Kitabı oku: «Maximen und Reflexionen», sayfa 7

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715. Einer neuen Wahrheit ist nichts schädlicher als ein alter Irrthum.

716. Die Menschen sind durch die unendlichen Bedingungen des Erscheinens dergestalt obruirt, daß sie das Eine Urbedingende nicht gewahren können.

717. »Wenn Reisende ein sehr großes Ergötzen auf ihren Bergklettereien empfinden, so ist für mich etwas Barbarisches, ja Gottloses in dieser Leidenschaft. Berge geben uns wohl den Begriff von Naturgewalt, nicht aber von Wohlthätigkeit der Vorsehung. Zu welchem Gebrauch sind sie wohl dem Menschen? Unternimmt er, dort zu wohnen, so wird im Winter eine Schneelawine, im Sommer ein Bergrutsch sein Haus begraben oder fortschieben; seine Heerden schwemmt der Gießbach weg, seine Kornscheuern die Windstürme. Macht er sich auf den Weg, so ist jeder Aufstieg die Qual des Sisyphus, jeder Niederstieg der Sturz Vulcans; sein Pfad ist täglich von Steinen verschüttet, der Gießbach unwegsam für Schifffahrt. Finden auch seine Zwergheerden nothdürftige Nahrung, oder sammelt er sie [120]ihnen kärglich: entweder die Elemente entreißen sie ihm oder wilde Bestien. Er führt ein einsam-kümmerlich Pflanzenleben wie das Moos auf einem Grabstein, ohne Bequemlichkeit und ohne Gesellschaft. Und diese Zickzackkämme, diese widerwärtigen Felsenwände, diese ungestalteten Granitpyramiden, welche die schönsten Weltbreiten mit den Schrecknissen des Nordpols bedecken, wie sollte sich ein wohlwollender Mann daran gefallen und ein Menschenfreund sie preisen?«

718. Auf diese heitere Paradoxie eines würdigen Mannes wäre zu sagen, daß, wenn es Gott und der Natur gefallen hätte, den Urgebirgsknoten von Nubien durchaus nach Westen bis an das große Meer zu entwickeln und fortzusetzen, ferner diese Gebirgsreihe einigemal von Norden nach Süden zu durchschneiden, sodann Thäler entstanden sein würden, worin gar mancher Urvater Abraham ein Canaan, mancher Albert Julius eine Felsenburg würde gefunden haben, wo denn seine Nachkommen, leicht mit den Sternen rivalisirend, sich hätten vermehren können.

719. Steine sind stumme Lehrer, sie machen den Beobachter stumm, und das Beste, was man von ihnen lernt, ist nicht mitzutheilen.

720. Was ich recht weiß, weiß ich nur mir selbst; ein ausgesprochenes Wort fördert selten, es erregt meistens Widerspruch, Stocken und Stillstehen.

721. Die Krystallographie, als Wissenschaft betrachtet, gibt zu ganz eigenen Ansichten Anlaß. Sie ist nicht productiv, sie ist nur sie selbst und hat keine Folgen, besonders nunmehr, da man so manche isomorphische Körper angetroffen hat, die sich ihrem Gehalte nach ganz verschieden erweisen. Da sie eigentlich nirgends anwendbar ist, so hat [121]sie sich in dem hohen Grade in sich selbst ausgebildet. Sie gibt dem Geist eine gewisse beschränkte Befriedigung und ist in ihren Einzelnheiten so mannichfaltig, daß man sie unerschöpflich nennen kann; deßwegen sie auch vorzügliche Menschen so entschieden und lange an sich festhält.

722. Etwas Mönchisch-Hagestolzenartiges hat die Krystallographie und ist daher sich selbst genug. Von praktischer Lebenseinwirkung ist sie nicht; denn die köstlichsten Erzeugnisse ihres Gebiets, die krystallinischen Edelsteine, müssen erst zugeschliffen werden, ehe wir unsere Frauen damit schmücken können.

723. Ganz das Entgegengesetzte ist von der Chemie zu sagen, welche von der ausgebreitetsten Anwendung und von dem gränzenlosesten Einfluß auf’s Leben sich erweis’t.

724. Der Begriff vom Entstehen ist uns ganz und gar versagt; daher wir, wenn wir etwas werden sehen, denken, daß es schon dagewesen sei. Deßhalb das System der Einschachtelung uns begreiflich vorkommt.

