Kitabı oku: «Fleshly Transmission», sayfa 7

Yazı tipi:

15. Hedonismus als Lebensphilosophie

Ein durchdringendes Rot erfüllte den ganzen Raum.

An den ebenfalls roten Wänden waren lauter schwarze Schlingen von Dornenranken abgebildet. Merkwürdige Tapete. Das große Bett stand in der Mitte des Raumes und Turel lag erschöpft darauf, auf ihm saß Sandy, deren langes, blondes Haar ebenfalls rot schimmerte. Kurvig und kurz davor, als etwas „dick“ zu gelten, saß sie auf Turels Schoß. Neben ihm auf dem Bett saß Betti, ihr schwarzes Haar – das im roten Licht nur umso schwärzer schien – auf dem Kopf zu einem Zopf gebunden, trotzdem fiel es lang und in Strähnen über ihre Schultern. Sie kompensierte ihre durchschnittlich großen Brüste, indem sie sich in ein schwarzes Korsett geschnürt hatte, das ihre Brüste beträchtlich hob. Auf der anderen Seite saß Vanessa, deren braunes Haar fast ebenso schwarz in dem roten Licht wirkte. Sie musste neu sein, denn sie machte auf Turel einen unsicheren Eindruck. Vielleicht schüchterten sie aber auch nur Turels zahlreiche Narben ein.

Gleich gefallenem Laub lagen lauter Scheine herum, auf denen sie teilweise saßen oder lagen. Einige lagen auch auf den Boden.

„Ich wusste gar nicht, dass man ohne Eier noch ficken kann“, meinte Sandy, noch immer auf ihm thronend. Er hatte das Gefühl, dass das Rotlicht Narben eher hervorhob, statt sie zu verschleiern. Er konnte die winzigen Narben um seine Fingerspitzen sehen und die schmalen Narben unter Sandys Brustimplantaten.

„Wusstest du nicht?“, fragte Betti und zog ihre schmalen Augenbrauen hoch.

„Der Schwellkörper funktioniert noch“, meinte Turel. „Die Hoden produzieren nur die Samen, die Flüssigkeit stammt größtenteils aus der Prostata … ich habe das Gefühl, dass ich mich wiederhole“, meinte er mit ausgebreiteten Armen entspannt unter Sandy liegend, die ihn auf angenehme Art beschwerte.

Flüchtig sah Sandy zur Uhr hinüber, die links vom Bett an der Dornenrankentapete hing. Langgezogene, schmale Ziffern. Dünne Zeiger. „Du hast noch Zeit“, meinte sie und strich sich eine Strähne zur Seite. Betti ließ sich lasziv neben Turel nieder, legte einen seiner Arme um ihren Nacken und hielt seine Hand mit ihren Händen fest: „Können wir vielleicht noch irgendwas für dich tun?“

„Vielleicht möchte er auch einfach was loswerden?“, meinte plötzlich Mai, eine lange, geradezu hohe Asiatin mit einem eleganten Schwanenhals, deren schwarzes, glänzendes Haar gerade mal bis zu den Wangenknochen reichte. Turels Kopf lag auf ihren Oberschenkeln und an ihren Füßen hingen schwarze Schuhe mit Absätzen, die als Mordwaffe hervorragend geeignet wären. Bisher hatte sie kaum was getan, außer, dass sie mit ihren langen Beinen als Kissen herhielt, Turels Kopf tätschelte oder Sandy küsste.

„Vielleicht, was mit ihm passiert ist?“, fragte Betti und steckte einen Finger mit langem, lackiertem Nagel durch das Loch in Turels Hand und zog ihn langsam wieder hinaus. Einen Moment hatte sie tatsächlich Angst festzustecken.

„Tja, ich wurde genagelt“, meinte Turel und versuchte, nicht das harte Holzkreuz in seinem verwundeten Rücken zu spüren, wobei die vielen kleinen Wunden schon verheilt waren und er auf einem weichen Bett und Geldscheinen lag. Noch immer in Sandy steckend, wenn auch vorübergehend erschlafft.

„Erzähl uns doch, wer dir so was angetan hat“, meinte Sandy lasziv und fuhr mit dem Zeigefingern die Narben in Turels Gesicht nach. Als ihre Finger mit den langen Fingernägeln über seine Augen fuhren, die er rechtzeitig geschlossen hatte, versuchte er sich klar zu machen, dass es zwei weiche Finger waren und keine scharfen Klingen aus Metall.

