Kitabı oku: «Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen», sayfa 6

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Der Großkophta

Personen.

Der Domherr

Der Graf

Der Ritter

Der Marquis

Die Marquise

Ihre Nichte

Der Oberst der Schweizergarde

Saint Jean, Bedienter des Domherrn

La Fleur, Bedienter des Marquis

Jäck, ein Knabe, Diener der Marquise

Gesellschaft von Herren und Damen

Zwei Hofjuweliere

Jünglinge

Kinder

Ein Kammermädchen

Sechs Schweizer

Bediente

Erster Aufzug

Erster Auftritt

Erleuchteter Saal.

Im Grunde des Theaters an einem Tische eine Gesellschaft von zwölf bis funfzehn Personen beim Abendessen. An der rechten Seite sitzt der Domherr, neben ihm hinterwärts die Marquise, dann folgt eine bunte Reihe; der letzte Mann auf der linken Seite ist der Ritter. Das Dessert wird aufgetragen, und die Bedienten entfernen sich. Der Domherr steht auf und geht nachdenklich am Proscenio bin und wider. Die Gesellschaft scheint sich von ihm zu unterhalten. Endlich steht die Marquise auf und geht zu ihm. Die Ouvertüre, welche bis dahin fortgedauert, hört auf, und der Dialog beginnt.

MARQUISE. Ist es erlaubt, so zerstreut zu sein? gute Gesellschaft zu fliehen, seinen Freunden die Lust traulicher Stunden zu verderben? Glauben Sie, daß wir scherzen und genießen können, wenn unser Wirt den Tisch verläßt, den er so gefällig bereitet hat? Schon diesen ganzen Abend scheinen Sie nur dem Körper nach gegenwärtig. Noch hofften wir gegen das Ende der Tafel, jetzt, da sich die Bedienten entfernt haben, Sie heiter, offen zu sehen, und Sie stehen auf, Sie treten von uns weg und gehen hier am andern Ende des Saals gedankenvoll auf und nieder, als wenn nichts in der Nähe wäre, das Sie interessieren, das Sie beschäftigen könnte.

DOMHERR. Sie fragen, was mich zerstreut? Marquise, meine Lage ist Ihnen bekannt – wäre es ein Wunder, wenn ich von Sinnen käme? Ist es möglich, daß ein menschlicher Geist, ein menschliches Herz von mehr Seiten bestürmt werden kann als das meinige! Welche Natur muß ich haben, daß sie nicht unterliegt! Sie wissen, was mich aus der Fassung bringt, und fragen mich?

MARQUISE. Aufrichtig, so ganz klar seh ich es nicht ein. Geht doch alles, wie Sie es nur wünschen können!

DOMHERR. Und diese Erwartung, diese Ungewißheit?

MARQUISE. Wird doch wenige Tage zu ertragen sein? – Hat nicht der Graf, unser großer Lehrer und Meister, versprochen, uns alle und Sie besonders weiter vorwärts in die Geheimnisse zu führen? Hat er nicht den Durst nach geheimer Wissenschaft, der uns alle quält, zu stillen, jeden nach seinem Maße zu befriedigen versprochen? Und können wir zweifeln, daß er sein Wort halten werde?

DOMHERR. Gut! er hat. – Verbot er aber nicht zugleich alle Zusammenkünfte, wie eben die ist, die wir jetzt hinter seinem Rücken wagen? Gebot er uns nicht Fasten, Eingezogenheit, Enthaltsamkeit, strenge Sammlung und stille Betrachtung der Lehren, die er uns schon überliefert hat? – Und ich bin leichtsinnig genug, heimlich in diesem Gartenhause eine fröhliche Gesellschaft zu versammeln, diese Nacht der Freude zu weihen, in der ich mich zu einer großen und heiligen Erscheinung vorbereiten soll! – Schon mein Gewissen ängstiget mich, wenn er es auch nicht erführe. Und wenn ich nun gar bedenke, daß seine Geister ihm gewiß alles verraten, daß er vielleicht auf dem Wege ist, uns zu überraschen! – Wer kann vor seinem Zorn bestehen? – Ich würde vor Scham zu Boden sinken – jeden Augenblick! – es scheint mir, ich höre ihn; ich höre reiten, fahren. Er eilt nach der Türe.

MARQUISE für sich. O Graf! du bist ein unnachahmlicher Schelm! Der meisterhafteste Betrüger! Immer hab ich dich im Auge, und täglich lern ich von dir! Wie er die Leidenschaft dieses jungen Mannes zu brauchen, sie zu vermehren weiß! Wie er sich seiner ganzen Seele bemächtigt hat und ihm unumschränkt gebietet! Wir wollen sehen, ob unsre Nachahmung glückt.

