Kitabı oku: «Die Jagd nach der silbernen Feder», sayfa 2

DIE JAGD DURCH DAS FELSENMEER
Wald und Pepe brachen auf. Pepe war noch immer vom Schrei der Hyäne aufgewühlt. Wald hatte nicht viele Worte gemacht. Schweigend ritten sie durch weitläufiges und saftiges Heideland. Die Bracht schlängelte sich mit tiefem Glucksen rechts von ihnen durch ihr breites Bett. Eine Herde Wiesenden hob kurz skeptisch die Köpfe, als die beiden Gefährten an ihnen vorbeiritten. Kaninchen stoben auseinander und ein Fuchs bellte ihnen heiser nach. Wald wandte seinen Lauf näher zur Bracht und ging einige Schritte ins Flussbett hinein, um ihre Spuren zu verwischen.
Hier floss der Fluss träge und flach. So konnten sie ohne größere Kraftanstrengung durch die Strömung laufen. Auf dem Grund des Flusses schimmerten Kieselsteine im Licht des Mondes. Die Strömung kräuselte sich, wo größere Steine unter der Wasseroberfläche lagen. Forellen stoben auseinander, wenn Walds Läufe ins Wasser eintauchten. Pepe fühlte die Feuchtigkeit von unten heraufsteigen. Am Horizont deuteten dunkle Linien die Vorläufer des Siebengebirges an.
Sie entschieden, noch während der Nacht einen möglichst großen Abstand zwischen sich und die Meute der Hyänen zu bringen.
Nach ungefähr einer Stunde erreichten sie eine kleine, von niedrigem Gebüsch eingegrenzte Bucht. Wald stieg aus dem Wasser. Pepe glitt vorsichtig von Walds Rücken, damit sich dessen Pfoten nicht zu tief ins Kiesbett eingruben. Hinter Wald gehend, setzte er sanft einen Fuß vor den anderen. So hinterließen die beiden eine Spur, die nur ein geübter Fährtenleser würde entdecken können. Wind und Wetter würden den Rest erledigen und in kürzester Zeit sämtliche Abdrücke unsichtbar machen.
Die Bucht mündete in einem ausgetretenen Pfad. Pfennigkraut, Sumpfdotterblumen und Schilf säumten seine Ränder. Pepe stieg auf Walds breiten Rücken.
Bereits nach wenigen Metern knickte der Pfad unsanft nach Norden ab und schlängelte sich am Ufer der Bracht entlang. Sie folgten dem Pfad bis zum Monduntergang. Als sie eine kleine Felsplatte erreichten, die den Pfad wieder mit dem Fluss verband, war der Mond völlig verschwunden und die Morgendämmerung würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Die ersten Frösche begannen zu quaken und ein Auerhahn kündigte mit seinem Geschrei das Anbrechen eines neuen Tages an. Noch war es dunkel.
Während sie nebeneinander auf der rauen Felsplatte standen und das kühle Wasser der Bracht ihre Füße umspülte, wurde Pepe sich sicher, dass sie jeden Verfolger abgehängt hatten. Wenn es überhaupt welche gegeben hatte.
Pepe schwang sich auf Walds Rücken. Den Fluss entlang ging es durch das erwachende Land. Aus den Bäumen und Büschenklang das erste Morgenlied der Vögel. Das gleichmäßige Hämmern eines Spechtes drang aus einer kleinen Waldgruppe von links zu ihnen herüber. Pepe sah ein Spinnennetz, in dessen Fäden der Tau die ersten Sonnenstrahlen einfing. Wie Hunderte tropfenförmiger Diamanten schwebten sie im reinen Licht des anbrechenden Morgens. Kurz nach Sonnenaufgang zwang sie ein dichtes Brombeergebüsch, die Ufer der Bracht zu verlassen und sich westlicher zu halten.
Pepe überredete seinen Gefährten zu einer kurzen Rast, um eine Handvoll Beeren zu pflücken. Das war nicht schwer, denn Welfen lieben, wie ich nebenbei erwähnen möchte, Beeren über alles. Natürlich geht ihnen nichts über ein saftiges Stück Fleisch oder knusprig gebratenen Speck mit Salbei, Eiern und Butterkartoffeln, doch beim Anblick von Johannisbeeren, Blaubeeren, Himbeeren, Myrbeeren und all den Beeren, die es im Brachtland in Hülle und Fülle gibt, lacht ihr Herz.
