Kitabı oku: «Elfenzeit 5: Trugwandel», sayfa 9

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Es spielte keine Rolle mehr. »Er will das Zeitgrab in Newgrange öffnen.«

»Bravo! Das könnte klappen. Allerdings bezweifle ich, dass er dazu überhaupt in der Lage ist. Hast du ihn dir in letzter Zeit mal angeschaut?«

»Ja, die Sache am Ätna hat ihn ziemlich fertig gemacht.« Ainfar dachte an die Leichen, die jetzt wahrscheinlich dort oben herumlagen, und es schüttelte ihn.

»Ach was, davon hat er sich längst erholt«, widersprach Alebin. »Er ist so am Ende, dass er auch darauf nicht von selbst gekommen ist. Unser sonst so überaus scharfsinniger Freund befindet sich in einer teuflischen Spirale, der Auflösung schon näher als dem Leben, und kann nicht mehr richtig denken.«

»Aber warum denn?«, hakte Ainfar nach.

Alebin bereitete es Vergnügen, derart überlegen zu sein, und er kostete es leidlich aus. Er schlug selbst aus der schlimmsten Lage noch das Beste für sich. »Deswegen bin ich ja drauf gekommen, was passiert ist. Bandorchu ist es.«

Ainfar hob die Schultern. »Ich verstehe nicht …«

»Die beiden sind voneinander abhängig und aufeinander angewiesen. Seit sie durch die Zeit getrennt sind, geht es mit dem Getreuen bergab.« Alebins zerschundener Mund verzerrte sich zu einem bösen Grinsen. »Und mit ihr vermutlich auch, was ich stark hoffen will, da ich nicht mehr durch Eid an sie gebunden bin.«

»Das ist doch absurd.« Ainfar schüttelte abwehrend den Kopf. »Nie und nimmer!«

»Ich sagte es schon zu Beginn: Glaub, was du willst. Du wirst es sehen: Ihm wird es solange schlecht gehen, wie Bandorchu von ihm getrennt ist. Wenn er sich nicht beeilt, zerreißt das Band für immer, und er kann sie nicht mehr zurückholen. Das bedeutet dann auch sein Ende. Ich würde jede Wette darauf eingehen, dass ich Recht habe, kleiner Bruder.« Er lachte schrill. »Das wäre doch die Gelegenheit, diesen ganzen Kram hier zu übernehmen, denkst du nicht?«

Ainfar dachte schweigend nach. Was, wenn Alebin tatsächlich Recht hatte? Dann musste er unbedingt verhindern, dass der Getreue das Zeitgrab öffnete! Denn alles würde sich dadurch wie von selbst erledigen: Die Zeitlinie würde gewahrt bleiben, wenn Bandorchu in der Vergangenheit starb, und der Krieg wäre beendet. »Also gut, dann weiß ich, was ich zu tun habe.«

»Ganz allein?«, fragte Alebin lauernd.

Ainfar zögerte. »Nun, ich müsste Regiatus sofort die Nachricht zukommen lassen …«

»… aber du weißt nicht, wie.« Alebin lachte leise, nun völlig bei der Sache. »Siehst du, deswegen hast du deinen großen Bruder hier unten besucht. Ich reise immer mit nützlichen Utensilien, die man nicht unbedingt gleich bei mir findet. Wenn ich dir etwas gebe, das Regiatus die Botschaft bringt, lässt du mich dann frei?«

»Darauf also willst du hinaus.«

»Das ist doch selbstverständlich, findest du nicht?«

Allerdings, das musste Ainfar zugeben. Ein Handel. Ein Tausch. »Aber welche Garantie bekomme ich, dass meine Botschaft auch ankommt?«

»Ich bin kein Freund der Königin oder ihres Liebhabers – und der Beweis liegt darin, dass ich hier in Ketten hänge. Genügt dir das? Ich will hier raus.«

»Und was hast du mir anzubieten?«

»Erst deine Einwilligung!«

»Du traust mir nicht?«

»Niemandem, kleiner Bruder, das macht mich so erfolgreich. Ich mache dir folgendes Angebot: Weil wir das Blut desselben Vaters in den Adern haben, werde ich dich nicht verraten, ich schwöre es dir. Dies ist ein Handel unter Brüdern: Ich gebe dir einen Träger für die Botschaft, und du lässt mich frei. Keine weiteren Bedingungen.«

Das bedeutete aber auch, dass Ainfar später Fanmór dazu verhelfen konnte, Gericht über den Bruder zu halten. Ainfar wäre nicht mehr an diesen Handel gebunden, da er beendet war, sobald alle Bedingungen erfüllt waren. Und der Gerechtigkeit würde Genüge getan.

