Kitabı oku: «Kālī Kaula», sayfa 16
Tieropfer
Tiere zu religiösen Zwecken zu töten, ist eine der ältesten Ausdrucksformen der menschlichen Verehrungspraxis. Wann immer wir Menschen bei der Opferung beobachten, stellen wir fest, dass das Opfer etwas Wertvolles ist. Das Opfer ist ein Mittel, um ‘Danke!’ zu sagen, für eine Gunst, die man bekommen hat oder eine Bitte um eine Gunst, die man bekommen möchte. Menschen sind Tiere, die Geschenke machen. Wir geben einander, und wenn wir uns der spirituellen Welt nähern, dann geht das Geben und Nehmen weiter. Zu jeder Zeit war ein Tier ein höchst wertvolles Geschenk. Denk an die Ārya, die Indien um vielleicht 1500 v.u.Z. eroberten. Diese Migranten waren Züchter von Rindern, Schafen und Pferden, und für sie war die Opferung eines Pferdes das größte Geschenk, das man überhaupt machen konnte. Das Pferdeopfer, oft durchgeführt und manchmal als Anlass benutzt, um Krieg gegen andere Länder zu führen, wurde in der upaniṣadischen Epoche zu einer eher philosophischen Angelegenheit. Diese Innovation erscheint gegen Ende der vedischen Periode, ganz am Anfang der BāUp. Hier ist die ganze Welt das heilige Ross: der Morgen sein Haupt, die Sonne sein Auge, der Wind sein Atem, der Mund das heilige Feuer, das Jahr der Körper, der Himmel der Rücken, der Luftraum der Leib, die Hufe die Erde, die Jahreszeiten die Beine, Tag und Nacht die Füße, die Knochen die Sterne, das Fleisch die Wolken, Leber und Lunge die Berge und so weiter. Wenn dieses Pferd sich schüttelt, donnert es, wenn es uriniert, fällt Regen, und jede Stimme ist sein Ruf. Aus dem Pferd, das ursprünglich vor allem die Sonne darstellte, war eine Manifestation des kosmischen Allselbst geworden. Und nachdem das vedische Pferdeopfer zu einer Meditation und Erfahrung der universalen Kontinuität gediehen war, leitet die BāUp ganz zwanglos eine Schöpfungsgeschichte ein. Solche Transformationen tauchen mit großer Regelmäßigkeit in der indischen Religion auf; ein materielles Geschenk wird zu einem spirituellen umgedeutet. Dieser Trend geht vom Groben zum Feineren. In der brahmanischen Gesellschaft kam das Töten von Tieren schließlich aus der Mode, und bis zum heutigen Tag zieht es die Mehrheit der Brahmanen vor, ein streng vegetarisches Leben zu führen und keinen Alkohol zu trinken. Weil Menschen sind, wie sie sind, wurden diese rigiden religiösen Vorschriften niemals von allen befolgt. Obwohl die religiösen Gesetze in diesen Angelegenheiten streng sind, ziehen es manche Brahmanen vor, sie zu ignorieren, und da ihre Gesellschaftsklasse (theoretisch) die höchste ist, konnten sie sich am leichtesten solchen Luxus wie Fleisch und Alkohol leisten und diejenigen verhöhnen, die es wagten, sie zu kritisieren. Andererseits gab es immer eine große Anzahl von Leuten niederer Klasse, die es vorzogen, Vegetarier zu werden, obwohl die religiösen Gesetze ihnen erlaubten, sich von jeder unreinen Substanz zu ernähren, die ihnen in den Weg kam, da dies sicher ihr Karman verbessern würde.
In Indien sind die meisten Fleisch essenden und Blut trinkenden Gottheiten weiblich. Diese Gottheiten sind oft gefährlich. Wo die Religion von den Brahmanen kontrolliert wird, also in den zivilisierten Teilen des Landes, in der Nähe von Städten und Regierungsinstitutionen, wurden diese blutdurstigen Gottheiten oft auf eine höchst symbolische vegetarische Diät gesetzt. Ich habe gesehen, wie Durgā riesige Kürbisse statt des traditionellen Stiers geopfert wurden. In den Randbereichen der brahmanischen Welt, unter Stammesvolk und Außenseitern, wurden solche Ersatzopfer nicht immer akzeptiert. Viele blutdurstige Göttinnen wurden mit einer kleinen Schwester ausgestattet. Während die akzeptable Göttin in ihrem Schrein vom örtlichen Brahmanen ein großzügiges Opfer von Gemüse und Blumen bekam, erhielt die kleine Schwester in ihrem abgelegenen Schrein ihr Blutopfer von einem inoffiziellen Priester aus einer niederen Klasse.
