Kitabı oku: «Belon-Austern», sayfa 4

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Kapitel 5

Ewen Kerber kam am nächsten Tag kurz nach acht Uhr ins Kommissariat, sie wollten spätestens um neun Uhr nach Morlaix fahren. Paul Chevrier war bereits in seinem Büro, als Ewen im Kommissariat eintraf. Die Bürotür von Paul stand offen, und Ewen begrüßte seinen Kollegen.

„Ich will mir nur noch schnell die Akte holen, dann können wir losfahren.“

„Ich bin bereit!“, antwortete ihm Paul. Ewen schloss seinen Schreibtisch auf und holte die Akte zu dem aktuellen Fall heraus. Er betrachtete noch einmal die Bilder von der Toten und sah sich die weiteren Fundsachen an. Die Visitenkarten hatte er noch immer in seiner rechten Jackentasche. Gut, dass er nicht so oft sein Jackett wechselte. Gestern Abend hatte er seinen Schreibtisch schon abgeschlossen, als Dustin mit den Karten zu ihm gekommen war. Jetzt nahm er sich ein Blatt Papier und klebte die Karten untereinander darauf, kopierte das Blatt und legte das Original in seine Akte. Die Kopie wollte er Paul geben. In seinem Eingangskorb lagen weitere Gegenstände der Toten. Dustin hatte sie schon am frühen Morgen hineingelegt. Ewen sah sich alles genau an.

Er fand obenauf die Protokolle der Polizisten, von der Befragung auf dem Markt. Ewen überflog die Notizen und stellte fest, dass kein Mensch etwas gesehen haben wollte. Der erste Marktstand lag etwa 200 Meter von der Fundstelle der Leiche entfernt. Da war es durchaus möglich, dass die Aussage zutraf. Das Portemonnaie und die Handtasche lagen auch auf seinem Schreibtisch. In den einzelnen Fächern des Portemonnaies steckten Kreditkarten, der Ausweis und ein Führerschein. Das Bargeld fehlte, was Dustin schon gestern erwähnt hatte.

Aus der Tasche hatte Dustin die Schminkutensilien herausgenommen und in kleine Plastiktüten gepackt. Für Ewen waren die verschiedenen Schlüssel von Bedeutung. Insgesamt gab es drei verschiedene Schlüsselanhänger in der Tasche. Einer davon war einfach zuzuordnen, es handelte sich um einen Fahrzeugschlüssel von einem Renault, vermutlich ein Clio, denn an dem Schlüssel hing ein Schlüsselanhänger mit dem Schriftzug Clio und der Nummer 456.

Auf ihren Namen war kein Wagen zugelassen, daraufhin waren die Autovermieter befragt worden, ob eine Frau Germaine Kerivel einen Mietwagen fuhr.

An den anderen beiden Schlüsselbunden schienen Hausschlüssel hängen. Nur, wieso waren es zwei verschiedene? Ewen nahm beide Schlüssel an sich, sie würden sie in Morlaix brauchen.

Ewen stutzte und sah sich alle Gegenstände nochmals an. Irgendetwas fehlte hier, nur was? Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

Welche junge Frau konnte heute ohne Handy sein? Aber in der Tasche war keins zu finden gewesen. Wo also war das Handy von Germaine Kerivel? Ewen ging zum Telefon und wählte die Nummer von Dustin.

„Ewen hier, Dustin, habt ihr kein Mobiltelefon bei der Leiche gefunden oder in ihrer Tasche?“

„Mobiltelefon? Jetzt wo du danach fragst fällt es mir auch auf, nein, wir haben kein Handy bei ihren Sachen gefunden. Schon etwas seltsam, da hast du recht.“

Ewen legte auf und überlegte, ob das Fehlen des Handys bedeuten konnte, dass die Frau vielleicht überhaupt nicht am Steïr getötet worden war. Daran hatte er bis jetzt keinen Zweifel gehabt. Nichts hatte auf einen anderen Tatort hingewiesen. Die Frau war erwürgt worden, man hätte sie überall erwürgen und ihre Leiche dann an den Steïr bringen können. Wir müssen ihr Handy finden, ging ihm durch den Kopf.

Ewen nahm seine Akte in die Hand und verließ das Büro. Paul Chevrier kam ebenfalls gerade aus seinem Büro, so dass die beiden Kommissare gemeinsam zum Auto gingen und nach Morlaix fuhren.

Ewen steuerte den Wagen zuerst auf die Schnellstraße, in Richtung Brest. Nach ungefähr 23 Kilometern verließen sie die Schnellstraße und fuhren über die N164 nach Pleyben.

