Kitabı oku: «Literarische Ästhetik», sayfa 5

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Eines dieser möglichen besonderen Merkmale ergibt sich aus der kunstontologischen Frage, ob dem literarischen Kunstwerk als dem „ästhetischen Objekt“ eine primär physische oder psychische Existenzform zukommt. Die beiden damit verbunden Paradigmen kann man „Physikalismus“ und „Mentalismus“ nennen (vgl. dazu ausführlich Schmücker 1998, S. 169 – 238, den ich im Folgenden rezipiere). Mentalistische Theorien der Kunst gehen von der Grundannahme aus, dass das Kunstwerk seinem Sein nach kein physisches Objekt ist, sondern eine geistige Entität, nämlich die subjektive Vorstellung entweder des Produzenten („produktionsästhetischer Mentalismus“) oder des Rezipienten („rezeptionsästhetischer Mentalismus“). Das eigentliche Kunstwerk wäre demnach im ersten Fall

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das imaginäre Objekt im Geist des Künstlers, und seine Ausformung im Sprachmaterial nur eine akzidentelle Form seiner materiellen Speicherung. Eine solche Theorie ist dann zumeist (aber nicht notwendig!) mit einem Sprachverständnis verbunden, das den Signifikanten nur als äußere und unwesentliche Form des gedachten Inhalts (Signifikat) versteht (Platon, Aristoteles, Hegel). Darüber hinaus impliziert sie ebenfalls eine Auffassung des Künstlers, welche diesem die ‚Führungsrolle‘ im literarischen Prozess zuweist sowie die Rezeption nur als bloßes Nachvollziehen des ursprünglichen kreativen mentalen Aktes des Künstlers versteht. Im zweiten Fall hätte das eigentliche Kunstwerk seinen Ort im Geist des Rezipienten, weil es sich nur und erst durch dessen aktive Konstruktionsleistung zu einem ganzen Objekt vervollständigt (Sartre, Iser). Dann wäre auch hier der materielle Text nicht mehr als ein bloßes Formular, das die Anweisungen enthält, nach welchen Vorgaben der Rezipient das eigentlich literarische Objekt erst zu bilden habe. Sowohl der produktions- als auch der rezeptionsästhetische Mentalismus missachten dabei den Raum des Signifikanten, indem sie ihn als bloß äußeres Aufschreibemedium betrachten, ohne die für das literarische Kunstwerk irreduziblen Dimensionen seiner materiellen Sprachlichkeit zu beachten. Darüber hinaus muss der kunstontologische Mentalismus notwendig zur Annahme einer „epistemischen Privatheit von Kunstwerken“ (Schmücker 2005, S. 49) führen, die sich bereits aus der Praxis unseres Umgangs mit Kunstwerken heraus kaum – zumindest nicht ohne weitere Erklärung und Präzisierung dieses Paradigmas – halten lässt. Schließlich nehmen wir intersubjektiv auf literarische Kunstwerke als gemeinsame Gegenstände gerade auch dort Bezug, wo wir zu verschiedenen Interpretationen ihrer Bedeutung gelangen. Wie aber soll ein Kunstobjekt ‚gemeinsam‘ sein, wenn sein eigentliches Dasein in der subjektiven und nicht-mitteilbaren mentalen Repräsentation des Individuums liegt? Außerdem wird die Frage nach der Werkidentität im Raum des Mentalismus vollends problematisch: Streng genommen müsste jede neue Vorstellung, die der Rezipient durch einen Text (bspw. beim Wiederlesen) konstituiert, auch ein neues Werk sein.

Wenn auch die mentalistischen Theorien der Kunstontologie nicht besonders plausibel scheinen, so muss man sich doch vergegenwärtigen, dass sie teilweise als Antworten auf Probleme entstanden sind

