Kitabı oku: «Horak am Ende der Welt», sayfa 3

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Am ersten Abend unseres Seminars saßen wir zusammen in Manfreds riesiger Bauernstube, und er kochte für alle. Nach dem Essen tranken wir Rotwein und plauderten, und erst gegen Mitternacht verabschiedeten sich die Leute, um zur Pension zu marschieren, die zehn Minuten entfernt war und in der außer meinen Schülern nur ungarische Motorradtouristen übernachteten. Alle gingen, bis auf Maja. Sie blieb bei uns sitzen, die Füße auf der Bank, eine von Manfreds Katzen auf dem Schoß. Sie erzählte uns von ihrem Leben in Wien: Sie kellnerte, spielte ein bisschen Theater und dachte daran, ein YouTube-Star zu werden. Das Schreiben war für sie nur ein weiterer Versuch, ihr schwer fassbares Talent in einer konventionellen Form zu kanalisieren.

Als Manfred ins Bett ging, holte sie den Wodka aus dem Regal und begann zu mir aufzurücken. Ich erklärte ihr, dass ich an und für sich schon der Richtige für so eine Situation sei, wir aber den ganzen nächsten Tag schreiben würden, und ich das gerne einigermaßen ausgeschlafen und ohne Kopfweh machen würde. Außerdem ließe ich mich auch nicht mit einer Seminarteilnehmerin ein, jedenfalls nicht während des Kurses. Sie trank ihren Wodka in einem Schluck aus, dann sagte sie: »Weißt du, das finde ich jetzt richtig gut von dir.«

Trotzdem gelang es mir nicht, ihr zu verbieten, die Nacht bei mir im Kingsize-Bett in Manfreds Gästezimmer zu verbringen. Sie trug einen Schlumpf-Pyjama, eine Zahnspange und zwei Paar Socken und schlief ein, während ich mir noch die Zähne putzte. Als ich um halb sieben in der Früh aufwachte, war sie verschwunden.

Die nächsten zwei Abende verliefen ganz ähnlich. Als die Seminarteilnehmer am Montag wieder abreisten, hatte ich mich schon an Majas Röcheln neben mir gewöhnt und fand sie auch sonst recht bemerkenswert. Trotzdem hatte sie beschlossen, nach Wien zurückzufahren, und ich brachte sie als Letzte zur Bushaltestelle in den Ort.

»Du bleibst also noch?«, fragte sie mich, die Zigarette zwischen den Mundwinkeln, während sie sich die Haare zusammenband.

»Ich arbeite noch an dem Text. Außerdem sind jetzt Wildwochen. Manfred kriegt eine Rehhälfte, wäre dumm, jetzt zu fahren.«

»Verstehe.«

Sie warf die Zigarette weg, nahm einen Schluck von ihrem Apfelsaft, dann küsste sie mich. Als der Bus kam, knutschten wir immer noch, und er fuhr ohne Maja weiter.

»Hast du Kondome im Haus?«, fragte sie mich.

»Ich hab sicher eines.«

»Eines?«, sagte sie verwundert, und dann gingen wir zum Auto und fuhren in den Nachbarort zum Drogeriemarkt.

Bei uns im Hotel Heide hatten sie kein Kracherl, also spazierte ich zu dem Gasthaus, in dem wir gestern gegessen hatten, und wo auch Franziska und ihr Anhang wohnten. Dort verkaufte man mir ein Keli Himbeer, unter der Voraussetzung, ich brächte die Flasche später zurück. »Vergessen Sie es nicht«, sagte die Wirtin eisig. Ich sah vor mir, wie die Kleinstadtbewohner mit Taschenlampen den Wald durchkämmten, auf der Suche nach der Flasche Keli, die nie zurückgebracht worden war.

Zurück nahm ich meiner Erinnerung an Jugendtage folgend einen anderen Weg. Ich ging einen Pfad entlang, der zwischen Obstgärten und einem waldigen Hang außen um das Zentrum des Städtchens herum verlief. Er führte mich nach ein paar Minuten, in denen meine hübschen Wadeln vom Unkraut zerkratzt wurden, zum Teich von Heidenholz, einer der Natur überlassenen, von Weiden und Pappeln gesäumten Wasserflohlacke, von deren Existenz die Urlauber nichts zu wissen schienen. Die Holzbude am Ufer, wo man in meiner Jugendzeit Eis und Bier kaufen konnte, sah aus, als fiele sie bald in sich zusammen, der Steg war morsch, die Wiese in diesem Jahr noch nicht gemäht worden. Ich sah, dass dennoch eine Frau im See schwamm, und erkannte – an ihrem Nacken, ihrer Kopfhaltung – meine Ex-Frau Franziska.

