Kitabı oku: «Literarische Ästhetik», sayfa 6

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Die Aufgabe der Zeichen ist es somit, das von ihnen Bezeichnete in seiner sprachlichen Unabbildbarkeit zu vergegenwärtigen. In diesem klassischen Repräsentationsmodell wird die Nomenklaturfunktion der Sprache betont: Für jedes Ding existiert ein ihm zugeordneter Name, der auf das Vorstellungsbild des Dinges verweist. Die sogenannte „physei-thesei-Diskussion“, die in Platons Dialog Kratylos ihren paradigmatischen Ausdruck gefunden hat, stellt dabei den Versuch dar, innerhalb dieses Repräsentationsmodells die Frage nach der Gegenstandsnähe der Sprache weiter zu thematisieren. Deshalb lautet die Grundfrage des Kratylos: Haben die Dinge ihren Namen von Natur aus (physei) oder durch Übereinkunft, d. h. willkürliche Festlegung (thesei)? Der physei-Versuch, die Namen der Dinge entweder onomatopoetologisch aus deren Wesen herzuleiten (d. h. das Lautbild als unmittelbare Nachahmung des Dings zu begreifen) oder etymologisch auf einfachste Wesensbestimmungen der Dinge zurückzuführen, soll dabei die ursprüngliche sachimmanente Verbundenheit von Namen und Dingen aufzeigen, wie sie als Ideal im biblischen Schöpfungsbericht und dem darin enthaltenen göttlichen Namengeben aufbewahrt ist. Freilich scheitert dieses Unternehmen schon im Kratylos selbst, wo Platon eingestehen muss, dass die konventionelle Natur des Zeichens nicht geleugnet werden kann.

Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) hat in seinem überaus wichtigen kleinen Text Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne (1873) eine originelle Verbindung der physei- und der thesei-Ansicht vorgenommen. Demnach sind die ursprünglichen, ersten Benennungen der Dinge in der Sprache zumindest relativ wesensnah zu diesen, weil sie über die Fähigkeit der Sprache, Metaphern zu erzeugen und durch Metaphern sinnliche Sensationen einzufangen, in größter Nähe zu den unmittelbaren Wahrnehmungsqualitäten der Dinge entstehen. Erst im weite-

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ren kulturellen Prozess der Verfestigung dieser Ursprungsmetaphern zu Begriffen, d. h. zu allgemeinen standardisierten Bezeichnungen für singuläre Gegenstände werden die Ausdrücke in ihrer Verwendung immer stärker durch Konventionalität bestimmt. Walter Benjamin (1892 – 1940) schließt die Lücke zwischen der „physei“- und der „thesei“-Ansicht, indem er die Sprache als System „unsinnlicher Ähnlichkeiten“ (Benjamin 1991, II.1, S. 211) zu den realen Gegenständen begreift. Demnach gibt es tiefere, verborgene, jedoch nicht der sinnlichen Lautgestalt eingeschriebene Wesensverbindungen zwischen den Worten und den Dingen. Bei aller Problematik einer solchen „sprachmystischen“ These ist dieser Ansatz gerade für die Literatursemiotik eben dort produktiv, wo er für die Literatur die Konventionalität sprachlicher Zeichen in Beziehung zu den besonderen sinnlichen und semantischen Qualitäten setzt, die Sprache im Raum literarischer Darstellung gewinnt.

3. Das moderne „Konstruktionsmodell“ der Sprache ist Ergebnis des sogenannten „linguistic turn“ in der Philosophie: die sprachphilosophische Wende, die zu Ende des 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts eine grundsätzlich neue Art des philosophischen Herangehens an philosophische Probleme hervorbringt und mit Namen wie Gottlob Frege (1848 – 1925) und Ludwig Wittgenstein (1889 – 1951) verbunden ist. Denn im Rahmen des „linguistic turn“ und der Entstehung der sprachanalytischen Philosophie (vgl. Dummett 1992) werden die großen philosophischen Fragen unter dem Aspekt ihrer Sprachlichkeit reformuliert: bspw. die Frage „Was ist Kunst?“ dahingehend, dass man nun fragt, was für eine Art von Begriff denn eigentlich „Kunst“ sei, welche Art von sprachlicher Bedeutungsbildung ihm und der Frage nach ihm zugrunde liegt und was man eigentlich sprachlich tut, indem man nach ihm fragt. Dergestalt werden alle philosophischen Probleme als sprachliche Probleme neu formuliert und ihre Lösung davon abhängig gemacht, ob man die Logik der Zeichenverwendung rekonstruieren kann, die in ihnen stattfindet. Einem solchen Paradigma muss natürlich eine völlig neue Vorstellung von Sprache und dem sprachlichen Zeichen zugrunde liegen. Sprache bildet demnach nicht eine sprachfreie Seins- und Vorstellungswirklichkeit nachträglich ab, sondern sie ist die prinzipielle