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(oder wiederaufgenommen wurden), die der auf den ersten Blick weitaus plausiblere kunstontologische Physikalismus mit sich bringt. Dem Physikalismus zufolge sind Kunstwerke mit den physischen Objekten identisch, in denen sie sich manifestieren; Nelson Goodman als ein wichtiger Vertreter dieser Auffassung ist bereits erwähnt worden. Dieser Ansatz hat den Vorteil der unmittelbaren Evidenz und beruht auf dem Hauptargument, dass materielles Ding und ästhetisches Objekt deshalb zusammenfallen, weil sie alle ihre Eigenschaften miteinander teilen – und also identisch sein müssen (dies ein Identitätskriterium von Leibniz, das Danto zitiert [Danto 1993, S. 64]). Aber genau dies scheint auf Kunstwerke eben nicht vollständig zuzutreffen. Zwar kann man die verschiedenen Beschreibungen, mit denen man sich jeweils auf Ding und ästhetisches Objekt beziehen kann (was dafür spricht, dass beide nicht zusammenfallen), durch die Aspektpluralität erklären, die an jedem Ding auftritt (vgl. Ziff 2005): „Der Roman ist flach“ kann sich wörtlich auch auf die Zweidimensionalität des Papiers und der gedruckten Zeichen beziehen, „der Roman hat Tiefe“ hingegen nur metaphorisch auf die Darstellungsweise des Inhalts, der durch die Zeichen vermittelt wird. Der Widerspruch beider Sätze deutet also noch nicht notwendig darauf hin, dass sich beide nicht trotzdem auf dasselbe und identische Objekt beziehen können. Trotzdem sind Ding und ästhetisches Objekt, Trägergegenstand und Darstellung, Text und Werk durch Merkmale voneinander getrennt, die es sehr schwer machen, beide einfach und vollständig miteinander zu identifizieren.

1. Wie in der visuellen Wahrnehmung, herrscht zwischen beiden zwar kein reines, aber doch ein weitreichendes Ausschlussverhältnis bezüglich ihres Rezeptionsvollzuges. Wenn ich den Text in seiner Materialität wahrnehme (bspw. die Papierqualität mit dem Finger prüfe oder die Linienführung der Schriftart bewundere), so kann ich nicht zugleich den Inhalt lesen und umgekehrt. Dass gerade Literatur (bspw. in der „Konkreten Poesie“) beide Dimensionen in ihrem Spannungsverhältnis oft übereinander projiziert und durcheinander vermittelt hat, ist kein Gegenargument, sondern baut gerade auf dem grundsätzlichen Gegensatz beider Blickrichtungen auf.

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2. Textträger und Textwelt gehören (wie auch in der Bildenden Kunst Bildträger und Bildobjekt) grundsätzlich verschiedenen Wirklichkeiten an. Die Textwelt ist in Bezug auf die physikalische Textträgerwelt durch eine kategoriale Physiklosigkeit (vgl. dazu grundlegend Wiesing 2005, S. 160) gekennzeichnet, die zur Physikunterworfenheit des Textträgers in unvermittelbarem Widerspruch steht. Während nämlich der materiale Textträger, zumeist das Buch, altern kann und sich zerstören lässt, trifft dies auf die dargestellten Gegenstände außerhalb ihrer eigenen Zeitlichkeit nicht zu. Odysseus als Figur der Odyssee kann durch keine Aktivität unserer Wirklichkeit, die die Wirklichkeit des Textträgers ist, beeinträchtigt oder verändert werden; oder um ein schönes Beispiel von Danto zu zitieren: „Ich kann zwar den Mann, der den Hamlet spielt, mit einer reifen Tomate treffen, aber nicht Hamlet“ (Danto 1993, S. 63). Wo für visuelle Bilder wie z. B. Gemälde von einem Gegensatz von Zeitlosigkeit und Zeitverfallenheit als Grundbestimmung der verschiedenen physikalischen Signatur von ästhetischem Objekt und Ding auszugehen ist, trifft dies für literarische Textwelten allerdings nicht ohne Weiteres zu: Schließlich existieren literarische Gegenstände (Personen, Handlungen, fiktive Lebenswirklichkeiten etc.) als Zeitfolgen (vgl. Kap. 6.3). Diese eigene inhaltliche Zeitlichkeit literarischer Gegenstände ist aber eine gegenüber unserer Zeitlichkeit absolut autonome: Sie steht zu ihr in einem Darstellungs- und nicht in einem Kausalverhältnis. Das Leben von Hamlet bis zu seinem Tod bezieht sich zwar darstellend auf die Art und Weise, wie in unserer physikalischen Wirklichkeit Lebensverläufe sich ereignen und macht deren Zeitverfallenheit in gewisser Weise deutlich. Es kann aber zugleich in keiner Weise durch zeitlich strukturierte mechanische Einwirkungen eben dieser unserer physikalischen Wirklichkeit beeinflusst werden.