Der Domherr kommt zurück.

Bleiben Sie außer Sorgen. Der Graf weiß viel; all wissend ist er nicht, und dieses Fest soll er nicht erfahren. – Seit vierzehn Tagen habe ich Sie, habe ich unsre Freunde nicht gesehen, habe mich vierzehn Tage in einem elenden Landhause verborgen gehalten, manche langweilige Stunde ausdauern müssen, nur um in der Nähe unsrer angebeteten Prinzessin zu sein, manchmal ein Stündchen ihr heimlich aufzuwarten und von den Angelegenheiten eines geliebten Freundes zu sprechen. Heute kehre ich nach der Stadt zurück, und es war sehr freundlich von Ihnen, daß Sie mir auf halbem Wege, hier in diesem angenehmen Landhause, ein Gastmahl bereiteten, mir entgegenkamen und meine besten Freunde zu meinem Empfange versammelten. Gewiß, Sie sind der guten Nachrichten wert, die ich Ihnen bringe. Sie sind ein warmer, ein angenehmer Freund. Sie sind glücklich, Sie werden glücklich sein; nur wünschte ich, daß Sie auch Ihres Glücks genössen.

DOMHERR. Es wird sich bald geben, bald!

MARQUISE. Kommen Sie, setzen Sie sich. Der Graf ist abwesend, seine vierzigtägigen Fasten in der Einsamkeit auszuhalten und sich zu dem großen Werke vorzubereiten. Er erfährt unsre Zusammenkunft nicht, sowenig er unser großes Geheimnis erfahren darf. Bedenklich. Könnte es vor der Zeit entdeckt werden, daß die Prinzessin verzeiht, daß sich der Fürst wahrscheinlich durch eine geliebte Tochter bald versöhnen läßt: wie leicht könnte das ganze schöne Gebäude durch die Bemühungen der Mißgunst zugrunde gehen! Ausdrücklich hat mir die Prinzessin, die Ihre Verbindung mit dem Grafen kennt, befohlen, diesem Manne, den sie fürchtet, unsre wichtige Angelegenheit zu verbergen.

DOMHERR. Ich hange ganz von ihrem Willen ab; auch dieses schwere Gebot will ich erfüllen, ob ich gleich überzeugt bin, daß ihre Furcht ungegründet ist. Dieser große Mann würde uns eher nützen als schaden. Vor ihm sind alle Stände gleich. Zwei liebende Herzen zu verbinden ist sein angenehmstes Geschäft. »Meine Schüler«, pflegt er zu sagen, »sind Könige, wert, die Welt zu regieren, und eines jeden Glückes wert.« – Und wenn es ihm seine Geister anzeigen, wenn er sieht, daß in diesem Augenblick Mißtrauen gegen ihn unsre Herzen zusammenzieht, da er die Schätze seiner Weisheit vor uns eröffnet!

MARQUISE. Ich kann nur sagen, daß es die Prinzessin ausdrücklich verlangt.

DOMHERR. Es sei. Ich gehorche ihr, und wenn ich mich zugrunde richten sollte.

MARQUISE. Und wir bewahren unser Geheimnis leicht, da niemand auch nur von ferne vermuten kann, daß die Prinzessin Sie begünstigt.

DOMHERR. Gewiß, jedermann glaubt mich in Ungnade, auf ewig vom Hofe entfernt. Mitleidig, ja verachtend sind die Blicke der Menschen, die mir begegnen. Nur durch einen großen Aufwand, durch Ansehn meiner Freunde, durch Unterstützung mancher Unzufriedenen erhalte ich mich aufrecht. Gebe der Himmel, daß meine Hoffnungen nicht trügen, daß dein Versprechen in Erfüllung gehe!

MARQUISE. Mein Versprechen? – Sagen Sie nicht mehr so, bester Freund. Bisher war es mein Versprechen; aber seit diesem Abend, seitdem ich Ihnen einen Brief überbrachte, gab ich Ihnen nicht mit diesem Briefe die schönsten Versicherungen in die Hände?

DOMHERR. Ich habe es schon tausendmal geküßt, dieses Blatt. Er bringt ein Blatt aus der Tasche. Laß es mich noch tausendmal küssen! Von meinen Lippen soll es nicht kommen, bis diese heißen begierigen Lippen auf ihrer schönen Hand verweilen können: auf der Hand, die mich unaussprechlich entzückt, indem sie mir auf ewig mein Glück versichert.

