Kitabı oku: «Desert Hearts», sayfa 3
»Was hat er gesagt?«, fragte Joyce.
»Er sagt, dass du für die erste Nacht lange genug gearbeitet hast.«
»Du hast es ihm gesagt.«
»Nein, ehrlich nicht«, erwiderte Ann. »Niemand arbeitet in den ersten Nächten die volle Schicht. Er möchte dich jetzt sehen. Mach Schluss. Wir sehen uns morgen Abend.«
Joyce zögerte, hin- und hergerissen zwischen Stolz und Erleichterung. Als Bill selbst ihr ein Zeichen gab, ging sie zu ihm. Ann beobachtete sie, als sie beieinander standen und redeten. In Bills Gegenwart kehrte die Farbe in Joyces Gesicht zurück und mit ihrer Farbe ihr Selbstvertrauen. Es gab Gewichte, die ihr Rücken aushalten konnte. Bill sah auf. Ann wandte sich ab, ihre Handflächen schmerzten.
Um zwei Uhr waren wieder nur sehr wenige Leute in Anns Abteilung, der junge Mann, ein Paar mittleren Alters und einige College-Schüler mit gefälschten Personalpapieren. Ein halbes Dutzend alter Männer hatte seine nächtliche Runde begonnen. Zwei taten so, als inspizierten sie die Gewehrsammlung, aber die anderen suchten ungeniert den Boden nach heruntergefallenen Münzen ab, so offen wie Hühner die Tenne nach Körnern. Halb verhungert, vor Alkoholmangel zitternd, sammelten sie die Zehn- und Fünf-Cent-Münzen auf, jedoch nicht für Essen und Trinken. Jede Münze trug dazu bei, dass sie sich volllaufen lassen konnten, um früher oder später in der Flut vager Träume von Reichtum zu versinken.
Ann erblickte Walt, als er durch die Tür neben der Kasse kam.
»Hi. War’s schön?«
»Wunderbar«, sagte er. »Wir sind zum Pyramid Lake rausgefahren und waren schwimmen. Und wie war’s bei dir?«
»Es war genug los, jetzt klingt es allmählich ab.«
»Ist deine letzte Pause schon vorbei?«
»Ja. Ich bin gerade zurück. Ich glaube, ich komme heute Nacht nicht nach Hause, Walt. Joe ist weg. Silver hat eine Flasche Scotch besorgt.«
»Wie du willst«, sagte Walter, wobei er überlegte, ob er Enttäuschung oder Missbilligung empfand. »Was soll ich mit dem Wagen machen?«
»Fahr damit nach Hause. Silver setzt mich morgen ab.«
Ann hätte ihn gern für ein paar Minuten bei sich gehabt, um die Zeit herumzubringen, aber sie sagte es nicht. Schon jetzt würde er nicht vor drei ins Bett kommen, und er musste um halb acht aufstehen. Frances hatte es aufgegeben, sie beide zu schelten, weil sie sich so oft die Nacht um die Ohren schlugen, aber ihr Schweigen oder ihre gezwungene Heiterkeit waren Ann unangenehm. Sie wollte lieber nicht für alle schlechten Angewohnheiten Walters verantwortlich erscheinen.
»Wechselgeld!«
Ann nahm die letzten fünf Dollar des jungen Mannes und gab ihm eine kurze Rolle Vierteldollars. Er hatte in elf Stunden genau dreihundert Dollar verloren. Beim Roulette hätte er dafür nicht so hart arbeiten müssen. Ann lehnte sich gegen einen Spielautomaten und beobachtete ihn dabei, wie er die letzte langsame Figur seines Tanzes ausführte. In zehn Minuten waren seine Hände und Taschen leer. Einen Augenblick lang stand er da, ruhte aus. Dann sah er auf die Automaten, auf die Schüler, auf die Gewehre, auf Ann, sein Gesicht war blass und friedlich, als sei er gerade aus langem Schlaf erwacht. Er reckte sich, gähnte, wandte sich um und war fort.
Die Schüler drifteten in eine andere Abteilung, und Ann war allein. Langsam begann sie, ihren Münzspender zu entleeren, um die Münzen zu zählen und einzurollen. Walter war jetzt wohl zu Hause, saß allein in der Küche. Und Ann wünschte halb, sie hätte ihn gebeten zu warten. Sie war unruhig und deprimiert, es widerstrebte ihr, mit irgendjemandem zusammen zu sein, aber in ihrem eigenen Zimmer, oben unterm Dach, würde es heiß sein, zu heiß zum Schlafen, und sie wäre dann am folgenden Tag nicht in der Stimmung zu arbeiten. Schon seit Monaten hatte sie keine Zeichnung mehr zustande gebracht, mit der sie zufrieden war.