3. Materielles Ding und ästhetisches Objekt stehen deshalb zu „ihresgleichen“ in kategorial völlig anderen Einflussbeziehungen. Wo physische Objekte als physische nur kausal-mechanisch aufeinander einwirken können, kann es zwischen Kunstwerken keine bloße mechanische Kausalität geben. Kunstwerke stehen nicht in Kausal-, sondern in Traditionszusammenhängen: Sie sind folglich auf ganz andere Weise und in einem anderen Grad von Freiheit aufeinander bezogen (Kap. 13.4).

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4. Materielles Ding und ästhetisches Objekt stehen zur symbolischen Dimension unseres kulturellen Daseins in kategorial unterschiedlichen Beziehungen. Materielle Dinge sind einfach – ihr „Sein an sich“ ist grundsätzlich von einer semantikfreien Qualität. Weder bedeuten die Dinge in ihrem bloß physikalischen Dasein an sich irgendetwas, noch stellen sie irgendetwas in irgendeiner Weise dar, wenn man sie nicht daraufhin funktionalisiert. Ästhetische Gegenstände sind hingegen nur als darstellende: D. h. sie stehen zur Wirklichkeit in einem semantischen Repräsentations-, Reflexions- bzw. Explorationsverhältnis, indem sie notwendig über irgendetwas sind (bspw. der Hamlet über die „conditio humana“). Dantos Begriff der „aboutness“ als notwendiges Merkmal von Kunstwerken (Über-etwas-Sein; Danto 1999, S. 130, 135) hält dies fest (Kap. 8.4).

5. Aufgrund dieser unterschiedlichen semantischen Qualität ist der intellektuelle Bezug von Subjekten auf beide Objekte grundlegend verschieden. Materielle Werkträger wie bspw. Bücher werden identifizierend wiedererkannt, identifizierend kennengelernt, identifizierend beschrieben oder identifizierend beurteilt („Das ist das neue Buch von Günter Grass.“ – „Dieses Buch ist drucktechnisch sehr gelungen.“). Literarische Gegenstände hingegen haben ihren angemessenen Bezug darin, dass man sie – egal ob man bewerten oder erklären will – dafür stets zu verstehen suchen muss. Dabei wird man hermeneutisch nicht zu einer Identifikation, sondern vielmehr in ein Eröffnungsgeschehen von Bedeutungsperspektiven hineingeführt (Kap. 5, Kap. 10.3). Das ästhetische Objekt ist gestaltete und gedeutete Physis mit einer unveräußerlichen Darstellungsfunktion und einer eben so unveräußerlichen Verstehensforderung, die für sein Dasein konstitutive Bedeutung haben – so zumindest die physikalismuskritische Argumentation, wie sie bspw. von Arthur C. Danto vertreten wird.

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3.4 Die „Identität“ der Literatur: Was ist die ontologische Einheit des Werkes?

Die Identitätsfrage des literarischen Kunstwerkes ist direkt mit seiner Existenzfrage verbunden und erweist sich als ihr begriffliches Epiphänomen. Es hat sich bisher gezeigt, dass sowohl der kunstontologische Mentalismus wie der Physikalismus in Bezug auf die Frage nach der Existenzweise des literarischen Kunstwerkes allein keine befriedigende Antwort zu geben vermögen. Aus mentalistischer Perspektive ist die Frage nach der Identität des Werkes scheinbar gänzlich unbeantwortbar: Warum die verschiedenen Realisationen eines Romans in der Psyche verschiedener Leser Exemplare eines Werkes sein sollen, lässt sich nur schwer begründen, wenn man nicht die unplausible weitgehende Gleichartigkeit unserer geistigen Verfassung und Vermögen sowie die Gleichartigkeit der mentalen Realisationen eines Werkes bei verschiedenen Subjekten annimmt.