MARQUISE. Und wenn dann der Schleier von diesem Geheimnis hinwegfällt und Sie mit dem völligen Glanze des vorigen Glückes, ja in einem weit schönern vor den Augen der Menschen dastehn, neben einem Fürsten, der Sie wieder erkennt, neben einer Fürstin, die Sie nie verkannt hat: wie wird dieses neue, dieses leuchtende Glück die Augen des Neides blenden, und mit welcher Freude werde ich Sie an dem Platze sehen, den Sie so sehr verdienen! –

DOMHERR. Und mit welcher Dankbarkeit werde ich eine Freundin zu belohnen wissen, der ich alles schuldig bin!

MARQUISE. Reden Sie nicht davon. Wer kennt Sie und ist nicht gleich lebhaft für Sie hingerissen? Wer wünscht nicht, Ihnen, selbst mit Aufopferung, zu dienen?

DOMHERR. Horch! es kommt ein Wagen angefahren. Was ist das?

MARQUISE. Sein Sie unbesorgt; er fährt vorbei. Die Türen sind verschlossen, die Läden verwahrt; ich habe aufs genaueste die Fenster zudecken lassen, daß niemand den Schein eines Lichts bemerken kann. Niemand wird glauben, daß in diesem Hause Gesellschaft sei.

DOMHERR. Welch ein Lärm, welch ein Getümmel?

EIN BEDIENTER tritt ein. Es ist ein Wagen vorgefahren; man pocht an die Tür, als wenn man sie einschlagen wollte. Ich höre des Grafen Stimme; er droht und will eingelassen sein.

MARQUISE. Ist das Haus verriegelt? – Macht ihm nicht auf! Rührt euch nicht. Antwortet nicht. Wenn er ausgetobt hat, mag er abfahren.

DOMHERR. Sie bedenken nicht, mit wem wir zu tun haben. – Macht ihm auf! Wir widerstehn vergebens.

BEDIENTE die hereinstürzen. Der Graf! Der Graf!

MARQUISE. Wie ist er hereingekommen?

BEDIENTER. Die Türen taten sich von selbst auf, beide Flügel.

DOMHERR. Wo soll ich hin?

DIE FRAUEN. Wer wird uns retten!

RITTER. Nur getrost!

DIE FRAUEN. Er kommt! er kommt!

Zweiter Auftritt

Der Graf. Vorige.

GRAF unter der Türe hinterwärts sprechend. Assaraton! Pantassaraton! Dienstbare Geister, bleibt an der Türe, laßt niemand entwischen! leidet nicht, daß jemand über die Schwelle gehe, der nicht von mir bezeichnet ist.

DIE FRAUEN. Weh uns!

DIE MÄNNER. Was soll das werden!

GRAF. Uriel, du zu meiner Rechten, Ithruriel, du zu meiner Linken, tretet herein. Bestrafet die Verbrecher, denen ich diesmal nicht vergeben werde.

DIE FRAUEN. Wohin verkriech ich mich!

DOMHERR. Es ist alles verloren!

GRAF. Uriel! Pause, als wenn er Antwort vernähme. So recht! – »Hier bin ich!«, das ist dein gewöhnlicher Spruch, folgsamer Geist. – Uriel, fasse diese Weiber!

Die Mädchen tun einen lauten Schrei.

Führe sie weit über Berg und Tal, setze sie auf einen Kreuzweg nieder; denn sie glauben nicht, sie gehorchen nicht, bis sie fühlen. Greif zu!

DIE FRAUEN. Ai! Ai! Er hat mich! – Großer Meister, um Gottes willen!

MARQUISE. Herr Graf!

DIE FRAUEN. Kniend bitten wir unsre Schuld ab.

GRAF. Uriel, du bittest für sie! Soll ich mich erweichen lassen!

DIE FRAUEN. Bitte für uns, Uriel!

MARQUISE. Ist es erlaubt, diese Geschöpfe so zu ängstigen!

GRAF. Was! Was! Auf Ihre Knie nieder, Madame! Nicht vor mir, vor den unsichtbaren Mächten, die neben mir stehen, auf die Knie! Können Sie ein schuldloses Herz ein freies Angesicht gegen diese himmlischen Gestalten wenden?

EIN MÄDCHEN. Siehst du was?

DIE ANDRE. Einen Schatten, ganz dicht an ihm!

GRAF. Wie sieht es in Ihrem Herzen aus?

MARQUISE. Großer Meister! Schone des zarten Geschlechts!

GRAF. Ich bin gerührt, nicht erweicht. Ithruriel! ergreife diese Männer, führe sie in meine tiefsten Keller.

DOMHERR. Mein Herr und Meister!

RITTER. Nicht ein Wort mehr! Ihre Geister erschrecken uns nicht, und hier ist eine Klinge gegen Sie selbst. Glauben Sie nicht, daß wir noch Arm und Mut genug haben, uns und diese Frauen zu verteidigen?