An diesem Punkt muss ich hinzufügen, dass ein Blutopfer in Indien nicht so brutal ist, wie die meisten Westler glauben. Sofern die Dinge nicht völlig entartet sind oder ein Tempel einen Massenvernichtungsrekord aufstellen will, werden Tiere nicht im Großaufgebot geschlachtet. Normalerweise werden nur Ziegenböcke geopfert. Sie werden mit Vorsicht und Bedacht zum Altar gebracht, sie werden mit Freundlichkeit behandelt und mit Mantren und Gebeten beruhigt. Ein unwilliges Tier zu opfern, ist ein Verbrechen. Der Ziegenbock wird genau beobachtet; wenn er Zeichen von Furcht oder Widerwillen zeigt, ist er als Opfer ungeeignet. Dahinter steht der Glaube, dass ein Tier eine bessere Stufe im nächsten Leben erlangen kann, wenn es selbst erlaubt, einer Gottheit geopfert zu werden. In diesem Weltbild ist das Töten ist ein freundlicher Akt, der die Seele des Tieres befreit und verbessert und ihr ermöglicht, als menschliches Wesen wiedergeboren zu werden. Wenn das gekrümmte Messer fällt, dann fällt es schnell und das Tier stirbt rasch. Der Tod kommt mit einem einzigen sauberen Hieb. Die Opferung hört an dieser Stelle nicht auf. Die Gottheit erhält den Ziegenbock, üblicherweise durch einen Priester. Dabei nimmt die Gottheit die spirituelle Energie des Opfers auf und durchtränkt den Kadaver mit göttlicher Kraft. Der tote Körper des Tieres wird zum Prasāda (Reinheit, Anmut, Gnade, geistige Ruhe). Das meiste davon wird den Anbetern zurückgegeben, die es nun essen können. Der Ziegenbock wird oft auf einem offenen Feuer neben dem Schrein gegrillt, und die Opferung endet mit einer fröhlichen Mahlzeit für die ganze Familie. Da Indien ein armes Land ist, ist dieses Mahl oft wesentlich besser als das, was die Leute ansonsten zum Leben haben. Es ist seltsam, dass sich so viele Menschen im Westen vom Gedanken an solche Opferungen abgestoßen fühlen. Nirgendwo werden Tiere unter solch geisteskranken Bedingungen aufgezogen, gemästet und geschlachtet wie in der fleischhungrigen industriellen Welt. Der indische Ziegenbock hat ein richtiges Leben gelebt und wird sanft von einer Welt in die andere geschickt. Das Schwein, die Kuh oder das Huhn der industriellen Welt hat nie das Tageslicht gesehen und verbringt seine jämmerliche Existenz eingepfercht zwischen Beton und Metall, gefüttert mit Abfällen, Hormonen und Antibiotika, bevor es mit der ganzen Gleichgültigkeit eines Fließbandes geschlachtet wird.
Bild 23
Hyänentraum.
Hier eine kleine Meditation über Tieropfer. Stell Dir einen Ritus vor, in dem eine Ziege geschlachtet wird. Verwende eine Beobachterperspektive, sieh es also wie ein außenstehender Beobachter. Nun geh hinein. Sieh das Ritual durch die Augen der Verehrenden. Sieh es durch die Augen des Schlächters. Sieh es durch die Augen der Ziege. Und schließlich sieh es durch die Augen der Gottheit. Was hast Du gelernt?
Wir haben bei Tieropfern mindestens drei Bedeutungsebenen: Das eigentliche Tieropfer, das symbolische Tieropfer (denk an den Kürbis) und das spirituelle Opfer, das Gebrauch von Symbolen der Tieropferung macht, um eine insgesamt tiefere Bedeutungsebene zu vermitteln. Wenn tantrische Texte von Tieropfern sprechen, dann haben sie oft die dritte Variante im Sinne. In ihrer Sprache der Tiersymbolik begegnen wir den Sechs Feinden oder Lastern, die der Gottheit geopfert werden müssen. Du kennst sie sehr gut, denn die Sechs Feinde haben Dich und alle Deine Bekannten ihr Leben lang begleitet. Darf ich vorstellen? Die Katze ist Gier, das Kamel ist Neid, das Schaf ist Wahn und Dummheit, der Büffel ist Wut, die Ziege ist grobe Lust, und der Mensch ist Stolz und Arroganz. Alle sechs sind angemessene Opfer für die dunkle Göttin, die immer wieder gebracht werden müssen.