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Bedingung und der je besondere „Bauplan“ unserer objektiven und subjektiven Wirklichkeitsentwürfe. Die Mechanismen der Sprache bestimmen unsere Wahrnehmungen, Ordnungen und Handlungsweisen in der Wirklichkeit: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ (Wittgenstein 1999, S. 67 [5.6]) Und bei Benjamin Lee Whorf, einem Linguisten, der diese These auch empirisch zu belegen versucht hat, heißt es programmatisch:

Man fand, daß das linguistische System (mit anderen Worten, die Grammatik) jeder Sprache nicht nur ein reproduktives Instrument zum Ausdruck von Gedanken ist, sondern vielmehr selbst die Gedanken formt. (Whorf 2003, S. 12)

In diesem Sinne hat auch der „Urvater“ der modernen Sprachwissenschaft, Ferdinand de Saussure (1857 – 1913), die Selbständigkeit und Konstruktivität der Sprache in ihrem System- und Strukturcharakter fundiert. Deshalb ist die aus seinen Überlegungen hervorgegangene Theorie als „Strukturalismus“ bekannt. Jede Sprache ist demnach nicht bloß eine lose Ansammlung von Namen, die nur auf die ihnen zugehörigen Dinge, sondern erst einmal und vor allem ein in sich geschlossener systematischer Zusammenhang von Zeichen, die nicht auf reale Dinge, sondern auf andere Zeichen im System bezogen sind. Bedeutung entsteht nach de Saussure nicht in einem direkten Abbildverhältnis von Zeichen und Dingen, sondern in den geregelten Bezugnahmen von Zeichen aufeinander (siehe Punkt 4). Mit „Langage“ ist dabei die allgemeine Sprachfähigkeit gemeint; mit „Parole“ der individuelle Akt des Sprechens; mit „Langue“ schließlich das sprachliche System der Zeichen. Im Raum der Sprache liegt dabei für de Saussure die tragende Funktion natürlich auf der „Langue“: Wesentlich für alles Sprechen ist die systematische Norm aller Äußerungen, welche sich im Sprechen bloß je individuell aktualisiert.

4. Dementsprechend kann man mit de Saussure drei Elemente an jedem sprachlichen Zeichen unterscheiden: den „Signifikant“, also den lautlichen oder schriftlichen Zeichenkörper; das „Signifikat“, also den Bedeutungsinhalt, auf den der Signifikant verweist; und den „Referenten“, also das Ding in der außersprachlichen Wirklichkeit, auf den sich

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die Verbindung von Signifikant und Signifikat bezieht. Besonders die scharfe Trennung von Signifikant und Signifikat, die bei de Saussure je eigene, in sich geschlossene Systeme bilden, hat die scharfe Kritik des Poststrukturalismus hervorgerufen: Auch der Bedeutungsinhalt des Signifikanten „BAUM“, also die Lexikondefinition seiner Eigenschaften, ist nur als Menge von Signifikanten und damit nicht als etwas grundsätzlich „Anderes“ zum Zeichenkörper greifbar.

5. Nach de Saussure bestimmt sich weiterhin die Bedeutung eines Zeichens im Systemverbund mit den anderen Zeichen einer Sprache durch Differentialität. Seine Funktion und Bedeutung wird dadurch erzeugt, dass es sich von den anderen Elementen abgrenzt und so deren Bedeutung ausschließt, um selbst bestimmt zu werden. „BAUM“ kann demnach nur in Differenz bspw. zu „SAUM“, „TRAUM“ oder „KAUM“ seine Funktionsstelle einnehmen, d. h. im Wegfall von deren Bedeutungsräumen seine eigene Bedeutung eingrenzen und so erzeugen. „Omnis determinatio est negatio“, alle Bestimmtheit entsteht durch Negation: Dieser Satz von Spinoza erhält bei de Saussure neues Gewicht. Durch Arbitrarität (Willkürlichkeit) ist weiterhin die Verbindung von Signifikant und Signifikat gekennzeichnet: Dass die Bedeutung von „Baum“ und der Zeichenkörper „BAUM“ miteinander verbunden sind, hat keinen Grund in der gemeinten Sache selbst. Deshalb ist die Beziehung des gesamten Zeichens zum außersprachlichen Referenten rein konventionell, d. h. in der eingeübten Festlegung durch die jeweilige Sprachgemeinschaft gegründet.