Ainfar seufzte. »Also gut. Weil du mein Bruder bist und ich dein Blut nicht an Händen haben will.« Davon trug er heute schon genug, es musste nicht noch mehr dazu kommen.

»Brav. Jetzt komm her und greif mir ins linke Ohr.«

»Das ist ekelhaft.«

»Allerdings, denn ich habe meine Ohren sehr lange nicht mehr geputzt. Nun mach.«

Ainfar konnte sich kaum überwinden, schon allein, dass er so nahe an Alebin herantreten musste, das blutverkrustete Haar wegschieben, um dann zuerst mit einem, dann nach entsprechender magischer Weitung mit zwei Fingern in das Ohr des Bruders zu greifen. Er fühlte Klebriges und Glibbriges, irgendetwas floss heraus, das sich in stinkenden Qualm verwandelte, und Ainfar war nahe daran, sich zu übergeben. Doch schließlich umfassten seine Finger etwas Festes, Warmes, das sich leicht bewegte. Hastig griff er zu und zog die Hand zurück.

Staunend blickte er auf einen weißen Fliegenden Ohrwurm, nicht länger als ein Daumennagel, der sich zwischen den Fingerkuppen wand und vibrierend mit den schillernden Flügeln schlug. »Du bist …«

»… ein echter Teufelskerl, ich weiß, ich weiß.« Alebin grinste. »Na? Überzeugt?«

»Aber wie bringe ich ihn durch das Portal?«

»Keine Sorge, es wird offen sein. Es magisch zu sichern, kostet den Getreuen momentan zu viele Kräfte. Außerdem ist er wahrscheinlich gerade in der Menschenwelt, um seine beiden verblödeten Helfer zu instruieren. Ich habe schon lange keine Geräusche von oben mehr gehört.«

»Dann muss ich mich beeilen.« Ainfar war schon auf dem Sprung, als Alebin schnell einwarf:

»Aber vorher darf ich dich erinnern …«

»Ja. Ich habe es nicht vergessen.« Ainfar prüfte die Ketten. Die Manschetten waren innen mit Eisen ausgelegt, damit der Gefangene sich nicht auf magischem Wege befreite. Die Aufhängung in vier Richtungen tat das Übrige, dass er sich nicht rühren konnte. Ansonsten war weiter kein Geheimnis dabei.

Der Tiermann suchte eine Weile nach dem Schlüssel, fand ihn endlich in einen Felsen eingelassen, und schloss die Manschetten auf – sprach allerdings einen Bann darüber, der sie trotzdem noch zusammenhielt.

»Was soll das?«, rief Alebin empört.

»Eine kleine Absicherung, Bruder«, erwiderte Ainfar. »Sobald der Ohrwurm sicher am Ziel angekommen ist, öffnen sich die Ketten von selbst, und du bist frei. Solange musst du dich gedulden.«

»Ich muss ohnehin noch ein wenig heilen, und hier unten habe ich die beste Ruhe dazu. Mein Folterknecht hat derzeit anderes zu tun, als sich um mich zu kümmern.« Alebin grinste anerkennend. »Gute List, kleiner Bruder, ich bin beeindruckt. Du hast dich enorm entwickelt.«

»Ich hatte einen … guten Lehrmeister.«

»Recht getan. Und nun spute dich, damit ich endlich freikomme.«

Ainfar rannte die Treppe hinauf, nahm immer zwei Stufen auf einmal. Unterwegs flüsterte er dem Fliegenden Ohrwurm die Botschaft ein. Auf dem Gang angekommen, sicherte er hastig nach allen Richtungen und huschte dann weiter zu Bandorchus Gemächern. Bevor er nach links zur Tür abbog, sah er kurz in der Dämmerung am Ende des Gangs einen großen, unförmigen Haufen liegen, und musste schlucken. Immerhin hatte der Getreue die bedauernswerten Opfer nicht überall verstreut herumliegen lassen.

Und wie Alebin vorausgesagt hatte, war der Mann ohne Schatten nicht anwesend. Woher er das nur immer alles wusste … vielleicht hatten es ihm die Felsen geflüstert. Als Darby O’Gill war er unwiderstehlich, von eleganter Zunge. Egal, in welchem Zustand er sich jetzt befand, er verfügte immer noch über außergewöhnliche Fähigkeiten. Möglicherweise hatte er den Felsen etwas eingeflüstert, das sie dazu brachte, ihn auf dem Laufenden zu halten.