Allmählich kamen die Frauen der Friedhofsschicht an der Kasse an. Die junge Frau, die Janet ablöste, war zehn Minuten früher oben gewesen, und Janet hatte schon ausgecheckt, bevor Ann und Silver an der Kasse ankamen. Janet passierte sie immer als Erste. Sie hatte eine Heimfahrt von neunzig Meilen vor sich, danach nur ein paar Stunden Schlaf, bevor das Baby wach wurde und Ken für seinen Sommerjob aufstand.
»Eine wahrhaft aufregende Nacht heute, nicht?«, sagte Silver. »Mein packendstes Erlebnis war eine alte Lady mit schwachen Nieren. Sie hat sich dreimal in die Hose gemacht – und das nicht mal bei Jackpots. Bei achtzehn Fünf-Cent-Stücken macht sie sich in die Hose. Glücklicherweise bin ich hart im Nehmen. Andere Leute, die ich kenne, wären genervt gewesen.«
Ann stand neben ihr und stapelte sorgfältig die letzten Münzen des Wechselgeldes. Nur zwanzig Cents fehlten heute Nacht. Sie überlegte, wie es wohl Joyce ergangen sein mochte.
»Ich habe zehn Cents zu viel«, verkündete Silver. »Dann lass uns mal sehen: Wer könnte um drei Uhr früh in der Stadt umherirren, ohne genügend Geld fürs Klo?«
»Du hast heute Nacht nur Nieren im Kopf«, sagte die Kassiererin müde und geplagt.
»Irrtum, meine Liebe«, sagte Silver. »Die stehen für was anderes.« Sie langte nach ihrem Beleg. »Fertig?«
»Ja«, sagte Ann.
Während sie auf dem Weg nach unten den Club durchquerten, begrüßte Silver die Spielhalter mit lauten Rufen, Ann nickte und lächelte anderen Angestellten und Kunden zu. Als sie auf den Gang hinaustraten, rissen Hitze und Stille sie unvermittelt aus dem hellen, zeitlosen Chaos des Clubs heraus. Sie waren allein miteinander.
»Was ist, Liebes«, sagte Silver weich, »kommst du mit mir nach Hause heute Nacht?«
»Ja«, sagte Ann. »Ja, ich denke schon.«
Sie gingen den Gang hinunter, um ihre Hüte, die Schurze und Münzspender einzuschließen. Sie standen hintereinander an der Stechuhr. Anns Karte zeigte 3:11 Uhr.
»Nicht schlecht«, sagte Ann.
»Ganz und gar nicht. Mein Auto steht da drüben.«
Ann hatte Silvers Haus wochenlang nicht betreten. Sie gingen durch die Hintertür in die Küche, die Silver »Secondhand Geräte & Sohn« nannte. Und sie hätte wirklich Eindruck machen können, wäre da nicht zumindest immer eine aufgerissene Ecke gewesen, um schon den nächsten letzten Schrei der Kücheneinrichtung zu installieren. Silver wechselte Herde und Kühlschränke, Tiefkühltruhen und Geschirrspüler wie manche Männer ihre Autos. Wenn sie keinen noch perfektionierteren Kühlschrank finden konnte, einen, der sowohl Saft pressen als auch Eis machen konnte, dann beschloss sie, die Farbzusammenstellung zu ändern. Dann hatte die gesamte blaugrüne Ausstattung zu verschwinden und wurde ersetzt durch Gelb, Rosa oder Apricot. Arbeitsflächen und Bodenbeläge wurden weggerissen, Handtücher und Schürzen in den Müll geworfen oder weggeschenkt. Demzufolge gab es kaum einen Zeitpunkt, an dem die Küche wirklich einsatzfähig war, aber Silver mochte ohnehin nur gelegentlich, dann aber exquisit kochen. Meistens aßen sie und Joe im Restaurant oder machten sich einfach zu den verrücktesten Tages- und Nachtzeiten Kaffee und Sandwiches. Im Moment gab es weder Kochplatten noch Herd, aber Silver hatte elektrische Töpfe und Pfannen, Backöfchen und Grill. Sie kam ganz gut zurecht, während sie auf die jeweils neueste Einrichtung wartete.
»Hunger?«
»Eigentlich nicht«, sagte Ann.
»Nun, ich schon. Mach uns die Drinks, während ich mir was koche.«
Ann trat aus der Küche in den dichten Flaum des weißen Teppichbodens, der wie eine sechs Zentimeter tiefe Schneeschicht überall im Haus den Boden bedeckte. Silver gab selbst zu, dass dieser Teppich ein Missgriff gewesen war. Es gelang niemandem, durch einen der Räume zu gehen, ohne sich den Fuß zu verstauchen. Aber Silver hätte diesen Teppichboden nie hergegeben. Das Mobiliar des Esszimmers bestand aus Imitationen eines Zeitstils, dessen Zeit nicht recht zu bestimmen war. Die Bar, die den Essbereich vom Wohnbereich trennte, hatte Silver selbst entworfen. Vom Esszimmer aus sah sie ganz normal aus, aber vom Wohnzimmer aus, das vier Stufen höher lag, wirkte sie eher wie das Geländer der Abendmahlsbank in der katholischen Kirche von Virginia City. Auf der Messingkante saßen wie kleine Muscheln rote und blaue Glasstückchen, und anstelle von Barhockern gab es weiße lederne Fernsehpolster auf dem Boden. Joe hatte Silvers Gefühle tief verletzt, als er die Bar weihevoll »Heiliger Höllensalon« taufte. Das Wohnzimmer war eine Hindernisstrecke aus übermäßig gepolsterten Sesseln und Couchen und Tischen mit Glasplatten, und überall strebten riesige, muskulöse Gummibäume an Pfeilern und Lampenständern zur Decke.
Ann fand die Flasche Johnny Walker und eine Flasche Gordon’s Gin. Dann langte sie in das eingebaute Kühlfach nach Tonic und Eis. Zwischen den Cocktailmixern in Gestalt versilberter Oberschenkel und Brüste fand sie, was sie suchte.
»Ich mache gebackene Eier mit Hühnchenleber!«, rief Silver.
»Gut. Ich will auch was davon.«
Ann trug die Drinks in die Küche. Silver trank ihren Gin-Tonic wie ein Glas eisgekühlten Wassers, seufzte und stellte das Glas so ab, dass es ihr nicht im Weg stand.
»Noch einen?«
»Jetzt nicht, Liebes. Willst du nicht baden? Ich bringe das Essen rauf, wenn’s fertig ist.«
»Gut.«
Silver mochte keine Gesellschaft, wenn sie kochte, und sie konnte sich nicht in Ruhe unterhalten, bevor sie sich nicht in Ruhe zum Essen gesetzt hatte. So trug Ann ihren Drink quer durchs ganze Haus durch Silvers Schlafzimmer ins Bad, einen großen Raum, mit demselben Teppichboden ausgelegt wie das ganze Haus, die Toilette drei Stufen höher, die Badewanne ein in der Mitte des Raumes eingelassenes Becken. Ann drehte die phallischen Wasserhähne auf, setzte ihren Drink auf einer der Ablagen des Beckenrandes ab und begann, sich in Gesellschaft ihres dutzendfachen Spiegelbildes auszuziehen.
Es war gerade drei Monate her, dass sie und Bill, während Silver und Joe an der Küste vier Wochen Ferien machten, in diesem Haus gewesen waren. Bill, der Schlafzimmer und Bad nie zuvor gesehen hatte, war zunächst gehemmt, später aber, als sie in seinem eigenen männlich eingerichteten Schlafzimmer zusammenlagen, sollte er sehnsüchtig an diese Wochen zurückdenken und darlegen, dass man, natürlich mit einigen grundlegenden Änderungen, ein Badezimmer dieser Art durchaus mit gutem Geschmack entwerfen könne.
»Aber keinen weißen Teppich zum Sich-Trocken-Wälzen«, sagte Ann.
»Warum nicht?«
»Das ist vulgär.«
»Ich finde das nicht vulgär«, protestierte er in ernsthafter Verteidigung seines eigenen Geschmacks.