Kapitel 4
Tantrische Geschichte
Was ist Tantra?
Beginnen wir mit einer der rätselhaftesten Fragen. Seit dem frühen 20. Jh., als Sir John Woodroffe tantrische Texte zu übersetzen begann (sehr gegen den Widerstand der etablierten Indologie), haben die Gelehrten darüber debattiert, was Tantra genau ist. Damals war die Frage fast unmöglich zu beantworten. Heute sind wir viel besser informiert, aber wir wissen es immer noch nicht. Tantra ist ein so gewaltiges Thema, dass es jeder Definition spottet. Es gibt so viele Ausnahme von den Regeln, dass die Regeln kaum der Rede wert sind. Da Du jedoch so nett warst, bis zu diesem Punkt weiterzulesen, wirst Du vermutlich immer noch hoffen, herauszufinden, worum es beim Tantra überhaupt geht. Das tue ich auch.
Tantra ist ein Begriff, der unter anderem ‘eine Erweiterung’, ‘ein Schussfaden’, ein Stück gewobener Stoff’, ‘ein Textil’ bedeutet. ‘Textil’ ist ein wunderbares Wort, weil es so eng mit unserem Wort ‘Text’ verwandt ist. Ein Tantra ist genau das: Ein Stück Schrift und eine literarische Tradition. Und auch in diesem Sinne kann das Wort verwendet werden: als religiöser oder wissenschaftlicher Text und als Lehrbuch. In diesem Sinne sind ‘die Tantras’ ein ungenauer Begriff für einen weiten Bereich von Texten. Wie Du Dich erinnerst, gab es jede Menge Texte in der indischen Geschichte. Was ist dann also so besonders an den Tantras, dass sie mit zahllosen spirituellen Bewegungen identifiziert wurden?
Den ersten sicheren Beleg für das, was zum Tantra wurde, finden wir um das vierte bis fünfte Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Manche Gelehrte bezweifeln dies und vermuten den Anfang der Bewegung eher in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung. Andere sind für das sechste oder siebente Jahrhundert oder weisen darauf hin, dass das Phänomen erst nach dem zehnten Jahrhundert wirklich populär wurde. Der erste als solcher bezeichnete tantrische Adept kommt in einer Satire aus dem siebenten Jahrhundert vor, die einen südindischen Asketen beschreibt, der einen Tempel der Göttin Caṇḍikā (Furie) betreibt. Unser Tāntrika wird recht unsympathisch beschrieben. Er hat ein Geschwür an seiner Braue (den Kopf bei der Andacht auf den Boden zu schlagen, kann dazu führen), ist auf einem Auge blind (eine Unsichtbarkeitssalbe hat es zerstört) und hat seine Gesundheit durch die Einnahme eines Quecksilberelixiers ruiniert. Abgesehen davon ist er ein Sammler von Manuskripten betreffs Tantra und Mantra und brabbelt den ganzen Tag über Alchemie und verborgene Schätze (White 1996 : 49).