6. Der Linguist Louis Hjelmslev (1899 – 1965) hat die de saussuresche Differenz von Signifikant und Signifikat gewinnbringend verfeinert, indem er an ihr drei Dimensionen unterscheidet, für deren Begrifflichkeit er auf traditionelle metaphysische Termini zurückgegriffen hat: Materie, Form, Substanz. Damit ergeben sich statt zwei (Signifikant – Signifikat) sechs grundlegende semiotische Kategorien, die hier am Beispiel des „Rotseins von etwas“ erläutert werden. Die Materie des Signifikats meint den Inhalt eines Gedankens vor aller Formung (hier: das generelle Spektrum der menschlichen Farbwahrnehmung), die Materie des Signifikanten die generellen Artikulationsmöglichkeiten von Zeichen im menschlichen

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Lautapparat bzw. im schriftlichen Medium. Die Form des Signifikats beschreibt das abstrakte System inhaltlich sinnvoller Unterscheidungen (hier: die Farbunterscheidungen innerhalb einer Sprache), die Form des Signifikanten die reinen Regeln, nach denen einzelne Zeichenkörper unterschieden werden können (hier: die Gesetze, nach denen man bspw. die Buchstaben R, O, T unterscheidet). In der Substanz finden Materie und Form zusammen, sie ist ganz aristotelisch formbestimmte Materie: Die Substanz des Signifikats ist demnach der bestimmte Inhalt eines Bewusstseins (hier: „rot“ als bestimmte Farbvorstellung), die Substanz des Signifikanten das bedeutende Zeichenmaterial (hier: das Wort „rot“).

Mit diesen Unterscheidungen geht Hjelmslev nicht nur einen Schritt hinter den „linguistic turn“ zurück, indem er Substrate von Wirklichkeit hinter den Zeichen behauptet; er ermöglicht es auch, die Wirkungsverhältnisse von rein formalen Regeln und die Stadien ihrer Anwendung auf gedankliche Inhalte differenziert auseinanderzuhalten. Gerade für die Literatur, die in der Moderne oftmals Bewusstseinsinhalte in verschiedenen Graden ihres zeichenhaften Geformtseins zu gestalten versucht hat (vgl. James Joyce‘, Ulysses [1922]), ist dies ein nützliches Analyseinstrument.

7. Zeichen bedeuten nichts an sich, sondern nur in Verhältnissen. Deshalb sind die Verhältnissysteme, durch welche Zeichen die verschiedenen Dimensionen ihrer Bedeutung erhalten, das Fundament ihrer Funktion: Code – Kotext – Kontext. Der Code meint das Gesamt der Regeln einer Sprache, durch welche einzelnen Zeichen oder Zeichenverbindungen Bedeutungen zugeschrieben werden: also die Regeln von Phonetik, Lexik, Grammatik, Stilistik und Pragmatik. Er ist das synchrone Geflecht beschreibbarer Regelsysteme, die aber natürlich diachron – also historisch – veränderlich und die der grundlegende Teil der Sprachbenutzungskompetenz eines Sprechers sind. Der Kotext ist ein Teilsystem dieser Regeln auf der Ebene textueller Verknüpfung und geht zugleich darüber hinaus: Zusätzlich zu dem, was sprachliche Zeichen im Raum des Codes bedeuten (also beispielsweise das Wort „Baum“ in der deutschen Sprache), gewinnen sie Bedeutungsdimensionen durch die Art und Weise, wie sie im Raum eines Textes mit anderen sprachlichen Zeichen verknüpft sind. So mag bspw. das Wort „Baum“ in einem Text, in wel-