Pepe glitt von Walds Rücken herunter und stakste durch die fast kniehohen Gräser. Gemütlich machte er sich daran, eine Brombeere nach der anderen in Walds Satteltasche verschwinden zu lassen.
„Du solltest auch auf deinen Gefährten achten“, schmunzelte Wald ihn an. „Weißt du nicht mehr? Die erste Regel lautet …“
Pepe grinste: „Ich hab verstanden, Wald!“
Ab nun wanderte nur noch jede zweite Brombeere in die Satteltasche. Alle anderen fanden den direkten Weg in Walds hungriges Maul. Er schmatzte genüsslich. Pepe reckte sich. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und beugte sich weit nach vorne, um für seinen Freund nur die süßesten und dicksten Beeren aus dem stacheligen Buschwerk zu angeln.
Zufrieden lag Wald im Gras. Pepe lehnte sich an seinen breiten Rücken und schob sich eine Beere nach der anderen in den Mund.
„Pssst … schau mal da drüben“, flüsterte Wald ihm zu. „Wir werden beobachtet.“
Pepe wandte vorsichtig den Kopf und entdeckte einen jungen Fuchs, dessen Kopf keck hinter einem abgestorbenen Baumstamm hervorlugte. Misstrauisch hatte der Kleine seine lange Stirn zusammengezogen und seine großen Ohren weit aufgestellt. Pepe konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Rötlich schimmerndes Fell umschloss die schmale weiße Fuchsschnauze, die von einer zierlichen schwarzen Nase gekrönt wurde. Pepe blickte in dunkle bernsteinfarbene Augen. Leicht umwehte der Wind das zarte Buschwerk hinter dem Fuchs. Pepe blinzelte. Der Fuchs war verschwunden.
Walds Maul entwich ein sattes und zufriedenes Grunzen. Müde und doch angetrieben von dem Wunsch, den Treffpunkt im Siebengebirge möglichst bald zu erreichen, brachen die beiden Gefährten mit prall gefüllten Taschen auf.
Nach einer halben Stunde begann das Gelände abzufallen und der Boden wurde steiniger. Vereinzelte Felsbrocken, die schroff aus dem Boden ragten, begannen nun ihren Weg zu säumen. Dichtes pelziges Moos überwucherte das Gestein. Karge Fichten drängten aus dem felsigen Boden hervor und klammerten sich mit ihrem dünnen, zähen Wurzelwerk – wie mit knöchernen Fingern – in die feinsten Ritzen.
Mit jedem Schritt zog sich das üppige Weideland zurück. Langgewachsene Halme schmiegten sich um dicht gestreute Gesteinsbrocken in allen Größen und Formen. Sie ritten auf dem abfallenden Weg in eine Schlucht hinein, deren Wände sich zusehends höher und höher in den Himmel reckten. Feuchte Felsformationen erhoben sich und dämpften das Licht und die Wärme der Sonne. Nur vereinzelt wagten sich einige zarte Strahlen in die Tiefe der Schlucht und schimmerten in braun goldenen Tönen auf den klammen Felswänden. Ein Duft von nasser Erde und modrigem Laub tränkte die Luft. Dichte Farnbüschel duckten sich in die aufsteigenden Felswände hinein und breiteten ihr zarten, weit gefächerten Blätter aus.
Vorsichtig setzte Wald einen Lauf vor den anderen. Es mochte wohl eine halbe Stunde vergangen sein, als die Schlucht sich langsam und kaum merklich zu einem riesigen grünbraunen Trichter weitete. Bald schon erreichten sie einen alten Buchenwald. Die schmalen Stämme wuchsen kerzengerade zwischen den Steinen in den Himmel. Hellgrünes mattes Licht drang durch das Laubwerk und durchflutete sanft die sich vor ihnen ausbreitende, dicht bemooste Felsenlandschaft. Pepe stieg ab. Der Boden war von großen runden Felsbrocken aller Größen bedeckt. In der Ferne meinte Pepe das leise Glucksen eines Baches zu vernehmen. Brocken an Brocken scharten sich die Felsen. Sie fielen in sanfte Steintäler ab, schmiegten sich aneinander, lagen hoch aufgetürmt, erhoben sich und sanken, wogten, schienen seltsam bewegt und hielten doch versteinert inne.