Aber auch physikalistisch ist die Identität eines Werkes schwer begrifflich zu bestimmen. Dass das literarische Werk nicht mit dem Begriff des materiellen Trägerobjekts identisch ist, ist bisher bereits deutlich geworden. Das literarische Werk kann aber auch nicht einfach mit einem physischen Exemplar identifiziert werden: Denn das Einzelexemplar kann zerstört werden, ohne dass dadurch auch das Werk vernichtet wird. Ebenso unplausibel ist es, literarisches Werk und Originalmanuskript zu identifizieren, wie Nelson Goodman durch seine grundsätzlich sinnvolle Unterscheidung von „autographischen“ und „allographischen“ Künsten gezeigt hat. Identifiziert man das literarische Werk mit dem Wortlaut eines bestimmten Exemplars, gerät man in das Problem annehmen zu müssen, dass eine bestimmte Menge von Druckfehlern ein anderes Werk konstituiert. Außerdem können dann Übersetzungen nicht Übersetzungen eines Werkes mehr sein, sondern konstituieren andere Werke. Schließlich ist es auch nur schwer möglich, das einzelne literarische Werk mit der Klasse aller seiner Exemplare zu identifizieren. Denn die gesamte Klasse ist stets vermehr- oder verminderbar, während dies auf das Werk nicht zutrifft. Auch die Frage, ob das literarische Werk zerstört ist, wenn alle Exemplare zerstört sind, ist in der Forschung durchaus kontrovers diskutiert worden. Es zeigt sich also, dass der Physikalismus

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allein auch keine hinreichende Antwort auf das Problem der Identität des Werkes geben kann.

Die Theorie der Existenz und Identität von Kunstwerken aller Art muss demnach folgende grundlegende begriffliche Spannung integrieren und erklären (vgl. umfassend Schmücker 1998, 2005). Zum einen fallen Kunstwerke, auch literarische, in ihrem Sein nicht völlig mit ihren physischen Manifestationen zusammen – das ist die Konsequenz aus den physikalistischen Dilemmata. Zum anderen können sie aber auch nicht „platonisch“ als etwas von diesen Manifestationen absolut kategorial getrenntes Geistiges aufgefasst werden – das ist die Konsequenz aus den Problemen des mentalistischen Paradigmas. Reinold Schmücker, ein gegenwärtiger Kunsttheoretiker, der die kunstontologischen Fragestellungen im deutschsprachigen Raum profiliert hat, schlägt deshalb im Anschluss an Günter Patzig (Patzig 2005) vor, das Verhältnis von Kunstwerk und Manifestation (Exemplar) gemäß des „Type-Token“-Schemas zu verstehen. Dieses wurde von dem amerikanische Logiker Charles Sanders Peirce (1839 – 1914) entworfen, greift aber natürlich auf ältere (onto)logische Modelle zurück. Dieses Begriffsschema erlaubt die Vereinbarung der oben bezeichneten gegensätzlichen Bewegungen: Der „Type“ (Typus) fällt zum einen nicht mit den „Token“, d. h. den physischen Exemplaren seiner selbst zusammen, kann sich jedoch zugleich nur in und durch die „Token“ realisieren. So fällt Goethes Roman Die Wahlverwandtschaften (Typus) mit keinem seiner Exemplare oder der Menge seiner Exemplare zusammen. Trotzdem gibt es ihn nur und ist er nur zugänglich, wenn er sich in mindestens einem Exemplar realisiert und durch ein Exemplar (das des Autors) hervorgerufen worden ist.

Diese Verbindung beider Seiten ist möglich, weil Kunstwerke wie Zahlen „objektiv-nichtwirkliche“ Entitäten sind (vgl. Schmücker 1998, S. 239; Schmücker 2005, S. 150). Anders als physische Dinge (= objektiv-wirkliche Entitäten) und bloß subjektive Vorstellungen (= subjektiv-nichtwirkliche Entitäten) ist ihr Sein zwar kein physisches (deshalb „nicht-wirklich“), doch sie sind zugleich ebenso intersubjektiv wirklich und allgemein strukturiert wie Zahlen oder mathematische Gedanken (= „objektiv“). Zugleich trennen sie von der ontologischen Qualität bspw. der Zahlen jedoch zwei wichtige Einschränkungen: 1. Anders als Zahlen, die auch