GRAF. Törichter Jüngling! Zieh völlig, ziehe! Stoß hieher, hieher auf diese freie unbeschützte Brust! stoß her, daß ein Zeichen geschehe für dich und alle. Ein dreifacher Harnisch, der Rechtschaffenheit, der Weisheit, der Zauberkraft, schützt diese Brust. Stoß her und suche die Stücke deiner zerbrochenen Klinge beschämt zu meinen Füßen.

DIE MÄNNER. Welche Majestät!

DIE FRAUEN. Welche Gewalt!

DIE MÄNNER. Welche Stimme!

DIE FRAUEN. Welch ein Mann!

DER RITTER. Was soll ich tun?

DOMHERR. Was kann das werden?

MARQUISE. Was soll ich sagen?

GRAF. Steht auf! ich begnadige das unverständige Geschlecht. Meine verirrten Kinder will ich nicht ganz verstoßen; doch alle Züchtigung erlaß ich euch nicht. Zu den Männern. Entfernt euch!

Die Männer treten in den Grund zurück.

Zu den Frauen. Und ihr, faßt und sammelt euch! Als wenn er vertraulich zu den Geistern spräche. Uriel! Ithruriel! geht zu euren Brüdern! Zu den Frauen. Nun laßt hören, ob ihr meiner Lehren noch eingedenk seid. – Was sind die Haupttugenden der Weiber?

ERSTES MÄDCHEN. Geduld und Gehorsam.

GRAF. Was ist ihr Sinnbild?

ZWEITES MÄDCHEN. Der Mond.

GRAF gegen die Marquise. Warum?

MARQUISE. Weil er sie erinnert, daß sie kein eigen Licht haben, sondern daß sie allen Glanz vom Manne erhalten.

GRAF. Wohl, das merkt euch! – Und nun, wenn ihr nach Hause fahrt, werdet ihr linker Hand das erste Viertel am klaren Himmel erblicken; dann sprecht untereinander: »Seht, wie zierlich es da steht! welches gemäßigte Licht! welche schöne Taille! welche Sittsamkeit! das wahre Bild einer liebenswürdigen heranwachsenden Jungfrau.« Erblickt ihr künftig den Vollmond, so ermahnt euch untereinander und sprecht: »Wie schön glänzt das Bild einer glücklichen Hausfrau! sie wendet ihr Gesicht gerade ihrem Manne zu; sie fängt die Strahlen seines Lichtes auf, die sanft und lieblich von ihr widerglänzen.« Das bedenkt recht und führt untereinander dieses Bild aus, so gut ihr nur könnt; setzt eure Betrachtungen so weit fort, als ihr vermöget; bildet euren Geist, erhebt euer Gemüt: denn so nur könnt ihr würdig werden, das Angesicht des Großkophta zu schauen. – Nun geht! übertretet keines meiner Gebote, und der Himmel behüte euch vor dem abnehmenden Lichte, vor dem betrübten Witwenstande! – Ihr fahrt sogleich sämtlich nach der Stadt, und nur eine strenge Buße kann euch Vergebung erwerben und die Ankunft des Großkophta beschleunigen. Lebt wohl.

MARQUISE beiseite. Der verwünschte Kerl! Er ist ein Phantast, ein Lügner, ein Betrüger; ich weiß es, ich bin's überzeugt; und doch imponiert er mir!

Die Frauenzimmer neigen sich und gehen ab.

Dritter Auftritt

Die Vorigen außer den Damen.

GRAF. Nun, Ritter und ihr andern, tretet herbei! Ich hab euch vergeben; ich seh euch beschämt, und meine Großmut überläßt eurem eigenen Herzen Strafe und Besserung.

RITTER. Wir erkennen deine Huld, väterlicher Meister.

GRAF. Wenn ihr aber in der Folge meine Verordnungen überschreitet, wenn ihr nicht alles anwendet, den begangenen Fehler wiedergutzumachen, so hoffet nie, das Angesicht des Großkophta zu sehen, nie, an der Quelle der Weisheit eure durstigen Lippen zu erquicken. – Nun, laßt hören, habt ihr gefaßt, was ich euch überlieferte? – Wann soll ein Schüler seine Betrachtungen anstellen?

RITTER. Bei Nachtzeit.

GRAF. Warum?

ERSTER SCHÜLER. Damit er desto lebhafter fühle, daß er im Finstern wandelt.

GRAF. Welche Nächte soll er vorziehen?

ZWEITER SCHÜLER. Nächte, wenn der Himmel klar ist und die Sterne funkeln.

GRAF. Warum?

RITTER. Damit er einsehe, daß viele tausend Lichter noch nicht hell machen, und damit seine Begierde nach der einzig erleuchtenden Sonne desto lebhafter werde.