Der Begriff ‘Tantra’ an sich ist künstlich. Keiner der frühen Praktizierenden dessen, was wir heutzutage als eine ‘Bewegung’ ansehen, bezeichnete sich selbst als ‘Tantriker’. Sie benannten sich nach ihrer spirituellen Abstammung, nach der Überlieferungslinie ihrer Gurus, wenn sie sich überhaupt irgendwie nannten. Wie so oft waren es die missbilligenden Außenstehenden, die die Begriffe prägten. Vedische Traditionalisten, hinduistische Reformer, Missionare und ablehnende Gelehrte machten den Begriff ‘Tantriker’ in den letzten Jahrhunderten populär. Sie erzeugten auch den irreführenden Eindruck, Tantra sei so etwas wie eine Bewegung, eine Religion oder eine Weltanschauung und könne in verschiedene Schulen unterteilt werden. Außenstehende denken so. Sie erschaffen einen Namen für etwas Spezielles, dass über ihr Verständnis hinausgeht. Im Gegensatz dazu schert sich eine ganze Menge der Leute, die wir ‘Tantriker’ nennen, einen Dreck um Formalitäten, Traditionen und die Notwendigkeit, sich von anderen Leuten zu unterscheiden. Wer täglich praktiziert, ist auf direkte Erfahrung aus, und dies führt zur Kultivierung von Subjektivität und originellen neuen Erkenntnissen. Aufmerksame Menschen lernen gern von anderen Leuten. Viele berühmte Lehrer hatten verschiedene Gurus aus verschiedenen Traditionen, und es gibt Texte, die Guru-Hopping zur Erweiterung des Geistes empfehlen. Hier ist Abhinavagupta (ca. 960-1020) ein echtes Vorbild: von seinen Gurus sind immerhin 19 namentlich bekannt. Es handelt sich durchweg um echte Berühmtheiten und Meister ihrer Disziplinen. Abhinava widmete sein ganzes Leben dem Lernen, er begeisterte sich für Spiritualität, Ästhetik, Musik, Tanz, Kunst, Dramaturgie, Poesie, Literatur, Grammatik, nahm zahlreiche Initiationen an und wurde zum bedeutendsten Tantriker Indiens. Er war der Ansicht, dass selbst der Zugang zu einem Lehrer, der die Perfektion erreicht hat, kein Grund ist, nicht auch andere Lehrer aufzusuchen, um deren Pfade zu erkunden (Pandey, 1936 / 2006). Genauso eindrucksvoll wie seine Bereitschaft, von vielen Meistern zu lernen, ist die Willigkeit seiner Lehrer, jemanden zu unterrichten, der so viel herumgekommen war. Das Schlüsselwort ist Synkretismus. Da unsere Tantra Praktizierenden, wie Du und ich, praktische Erfahrung statt Offenbarungen aus zweiter Hand bevorzugten, waren sie auf alles aus, was funktionierte. Erinnere Dich, dass selbst die etablierten indischen Religionen kein einzelnes Dogma haben, keine gemeinsame, verbindliche heilige Schrift und auch kein zentrales Oberhaupt. Dies galt für die Hauptreligionen, aber es galt auch für die Minderheit der Aussteiger und verrückten Asketen, die am Rande der Gesellschaft lebten.
Die Anfänge des Tantra wurden von Leuten entwickelt, die nicht zum Mainstream gehörten. Wir wissen, dass es frühe tantrische Kulte in der Mitte des ersten Jahrhunderts gab, aber da so gut wie nichts von ihrer Literatur erhalten geblieben ist, tappen wir im Dunkeln, was ihren Ursprung und ihre Natur angeht. Mit so wenig Belegen kann man fast alles behaupten (was auch getan wird). Was wir wissen, ist, dass es einen wachsenden Korpus von Offenbarungen gab, die gelegentlich ‘Tantras’ genannt wurden. Da ein Tantra primär ein Text ist, wirst Du Dich fragen, wovon er handelt. Wir wissen, dass es zu jener Zeit eine Menge Tantras gab, weil spätere Tantras sie gelegentlich aufzählen, sie kritisieren oder aus ihnen zitieren. Leider sind die meisten nicht erhalten geblieben.
Nun ist ein Tantra nicht einfach nur ein Text, sondern oft ein Text, der auf die spirituelle Entwicklung abzielt. Hier gehen unsere Schwierigkeiten weiter, denn nicht alle Tantras sind so. Das populärste Tantra ist zweifellos das Pañcatantra. Es wurde recht früh verfasst, war in allen Klassen verbreitet, wurde ins Arabische übersetzt und fand seinen Weg ins mittelalterliche Europa, wo es in mehrere Sprachen übersetzt und höchst beliebt wurde. Unglücklicherweise ist das überhaupt kein ‘richtiges’ Tantra: Das Buch ist eine Sammlung von moralischen Märchen und Tierfabeln, die wenig Bezug zu praktischen spirituellen Aktivitäten hat. Nicht alle Texte, die ‘tantrisch’ genannt werden, gehören zur tantrischen Bewegung, was immer das auch sein mag.