»Franzi!«, rief ich, aber der Wind rauschte durch die Blätter, und sie hörte mich nicht.

Ich stand da und beobachtete die gleichmäßigen, mir so vertrauten Schwimmbewegungen, während das Himbeerwasser, auf das Maja in unserem Zimmer sehnsüchtig wartete, in meiner Hand warm wurde. Erinnerungen an unzählige Wochenenden an Schotterteichen wie diesem schossen mir durch den Kopf – an Eisholen mit meinem Sohn an der Hand, Kartenspielen in der Wiese, mein Kopf mit nassen Haaren in Franzis Schoß liegend, eine Rätselzeitung, an deren Rand ich eine Buchidee kritzle, ein Bier aus der Kühlbox, und Franzi, die sagt: »Ich will nur einen Schluck …«

Die ersten Jahre unserer Ehe waren wir Studenten und arm. Als es dann Geld gab, vor allem nach dem Erscheinen meines ersten Romans, der groß einschlug (und in dessen Krater später nur schwer wieder etwas wuchs), legten wir es für ein Haus zur Seite, das wir allerdings nie kaufen sollten, weil wir viel zu sehr an unserer alten Wohnung hingen. Unser Lebensstandard änderte sich in den Jahren darauf kaum. Vielleicht gab es einfach nicht viel zu verbessern.

Während ich so dastand und an alte Zeiten dachte, sah ich den braunen Schlapphut von Janisch über das hohe Gras schweben, und ich schaute, dass ich wegkam. Am Zimmer traf ich auf Maja, die mit feuchten Haaren und dem Laptop auf dem Schoß im Bett saß. Ich reichte ihr die Flasche.

»Warm«, sagte sie.

Ich nickte. »Es ist warm draußen.«

Sie nahm einen Schluck, und wahrscheinlich wollte sie grimmig schauen, doch die Himbeerbrause war stärker, und ein Lächeln kaperte ihre Lippen.

Ich setzte mich an den Bettrand. »Vielleicht sollten wir abfahren«, sagte ich.

Sie sah mich an, als würde sie mein Meinungsumschwung nicht besonders überraschen.

»Und das Haus?«

»Ich sage Wolf, dass uns was dazwischengekommen ist, irgendein Autoren-Notfall …«

»Was könnte das sein?«

»Bundeshymne braucht neue Strophe, keine Ahnung …«

»Du kannst das nicht ablehnen.«

»Was sollen wir denn hier?«

»Soll ich dir die zehn Aktivitäten aufzählen, auf die du dich gestern Abend gefreut hast?«

»Dieser kleine Grenzforscher will mit mir in die Heide, das ist doch grotesk!«

»Das ist eine Chance!«

»Die wollen mich doch nur, weil ich zufällig da war. Und einen tschechischen Namen habe.«

»Jeden Job, den ich hatte, hab ich bekommen, weil ich eine junge, blonde Frau mit großer Klappe bin. Mit irgendwas muss man halt punkten.«

»Du bist mehr als das.«

»Aber ich erwarte nicht, dass das jeder sieht. Wieso glaubst du, das Privileg zu haben, nur für deine Arbeit beurteilt zu werden? So ist die Welt nicht.«

»Warum bist du so dahinter? Als du deinen Roman fertig schreiben solltest, hab ich auch nichts gesagt, dass du dein Prokrastinieren auf olympisches Niveau gehoben hast!«

»Du bekommst eine Gelegenheit, einen wichtigen Text zu verfassen, und sagst, ach, ich will nicht mit diesem Mann in die Heide.«

»Es gibt dort nicht mal ein Gasthaus, Maja!«

»Wenn du ernst genommen werden willst, musst du dir auch mal ein paar ernste Gedanken machen.«

»Ich trage meine Ernsthaftigkeit bloß nicht vor mir her, sie steckt zwischen den Zeilen.«

»Niemand hat mehr die Zeit, etwas zwischen den Zeilen zu suchen!«

»Vielleicht ist das das Problem.«

»Ich sag dir was: Wir ziehen jetzt in das Haus deiner Großeltern um, dessen vermeintlicher Verlust dir gestern noch fast die Tränen in die Augen getrieben hat, dann verbringen wir einen schönen Tag mit deiner Ex-Frau und deinem Sohn, und morgen spazierst du ein bisschen in der Heide herum und betreibst kluge Konversation. Und dann können wir ja fahren.«

»Du bist ausschließlich dann vernünftig, wenn es um mein Leben geht.«

»Weil ich dort ganz klar sehe, was das Richtige ist!«

Mein Handy läutete. Ich zog das Telefon aus meiner Tennishosentasche, sah auf das Display und nahm den Anruf entgegen.