725. Wie manches Bedeutende sieht man aus Theilen zusammensetzen: man betrachte die Werke der Baukunst; man sieht manches sich regel- und unregelmäßig anhäufen. Daher ist uns der atomistische Begriff nah und bequem zur Hand; deßhalb wir uns nicht scheuen, ihn auch in organischen Fällen anzuwenden.

726. Wer den Unterschied des Phantastischen und Ideellen, des Gesetzlichen und Hypothetischen nicht zu fassen weiß, der ist als Naturforscher in einer üblen Lage.

727. Es gibt Hypothesen, wo Verstand und Einbildungskraft sich an die Stelle der Idee setzen.

728. Man thut nicht wohl, sich allzulange im Abstracten aufzuhalten. Das Esoterische schadet nur, indem es [122]exoterisch zu werden trachtet. Leben wird am besten durch’s Lebendige belehrt.

729. Für die vorzüglichste Frau wird diejenige gehalten, welche ihren Kindern den Vater, wenn er abgeht, zu ersetzen im Stande wäre.

730. Der unschätzbare Vortheil, welchen die Ausländer gewinnen, indem sie unsere Literatur erst jetzt gründlich studiren, ist der, daß sie über die Entwickelungskrankheiten, durch die wir nun schon beinahe während dem Laufe des Jahrhunderts durchgehen mußten, auf einmal weggehoben werden und, wenn das Glück gut ist, ganz eigentlich daran sich auf das wünschenswertheste ausbilden.

731. Wo die Franzosen des achtzehnten Jahrhunderts zerstörend sind, ist Wieland neckend.

732. Das poetische Talent ist dem Bauer so gut gegeben wie dem Ritter; es kommt nur darauf an, daß jeder seinen Zustand ergreife und ihn nach Würden behandle.

733. »Was sind Tragödien anders als versificirte Passionen solcher Leute, die sich aus den äußern Dingen ich weiß nicht was machen?«

734. Das Wort Schule, wie man es in der Geschichte der bildenden Kunst nimmt, wo man von einer florentinischen, römischen und venetianischen Schule spricht, wird sich künftighin nicht mehr auf das deutsche Theater anwenden lassen. Es ist ein Ausdruck, dessen man sich vor dreißig, vierzig Jahren vielleicht noch bedienen konnte, wo unter beschränkteren Umständen sich eine natur- und kunstgemäße Ausbildung noch denken ließ; denn, genau besehen, gilt auch in der bildenden Kunst das Wort Schule nur von den Anfängen: denn sobald sie treffliche Männer hervorgebracht hat, wirkt sie alsobald in die Weite. Florenz [123]beweis’t seinen Einfluß über Frankreich und Spanien; Niederländer und Deutsche lernen von den Italiänern und erwerben sich mehr Freiheit in Geist und Sinn, anstatt daß die Südländer von ihnen eine glücklichere Technik und die genauste Ausführung von Norden her gewinnen.

735. Das deutsche Theater befindet sich in der Schlußepoche, wo eine allgemeine Bildung dergestalt verbreitet ist, daß sie keinem einzelnen Orte mehr angehören, von keinem besondern Puncte mehr ausgehen kann.

736. Der Grund aller theatralischen Kunst wie einer jeden andern ist das Wahre, das Naturgemäße. Je bedeutender dieses ist, auf je höherem Puncte Dichter und Schauspieler es zu fassen verstehen, eines desto höheren Ranges wird sich die Bühne zu rühmen haben. Hiebei gereicht es Deutschland zu einem großen Gewinn, daß der Vortrag trefflicher Dichtung allgemeiner geworden ist und auch außerhalb des Theaters sich verbreitet hat.

737. Auf der Recitation ruht alle Declamation und Mimik. Da nun bei’m Vorlesen jene ganz allein zu beachten und zu üben ist, so bleibt offenbar, daß Vorlesungen die Schule des Wahren und Natürlichen bleiben müssen, wenn Männer, die ein solches Geschäft übernehmen, von dem Werth, von der Würde ihres Berufs durchdrungen sind.

738. Shakespeare und Calderon haben solchen Vorlesungen einen glänzenden Eingang gewährt; jedoch bedenke man immer dabei, ob nicht hier grade das imposante Fremde, das bis zum Unwahren gesteigerte Talent der deutschen Ausbildung schädlich werden müsse!