Andererseits gibt es einen großen Bereich von Texten, die unter den ‘Tantrikern’ höchst populär waren, die sie aber nicht mit diesem Namen bezeichneten. Manche werden Āgamas genannt: Texte über spirituelle Disziplin, Mythologie und Ritual, wie sie von Śiva offenbart wurden. Andere werden Nigamas genannt: Sie sind ähnlich wie die Āgamas, nur dass sie von einer Göttin offenbart wurden. In den Āgamas erleben wir eine Göttin, die Śiva befragt, in den Nigamas haben wir eine Form von Śiva (oft Bhairava), die eine Göttin bittet, eine Befreiungslehre zu offenbaren. Beide übernehmen, zum Wohl der Menschheit, die Rollen von Lehrer und Schüler. Die Frage der Überlegenheit stellt sich dabei nicht. Wie viele Texte deutlich machen, sind sich sowohl die Göttin wie der Gott über die verborgene Wahrheit im Klaren. Sie nehmen lediglich die Rollen des Fragenden und des Antwortenden an, um den Lesern eine neue Offenbarung zu liefern. Dieses Format hat eine gewisse Ähnlichkeit mit den populären Frage-und-Antwort-Wettbewerben, die bei Hindus und Buddhisten als spirituelle Disziplin beliebt sind. Sich schwierige Fragen zu stellen mag ein Wettbewerb sein, es kann aber auch ein Spiel sein. Dann gibt es die Yāmalas, Śaiva, die Śākta Upaniṣaden und eine große Anzahl von Stotras (Hymnen), oft mit einem deutlichen ‘tantrischen’ Inhalt. Manche wohlbekannten Tantras (wie das Vāmakeśvara Tantra) erhielten den Namen ‘Tantra’ erst Jahrhunderte, nachdem sie verfasst wurden. Schließlich gibt es noch eine Unterscheidung zwischen originalen Werken, die einem göttlichen Autor zugeschrieben werden und den späteren ‘tantrischen Auswahlbänden’ (Nibandhas), die einen bekannten menschlichen Autor haben, der sie aus älteren Texten zusammenstellte. Dazwischen gibt es einen Bereich von halbmythischen Autoren, die offenbartes und älteres Material zusammenstellten. Viele von ihnen waren Heilige und manche wurden später als Gottheiten verehrt. Was im Allgemeinen als tantrisch klassifiziert wird, ist ein Korpus von Texten, die sich auf spirituelle Aktivitäten beziehen und die von einer allgemeinen Bewegung praktiziert werden. Das klingt, als würde es etwas bedeuten, aber das tut es nicht. Von was für einer Bewegung sprechen wir überhaupt? Und was für Praktiken? Ich werde die Sache also mit einer Reihe von Fragen umreißen.
Wer fing mit dem Tantra an? Wir wissen es einfach nicht. Die frühesten tantrischen Kulte waren dermaßen unpopulär, dass nichts von ihrer Literatur erhalten blieb. Wir wissen aus den Werken anderer Leute von einigen Sekten, Kulten und Richtungen. Einige Purāṇas enthalten (normalerweise unfreundliche) Hinweise auf solche Systeme. Selbst der bekannteste dieser frühen Kulte, die Kāpālikas, musste aus einem winzigen Korpus unfreundlicher Referenzen rekonstruiert werden. Wie auch immer Tantra begann, es fand ganz sicher keine Zustimmung beim vedischen Establishment. Wir werden später noch einige frühe tantrische Systeme untersuchen. An dieser Stelle soll es ausreichen, dass unser Wissen so bruchstückhaft ist, dass wir noch nicht einmal sicher sein können, ob Tantra als hinduistische oder als buddhistische Innovation begann. Die Angelegenheit wird seit Jahrzehnten diskutiert, aber angesichts des Fehlens von so viel frühem Material frage ich mich, ob sie je entschieden werden kann.
Werfen wir einen kurzen Blick darauf. In den ersten Jahrhunderten u.Z. begannen die Buddhisten, sich mehr und mehr der meditativen Praxis zu verschreiben. Dabei übernahmen sie ältere spirituelle Übungen und bauten diese kreativ aus. Gleichzeitig, so um das dritte bis vierte Jahrhundert, begann die Entwicklung jenes kleinen Teilbereichs des Yoga, welcher sich mit Verinnerlichung, Meditation und Befreiung befasst. Die Buddhisten übernahmen einiges von diesen spirituelleren Yogīs, aber ihr Dogma war bestenfalls gleichgültig gegenüber Frauen. Der historische Buddha wollte keine Frauen in sein System aufnehmen. Unglücklicherweise war er von den finanziellen Zuwendungen einer Anzahl adliger Damen abhängig, um die Gemeinschaft am Leben zu erhalten. Seine Amme und eben diese Damen wünschten sich sehnlichst, der buddhistischen Gemeinde beizutreten. Angeblich schoren sie sich die Haare und folgten dem Erleuchteten zu Fuß, was diesen allerdings wenig beeindruckte. Eines schönen Tages sagte sein Lieblingsschüler Ānanda, dass es eine gute Idee sein könnte, Frauen die Teilnahme zu erlauben. Buddha wollte davon nichts wissen. Also merkte Ānanda an, dass der Große Erleuchtete selbst festgestellt hatte, dass sogar Würmer und Pflanzen die Buddhaschaft erlangen könnten, wieso also nicht auch Frauen? Widerwillig gab der alte Grummelkopf nach.