»Manfred!«

»Jakob! Seid ihr noch in Heidenholz?«

»Sieht so aus

»Großartig, ich komme

»Na dann, zisch her

»Fast schon am Weg!«

Ich beendete das Telefonat und sah Maja an.

»Manfred kommt.«

4

Zu Mittag rollten wir unsere Koffer wieder über die stillen Gassen von Heidenholz. Ich trug noch immer das Tennisdress, denn Maja hatte gesagt, ich könne so nicht herumlaufen.

Wir machten es uns im Haus meiner Großeltern bequem. Maja verteilte ohne erkennbares System Dinge aus ihrem Koffer in allen Räumen, dann legte sie sich in den Garten hinter dem Haus und nahm ein Oben-ohne-Sonnenbad. Ich überlegte, was meine Oma wohl dazu gesagt hätte, und plötzlich vermisste ich diese resolute, aber großherzige Frau, die geweint hatte, als ich ihr sagte, ich käme im Sommer nicht mehr zu ihr aufs Land, die aber schon kurze Zeit später einen Arbeiter auf Montage gefunden hatte, den sie gegen Miete in meinem Zimmer einquartierte.

Dann versuchte ich mir vorzustellen, was meinem Opa beim Anblick der nackten Frau in seinem Garten durch den Kopf gegangen wäre, und das brachte mich schlagartig auf Touren. Ich gesellte mich zu Maja, die gleich ahnte, was es geschlagen hatte, allerdings justament nicht in Stimmung war und mich wieder fortschickte, Gin-Tonics zu machen oder die Zutaten dafür einzukaufen.

Als Folge dieser Ereignisse stand ich Minuten später im Badezimmer, die Tennishose bei meinen Knöcheln, und arbeitete mich an mir selbst ab, ebenso verstohlen und beschämt wie als Teenager, etwas weniger enthusiastisch vielleicht. Ich war ins Sommerhaus meiner Jugend zurückgekehrt, und es war offensichtlich, dass ich mit so manchen alten Angewohnheiten noch nicht ganz abgeschlossen hatte.

Als ich in die Wohnküche zurückgekehrt war, griff ich nach meinem Notebook und ließ mich an dem großen Tisch nieder. Ich rief die Amazon-Seite meines aktuellen Romans auf und überprüfte den Verkaufsrang, eine Handlung um nichts weniger masturbatorisch als jene eben im Badezimmer. Rang zweihunderttausend-und-irgendwas. Das bedeutete, drei oder vier Tage lang hatte niemand ein Buch gekauft. Sofort verdüsterte sich meine Stimmung. Außerdem sah ich, dass eine neue Kundenrezension mit nur drei Sternen hinterlassen worden war. Die Bewertung hatte dafür gesorgt, dass die Gesamtnote nun von vier auf dreieinhalb gefallen war. Ging man davon aus, dass mindestens die Hälfte der Bewertungen von verträumten Backfischen geschrieben worden waren, die das Buch umsonst vom Verlag im Rahmen eines Leseclubs bekommen hatten (und nie weniger als vier Sterne vergaben), wiesen dreieinhalb Sterne auf ein Debakel hin, jedenfalls sah ich das so.

Ich las in die neue Rezension hinein: »Ich wurde mit dem Mönch nicht wirklich warm, und ich denke auch, sein Verhalten ist oft sehr problematisch

Ich lachte auf.

»Der Autor beschreibt sehr gut, aber über weite Strecken habe ich mich in dem Buch nicht wohlgefühlt

Ich schrie zu Maja in den Garten hinaus: »Sie hat sich nicht wohlgefühlt in dem Buch! Ist ein Buch ein Pyjama, oder was?«

»Wieso schaust du denn schon wieder?«, rief sie zurück.

Jetzt fiel mir ein, dass ich Maja versprochen hatte, dem Selbstgoogeln und Amazon-Folgen eine Zeit lang abzuschwören.