739. Eigenthümlichkeit des Ausdrucks ist Anfang und Ende aller Kunst. Nun hat aber eine jede Nation eine von dem allgemeinen Eigenthümlichen der Menschheit [124]abweichende besondere Eigenheit, die uns zwar anfänglich widerstreben mag, aber zuletzt, wenn wir’s uns gefallen ließen, wenn wir uns derselben hingäben, unsere eigene charakteristische Natur zu überwältigen und zu erdrücken vermöchte.

740. Wie viel Falsches Shakespeare und besonders Calderon über uns gebracht, wie diese zwei großen Lichter des poetischen Himmels für uns zu Irrlichtern geworden, mögen die Literatoren der Folgezeit historisch bemerken.

741. Eine völlige Gleichstellung mit dem spanischen Theater kann ich nirgends billigen. Der herrliche Calderon hat soviel Conventionelles, daß einem redlichen Beobachter schwer wird, das große Talent des Dichters durch die Theateretiquette durchzuerkennen. Und bringt man so etwas irgend einem Publicum, so setzt man bei demselben immer guten Willen voraus, daß es geneigt sei, auch das Weltfremde zuzugeben, sich an ausländischem Sinn, Ton und Rhythmus zu ergötzen und aus dem, was ihm eigentlich gemäß ist, eine Zeitlang herauszugehen.

742. Yorik-Sterne war der schönste Geist, der je gewirkt hat; wer ihn lies’t, fühlt sich sogleich frei und schön; sein Humor ist unnachahmlich, und nicht jeder Humor befreit die Seele.

743. »Mäßigkeit und klarer Himmel sind Apollo und die Musen.«

744. »Das Gesicht ist der edelste Sinn. Die andern vier belehren uns nur durch die Organe des Tacts: wir hören, wir fühlen, riechen und betasten alles durch Berührung; das Gesicht aber steht unendlich höher, verfeint sich über die Materie und nähert sich den Fähigkeiten des Geistes.«

745. »Setzten wir uns an die Stelle anderer Personen, so [125]würden Eifersucht und Haß wegfallen, die wir so oft gegen sie empfinden; und setzten wir andere an unsere Stelle, so würde Stolz und Einbildung gar sehr abnehmen.«

746. »Nachdenken und Handlen verglich einer mit Rahel und Lea: die eine war anmuthiger, die andere fruchtbarer.«

747. »Nichts im Leben, außer Gesundheit und Tugend, ist schätzenswerther als Kenntniß und Wissen; auch ist nichts so leicht zu erreichen und so wohlfeil zu erhandeln: die ganze Arbeit ist Ruhigsein und die Ausgabe Zeit, die wir nicht retten, ohne sie auszugeben.«

748. »Könnte man Zeit wie baares Geld bei Seite legen, ohne sie zu benutzen, so wäre dieß eine Art von Entschuldigung für den Müßiggang der halben Welt, aber keine völlige; denn es wäre ein Haushalt, wo man von dem Hauptstamm lebte, ohne sich um die Interessen zu bemühen.«

749. »Neuere Poeten thun viel Wasser in die Tinte.«

750. »Unter mancherlei wunderlichen Albernheiten der Schulen kommt mir keine so vollkommen lächerlich vor als der Streit über die Echtheit alter Schriften, alter Werke. Ist es denn der Autor oder die Schrift, die wir bewundern oder tadeln? Es ist immer nur der Autor, den wir vor uns haben; was kümmern uns die Namen, wenn wir ein Geisteswerk auslegen?«

751. »Wer will behaupten, daß wir Virgil oder Homer vor uns haben, indem wir die Worte lesen, die ihm zugeschrieben werden? Aber die Schreiber haben wir vor uns, und was haben wir weiter nöthig? Und ich denke fürwahr, die Gelehrten, die in dieser unwesentlichen Sache so genau zu Werke gehen, scheinen mir nicht weiser als ein sehr schönes Frauenzimmer, das mich einmal mit möglichst süßem [126]Lächlen befragte, wer denn der Autor von Shakespeare’s Schauspielen gewesen sei.«

752. »Es ist besser, das geringste Ding von der Welt zu thun, als eine halbe Stunde für gering halten.«

753. »Muth und Bescheidenheit sind die unzweideutigsten Tugenden; denn sie sind von der Art, daß Heuchelei sie nicht nachahmen kann. Auch haben sie die Eigenschaft gemein, sich beide durch dieselbe Farbe auszudrücken.«