GRAF. Welchen Stern soll er vorzüglich im Auge haben?

ERSTER SCHÜLER. Den Polarstern.

GRAF. Was soll er sich dabei vorstellen?

ZWEITER SCHÜLER. Die Liebe des Nächsten.

GRAF. Wie heißt der andere Pol?

ERSTER SCHÜLER. Die Liebe der Weisheit.

GRAF. Haben diese beiden Pole eine Achse?

RITTER. Freilich, denn sonst könnten sie keine Pole sein. Diese Achse geht durch unser Herz, wenn wir rechte Schüler der Weisheit sind, und das Universum dreht sich um uns herum.

GRAF. Sage mir den Wahlspruch des ersten Grades.

RITTER. Was du willst, daß dir die Leute tun sollen, wirst du ihnen auch tun.

GRAF. Erkläre mir diesen Spruch.

RITTER. Er ist deutlich, er bedarf keiner Erklärung.

GRAF. Wohl! – Nun geht in den Garten, und faßt den Polarstern recht in die Augen.

RITTER. Es ist sehr trübe, großer Lehrer; kaum daß hie und da ein Sternchen durchblinkt.

GRAF. Desto besser! – So bejammert euren Ungehorsam, euren Leichtsinn, eure Leichtfertigkeit; das sind Wolken, welche die himmlischen Lichter verdunkeln.

RITTER. Es ist kalt, es geht ein unfreundlicher Wind, wir sind leicht gekleidet.

GRAF. Hinunter! hinunter mit euch! Darf ein Schüler der Weisheit frieren? – Mit Lust solltet ihr eure Kleider abwerfen, und die heiße Begierde eures Herzens, der Durst nach geheimer Wissenschaft sollte Schnee und Eis zum Schmelzen bringen. Fort mit euch! fort!

Der Ritter und die andern mit einer Verbeugung ab.

Vierter Auftritt

Der Graf. Der Domherr.

GRAF. Nun hervor mit Ihnen, Domherr! hervor! Sie erwartet ein strenger Gericht. – Ihnen hätte ich es nicht zugetraut. Der Schüler, dem ich mehr als allen andern die Hand reiche, den ich mit Gewalt zu mir heraufziehe, dem ich schon die Geheimnisse des zweiten Grades enthüllt habe – dieser besteht so schlecht bei einer geringen Prüfung! – Nicht die Drohungen seines Meisters, nicht die Hoffnung, den Großkophta zu sehen, können ihn abhalten, seine Gelage nur wenige Nächte zu verschieben. Pfui! ist das männlich? ist das weise? Die Lehren des größten Sterblichen! die Hülfe der Geister! die Eröffnung aller Geheimnisse der Natur, eine ewige Jugend, eine immer gleiche Gesundheit, eine unverwüstliche Stärke, eine nie verschwindende Schönheit! Um diese größten Schätze der Welt bemühest du dich und kannst nicht einem Abendschmause entsagen!

DOMHERR niederkniend. Du hast mich oft zu deinen Füßen gesehen; hier lieg ich wieder. Vergib mir! entziehe mir nicht deine Huld. – Die Reize – die Lockung – die Gelegenheit – die Verführung! – Nie sollst du mich wieder ungehorsam finden! gebiete! lege mir auf, was du willst!

GRAF. Wie kann ich mit dir zürnen, du mein Liebling! wie kann ich dich verstoßen, du Erwählter des Schicksals! Steh auf, komm an meine Brust, von der du dich, selbst mit Gewalt, nicht losreißen kannst.

DOMHERR. Wie entzückst du mich! – Aber darf ich in diesem Augenblicke, wo ich büßen und trauren sollte, darf ich als ein Zeichen der Versöhnung mir eine Gnade von dir ausbitten?

GRAF. Sprich, mein Teurer!

DOMHERR. Laß mich nicht länger in Ungewißheit, gib mir ein helleres Licht über den wunderbaren Mann, den du Großkophta nennst, den du uns zeigen willst, von dem du uns so viel versprichst. Sage mir: wer ist er? Wo ist er? Ist er schon nah? Werd ich ihn sehen? Kann er mich würdigen? Kann er mich aufnehmen? Wird er mir die Lehren überliefern, nach denen mein Herz so heftig begehrt?

GRAF. Mäßig! mäßig, mein Sohn! Wenn ich dir nicht gleich alles entdecke, so ist dein Bestes meine Absicht. – Deine Neugierde zu wecken, deinen Verstand zu üben, deine Gelehrsamkeit zu beleben, das ist es, was ich wünsche! so möchte ich mich um dich verdient machen. – Hören und lernen kann jedes Kind; merken und raten müssen meine Schüler. – Als ich sagte: Kophta, fiel dir nichts ein?

