht einquartieren, wäre heute nicht ein Feiertag, an dem möglicherweise Studenten dort feiern oder nächtigen. Er muss weiter in Richtung Teufelssee und Heerstraße. Da wird ihn keiner vermuten. Er ist gut zu Fuß, und der nächtliche Wald schreckt ihn nicht.

Als er auf der Westseite von Avus und Koblenzer Bahn zwischen den Stämmen verschwindet, grient er vor sich hin. Mal sehen, ob am Dienstag was in der Zeitung steht. Max wird staunen, die alte Pfeife. Ohne ihn ist der ein Nichts. Dem geht bei jedem Ding der Arsch auf Grundeis, und der Polizeiwagen in Friedrichshagen hat ihm den Rest verpasst. Er hört ihn schon jammern: Du hast einen Polizisten erschossen. Und jetzt vielleicht noch einen jungen Burschen. Das wird uns den Kopf kosten!

Dazu müssen sie uns erst mal kriegen, wird er antworten. Das haben die in zweieinhalb Jahren nämlich nicht geschafft! Der junge Kerl hätte sich ja nicht wehren müssen. Hätte er sich vielleicht von dem verhauen lassen sollen? Und der Polizist? Was hätte der gesagt, wenn er in der Ledertasche nur Lumpen gefunden hätte?

Dabei war der Plan perfekt gewesen. Kam ein Lieferwagen, wollte er die Geldtasche einfach auf die Straße legen, so als hätte sie jemand verloren. Hielt die Karre, war das Übrige ein Kinderspiel, selbst für einen einzelnen Mann. Abschließend ein Schuss in die Reifen - und weg in den Wald. Er hätte die Kleidung und das Zeug vergraben und wäre irgendwo harmlos in die nächste Straßenbahn gestiegen.

Angefangen hatte alles eher wie ein Spaß. Dass sich allabendlich ein paar reiche Säcke mit ihren Damen rund um den Kleinen Stern sammelten, um sich in ihren Autos zu verlustierten, war ihnen durch Zufall aufgefallen. Beim ersten Mal waren sie dorthin gefahren, um die Sache auszubaldowern, dann hatten sie gleich viermal Erfolg gehabt. Nur einer war getürmt. Die anderen hatten freiwillig gezahlt, die meisten wahrscheinlich nicht mal Anzeige erstattet.

«Ich habe mir Ihre Adresse auf dem Führerschein gemerkt. Ihre Frau wird sich freuen, wenn Sie erfährt, dass Sie …»

Das genügte als Drohung. Nur sind die Kerle mit der Zeit widerspenstiger geworden. Manche behaupten, kein Geld bei sich zu haben, wehren sich oder veranstalten irgendein Theater. Gleich beim ersten Mal hatte eine Frau die ganze Zeit über gehupt und rumgeschrien, bis Max sie auf die friedliche Art zur Ruhe brachte. Die meisten hatten einfach Schiss, wenn sie die Waffe sahen. Ein paar Mal hatten sie erfolglos wieder abziehen müssen, weil es so verdammt nach Polente roch, dass Max sich fast in die Hosen schiss. In einem Auto saßen mal zwei, von denen die angebliche Frau todsicher ein verkleideter Bulle war.

Da war ihm die Idee mit den Bäumen und später mit den Drahtseilen gekommen. Die Bäume anzusägen und im passenden Augenblick per Wäscheleine zum Umkippen zu bringen, wollte gekonnt sein. Die Autos steckten jedenfalls fest. Am besten waren Lieferwagen, die mit Geld in die Stadt zurückfuhren. Oder welche, die Zigaretten ausfuhren. Allerdings mussten sie dazu das Revier wechseln. Im Westen war auf der Avus oder auf der Heerstraße viel zu viel los, um ungestört zu arbeiten. Im Osten dagegen führten beinahe alle Ausfallstraßen durch Wälder. Im Sommer ließ sich das alles per Fahrrad gut erkunden, und die Bahnverbindungen, um wieder nach Hause zu kommen, waren auch nicht schlecht.

Doch für eine echte Autofalle braucht er Max. Und der kneift im Augenblick. Wahrscheinlich steckt seine Frau dahinter, die neigt zu ulkigen Anwandlungen von Ehrsamkeit.

Er selbst bleibt lieber solo. Bloß keinen noch so hübschen Klotz am Bein, der alles besser weiß und vielleicht noch Rechenschaft über jede Minute und jede Mark fordert. Das ist nichts für ihn. Wenn er eine braucht, dann findet er sie, auf ein paar Mark kommt es ihm dabei nicht an. Solange der Ofen eben raucht. Er ist gespannt, für wie viel Mark der Bursche am Hundekehlensee sich auf einen aussichtslosen Kampf eingelassen hat. Das wird er erst in einigen Tagen erfahren, wenn es in der Gegend wieder ruhiger geworden ist. Vielleicht steht es ja in der Zeitung.

Dem müde wirkenden jungen Mann, der am Ostermontag morgens gegen halb sechs in Pichelsberg in die S-Bahn steigt, sieht keiner an, dass er in der Nacht quer durch den Grunewald marschiert ist. Und dass er vorher kaltblütig den Maurer Bruno Lietz niedergeschossen hat, der im Martin-Luther-Krankenhaus mit dem Tode ringt, schon gar nicht.

SOKO AUTOFALLEN

ÜBER NACHT ist es Frühling geworden. Was für ein Trost nach dem langen, grauen Winter! Die Knospen an den Linden in der Großen Frankfurter sehen aus, als könnten sie jeden Augenblick mit einem Knall platzen. Hermann Kappe ist an diesem Morgen nur im leichten Überzieher losgegangen und kommt selbst darin ins Schwitzen. Das mag auch daran liegen, dass er an nichts anderes denkt als an den Schwerverletzten vom Hundekehlensee. Die Ärzte hätten wenig Hoffnung, hieß es gestern. Und richtig: Im Präsidium empfängt ihn die Nachricht vom Tod des 21-jährigen Bruno Lietz, verstorben an den Folgen einer Nahschussverletzung in den Hals.

Was für ein Saukerl muss das sein, der einen jungen Menschen wegen ein paar Mark aus fünfzehn Zentimeter Entfernung niederschießt!

Schwer atmend und ungewohnt früh sitzt auch Gennat hinter seinem Schreibtisch und blickt ernst in die Runde. Nicht mal dem Schandmaul Galgenberg will eine alberne Bemerkung einfallen. Zwei Tote innerhalb einer Woche, einer davon ein Kollege, da braucht Gennat nicht lange über den Ernst der Lage zu referieren.

Der Herr Kriminalpolizeirat Dr. Brettschieß glänzt glücklicherweise durch Abwesenheit, da er mal wieder in höheren Gefilden weilt. Seit er einen Dienstrang bei der SS bekleidet, trägt er stolz die schwarze Uniform und spielt den Verbindungsmann, sprich Spitzel und Hofhund beim Reichsführer SS. Niemand vermisst ihn. Nebe sieht endlich eine Möglichkeit, den Schwätzer loszuwerden, und sei es an die vorgesetzte Behörde.

So geht es ja immer, denkt auch Kappe, Dünnbrettbohrer wie Brettschieß werden so lange befördert, bis sie auf einem Posten sitzen, wo sie maximalen Schaden anrichten können.

Vom Schaden, den die Polizeiarbeit durch das dreiste Auftreten der Räuber erleidet, ist ausführlich die Rede. Theorien werden durchgekaut, weshalb die wohl neuerdings einzeln arbeiten.

Kappe hält sich aus dem Palaver heraus. Weshalb Gennat ihm Kommissar Alfons Busch vom Einbruch zugeteilt hat, von allen nur «der Einbrecher» genannt, ahnt er vorerst nicht, zumal der junge Busch wenig begeistert scheint.

«Die vom Raub halten nicht viel davon, wenn einer vom Wohnungseinbruch ihnen ins Handwerk pfuscht», gesteht er Kappe.

Kappe winkt ab. Das ewige Kompetenzgerangel ist ihm vertraut und verhasst zugleich, obwohl er selber natürlich froh ist, beim Mord geblieben zu sein. Da gilt die amtliche Ansicht über die Berufsverbrecher als hauptsächliche Tätergruppe naturgemäß nur bedingt. Im Fall der beiden Toten allerdings …

Es stellt sich heraus, dass Busch sich seit Monaten quasi privat mit den Autoräubern befasst und eine regelrechte Statistik über deren Taten geführt hat. Er kennt alle Raubüberfälle seit 1934 aus dem Effeff, hat nächtelang die Akten studiert und manche halbe Nacht selber auf der Lauer verbracht. Am liebsten wäre er auch weiterhin «draußen» geblieben, doch sein Freund, der Staatsanwalt Henkel, hat seine Beziehungen spielen lassen, und nun ist er zum Chef der soeben gebildeten Sonderkommission «Autofallen» berufen worden, vermutlich auf Nebes Anweisung.

Kappe sind die Hintergründe von Buschs Einsatz gleichgültig. Er hat den Eindruck, dass Nebe eine gute Wahl getroffen hat.

«Wir werden uns schon zusammenraufen», sagt er zu dem Jüngeren, der ihn von Anfang an geduzt hat, wie es unter den jüngeren Beamten und Parteigenossen mittlerweile üblich ist. Busch ist kein Parteigenosse, wie Kappe zu seiner Erleichterung bald erfährt.

Sie machen sich an die Arbeit. Gemeinsam mit Busch muss er noch einmal gründlich die Freundin des Lietz und deren Freundin vernehmen, außerdem den Verlobten, den Wirt der Waldschänke und die Gäste, soweit man ihrer habhaft werden kann.

Das Ergebnis ist einigermaßen niederschmetternd. Zwar erweist sich die rotblonde Hanna als eine couragierte Zeugin, die ihre Tränen nur mühsam zurückhält, aber gesehen hat sie leider so gut wie nichts. Verschreckt von der Waffe, geblendet von der starken Taschenlampe und aus Angst um ihren Freund in Panik, hat sie nicht mehr bemerkt als eine untersetzte Gestalt mit einer Schirmmütze auf dem Kopf. So schnell sie konnte, war sie zur Telefonzelle am Bahnhof gelaufen und hatte die Polizei verständigt. «Mord!», hatte sie ins Telefon geschrien. Dann war sie zusammengebrochen, wofür sie sich noch immer schämt. Ihren Bruno hat sie nur noch einmal kurz gesehen.

An dieser Stelle lässt sie ihren Tränen freien Lauf, wofür Busch und Kappe Verständnis haben.

Die anderen Zeugen wissen noch weniger, um nicht zu sagen, gar nichts. Edith und Erwin haben den bewusstlosen Bruno vor der Bank gefunden und vergeblich nach Hanna gerufen, bis endlich die Polizisten auftauchten. Ein einzelner Mann ist ihnen nicht aufgefallen, weder auf dem Uferweg noch vorher in oder vor der Gaststätte.

Auch der Wirt, sichtlich mitgenommen von dem Mord, kann nichts Erhellendes über den Täter mitteilen. Er ergeht sich in Vermutungen über den Zusammenhang des Verbrechens mit dem Überfall auf die Bahnhofskasse Ende September 1936. Das Raubdezernat hat ihn schon damals gründlich und ohne Ergebnis vernommen.

Als Wurzbacher den Raum verlassen hat, schaut Kappe den Kollegen Busch fragend an. «Was war das für ein Überfall?»

Busch weiß alles darüber. «Die gleiche Nummer wie vier Wochen zuvor in Rahnsdorf», erläutert er. «Die Fahrkartenverkäuferin hatte gerade das Geld gezählt, als jemand irgendwo am Gebäude eine Scheibe einschlug. Sie öffnete die Tür, um nach dem Rechten zu sehen, vor ihr stand ein maskierter Mann, drängte sie in den Raum zurück und nahm das Geld. In Grunewald haben sie die Scheibe zum Kassenraum eingeschlagen, durchgefasst und die Tür aufgeriegelt. Sie sind rein, griffen das Geld vom Zahlbrett, dazu die Geldtasche - und weg waren sie. Das Kleingeld haben sie in der Eile liegenlassen.»

«Es waren also mehrere?»

«Zwei. Und du kannst sicher sein: Es waren unsere beiden. Der eine steht Schmiere oder lenkt durch die eingeschlagene Scheibe ab, der andere schießt, wenn es nötig scheint.» Busch sieht Kappe an.

«Ich habe dem Lohr lange nicht glauben wollen, dass alle diese Raubtaten von den gleichen Brüdern begangen werden, egal ob im Grunewald, in Rahnsdorf, Schmöckwitz oder bei Müncheberg. Wir haben zeitweise bis zu vier verschiedene Tätergruppen vermutet.» Heinrich Lohr, ein gestandener Mittfünfziger der alten Schule, ist Kriminalsekretär bei E I 5. Kappe kennt und schätzt ihn. Er fragt: «Und jetzt bist du sicher, dass der Lohr recht hat?»

Busch nickt. «Davon bin ich überzeugt. Mal sehen, was die Waffenfritzen diesmal rausfinden.»

Ein erstes Gutachten liegt vor. Den Kommissar Müller, Schusswaffen-Experte beim Reichserkennungsdienst, hat man am Ostermontag vom Frühstück weggeholt. Er hat festgestellt, dass es sich bei der am Tatort gefundenen Patronenhülse um die einer Zentralfeuer-Revolverkugel RWS 320 handelt, abgefeuert eventuell aus einer Selbstlade-Pistole Kaliber 7,65. Der Schlagbolzeneindruck liegt exzentrisch, am Hülsenboden-Wulstrand sind Auszieherkrallen-Spuren sichtbar. Eine genauere Untersuchung ist notwendig.

Professor Brüning meldet sich erst im Laufe des Dienstag vom Osterausflug zurück. Die Hülse liegt auf seinem Schreibtisch. Am Abend ist auch er sicher, dass die Patrone nicht aus einem Trommelrevolver, sondern aus einer automatischen Pistole 7,65 Millimeter abgefeuert worden ist. Aus der gleichen nämlich, die bei der Ermordung des Oberwachtmeisters Herrmann und bei zwei weiteren Autofallen-Überfällen verwendet worden ist.

Damit besteht endlich Gewissheit, dass es sich immer um dieselben Banditen handelt. Doch das macht die Sache nicht besser. Zwei einzelne Ganoven, die die Reichshauptstadt samt Umgebung tyrannisieren und Europas modernste Kriminalpolizei seit Jahren an der Nase herumführen!

Kappe ist nicht wohl dabei, als er erkennen muss, welche Bedeutung diese Soko Autofallen plötzlich hat, der er seit heute auf Gennats persönliche Weisung angehört.

«Ist der nicht zu alt?», beanstandet Nebe, als Gennat ihm die endgültige Zusammensetzung mitteilt. Wahrscheinlich erinnert er sich daran, dass Kappe jener sagenhafte Kommissar ist, der unter gelegentlichen Narkolepsie-Anfällen leidet …

Gennat beruhigt ihn: «Kappe ist noch keine fünfzig. Der Mann hat die richtige Nase für den Fall.»

«Na gut. Solange er dabei nicht einschläft …», sagt Nebe spöttisch.

Davon, dass Hermann Kappe einer der letzten nicht akademisch gebildeten Kommissare ist und immer noch sozialdemokratischer Gesinnung und Umtriebe verdächtigt wird, ist zwischen den beiden nicht die Rede. Nebe hat längst begriffen, dass man alleine mit Doktoren und strammen Nationalsozialisten keine zuverlässige Polizeiarbeit leisten kann.

KATASTROPHEN

HARTMUT KAPPE ist von der Fliegerei besessen. Seit er sich bei der HJ zu den Segelfliegern gemeldet hat und tatsächlich auch schon eine Runde über dem Flughafen von Johannisthal mitgeflogen ist, spricht er von nichts anderem. Sein Vater kann das verstehen, hat er doch selber mal in jungen Jahren für die Fliegerei geschwärmt, inzwischen allerdings eingesehen, dass ihn die Höhenangst daran hindern wird, sich jemals so einem Metallstorch anzuvertrauen. Und Segelflugzeuge bestehen sogar nur aus Sperrholz und Leinwand.