Sie kam durch die Tür in die Küche herein, ein Handtuch um die Schultern, ihr Gesicht gerötet. Sie setzte sich neben mich auf die Holzbank.

»Du solltest das nicht lesen. Das ist ungesund. Wie ein Gespräch über einen selbst zu belauschen.«

»Spricht denn wer über mich?«

»Ich spreche dauernd mit irgendwem über dich …«

Sie begann meinen Handrücken zu streicheln und sah mich mit diesem speziellen Blick an. Ich spürte etwas auf mich zukommen, dem ich mich frühestens in einer Stunde wieder gewachsen fühlen würde.

»Du, mir ist jetzt nicht mehr danach«, sagte ich kummervoll, »diese Kritik, die geht mir … richtig nah.«

Ihr Blick verfinsterte sich, und sie sagte: »Du hast dich nicht nur selbst gegoogelt, hm?«

Ich konnte ihr einfach nichts verheimlichen.

Eine Stunde später saß ich mit meinem Sohn im Auto, und wir fuhren zum Supermarkt an der Peripherie von Heidenholz. Ich wollte ein kleines Barbecue veranstalten und hatte Franzi für den Einkauf um ihren Wagen gebeten. Da David ohnehin für seinen Führerschein üben musste, hatte er am Steuer des gelben Saab Cabrios Platz genommen. Ich saß in dem weißen Tennisdress mit der zugehörigen Schirmkappe am Beifahrersitz und sah die CDs durch, die Franzi im Auto hatte.

»Adele?!«

»Die ist nicht schlecht. Sie schreibt die meisten Songs selbst.«

Ich sah David von der Seite her argwöhnisch an. Die jungen Leute heute hatten einfach keine Vorurteile mehr gegenüber Pop, wie das bei uns gewesen war, alles, was sich in ihre Playlist verirrte und ihnen Freude machte, war okay.

Als wir nebeneinander durch den Supermarkt gingen, fiel mir auf, dass David und ich nun in etwa gleich groß waren. Natürlich hatte ich jedes Mal, wenn ich ihn sah, bemerkt, dass er wieder größer geworden war, aber nun hatte er mich definitiv eingeholt. Diverse andere Ähnlichkeiten zwischen uns ließen sich ebenso wenig übersehen, der schlurfende Gang, dieser Blick, wenn er sich in einer Situation unwohl fühlte, die Härchen im Nacken, die die Form einer Batman-Maske bildeten, wenn man sie nicht jede Woche rasierte.

»Was willst du zu trinken einkaufen?«, fragte mich David.

»Bier«, sagte ich. »Und Gin-Tonic. Und Wein vielleicht. Trinken Franziska und wie-heißt-er-noch-mal Wein?«

»Er heißt Simon. Sie trinken Weißwein, glaube ich.«

»Wie findest du ihn?«, fragte ich David beiläufig, als wir beim Weinregal standen. Ich erwartete eine kurze, schnoddrige Retoure, bekam aber dies zur Antwort, leise und wohlartikuliert: »Er ist echt anständig. Er kümmert sich um seine Schwester, die psychische Probleme hat. Er hält Vorträge über Gesundheit und Ernährung an Schulen, er engagiert sich bei sozialen Projekten.«

»Wow«, sagte ich, und David sah mich mit einem prüfenden Blick an, ob ich dem noch eine dumme Meldung nachschicken würde, oder tatsächlich beeindruckt war.

»Das klingt imponierend«, sagte ich ohne Ironie, weil ich nicht wollte, dass David noch mehr von Simon eingenommen war, bloß weil ich ihn vielleicht angriff.

»Er ist gut für Franzi«, sagte er und nickte, als hätte er ebendies schon mal in Frage gestellt, wäre sich nun aber sicher.

»Denkst du, ich war nicht gut für sie?«, fragte ich, und mir war klar, dass dies nicht die richtige Art war, mit seinem Sohn über die gescheiterte Ehe seiner Eltern zu reden. Aber manchmal war, das Falsche zu sagen, auch einfach eine Abkürzung zu den wahren Gefühlen.

»Ich glaube, sie hat dich immer an erste Stelle gereiht«, sagte David ruhig und keineswegs irritiert, als hätte er viel darüber nachgedacht, »mit Simon kann einmal sie an erster Stelle sein.«

»Ich glaube, seit deiner Geburt stehst du an erster Stelle bei ihr«, sagte ich, aber es klang wie eine Schmeichelei, und tief im Innersten glaubte ich es selbst nicht.