Vorsichtig probierte Ainfar, die verbotene Tür zu öffnen – und fand sie unverschlossen vor. Als er genauer hinsah erkannte er, dass sich schon vor ihm jemand daran versucht und das Schloss gründlich zerstört hatte, samt Bann. Umso besser.

Auf der gegenüberliegenden Seite strahlte das Portal in gleißendem Licht. Ainfar gab dem Fliegenden Ohrwurm letzte Instruktionen, bevor er ihn losließ. Das kleine Botentier schwirrte ins Licht hinein. Kurze Zeit später flog ein blau leuchtender Funken herein, der gleich darauf verglühte. Das verabredete Zeichen.

Ainfars Herz schlug ihm bis zum Hals. Es hatte geklappt! Der kleine Wurm war durchgekommen und auf dem Weg zu Regiatus in der Anderswelt.

Für einen kurzen Moment war der Tiermann der Versuchung nahe, ebenfalls zu gehen. Doch seine Aufgabe war noch nicht beendet.

Langsam ging er in das Schlafgemach zurück und setzte sich dort an die Bettkante. Alebin dürfte inzwischen frei sein, aber sicherlich den günstigsten Moment abwarten, bis er verschwand. Jetzt war das Risiko zu groß, dass er dem Getreuen über den Weg lief. Es war Ainfar gleich. Er hoffte, den Bruder nie wiederzusehen.

Ainfar rieb sich das Gesicht. Er war sehr müde. Doch das war erst der Anfang.

Er musste kurz eingenickt sein und fuhr hoch, als er das Nahen einer eisigen Aura fühlte. Bald darauf öffnete sich die verbotene Tür, und der Getreue kam herein. Er schien wieder halbwegs bei Kräften, nachdem er so vielen Elfen die Lebenskraft abgesaugt hatte, doch seine Aura flackerte leicht, und seine Bewegungen waren keineswegs so wuchtig wie sonst.

»Es ist alles vorbereitet«, sagte er zu Ainfar. Mit keinem Wort erwähnte er seinen Missmut, dass der Elf niederen Rangs sich auf dem königlichen Bett niedergelassen hatte, wenn auch nur bescheiden am Rand. Ebenso wenig interessierte er sich für seinen Namen. »Hol die fünfzig, und die anderen sollen auf Abruf warten. Teile den übrigen mit, dass sie bald das Schattenland verlassen dürfen, sobald ich das Zeichen gebe.«

Der Tiermann schaute auf. »Alle?«

»Gewiss. Das Portal bleibt offen und von dieser Seite aus für jeden frei passierbar. Die Zeit wird diesen Ort zerstören, damit er nie wieder missbraucht werden kann. Er hat ohnehin seinen Sinn verloren.« Der Getreue schüttelte den Kopf. »Und da nennt ihr mich grausam.«

»So einfach ist das nicht, Herr …«

»Manchmal ist es das, Elfenmann. Manchmal durchaus.«

Ainfar dachte an Alebin, der nun ganz legal gehen konnte. Das musste der Getreue doch wissen. Warum tat er das? Oder hatte er ihn schon vergessen in Hinblick auf das, was er jetzt zu tun hatte?

»Ich muss zurück. Erledige, was ich dir aufgetragen habe. Cor und der Kau nehmen euch auf der anderen Seite in Empfang und werden euch an einen sicheren Ort bringen. Dort wartet ihr auf euren Einsatz.«

»Wie Ihr wünscht, Herr.« Ainfar stand auf, verneigte sich und ging in den Thronsaal zurück.

Er hielt eine Ansprache an die wartenden Elfen mit dem Auftrag, seine Worte hinauszutragen und überall im Schattenland zu verbreiten: von nun an existierte das Reich der Schmerzen und des Schreckens nicht mehr. Nur noch kurze Zeit, dann durften alle, die dazu in der Lage waren, das Land ohne Wiederkehr verlassen.

Ja, manchmal bereitete das Schicksal seltsame Wege. Ausgerechnet Ainfar trat nun als Verkünder im Auftrag des Getreuen auf. Es dauerte eine Weile, bis die Elfen das Gesagte verinnerlicht und die Tragweite erfasst hatten. Ainfar sah Tränen in den Augen Eledulas, und nicht nur in ihren. Für einen Augenblick war er gerührt und ergriffen. Was für ein wunderbarer Moment in dieser Zeit des Niedergangs. Eine sanfte Berührung vor dem grausamen Ende. Doch … es war gut so. Sollten sie sich alle darauf besinnen, wer sie waren, und um die Zukunft als unsterbliches Volk der Anderswelt kämpfen.

Deswegen war Ainfar hier, hatte all das auf sich genommen – für genau diesen Moment, und weitere sollten folgen. Er war zutiefst befriedigt und nickte Eledula aufmunternd zu. Dann richtete er den Blick wieder auf die Aufgabe.

Die fünfzig Soldaten im Gefolge, machte Ainfar sich ein letztes Mal auf den Weg zum Portal.

Noch einmal war er ergriffen, Freude durchströmte ihn wie ein warmer Sonnenstrahl, als er als Erster auf das gleißende Licht zuging, darin eintauchte, den Weg in die Freiheit entlangschritt und die Menschenwelt am anderen Ende greifbar nahe vor sich sah.

8.
Suche durch Zeit und Raum

Die beiden Kobolde warteten schon ungeduldig auf die Rückkehrer, doch bevor sie alles erfuhren, verlangte Fabio Auskünfte: »Habt ihr den Bann legen können?«

»Ja, gerade so«, piepste Pirx. »Ich glaube, da sind ziemlich viele in dem Steinhaus …«

»Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass da bereits ein Bann existierte«, äußerte Grog. »Anscheinend will der Getreue selbst nicht, dass seine Helfer zu neugierig werden oder auch nur herumlaufen. Aber sicher ist sicher.«

»Und was war bei euch los?«, wandte Fabio sich an die Zwillinge.

»Das war seltsam«, antwortete Rian. »Wir fingen gleich an, sobald ihr drin wart. David stellte die Falle auf, und ich wollte den Augenzauber anlegen, doch … es ging nicht. Immer wieder wurde der Staub heruntergepustet und verlor seine Wirkung. Als ob der Tumulus sich selbst dagegen wehrte.«

»Daraufhin sind wir gemeinsam ans Werk gegangen«, setzte David fort. »Doch auf einmal ging überall das Licht an, Leute kamen lärmend angelaufen, und da …«

»… wollte David den Helden spielen, aber ich hielt es für besser, Fersengeld zu geben, genau wie du gesagt hast, Fabio«, unterbrach Rian. »Wir sind ab durch die Dunkelheit, haben unterwegs Pirx und Grog aufgesammelt, sind zum Haus gelaufen und gleich mit dem Auto los, da seid ihr uns schon entgegengekommen.«

»Gottseidank«, bemerkte Nadja. »Nach der ganzen Latscherei vorher nochmal fünf Kilometer durch die Nacht, na ich danke.« Sie sah vergnügt vier Paar Elfenaugen, die auffordernd auf sie gerichtet waren. »Ich habe leider keine Räuberpistole zu erzählen. Fabio und ich wurden erwischt. Wir haben euch gerade noch davonflitzen gesehen. Dann wurden wir befragt und wieder freigelassen.«

»Und du schimpfst dich Reporterin«, maulte Pirx enttäuscht.

David hob die Brauen. »Wahrscheinlich habt ihr sie in den Wahnsinn getrieben, ich kenne euch doch.«

Nadja lachte. »Möglich. Sie hielten uns für ziemlich verrückt, glaube ich.« Dann wurde sie wieder ernst. »Aber leider haben sie unsere Falle, die wir gerade fertig aufgestellt hatten, abgebaut. Es war also alles umsonst, nachdem euer Bann auch nicht hingehauen hat.«

David gab sich nicht so leicht geschlagen. »Dann gehen wir eben noch mal rein.«

»So einfach wird das nicht«, befürchtete Fabio. »Sie passen jetzt besser auf.«

»Aber wieso wurden die Menschen überhaupt aufmerksam auf uns?«, wollte Rian wissen.

Fabio stand auf und ging mit den Händen in den Hosentaschen auf und ab. Bisher waren sie in der Runde beim Kamin gesessen, doch jetzt hatte er kein Sitzfleisch mehr. »Da gibt es nur einen. Er ist hier, und er weiß, dass wir es auch sind.«

»Dann hat er uns schon die ganze Zeit beobachtet?«, stieß Pirx erschrocken hervor und sah sich um, als befürchtete er, der Getreue würde jeden Moment wie aus dem Boden gewachsen dastehen. Wäre auch nicht das erste Mal.

»Wer weiß«, brummte Fabio und nahm seine ruhelose Wanderung wieder auf. »Vermutlich treibt er sich vorwiegend bei Newgrange herum und wartet auf eine günstige Gelegenheit oder Inspiration, dabei hat er uns bemerkt.«

»Verflucht«, sagte Nadja plötzlich und wurde blass. Sie sank ins Polster zurück. »Fabio, wir waren so blöd! Wir haben selbst mit ihm gesprochen! Du und ich!«

Er blieb stehen und sah sie verwundert an. »Wie kommst du darauf?«

»Könnt ihr euch dran erinnern, was der Barmann gestern im Pub zu uns gesagt hat?«

Niemand antwortete. Nadja seufzte. »Seht ihr, ihr habt nur ans Essen und Trinken gedacht. Ich hingegen weiß das noch sehr genau.«

»Ist ja auch dein Beruf!«, warf Pirx dazwischen.

»Du sagst es. Jedenfalls, der Mann sagte how’s the craic, eine irisch-englische Sprachkombination, die ich von früher kenne.«

Jetzt fiel es Fabio wie Schuppen von den Augen. »Der Wachmann, der sich Craig nannte!«

»Genau. Craic ist gälisch und bedeutet Witz, Spaß und so weiter. Deshalb gab er sich den Namen, der sich wie Craig anhörte, und wir haben den Unterschied natürlich nicht gemerkt. Er hat uns total vorgeführt!« Sie erzählte den Zwillingen und den Kobolden von der Begegnung.

»Und da behauptet er immer, total humorlos zu sein!«, rief Pirx und prustete los. »Ihr könnt sagen, was ihr wollt, aber das war echt gut!«

»Und warum lässt er uns einfach gehen?«, fragte Fabio ratlos.

»Das macht er immer so«, antwortete Nadja gleichmütig und erinnerte den Vater an ihr Abenteuer in Venedig. »Alles zu seiner Zeit. Momentan ist er nicht an uns interessiert, er hat nur dafür gesorgt, dass wir ihm nicht im Weg sind.«

»Also ein richtiger Spaßvogel«, knurrte ihr Vater und nahm wieder Platz. Dann lächelte er böse. »Damit sind wir aber schon zwei.«

Nadja wandte sich ihm zu. »Du tust die ganze Zeit über so geheimnisvoll. Habe ich irgendwas übersehen?«

»Du hast die Spiegel nicht gezählt«, sagte er.

»Wieso … fehlt einer?«

»Allerdings.« Fabios Gesicht zeigte einen Ausdruck grimmiger Boshaftigkeit. »Der kleine Augenspiegel klebt immer noch an der Wand!«

*

Tom Bernhardt stieg die Treppe hinauf und sperrte Nadjas Wohnungstür auf. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, alle zwei Tage bei ihr nach dem Rechten zu sehen. Noch immer konnte er kaum glauben, in was er da hineingeraten war, es kam ihm unwirklich wie ein Traum vor. Ein aufregender Traum allerdings, aus dem er nicht so schnell wieder erwachen wollte.

Sein Sachbuch über die Contessa von Venedig würde in den nächsten Wochen erscheinen, die Vorbestellungen bescherten eine gute Startauflage. Nun hatte er schon viele Ideen für ein zweites und sogar drittes Sachbuch, und der Verleger ließ bereits einen Vertrag ausfertigen.

Toms Leben war völlig umgekrempelt worden, und das war gerade im richtigen Moment geschehen, als er ohnehin darüber nachgedacht hatte, wie es mit ihm weitergehen sollte.

Die letzte SMS von Nadja lag schon ein paar Tage zurück, sie hatte vom regelrecht überstürzten Aufbruch von Sizilien nach Irland berichtet, und sie würde sich wohl eine Weile nicht melden können. Was lag nun wieder im Argen? Das Abenteuer schien Nadja Oreso zu suchen, wie es so schön hieß, sie stolperte von einer Geschichte in die nächste. Tom hatte schon darüber nachgedacht, ihr Leben sorgfältig zu notieren; selbst wenn er niemals ein Buch daraus machte, wäre es ein kostbares Zeitdokument für Nadja, die sicherlich bei all den Turbulenzen später nicht mehr alles so genau auf die Reihe kriegen konnte. Und vermutlich auch nicht glauben wollte, was sie alles erlebt hatte. Bestimmt wäre es auch eine schöne Aufzeichnung für ihr Kind, damit es erfuhr, wer seine Mutter vor seiner Geburt gewesen war.

Tom sah sich gründlich um, wie immer, steckte die Post ein, die er später sichten und bei sich aufheben würde, rief Nadjas E-Mails ab, dazu hatte sie ihn ausdrücklich angewiesen, und beantwortete, was wichtig war. Beispielsweise die Anfragen der beiden Redaktionen, für die sie sonst tätig war. Der Versuchung, sich als »Privatsekretär« auszuweisen, widerstand er grinsend und zeichnete mit ihrem Namen. Dann goss er die Blumen, kontrollierte den Kühlschrank, fand in einem Küchenschrank eine Schokolade, die Rian vergessen hatte, riss sie auf und nagte daran herum, während er den letzten Kontrollgang unternahm.

Die Wohnung war hell und freundlich, die Junisonne spendete jede Menge gute Laune. Deshalb wollte Tom anschließend in den Englischen Garten, zum Chinesischen Turm, um dort Ausschau nach jemandem zu halten, mit dem er den Nachmittag verbringen könnte.

Als er die Eingangstür öffnete, wurde sie plötzlich von außen mit Gewalt aufgedrückt und gegen ihn geschleudert. Tom erhielt einen Schlag vor die Brust und stolperte mit einem Ächzen zurück. Bevor er das Gleichgewicht wiederfand, packten ihn zwei kräftige, grobe Hände und schoben ihn Richtung Wohnzimmer.

»Erlauben Sie mal!«, rief Tom empört und musste den Kopf in den Nacken legen, um dem hünenhaften Muskelpaket ins Gesicht zu sehen.

Der Mann besaß ein Allerweltsgesicht mit völlig gleichgültiger Miene. Sein maßgeschneiderter Anzug (dafür hatte Tom in jeder Situation einen untrüglichen Blick) passte nicht zu seinem Aussehen, das mehr einem Boxer glich, und auch seine Manieren waren nicht so fein wie der Zwirn.

Mehr als Empörung konnte Tom nicht äußern. Er war zwar kein Schwächling, aber gegen diesen trainierten Typen, der mindestens zwanzig Kilo mehr wog, hatte er nicht die geringste Chance. Und außerdem war der Kerl gar nicht allein, auf einmal stand ein zweiter Mann neben dem ersten, ein gutes Stück kleiner, aber noch breiter in den Schultern, und ebenfalls im Maßanzug. Fehlten nur noch die verspiegelten Sonnenbrillen.

»Lassen Sie mich gefälligst los, sind Sie verrückt?«, schrie Tom und gab sich damit mutiger, als er war. Ihm wackelten die Knie, doch das durfte er sich nicht anmerken lassen. »Hier ist nichts zu holen, gehen Sie woanders hin!«

»Sie schulden uns was«, sagte der Kleinere auf Englisch, mit amerikanischem Akzent.

»Ich habe keine Spiel-, Wett- oder sonstigen Schulden«, erwiderte Tom auf Deutsch. »Und ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, wer ihr seid!«

»Das ist nicht von Bedeutung«, versetzte der Mann, der offensichtlich Deutsch gut verstand, aber es nicht sprechen konnte oder wollte.

»Was wollt ihr denn dann?«

»Nadja Oreso.«

»Sie ist nicht hier.«

»Das wissen wir! Aber nicht, wo.«

Tom stieß einen verächtlichen Laut aus. »Das geht euch auch gar nichts an.«

Der Große schubste ihn quer durch den Raum, und Tom landete auf dem Sofa. Vor ihm baute sich der Muskelmann auf.

Der Breitschultrige beugte sich über den Tisch. Auch er hatte kein Gesicht, das man sich lange merkte. Ein völlig nichtssagender Pfannkuchen ohne Belag, nicht einmal in den Augen lag ein Ausdruck. Die beiden waren nichts weiter als Schläger, die für jemanden arbeiteten. Sie erledigten ihre Aufträge, ohne Fragen zu stellen oder darüber nachzudenken. Tom kam sich wie im Film vor. Nur mit dem Unterschied, dass er der Hauptdarsteller und derjenige war, der in die Mangel genommen wurde, und dass er sich überhaupt nicht wie ein tapferer Held fühlte. Sondern eher wie ein schlabbriger Wackelpudding, der bald seine Konsistenz verlieren und sich in eine rückgratlose Pfütze verwandeln würde.

»Sagen wir mal so«, sagte der Breitschultrige süffisant. »Wir können das hier wie Gentlemen lösen. Du beantwortest unsere Fragen, und wir sind gleich wieder fort, ohne dass ein Möbelstück verrückt wurde. Geschweige denn du.«

»Dann sagt mir zuerst mal, für wen ihr arbeitet und warum euer Auftraggeber das wissen will«, erwiderte Tom.

Er unterdrückte einen Schmerzlaut, als der Große ihm daraufhin die erste Ohrfeige gab. Mit der flachen Hand, aber es brannte wie die Hölle, und sein Kopf ruckte zur Seite, dass die Nackenwirbel knirschten.

»Du verstehst immer noch nicht: Wir stellen die Fragen, du gibst Antworten, nicht umgekehrt.«

»Ich sag euch gar nichts«, keuchte Tom und versuchte, sich hinter dem Sofa in Sicherheit zu bringen, doch der Große packte ihn, riss ihn hoch und versetzte ihm zwei schnelle Schläge, zuerst einen in die Magengrube, und als er zusammensackte, gleich noch einen mit der Faust ins Gesicht. Tom spürte, wie seine Oberlippe aufplatzte, seine Nase empört knackte, und sein Magen sich zu einem wütend pochenden Klumpen verformte, der sich schutzsuchend an die anderen Organe quetschte.

Im Fall riss er die Dekoration vom Tisch herunter, warf zwei Schalen um, und um ihn regnete es Seidenblumen, Bonbons, bunten Sand und Halbedelsteine, während er zu Boden ging. Tom konnte nicht einmal mehr schreien vor Entsetzen. Er wusste nicht, was ihm am meisten wehtat – das geschundene Gesicht oder der Magen. Und dann auch noch der Rücken, als er einen Tritt knapp neben die Nieren abbekam. Die Luft blieb ihm weg, und er hustete erstickt. Zitternd rollte er sich zusammen, um wenigstens den Kopf und den Magen vor weiteren Schlägen zu schützen, doch es hörte auf. Zumindest für den Moment.

»Hör zu«, fing der Breitschultrige an. »Wir wissen, wer du bist, wo du wohnst, was du tust. Wir wissen, mit wem du befreundet bist. Du hast die Oreso doch zu dem Mystiker geschleppt, oder? Und nun ist er tot. Unser Auftraggeber ist darüber ziemlich ungehalten. Er möchte wissen, warum, und was die Oreso damit zu tun hat. Nur ein paar Fragen, mehr nicht, verstehst du? Unser Auftraggeber ist sehr reich und sehr gesittet, ihm geht es lediglich ums Geschäft. Für deine Freundin besteht keine Gefahr – im Gegensatz zu dir, wenn du nicht bald mit der Sprache rausrückst.«

Tom schmeckte Eisen im Mund, er spürte, wie Blut aus seiner Nase rann, und er hatte Angst vor den nächsten Prügeln und davor, dass sie ihn am Ende umbringen würden, einfach so. Ihm war, als wäre er am Ende angelangt, und empfand Bitterkeit, weil er keine Gelegenheit gehabt hatte, sich darauf vorzubereiten. Und gerade jetzt, das war ungerecht.

Das erboste ihn und verführte ihn zu aufwallendem Mut.

»Seid ihr fertig?«, stieß er mühsam hervor und gab seine Igelstellung leicht auf.

»Wir fangen gerade erst an.« Der Große hatte zum ersten Mal gesprochen, und er grinste breit dazu.

Er bückte sich, um nach Tom zu greifen, doch in diesem Moment erklangen Stimmen von der Tür her.

»Ist alles in Ordnung? Hallo? Was hat dieser Lärm zu bedeuten?«

Tom seufzte erleichtert. Das war der Segen einer übersichtlichen Stadt und Altbauwohnungen – da taten die Nachbarn nicht so, als wären alle anderen Luft.

»Nichts, es ist alles in Ordnung, gehen Sie nur!«, antwortete der Breitschultrige mit ziemlich starkem Akzent.

Aus dem Augenwinkel sah Tom zwei Gestalten auftauchen. Diese Nachbarn hatte er in den letzten Wochen schon ein paar Mal gesehen, Peter Uhrig von nebenan und Nicole Hutter vom Stockwerk drüber. Sie hatten immer mal ein paar Worte gewechselt, beide waren offen und freundlich und erkundigten sich stets nach der »netten Frau Oreso«.

»Was machen Sie denn da?«, rief Nicole Hutter. »In dieser Wohnung haben Sie ganz gewiss nichts verloren, und wieso liegt der Mann am Boden?«

Peter Uhrig sagte drohend: »Verschwinden Sie, oder ich rufe die Polizei!«

Kluger Mann. Er wusste, dass er die zwei ohnehin nicht festhalten konnte, bis die Polizei kam. Und es würde jede Menge Scherereien geben, die am Ende auch nur zur gewohnheitsmäßigen Einstellung des Verfahrens führten.