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chem es stets in Zusammenhang mit unheilvollen Ereignissen erwähnt wird, stark mit negativen konnotativen Bedeutungsinhalten von Tod und Zerstörung aufgeladen werden. Der Kontext schließlich verknüpft jedes Zeichen in jedem Text mit den vielfältigen diachronen und synchronen Umgebungen, die notwendig auf es Bezug nehmen und es determinieren: Die Aussage „Öffne das Fenster!“ gewinnt ihre Bedeutung im Kontext einer situativen Handlungsaufforderung; der Ausdruck „Höhle“ in einem philosophischen Text bezieht sich unvermeidlich auf einen kanonischen Text der abendländischen Philosophie, Platons „Höhlengleichnis“ aus dem 7. Buch der Politeia, zurück. Der Raum des Kontextes ist der Raum der im engeren Sinn kulturellen Bedeutungsgebung, durch den Zeichen in Traditionen des Verhaltens und Verstehens eingebunden sind. In Literatur sind die Dimension des Kotextes als „formensprachlicher Verweisungszusammenhang“ sowie die Dimension des Kontextes als „Intertextualität“ (Kap. 13.1) auf besondere Weise ausgeprägt und müssen deshalb besonders beachtet werden.

8. Zeichen können auf vielfältige Weise etwas zu verstehen geben. Karl Bühler (1879 – 1963), ein wichtiger Sprachtheoretiker des 20. Jh., hat an sprachlichen Zeichen eine Darstellungs-, eine Ausdrucks- und eine Appellfunktion unterschieden. Damit hat er (zugleich mit Ludwig Wittgenstein) eine handlungstheoretische Auffassung von Sprache entwickelt, die den Fokus auf den kommunikativen Akt der Zeichenproduktion richtet und die später in der sogenannten „Sprechakttheorie“ durch John Austin (1911 – 1960) und John Searle (geb. 1932), zwei amerikanische Sprachphilosophen, entscheidend weiterentwickelt worden ist. Zeichen können nach Bühler nicht nur einfach einen bestimmten Inhalt in Bezug auf ein bestimmtes Objekt vermitteln (Darstellung), sondern sagen in der Art und Weise, wie sie verwendet werden, auch stets etwas über den Zustand des Sprechers aus (Ausdruck): bspw. zeigen sie dessen Ärger oder Angst an. Außerdem sind sie auch zumeist darauf ausgerichtet, bestimmte Handlungen oder Einstellungen des Empfängers zu provozieren (Appell). Austin und Searle haben danach in der Unterscheidung einer illokutiven und einer perlokutiven Dimension von Sprechhandlungen diesen Ansatz weiter ausgebaut und so die Komplexität von sprachli-

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cher Zeichenkommunikation aufgewiesen: mit Aussagen vollziehen wir implizit bestimmte Handlungen (Illokution: Frage, Bitte, Warnung etc.) und intendieren bestimmte Wirkungen (Perlokution: Trösten, Kränken etc.). Jürgen Trabant, ein deutscher Sprachtheoretiker, hat dementsprechend den Begriff „Zeichen“ eng an die kommunikative Funktion von Sprache gebunden und deshalb einzelne Worte, die nur bestimmte Begriffsinhalte bezeichnen, aus dem Zeichenbegriff herausgenommen: auf der Ebene der Sprache sind für Trabant erst Äußerungen bzw. Texte sprachliche Zeichen (vgl. Trabant 1999). Der performative Charakter von Sprache als Handlung indes gewinnt für die Literaturbetrachtung dort besonders Gewicht, wo in literarischen Texten der Vollzugs- und der Handlungscharakter sprachlicher Gebilde besonders zum Tragen kommt: also bspw. im Drama oder in besonderen, die Artifizialität der Sprache ins Zentrum rückenden lyrischen Formen (Symbolismus).

9. Charles Sanders Peirce (1839 – 1914), ein amerikanischer Semiotiker, hat folgenreich für die Wissenschaft vom Zeichen drei Verweisungstechniken von Zeichen unterschieden: symbolisch – ikonisch – indexikalisch. Als Symbol verweisen Zeichen konventionell und arbiträr auf einen bestimmten Inhalt: bspw. sprechen die Zeichenfolgen in einem Ästhetiklehrbuch über die Geschichte des Schönen. Als Ikon stellen Zeichen den Inhalt, über den sie sprechen, an sich selbst heraus, weil sie diesem phänomenal ähnlich sind und ihn somit mimetisch abbilden: bspw. Zeichen, die Schönheit thematisieren, indem sie selbst schön sind (vgl. auch Goodmans Begriff der „Exemplifikation“). Als Index geben Zeichen über eine „rückschließende Beziehung“ einen Hinweis auf ihren Inhalt: so ist bspw. das Klingeln Ausdruck dafür, dass jemand vor der Tür steht.