Ewen war ein Liebhaber von alten Kapellen und Kirchen, von denen es in der Bretagne unendlich viele gab. Auch die Calvaires hatten es ihm angetan. Er fotografierte sie leidenschaftlich gerne in seiner Freizeit. In Pleyben fuhren sie an der Kirche, mit einem der schönsten Calvaires der Bretagne, vorbei. Wenn er Zeit gehabt hätte, wäre er ausgestiegen. Er hatte ihn bestimmt schon dreimal besucht. Aber immer wieder entdeckte er etwas Neues.

Sie folgten nun der D785, bis kurz vor Morlaix. Als sie bereits kurz vor der Stadt waren, rief Ewen die dortigen Kollegen an und teilte ihnen mit, dass sie gleich zur Wohnung von Germaine Kerivel fahren würden.

Aus der carte d´identitée hatten sie nur den Wohnort entnehmen können, die Adresse hatten sie sich aus dem Melderegister der Stadt beschafft. Die Wohnung von Germaine Kerivel lag in der Rue Laennec, einer Straße im östlichen Teil der Stadt. Als sie vor dem Haus eintrafen, sahen sie bereits das Fahrzeug des Kollegen aus Morlaix, das genau vor dem Haus parkte.

Ewen und Paul stellten ihren Wagen ab und stiegen aus. Sie gingen auf den Kollegen zu.

„Commissaire Kerber? Ich bin Commissaire Jacques Corbel. Ich freue mich, Sie in Morlaix zu begrüßen.

„Ganz meinerseits“, antwortete Ewen und reichte dem Kollegen die Hand.

„Mein Kollege, Paul Chevrier“, stellte er Paul vor.

„Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Letztes Jahr haben Sie doch diesen spektakulären Fall mit den Geldfälschern gelöst. Die Zeitungen sind voll davon gewesen.“

„So spektakulär war der Fall auch nicht“, versuchte Kerber herunterzuspielen. Er mochte nicht gelobt werden.

„Haben Sie einen Schlüssel bei der Toten gefunden?“, fragte Corbel.

„Wir haben mehrere Schlüssel gefunden. Ich habe sie alle mitgebracht, in der Hoffnung, dass einer zur Wohnung passt.“

Die drei Kommissare gingen zum Haus, in dem insgesamt sechs Familien zu wohnen schienen. An dem Briefkasten, in der Mitte der untersten Reihe, stand der Name von Madame Kerivel. Ewen sah sich den ersten Schlüsselbund an und stellte fest, dass an diesem kein Schlüssel für einen Briefkasten hing. Er sah sich den zweiten an, hier sah er einen deutlich kleineren Schlüssel, der zu einem Briefkasten passen konnte. Er nahm den Schlüssel und versuchte den Briefkasten zu öffnen. Die Klappe öffnete sich, und aus dem Kasten fielen fünf Briefe heraus. Ewen fing die Briefe auf und gab sie Monsieur Corbel.

„Mir scheint, dass ich hier den richtigen Schlüsselbund habe. Lasst uns mal in die Wohnung gehen.“

Die Wohnung von Madame Kerivel lag auf der zweiten Etage. Als sie vor der Wohnungstür standen, nahm Ewen den Schlüssel, den er als Wohnungsschlüssel identifiziert hatte, und steckte ihn ins Schloss. Der Schlüssel passte, und die Tür ließ sich leicht öffnen. Die drei Kommissare betraten die Wohnung. Sie vermittelte einen sehr aufgeräumten Eindruck. Alles schien, unberührt zu sein. Nichts deutete darauf hin, dass hier jemand eingebrochen war und nach etwas gesucht hatte. Sie machten sich an die Arbeit, die Wohnung systematisch zu durchsuchen. Ewen hoffte einen Anhaltspunkt zu finden, der ihm weiterhelfen würde.

Die Wohnung hatte eine Küche, ein Schlaf- und Wohnzimmer und ein kleines Büro. Paul durchsuchte die Küche und das Schlafzimmer, während der Kollege Corbel sich das Wohnzimmer vorgenommen hatte. Ewen war ins Büro gegangen, um sich die Papiere der Frau näher anzusehen. Vor allem die Kontoauszüge und der gesamte Schriftverkehr interessierten ihn.

Aus den Kontoauszügen konnte er nun die Beträge entnehmen, die sein Kollege schon bei der Bank ermittelt hatte.

Ewen zog eine Schublade nach der anderen an ihrem Schreibtisch auf und sah sich alles genau an. In der untersten Schublade fand er eine Liste.