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existieren, wenn keiner an sie denkt oder noch nie jemand an sie gedacht hat, sind Kunstwerke nicht ewig, sondern an ihre Erschaffung und Realisation in der historischen Zeit gebunden. Deshalb sind sie auch nicht wie Zahlen ungeschaffen, sondern Artefakte, also Gemachtes (Kap. 13.3). 2. Ihre Bestimmung als Kunstwerk ist keine rein objektive Qualität, die von kultur- und zeitspezifischen Bedingungen unabhängig ist, sondern unterliegt einem evaluativen, d. h. auf Wertungen basierenden Konsens, der sich ändern kann (Kap. 13.3, Kap. 13.4). Nicht alles nämlich, was zu bestimmten Zeiten als Kunstwerk gilt, kann diesen Status auch zu anderen Zeiten erlangen. Damit wird deutlich, dass das „literarische-Kunstwerk“-Sein, auch wenn es nicht mit seinen physischen Manifestationen zusammenfällt, doch sehr viel stärker an die Bedingungen physischer und symbolischer Realität (Zeitlichkeit, kulturelle Veränderlichkeit, Materialitätsgebundenheit) geknüpft ist, als das gewöhnlich für die Klasse von Seiendem (objektiv-nichtwirkliche Entitäten) gilt, in welche es fällt. Eine Ontologie literarischer Kunstwerke muss diese widerspruchsvollen Bedingungen ausloten und integrieren, ohne sie zum Verschwinden zu bringen und so unerlaubt den Problemhorizont zu begrenzen, in welchem sich das kunstontologische Fragen vollzieht.

Die vorliegenden Überlegungen weisen also auf eine signifikante Besonderheit der Ontologie des literarischen Werkes hin, die es am Schluss noch einmal hervorzuheben gilt. Denn das „Type-Token“-Schema, welches die begriffliche Grundlage für die Ontologie des Kunstwerkes bereitstellt, kann auch als ein Verhältnis der Darstellung beschrieben werden. Darstellend heißt in diesem grundsätzlichen Sinn nämlich ganz abstrakt jede Beziehung, in der Eines durch ein Anderes erscheint: „Darstellung ist das Sichzeigen von etwas an einem Anderen“. (Figal 1996, S. 123) Hans-Georg Gadamer, der Begründer der modernen Hermeneutik (Kap. 10.2), hat den Begriff der „Darstellung“ zu einem Zentralbegriff seiner Verstehenslehre gemacht und ihn dabei zugleich ontologisch gefasst. Denn Darstellung heißt bei ihm jeder Vorgang, in welchem ein Darstellendes ein Dargestelltes allererst zur Wirklichkeit bringt und sich deshalb das Dargestellte erst in seiner Darstellung als wirklich seiend zeigen kann. Zugleich aber bleibt das Dargestellte kategorial und ontologisch von dem Medium der Darstellung getrennt, durch das es sich seiend macht

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(vgl. Gadamer 1986, S. 142). Das Sein des Dargestellten kommt zu sich erst in einem Anderen, der Darstellung, und bleibt doch zugleich von diesem zu unterscheiden. Diese Doppelbewegung von Trennung und Vermittlung, Abbildung und Hervorbringung kennzeichnet auch das Verhältnis von Kunstwerk und Exemplar. Das einzelne Exemplar ist die Bedingung wie das Medium der Existenz des Werkes und zugleich in seiner Welthaftigkeit der Grund der Zeitlichkeit und Relativität des Kunstwerkseins – ohne doch dieses Kunstwerksein vollständig selbst zu sein. Das Kunstwerk stellt sich in seinen Exemplaren dar, und das heißt nach dem Gesagten: Es ist nur in diesen wirklich, ohne dass sein Sein in dem materialen Sein der Exemplare aufginge. „Darstellung“ ist das literarische Kunstwerk also nicht nur dadurch, dass es als „Mimesis“ der Wirklichkeit sich in Inhalt und Form auf diese bezieht (Kap. 8). Schon das Sein literarischer Kunstwerke selbst muss begriffslogisch als Darstellungsverhältnis begriffen werden.

Kontrollfragen:

1. Was untersucht die Ontologie der Literatur?

2. Erläutern Sie das „Menard“-Problem anhand der Positionen von Danto und Goodman!

3. Worin liegen die Probleme, die Identität des literarischen Werkes zu bestimmen?

Literaturempfehlungen:

Schmücker, Reinold: Was ist Kunst? Eine Grundlegung. München 1988.

Schmücker, Reinold (Hg.): Identität und Existenz. Studien zur Ontologie der Kunst. Paderborn 22005.