Die beiden Amerikaner zögerten kurz, dann entschieden sie sich zu gehen. »Wir sehen uns«, sagte der Breitschultrige zu Tom, dann waren sie draußen.

Die beiden verstörten Nachbarn halfen Tom hoch aufs Sofa, die Frau holte Tuch und Wasser aus der Küche, der Mann einen Whisky aus Nadjas Bar.

»Was ist passiert?«, wollten beide wissen, während Toms Gesicht behutsam abgetupft und ihm der Whisky eingetrichtert wurde.

»Ich habe keine verdammte Ahnung«, antwortete er und prüfte seinen Kiefer. Sein Kopf brummte wie ein Bienenstock, aber Magen und Rücken ging es langsam besser. »Sie wollten wissen, wo Nadja ist.«

»Haben Sie es denen gesagt?«

»Natürlich nicht.« Noch nicht, fügte er in Gedanken hinzu. Aber das musste ja nicht jeder wissen.

»Sehr gut! Brauchen nicht zu glauben, dass wir so leicht einzuschüchtern sind, nur weil sie ein paar Muskeln haben.« Peter klopfte Tom anerkennend auf die Schulter, was ihm ein schmerzliches Stöhnen entlockte.

Nun, da er sich entspannte, wurden die Kopfschmerzen noch schlimmer, sein Gesicht schwoll an.

»Ich hole einen Krankenwagen«, überlegte Nicole Hutter.

»Nein, ich komme zurecht.« Das fehlte ihm gerade noch, unangenehme Fragen, womöglich Polizei … und er war sicher, dass er außer Blutergüssen nichts davongetragen hatte. Das wurde von selbst wieder.

»Oder soll ich Sie zum Arzt fahren?«, schlug Uhrig vor.

»Sie sind sehr hilfsbereit – und sehr mutig. Danke.« Tom lächelte die beiden schief an, soweit es ihm möglich war. Wahrscheinlich sah er aus wie ein Zombie, der in eine Zitrone gebissen hatte. Den Nachmittag im Park musste er wohl streichen. »Ich schaffe es wirklich, mir fehlt nichts weiter. Geben Sie mir nur ein paar Minuten, dann gehe ich nach Hause und bemitleide mich dort.«

»Na, wenn Sie meinen.« Die beiden Nachbarn zögerten sichtlich, doch dann folgten sie seinem Wunsch und ließen ihn allein. Aber sie würden aufpassen, versprachen sie, und sobald sie die beiden Typen wiedersähen, würden sie sofort die Polizei holen. Tom bedankte sich noch einmal aufrichtig und wusste, auf die beiden war Verlass.

Als Tom die Tür zuklappen hörte und allein war, ließ er sich gehen und jammerte kläglich vor sich hin. Er fühlte sich hundeelend und schlotterte immer noch vor Angst. Nun konnte er nie mehr unbelastet hierhergehen, ständig würde er ab jetzt auf der Hut sein. Am besten kam er immer nur mit Verstärkung. Da fand sich schon jemand.

Tom konnte kaum denken, weil ihm der Kopf so wehtat, trotzdem rief er sich die unerfreuliche Unterhaltung noch einmal ins Gedächtnis. Was hatten die Kerle doch gleich gesagt? Sie hatten eindeutig über Nicholas Abe geredet. Also, dann … gehörten diese Schläger garantiert zu dem geheimnisvollen New Yorker Geschäftsmann, der Abes Wohnung nach dessen Tod leer räumen ließ! Demzufolge hatte er von Nadja und ihrer Suche erfahren, und nun wollte er etwas von ihr … nur, was?

Jedenfalls musste er seine Freundin sofort warnen, alles Weitere würde sich dann ergeben. Immer noch zittrig fischte Tom sein Handy aus der Jeanstasche und schickte Nadja eine SMS. Auch wenn sie gesagt hatte, sie würde sich zuerst melden, das hatte absoluten Vorrang. Er hatte keine andere Möglichkeit, sie zu erreichen. Anschließend torkelte er ins Bad und brachte sein Gesicht wieder einigermaßen in Ordnung, wenngleich da nicht mehr viel zu machen war. Jetzt hieß es Geduld haben und nicht mehr aus der Tür gehen, bis er wieder passabel aussah. Die Zeit würde er mit ausgiebigen Recherchen nach diesem mysteriösen Amerikaner nutzen.

Unter Ächzen und Stöhnen räumte Tom auf, machte alles sauber, packte Nadjas Laptop ein und verließ dann die Wohnung.

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