DOMHERR. Kophta! Kophta! – Wenn ich dir es gestehen soll, wenn ich mich vor dir nicht zu schämen brauche! Meine Einbildungskraft verließ sogleich diesen kalten, beschränkten Weltteil; sie besuchte jenen heißen Himmelsstrich, wo die Sonne noch immer über unsäglichen Geheimnissen brütet. Ägypten sah ich auf einmal vor mir stehen; eine heilige Dämmerung umgab mich; zwischen Pyramiden, Obelisken, ungeheuren Sphinxen, Hieroglyphen verirrte ich mich; ein Schauer überfiel mich. – Da sah ich den Großkophta wandeln; ich sah ihn umgeben von Schülern, die wie mit Ketten an seinen klugen Mund gebunden waren.

GRAF. Diesmal hat dich deine Einbildungskraft nicht irregeführt. Ja, dieser große herrliche, und ich darf wohl sagen, dieser unsterbliche Greis ist es, von dem ich euch sagte, den ihr zu sehen dereinst hoffen dürfet. In ewiger Jugend wandelt er schon Jahrhunderte auf diesem Erdboden. Indien, Ägypten ist sein liebster Aufenthalt. Nackt betritt er die Wüsten Libyens; sorglos erforscht er dort die Geheimnisse der Natur. Vor seinem gebieterisch hingestreckten Arm stutzt der hungrige Löwe; der grimmige Tiger entflieht vor seinem Schelten, daß die Hand des Weisen ruhig heilsame Wurzeln aufsuche, Steine zu unterscheiden wisse, die wegen ihrer geheimen Kräfte schätzbarer sind als Gold und Diamanten.

DOMHERR. Und diesen trefflichen Mann sollen wir sehen? Gib mir einen Wink, auf welche Weise es möglich sei?

GRAF. O du Kurzsichtiger! welche Winke soll ich dir geben? Dir, dessen Augen geschlossen sind!

DOMHERR. Nur ein Wort!

GRAF. Es ist genug! – Was der Hörer wissen soll, pflege ich ihm nie zu sagen.

DOMHERR. Ich brenne vor Begierde, besonders seitdem du mich in den zweiten Grad der Geheimnisse erhoben hast. Oh! daß es möglich wäre, daß du mir auch sogleich den dritten schenktest!

GRAF. Es kann nicht geschehen!

DOMHERR. Warum?

GRAF. Weil ich noch nicht weiß, wie du die Lehren des zweiten Grades gefaßt haben magst und ausüben wirst.

DOMHERR. Prüfe mich sogleich.

GRAF. Es ist jetzt nicht Zeit.

DOMHERR. Nicht Zeit?

GRAF. Hast du schon vergessen, daß die Schüler des zweiten Grades ihre Betrachtungen bei Tage und besonders morgens anstellen sollen?

DOMHERR. So sei es denn morgen bei guter Zeit.

GRAF. Gut! Nun aber zuvörderst die Buße nicht versäumt! – Hinunter zu den andern in den Garten! – – Aber du sollst einen großen Vorzug vor ihnen haben. – – Wende ihnen den Rücken zu – schaue gegen Mittag. Von Mittag kommt der Großkophta; dieses Geheimnis entdeck ich dir allein. Alle Wünsche deines Herzens eröffne ihm; sprich, so leise du willst, er hört dich.

DOMHERR. Ich gehorche mit Freuden. Er küßt dem Grafen die Hand und entfernt sich.

Fünfter Auftritt

Der Graf. Saint Jean.

SAINT JEAN der vorsichtig hereintritt. Hab ich meine Sachen nicht recht gemacht?

GRAF. Du hast deine Pflicht erfüllt.

SAINT JEAN. Flogen die Türen nicht auf, als wenn Geister sie voneinander sprengten? Meine Kameraden erschraken und flohen; es hat keiner was gesehen noch gemerkt.

GRAF. Es mag gut sein! Ich hätte sie auch ohne dich aufgebracht; nur verlangt eine solche Operation mehr Umstände. Ich nehme nur manchmal zu gemeinen Mitteln meine Zuflucht, um die edlen Geister nicht immer zu inkommodieren. Einen Beutel eröffnend. Hier für deine Mühe! Gib dies Geld nicht frevelhaft weg; es ist philosophisches Gold. Es bringt Segen! – – Wenn man's in der Tasche behält, wird sie nie leer.

SAINT JEAN. So! da will ich's wohl verwahren.

GRAF. Wohl, und spare dir immer zwei, drei Goldstücke dazu, du wirst Wunder sehen.

SAINT JEAN. Haben Sie das Gold selbstgemacht, Herr Graf?

GRAF. Ich gebe gar kein andres aus.

SAINT JEAN. Wie glücklich sind Sie!

GRAF. Weil ich Glückliche mache.

SAINT JEAN. Ich bin Ihnen mit Leib und Seele ergeben.

GRAF. Das soll dein Schade nicht sein. Gehe hin und schweige, damit nicht andre diese Quelle kennenlernen. In wenig Zeit sollst du die Stelle haben, um die du gebeten hast.

Bedienter ab.

Sechster Auftritt

Der Graf.

DER GRAF. Glücklicherweise find ich hier eine wohlbesetzte Tafel, ein feines Dessert, treffliche Weine. Der Domherr läßt's nicht fehlen. Wohl, hier kann ich meinen Magen restaurieren, indes die Menschen glauben, ich halte meine vierzigtägigen Fasten. Ich scheine ihnen auch darum ein Halbgott, weil ich ihnen meine Bedürfnisse zu verbergen weiß.

Zweiter Aufzug

Erster Auftritt

Wohnung des Marquis.

Der Marquis, hernach La Fleur.

DER MARQUIS in einem sehr eleganten Frack vor dem Spiegel. Geburt, Rang, Gestalt, was sind sie alle gegen das Geld! Wie dank ich der kühnen Industrie meiner Frau, daß sie mir soviel verschafft. Wie anders seh ich aus, da ich nun das erstemal nach meinem Stande gekleidet bin! Ich kann nicht erwarten, bis ich mich öffentlich zeige. Er klingelt.

LA FLEUR. Was befehlen Sie, gnädiger Herr?

MARQUIS. Gib mir die Schatulle.

LA FLEUR bringt sie. So schwer hab ich noch nie daran getragen.

MARQUIS indem er die Schatulle öffnet. Was sagst du, sind diese beiden Uhren nicht schön, die ich gestern kaufte?

LA FLEUR. Sehr schön.

MARQUIS. Und diese Dose?

LA FLEUR. Kostbar und zierlich.

MARQUIS. Dieser Ring?

LA FLEUR. Gehört auch Ihnen?

MARQUIS. Diese Schnallen? Diese Stahlknöpfe? Genug, alles zusammen! Findest du mich nicht elegant und vornehm gekleidet?

LA FLEUR. Sie zeichnen sich nun auf dem Spaziergange gewiß vor vielen aus.

MARQUIS. Wie wohl mir das tut! – Aus Not ewig in der Uniform zu gehen, immer in der Menge verloren zu sein, die Aufmerksamkeit keines Menschen zu reizen! Ich hätte lieber tot sein mögen als länger so leben. – Ist die Nichte schon aufgestanden?

LA FLEUR. Ich glaube kaum. Sie hat wenigstens das Frühstück noch nicht gefordert. Es scheint mir, sie ist erst wieder eingeschlafen, seitdem Sie heute früh von ihr wegschlichen.

MARQUIS. Unverschämter! – Stille!

LA FLEUR. Unter uns darf ich doch aufrichtig sein!

MARQUIS. Wenn dir in Gegenwart meiner Frau so ein Wort entführe!

LA FLEUR. Glauben Sie nicht, daß ich Herr über meine Lippen bin?

MARQUIS. Noch kann die Marquise unmöglich etwas argwöhnen. Sie hält die Nichte für ein Kind, in drei Jahren haben sie sich nicht gesehen; ich fürchte, wenn sie das Kind recht ansieht –

LA FLEUR. Das möchte noch alles gehen. Wenn sie nur nicht die Bekanntschaft mit dem alten Hexenmeister hätte; vor dem fürchte ich mich. Der Mann ist ein Wunder! Alles weiß er, alles verraten ihm seine Geister. Wie ging es im Hause des Domherrn? Der Zauberer entdeckte ein wichtiges Geheimnis, und nun sollte es der Kammerdiener verschwatzt haben.

MARQUIS. Er ist eben, soviel ich weiß, nicht der größte Freund meiner Frau.

LA FLEUR. Ach, er bekümmert sich um alles; und wenn er seine Geister fragt, bleibt ihm nichts verborgen.

MARQUIS. Sollte denn das alles wahr sein, was man von ihm erzählt?

LA FLEUR. Es zweifelt niemand daran. Nur die Wunder, die ich gewiß weiß –

MARQUIS. Es ist doch sonderbar! – Sieh zu, es fährt ein Wagen vor.

La Fleur ab.

MARQUIS. Wenn meine Frau mein Verhältnis zur schönen Nichte erfahren könnte! – Nun, es käme auf den ersten Augenblick an. Wenn sie ihre Plane durchsetzt, wenn ich ihr zum Werkzeug diene, läßt sie mich dann nicht machen, was ich will? – Sie selbst!

Zweiter Auftritt

Der Marquis. Die Marquise.

MARQUISE. Ich komme früher, als ich dachte.

MARQUIS. Ich freue mich, dich endlich wiederzusehen.

MARQUISE. Warum kamst du mir nicht auch entgegen? Der Domherr hatte dich eingeladen.

MARQUIS. Verzeih mir! Ich hatte eben gestern vieles zu berichtigen. Du schriebst mir ja, daß ich mich zu einer Reise vorbereiten sollte.

MARQUISE. Du hast nicht viel verloren. Der Domherr war unleidlich und die Gesellschaft verstimmt. Zuletzt überraschte uns noch der Graf und jagte uns auseinander. Man muß sich nun einmal die Tollheiten dieses Menschen gefallen lassen.

MARQUIS lächelnd. Wie geht es denn mit deiner Unterhandlung? Ironisch. Hast du dich bei Hofe recht eingeschmeichelt?

MARQUISE. Es ist wahr, wir haben uns lange nicht gesehen. Du warst abwesend, als ich verreiste. Gleich als der Fürst und die Prinzessin auf das Lustschloß hinausgezogen waren, mietete ich mir ein kleines Landhaus in der Nähe und wohnte da ganz im stillen, indes sich der Domherr einbildete, ich sähe die Prinzessin täglich. Ich schickte ihm Boten, ich erhielt Briefe von ihm, und seine Hoffnung war aufs äußerste gespannt. Denn wie unglücklich dieser Mann ist, seitdem ihn sein unkluges Betragen vom Hofe entfernt hat, wie leichtgläubig, wenn seinen Hoffnungen geschmeichelt wird, läßt sich nicht denken. Ich brauchte es nicht so künstlich anzulegen, als ich es getan habe, und ich überredete ihn doch.

MARQUIS. Aber auf die Länge kann dieses Märchen nicht halten.

MARQUISE. Dafür laß mich sorgen. Er ist jetzt nahe dem Gipfel seiner Glückseligkeit. Heute nacht, als er mich auf seinem Landhause empfing, brachte ich ihm einen Brief von der Prinzessin –

MARQUIS. Von der Prinzessin?

MARQUISE. Den ich selbst geschrieben hatte. Er war in allgemeinen Ausdrücken gefaßt; die Überbringerin, hieß es, würde mehr sagen.

MARQUIS. Und weiter?

MARQUISE. Ich kündigte ihm die Gnade der Prinzessin an; ich versicherte ihn, daß sie sich bei ihrem Vater verwenden und die Gnade des Fürsten gewiß für ihn wiedererlangen würde.

MARQUIS. Gut! aber welchen Vorteil versprichst du dir von allem diesem?

MARQUISE. Erstlich eine Kleinigkeit, in die wir uns auf der Stelle teilen wollen. Sie zieht einen Beutel hervor.

MARQUIS. Bestes Weib!

MARQUISE. Das erhielt ich vom Domherrn, um die Garderobe der Fürstin mir günstig zu machen. Zähle dir nur gleich deine Hälfte davon ab.

Marquis tritt an den Tisch und zählt, ohne auf das, was sie sagt, achtzugeben.

MARQUISE. aber, wie gesagt, eine Kleinigkeit! – Gelingt mir mein Anschlag, so sind wir auf immer geborgen. – Die Hofjuweliere haben schon lange ein kostbares Halsband liegen, das sie gern verkaufen möchten; der Domherr hat so viel Kredit, daß sie es ihm wohl einhändigen, wenn er ihnen eine terminliche Zahlung garantiert, und ich –

MARQUIS der nach ihr hinsieht. Was sagst du von Terminen? von Zahlung?

MARQUISE. Merkst du denn nicht auf? Du bist so ganz bei dem Gelde.

MARQUIS. Hier hast du deine Hälfte! Die meine soll gut angewendet werden. Sieh einmal, wie ich mich herausgeputzt habe. Er zeigt sich ihr; dann tritt er vor den Spiegel.

MARQUISE für sich. O des eitlen, kleinlichen Menschen!

MARQUIS sich herumkehrend. Was wolltest du sagen?

MARQUISE. Du hättest besser aufgemerkt, wenn du hättest ahnen können, von welcher wichtigen Sache ich sprach. Es ist nichts weniger, als mit einem einzigen Schlage unser ganzes Glück zu machen.

MARQUIS. Und wie?

MARQUISE. Erinnerst du dich, von dem kostbaren Halsbande gehört zu haben, das die Hofjuweliere arbeiten ließen, in Hoffnung, der Fürst solle seiner Tochter damit ein Geschenk machen?

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