754. »Unter allem Diebsgesindel sind die Narren die schlimmsten: sie rauben euch beides, Zeit und Stimmung.«

755. »Uns selbst zu achten leitet unsre Sittlichkeit; andere zu schätzen regiert unser Betragen.«

756. »Kunst und Wissenschaft sind Worte, die man so oft braucht und deren genauer Unterschied selten verstanden wird; man gebraucht oft eins für das andere.«

757. »Auch gefallen mir die Definitionen nicht, die man davon gibt. Verglichen fand ich irgendwo Wissenschaft mit Witz, Kunst und Humor. Hierin find’ ich mehr Einbildungskraft als Philosophie: es gibt uns wohl einen Begriff von dem Unterschied beider, aber keinen von dem Eigenthümlichen einer jeden.«

758. »Ich denke, Wissenschaft könnte man die Kenntniß des Allgemeinen nennen, das abgezogene Wissen; Kunst dagegen wäre Wissenschaft, zur That verwendet. Wissenschaft wäre Vernunft und Kunst ihr Mechanismus; deßhalb man sie auch praktische Wissenschaft nennen könnte. Und so wäre denn endlich Wissenschaft das Theorem, Kunst das Problem.«

759. »Vielleicht wird man mir einwenden: Man hält die Poesie für Kunst, und doch ist sie nicht mechanisch. Aber ich läugne, daß sie eine Kunst sei; auch ist sie keine [127]Wissenschaft. Künste und Wissenschaften erreicht man durch Denken, Poesie nicht; denn diese ist Eingebung: sie war in der Seele empfangen, als sie sich zuerst regte. Man sollte sie weder Kunst noch Wissenschaft nennen, sondern Genius.«

760. Auch jetzt im Augenblick sollte jeder Gebildete Sterne’s Werke wieder zur Hand nehmen, damit auch das neunzehnte Jahrhundert erführe, was wir ihm schuldig sind, und einsähe, was wir ihm schuldig werden können.

761. In dem Erfolg der Literaturen wird das frühere Wirksame verdunkelt und das daraus entsprungene Gewirkte nimmt überhand; deßwegen man wohlthut, von Zeit zu Zeit wieder zurückzublicken. Was an uns Original ist wird am besten erhalten und belobt, wenn wir unsre Altvordern nicht aus den Augen verlieren.

762. Möge das Studium der griechischen und römischen Literatur immerfort die Basis der höhern Bildung bleiben!

763. Chinesische, indische, ägyptische Alterthümer sind immer nur Curiositäten; es ist sehr wohlgethan, sich und die Welt damit bekannt zu machen; zu sittlicher und ästhetischer Bildung aber werden sie uns wenig fruchten.

764. Der Deutsche läuft keine größere Gefahr, als sich mit und an seinen Nachbarn zu steigern. Es ist vielleicht keine Nation geeigneter, sich aus sich selbst zu entwickeln; deßwegen es ihr zum größten Vortheil gereichte, daß die Außenwelt von ihr so spät Notiz nahm.

765. Sehen wir unsre Literatur über ein halbes Jahrhundert zurück, so finden wir, daß nichts um der Fremden willen geschehen ist.

766. Daß Friedrich der Große aber gar nichts von ihnen wissen wollte, das verdroß die Deutschen doch, und sie thaten das Möglichste, als Etwas vor ihm zu erscheinen.

[128]767. Jetzt, da sich eine Weltliteratur einleitet, hat, genau besehen, der Deutsche am meisten zu verlieren; er wird wohl thun, dieser Warnung nachzudenken.

768. Auch einsichtige Menschen bemerken nicht, daß sie dasjenige erklären wollen, was Grunderfahrungen sind, bei denen man sich beruhigen müßte.

769. Doch mag dieß auch vortheilhaft sein, sonst unterließe man das Forschen allzu früh.

770. Wer sich von nun an nicht auf eine Kunst oder Handwerk legt, der wird übel dran sein. Das Wissen fördert nicht mehr bei dem schnellen Umtriebe der Welt; bis man von allem Notiz genommen hat, verliert man sich selbst.

771. Eine allgemeine Ausbildung dringt uns jetzt die Welt ohnehin auf, wir brauchen uns deßhalb darum nicht weiter zu bemühen; das Besondere müssen wir uns zueignen.