1 Brelivet Raymond (Autohändler) St. Malo, 60.000 Juli 2011

2 Maurice Guilvit (Industrieller) Nantes, 60.000 August 2011

3 Yves Le Meur (Barbesitzer und Zuhälter) Quimper, 120.000 Mai 2011

4 Damien Sizun (Banker) Rennes 120.000, Sept. 2012

5 Gilles Coray (Werftbesitzer) Lorient, 180.000, April 2013

6 André Salaun (Austernzüchter) Riec-sur Belon

7 Guy de Moros (Schriftsteller)

Ewen sah sich die Liste an und addierte die genannten Summen. Er kam auf 540.000 Euro. Ewen dachte an die Summen, die Paul ihm genannt hatte. Er hatte ihm doch gesagt, dass der Kontostand 720.000 Euro betrug. Das hieß, dass die letzte Einzahlung von André Salaun stammen musste, wenn er die Liste richtig interpretierte. Er hielt wohl ihre Opferliste in der Hand. Frau Germaine Kerivel hatte die angeführten Personen wohl um die jeweiligen Summen erpresst oder betrogen. Ewen legte die Liste zu der Akte der Toten. Er sah sich weiter in dem kleinen Büro um. In der Ecke hinter der Tür lag ein Laptop in einer Tasche. Ewen nahm den Computer an sich. Die Kollegen sollten den Rechner überprüfen. Vielleicht befänden sich dort nähere Informationen über die Geschäfte der Frau Kerivel. Als Ewen mit dem Zimmer fertig war, ging er zu seinem Kollegen aus Morlaix, in das Wohnzimmer.

„Nun, was gefunden?“, fragte er ihn.

„Nichts Wesentliches, die üblichen Bilderalben, eine kleine Briefmarkensammlung aus der Kindheit, Liebesbriefe von diversen Männern, und einige Perücken lagen in dem Schrank. Die Frau schien ihr Äußeres häufig verändert zu haben. Die Perücken gab es in blond, braun, schwarz und sogar mit rotem Haar.“

„Das passt zu dem, was ich gefunden habe“, sagte Ewen und nahm die Liste aus der Akte. In diesem Moment kam auch Paul ins Wohnzimmer.

„In der Küche habe ich nichts gefunden. Der Kühlschrank ist ziemlich leer, ich schätze, dass sie schon lange nicht mehr in der Wohnung gewesen ist. Auch im Schlafzimmer ist nichts Wesentliches zu finden gewesen. Was habt ihr gefunden?“

„Ich habe eine ganz interessante Liste im Büro entdeckt, und Kollege Corbel hat diverse Perücken gefunden, was ganz gut zu meiner Liste passt.

Seht euch das mal an. Die Frau hat Buch geführt über Männer, mit denen sie wohl intim gewesen sein muss. Die Männer haben ihr hohe Summen gegeben. Auf der Liste sind die Beträge aufgelistet, die du, Paul, gestern von der Bank genannt bekommen hast. Nur hinter dem vorletzten und letzten Namen, dem Monsieur André Salaun und Guy de Moros, stehen keine Summen. Ich gehe davon aus, dass die 180.000 Euro auf dem Einzahlungsschein, den wir gestern gefunden haben, von Monsieur Salaun stammen. Das ist der Betrag, der gestern bei der BNP-Paribas einbezahlt worden ist. Die Summen passen zum Kontostand.“

„Dann könnt ihr ja wohl davon ausgehen, dass die Frau eine Betrügerin gewesen ist und dass der Mörder auf der Liste steht.“ Jacques Corbel sah seine Kollegen aus Quimper an und wartete auf eine Antwort.

Ewen studierte immer noch die Liste. Er war geneigt, seinem Kollegen aus Morlaix zuzustimmen. Sicher war er sich allerdings nicht. Vieles sprach für eine Revanche, nach einer Erpressung oder einem Betrug. Aber aus seiner langjährigen Erfahrung wusste er auch, dass man sehr vorsichtig sein musste mit schnellen Schlussfolgerungen. Häufig steckte noch etwas anderes dahinter.

„Wir werden die Leute alle aufsuchen müssen und sie verhören. Es wird nicht einfach sein, den Mörder zu finden. Falls die Liste wiedergibt, was wir jetzt vermuten, dann haben alle Geprellten ein Motiv.

Ich habe noch den Laptop der Toten gefunden, Sie haben ja nichts dagegen, wenn wir ihn mit nach Quimper nehmen und von unseren Technikern untersuchen lassen?“ Ewen hatte die Worte an seinen Kollegen Corbel gerichtet.

„Nicht im geringsten. Es macht doch Sinn, wenn ihr den PC direkt in Quimper untersucht.“

„Ich danke Ihnen jedenfalls, Monsieur Corbel, für ihre Kooperation und Hilfe. Eigentlich habe ich mir noch die Freunde, Bekannten oder Verwandten ansehen wollen. Wäre es möglich, dass ihr das übernehmt, und falls sich etwas Wichtiges ergibt, uns die Information übermittelt?“

„Das ist kein Problem, machen wir gerne!“, antwortete Kommissar Corbel.

„Wir machen uns dann wieder auf den Weg, zurück nach Quimper.“

„Noch einen Augenblick, liebe Kollegen, sollten wir uns nicht noch schnell die letzte Post ansehen?“

„Natürlich, das hatte ich schon ganz vergessen.“

Corbel nahm die Briefe zur Hand und sah sich die Absender an. Zwei Briefe waren Rechnungen von der EDF und von der GDF. Ein Brief enthielt einen Kontoauszug von der BNP Paribas, ein weiterer enthielt ein Angebot, für ein kostenloses Wochenende in den Vogesen, wenn man das Glück hatte, nach dem Kauf einer neuen Bettdecke, der glückliche Gewinner der stattfindenden Tombola zu sein. Der fünfte Brief kam aus Australien und trug als Absender den Namen, Maurice Fillancourt.

Corbel öffnete den Brief und las ihn kurz durch.

„Mir scheint, wir haben hier den Namen ihres wirklichen Freundes. Der Monsieur Fillancourt schreibt, dass er jetzt die richtige Farm gefunden hat, und dass sie jetzt nur noch das Geld zum Kauf benötigen. Der Verkäufer ist bereit, noch drei Monate mit dem Verkauf zu warten. Er fragt Germaine, ob sie es schaffen kann, das Geld in vier Wochen zusammenzuhaben.“

„Das ist ja sehr interessant. Das Pärchen hat das ergaunerte Geld nutzen wollen, um sich eine Existenz in Australien aufzubauen? Weit weg von dem Ort der Betrügereien. Besten Dank, Monsieur Corbel, wir haben einen großen Schritt nach vorne gemacht.“

Ewen und Paul verabschiedeten sich nochmals, verließen die Wohnung und schlossen die Tür ab. Kommissar Corbel brachte ein Siegel an, so konnte in der Wohnung nichts verändert werden.

Auf der Fahrt nach Quimper war Ewen sehr still. Paul hatte den Eindruck, dass sein Kollege mit seinen Gedanken weit entfernt war. Dann, sie waren schon seit fast einer halben Stunde unterwegs, begann Ewen zu sprechen.

„Wenn einer von den Männern der Liste der Mörder ist, dann geht es bei dieser Tat doch um Rache. Rache wofür? Durch den Tod der Frau bekommt keiner der Männer sein Geld zurück. Meine Fragen sind also:

Erstens, hat die Frau das Geld erpresst?

Zweitens, hat sie das Geld von den Männern geschenkt bekommen?

Oder drittens, hat man ihr das Geld geliehen?

Wenn man ihr das Geld geschenkt hat, gibt es keinen Grund sie zu töten, es sei denn, aus Enttäuschung, weil sie den jeweiligen Mann verlassen hat. Also aus Rache für das Verlassen.

Wenn sie das Geld erpresst hat, dann macht der Mord nur einen Sinn, wenn der Erpresste damit weiteren Zahlungen aus dem Weg gehen kann. Das setzt aber voraus, dass sie ihn erneut erpresst hat. Wir haben aber, jeweils nur eine Einzahlung der jeweiligen Männer. Wenn man ihr das Geld geliehen hat, dann macht der Mord gar keinen Sinn. Wie soll der Mörder wieder an sein Geld kommen, nachdem die Frau tot ist? Wir sollten über andere Motive nachdenken.“

Paul hatte Ewen bei seinen Ausführungen nicht mit Zwischenfragen gestört. Ihm erschienen die Überlegungen durchaus sinnvoll. Aber was gab es an weiteren Motiven?

„An welches andere Motiv denkst du?“, fragte Paul Ewen.

„Ein Verehrer, der die Frau nicht bekommt und sie auch keinem anderen gönnt, ein Familienstreit, eine Affekthandlung, eine Verwechslung, es gibt noch viele Möglichkeiten. Wir müssen mehr über ihr Leben erfahren und über ihr Umfeld. Was hat sie gemacht? Wo war sie in den letzten Tagen vor der Ermordung? Mit wem hat sie zusammengelebt, oder ist sie Single gewesen? “

Ewen warf einen kurzen Blick in den Spiegel, bevor er von der Voie Express abbog.