„Sagt mal“, begann Turel, „ich habe euch doch bestimmt genug Geld gegeben, dass ihr ehrlich zu mir sein könnt. Meine Narben erzählen auch weit mehr darüber, was mir passiert ist, als alle Worte. Also, sagt mir: Findet ihr nicht auch, dass ich nach all dem Leiden mehr verdiene? Würdet ihr nach so etwas euch jeden Tag zur Arbeit schleppen wollen? Wenn der deutsche Steuerzahler auch nur einen Dreck darauf gibt, dass es Flüchtlingen oder KZ-Opfern gut geht, wenn der Charakter völlig uninteressant ist und es des Menschen Pflicht ist, den Gepeinigten und Zerschundenen zu helfen, wenn sie Jesus verehren, weil er für uns litt, dann können sie alle doch auch für mich aufkommen, oder etwa nicht?“

Schweigen. Keine sagte etwas. Alle schienen sie unschlüssig darüber, ob sie auf so etwas Heikles antworten sollten. Ob es nun das Geld war oder ihre Meinung. Betti ergriff als Erste das Wort: „Natürlich hast du es dir verdient, etwas ‚Besseres‘ zu sein.“

„Äh … ja. Sehe ich auch so“, meinte Sandy, wobei Turel sich recht klar darüber war, dass sie nicht mal die Frage verstanden hatte.

Turel legte den Kopf in den Nacken und sah zur hohen Mai auf. „Was ist mit dir? Was denkst du darüber? Habe ich alles Gute verdient, oder sollte ich wieder arbeiten müssen wie alle andern?“

Sie sah aus ihren schmalen Augen, mit dem ebenso schmalen, dunklen Lidschatten, auf Turel hinüber. Er konnte nichts in ihren Augen lesen, wobei sie ihn doch genau musterte. „Du hast Erlösung verdient“, meinte sie schließlich und streichelte seinen Schädel.

„Gott kann grausam sein“, meinte Betti. „Doch manchmal gewährt er auch Erlösung.“

Turel lachte erschöpft. „Erlösung ist ein gutes Stichwort. Genau das ist es, was ich will. Erlösung von den Pflichten. Ich habe genug gelitten für Tausend Jahre. Du erfährst Erlösung in jedem Stück Schokolade, in jedem Getränk, im Spiel, in der Kunst, im Sex, wo auch immer. Aber von Gott wirst du sicher keine bekommen“, meinte Turel. „Ich meine, Flüchtlingen wird zumindest offiziell Erlösung gewährt aufgrund ihres Schicksals. KZ-Opfern wird gedacht. Wenn all diese Gutmenschen also keine Heuchler sind, dann werden sie auch mir die gleiche Erlösung gewähren“, meinte Turel, und obwohl er inzwischen wund war, glaubte er, dass er für einen letzten Ritt für heute breit war.

„Was sagt die Zeit?“, fragte er schließlich.

„Ist noch immer welche da“, meinte diesmal Mai.

„Dann runter von mir, Sandy, Betti ist jetzt dran.“

Der Hedonismus hat endgültig alles mutiert. Essen ist nicht länger dazu da, den Körper mit Energie zu versorgen. Trinken füllt nicht mehr die Vakuolen auf. Schlaf ist nur noch ein Zeitvertreib. Sex nicht mehr zur Zeugung. Alles diente nur noch dem Vergnügen. Hedonismus als Lebensphilosophie.

16. Die Wahrheit über Schulden

Turel saß auf dem Stuhl in seiner Wohnung herum und schaute auf den offenen Balkon hinaus, vor dem das schönste Wetter herrschte. Alles leuchtete irgendwie sandfarben, von der Sonne beschienen, blauer, durchgehender Himmel. Er überlegte, ob er hinausgehen sollte? Einen Spaziergang machen. Irgendwohin, denn gerade war eines dieser Löcher, in denen nichts los war.

Das Klingeln an der Wohnungstür nahm ihm die Entscheidung ab. Turel stand auf, vollständig angezogen in seiner Krokodillederkleidung, um hinauszugehen; doch eben war er sich noch unsicher gewesen. Nun ging er zur Tür, öffnete gerade heraus und vor ihm stand plötzlich ein vergleichsweise wütend wirkender Louis Mingzi in einer schwarzen Lederjacke.