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4 Die Semiotik der Literatur

4.1 Die Frage nach der semiotischen Differenz: Literatur als sprachliches Zeichengebilde

Semiotik nennt man die Theorie, welche sich mit den Formen, Funktionen und Gebrauchsweisen von Zeichen beschäftigt (vgl. Eco 1977). Dabei sind nicht nur sprachliche Zeichen gemeint, sondern alle Phänomene, mit denen Menschen einander etwas anzeigen oder zu verstehen geben (bspw. Verkehrsschilder oder Gesten) bzw. alle Phänomene, die man als Zeichen interpretieren kann (bspw. Wolken). Semiotische Überlegungen reichen bis zum Anfang der europäischen Philosophie zurück. Die drei großen antiken „Lehrer“ des Abendlandes haben der Frage nach der Natur des – zumeist sprachlich begriffenen – Zeichens bedeutende Werke gewidmet: Platon, Kratylos; Aristoteles; Peri hermeneias und De anima; Augustinus, De doctrina christiana. Noch die letzte große wirkmächtige „Schule“ der Philosophie des 20. Jahrhunderts, die „Dekonstruktion“, basiert wesentlich auf Überlegungen zur Natur zeichenhafter Prozesse und entwickelt von dort aus metaphysische, logische, politische und ästhetische Konsequenzen. Die Aufmerksamkeit auf die Zeichenhaftigkeit all unserer Weltbegegnungen kann also durchaus als eine Art Klammer unseres europäischen philosophischen Erbes begriffen werden.

Ob nun in mündlicher oder schriftlicher Form, Literatur ist in jedem Fall sprachlich verfasst und deshalb vorrangig durch das Zeichensystem der Sprache bestimmt. Darüber hinaus spielen jedoch auch nichtsprachliche Zeichensysteme in ihr eine nicht zu unterschätzende Rolle: bspw. graphische Ordnungen in der Lyrik oder räumliche Zeichen und Körpergesten in der theatralischen Aufführung (vgl. Fischer-Lichte 1979). Im Anschluss an den Begriff der Textualität von Literatur (Kap. 3.3) muss deshalb festgestellt werden: Alles in Literatur ist grundsätzlich und um

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fassend durch zeichenhafte (zumeist sprachliche) Vermittlungsleistungen gekennzeichnet. Es gibt in ihr keine zeichenlose und durch sich selbst entspringende Präsenz, also nichts, dass nicht durch Zeichen zu verstehen gegeben wird. Dies gibt jeder theoretischen Analyse des Phänomens Literatur die Richtung vor: Die Logik und Funktionsweise dieser literarischen Zeichenfolgen gilt es zu verstehen. Deshalb sind die Fragen des vorliegenden Kapitels folgende: Wie lässt sich Literatur semiotisch konzeptualisieren? Welche zeichentheoretischen Möglichkeiten stehen von Seiten der Literaturtheorie dafür bereit, und welche Dimensionen des Literarischen lassen sich am besten und trennschärfsten semiotisch fassen? Diesen Problemhorizonten korrespondiert eine semiotische Grundlegung der Literaturästhetik: Lässt sich der Unterschied von Literatur und Nicht-Literatur sinnvoll im Rahmen semiotischer Begrifflichkeiten begründen? Vor allem entfaltet sich diese Frage als Frage danach, ob die Literatur andere Zeichen verwendet als nichtliterarische Texte (bzw. auch andere nichtsprachliche Zeichen), oder ob sie Zeichen anders verwendet – oder keins von beidem.

Die letztgenannte Extremposition, dergemäß Literatur in ihrer Zeichenverwendung mit nichtliterarischen Texten absolut identisch ist, findet sich bspw. als „Interpretationismus“ beim amerikanischen Literaturtheoretiker Stanley Fish. Nach Fish ist es nicht der Text selbst, sondern es sind nur die Lesekonventionen des Subjekts, welche darüber entscheiden, ob ein Text als Literatur oder etwa als Packungsbeilage verstanden wird. Somit kann prinzipiell jede Zusammenstellung von sprachlichen Zeichen auch als Literatur gelesen werden, wenn man die entsprechenden Lektüretechniken auf sie anwendet: bspw. nach lautlichen Korrespondenzen oder nach symbolischen Bedeutungsspendern sucht. Fish hat dafür sogar Experimente mit Studenten durchgeführt, denen er Namen auf einer Tafel vorgesetzt hat und sie diese als Gedicht interpretieren ließ (Fish 2000). Diese Argumentation krankt aber daran, dass sie die Interpretationskonventionen, die sich aus dem Umgang mit literarischen Texten ableiten – besonders solche, die in der Institution „Literaturwissenschaft“ kanonisiert, festgeschrieben und vor allem eingeübt werden – an die Stelle der literarischen Texte selbst setzt, also die Wirkung für die Ursache nimmt. So wird ganz unerklärlich, woher