„Mir scheint, dass wir eine Menge Arbeit vor uns haben. Da sitzt man in der Provinz, von der gesagt wird, dass das Leben hier ruhig fließt und hat dann mehr Morde aufzuklären, als in der Großstadt.“

„Na ja Paul, so schlimm ist es in Quimper nun auch nicht. Seit dem Mord, an den vier Vergewaltigern vor drei Jahren und an dem Geheimagenten im letzten Jahr, der diesen Geldfälschern auf der Spur gewesen ist, hat es bei uns doch keinen Mord mehr gegeben. Der letzte Fall, der dann doch kein Mord gewesen ist, liegt doch auch schon einige Monate zurück.“

„Du hast ja Recht, Ewen, aber ich habe manchmal den Eindruck, dass die Straftaten dramatisch zunehmen. Vor etlichen Jahren ist doch ein Mord etwas Besonderes gewesen. Heute gehört er schon zu den täglichen Nachrichten. An jedem Tag erscheint in dem Ouest France ein Artikel über einen Mord in der Bretagne. Früher sind es doch eher die großen Städte, Paris oder Marseille gewesen, wenn man von solchen Verbrechen gehört hat.“

„Willkommen in der Neuzeit, kann ich da nur sagen!“

Ewen steuerte den Wagen auf den Hof des Kommissariats und stellte den Motor ab. Die beiden Kommissare stiegen aus und gingen in ihr Büro.

„Wie wollen wir mit der Überprüfung der Liste vorgehen? Wir können die Kollegen in Rennes, Lorient, Saint-Malo, Nantes usw. bitten, die Befragungen durchzuführen, aber ich bin der Meinung, dass es immer besser ist, die Informationen aus erster Hand zu bekommen. Nourilly wird aber bestimmt nicht erfreut sein, wenn wir ihm sagen, dass wir durch den ganzen Osten der Bretagne fahren müssen, um die Liste unserer Verdächtigen abzuarbeiten.“ Paul sah Ewen mit einem Grinsen an.

„Da könntest du Recht haben. Ich sehe auch, dass es besser wäre, wenn wir die Befragungen selber durchführen könnten, aber wir werden es zeitlich nicht schaffen. Wir fangen erst einmal bei uns in der Gegend an. Es ist ja durchaus möglich, dass der Mörder von hier stammt, denn die Tat hat hier stattgefunden. Danach sehen wir weiter. Jedenfalls hat sich die Fahrt nach Morlaix gelohnt. Diese Liste bringt uns ein Stück weiter.“

Ewen zog die Liste aus der Akte und überlegte bereits, wen sie als erstes befragen sollten.

„Wir sollten uns zuerst diesen Le Meur vornehmen, am besten gleich morgen früh. Danach können wir nach Riec-sur-Belon zu diesem Austernzüchter Salaun und nach Loctudy zu dem Schriftsteller Guy de Moros, fahren. Der de Moros steht zwar nicht mit einer Geldsumme auf der Liste, aber vielleicht gehört er in die Kategorie enttäuschter Liebhaber. Als letzten würde ich dann den Werftbesitzer Gilles Coray, in Lorient, sprechen wollen. Ich bringe nur schnell noch den Laptop zur Kriminaltechnik, dann können sie ihn schon untersuchen.

Kapitel 6

André Salaun war in großer Sorge. Was war mit Patricia passiert?

Vor zwei Tagen hatte er ihr das Geld gegeben, um das sie ihn nicht bitten wollte, vielmehr musste er es ihr aufdrängen. Danach war sie weggefahren und wollte diesen Kredithai treffen und ihm das geschuldete Geld zurückzahlen. Das war das letzte Mal, dass er Patricia gesehen hatte. Als sie am Abend nicht nach Hause kam, machte er sich zwar Sorgen, aber dann sagte er sich, dass sie vielleicht einfach in Nantes, bei ihren Eltern, übernachtete. Schließlich hatte sie dort ja Familie und Freunde.

Er hatte versucht, sie über ihr Mobiltelefon zu erreichen, aber ihr Handy war ausgeschaltet. Am nächsten Morgen war er nach Quimper und Concarneau gefahren, um Austern auszuliefern. Er war am frühen Nachmittag wieder zuhause, aber Patricia war immer noch nicht zurück. Er wartete noch bis zum nächsten Morgen und beschloss dann, sich an die Polizei zu wenden und sie als vermisst zu melden.

André Salaun fuhr die wenigen Kilometer nach Pont Aven, in die Rue Emile Bernard und betrat die Gendarmerie Nationale.