772. Die größten Schwierigkeiten liegen da, wo wir sie nicht suchen.

773. Lorenz Sterne war geboren 1713, starb 1768. Um ihn zu begreifen, darf man die sittliche und kirchliche Bildung seiner Zeit nicht unbeachtet lassen; dabei hat man wohl zu bedenken, daß er Lebensgenosse Warburtons gewesen.

774. Eine freie Seele wie die seine kommt in Gefahr, frech zu werden, wenn nicht ein edles Wohlwollen das sittliche Gleichgewicht herstellt.

775. Bei leichter Berührbarkeit entwickelte sich alles von innen bei ihm heraus; durch beständigen Conflict unterschied er das Wahre vom Falschen, hielt am ersten fest und verhielt sich gegen das andere rücksichtlos.

776. Er fühlte einen entschiedenen Haß gegen Ernst, weil er didaktisch und dogmatisch ist und gar leicht [129]pedantisch wird, wogegen er den entschiedensten Abscheu hegte. Daher seine Abneigung gegen Terminologie.

777. Bei den vielfachsten Studien und Lectüre entdeckte er überall das Unzulängliche und Lächerliche.

778. Shandeism nennt er die Unmöglichkeit, über einen ernsten Gegenstand zwei Minuten zu denken.

779. Dieser schnelle Wechsel von Ernst und Scherz, von Antheil und Gleichgültigkeit, von Leid und Freude soll in dem irländischen Charakter liegen.

780. Sagacität und Penetration sind bei ihm gränzenlos.

781. Seine Heiterkeit, Genügsamkeit, Duldsamkeit auf der Reise, wo diese Eigenschaften am meisten geprüft werden, finden nicht leicht ihres Gleichen.

782. So sehr uns der Anblick einer freien Seele dieser Art ergötzt, eben so sehr werden wir gerade in diesem Fall erinnert, daß wir von allem dem, wenigstens von dem meisten, was uns entzückt, nichts in uns aufnehmen dürfen.

783. Das Element der Lüsternheit, in dem er sich so zierlich und sinnig benimmt, würde vielen andern zum Verderben gereichen.

784. Das Verhältniß zu seiner Frau wie zur Welt ist betrachtenswerth. »Ich habe mein Elend nicht wie ein weiser Mann benutzt«, sagt er irgendwo.

785. Er scherzt gar anmuthig über die Widersprüche, die seinen Zustand zweideutig machen.

786. »Ich kann das Predigen nicht vertragen; ich glaube, ich habe in meiner Jugend mich daran übergessen.«

787. Er ist in nichts ein Muster und in allem ein Andeuter und Erwecker.

788. »Unser Antheil an öffentlichen Angelegenheiten ist meist nur Philisterei.«

[130]789. »Nichts ist höher zu schätzen als der Werth des Tages.«

790. »Pereant, qui ante nos nostra dixerunt!«

So wunderlich könnte nur derjenige sprechen, der sich einbildete, ein Autochthon zu sein. Wer sich’s zur Ehre hält, von vernünftigen Vorfahren abzustammen, wird ihnen doch wenigstens eben so viel Menschensinn zugestehen als sich selbst.

791. Die originalsten Autoren der neusten Zeit sind es nicht deßwegen, weil sie etwas Neues hervorbringen, sondern allein, weil sie fähig sind, dergleichen Dinge zu sagen, als wenn sie vorher niemals wären gesagt gewesen.

792. Daher ist das schönste Zeichen der Originalität, wenn man einen empfangenen Gedanken dergestalt fruchtbar zu entwicklen weiß, daß niemand leicht, wie viel in ihm verborgen liege, gefunden hätte.

793. Viele Gedanken heben sich erst aus der allgemeinen Cultur hervor wie die Blüthen aus den grünen Zweigen. Zur Rosenzeit sieht man Rosen überall blühen.

794. Eigentlich kommt alles auf die Gesinnungen an; wo diese sind, treten auch die Gedanken hervor, und nachdem sie sind, sind auch die Gedanken.