Nichtsdestoweniger erklärte er, dass sein System wegen der Teilnahme von Frauen Jahrhunderte vor seiner Zeit verlöschen würde. Er ordnete auch an, dass Männer die Frauen nicht ansehen oder mit ihnen sprechen dürften, sofern sie nicht dazu gezwungen waren. Er erklärte, dass ein Mann seinen Penis besser ins Maul einer Schlange oder in einen Ofen stecken sollte als in die Yoni einer Frau. Und ganz nebenbei bestritt er, dass eine Frau jemals das Buddhastadium erreichen könne. Hier erscheint Buddha nicht gerade als jemand, der nach unseren Maßstäben als ‚erleuchtet‘ bezeichnet würde. Auch viele Tantriker waren von solchen Überlieferungen entsetzt: wir begegnen Kommentaren, in denen erklärt wird, Buddha hätte schon immer die Heiligkeit der Frauen geschätzt und eifrig sexuelle Rituale praktiziert, nur dass er dies eben vor seinen tumben Zeitgenossen verborgen hätte. Das Caṇḍamahāroṣaṇa Tantra erläutert, dass das entsagungsvolle Leben des Erleuchteten nur eine öffentliche Darstellung gewesen wäre, denn dieser hätte seine Erleuchtung vor allem der sexuellen Vereinigung mit seiner Gattin Gopā zu verdanken (Shaw, 1994 : 142-145). Doch von solchen Ansichten ist in der älteren buddhistischen Literatur herzlich wenig zu bemerken. Man könnte jetzt behaupten, dass frauenfeindliche Äußerungen womöglich von späteren Schreibern in Buddhas Reden gemischt wurden. Das ist durchaus möglich, denn Buddha war, wie seine Zeitgenossen, Analphabet, und alle seine Lehren wurden jahrhundertelang auswendig gelernt und weitergegeben, bevor sie eine schriftliche Form erhielten. Doch mit genau demselben Argument könnte man auch alle anderen Teile der buddhistischen Lehre als Fälschungen darstellen. Sicher ist nur, dass in Buddhas historischem Umfeld eine Geburt als Frau eine Buße für schwere Verbrechen in früheren Leben war: verdienstvolle Menschen wurden als Männer wiedergeboren. Und genau diese Ansicht war in der buddhistischen Frühzeit praktisch normal. Der Theravāda/Hīnayāna-Buddhismus verlangte den Zölibat und lehrte seine Adepten, vor Frauen zu fliehen. Sein Ideal war der Arhat, ein Heiliger, der durch Erkenntnis die Verblendung der Welt und des Ichs überwunden hat, um Befreiung und die totale Auslöschung finden. Nonnen wurden toleriert, aber selbst die erfahrensten Nonnen blieben den jüngsten und dümmsten Mönchen untergeordnet. Sie hatten nicht einmal das Recht, diese zu kritisieren. Diese Einstellung wird vom Gelugpa-Zweig des tibetischen Buddhismus übrigens heutzutage immer noch vertreten: Nonnen bleiben, trotz aller Kompetenz, ihr ganzes Leben lang Novizinnen und haben einen äußerst niedrigen Status. Wer wissen will, warum das so ist, kann ja den Dalai Lama fragen.