Ikonische und indexikalische Zeichen sind somit scheinbar weit weniger bzw. überhaupt nicht auf Interpretationskonventionen angewiesen, weil sie mit ihrem Inhalt „enger“, d. h. sachimmanenter verbunden sind. Diese im weiteren Sinne „anschaulichen“ Qualitäten von Sprache sind gerade für die Literatur, bspw. für die Lyrik, und für bestimmte Epochen (bspw. die Literatur der Aufklärung), von enormer Bedeutung.

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4.3 Literarische Zeichen: Paradigmatische Vorschläge

Es sollte auch dem relativ unbeteiligten Beobachter am Geschäft der Literatur klar sein, dass literarische Texte grundsätzlich keine anderen Zeichen verwenden als nichtliterarische Texte: Sie beruhen auf den Regeln von Phonetik/ Phonologie und Grammatik ihrer Sprache (= Code) und benutzen Worte, Wendungen und Sätze, welche prinzipiell auch in jedem anderen Text Verwendung finden können. Nicht derartig eindeutig beantworten lässt sich hingegen die Frage, ob literarische Texte diese sprachlichen Zeichen anders verwenden als nichtliterarische Texte: ob sie einen anderen Gebrauch von denselben sprachlichen Zeichenfolgen machen und ob sie einen anderen Gebrauch von deren Aneignung fordern. Im Folgenden sollen deshalb grundsätzliche, historisch wichtige Theorien diskutiert werden, nach denen in literarischen Texten ein anderer Zeichen- und Sprachgebrauch stattfindet.

Dass sich die Theorie der Literatur spätestens seit dem 18. Jh. verstärkt Gedanken über das Verhältnis der Literatur zum sprachlichen Zeichen gemacht hat, hängt mit den besonderen Anforderungen an die literarische Darstellung zusammen, die aus der Poetik und Ästhetik der Aufklärung und der Goethezeit hervorgegangen sind: Individualität und Lebendigkeit. Die besondere Fähigkeit der Dichtung besteht demnach darin, „die Darstellung bis zur Täuschung lebhaft zu machen“ (Klopstock 1989, S. 163), indem in ihr „abstrakte Begriffe […] versinnlicht“ werden (Hölderlin 1992, Bd. 3, S. 468): d. h. durch ihre „Anschaulichkeit“ in bildhafter Rede, die tatsächlich erst Ende des 18. Jh. zu einem wesentlichen Hauptmerkmal von poetischer Darstellung erhoben wird (vgl. Asmuth 1991), die dargestellten Gegenstände in ihrer Besonderheit, d. h. Individualität sichtbar zu machen. Dass eine solche Dichtungstheorie den eigentlichen Raum des Werkes in der Einbildungskraft des Dichters bzw. des Lesers als eigentlichem poetischen Organ verortet (Kap. 2, Kap. 14.1), scheint naheliegend. Nur in der sinnlichen „Total-Vorstellung“ der Gegenstände (Hölderlin 1992, Bd. 3, S. 468; Kap. 2.2) wird die „Lebhaftigkeit der anschauenden Erkenntnis“ (Lessing 1973, Bd. 5, S. 382) zum Ereignis: indem in Dichtung also die individuellen, besonderen Merkmale der Gegenstände auf plastisch-anschauliche Weise in der Komplexität ihres

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Zusammenhangs vergegenwärtigt werden. Die Metapher der „Täuschung“ ist dabei nicht wie noch bei Platon Ausdruck einer vermeintlichen „Lüge“ von Kunst und Dichtung (Kap. 8.1, Kap. 12.4), sondern rhetorisches Instrument größtmöglicher Intensität der Darstellung: „Der Poet will nicht bloß verständlich werden, seine Vorstellungen sollen nicht bloß klar und deutlich sein; hiermit begnügt sich der Prosaist. Sondern er will die Ideen, die er in uns erweckt, so lebhaft machen, daß wir in der Geschwindigkeit die wahren sinnlichen Eindrücke ihrer Gegenstände zu empfinden glauben, und uns in diesem Augenblicke der Täuschung […] bewußt zu sein aufhören.“ (Lessing 1990, S. 124) Und bei Goethe heißt es ganz analog und programmatisch: „Der Dichter ist angewiesen auf Darstellung. Das Höchste derselben ist, wenn sie mit der Wirklichkeit wetteifert, das heißt, wenn ihre Schilderungen durch den Geist dergestalt lebendig sind, daß sie als gegenwärtig für jedermann gelten können.“ (Goethe 1998, Bd. 12, S. 510f.) Dieses Ziel von dargestellter lebendiger Individualität aber setzt voraus, dass das Medium der Darstellung, die sprachlichen Zeichen (Signifikanten) in ihrer Abstraktheit, Allgemeinheit, Indirektheit und Konventionalität, hinter ihren Gegenständen (Referenten) und Bedeutungen (Signifikate) zurücktreten: „Bei dem Dichter ist ein Gewand kein Gewand; es verdeckt nichts; unsere Einbildungskraft sieht überall hindurch“ (Lessing 1990, S. 58), wie es bei Lessing heißt, und Friedrich Schlegel setzt hinzu: „Wir werden das Medium nicht mehr gewahr, die Hülle schwindet, und unmittelbar genießen wir die reine Schönheit.“ (Schlegel 1958, Bd. 1, S. 298)

Die „Hülle“ der Zeichen soll sich demnach im Vorgang poetischer Darstellung selbst unsichtbar machen; das textuelle Geflecht sprachlicher Zeichen soll sich in der Präsentation seiner Inhalte selbst überschreiten und aufheben. Die semiotische Metapher hierfür ist der Begriff des „natürlichen Zeichens“: „Die Poesie muß schlechterdings ihre willkürlichen Zeichen zu natürlichen zu erheben suchen“ (Lessing 1987, Bd. 11.1, S. 458). „Natürliche Zeichen“ sind in der Semiotik solche Zeichen, die auf unmittelbare und sachimmanente Weise mit ihren Inhalten verbunden sein sollen, wie bspw. Rauch ein Zeichen für Feuer ist: also das, was Charles Sanders Peirce (1839 – 1914) mit „ikonischen“ (= abbildhaften) und „indexikalischen“ (= sachverbundenen) Zeichen meint. Die Äußerlichkeit,

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Zufälligkeit, Allgemeinheit und Konventionalität sprachlicher Zeichen soll in der Dichtung durch einen besonderen Gebrauch dieser Zeichen, nämlich einen anschaulich-lebendigen, so verändert werden, dass eine andere Qualität der Präsenz der Signifikate hervorgerufen wird, hinter der die Signifikanten verschwinden. Paradigmatisch bringt es Friedrich Schiller auf den Punkt, wenn er schreibt:

Die Natur der Sprache (eben diese ihre Tendenz zum Allgemeinen) muß in der ihr gegebenen Form völlig untergehen, der Körper muß sich in der Idee, das Zeichen in dem Bezeichneten, die Wirklichkeit in der Erscheinung verlieren. Frei und siegend muß das Darzustellende aus dem Darstellenden hervorscheinen, und trotz aller Fesseln der Sprache in seiner ganzen Wahrheit, Lebendigkeit und Persönlichkeit vor der Einbildungskraft dastehen. (Schiller 1992, S. 329)

Schiller konstruiert eine Spannung in der „Natur des Mediums“ Sprache mit ihrer „Tendenz zum Allgemeinen“, die mit der „Bezeichnung des Individuellen (welches die Aufgabe [der Dichtung, J. U.] ist), im Streit“ liege: Wo die Sprache „Begriffe“ für den „Verstand“ erzeugt, will die Dichtung „Anschauungen“ für die „Einbildungskraft“ (Schiller 1992, S. 328f.). Zugleich gibt Schiller auch den entscheidenden Hinweis: Die Transformation des Gebrauchs der sprachlichen Zeichen in der Dichtung hat ihren Ort in der Form; nur als Formensprache wird Sprache in Literatur in einer Weise verwendet, die ihr eine qualitativ neue Dimension ihrer Ausdrucksmöglichkeiten hinzufügt. In jedem Fall werden an Sprache im Raum der Literatur besonders hohe Anforderungen gestellt und ihre Möglichkeiten bis zum Äußersten angespannt: Sie soll durch einen besonderen Gebrauch ihrer semiotischen Charakteristika völlig neue Qualitäten hinzugewinnen; sie soll als allgemeines Zeichensystem Besonderes unverstellt zum Ausdruck bringen, um in diesem Besonderen aber wiederum Allgemeines zu meinen (vgl. Aristoteles 1997, S. 29; Kap. 5.4). Dabei sind diese Forderungen nicht notwendig an eine solche „Täuschungsästhetik“ gebunden, wie sie zwischen Lessing und Goethe programmatisch entworfen worden ist. Gerade die Literatur der Moderne hat beinahe entgegengesetzt zu Lessings Paradigma die „Spürbarkeit“ der literarischen Zeichen, die Reflexivität der Darstellung sowie

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die Selbstbezüglichkeit der Literatur besonders betont, und mit ihr die moderne Theoriebildung der Literatur (bspw. Adorno oder Jakobson). Beides sind allerdings insofern „moderne“ Begriffe des Literarischen, als sie die Idee einer bloßen „Naturnachahmung“ in Dichtung zum Zwecke von „Belehrung und Erbauung“ (prodesse et delectare; Kap. 12.2) zugunsten einer relativen Autonomie des Literarischen (Kap. 12.1) suspendieren und dabei die Transformationen, welchen Sprache in literarischer Vergegenwärtigung unterliegt, besonders ins Zentrum rücken. Zudem lässt sich die Funktion einer solchen „Täuschungsästhetik“ nach Lessing sehr gut mit dem sich im 18. Jh. weitreichend vollziehenden kulturellen ‚Umbruch zur Schrift‘ erklären: „Das 18. Jahrhundert […] ist eines der Alphabetisierung der Kultur. Dies hat Folgen […]: Schrift bewirkt Distanzkommunikation; sie setzt die Ablösung von oraler Direktheit und körperlicher Interaktion voraus. Die Einbildungskraft tritt in ihr Recht; sie vergegenwärtigt das Abwesende der tätigen Körper und Sinne. […] Das Medium Schrift, das Vermittelnde, erzeugt Vorstellungen von Unmittelbarkeit und Direktheit, die so intensiv und nachdrücklich sind wie kaum je zuvor.“ (Pfotenhauer 1994, S. 557)

Dass mit „Formensprache“ mehr und grundsätzlich Anderes gemeint ist als bildhaftes, also bspw. metaphorisches, allegorisches etc. Sprechen, es also nicht ausreicht, nur auf die bildhafte Sprache von Literatur zu verweisen, um ihre besondere Sprachverwendung zu verstehen, lässt sich sowohl historisch als auch systematisch belegen. Bereits in der Tradition der antiken Rhetorik als Lehre von dem möglichst effektiven, wirkungs- und adressatenbezogenen Gebrauch von Sprache bspw. als Gerichtsrede (vgl. umfassend Ueding 1986) spielt zwar die Verbindung von anschaulicher Lebendigkeit (enárgeia) und besonders intensiver Emotionalität der Rede eine herausragende Rolle. Wer seine Zuhörer erfreuen, mitreißen oder gar emotional heftig bewegen will (delectare et movere), oder wer relativ Ungebildeten komplexe Wahrheiten einsichtig machen will (prodesse), der tut gut daran, nicht abstrakt-begrifflich, sondern anschaulich-bildhaft zu sprechen. Nur so erzielt er in der Sinnlichkeit des Sprachgebrauchs Identifikationseffekte beim Publikum und findet Anschluss an dessen lebensweltlichen Verstehenshorizont. Die bereits erläuterte Verschiebung in der Begründung anschaulichen Redens im 18. Jh. von

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einer instrumentellen antiken Rhetorik zur Erfassung des Individuellen, Lebendigen und Authentischen (Kap. 2.2) – oder gar des Unerfassbaren, sich entziehenden Absoluten (Frühromantik, Deutscher Idealismus) – übernimmt diese Diagnose scheinbar nur unter veränderten Vorzeichen. Gerade jedoch die literarische Moderne hat diese evidente Identifikation von literarischer Sprachverwendung mit tropischer Rede von zwei Seiten aus zersetzt. Zum einen sind in ihr literarische Werke kanonisch geworden, die in ganz unterschiedlichen epochalen Kontexten und ganz verschiedenen Gattungen Literarizität gerade in gesteigerter Unanschaulichkeit und unter Absehung besonders metaphorischer Rede konzipiert haben (zum Streit um die Metapher in der Moderne vgl. Willems 1988). Friedrich Hölderlins späte Lyrik legt davon eben so Zeugnis ab wie bestimmte Entwicklungen in der Romankunst im 20. Jh., wie der folgende, berühmte Anfang von Alain Robbe-Grillets Roman La jalousie zeigt, der gerade aus der Verwendung eines scheinbar technizistischen, unmetaphorischen Stils der Beschreibung im Fortgang die poetischen Darstellungspotentiale schöpft:

Nun scheidet der Schatten des Pfeilers – des Pfeilers, der die Südwestecke des Daches stützt – den entsprechenden Winkel der Terrasse in zwei Teile. Diese Terrasse ist eine breite, überdachte, das Haus an drei Seiten umgebende Galerie. Da das Mittelstück ebenso breit ist wie die Seitenflügel, trifft der Schattenstreifen des Pfeilers genau auf die Ecke des Hauses; […] Die Holzwände des Hauses – genauer: die Fassade und die Westwand – werden noch vom Dach (einem dem eigentlichen Haus und der Terrasse gemeinsamen Dach) gegen die Sonnenstrahlen abgeschirmt. Folglich fällt der Schatten des äußersten Dachrandes in diesem Augenblick genau mit der rechtwinkeligen Linie zusammen, die von der Terrasse und den beiden senkrechten Wänden der Hausecke gebildet wird. (Robbe-Grillet 1997, S. 3)

Zum anderen hat sowohl die Theoriebildung der Literatur wie auch die der Sprachwissenschaft auf die bildhaften Potentiale nicht nur schon der Alltagssprache, sondern auch der verschiedenen Fachsprachen hingewiesen und in der Extremform die Rhetorizität allen Sprechens behauptet (Paul de Man). Dementsprechend haben sich die Versuche, unter diesen Vorzeichen die besondere Zeichenverwendung literarischer Werke

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zu erläutern, auf abstraktere, formalere Strukturen als die alleinige Beschreibung bildhafter Ausdrücke ausgerichtet.

Roman Jakobson (1896 – 1982), ein bedeutender Sprach- und Literaturwissenschaftler des „Prager Strukturalismus“, hat ein enorm wirkungsreiches Angebot unterbreitet, die besondere Verwendungsweise von Zeichen in poetischen Kontexten zu beschreiben. Jakobson unterscheidet im Rahmen eines Kommunikationsmodells sechs „Sprachfunktionen“, also verschiedene Weisen, wie und auf was Sprache Bezug nehmen kann (vgl. Jakobson 1993; Kap. 7.2). Die „poetische Funktion“ nun ist eine „autotelische Funktion“: In Poesie sind die sprachlichen Zeichen vornehmlich (aber natürlich nicht nur!) auf sich selbst bezogen. Mit Jakobson wird eine strukturelle Selbstbezüglichkeit von Zeichenfolgen im Raum ihrer poetischen Verwendung zum Hauptmerkmal literarischer Darstellung. Dichtung kommuniziert nicht nur Inhalte, sondern thematisiert vor allem die Art und Weise ihrer Thematisierung. Die „Ausrichtung auf die Botschaft um ihrer selbst willen“ (Jakobson 1993, S. 92) bedingt in Literatur – Jakobson hat allerdings vor allem die Lyrik im Blick –, dass die Arbeit an den zusätzlichen Beziehungen der Form, die über die Regeln der Zusammenstellung von Phonemen, Lexemen, Worten, Satzgruppen und Sätzen nach den Regeln der Syntax hinausgehen, selbst zum Gegenstand der Darstellung wird: die Ähnlichkeiten, analogischen Verwendungen, Antithesen, Wiederholungen, Variationen etc. zwischen Zeichen und Zeichengruppen, welche in Dichtung eine Art Überstrukturierung des sprachlichen Materials erzeugen.

Die Unterordnung des Fremdbezuges (Referenz) unter den Selbstbezug aufgrund der formensprachlichen Überbestimmtheit sprachlicher Verknüpfung ergibt für Jakobson die wesentliche Bestimmtheit literarischer Zeichen. Das dies in verstärktem Maße für Lyrik, dafür weniger für das Drama oder den Roman gilt, stellt zwar den neuralgischen Punkt dieser Theorie dar, widerlegt sie jedoch keinesfalls. Theorien der Selbstbezüglichkeit literarischer Darstellung, ihrer gelockerten Referenzbeziehung auf Inhalte und der daraus resultierenden Mehrdeutigkeit, sowie der sich daraus ableitende Verfremdungseffekt von Sprache, die aus ihren automatisierten Abläufen herausgesprengt wird (Russische Formalismus), sind in der Literaturtheorie des 20. Jh. bis heute wirkmächtige und wichtige

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452 s. 21 illüstrasyon
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9783846335437
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