795. »Nichts wird leicht ganz unparteiisch wieder dargestellt. Man könnte sagen, hievon mache der Spiegel eine Ausnahme, und doch sehen wir unser Angesicht niemals ganz richtig darin; ja der Spiegel kehrt unsre Gestalt um und macht unsre linke Hand zur rechten. Dieß mag ein Bild sein für alle Betrachtungen über uns selbst.«

796. »Im Frühling und Herbst denkt man nicht leicht an’s Kaminfeuer, und doch geschieht es, daß, wenn wir zufällig an einem vorbeigehen, wir das Gefühl, das es mittheilt, so [131]angenehm finden, daß wir ihm wohl nachhängen mögen. Dieß möchte mit jeder Versuchung analog sein.«

797. »Sei nicht ungeduldig, wenn man deine Argumente nicht gelten läßt.«

798. Wer lange in bedeutenden Verhältnissen lebt, dem begegnet freilich nicht alles, was dem Menschen begegnen kann, aber doch das Analoge, und vielleicht einiges, was ohne Beispiel war.

[132]Aus dem Nachlaß.

(Über Literatur und Leben.)

799. Jede große Idee, die als ein Evangelium in die Welt tritt, wird dem stockenden pedantischen Volke ein Ärgerniß und einem Viel-, aber Leichtgebildeten eine Thorheit.

800. Eine jede Idee tritt als ein fremder Gast in die Erscheinung, und wie sie sich zu realisiren beginnt, ist sie kaum von Phantasie und Phantasterei zu unterscheiden.

801. Dieß ist es, was man Ideologie im guten und bösen Sinne genannt hat, und warum der Ideolog den lebhaft wirkenden praktischen Tagesmenschen so sehr zuwider war.

802. Alle unmittelbare Aufforderung zum Ideellen ist bedenklich, besonders an die Weiblein. Wie es auch sei, umgibt sich der einzelne bedeutende Mann mit einem mehr oder weniger religos-moralisch-ästhetischen Serail.

803. Alle Empiriker streben nach der Idee und können sie in der Mannichfaltigkeit nicht entdecken; alle Theoretiker suchen sie im Mannichfaltigen und können sie darinne nicht auffinden.

804. Beide jedoch finden sich im Leben, in der That, in der Kunst zusammen, und das ist so oft gesagt; wenige aber verstehen, es zu nutzen.

805. Man kann die Nützlichkeit einer Idee anerkennen und doch nicht recht verstehen, sie vollkommen zu nutzen.

806. Jedem Alter des Menschen antwortet eine gewisse Philosophie. Das Kind erscheint als Realist; denn es findet sich so überzeugt von dem Dasein der Birnen und Äpfel als von dem seinigen. Der Jüngling, von innern Leidenschaften bestürmt, muß auf sich selbst merken, sich vorfühlen: [133]er wird zum Idealisten umgewandelt. Dagegen ein Skeptiker zu werden hat der Mann alle Ursache: er thut wohl zu zweifeln, ob das Mittel, das er zum Zwecke gewählt hat, auch das rechte sei. Vor dem Handeln, im Handeln hat er alle Ursache, den Verstand beweglich zu erhalten, damit er nicht nachher sich über eine falsche Wahl zu betrüben habe. Der Greis jedoch wird sich immer zum Mysticismus bekennen. Er sieht, daß so vieles vom Zufall abzuhängen scheint: das Unvernünftige gelingt, das Vernünftige schlägt fehl, Glück und Unglück stellen sich unerwartet in’s Gleiche; so ist es, so war es, und das hohe Alter beruhigt sich in dem, der da ist, der da war, und der da sein wird.

807. Wir sind naturforschend Pantheisten, dichtend Polytheisten, sittlich Monotheisten.

808. Den teleologischen Beweis vom Dasein Gottes hat die kritische Vernunft beseitigt; wir lassen es uns gefallen. Was aber nicht als Beweis gilt, soll uns als Gefühl gelten, und wir rufen daher von der Brontotheologie bis zur Niphotheologie alle dergleichen fromme Bemühungen wieder heran. Sollten wir im Blitz, Donner und Sturm nicht die Nähe einer übergewaltigen Macht, in Blüthenduft und lauem Luftsäuseln nicht ein liebevoll sich annäherndes Wesen empfinden dürfen?

809. »Ich glaube einen Gott!« dieß ist ein schönes löbliches Wort; aber Gott anerkennen, wo und wie er sich offenbare, das ist eigentlich die Seligkeit auf Erden.

810. Wer die Natur als göttliches Organ läugnen will, der läugne nur gleich alle Offenbarung.

811. »Die Natur verbirgt Gott!« Aber nicht jedem!

812. Kepler sagte: »Mein höchster Wunsch ist, den Gott, den ich im Äußern überall finde, auch innerlich, innerhalb [134]meiner gleichermaßen gewahr zu werden.« Der edle Mann fühlte, sich nicht bewußt, daß eben in dem Augenblicke das Göttliche in ihm mit dem Göttlichen des Universums in genauster Verbindung stand.