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denn gerade diese Interpretationsweisen von Literatur kommen, wenn nicht von Texten, auf die sie passen oder aus denen sie abgeleitet wurden, und wie sie denn als sinnvollere gegenüber anderen begründet werden können, wenn sie nicht einen Grund in der Sache haben, auf die sie sich beziehen. Fish reduziert den literarischen Text auf eine leere Kinoleinwand für Rezeptionskonventionen, die relativ grundlos als „literarisch angemessen“ gelten, überall wiedergefunden werden können, wo man nach ihnen sucht, und letztlich wohl ihren Grund nur im sozialen Machtspiel haben sollen, in welchem man sich durch das Beherrschen dieser Verstehenstechniken einen Vorteil an Ansehen verschafft. Ob damit aber – so wichtig es ist, diese gesellschaftlichen Dimensionen bei einem so tiefgreifend gesellschaftlichen Phänomen wie Literatur (Kap. 13.2) mit im Blick zu haben – Literatur angemessen und umfassend verstanden werden kann, darf bezweifelt werden.

Ein wichtiger methodischer Hinweis ist hier angebracht: Die Trennung der Kapitel 4 und 5 dieses Buches in eine „Semiotik“ und eine „Semantik“ der Literatur ist dahingehend künstlich und sogar problematisch, als natürlich Zeichen nur im Hinblick auf Bedeutungen und Bedeutungen nur aufgrund von Zeichen gegeben sind. Die enge Interdependenz zwischen beiden Dimensionen des Sinngeschehens muss ständig beachtet und soll hier nur zum Zwecke analytischer Klarheit auseinander gehalten werden.

Demgemäß sind Überschneidungen und Querverbindungen zwischen beiden Kapiteln nicht nur ein notwendiges Übel, sondern sinnvolle Darstellung des angesprochenen inneren Zusammenhangs. Ähnliches gilt für die Diskussion der spezifischen Medialität der Literatur (Kap. 6), die sich der sprachlichen Beschaffenheit literarischer Werke nicht primär aus semiotischer Perspektive, sondern von den semantischen Dimensionen des Materials selbst her nähert.

4.2 Zeichen und Zeichengebrauch: Modelle

Die Semiotik, auch und vor allem dort, wo sie zugleich eine Literatursemiotik sein will, ist von den unterschiedlichsten Theoriemodellen, Denktraditionen und Methodologien geprägt (vgl. als Übersicht

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Volli 2002 und generell Nöth 2000). Deshalb ist es notwendig, zuerst eine gewisse Übersicht über die semiotischen Begrifflichkeiten und Unterscheidungen zu gewinnen, welche auf dem Feld der Literatursemiotik zumeist unerklärt vorausgesetzt werden. Dabei liegt es im grundlegend sprachlichen Charakter der Literatur begründet, dass diese Unterscheidungen vornehmlich auf sprachliche Zeichen zielen. Die folgende Liste erhebt freilich auch hier keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Jedoch lassen sich von ihr aus auch weitere wichtige Begriffstraditionen leicht erschließen und lässt sich die verwirrende Vielfalt semiotischer Begrifflichkeiten (Nöth 2000) etwas begrenzen. Die dabei immer wiederkehrende triadische Struktur der Unterscheidungen scheint für zeichentheoretische Überlegungen durchaus typisch zu sein und lässt Assoziationen bezüglich des christlichen Ursprungs der Semiotik bei Augustinus und in der Tradition der Bibelexegese (Kap. 10.1) zu.