Hartmuts Begeisterung tut das keinen Abbruch. «Runtergekommen sind sie bis jetzt alle», erklärt er übermütig.

Seine Mutter schlägt vor Schreck die Hände zusammen. «Was du redest, Junge! Wenn ich mir vorstelle, du trittst einmal fehl und rutscht durch die Leinwand! Was sagst du dazu, Hermann?»

Kappe zuckt die Achseln. «Das sind die modernen Zeiten, Klara. Wir werden uns an mancherlei gewöhnen müssen.»

«Aber doch nicht an Flugzeuge aus Stoff! Die Ju, von der dauernd die Rede ist, besteht doch auch aus Blech …»

Hartmut will sich ausschütten vor Lachen. «Aus Blech, Mutti! Das ist hochwertiges Aluminium. Aber beim Zeppelin zum Beispiel besteht die Außenhaut nur aus Leinen und Baumwollbahnen. Die sind mit einer Zelluloselösung und Aluminiumpulver bestrichen. Die Propeller sind aus Holz.»

«Na, ich würde in so ein Ding nie einsteigen. Sind denn die vielen Passagiere nicht zu schwer dafür?»

Wieder lachen die Männer. «Der LZ 129 trägt bis zu 240 Tonnen, da könnte selbst die dicke Waluga mitfahren.» Gemeint ist die Gemüsefrau in der Lebuser Straße, bei der Klara oft einkauft.

«Mit fliegen », verbessert Klara.

Doch Hartmut weiß es besser. «Ballons und Luftschiffe fahren », beharrt er. «Alleine 88 000 Liter Dieselöl kann der Hindenburg mitnehmen. Als Antrieb dienen nämlich vier spezielle Dieselmotoren von Daimler-Benz. Sechzehn Zylinder in V-Anordnung, wassergekühlt.» In seiner Begeisterung merkt er gar nicht, dass Klara längst in der Küche verschwunden ist und auch sein Vater ihm kaum zuhört. «1200 PS Höchstleistung», schwärmt er weiter. «Damit sind die eins-fix-drei in Amerika.»

«Ja ja», bestätigt Kappe unaufmerksam. «Ist der Hindenburg nicht gerade wieder unterwegs?»

Seit 1930 verkehren Zeppeline im Linienflug über dem Ozean. Mit 125 km/h schweben sie dahin, und der LZ 129 Hindenburg ist das größte, schnellste und zuverlässigste Luftschiff aller Zeiten. Jedenfalls bis zum 6. Mai 1937. Da legt der LZ 129 planmäßig am Mast in Lakehurst, New Jersey, an. Das Wetter ist nicht besonders gut, eine Gewitterfront zieht auf. Für die Amerikaner aus dem nahen New York ist die Ankunft des Zeppelins aus Europa immer wieder eine Sensation, Wochenschauoperateure drehen ihre Filme, ein Radioreporter schildert seine Eindrücke von der riesigen, mit Wasserstoff gefüllten Silberzigarre, an deren Heck es plötzlich aufblitzt. Flammen und Rauch steigen auf. Lichterloh brennend, fällt die gewaltige Hülle in sich zusammen und sinkt auf den Boden.

Deutschlands Luftschiffträume sind zu Ende. Darüber sind sich am nächsten Morgen im Präsidium alle einig. Es gibt gar kein anderes Gesprächsthema. Selbst die Autoräuber geraten in den Hintergrund. Seit fünf Wochen hat man nichts Neues von ihnen gehört oder gesehen.

Nur Gustav Galgenberg kann selbst angesichts einer solchen nationalen Katastrophe nicht auf blöde Sprüche verzichten. «Schiffe niemals in die Luft», brabbelt er vor sich hin, leise immerhin, das will bei ihm etwas heißen. Stammt von ihm nicht auch der dämliche Reim: Zeppelin, Zeppelin,/ei wie hoch verehr ich ihn,/weil er immer dann und wann/einen fahren lassen kann …

«Halt dich zurück!», rät Kappe dem alten Kollegen zum wiederholten Mal. «Irgendwann brichst du dir das Genick.»