813. Gott, wenn wir hoch stehen, ist alles; stehen wir niedrig, so ist er ein Supplement unsrer Armseligkeit.

814. Die Creatur ist sehr schwach; denn sucht sie etwas, findet sie’s nicht. Stark aber ist Gott; denn sucht er die Creatur, so hat er sie gleich in seiner Hand.

815. Glaube ist Liebe zum Unsichtbaren, Vertrauen auf’s Unmögliche, Unwahrscheinliche.

816. Mythologie = Luxe de croyance.

817. Was ist Praedestinatio?

Antwort: Gott ist mächtiger und weiser als wir; drum macht er es mit uns nach seinem Gefallen.

818. Das Christenthum steht mit dem Judenthum in einem weit stärkern Gegensatz als mit dem Heidenthum.

819. Die christliche Religion ist eine intentionirte politische Revolution, die, verfehlt, nachher moralisch geworden ist.

820. Es gibt Theologen, die wollten, daß es nur einen einzigen Menschen in der Welt gegeben hätte, den Gott erlös’t hätte; denn da hätte es keine Ketzer geben können.

821. »Die Kirche schwächt alles, was sie anrührt.«

822. Apokrypha: wichtig wäre es, das hierüber historisch schon Bekannte nochmals zusammenzufassen und zu zeigen, daß gerade jene apokryphischen Schriften, mit denen die Gemeinden schon die ersten Jahrhunderte unserer Ära überschwemmt wurden und woran unser Canon jetzt noch leidet, die eigentliche Ursache sind, warum das Christentum in keinem Momente der politischen und [135]Kirchengeschichte in seiner ganzen Schönheit und Reinheit hervortreten konnte.

823. Die Ohrenbeichte im besten Sinne ist eine fortgesetzte Katechisation der Erwachs’nen.

824. In Neu-York, sagt man, finden sich neunzig christliche Kirchen abweichender Confession, und nun wird diese Stadt besonders seit Eröffnung des Eriekanals überschwänglich reich. Wahrscheinlich ist man der Überzeugung, daß religiose Gedanken und Gefühle, von welcher besondern Art sie auch seien, dem beruhigenden Sonntag angehören, angestrengte Thätigkeit, von frommen Gesinnungen begleitet, den Werkeltagen.

825. Wenn ein gutes Wort eine gute Statt findet, so findet ein frommes Wort gewiß noch eine bessere.

826. Alles kommt bei der Mission darauf an, daß der rohe sinnliche Mensch gewahr wird, daß es eine Sitte gebe; daß der leidenschaftliche ungebändigte merkt, daß er Fehler begangen hat, die er sich selbst nicht verzeihen kann. Die erste führt zur Annahme zarter Maximen, das letzte auf Glauben einer Versöhnung. Alles Mittlere von zufällig scheinenden Übeln wird einer weisen unerforschlichen Führung anheim gegeben.

827. Wo Lampen brennen, gibt’s Ölflecken, wo Kerzen brennen, gibt’s Schnuppen; die Himmelslichter allein erleuchten rein und ohne Makel.

828. »Vollkommenheit ist die Norm des Himmels, Vollkommenes wollen die Norm des Menschen.«

829. Pflicht: wo man liebt, was man sich selbst befiehlt.

830. Der rechtliche Mensch denkt immer, er sei vornehmer und mächtiger, als er ist.

831. Alle Gesetze sind Versuche, sich den Absichten der [136]moralischen Weltordnung im Welt- und Lebenslaufe zu nähern.

832. Es ist besser, es geschehe dir Unrecht, als die Welt sei ohne Gesetz. Deßhalb füge sich jeder dem Gesetze.

833. Es ist besser, daß Ungerechtigkeiten geschehn, als daß sie auf eine ungerechte Weise gehoben werden.

834. Nero hätte in den vier Jahren, die das Interregnum dauerte – so nenne ich die Regierungen des Galba, Otho, Vitellius – nicht soviel Unheil stiften können, als nach seiner Ermordung über die Welt gekommen.

835. Wäre es Gott darum zu thun gewesen, daß die Menschen in der Wahrheit leben und handeln sollten, so hätte er seine Einrichtung anders machen müssen.