An der Pforte verwies man ihn an den Gendarmen, Claude Ylian. André betrat das Zimmer von Ylian.

„Bin ich bei Ihnen richtig? Ich möchte eine Vermisstenanzeige aufgeben!“ André sah den Gendarmen an.

„Da sind Sie richtig. Bitte setzen Sie sich doch. Wer wird denn vermisst?“

„Meine zukünftige Frau ist seit vorgestern Morgen nicht mehr nach Hause gekommen. Sie wollte nach Nantes fahren, um eine Angelegenheit mit einem Kredithai zu beenden, ich habe ihr das Geld dafür gegeben. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen. Sie hat ihr Handy entweder ausgeschaltet oder verloren, jedenfalls ist sie nicht zu erreichen. Wir wohnen jetzt schon seit drei Monaten zusammen, und so etwas ist noch nie vorgekommen, sie ist immer erreichbar gewesen oder hat sich spätestens nach ein paar Stunden gemeldet.“

„Stopp, stopp, immer schön der Reihe nach. Zuerst einmal brauche ich Ihren Namen, dann muss ich wissen, wie ihre Verlobte heißt.“

„Ich heiße André Salaun. Meine zukünftige Frau heißt Patricia Faucon, sie stammt aus Nantes“, antwortete André.

„Geburtsdatum?“

„Hmmm, da bin ich mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, es ist der 19.09.1985.“

„Sie sind sich nicht sicher? Okay! Sie hat bei Ihnen gewohnt?“

„Ja, seit drei Monaten wohnt sie bei mir, in Riec-sur Belon.“

„Können Sie mir ihre genaue Adresse sagen?“

„Wir wohnen in der Rue Saint-Léger, aber was soll die ganze Fragerei nach Adresse und Geburtsdatum. Sie sollten nach ihr suchen! Sie ist schon seit zwei Tagen verschwunden.“

„Monsieur Salaun, zuerst müssen wir einmal die Formalitäten erledigen. Sie können mir glauben, das hat alles einen Sinn. Jetzt beschreiben Sie mir doch mal die Kleidung, die ihre Verlobte getragen hat, als Sie sie zum letzten Mal gesehen haben.“

„Also, sie trug Jeans, eine weiße Bluse und einen kleinen Pullover.“

„Einen kleinen Pullover?“

„Nun ja, so einen Pullover, der zu kurz gestrickt worden ist, oder wie sagen Sie zu diesen komischen Dingern?“

„Welche Farbe hatte der kurze Pullover?“

„Schwarz, ich meine schwarz, aber jetzt suchen Sie sie endlich, anstatt mir tausend Fragen zu stellen. Ich habe Ihnen ein Bild mitgebracht, das dürfte doch einfacher sein.“

André Salaun zog ein Bild von Patricia aus seiner Jackentasche und legte es auf den Schreibtisch des Gendarmen Ylian.

Claude Ylian betrachtete das Bild und konnte feststellen, dass die Frau verdammt gut aussah. Er hielt noch immer das Bild in der Hand, als die Tür zu seinem Büro aufging und sein Kollege, Marc Marson, das Zimmer betrat.

„Guten Tag Monsieur!“, begrüßte er André Salaun.

„Claude, wir haben gerade, aus Quimper eine Suchmeldung nach einem verschwundenen Auto bekommen. Ein Renault Clio wird gesucht. Die Kollegen haben einen Schlüsselanhänger, mit den Ziffern 456, gefunden. “

André Salaun zuckte zusammen, als der Gendarm Marson den Schlüsselanhänger, mit den drei Ziffern 456, und einen Renault Clio erwähnte.

„Meine vermisste Verlobte fährt meinen Renault Clio, ich habe ihr meinen Zweitwagen gegeben. Der hat als Zulassungsnummer die 456 ALRS 29, Ich habe auf den Anhänger die Nummer 456 geschrieben.“

„Heißt Ihre Verlobte, Germaine Kerivel?“ Marson sah Salaun fragend an.

„Nein, meine Verlobte heißt Patricia Faucon.“

„Hmmm, sie kommt nicht zufällig aus Morlaix?“, fragte Marson weiter.

„Nein, sie stammt aus Nantes. Sie wollte auch vorgestern dorthin fahren und eine Schuld begleichen.“

„Können Sie mir nochmals das Kennzeichen ihres Wagens nennen?“

„456 ALRS 29, es handelt sich um einen roten Renault Clio.“

Marson dachte schnell nach. Wenn die verschwundene Frau dieses Herrn Salaun identisch mit der toten Germaine Kerivel war, hätten sie die komplette Autonummer für die Suche nach dem Wagen. Damit war es deutlich einfacher, das Fahrzeug zu finden. Jetzt schaltete Claude Ylian sich wieder in das Gespräch ein.

„Marc, Monsieur Salaun hat gerade eine Vermisstenmeldung aufgegeben. Wir sollten die Kollegen in Quimper informieren, dass der eventuelle Wagenhalter hier bei uns eine Vermisstenanzeige aufgegeben hat. Die beiden Fälle könnten zusammenhängen.“

Marc Marson nickte und wollte sofort mit Quimper telefonieren. Zu Salaun gewandt sagte er noch:

„Bleiben Sie bitte noch einige Minuten hier, bis wir das mit dem Auto geklärt haben.“

Marson verließ das Büro und telefonierte aus seinem Büro mit dem Kommissariat in Quimper. Seit dem Fall mit den Morden an der Küste und der Geschichte mit den Geldfälschern hatte er die Nummer der Mordkommission von Quimper immer neben dem Telefon liegen.

„Ewen Kerber“, meldete sich der Kommissar am anderen Ende der Leitung.

„Monsieur Kerber, hier ist Gendarm Marson, aus Pont Aven. Sie können sich bestimmt noch an mich erinnern.“

„Aber sicher, was kann ich für Sie tun?“

„Ich hoffe, dass wir hier etwas für Sie tun können. Wir haben diese Suchmeldung nach dem Renault Clio erhalten, der die Ziffern 456 im Kennzeichen hat. Bei uns sitzt gerade ein Monsieur Salaun, der eine Vermisstenanzeige aufgegeben hat, und der uns jetzt gesagt hat, dass er einen Schlüsselanhänger mit den Ziffern 456 besitzt. Es handelt sich dabei um einen roten Renault Clio. Ich habe gedacht, dass diese Information für Sie wichtig sein könnte.“

„Und ob das für uns wichtig ist. Können Sie Monsieur Salaun sagen, dass er auf uns warten soll, wir kommen sofort nach Pont Aven.“ Ewen Kerber legte auf.

Marc Marson war sichtlich zufrieden, dass seine Information von Bedeutung für die police judiciaire war. Er ging ins Büro von Ylian zurück.

„Monsieur Salaun, die police judiciaire aus Quimper möchte unbedingt sofort mit Ihnen sprechen. Die Herren sind in wenigen Minuten hier. Wenn Sie sich so lange gedulden würden?“

„Ich habe zu arbeiten, meine Herren. Ich bin kein Beamter, der sein Geld von Papa Staat erhält und dadurch endlos Zeit hat. Außerdem, wann beginnen Sie mit der Suche nach meiner Verlobten?“

„Ich gebe die Suchmeldung sofort heraus, Monsieur Salaun. Alle Gendarmerien erhalten in wenigen Minuten die Suchmeldung von uns.“

„Also gut, ich warte dann noch einige Minuten auf die Herren.“ Ylian führte Salaun aus dem Büro und bat ihn, im Flur, auf einem der Besucherstühle, Platz zu nehmen.

Ewen Kerber und Paul Chevrier machten sich sofort auf den Weg nach Pont Aven.

Interessant war für Ewen nicht nur, dass der Mann, der gerade eine Vermisstenanzeige aufgegeben hat, einen Schlüsselanhänger mit der Nummer 456 besaß, wesentlich wichtiger war die Tatsache, dass sein Name auf der Liste von Germaine Kerivel stand. Hinter seinem Namen stand kein Betrag. Vielleicht stammte Germaine Kerivels letzte Einzahlung, bei der Bank BNP Paribas, ja von diesem Herrn Salaun. Das war ja bereits seine Vermutung gewesen. Eine entsprechende Aussage würde die Ermittlungen erheblich vorantreiben.

Die Fahrt über die Voie Express nach Pont Aven dauerte nicht lange. Nach etwas mehr als einer halben Stunde waren die Kommissare an der Gendarmerie in Pont Aven angekommen.

Zuständig für die Region um Pont Aven war zwar die police judiciaire von Quimperlé, aber Ewen nahm an, dass es mit seinem Kollegen dort keine Probleme geben würde. Der stand kurz vor seiner Pensionierung wegen einer Herzerkrankung. Seine Fehlzeiten waren inzwischen ziemlich angewachsen, und in den vergangen Jahre war es des Öfteren nötig gewesen einige seiner Fälle zu übernehmen.

Kerber und Chevrier betraten das Kommissariat und erblickten sofort den Mann, der im Gang unruhig auf- und abging.

„Monsieur Salaun, nehme ich an?“ Ewen reichte ihm die Hand zur Begrüßung.

„André Salaun, Bonjour Monsieur le Commissaire, ich warte schon eine ganze Weile auf Sie. Ich muss langsam wieder meiner Arbeit nachgehen. Meine Kunden warten auf meine Austern.“

„Es wird nicht sehr lange dauern, Monsieur Salaun. Kommen Sie, wir setzen uns in ein freies Zimmer.“

Ewen klopfte an die Tür zu Marsons Büro und trat ein.

„Bonjour, Monsieur le Commissaire, ich freue mich, Sie wieder einmal hier in Pont Aven zu sehen.“

„Bonjour, Monsieur Marson. Wir benötigen ein Zimmer, um uns mit Monsieur Salaun ungestört unterhalten zu können. Ich nehme an, dass es hier so etwas gibt.“

Ewen war nicht auf den üblichen small talk eingegangen, sondern gleich zur Sache gekommen.

„Natürlich, kommen Sie, ich begleite Sie dorthin.“

Marson ging voraus, und Paul und Salaun folgten Ewen. Sie betraten ein kleines Büro, in dem ein Tisch und vier Stühle standen. Ewen bedankte sich bei Marson und zeigte auf einen Stuhl, als er sich André Salaun zuwandte.

„Nehmen Sie doch bitte Platz. Also, wenn wir das richtig mitbekommen haben, dann vermissen Sie ihre Verlobte. Die Frau ist mit ihrem roten Renault Clio gefahren und der hat das Kennzeichen 456 ALRS 29. Der Schlüsselanhänger hat die Ziffern 456.“

„Und den Schriftzug Clio“, fügte Salaun hinzu.

„Richtig, diesen Schlüsselanhänger haben wir in der Tasche eines Mordopfers gefunden. Bei dem Opfer handelt es sich um eine Frau, Germaine Kerivel aus Morlaix.“

„Das mit dem Schlüssel stimmt, aber meine Verlobte heißt nicht Kerivel, sondern Faucon und nicht Germaine, sondern Patricia.“

Ewen Kerber öffnete seine Aktentasche und entnahm ihr eine Akte. Er schlug die Akte auf, entnahm ihr das Bild der toten Frau und legte es vor André Salaun auf den Tisch.

„Kennen Sie diese Frau?“, fragte er Salaun.

Der Gesichtsausdruck von André Salaun schien zu erstarren. Sein Mund öffnete sich vor Schreck, und er nickte, ohne einen Ton zu sagen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich wieder gefangen hatte.

„Das ist Patricia, das ist meine Verlobte. Wer hat ihr das angetan? Ich bringe ihn um! Den bringe ich um!“ André Salaun hatte die letzten Worte hinausgeschrien.

„Monsieur Salaun, ich kann Sie sehr gut verstehen, wir wissen noch nicht, wer dafür verantwortlich ist, aber wir werden den Täter finden, ganz sicher finden wir ihn. Das verspreche ich Ihnen.“

Ewen Kerber war sich sehr wohl bewusst, dass es möglich war, dass der Täter ihm gegenüber saß. Das Erstaunen, das Salaun an den Tag legte, als er das Foto der Toten gesehen hatte, schien allerdings echt gewesen zu sein.

„Wer macht nur so etwas, sie hat doch niemandem etwas getan.“ Salaun beruhigte sich nur sehr langsam.

„Monsieur Salaun, wann haben Sie ihre Verlobte zum letzten Mal gesehen?“

„Das ist vorgestern Morgen gewesen. Ich bin zeitig zur Bank gegangen, um ihr Geld geben zu können, damit sie einen Kredithai loswerden konnte. Der hat ihr mit einer Gefängnisstrafe gedroht. Danach habe ich verschiedene Kunden mit meinen Austern beliefert. Sie können das gerne überprüfen. Die letzten Austern habe ich so gegen 16 Uhr ausgeliefert. Anschließend bin ich nach Hause gefahren und habe auf Patricia gewartet.

Ich kenne die Strecke nach Nantes und weiß, dass man mindestens zwei Stunden dorthin braucht. Da ihre Eltern in Nantes wohnen, wollte sie eine Nacht dort verbringen. Ich bin etwas verwundert gewesen, dass sie sich nicht telefonisch gemeldet hat, aber ich habe nicht weiter darüber nachgedacht. Als ich am nächsten Tag immer noch nichts von ihr gehört habe und ihr Handy ausgeschaltet gewesen ist, bin ich unruhig geworden. Heute Morgen bin ich dann hierher gekommen.“

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