Kreuz und quer über den Felsen lagen umgestürzte Bäume, manche flach, andere aufragend wie Spieße. Von dichtem Moos und Pilzen überzogen schienen sie ihre letzte Ruhe gefunden zu haben.
Pepe lachte hell in Walds Ohr: „Es sieht so aus, als hätten sich hier zwei Riesen amüsiert.“ Er zeigte mit seinem Arm auf die wild verstreuten Baumstämme. „Wahrscheinlich haben sie sich die Zeit mit einer Runde Gigantenmikado vertrieben.“
„Hör mir auf mit Riesen.“ Schmunzelnd schüttelte Wald den Kopf.
Wald ging nur noch im Schritttempo. Ein Weg war nicht mehr auszumachen. Tiefe Klüfte und Spalten, nur von losem Zweigwerk und feuchtem Laub abgedeckt, taten sich rechts und links eines jeden Fußtritts auf. Die Buchen lichteten sich zusehends. Bald schon erreichten sie den Waldrand. Vorsichtig traten sie aus dem Schutz der Bäume heraus.
Vom gleißenden Licht der Sonne geblendet, verengte Pepe seine Augen zu Schlitzen. Vor ihnen breitete sich ein gigantisches Felsenmeer, durchflutet vom hellen Licht des späten Vormittages, in seiner ganzen Weite aus. Staunend und mit offenstehenden Mündern hielten die beiden Gefährten inne.
Pepe entdeckte Felsbrocken, die aussahen wie erstarrte Robben. Ein riesiger schlafender Walfisch lag reglos versteinert zwischen klippenartig aufragendem Gestein. In seiner Phantasie sah Pepe mächtige Walrösser, Riesen mit abgetrennten Schädeln und liegende Säulen, wie aus riesigen Vorhallen längst vergangener Zeiten. Du hättest wahrscheinlich noch so viel mehr entdecken können. Hast du schon einmal im Gras gelegen und in den Wolken die tollsten Dinge entdeckt? Ganz bestimmt! Ja, so erging es auch Wald und Pepe. Sie kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus.
In der Mitte des Felsenmeeres entsprang ein kleiner Bach, der sich, in der Sonne glitzernd, durch sein schmales Kiesbett schlängelte. Wenige knorrige Büsche krallten sich mit langen dünnen Fingern in die Felsen. In der Ferne – Pepe meinte, es müsse im Westen sein – gaben die Felswände eine schmale Klamm ins Freie preis. Dort hindurch schlängelte sich, in sein tiefes Bett eingegraben, das glitzernde Bächlein. Mit zusammengekniffenen Augen ließ Pepe seinen Blick durch das Rund der Schlucht schweifen. Es schien ihm, als würden vereinzelte Pfade in einem halsbrecherischen Zickzackkurs die Steilwände hinunterführen. Sie waren kaum einen Fuß breit und immer wieder versperrten Gesteinsbrocken diese kleinen steilen Stege.
Es wird ein heißer Tag werden, dachte Pepe und wischte sich mit seinem Ärmel den Schweiß aus der Stirn. Er stieg von Walds Rücken und schwitzend begannen sie, über die gewaltigen Kieselsteine zu klettern. Wald war dieser Weg gar nicht recht und er knurrte unzufrieden vor sich her: „Klettern ist was für kleine Jungs und Affen. Ich brauche weites Land. Welfen sollten laufen und nicht klettern.“
Eine halbe Stunde lang quälte Wald sich von Felsbrocken zu Felsbrocken. Seine Laune besserte sich, als auch er endlich die Quelle des kleinen Bächleins erreichte, das munter aus einer dunklen Felsspalte sprudelte. Hier würden sie im kühlen Schatten der Felsen rasten können. Pepe, der schon lange vor Wald angekommen war, stand bis zu den Knien im Wasser und hielt seinen erhitzten Kopf ins Nass. Das Wasser war glasklar, eiskalt und schmeckte ein wenig nach Rost. Köcherfliegen und Hautflügler bevölkerten die Luft um die Quelle. Kleine Fische schwammen im sandigen Bachbett und Wasserschnecken klebten an glitschigen Kieseln.