„Was sollte die Scheiße! Warum warst du gestern nicht da?!“, rief er Turel wütend entgegen.

Turel ließ einen Moment verstreichen, bevor er sich entschloss, etwas zu sagen: „Ach, komm schon. Die Scheiße stank doch nach einer Falle“, meinte er gleichgültig.

„Das war keine beschissene Falle! Das war ein scheiß geplanter Überfall und du warst nicht da! Ich habe mir gestern die Beine in den Bauch gestanden. Zwei geschlagene Stunden stand ich da draußen. Wo verdammt bist du gewesen?“

„Ich glaube, da war ich gerade in einem Bordell.“

„Was?!“

„Du kennst doch diesen Laden mit der dicken Puffmutter. Ist wirklich toll dort. Ich kenne sie von früher und …“

Mingzi konnte es nicht fassen. Er hatte sich wirklich vollständig auf Turel verlassen und der war, statt ihm bei dem Überfall zu helfen, für den er ihn obendrein bereits bezahlt hatte, lieber in irgendeinen Puff gegangen.

„Scheiße!“, schrie Mingzi, sprang sogar ein wenig auf, da er nicht gerade der Größte war. „Ich habe mich auf dich verlassen! Ich habe dir einen Haufen Geld im Voraus gegeben, was hast du damit angestellt?“

„Ich sag doch, ich war im Puff.“

„Was?! Scheiße, warum machst du das?! Warum?! Man, ich habe mich voll und ganz auf dich verlassen! Das hätte alles super geklappt, aber du …“, er wusste plötzlich vor lauter Rage nicht, was er sagen wollte, außer einfach irgendwas möglichst wütend und enttäuscht rauszuballern.

„Was?“, fragte Turel kalt. „Du hast mir die Fingernägel rausgerissen. Mir die Hoden abgeschnitten. Da denkst du, dass ich dir helfe?“

„Ich habe dir einen Haufen Geld dafür gegeben!“

„Damit wächst mein Hoden nicht wieder an“, meinte Turel, die Rechte in der Tasche, in der er mit dem zugeklappten Messer spielte. „Ist das alles, was du willst? Ich bin nämlich nicht in Stimmung, mich von dir anschreien zu lassen. Außerdem tut mein Penis weh, also wenn du die Güte hättest wieder Leine zu ziehen?“

Turels ruhige Abgeklärtheit brachte Mingzi wieder runter. Er kratzte sich im Nacken: „Ich bin eigentlich hier, weil Flitzwitz dich sprechen will.“

Es kam Turel so vor, als bemerke er das erste Mal die zwei goldenen Ringe, die am Rande von Mingzis Augenbraue saßen. Hatte er die Piercings damals schon? Vermutlich.

„Hörst du mir überhaupt zu?“

„Ja. Flitzwitz will wieder irgendwas.“

„Also wenn du die Güte hättest mitzukommen, damit dieser Mist endlich mal geklärt wird?“

Turel wog ab. „Also gut, wenn ihr dann Ruhe gebt“, er trat zu Mingzi hinaus, schloss die Tür ab und steckte den Schlüssel ein. Folgte Mingzi die dunkle Treppe hinunter: „Ach so, kann das sein, dass du mit einer Mai verwandt bist?“, fragte Turel im Hinuntergehen.

„Ja, warum?“

„Wusstest du schon, dass die im Puff arbeitet?“

„Ja, das habe ich schon mal gehört“, meinte Mingzi seine Wut unterdrückend.

„Die war verdammt gut, wirklich. Muss die nettere von euch beiden sein. Deine große Schwester, oder? Die kommt mir irgendwie älter vor als du.“

„Das kann schon sein.“

Mingzi hob die groben Lamellen aus durchsichtigem Gummi ein wenig, damit Turel eintreten konnte. Die weißen Neonröhren warfen ihr bleiches, kaltes Licht auf den ausgeflippten Raum, in dem an einzelnen Haken Schweinehälften hingen, groß und schwer und rot. Ganz weit hinten, halb von einer einzelnen Hälfte verdeckt, konnte er die aus dem Traum sehen. Die, aus der die rosaroten Gedärme hingen, mit dem unförmigen Kopf und dem Maul voller Katzenzähne, die, die ruhig vor sich hin atmete.