Galgenberg, der hinter seinem Schreibtisch hockt, blickt aus seinen traurigen Hundeaugen zu ihm auf. «Mensch, wenn de nich mal mehr das Maul aufmachen darfst …»

Ein paar Tage später macht er es doch wieder auf, und Kappe selber entgeht dabei nur knapp dem doppelten Blitzstrahl, der scharf wie SS-Runen auf den Kriminalkommissar Gustav Galgenberg niederfährt.

Kappe will morgens sein angestammtes Büro betreten. Weil er weiß, dass hinter ihm ausgerechnet der SS-Sturmbannführer Dr. Brettschieß das gleiche Ziel hat, grüßt er mit beinahe vorschriftsmäßig angewinkeltem Arm: «Heil Hitler!»

Galgenberg, der Unglücksvogel, hört nur die vertraute Stimme und den ungeliebten Gruß und fragt, ohne sich umzublicken, in seiner unnachahmlich nöligen Art: «Wieso? Isser krank?» Brettschieß läuft puterrot an. «Das hat Folgen, Galgenberg!», brüllt er. «Sie sind hiermit vom Dienst suspendiert! Packen Sie Ihre Sachen zusammen, und melden Sie sich in drei Minuten bei mir!»

Kappe steht wie die Gans, wenn es donnert. «Er hat doch nur …», wagt er anzusetzen.

Aber Brettschieß mustert auch ihn wie einen gewöhnlichen Delinquenten. «Wir sprechen uns noch, Volksgenosse Kappe!», faucht er. «Der Ton in dieser Sozi-Bude hier ist mir seit langem ein Dorn im Auge! Wird Zeit, dass mal ein frischer Wind reinweht!»

Durch die offene Tür wechseln Kappe und Galgenberg einen unaussprechlichen Blick.

Brettschieß zerrt Kappe am Ärmel. «Sie kommen gefälligst mit.

Sie sind schließlich Zeuge dieses unerhörten Vorfalls.»

Auch das noch, denkt Kappe. Hat sich denn alles gegen mich verschworen?

«Und damit Sie klar sehen, Kappe: Keinerlei Ausflüchte! Haben wir uns verstanden? Glauben Sie etwa, ich weiß nicht, dass Sie selber nicht ganz koscher sind, Herr Ex-Oberkommissar? Wie Sie wissen, geht dem Reichsführer jegliches Verständnis für Dienstverstöße dieser Art ab!»

In letzter Instanz und gemessen an den üblichen drakonischen Strafen, geht die Sache für Galgenberg noch glimpflich ab, wozu nicht zuletzt Gennats Einfluss beiträgt. Niemand verlangt von Kappe eine zeugenschaftliche Bestätigung des Vorfalls, den Gustav Galgenberg nicht bestreitet, sondern nur griesgrämig zu einem Missverständnis herunterzuspielen versucht.

Dr. Brettschieß besteht darauf, diesem Miesmacher nie wieder im Präsidium oder sonst wo zu begegnen, und es finden sich Zeugen, denen Galgenbergs vorwitzige Bemerkungen schon lange unangenehm aufgefallen sind. Von siegreichen Nasenkönigen sei da die Rede gewesen, womit nur Heydrich und Nebe gemeint sein konnten, und von einer Brillenschlange im höchsten Amt. Derlei Aussagen will nicht einmal Brettschieß nachgehen, sähe er sich doch dann in der Pflicht, selber die so Charakterisierten über den Präsidiumsklatsch informieren zu müssen. Er ist ja nicht lebensmüde.

«Schaffen Sie mir den Kerl aus den Augen, bevor ich ihn ins KZ stecken lasse!», lautet seine letzte Drohung, und Gennat beeilt sich, die Forderung umgehend zu erfüllen. Sind nicht zum 1. April dreißig verdiente Kriminalbeamte wegen Erreichung der Altersgrenze ehrenvoll aus dem Staatsdienst ausgeschieden und dadurch etliche Revierkriminalstellen vakant geworden? Die Gefahr, dass Brettschieß jemals dem zuständigen Kriminalbeamten des Reviers 244 in Berlin-Köpenick begegnet, ist gering.