»Und auf gar keinen Fall einen Spiegel an der Decke. Was soll deine Mutter sagen?«
»Ich entwerfe dieses Badezimmer nicht für meine Mutter.« Er stützte sich auf den Ellenbogen und sah auf Ann hinunter. »Denk nur an jenen Nachmittag …«
Jetzt, allein, umgeben von ihren nackten Ichs, konnte Ann nicht anders, als daran zu denken, aber in ihrer Erinnerung war keine Erotik. An jenem ersten Nachmittag war Bill derjenige gewesen, der unschlüssig gewesen war, ob er sich auf das Ehespiel einlassen sollte. Er war vorher rundum zufrieden gewesen mit den zwei Nächten, die sie pro Woche zusammen verbrachten, plus dem gelegentlichen Wochenende. Er fürchtete die Falle der Vertrautheit. Aber wie schnell hatte er sich angepasst! Wenn Ann kochte, spülte er das Geschirr. Wenn sie sein Hemd bügelte, putzte er ihre Stiefel. Er wollte sogar, dass sie ihm morgens aus der Zeitung vorlas, während er sich rasierte. Und seine Zärtlichkeit, vorher strikt nach Plan ausgeteilt, wurde im so sehr zur Gewohnheit, dass er im Club kaum die Hände von ihr lassen konnte. Inspiriert von Spiegeln und Fetischen, wurde er experimentierfreudig. Leidenschaftlichkeit wurde zum Hobby, das ihn voll beanspruchte. Er wurde besitzergreifend, entwickelte Hahnenstolz, kleine Eifersüchteleien. Vielleicht sollte sie lieber aufhören zu arbeiten. Vielleicht sollten sie ein kleines Haus für sich allein kaufen. Ann war nicht überrascht gewesen. Vielleicht hatte ein Teil von ihr sogar gehofft, dass Bill sich auf diese Art ändern würde. Was sie überraschte, war ihre eigene Reaktion. Anfangs hatte sie sich nur ein wenig unruhig gefühlt, aber nach und nach wuchs sich ihr Unbehagen zu einer Art Entsetzen aus, und sie sehnte das Ende dieser Tage, den Augenblick, da sie wieder frei sein würde, herbei. Er würde sie gehen lassen. Er würde sie gehen lassen müssen. Sie konnte in dieser Umklammerung seiner Liebe nicht leben, derart in seine Gewohnheiten und Bedürfnisse verstrickt, dass sie ihre eigenen nicht beibehalten konnte.
Der Nachmittag, an den sie jetzt dachte, war der letzte gewesen, ein Dutzend Anns und Bills paarten sich in diesem Alptraum von Spiegeln, sie sahen einander nicht direkt an, aber den Anblick ihrer Spiegelbilder fanden sie höchst erregend. Eines dieser Bill-Gesichter hatte wie ein befehlender Gott aus dem Spiegel zu ihr gesprochen: »Heirate mich!«
»Das kann ich nicht, Bill. Ich könnte nie heiraten.«
Das Becken hatte sich gefüllt. Ann stieg in das warme Wasser und drehte die Wasserhähne zu. Als sie, halb im Wasser treibend, ihren Kopf gegen den Beckenrand lehnte, spürte Ann, wie ihre Rückenmuskeln sich entspannten. Sie langte nach ihrem Glas und erhob es, um ihrem Abbild an der Decke zuzutrinken. »Hallo, das sagt ein Spiegel«, sagte sie mit weicher Stimme, und dann trank sie.
»Na, Goldfisch?« Silver trat ins Badezimmer, ein Tablett mit dem Essen in den Händen. »Seit Wochen habe ich nichts derart Bezauberndes gehabt, was ich mir hätte angeln können.«
»Der Köder sieht gut aus«, sagte Ann lächelnd.
»Ich werde dich noch ein bisschen zappeln lassen, bevor ich dich an Land ziehe. Noch Scotch?«
»Ja bitte.«
Silver setzte einen Teller mit Ei, Hühnchenleber und Toast bei Anns Glas ab, das sie wieder vollschenkte. Sie stellte das Tablett auf einen niedrigen Hocker und setzte sich daneben auf den Teppich.
»Sil, hast du jemals einen Menschen getroffen, der aussah wie du?«
»Wie ich? Als Gott mich schuf, Schätzchen …«
»Ich weiß, da hat er die Gussform zerbrochen.«
»Ich habe sie zerbrochen«, verbesserte Silver. »Ich habe meine Mutter aufgerissen vom Arsch bis zum Nabel.« Ann lächelte skeptisch. »Nun, sie starb an mir, arme Seele. Irgendwer am Montageband muss einen Fehler gemacht haben.«
»Vielleicht warst du ihr Ebenbild«, sagt Ann. »Es heißt, wenn man seinem eigenen Ebenbild begegnet, stirbt man. ›Der Zauberer Zoroaster, mein totes Kind, begegnete seinem Ebenbilde, wandelnd im Park!‹«
»Das ist nur Täuschung, Schätzchen. Wir täuschen uns mit Spiegeln.«
»Das glaube ich nicht. Heute bin ich einer Frau begegnet, die wirklich aussieht wie ich.«
»Das kann ich nicht glauben.«
»Doch, es ist wahr.«
»Nun gut, wenn deshalb jemand zu sterben haben sollte, werde ich das sein. Oder sie. Aber nicht du, Schätzchen.«
»Du hältst mich für ein ziemliches Miststück, nicht?«, sagte Ann leise.
»Nein, aber Bill hält dich allmählich dafür. Was, zum Teufel, machst du mit ihm?«
»Nichts, was so schrecklich wäre. Wenn er nur nicht so aufs Heiraten aus wäre, Sil, wenn wir nur so wie vorher miteinander umgehen könnten, dann könnte ich es aushalten.«
»Ich dachte, du bist in ihn verliebt.«
»Oh, das bin ich. Irgendwie. Oder ich liebe ihn zumindest. Aber ich kann nicht mit ihm leben, nicht immer.«
»Er sagt, was immer falsch gelaufen ist, lief falsch, weil ihr hier wart.«
»Sagt er das?« Ann wandte sich von ihrem Essen ab und ließ ihren Kopf wieder auf dem Beckenrand ruhen. Sie versuchte, mit ihren Augen hinter den Spiegel zu dringen, diese unbekannte Anwesenheit, diesen aufmerksamen Beobachter jenseits des Spiegels zu erfassen, aber alles, was ihre Vorstellungskraft zu beschwören vermochte, waren Angesichter des Zweifels. »Ich weiß nicht. Ich weiß nur, dass es falsch ist. Glaubst du nicht, dass Heiraten für einige Frauen schlicht das Falsche ist?«
»Das habe ich immer geglaubt«, bestätigte Silver. »Für mich zum Beispiel. Männer waren mein Beruf. Vor Joe hatte ich immer eine Frau.«
»Aber du hast Joe nicht geheiratet.«
»Nein, aber ich werde ihn heiraten, Schätzchen.«
»Ihn heiraten?« Ann richtete sich auf. »Aber warum?«
»Nun …« Silver stockte, beobachtete Ann. »Ich nehme an, dass mir diese Vorstellung unterschwellig immer gefallen hat.«
»Ein Mann. Eine Frau. Und alle anderen aufgeben?«
»So wird’s wohl nicht sein.« Silver lächelte. »Das ist es nie. Ich weiß das schließlich. Und wer bin ich armes Würstchen zu glauben, für mich müsse alles himmlisch vollkommen sein, oder überhaupt nicht? Glaubst du nicht, dass Mr. und Mrs. auf unseren Badetüchern gut aussehen würde?«
»Sicher«, sagte Ann weich. »Sicher. Warum nicht?«
»Ann?« Ann drehte den Kopf und sah ihre Freundin an. »Wir hätten dich und Bill gern als Trauzeugen.«
»Liebend gern, Silver. Das weißt du. Und ich bin sicher, dass Bill es auch möchte.«
»Es ist nur – Es wäre netter, wenn ihr zwei wieder miteinander sprechen würdet.«
»Gib mir noch was zu trinken. Lass uns auf dich und Joe anstoßen.«
»Aber auf dem Trockenen, Schätzchen.« Silver stand auf und nahm ein riesiges weißes Handtuch aus dem Schrank. Sie hielt es ausgebreitet hoch. »Komm.«
»Was wird dieses Handtuch sagen?«, fragte Ann, als sie aus dem Becken in Silvers Arme kam.
»Goldfisch«, sagte Silver.
»Aber ich werde nicht mehr kommen, wenn du und Joe verheiratet seid.«
»Nein?«, fragte Silver amüsiert.
»Nein.«
»Das hast du anfangs, als du mit Bill zusammen warst, auch gesagt.«
»Und ich bin nicht gekommen.«
»Bis zum ersten Streit«, sagte Silver. »Wilder kleiner Edelfisch. Du wirst gefangen, nicht? Und dann entkommst du, aber du lernst nichts. Der Köder ist immer eine Versuchung. Wenn du ein paar Zentimeter länger wärst oder wenn ich mich nicht vor dem Jagdaufseher fürchtete, würde ich dich behalten.«
»Ich mag nicht behalten werden«, sagte Ann, war sich dessen jedoch nicht ganz sicher, denn als sie da stand, unabhängig und kampfeslustig, wünschte sie doch, Silver würde sie in die Arme nehmen wie ein Kind und sie trösten und lieben mit der vertrauten riesigen rauen Zärtlichkeit ihres Körpers. Aber am Morgen, der sich draußen schon grau am Himmel ankündigte, würde Ann nicht bleiben können. Sie würde sich abzappeln, um zu entkommen, um neu geboren zu werden, unabhängig und allein in der lebendigen Unbeständigkeit ihres Fleisches.
»Ich weiß«, sagte Silver, als sie Ann in die Armen schloss. »Ich weiß das alles. Nachts immer fange ich dich und lass dich gehen am Morgen.«
»Ich liebe dich.«
»Du liebst alle Welt, kleiner Fisch. Du glaubst, dass Gott selbst die Wüste gemacht hat, damit du darin schwimmen kannst. Aber frei willst du sein.«
3
Evelyn Hall erwachte an ihrem ersten Morgen in Reno früh und erfrischt. Sie blieb ein Weilchen liegen und betrachtete das Schattenmuster des Laubes auf dem Teppich, während ihre Gedanken sich noch zwischen Schattenmustern von Träumen bewegten, ohne dass sie sie ganz zurückrufen konnte. Wenn sie jetzt aufstünde, während alle anderen noch schliefen, hätte sie den Morgen und das Haus eine Stunde für sich. Sie konnte den Tag unter ihrer Regie beginnen.
In dem Sommerkleid, das sie eigens für ihr erstes Gespräch mit dem Anwalt gekauft hatte – Hut, Handschuhe und Handtasche lagen auf dem Bett bereit –, setzte sich Evelyn an den Sekretär, um ihre Papiere zu ordnen und eine kurze Nachricht an George zu schreiben. Der Anfang des Briefes fiel ihr leicht. Sie beschrieb den Flug, die Fahrt in die Stadt, das Haus, seine Bewohner, ihr Zimmer, ihren Spaziergang in die Nachbarschaft. Als sie in Gedanken auf die Kuppe des kleinen Hügels zurückkehrte, suchte sie nach Worten, um zu erklären, was sie empfunden hatte, vielleicht um es wegzuerklären. Furcht war es, wollte sie sagen, aber sie wusste nicht, wovor. Obwohl eine Kreuzung aus C.G.Jung-Gläubigkeit und Protestantismus – Maulesel hatte George sie beide oft verbittert genannt –, hatte sie angesichts dieser Wüste von Nevada dennoch eine geradezu katholische Trostlosigkeit empfunden. »Es war, als ob ich tatsächlich sah, was ich nicht glaube«, schrieb sie. Und als sie dies geschrieben hatte, sah sie auf den Brief und erkannte, dass sie überhaupt nicht an George schrieb. Seit Jahren hatte sie keinen Versuch mehr unternommen, ihm ihre Gefühle zu erklären. Verwirrt legte sie die Seiten des Briefes beiseite und fing neu an. Sie schrieb einen kurzen Absatz und unterschrieb. Es war schon nach acht. Sie würde zu spät zum Frühstück kommen.
Obwohl sie mit dem Anwalt erst um elf Uhr verabredet war, ging Evelyn bald nach dem Frühstück in die Stadt. Unterwegs fragte sie in einer Tankstelle nach einem Stadtplan. Sie befand sich nur einige Kreuzungen südlich des Flusses. In Richtung Fluss gehend, kam sie an der öffentlichen Bibliothek von Reno vorbei und war versucht einzutreten, erinnerte sich aber, dies dem zweiten Tag vorbehalten zu haben. Für neun Uhr morgens war es schon sehr heiß, aber auf der Brücke, die den Truckee dort überquerte, wehte eine Brise, und das bloße Rauschen des Wassers schien Kühlung zu bringen. Es war gewiss kein eindrucksvoller Fluss. Evelyn konnte sich diesen Wasserlauf, der sich über die Felsen seines Bettes zu kämpfen schien, kaum bei reißendem Hochwasser vorstellen. Die hohen Betonmauern, die den Fluss einfassten, ließen einen Streifen natürlichen Ufers frei, auf dem ein halbes Dutzend alter Männer herumlungerte. Angelten sie? Zwei von ihnen hielten Ruten in den Händen, die anderen aber nichts. Einer von ihnen sah zu Evelyn hinauf und rief etwas, was sie nicht verstehen konnte. Evelyn wandte sich schnell ab und überquerte die Brücke.
Es war ihr unmöglich, durch die Straßen zu bummeln. Zu viele Leute wie sie selbst waren unterwegs, die nur zu offensichtlich die Zeit totschlugen. Sie schlenderten vor sich hin, verhielten vor einer Schaufensterauslage, einem Zeitungsstand oder vor ihrer eigenen Unsicherheit, aber niemand von ihnen erregte ihr Interesse. Wo man ging und stand, beobachtete man einander mit ironisch-abschätzendem Blick. Evelyn wurde unsicher, dann befangen. Irgendwie hatte sie die Regie über den Tag verloren. Sie ging eilig, als habe sie ein Ziel, bis sie sich in der Menschenmenge der Hauptstraße wiederfand. Über ihren Köpfen machten die riesigen Leuchtreklamen der Spielcasinos einander den Platz streitig, bizarre Perlenschwünge ausgeschalteter Glühbirnen. Und von überall her drang, wellenartig über der Geräuschkulisse der Menschenmenge und des Verkehrs, der Takt der Spielautomaten. Was immer Evelyn erwartet hatte, wenn sie sich dieses Monte Carlo von Nevada vorstellte, es war nicht dieser Komplex aus falschen Fassaden gigantischer Spielsalons, diese Reihe von Fabriken, deren geldfressende Automaten von einfallslosen Kunden zum Wohle des Establishments bedient wurden. Hier gab es keine verführerische Neonnacht, in der Männer von Welt Vermögen gewannen oder verloren, in Gegenwart von Frauen, die auf Sieg oder Niederlage gleichermaßen mit scharlachroten Cocktails anstießen. Die Männer, die Evelyn sah, hätten Collegedirektoren oder Drugstore-Besitzer oder Anstreicher sein können. Eine Frau hätte ihre Putzfrau sein können, eine andere ihre Mutter. Da waren sie alle, diese ganz gewöhnlichen Leute, und verspielten an diesem heißen Julimorgen um neun Uhr dreißig ihre Lebensmitteleinkäufe, die Schuhe ihrer Kinder, ihren Wochenlohn. Und alle sahen sie so gelangweilt und so zu Hause aus, wie beim Frühstück oder der morgendlichen Geschäftspost.
Evelyn ging weiter, vorbei an einem Casino nach dem anderen, bis sie zu FRANK’S CLUB kam. Er war nicht anders als die anderen, weder glamouröser noch abschreckender. Evelyn hätte geradewegs hineingehen können, quer durch den ganzen Club, und sie wäre genauso wenig aufgefallen wie auf dem Markt oder in einem Kaufhaus. Und fühlte sie sich deplatziert, würde es nicht einmal jemand merken. Da lediglich ihr Wissen, dass Ann Childs hier arbeitete, die Versuchung war, ging Evelyn nicht hinein. Es wäre ihr ebenso zudringlich vorgekommen, wie in Anns Abwesenheit in ihrem Zimmer herumzuschnüffeln. Und nun, da sie ihre Vorstellung, was ein Spielcasino war, verloren hatte, empfand Evelyn die Tatsache, dass Ann in FRANK’S CLUB arbeitete, als Last, die auf ihre ohnehin schon schwankende Stimmung drückte. Sie wandte sich ab, um zu sehen, wo sie eine Tasse Kaffee bekäme, musste aber die Hauptstraße verlassen, bevor sie etwas fand.
Vor elf Uhr hatte Evelyn mehrere Tassen Kaffee getrunken sowie einen Baumwollrock und einen Badeanzug erstanden. Eigentlich hatte sie gar nicht genug Geld, um überhaupt irgendetwas zu kaufen, aber sie wusste nicht, wie sie sonst die Zeit totschlagen sollte. Sie hatte keinen Buchladen finden können, und überall sonst, auf den Straßen und in den Geschäften und in den Cafés, fühlte sie sich, obwohl völlig unbeachtet, verwundbar. Geschäftig, wie sie sich zu geben versuchte, kam sie fünfzehn Minuten zu früh in der Kanzlei des Rechtsanwalts an.
Die Sekretärin war mittleren Alters und übertrieben bemüht. Sie erbot sich, Evelyn die Einkaufstüten abzunehmen, stellte einen Aschenbecher, der sich bereits in Evelyns Reichweite befand, noch näher und schwatzte, als Evelyn eine ihr aufgedrängte Zeitschrift zu lesen angefangen hatte, unaufhörlich weiter wie ein Vogel im Käfig. Evelyn sah auf, ihrem Gesicht den Ausdruck höflichen Interesses verordnend, während sie einer inneren Stimme zu entgegnen erlaubte: »Wenn du nicht bald den Mund hältst, erwürge ich dich und mache Hackfleisch aus dir.«
»Da ist Mr. Williams«, rief die Sekretärin enthusiastisch, als ein kleiner grauhaariger Mann in grauem Anzug die Kanzlei betrat. »Mrs. Hall wartet schon seit zehn Minuten auf Sie.«
Evelyn hatte sich innerlich auf einen Arthur Williams eingestellt, der eher ihrem Zahnarzt gliche – hochgewachsen, kompetent und liebenswürdig. Sie hatte immer Glück gehabt mit den Männern, mit denen sie berufsmäßig zu tun hatte. Arthur Williams war ganz offenkundig eine neue Spezies, und wenn er Evelyn zum Denken Zeit gelassen hätte, hätte sie ihn als Katastrophe registriert. Aber seine Entschuldigung fegte über den Tadel seiner Sekretärin mit derart überwältigender Suada hinweg, dass Evelyn nur verblüfft war. Er war die Karikatur des Gentleman der Südstaaten, dessen angestammte Manieren in dieser Atmosphäre zu fast hysterischen Manierismen verkommen waren. Schwungvoll riss er für Evelyn die Tür zu seinem Büro auf, eilte, kaum war sie eingetreten, an ihr vorbei, um ihr aus der richtigen Position einen Stuhl anbieten und sich am Ende seiner Begrüßungsrede in abschließendem Schnörkel vor ihr verbeugen zu können.
Sobald er jedoch die Szene eingerichtet und sich hinter seinem Schreibtisch niedergelassen hatte, war von der eben gezeigten hektischen Geschäftigkeit keine Spur mehr. Er lächelte Evelyn so freundlich, so gescheit an und sprach mit so ruhiger Stimme, dass ihr erster Eindruck von ihm ihr nun wie eine Sinnestäuschung vorkam.
»Wann sind Sie angekommen?«, fragte er. »Sind Sie gut untergebracht? Mrs. Packer ist eine nette Frau, nicht wahr?«
Und als er sie um ihre Papiere bat, war Evelyns Vertrauen in ihn hergestellt. Er entschuldigte sich nicht für das Schweigen, das einsetzte, als er die Papiere durchzusehen begann, und zum ersten Mal seit ihrer Ankunft fühlte Evelyn sich in der Lage, sich in Gegenwart eines anderen Menschen zu entspannen. Sie hatte nicht einmal das Bedürfnis zu rauchen. Stattdessen sah sie sich in dem Büro um, das behaglich und erlesen eingerichtet war. Auf Arthur Williams’ Schreibtisch standen keine Familienfotos, aber hinter ihm an der Wand hing das gerahmte Porträt eines älteren Mannes in Richterrobe. Er sah dem Mann, der jetzt still las, so ähnlich, dass Evelyn beschloss, er müsse Arthur Williams’ Vater sein.
»Ja«, sagte Arthur William, ohne aufzusehen, dann wieder: »Ja. Jeder Richter würde diese Übereinkunft ohne nähere Erklärung anzweifeln.«
Evelyn enthielt sich einer Stellungnahme.
»Ist dies die Übereinkunft, der Sie zugestimmt haben?«
»Ja.«
»Sie sind im Nachteil, natürlich, da Sie diejenige sind, die die Scheidung will, aber es ist ungewöhnlich für eine Frau, auf ihren Anteil des gemeinsamen Besitzes keinen Anspruch zu erheben.«
»Mein einziges Anliegen«, antwortete Evelyn, »ist, diese Ehe so schnell und so diskret wie möglich zu lösen.«
»Und Ihr Mann verzichtet auf Widerspruch nur unter diesen Bedingungen?«
»Es geht ihm nicht gut«, sagte Evelyn, sich ihres Bedürfnisses, George sogar jetzt zu verteidigen, bewusst. »Er hat Schulden.«
Arthur Williams machte sich eine Notiz. Dann sah er auf und lächelte ermutigend.
»Die Papiere sind in Ordnung. Ich habe schon ein vorläufiges Arrangement mit einem anderen Anwalt getroffen, der Mr. Hall vor Gericht vertreten wird. Ist es richtig, dass Sie das Honorar zahlen wollen?« Evelyn nickte. »Sie werden einen Zeugen brauchen, der bestätigen kann, Sie jeden Tag der kommenden sechs Wochen gesehen zu haben. Ich bin sicher, dass Mrs. Packer das gern für Sie tun wird. Alles, was wir jetzt noch tun müssen ist, die Beweggründe für die Scheidungsklage aufzusetzen.«
»Unverträglichkeit«, sagte Evelyn sofort. »Andere Gründe gibt es nicht.«
»Ja … Nur ist das gegenwärtig nach dem Gesetz in Nevada kein Scheidungsgrund. Seelische Grausamkeit ist der übliche Klagegrund.«
»Das ist doch aber wohl nicht ganz dasselbe?«, fragte Evelyn.
»Eigentlich läuft es auf dasselbe hinaus«, sagte er und wartete.
Vor einer Woche, sogar vor einigen Tagen noch, war Evelyn sicher gewesen, dass Unverträglichkeit der einzige Klagegrund war, dem sie zustimmen würde. Ehebruch, Grausamkeit, sogar böswilliges Verlassen waren Krankheiten, die eine Ehe erleiden, aber auch überleben konnte. Das einzige unheilbare Krebsleiden war die Unfähigkeit zweier Menschen, zusammenzuleben. Und Unverträglichkeit wies, sofern sie überhaupt jemanden beschuldigte, beiden Partnern die Schuld zu. Aber Unverträglichkeit gab es nach dem Gesetz nicht. Und Scheidung war kein privater symbolischer Akt. Wie die Ehe war sie eine gesellschaftliche Institution. Obwohl Evelyn protestieren wollte, erkannte sie die Unerheblichkeit ihrer moralischen Bedenken.