Ihn erwarteten zwei Figuren. Einmal stand da ein extrem ärgerlich aussehender Herr Flitzwitz, wie immer im beigen Anzug und mit Brille. Nervös stand er da, die Hände in die Hüften gestemmt, mit einem Fuß auf den Boden klopfend. Als Turel eintrat, hörte er damit auf. Und dann sah Turel noch Dennis Dorl mit seinem kahlrasierten Kopf, dem kantigen Gesicht und dem wuscheligen Vollbart. Er trug eine alte, lederne Fleischerschürze und schwarze Gummihandschuhe, die bis zu den Ellenbogen reichten. In der Rechten hielt er eine große Gerber-Machete, deren Spitze zu einem merkwürdigen Haken geformt war. Er stand mit schlaff herunterhängenden Armen da. Ein kleiner Rollwagen stand daneben, auf dem ein Schweinekopf lag, mit einem kleinen Loch eines Schlachtschussapparats in der Stirn. Er schaute Turel recht mild an.

Turel warf einen Blick über die Schulter, wo Mingzi nun breitbeinig und mit vor dem Schritt verschränkten Armen stand. Das Lammellentor blockierend, den Kopf in den Nacken gelegt, grinste ihn der blonde Chinese breit an. Turel, beide Hände in den Taschen, die Rechte bereits wieder mit dem zugeklappten Messer spielend, trat einen Schritt vor.

„Also, du bist hergekommen, ich nehme an, du weißt, was ich von dir erwarte, Turel?“, fragte Herr Flitzwitz nun ernst.

„Ich habe nicht den blassesten Schimmer“, meinte Turel provokativ ernst.

„Du hast nicht den blassesten Schimmer?“, fragte Herr Flitzwitz, die Stirn gerunzelt. „Meinst du das jetzt wirklich ernst?“

„Ganz recht“, bestätigte Turel.

Herr Flitzwitz lachte, ging rasch zu Dennis hinüber: „Hast du das gehört? Herr Nazaret hat nicht den blassesten Schimmer, was ich hier von ihm will. Ist das zu fassen?“ Dennis bedachte dies nun mit einem traurigen Blick. Herr Flitzwitz kehrte zu Turel zurück: „Ich wollte dich schon immer mal was fragen.“

„Schieß los“, meinte Turel.

„Was zur Hölle glaubst du eigentlich, wer du bist, hm?!“, rief Herr Flitzwitz wütend. „Was soll das? Was geht da in deinem verdammten, vernarbten Kopf vor?! Du hast riesige Schulden, Turel, weißt du das überhaupt?“, sein Atem stieß in kleinen Wolken hervor, während er drohend auf Turel deutete. „Du musst es einfach wissen, so dämlich kannst du nicht sein. Ganz gleich, wie dreist du dämlicher Penner bist“, er lief noch einmal im Kreis unter den kalt glühenden, ab und an knackenden Neonröhren.

„Du hast bei meinem Vater Schulden und zahlst sie einfach nicht zurück. Du hast bei anderen Kerlen Schulden und zahlst sie ebenso wenig. Mein Vater wurde krank und starb, das heißt, die Schulden, die du bei ihm hattest, sind keinesfalls mit ihm gestorben.“

„Bist du sicher, dass wir sie nicht wie deinen Vater ruhen lassen sollten?“, fragte Turel.

„Halt’s Maul!“, schrie Herr Flitzwitz, wohl das erste Mal in seinem gesamten Leben. „Nett wie ich bin, lasse ich dich sogar schützen, aber du zahlst immer noch nicht. Ich schicke Mingzi los, und ja, es war ein ganz, ganz bedauerliches Missverständnis, aber deine Schulden sind immer noch da, verdammt! Ich besorge dir sogar einen Job, gebe dir Geld im Voraus und was muss ich erfahren? Du gehst zwar hin, aber nur, um dich abzumelden? Du behältst meinen Vorschuss einfach. Mingzi bietet dir Wiedergutmachung an. Du hättest ihm bloß bei einem todsicheren Job zu helfen brauchen, und nein, der scheiß Job war keine Falle!!“, brüllte er. „Mingzi gibt dir sogar eine ganze Menge Geld im Voraus und was machst du? Du kommt nicht aus deinem scheiß Haus raus!“

„Er war im Puff, hat er mir erzählt“, meinte Mingzi hinter Turels Rücken, der ihm nun einen misstrauischen Blick zuwarf. Mingzi lächelte weiter breit.