David zuckte die Schultern, und sein Blick folgte einem Mädchen in seinem Alter, das mit einem Sixpack Radler an uns vorbeieilte. Richtig aus dem Konzept brachte die Kleine David aber nicht, denn gleich darauf sagte er: »Franzi will bloß, dass ich glücklich werde. Und dass ich gut nachdenke, bevor ich mich beruflich auf etwas festlege. Sie sagt, Kunst kann auch ein tolles Hobby sein.«

»Das sagt sie?«

»Ja. Sie sagt, sie weiß, das klingt konservativ, aber ein geregeltes Einkommen kann einem Mann viel Selbstsicherheit geben …«

»… und seiner Frau!«

»Ja, das vielleicht auch.«

Einen Moment lang grinsten wir beide, aber wir wussten, dass Franzi nicht wirklich so war.

»Ihr geht es nicht um das Einkommen«, sagte ich dann, »sondern tatsächlich um die Selbstsicherheit.«

David nickte.

Wir gingen nebeneinander durch die hell erleuchteten Gänge, während das Marktradio eine Ballade aus den Achtzigern spielte. Als wir gemeinsam eine Kiste Bier in den Einkaufswagen hoben, fragte ich David: »Glaubst du, sie werden heiraten, in ein gemeinsames Haus ziehen, einen Labradoodle kaufen?«

Er zuckte die Schultern. »Er hat ein schönes Haus, und sie ist ja dauernd dort.«

»Glaubst du, sie will bei ihm einziehen?«, fragte ich.

»Ich glaube, er würde es sich wünschen. Aber Franzi mag die Wohnung.«

David sprach von der Eigentumswohnung bei Linz, in die sie vor vier Jahren mit dem damals dreizehnjährigen David gezogen war, nachdem sie die Scheidung durchbekommen hatte. Bezahlt hatte ich sie, das war die Regelung, die sich unsere Anwälte in elendslangen, repetitiven »Aber ich bitte Sie, Herr Kollege«-Dialogen ausgemacht hatten. Zu viert hatten wir Prospekte von Bauträgern studiert, mein Anwalt und ich auf günstige, bescheidene Objekte reflektierend, Franzis Anwalt von den Wohnungen mit Rundum-Terrasse schwärmend. Wir hatten uns so halbwegs in der Mitte getroffen.

»Vielleicht wirst du die Wohnung mal übernehmen«, sagte ich.

»Ich werde nach Wien gehen«, sagte David und nickte überzeugt.

»Dann können wir uns öfter sehen«, sagte ich.

»Oder nach Berlin«, setzte David nach, als wäre der Plan mit Wien gerade gestorben.

»Was willst du denn in Berlin machen?«, fragte ich.

»Studieren«, sagte er mit einem halb intonierten Fragezeichen und wandte sich von mir ab, als würde er nach irgendetwas Ausschau halten.

Ich überlegte, ob uns David damit bestrafen wollte, dass er uns verließ, so wie wir ihn vor vier Jahren bestraft hatten.

»Findest du eigentlich, dass wir dein Leben ruiniert haben?«, fragte ich und setzte mich auf eine Bierkiste.

Er antwortete, ohne lange nachzudenken: »Ich glaube, ich hätte das Recht, viel wütender zu sein, zum Beispiel auf dich, aber ich bin es eigentlich nicht.«

Ich hörte heraus, dass er das mit seiner Therapeutin besprochen hatte, nach der er nie verlangt hatte, die Franzi aber für unabdingbar für ihn hielt.

»Und glaubst du, das kommt noch irgendwann, also die Wut?«, fragte ich, und merkte, wie ich ungeduldig wurde, weil er so passiv war.

David lehnte sich an ein Getränkeregal, sah lange auf die Spitzen seiner Schuhe, dann zuckte er die Schultern. »Das kann ich nicht sagen. Kann schon sein.«

»Möchtest du einmal meine Variante der ganzen Geschichte hören? Ich meine, du bist jetzt eigentlich erwachsen.«

»Ihr habt ja beide mit mir gesprochen damals.«

»Aber da warst du ja viel jünger, da haben wir doch nicht Klartext geredet. Das war die Jugendversion, zensuriert von vorne bis hinten. Ich denke mir, es wäre vielleicht wichtig für dich, auch in Hinsicht auf Beziehungen, die du selbst mal haben wirst.«

Jetzt sah er mich mit einem anderen Ausdruck in seinem Gesicht an, als wäre die Sitzung nun vorbei. »Lass uns fertig einkaufen«, sagte er und setzte sich mit dem Einkaufswagen wieder in Bewegung.