Dann kam die Zeit des Mahāyāna-Buddhismus mit seinem Prinzip des ‘Mitgefühls’. Das Ideal des Mahāyāna ist der Bodhisattva, der nicht die Befreiung (Auslöschung) für sich selbst sucht, sondern in der Welt der Illusionen bleibt, um anderen bei der Befreiung zu helfen. Mitgefühl brachte völlig neue Ideen in den Buddhismus ein. Das neue Motto sorgte dafür, dass Mönche und Nonnen sich vermehrt um die Gesellschaft bemühten: sie begründeten wohltätige Einrichtungen wie Krankenhäuser, Waisenhäuser und Schulen, sorgten sich um Aussätzige und sammelten Spenden für die Ärmsten. Mit diesem guten Beispiel konnte der Buddhismus zu einer populären Massenbewegung werden. Es wurde akzeptiert, dass Frauen spirituell kompetent sein können, aber hinsichtlich ihrer Fähigkeit, die Buddhaschaft zu erlangen, änderte sich nichts; sie mussten erst als Mann wiedergeboren werden. Hier sollte angemerkt werden, dass die Erreichung der Buddhaschaft als ein nahezu kosmisch seltenes Ereignis betrachtet wurde. Die Vorstellung, dass eine Frau eine Ritualpartnerin sein könnte, geschweige denn eine Initiatorin, Guru oder Heilige, ist dem ursprünglichen Buddhismus fremd. Dies änderte sich, als sich in Nordindien buddhistische und hinduistischen Adepten begegneten, die zur Proto-Śākta-Bewegung gehörten. (Der Begriff Śākta wurde erst im zehnten oder elften Jahrhundert populär, lange nach der Verschmelzung, um die es hier geht.) Bald bemerkten manche dieser Buddhisten, dass ihnen etwas Entscheidendes fehlte. Im siebenten Jahrhundert begegnen wir ‘tantrischen’ Buddhisten, deren Riten die Verehrung von Frauen und Göttinnen beinhalteten, wobei es auch zu Liebesspiel und der Einnahme von Sexualflüssigkeiten kam. Sie reisten ausgiebig und begegneten ihren hinduistischen Kollegen an den Orten, die beide für Rituale und Meditation bevorzugten: Verbrennungsstätten, Wälder und Berge. Das führte zur Entstehung einer Reihe neuer buddhistischer Randbewegungen wie Vajrayāna, Tantrayāna und Mantrayāna. Durch die Verschmelzung der buddhistischen und hinduistischen Methoden wurde das geboren, was wir ‘Tantra’ nennen – plus einige Methoden aus dem Daoismus und von anderswo her, die oft von Buddhisten eingeführt wurden, die im Ausland gewesen waren. Wenn wir die Yogīnī-Kulte untersuchen, beobachten wir, dass sich Buddhisten und Hindus für ganz ähnliche Ideen, Rituale und Meditationen begeisterten. Überlassen wir also die Frage ‘Ist Tantra eine buddhistische oder hinduistische Erfindung?’ Gelehrten, die es lieben, sich um Worte zu zanken. Bedenkt man, dass so viel von der frühen Literatur verloren gegangen ist, und dass die Leute sich zu jener Zeit sowieso nicht ‘Tantriker’ nannten, kann das gut ein ungelöstes Problem der Indologie bleiben.
Ist Tantra eine Religion? Die meisten der tantrischen Systeme, die wir kennen, funktionieren in einem religiösen Kontext. Das Thema eines Tantras ist oft ein Dialog zwischen zwei Gottheiten. Viele hinduistische Tantras beschäftigten sich mit Göttern und Göttinnen, manchmal als literarische Konvention, üblicherweise als Symbole für Zustände von Energie und Bewusstsein. Dennoch ist Tantra nicht einfach ein Glaube. Die meisten Religionen verlangen Glauben und Opfer von ihren Anhängern, um den Status quo (Dharma, die Weltordnung) zu erhalten oder in Zeiten der Not und Gefahr zu verbessern. Was wir lose als tantrisch klassifizieren können, ist eine Reihe von Systemen, die über diese simplen Anforderungen weit hinaus gehen. Viele Tantriker legen Wert auf Erfahrung, direkte Erfahrung; und der blinde Glaube an ein paar Gottheiten ist einfach nicht genug. In diesem Sinne befasst sich ein großer Teil der tantrischen Literatur mit Praktiken, die das Erreichen verschiedener Ziele anstreben. Diese Ziele sind ganz unterschiedlich. Manche Tantriker wollen Befreiung oder die Vereinigung mit den Göttern, oder sie sind darauf aus, den Göttern gleich oder überlegen zu werden. Andere kultivieren magische Kräfte (Siddhis) für weltliche Zwecke. Manche Systeme sind sehr fromm, andere tendieren zur intellektuellen Kontemplation oder verneinen die Realität von Gottheiten (und allem anderen). Manche Adepten wollen Freude und Befreiung gleichzeitig erreichen, andere suchen die totale Loslösung von der Wiedergeburt oder streben danach, Unsterbliche zu werden. Manchen schwebt als Endziel die totale Auflösung und das Erlöschen im absoluten Nichts vor, andere wollen in die Glückseligkeit des ewigen Allbewusstseins zurückkehren. Einige praktizieren sexuelle Riten, die Mehrheit praktiziert Sex in der Imagination oder in symbolischer Form, oder sie fordert totale Keuschheit, um die Vitalität zu erhalten. Allen gemeinsam ist die Idee, dass man etwas tun muss, um erfolgreich zu sein. Verschiedene Richtungen entwickelten ein Repertoire an Techniken, um ihre Ziele zu erreichen. Diese Techniken erwiesen sich als beständiger als die Lehren, die sie hervorbrachten. Denn Techniken wanderten von Gruppe zu Gruppe, während ihre Lehrmeinungen das nicht unbedingt taten. In den meisten asiatischen Religionen sind zumindest ansatzweise tantrische Elemente zu finden, ohne unbedingt als solche bezeichnet zu werden. Denk nur an die vielen Formen der Pūjā, also eines schönen, einfachen Andachtsrituals, wie es in zahlreichen Varianten in ganz Süd- und Ostasien vorkommt. Die Pūjā beruht auf tantrischen Praktiken und Ideen, aber das ist nur den Wenigsten bekannt.
Die beiden Hauptbereiche der tantrischen Praxis sind der Hinduismus und der Buddhismus. Der Hinduismus ist eine religiöse Angelegenheit, während der Buddhismus, streng genommen, die Existenz (oder Realität) von Göttern überhaupt nicht akzeptiert. Beide Traditionen übernahmen fröhlich eine Menge tantrischer Aktivitäten in ihr Programm. Komplizierter wird es, wenn wir unser Blickfeld erweitern. Tantra hatte einen starken Einfluss auf viele asiatische Kulturen. Du findest tantrische Elemente in dem wenigen, was vom ursprünglichen tibetischen Schamanismus noch bekannt ist, und in der Bön-Religion, welche auf westasiatische buddhistische Traditionen und den Zoroastrismus zurückgeht. Tantrische Elemente, wie z. B. Mudrā, Mantra, Yantra, Cakrasysteme usw. finden sich in der Diaspora buddhistischer Kulte in China, Japan, Korea und Südostasien und haben auch ihren Eingang in einheimische Religionen wie die japanische Shinto-Religion oder den koreanischen Mudang-Schamanismus gefunden. Es gibt tantrische Riten im nepalesischen Schamanismus und in den Kulten der Mongolei. Manche Jaina-Sekten sind teilweise tantrisch, und es gibt sogar ein paar kleine tantrische Sekten im Islam. Es gibt auch einen faszinierenden Kern von ähnlichen Praktiken im Daoismus und Tantra, der eingehender untersucht werden sollte. Später mehr davon. Im Hinduismus kann Tantra überall auftauchen. Es gibt eine Mehrheit von Śaiva- und Śakta-Anhängern im heutigen hinduistischen Tantra, aber es gibt auch tantrische Vaiṣṇavas, ganz zu schweigen von tantrischen Anhängern Ganeśas und vielen obskuren Kulten. Und Tantra ist keine Welt für sich. Manche ‘tantrischen’ Praktiken haben ihre Wurzeln in den Veden, den Upaniṣaden und im frühen, zaubereibezogenen Yoga. Wenn überhaupt etwas gut belegt ist, dann, dass Tantra eine praktische Herangehensweise ist, die Ideologie und Glauben transzendieren kann, wann immer den Anwendern danach ist. Gute Nachrichten für alle unternehmungslustigen Bewusstseinsforscher: tantrische Praxis kann so ziemlich an jede Religion oder Weltanschauung angepasst werden, mit der Du Dich vergnügst. Das geht schon seit langer Zeit so. Du findest tantrische Elemente in der arabischen Alchemie, in der mittelalterlichen europäischen Zauberei und selbst in modernen Kulten wie dem Hermetic Order of the Golden Dawn, Crowleys Kult von Thelema, dem ursprünglichen OTO und im modernen Wicca (das Elemente aller vorher genannten Richtungen enthält). Das alles lässt sich zu der Erkenntnis zusammenfassen, dass Tantra Glauben, Atheismus, Polytheismus, Pantheismus, Henotheismus, Monismus oder Monotheismus sein kann, aber jedenfalls ist es praktisch.