1. Ganz allgemein muss jede zeichenhafte Repräsentation von etwas in der Form „X verweist auf Y“ (oder sprachanalytisch ausgedrückt: „X denotiert Y“) drei Funktionsstellen näher bestimmen: das „Zeichen“ – das „Bezeichnende“ – das „Bezeichnete“. Das „Bezeichnete“ ist der Inhalt, welcher repräsentiert wird; das „Bezeichnende“ ist das Material bzw. die Mittel, mit welchen repräsentiert wird; das „Zeichen“ ist die Art und Weise, wie Bezeichnendes und Bezeichnetes zu einem Zeichenkomplex miteinander verbunden werden (vgl. Mitchell 1994). Bei einem Gemälde wäre das „Bezeichnete“ bspw. eine Rose, das „Bezeichnende“ die Leinwand bzw. Farbe und das „Zeichen“ das Bild der Rose, wie es durch den besonderen epochalen und individuellen Malstil des Künstlers geprägt ist.

2. Historisch gesehen, hat Aristoteles mit seiner Schriften Peri hermeneias und vor allem De anima die Vorstellung über den Prozess der Zeichengebung und die Natur des Zeichens entscheidend beeinflusst. Bei Aristoteles heißt es in einer Passage, die bereits als „the most influential text in the history of semantics“ (Kretzmann) bezeichnet worden ist:

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Es ist nun also das zur Sprache Gekommene Ausdruck von Vorgängen im innern Bewußtsein, so wie das Geschriebene (Ausdruck) des Gesprochenen. Und so, wie nicht alle die gleichen Buchstaben haben, ebenso auch nicht die gleichen Lautäußerungen; wovon allerdings, als seelischen Ersterfahrungen, dies die Ausdrücke sind, die sind allen gleich, und die Tatsachen, deren Abbilder diese sind, die sind es auch. (Aristoteles 1998, S. 97)

In der Beziehung von Gegenstand – Vorstellungen – Laut (gesprochene Sprache) – Schrift (geschriebene Sprache) aufeinander nimmt Aristoteles zwei Bereiche an: einen natürlichen sowie sprachfreien, und einen kultürlichen sowie sprachlichen. Im natürlichen und sprachfreien Bereich soll zwischen den Dingen und den mentalen Vorstellungsbildern, welche die Menschen durch deren sinnliche Wahrnehmung besitzen, ein natürliches Abbildverhältnis herrschen, welches garantiert, dass alle Menschen von den Dingen dieselben unveränderlichen Vorstellungen besitzen. Demnach sehen wir alle den gleichen Baum auf gleiche Weise, d. h. besitzen dasselbe mentale Bild von ihm. Historische Veränderung und kulturelle Konventionalität kommt erst im Bereich der Sprache zustande: wenn wir versuchen, das Vorstellungsbild zuerst in eine Lautsprache und dann in Schrift zu übersetzen, damit wir unsere Gedanken mitteilbar machen können. Denn sowohl die Laute, mit welchen wir auf das Vorstellungsbild Bezug nehmen, als auch die Schriftzeichen, welche die Laute festhalten sollen, sind abhängig von der jeweiligen Kultur, und das heißt auch: Sie haben keine natürliche Beziehung mehr zu ihrem Gegenstand, dem Vorstellungsbild, sondern entstehen durch willkürliche Festlegung und sind deshalb auch prinzipiell veränderlich. Bemerkenswert ist auch, dass diese Kette vom Ding zur Schrift bei Aristoteles einsträngig bzw. streng nachordnend konzipiert ist und damit eine immer größere „Entfernung“ vom Zielgegenstand der Repräsentation bewirkt. Einen direkten Bezug zum Gegenstand haben nur die Vorstellungen; die Laute der Sprache bilden nicht den Gegenstand, sondern die Vorstellungen ab, und die Zeichen der Schrift wiederum die Laute. Die dadurch in der Sprache entstehende qualitative Minderung der Nähe zum Dargestellten hat einen stark platonischen Charakter (vgl. Platons berühmte Ontologie von Ideen, Dingen und Bildern im 10. Buch der Politeia). In diesem Modell repräsentieren die sprachlichen Zeichen nachträglich

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eine Seins- und Wahrnehmungswirklichkeit, die von ihnen unabhängig ist und ihnen stets vorausgeht. Sie beziehen sich stets defizitär auf ein Vorhandenes, Sprachunabhängiges und Natürliches mit dem Ziel, es so gut wie möglich zu vertreten. Diese sprachliche „Vertretung“ hat deshalb einen nur hinweisenden Charakter. Durch die Zeichen der Sprache sollen die Dinge und Vorstellungen als Leerstelle, d. h. als etwas gerade nicht durch sprachliche Zeichen Ersetzbares vergegenwärtigt werden.

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