Ich wusste, unser Gespräch war noch nicht zu Ende, aber jetzt musste David erst einmal durchschnaufen. Der Wagen war bis zum Rand voll, als er wieder den Mund aufmachte:

»Aber Mama hat doch eigentlich alles getan für dich!«

»Ja«, sagte ich, »mehr als das!«

»Wenn du ein Buch fertigkriegen musstest, hat sie dich bekocht und hinter dir aufgeräumt, und es konnte sein, dass du um drei Uhr in der Früh aus deinem Arbeitszimmer gekommen bist und sie aufgeweckt hast, weil du über eine Szene sprechen musstest.«

»Das kam vor.«

»Wieso hast du sie dann …«

Er brachte das Wort nicht heraus.

»Schau mal«, sagte ich, »ich hab alles von Franzi bekommen, alle Rücksicht, alle Geduld, ihre tolle konstruktive Kritik, ihre Ideen – aber eines habe ich eben nicht von ihr bekommen.«

»Und was war das?«

»Ihre Bewunderung.«

»Was?«

»Ja! Du wirst dir denken: Wieso auch? Und die Antwort ist: Ja, wieso auch? Aber damals war es das, was ich gebraucht hätte, was mir gefehlt hat.«

»Das verstehe ich nicht. Sie war doch so stolz auf dich.«

»Na ja, das ist etwas anderes. Schau, ich sage ja nicht, dass das nicht komplett idiotisch war, und die Scheidung ist ja auch entsprechend nicht zu meinen Gunsten verlaufen, und ich hab alles verloren, was ich gehabt habe – uns –, aber ich will ja nur versuchen, dir zu erklären, wie ich damals empfunden habe, denn wir können nie sicher davor sein, uns wie ein Riesenarschloch zu verhalten, man muss nur etwas daraus lernen.«

»Und was hast du daraus gelernt?«

Mein Blick richtete sich für einen Moment abwägend ins nirgendwo. »Da bin ich noch dran.«

David sah mich mit seinen ernsthaften grünen Augen forschend an.

»Im Ernst«, sagte ich, »ich würde das heute alles nicht mehr so machen. Ich würde darüber nachdenken, was wirklich zählt in meinem Leben.«

Er dachte nach.

»Und Maja? Bewundert sie dich?«

»Maja? Oh nein. Nein! Sie kritisiert mich in einer Tour, sie entlarvt alle meine Tricks, beim Schreiben und beim Leben. Wenn ich heute auf Bewunderung aus wäre, wäre sie die Letzte, die …«

»Und warum dann?«

»Oh, sie ist, na ja, ich finde, sie hat ganz offensichtliche Vorzüge: Sie ist klug und witzig und hübsch, das alles auf ihre etwas quergebürstete Weise. Und sie urteilt nicht schnell, und es ist ihr relativ egal, was andere Leute vielleicht denken, und man kann toll mit ihr reden und Spaß haben …«

Ich sah David an, dass ich schon genug gesagt hatte, dass er nicht anders konnte, als anzunehmen, dass seine Mutter diese Qualitäten nicht in sich vereinte, und dass dies vielleicht hieße, er tat es auch nicht …

»Wir haben eigentlich ein ganz normales Familienleben zu Hause«, sagte David, und ich wusste nicht, ob er mich damit treffen oder bloß zum Ausdruck zu bringen wollte, wie unterschiedlich unsere Leben inzwischen waren.

»Und ich wette, Simon wäre wahnsinnig gern Teil davon«, sagte ich.

»Das ist er schon«, sagte David, griff in die Tiefkühltruhe nach einem Cornetto und ging langsam mit dem Wagen in Richtung Kassa.

Maja und ich standen in der Küche, richteten Salate und Saucen her und tranken Gin-Tonic. Ich spürte, wie die Anspannung der Lesereise von mir abfiel. Maja sah glücklich aus, und ich dachte, vielleicht wird jetzt alles gut, vielleicht wird das hier ein Neuanfang für uns. Schriftstellerdenken: Jeder neue Roman, jedes neue Kapitel, jeder neue Satz kann den Umschwung bringen, die Wendung zum Guten.