Sang- und klanglos und versehen mit Gennats väterlichen Ermahnungen wird Gustav Galgenberg am nächsten Tag dorthin versetzt. Von weiteren disziplinarischen Maßnahmen wird vorerst abgesehen.

Abgesehen von den strammsten Nationalsozialisten, denen das nahezu parteilose Morddezernat schon lange stinkt, will keiner die Angelegenheit an die große Glocke hängen. Getratscht aber wird im ganzen Präsidium darüber.

Als Kappe, dem Galgenbergs tiefer Fall einen heillosen Schrecken eingejagt hat, am Mittag in der Kantine seinem Neffen Otto begegnet, spricht der ihn prompt darauf an.

Otto, einziger Sohn von Kappes älterem Bruder Oskar, der in der Yorckstraße einen Tabakladen betreibt, ist nicht ohne Kappes Zutun von der Schupo zur Kripo gewechselt. 26 ist Otto jetzt, Kriminalassistent und auf dem besten Wege, Karriere zu machen - wenn er denn in die Partei eintritt. Oder in die SS. Dazu fehlen ihm jedoch ein paar Zentimeter an Körpergröße, und als blond kann man ihn nur mit gutem Willen bezeichnen. Für sich hat Otto den besten Ausweg gefunden. Als Fahrer eines 98er DKW-Kleinkraftrades ist er dem NSKK beigetreten, dem Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps. Das muss vorläufig reichen.

«Was ist denn bei euch los?», will Otto wissen. «Da soll einer einen scharfen Führerwitz verbreitet haben?»

Kappe winkt ab. «Nicht hier!», stößt er zwischen den Zähnen hervor.

«Ich müsste sowieso dringend mal mit dir reden, Onkel Hermann.»

Kappe schätzt es nicht, im Dienst mit «Onkel Hermann» tituliert zu werden. Das hat er dem Neffen schon ein paar Mal erklärt. Brummig sagt er: «Meinetwegen. Du kommst am besten abends bei uns vorbei.»

Otto lacht. «Ich weiß nicht einmal genau, wo du jetzt wohnst.»

«Jetzt?» Kappe ist verblüfft. Seit 1931 wohnt er nun in der Großen Frankfurter Straße und hat dort endlich das richtige Zuhause gefunden. Sogar Klara hat sich eingewöhnt und jammert den kleinen Räumen in der Hufeisensiedlung in Britz nicht mehr länger nach. Die Kinder fühlen sich wohl, eine nette Eckkneipe befindet sich im Nebenhaus, und der Blockwart zeigt gehörigen Respekt vor dem Herrn Kriminalkommissar Kappe.

Am Anfang hat ihn sein Bruder Oskar einmal dort besucht, gemeinsam mit seiner Frau Frieda und den beiden Töchtern. Die sind inzwischen zu ansehnlichen jungen Damen herangewachsen, wie Hermann Kappe weiß, hatte sich doch die ganze Bagage im vorigen Jahr zu Ottos Hochzeit in der Yorkstraße versammelt. Richard Börnicke, Ehemann von Kappes Tante Frieda, war allen mit seinen NSTiraden auf die Nerven gegangen. Der alte Krakeeler ging auf die achtzig zu und lamentierte laut darüber, dass keiner in dieser ganzen verkappten Sozi-Bande in Uniform erschienen war.

Das hatte ausgerechnet Max Achtow, Sohn von Hermann Kappes Schwester Pauline, zu dem lauthals herausgeschrienen Bekenntnis veranlasst, er habe sich zur SS gemeldet und erwarte stündlich seine Aufnahme in des Führers Schutzstaffel. Ein Aufstöhnen war durch die Reihen der Familie gegangen, und irgendjemand hatte respektlos angemerkt: «Ach, Max, du hast det Schieben raus …»

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22 aralık 2023
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9783955520144
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