„Du warst im Puff? Was denkst du dir eigentlich dabei?!“, rief Herr Flitzwitz. „Und jetzt kommt ja noch das Größte. Jeder, egal wer, hätte dich längst umbringen lassen, aber nicht ich, nicht ich. Ich gebe dir immer und immer wieder eine weitere Chance. Ich entschuldige mich sogar für Missverständnisse, an denen ich höchstens eine Teilschuld habe. Weißt du, was mein Vater von mir halten würde, wenn er das alles wüsste? Und nun verklagst du mich auch noch. Und du hältst es nicht mal für notwendig, vor Gericht zu erscheinen!“, er drohte ihm mit dem ausgestreckten Zeigefinger. „Ich wurde einfach verhaftet und finde erst im Gericht heraus, was eigentlich los ist. Weißt du, was das mit meiner gesellschaftlichen Stellung macht? Ich habe es selbst vor Gericht angesprochen: ‚Warum ist Herr Nazaret nicht hier? Warum kann er mich nicht selbst anklagen, sondern nur sein Anwalt?‘ Was denkst du, wer du bist, Turel Nazaret? Ich ärgere mich nur noch mit dem verdammten Gericht herum, mein Geld wird knapp, weil du deine scheiß Schulden nicht bezahlst. Der Rest geht in den Prozess, den ich auch noch langsam, aber sicher verliere. Ich meine, ich habe damit gerechnet, dass du auch jetzt wegbleibst. Dass du gar nicht erst erscheinst und Mingzi dich aus irgendeinem Loch ziehen muss, aber du kommst. Nicht betrübt und auf Knien um Gnade flehend wie jeder anständige Mensch. Oder auch nur mit einem winzigen Anteil deiner Schulden. Du stehst einfach hier, vor mir, in deiner scheiß roten Lederjacke und behauptest, du hättest keinen ‚blassen Schimmer‘, was ich von dir will?!“

„Ich wusste bis eben nicht mal, dass schon ein Prozess läuft“, meinte Turel neutral.

Herr Flitzwitz starrte ihn entsetzt an. „Du wusstest es nicht mal?!“, Herr Flitzwitz lief ein Stück mit gesenktem Kopf. Überlegte. Dann kam er zurück. „Hör zu, Turel, du weißt ganz sicher, was hier los ist. Und trotzdem besitzt du die Frechheit, hier zu erscheinen. Hältst du mich eigentlich für einen schnellen Witz, oder was? Für jemanden, den man einfach so konsequent verarschen kann? Wir alle müssen zahlen. Und du weißt, dass du nirgendwohin gehen wirst. Du wirst heute hier und jetzt, so oder so, bezahlen, das weißt du doch hoffentlich?“

Turel ließ den Blick durch die Umgebung schweifen. Die rot glänzenden Schweinehälften. Die matte, tote Haut, die an ihren Rückseiten hing. Das weiße Schimmern der Rippen. Die Fleischerhaken, von denen sie baumelten. Dennis mit der Schürze und der Gerber-Machete. Der Schweinekopf mit dem kleinen, runden, blutlosen Loch im Stirnchakra. Das runde Abflussloch im Boden. Es erinnerte Turel ebenfalls an ein Chakra.

„Bist du fertig? Ich habe nicht ewig Zeit“, meinte Turel.

„Begreifst du Idiot denn nicht, dass du sterben wirst? Diesen Raum wirst du nie mehr verlassen. Ich habe die Nase voll. Du hattest mehr als genug Chancen. Das jetzt ist deine letzte Chance. Wenn du jetzt das Geld zahlst, dann …“, sagte Herr Flitzwitz eindringlich.

„Wie denn, ich habe mein Portemonnaie nicht mit“, meinte Turel. „Außerdem, um Schulden bei dir zu haben, müsste ich diese Schulden erst mal anerkennen.“

„Was?“, fragte Herr Flitzwitz und wusste nicht, ob er das glauben sollte. „Turel“, meinte er wieder eindringlich und sein Gesicht, schräg gelegt, kam Turels sehr, sehr nahe: „Du hast Schulden. Nur weil du sie nicht anerkennst, verschwinden sie nicht. Schulden sind etwas Reelles. Du kannst nicht einfach sagen, du hast keine und weg sind sie. Du hast Schulden, ob du sie anerkennst oder nicht.“

„Fick dich. Ich habe keine. Nicht mehr. Ich habe bereits bezahlt. Du hast mich foltern lassen. Das war’s. Ich habe keinerlei Schulden mehr“, meinte Turel stürmisch. „Ich kann es dir zeigen, dafür brauche ich bloß einen Geldschein“, lächelte Turel und seine Goldzähne glänzten.