Am späten Nachmittag erwarteten wir Franzi, Simon und David, die jetzt noch eine Radtour unternahmen, mein Agent Manfred sollte im Laufe der nächsten Stunde ankommen, Karin und ihren Mann hatte ich auch eingeladen. Ich dachte: Wie könnte man den Umstand, dass ich wieder in dem Haus meiner Großeltern wohnte, schöner zelebrieren als durch ein Grillfest? (Den Grill hatte ich in dem alten Schuppen am Waldrand gefunden, wo auch, welch Wunder, mein altes Fahrrad auf platten Reifen stand.) Die Fluchtgedanken waren wieder verflogen, wir würden vorerst in Heidenholz bleiben, und vielleicht würde ich wirklich an der Festschrift des Komitees arbeiten.

Wir hatten Eingangs- und Gartentür geöffnet, und eine leichte Brise zog durch das Haus. Maja war ganz in das Anrühren einer Knoblauchsauce vertieft. Sie trug Bikini und Badeschlapfen, ihre Haare waren oben zu einem Nest verknotet, ein paar blonde Strähnen fielen ihr auf die Schulter und ins Gesicht.

Sie war nicht das klassische Blondchen, so viel stand fest, alles an ihr war eckig, widerborstig, ungestüm. Mit niemandem war ich buchstäblich so oft mit dem Kopf zusammengestoßen wie mit ihr. Vielleicht lag es daran, dass wir uns zu ähnlich waren, immer mussten wir gleichzeitig aktiv werden, dauernd drängte es uns, im selben Moment dasselbe zu tun: Ich gehe jetzt spazieren. – Ich wollte auch gerade. – Dann komm mit. – Ich geh lieber alleine. – Gehen wir noch zusammen runter? – Nein, ich bleibe dann da. – Jetzt hab ich auch keine Lust mehr. – Beide: Ich geh mal duschen. (Wir stoßen mit den Köpfen zusammen.)

Vielleicht war auch das ein Grund, warum Maja nicht bei mir einziehen wollte. Sie behielt ihr kleines WG-Zimmer, in dem wir hin und wieder übernachteten, wenn es uns zu anstrengend war, mit der U-Bahn zu meiner Wohnung in Hietzing hinauszufahren.

Wann wusste ich, dass sie mir wirklich etwas bedeutete? Vielleicht als ich ihre Eltern kennenlernte, Stefan und Grit, ein Lehrer-Ehepaar aus Saarbrücken, nur zwei, drei Jahre älter als ich. Maja hatte hundertmal gesagt, ach, ihre Eltern, die seien lieb, die seien in Ordnung, die seien gut drauf, aber als der Abend ihres Besuches kam – wir waren in einem indischen Restaurant in Wien verabredet –, da war sie richtig nervös. Sie machte sich hübsch und stylte sich ein ganzes Eck braver als sonst, sie wusste selbst nicht warum, sagte sie. Sie war ein Einzelkind, und auch wenn ihre Eltern nichts von ihrer Tochter erwarteten (außer dass sie selbstbestimmt und glücklich lebte), empfand Maja, sie dürfe sie nicht enttäuschen. (Dabei war sie es gewesen, die als Mädchen auf Ballettunterricht gedrängt hatte, sie wollte auch schon mit acht einen Französischkurs belegen!)

Ich fragte sie, ob ihr unser Altersunterschied vor ihren Eltern unangenehm war. Sie verneinte und sagte, es sei eher so, dass sie sich fast schämte, weil sie so mit mir angegeben hätte. »Meine Eltern lieben deine Bücher«, sagte sie.

»Das ist ein Witz«, sagte ich.

»Sie haben schon zwei oder drei gelesen, bevor wir uns kennengelernt haben, jetzt kennen sie alle.«

Das Treffen war unkompliziert und angenehm: Majas Eltern waren reizende Leute, natürlich verliebt in ihre Tochter – und damit schienen sie mich anzustecken! Die Dimension der Tochter, die Maja auch war, hatte mir in meinem Bild von ihr noch gefehlt, da erschloss sich etwas für mich. Ich sah auf einmal das Verletzliche und Hingebungsvolle in ihr, den Gegenpol zu ihrer alltäglichen Ruppigkeit. Wie sie Bericht erstattete über unsere Unternehmungen und kulturellen Erlebnisse, wie sie von unseren Freunden erzählte, plastische Figuren erschuf, die ihren Eltern eine bessere Vorstellung von Majas Leben gaben, das war ungeheuer liebenswert. Ich fühlte plötzlich, dass es meine Aufgabe war, auf Maja achtzugeben, denn ich war bei ihr, jeden Tag, ihre Eltern aber nicht.

Maja trieb mir solche Ambitionen schnell wieder aus: Als ich ihr an einem kühlen Tag sagte, sie solle einen Schal tragen, pfiff sie mich an, ob ich jetzt ihr Vater sein wolle, und erklärte, dass das pronto aufzuhören habe. Auch übermäßige Zärtlichkeiten durften nicht zur Tagesordnung werden: Sex war schön und gut und machte Spaß, aber man musste dabei nicht das Gesicht des anderen streicheln oder dessen Fingerspitzen küssen. Ebenso wenig war es notwendig, in Kurznachrichten Emoticons mit Herzchen zu verwenden oder Post-its mit Liebesgrüßen auf Kuchenstücken oder CDs zu hinterlassen.

Die nächste Herausforderung für unsere Beziehung hieß »Übungsmädchen« und war Majas erster Roman. Der Titel war angelehnt an den englischen Begriff »Practice Girl«, ein Mädchen, mit dem ein Junge nur zusammen ist, um Erfahrung für ein hübscheres Mädchen zu sammeln. Der Roman war die Geschichte ihrer Jugend, und das Thema des Übens (Ballett, Liebe, Leben) zog sich durch alle Schichten des Textes.

Als ich das Manuskript zum ersten Mal las, war ich überwältigt. Dieser Text war so weit von der Fräuleinwunderflapsigkeit, die in den Jahren davor groß aufgekommen war, entfernt, wie es nur denkbar war. Reif, einsichtsvoll, sprachlich sicher. Es gab nur ein Problem: Der Text war noch nicht fertig. Die Geschichte war in keiner Weise zu Ende erzählt, alles in der Schwebe, kein Handlungsfaden zu Ende gesponnen. Maja aber sagte, ihr fiele dazu nichts mehr ein und sie sei mit der Geschichte und diesem Mädchen fertig. Außerdem wolle sie gar keine Autorin sein, wie einen das verkorkse, sehe man ja an mir, haha.

Danke, sagte ich, und jetzt setz dich hin und schreib das fertig!

Sie sagte, nein, keine Lust, und ich sagte, wie viele Preise für nicht fertig gestellte Romane kennst du denn, und sie sagte, sie habe noch nie etwas fertig gemacht, und vielleicht wolle sie auch gar nicht damit anfangen! Und überhaupt: Wie könne man denn wissen, dass eine Geschichte nicht zu Ende erzählt sei? Ich sagte, man weiß es, wenn man auf der letzten Seite Was zum Teufel! ruft und das Buch hin und her dreht, ob es irgendwo weitergeht.

Du kannst ja weiter daran schreiben, wenn du willst, sagte sie.

Okay, sagte ich, dann mache ich das.

Ich setzte mich also an einem Sonntagnachmittag mit einer Tasse Kaffee an meinen Schreibtisch und begann, Majas Geschichte fortzuschreiben. Der psychologische Trick zeigte erst mal gar keine Wirkung – Maja ließ mich einfach machen. Nach ein paar Tagen war ich in die Geschichte eingetaucht und schrieb drei bis vier Seiten pro Tag. Nach einer Woche las ich Maja vor, was ich geschrieben hatte. Aus ihrer Reaktion konnte ich ablesen, dass sie sehr wohl eine Vorstellung davon hatte, wie der Roman weitergehen sollte, und dass meine Fortsetzung für sie eine grausame Pervertierung ihrer Vision und ein Verbrechen gegen ihre geistige Urheberschaft war.

Maja entschied sich also, an dem Roman weiterzuarbeiten. Es folgte ein viermonatiger Leidensweg, der mir das erste Mal bewusst machte, was es wirklich hieß, mit einem Autor zusammenzuleben. Aber trotz ihres Tobens, wenn ihr etwas nicht gelang, ihres Aufschiebens und Weglaufens, ihrer Unsicherheiten, brachte sie den Roman schließlich zu Ende. Und dann verbrachten wir einige der schönsten Wochen unserer Beziehung miteinander.

Ich will nicht behaupten, dass sie das Buch nie beendet hätte, wenn ich mich nicht darum bemüht hätte. Aber als ich begann, an ihrem Roman zu schreiben, sah sie, dass niemand außer ihr diese Arbeit machen konnte. Niemand anderer kann dein Buch schreiben. Du musst es selbst tun. Das macht einen Roman aus: Er ist die Geschichte, die nur du schreiben kannst.

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