Sie löschten ihren Durst und füllten ihre Trinkflaschen auf. Nun bemerkten die beiden auch den Hunger, der sich knurrend in ihren leeren Mägen ausbreitete. Pepe kramte in seinen Taschen und holte die Brombeeren hervor. Dann leerte er die Satteltaschen und fand ein wenig Brot, Äpfel und geräucherten Schinken. Zu ihrem Glück hatten sie auch den Proviant von Winter und Jisah bei sich. Doch der schmeckte ihnen nicht so recht. Lieber hätten sie nur halb so viel gegessen und dafür mit ihren beiden Freunden das Mahl geteilt. Die Beeren jedoch waren köstlich und Pepe begann neuen Mut zu fassen.
Jetzt, wo ihre Kehlen feucht und ihre Bäuche voll waren, wurde er schläfrig. Langsam fielen seine Augen zu. Durch die Schlitze seiner Augenlieder sah er über sich den blauen, wolkenlosen Himmel. Die scharfe Kante der Schlucht schnitt das Blau des Himmels ab und fiel in hellem Grau steil in die Tiefe. Er schloss die Augen. Sein Atem verlangsamte sich. Schläfrig lehnte er seinen Hinterkopf an die kühle Wand. Als er sie Sekunden später wieder öffnete, meinte er Schatten oben auf der Felsenkante wahrzunehmen. Er strengte seine Augen an. Dann hörte er das Grollen abstürzender Steine von der rechten Seite. Er krabbelte auf allen vieren hinter dem Felsen hervor und starrte auf die Felswand. Von der Sonne geblendet zog er sich schnell wieder hinter den schützenden Stein zurück. Als er einen Moment später seinen Kopf mit zu Schlitzen verengten Augen um die Ecke schob, durchfuhr ihn ein eiskalter Schrecken.
In mörderischem Tempo jagten Hyänen auf den Zickzackpfaden die Steilwand hinab. Immer wieder rutschten ihnen die Beine weg und sie stießen grobe Brocken in die Tiefe. Die Vorderen wurden von dem herabstürzenden Geröll fast erschlagen und mehr als einmal verfehlten die faustgroßen Brocken die Hyänen nur um Haaresbreite. Sie strauchelten, stolperten, schürften sich ihre Schnauzen auf dem Boden blutig und stürzten sich fast zu Tode. Schon erreichten die Ersten das Felsenmeer am Grund der Schlucht.
Viel flinker, als Wald es mit aller Anstrengung hinbekommen hatte, jagte das Rudel über die Felsen.
Sie kamen direkt auf ihren Lagerplatz zu.
„Wie haben die uns gefunden?“, schrie Pepe. Doch Wald raunte nur: „Beeil dich! Schnell! Wirf mir die Sättel über, zurr sie fest, dann lauf!“
Eilig versuchte Pepe, Wald die Satteltaschen umzubinden. Doch seine Hände zitterten so sehr, dass es ihm fast nicht gelingen wollte.
Pepe sah weitere Hyänen. Aus der Ferne sahen sie aus wie kleine Ponys, die am Rande des Abgrundes mit den Nüstern auf dem Boden nach einem Weg suchten. Kaum hatten sie ihn gefunden, begannen sie, sich auch auf der linken Seite des Kraters in die Tiefe zu stürzen. Einige der Hyänen begannen ihren Abstieg viele Meter vor Wald und Pepe und schlingerten die Wand hinab, um die beiden Gefährten einzukesseln.
Die Klamm am Ende des Felsenmeeres schien Pepe unerreichbar.
Wie unzählige schwarze Punkte strömten die Hyänen nun auf allen Pfaden den Steilhang hinab. Geschickt von Brocken zu Brocken springend, begannen sie, auf die beiden Freunde zuzujagen.

Geröll schlug mit ohrenbetäubendem Lärm von beiden Flanken des Kessels auf das Felsenmeer ein, zersprang am Boden und bald zog von den Steilwänden her eine Staubwolke auf die beiden Fliehenden zu.
Fluchend begann Wald zu klettern. Seine sechs Pfoten krallten sich in die Felsen, fanden keinen Halt, rutschten ab, wirbelten durcheinander. Schmerzhaft schlug er mit dem Hals auf einer kleinen Kuppe auf. Seine Knochen knackten und seine Augen brannten vor Staub und Schweiß. Er konnte seine Stärke nicht ausspielen. Beim Versuch, einen kantigen Felsbrocken zu besteigen, riss er sich eine Kralle aus. Sein klägliches Jaulen hallte von den Wänden des Kessels zurück.
Pepe sprang von Felsen zu Felsen. „Renn schneller! Klettere! Spring!“, trieb er Wald an.
Wald wurde von wildem Zorn gepackt. Er stieß ein dröhnendes Fauchen aus den Tiefen seiner Kehle hinaus und begann, von einem größeren Felsbrocken zum nächsten zu springen. Seine Muskeln spannten sich. Seine sechs Läufe stießen sich ab, die vier hinteren legten sich glatt an seinen Hinterleib an, seine Vorderpfoten waren zur Landung ausgestreckt. Langgestreckt flog er durch die Luft und landete wuchtig mit den Vorderpfoten auf dem nächsten Felsen. Mit seinen hinteren Läufen stemmte er seinen Körper nach oben und der Kraftakt begann von vorne.
Es war eine mörderische Jagd, doch Wald holte zu Pepe auf. Der Abstand zur Hyänenmeute vergrößerte sich um wenige Meter. Mit heraushängenden Zungen und wild springend hetzte die Meute über die glatten Steine. Die Hyänen hatten bereits einen Halbkreis um Pepe und Wald gezogen und begannen in diesem Augenblick, ihn zuzuziehen.
Als Pepe nicht mehr glaubte, noch einen Sprung tun zu können, sah er etwas am rechten Ende des Felsenmeeres. Fast verborgen hinter dem Schleier aus Staub stand eine kleine gekrümmte Gestalt. Pepe verharrte ein Augenzwinkern lang. Sie schien ihm hektisch zuzuwinken.
„Nach rechts!“, brüllte er in Walds Richtung, der in diesem Moment zu einem gewagten Sprung ansetzte. Ihre Blicke kreuzten sich für Sekunden. Auch Wald hatte die Gestalt gesehen und gemeinsam jagten und sprangen sie auf die kleine Höhle zu.
Pepes Gedanken überschlugen sich, während er mit letzter Kraft sprang, kletterte und rannte. Konnten sie diesem Mann vertrauen? Woher kam er so plötzlich? Vertrauenerweckend sah er nicht aus. Was führte er im Schilde? Ihm blieb keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Wie sehr wünschte er sich Winter und Jisah jetzt her! Winter pflegte immer zu sagen: „Zwei haben es besser als einer und vier sind stärker als zwei.“
Schlitternd, verschwitzt und mit Staub bedeckt, erreichten sie den niedrigen Höhleneingang.
„Schnell“, schnaubte der bleiche Mann, ergriff mit seinen trockenen, knöchernen Händen Pepes Arm und zerrte ihn ins Dunkel. Flinker als Pepe es ihm zugetraut hätte, rammte er die schwere eisenbeschlagene Tür ins Schloss. Im selben Augenblick erreichten die Hyänen die Tür. Wutentbrannt sprangen sie dagegen, kratzten mit ihren Krallen über das alte Holz und jaulten fürchterlich.
Mit einem schabenden Geräusch schob der unheimliche Mann einen rostigen Riegel vor.
„Folgt mir!“ Kratzig und rau drang seine Stimme durch die Dunkelheit, als würde man mit einem Schleifpapier über ein Stück Eichenholz fahren. Pepe schauderte. Kalter Schweiß rann seinen Rücken hinab.

DIE SCHMUGGLERHÖHLE
Jisah stieß seine Knie in Winters Flanken und warf einen gehetzten Blick über die Schultern. „Lauf!“, schrie er.
„He! Nur die Ruhe, Junge. Erstens hast du uns die Suppe eingebrockt und zweitens weißt du, dass ich schneller bin“, brummte Winter, schüttelte unwillig den Kopf und bäumte sich auf. Nachdem er sich ein letztes Mal nach den heranjagenden Verfolgern umgedreht hatte, jagte er los.
Lange, taubenetzte Grashalme streiften Jisahs Füße. Dicht über dem Boden lagen Nebelschwaden. Wabernd umzingelten sie die vereinzelt auftauchenden Büsche. Sie jagten zwischen geduckten Obstbäumen mit knorrigen, verwundenen Stämmen und ausladendem Astwerk hindurch. Weich hoben und senkten sich die sanften Hügel des Brachtlandes unter Winters Läufen.
Jisah passte sich Winters Rhythmus an und verschmolz mit seinem Rücken. Jetzt waren sie eins. Mit weit ausladenden Schritten flog Winter in den anbrechenden Morgen hinein. In regelmäßigen Abständen drehte Jisah sich um. Dann sah er die langgestreckten Hälse der Hyänen aus den Nebelschwaden herausragen. Sie waren ihnen dicht auf den Fersen. Jisah spürte Müdigkeit und Hunger in sich heraufsteigen. Für einen kurzen Augenblick schloss er die Augen.
Als er sie wieder öffnete und erneut hinter sich sah, konnte er keine Hyänen mehr erblicken. Winter neigte seinen Kopf leicht nach hinten und sagte leise:
„Du hast geschlafen, Junge.“
„Lange?“, brummte Jisah und hob den Kopf.
Die Sonne begann ihre ersten Strahlen über den östlichen Horizont zu senden.
„Nur so lange, wie ich gebraucht habe, um einen sicheren Abstand zwischen uns und die Meute zu bringen“, antwortete Winter und verlangsamte sein Tempo. „Wir sollten uns bald eine kurze Rast gönnen!“
Wie ein glutroter Feuerball stand die Sonne wenige Meter über dem Boden, und Winter und Jisah ritten, Lauf vor Lauf, mitten in den Sonnenaufgang hinein. Jisah konnte nicht einmal mehr raten, wie viele Kilometer sie schon zurückgelegt hatten.
Jeder Knochen seines Körpers schmerzte und das nagende Hungergefühl ließ ihn zittern. Als er meinte, keinen einzigen Meter mehr reiten zu können, erreichten sie ein schmales Tal. Bald stiegen die Hügel zu ihrer rechten Seite an, wurden felsiger und strebten mit jedem Schritt, den sie zurücklegten, steiler in den Himmel. Jisah ließ seinen Blick über die Felswand schweifen. Als sie das Tal fast durchquert hatten, entdeckte er eine Felsspalte. Sie zog sich vom Boden durch den Felsen in die Höhe und schien einen sicheren Unterschlupf zu gewähren.
Winter ritt auf die Felsspalte zu. Kurz vor ihr kam er zum Stehen. Sie zog sich wie der Eingang zu einer Schlucht nach oben. Aber es war eine Höhle, deren Dach sich weit oben schützend über ihnen wölbte.
„Lass uns bitte eine Pause machen“, keuchte Jisah. „Ich kann nicht mehr!“
Winter nickte und schlich ins Halbdunkel.
Nach nur wenigen Metern ließen sich die beiden nieder. In der Höhle war es kalt und klamm. Jisah fror. Wie gerne hätte er nun in seine Satteltasche gegriffen, etwas gegessen und getrunken.
„Wir können hier nicht lange bleiben“, flüsterte Winter.
Jisah nickte schläfrig und kuschelte sich in Winters warmes Fell. Doch kaum waren seine Augen zugefallen, da sprang Winter schon wieder auf. „Schnell! Komm mit“, raunte er. Stolpernd folgte Jisah Winter, der tiefer in die Höhle eindrang. Die beiden hielten den Atem an und lauschten. Es klang, als näherte sich Hufgetrappel.
„Das sind keine Hyänen“, raunte Jisah Winter zu. Winter nickte.
Die Hufschläge näherten sich, wurden lauter und kamen direkt vor der Höhle zum Verstummen. Leises Stimmengewirr drang an ihre Ohren. Dann setzten Hufe auf steinigem Boden auf und die Geräusche hallten von den hohen Wänden zurück.
Jisah und Winter pressten sich dicht hinter einen Felsvorsprung. Jisah wagte einen Blick um die Ecke. Der Eingang der Höhle war von Eseln und kleinwüchsigen bärtigen Männern bevölkert. Sie trugen schlabbrige Stoffhosen, die nach unten enger wurden und in den Schäften hoher Lederstiefel steckten. Ihre Hemden waren bunt und flatterig. Die Esel standen am Eingang der Höhle und scharrten mit den Hufen. Schon waren einige Männer dabei, ein Feuer zu entfachen.
Jetzt fiel Jisah auf, dass der Boden rußschwarze Flecken hatte. „Diese Männer scheinen öfter hier zu sein“, flüsterte er Winter zu.
„Pssst“, zischte Winter.
Kochgeschirr wurde aus Satteltaschen gekramt und Trinkflaschen machten die Runde. Nach einigen Minuten hatten sich die Männer um das Feuer niedergelassen. Bald durchzog der köstliche Geruch nach gebratenem Speck und geröstetem Brot die Höhle. Jisahs Bauch krampfte sich schmerzhaft zusammen. Winter stieß Jisah von hinten an. „Lass mich auch mal!“ Er drängte Jisah zur Seite. Als er sich Jisah wieder zuwandte, flüsterte er: „Es sind Eselreiter. Schmuggler. Ein wildes und gefährliches Volk. Sie sollten uns besser nicht entdecken. Denn wahrscheinlich …“, Winter zeigte ins Dunkel der Höhle hinein, „ … sitzen wir mitten in einem ihrer geheimen Lager.“
Und wieder lugte Jisah neugierig um die Ecke und beobachtete die Schatten, die der Feuerschein an die Wand warf. Die Eselreiter erzählten sich gegenseitig wilde Geschichten und lachten rau. Fett tropfte von ihren Fingern und sie schlangen das Brot mit groben Bissen hinunter. Einer der Reiter wischte sich die Hände an seiner Hose ab, stand auf und holte eine Fidel aus der Satteltasche seines Esels. Bald durchzogen lustige Töne die Höhle und die Gespräche verstummten.
Müde und satt lehnten sich die Eselreiter mit ihren Rücken gegen die Felswände.
Unterdessen wurde Jisah unruhig. Die Hyänen würden ihr Versteck bald aufgespürt haben.
Jisah hatte seine Sorge Winter gegenüber gerade ausgesprochen, als ein spitzer Hornstoß ertönte. Kurz darauf durchriss ein weiteres Warnsignal die Luft. Der Fidelspieler hielt inne. Stille breitete sich in der Höhle aus. Die Eselreiter lauschten aufmerksam. Jisah griff unter sein Hemd, um nach der Feder zu fühlen. Er hob seinen Kragen und blickte darunter. Sie leuchtete in einem matten silbernen Licht. Er blinzelte. Das Leuchten war noch da. Verwundert schüttelte Jisah den Kopf. Vorne in der Höhle brach Aufregung aus. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Zwei weitere Hornstöße schallten aus der Ferne in die Höhle hinein. Die Eselreiter sprangen auf. Nur Sekunden später vernahm Jisah lautes Hufgetrappel. Ein junger Eselreiter erreichte den Eingang der Höhle. Jisah sah seine Silhouette. Es war ein Junge, etwa so alt wie er selbst. Noch bevor die Beine seines Reittieres völlig still standen, sprang er ab. Atemlos keuchend schlitterte er in die Höhle hinein.
„Sie sind direkt hinter mir!“, stieß er aus. „Hyänen! Eine ganze Meute“, fuhr er keuchend fort.
Hektisch sprangen die Schmuggler auf. Becher fielen scheppernd zu Boden. Einer der Schmuggler begann eilig, mit seinen schweren Stiefeln das Feuer auszutreten.
In diesem Augenblick verließen Winter und Jisah ihre Deckung. Sie traten aus dem Versteck hervor. Sofort waren alle Blicke auf sie gerichtet. Stille breitete sich aus. Dann schnellten die Köpfe zurück zum Eingang, wo der kleine Junge, noch immer völlig außer Atem, an seinen Esel gelehnt stand. Winter reckte seinen Kopf und sprach leise, aber bestimmt: „Sie jagen nicht euch. Sondern uns!“
Ohne genau zu wissen, was er tat, griff Jisah unter sein Hemd und zog die Feder hervor. Ihr silberner Schein erleuchtete die gesamte Höhle.
Die Stille war greifbar. Jisah stand nur da. Alleine neben Winter. Die Feder in der linken Hand. Alle Blicke waren auf ihn und auf die Feder gerichtet.