836. Man könnte zum Scherze sagen, der Mensch sei ganz aus Fehlern zusammengesetzt, wovon einige der Gesellschaft nützlich, andre schädlich, einige brauchbar, einige unbrauchbar gefunden werden. Von jenen spricht man Gutes: nennt sie Tugenden; von diesen Böses: nennt sie Fehler.

837. Nicht allein das Angeborene, sondern auch das Erworbene ist der Mensch.

838. Unsre Eigenschaften müssen wir cultiviren, nicht unsre Eigenheiten.

839. Charakter im Großen und Kleinen ist, daß der Mensch demjenigen eine stäte Folge gibt, dessen er sich fähig fühlt.

840. Man sieht gleich, wo die zwei nothwendigsten Eigenschaften fehlen: Geist und Gewalt.

841. Unsre Meinungen sind nur Supplemente unsrer Existenz. Wie einer denkt, daran kann man sehn, was ihm fehlt. Die leersten Menschen halten sehr viel auf sich, [137]treffliche sind mißtrauisch, der Lasterhafte ist frech, und der Gute ist ängstlich. So setzt sich alles in’s Gleichgewicht; jeder will ganz sein oder es vor sich scheinen.

842. Historisch betrachtet, erscheint unser Gutes in mäßigem Lichte und unsere Mängel entschuldigen sich.

843. Der liebt nicht, der die Fehler des Geliebten nicht für Tugenden hält.

844. Man kann niemand lieben, als dessen Gegenwart man sicher ist, wenn man sein bedarf.

845. Man kennt nur diejenigen, von denen man leidet.

846. Man beobachtet niemand als die Personen, von denen man leidet. Um unerkannt in der Welt umherzugehen, müßte man nur niemand wehe thun.

847. Mit jemand leben oder in jemand leben ist ein großer Unterschied. Es gibt Menschen, in denen man leben kann, ohne mit ihnen zu leben, und umgekehrt. Beides zu verbinden ist nur der reinsten Liebe und Freundschaft möglich.

848. Es ist besser, man betrügt sich an seinen Freunden, als daß man seine Freunde betrüge.

849. Wenn ein paar Menschen recht mit einander zufrieden sind, kann man meistens versichert sein, daß sie sich irren.

850. Der Wolf im Schafpelze ist weniger gefährlich als das Schaf in irgend einem Pelze, wo man es für mehr als einen Schöps nimmt.

851. Sage nicht, daß du geben willst, sondern gib! Die Hoffnung befriedigst du nie.

852. Man würde viel Almosen geben, wenn man Augen hätte zu sehen, was eine empfangende Hand für ein schönes Bild macht.

[138]853. Zum Thun gehört Talent, zum Wohlthun Vermögen.

854. Eine gefallene Schreibfeder muß man gleich aufheben, sonst wird sie zertreten.

855. Es ist keine Kunst, eine Göttin zur Hexe, eine Jungfrau zur Hure zu machen; aber zur umgekehrten Operation, Würde zu geben dem Verschmähten, wünschenswerth zu machen das Verworfene, dazu gehört entweder Kunst oder Charakter.

856. Es gibt keine Lage, die man nicht veredlen könnte durch Leisten oder Dulden.

857. Dem Verzweiflenden verzeiht man alles, dem Verarmten gibt man jeden Erwerb zu.

858. Glaube, Liebe, Hoffnung fühlten einst in ruhiger geselliger Stunde einen plastischen Trieb in ihrer Natur; sie befleißigten sich zusammen und schufen ein liebliches Gebild, eine Pandora im höhern Sinne: die Geduld.

859. Lüsternheit: Spiel mit dem zu Genießenden, Spiel mit dem Genossenen.

860. Eitelkeit ist eine persönliche Ruhmsucht: man will nicht wegen seiner Eigenschaften, seiner Verdienste, Thaten geschätzt, geehrt, gesucht werden, sondern um seines individuellen Daseins willen. Am besten kleidet die Eitelkeit deßhalb eine frivole Schöne.

861. Dummheit, seinen Feind vor dem Tode, und Niederträchtigkeit, nach dem Siege zu verkleinern.

862. Die schwer zu lösende Aufgabe strebender Menschen ist, die Verdienste älterer Mitlebenden anzuerkennen und sich von ihren Mängeln nicht hindern zu lassen.

863. Das radicale Übel: daß jeder gern sein möchte, was er sein könnte, und die Übrigen nichts, ja nicht wären.

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