Und tatsächlich zog Herr Flitzwitz einen alten Zehn-Euro-Schein aus seiner Brieftasche und reichte ihn Turel. Turel nahm den Schein, hielt ihn mit zwei spitzen Fingern wie eine Gebetsfahne zwischen zwei Gipfeln: „Zehn Euro“, dann stopfte er sich vor den ungläubigen Augen von Flitzwitz den Schein ins Maul, kaute das trockene Papier durch. Sein Speichel durchweichte die Künstlichkeit und Turel kaute ihn schleunigst zu einem matschigen Klumpen und schluckte ihn hinter: „Das ist einfach nur Papier. Mehr nicht. Wenn ich es nicht als Geld anerkenne, kannst du bei mir nichts kaufen. Ich muss das Geld als solches anerkennen, sonst ist es wertlos. Es ist eine abstrakte Größe. Zehn Euro oder einfach nur ein Streifen Papier.“

Herr Flitzwitz starrte Turel ungläubig an. Massierte schließlich seine Nasenwurzel unter der Brille und sah zu Dennis hinüber: „Herr Dorl, würden Sie so freundlich sein und mir meine zehn Euro wiederholen?“

Dennis trat vor und Herr Flitzwitz zurück. Stand nun in seiner Fleischerschürze vor Turel: „Warum zahlst du einfach nicht?“, fragte er traurig und leise. „Es ist wirklich nichts Persönliches, aber ich muss das tun“, sagte er und hob die Gerber-Machete mit dem brutalen, schnabelförmigen Haken.

Turel sah hinauf zu Dennis traurige, in dunklen Falten liegende Augen. Die schweren Tränensäcke, die an den faltigen Augenlidern zogen. Er hatte eindeutig genug gesehen. Turel erkannte sofort, dass es nicht der Dennis war, der ihn ans Kreuz geschlagen hatte. Es war der Dennis aus der Dönerbude.

„Na los“, meinte Turel, „mach schon“, er packte die Lederkragen mit den durchlochten Fäusten und zog sie beiseite. Bot Dennis seine stolzgeschwellte Brust unter dem geriffelten, dunkelgrauen Hemd dar. „Wenn es einen Gott gibt, wird der deiner Seele das schon verzeihen. Ich meine, egal wie viel Dreck du am Stecken hast und was du für Dinge getan hat, er hat schlimmere getan.“

Ein Bild glitt hinter Dennis Augen, wie er einen herausgeschnittenen Säugling vor die Augen eines zerstörten Mannes hielt.

„Aber um Gott geht es hier nicht, oder?“, meinte Turel und ließ seine Jacke wieder zurückrutschen. „Ob Gott dir verzeiht, ist dir gleich. Weil du deiner Seele nicht mehr verzeihen kannst, oder?“

Dennis ließ den schweren, bleiernen Arm mit der Machete sinken. Legte sie zu dem Schweinekopf. Schloss die schweren Augen mit den bleischweren Lidern und versuchte, die Tränen zu unterdrücken.

„Was soll das? Herr Dorl!“, rief Flitzwitz wütend.

Dorl sah Flitzwitz nicht mal an. Er zog einfach die alte Lederschürze aus und ließ sie zu Boden fallen. Er streifte sich die Handschuhe ab und dann ging er einfach durch die hintere Notfalltür hinaus. Vorbei an den Schweinehälften.

„Was … was … was … bedeutet das?!“, fragte Herr Flitzwitz plötzlich desorientiert.

„Du bist eine Flasche, Flitzwitz“, meinte Turel. „Dein Vater hätte es selber gemacht, aber dafür braucht man halt Eier. Ich habe mehr Eier als du“, sagte er und ging auf den ebenfalls verunsicherten Mingzi zu. Rempelte ihn mit der Schulter einfach zur Seite: „Verpiss dich“, meinte er, strich die Gummilamellen zur Seite und ging durch die Dunkelheit in das helle Sonnenlicht zurück.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺182,23

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
23 aralık 2023
Hacim:
470 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783960085010
Telif hakkı:
Автор
İndirme biçimi: