Kitabı oku: «Wilhelm Meisters Wanderjahre — Band 3», sayfa 10
Am wenigsten aber begriff mich der Bote, an welchen eigentlich der Garnträger mich gewiesen hatte, mit großem Lob meiner schönen technischen Kenntnisse und des besonderen Interesses an solchen Dingen. Auch von meinem vielen Aufschreiben und Bemerken hatte jener gute Mann erzählt, worauf sich denn der Berggenoß gleichfalls eingerichtet hatte. Lange wartete mein Begleiter, daß ich meine Schreibtafel hervorholen sollte, nach welcher er denn auch endlich, einigermaßen ungeduldig, fragte.
Sonntag, den 21.
Mittag kam beinahe herbei, eh' ich die Freundin wieder ansichtig werden konnte. Der Hausgottesdienst, bei dem sie mich nicht gegenwärtig wünschte, war indessen gehalten; der Vater hatte demselben beigewohnt und, die erbaulichsten Worte deutlich und vernehmlich sprechend, alle Anwesenden und sie selbst bis zu den herzlichsten Tränen gerührt. "Es waren", sagte sie, "bekannte Sprüche, Reime, Ausdrücke und Wendungen, die ich hundertmal gehört und als an hohlen Klängen mich geärgert hatte; diesmal flossen sie aber so herzlich zusammengeschmolzen, ruhig glühend, von Schlacken rein, wie wir das erweichte Metall in der Rinne hinfließen sehen. Es war mir angst und bange, er möchte sich in diesen Ergießungen aufzehren, jedoch ließ er sich ganz munter zu Bette führen; er wollte, sagte er, sich sammeln und den Gast, sobald er Kraft genug fühle, zu sich rufen lassen."
Nach Tische ward unser Gespräch lebhafter und vertraulicher, aber ebendeshalb konnte ich mehr empfinden und bemerken, daß sie etwas zurückhielt, daß sie mit beunruhigenden Gedanken kämpfte, wie es ihr auch nicht ganz gelang, ihr Gesicht zu erheitern. Nachdem ich hin und her versucht, sie zur Sprache zu bringen, so gestand ich aufrichtig, daß ich ihr eine gewisse Schwermut, einen Ausdruck von Sorge anzusehen glaubte, seien es häusliche oder Handelsbedrängnisse, sie solle sich mir eröffnen; ich wäre reich genug, eine alte Schuld ihr auf jede Weise abzutragen.
Sie verneinte lächelnd, daß dies der Fall sei. "Ich habe", fuhr sie fort, "wie Sie zuerst hereintreten, einen von denen Herren zu sehen geglaubt, die mir in Triest Kredit machen, und war mit mir selbst wohl zufrieden, als ich mein Geld vorrätig wußte, man mochte die ganze Summe oder einen Teil verlangen. Was mich aber drückt, ist doch eine Handelssorge, leider nicht für den Augenblick, nein! für alle Zukunft. Das überhandnehmende Maschinenwesen quält und ängstigt mich, es wälzt sich heran wie ein Gewitter, langsam, langsam; aber es hat seine Richtung genommen, es wird kommen und treffen. Schon mein Gatte war von diesem traurigen Gefühl durchdrungen. Man denkt daran, man spricht davon, und weder Denken noch Reden kann Hülfe bringen. Und wer möchte sich solche Schrecknisse gern vergegenwärtigen! Denken Sie, daß viele Täler sich durchs Gebirg schlingen, wie das, wodurch Sie herabkamen; noch schwebt Ihnen das hübsche, frohe Leben vor, das Sie diese Tage her dort gesehen, wovon Ihnen die geputzte Menge allseits andringend gestern das erfreulichste Zeugnis gab; denken Sie, wie das nach und nach zusammensinken, absterben, die öde, durch Jahrhunderte belebt und bevölkert, wieder in ihre uralte Einsamkeit zurückfallen werde.
Hier bleibt nur ein doppelter Weg, einer so traurig wie der andere: entweder selbst das Neue zu ergreifen und das Verderben zu beschleunigen, oder aufzubrechen, die Besten und Würdigsten mit sich fort zu ziehen und ein günstigeres Schicksal jenseits der Meere zu suchen. Eins wie das andere hat sein Bedenken, aber wer hilft uns die Gründe abwägen, die uns bestimmen sollen? Ich weiß recht gut, daß man in der Nähe mit dem Gedanken umgeht, selbst Maschinen zu errichten und die Nahrung der Menge an sich zu reißen. Ich kann niemanden verdenken, daß er sich für seinen eigenen Nächsten hält; aber ich käme mir verächtlich vor, sollt' ich diese guten Menschen plündern und sie zuletzt arm und hülflos wandern sehen; und wandern müssen sie früh oder spat. Sie ahnen, sie wissen, sie sagen es, und niemand entschließt sich zu irgendeinem heilsamen Schritte. Und doch, woher soll der Entschluß kommen? wird er nicht jedermann ebensosehr erschwert als mir?
Mein Bräutigam war mit mir entschlossen zum Auswandern; er besprach sich oft über Mittel und Wege, sich hier loszuwinden. Er sah sich nach den Besseren um, die man um sich versammeln, mit denen man gemeine Sache machen, die man an sich heranziehen, mit sich fortziehen könnte; wir sehnten uns, mit vielleicht allzu jugendlicher Hoffnung, in solche Gegenden, wo dasjenige für Pflicht und Recht gelten könnte, was hier ein Verbrechen wäre. Nun bin ich im entgegengesetzten Falle: der redliche Gehülfe, der mir nach meines Gatten Tode geblieben, trefflich in jedem Sinne, mir freundschaftlich liebevoll anhänglich, er ist ganz der entgegengesetzten Meinung.
Ich muß Ihnen von ihm sprechen, eh' Sie ihn gesehen haben; lieber hätt' ich es nachher getan, weil die persönliche Gegenwart gar manches Rätsel aufschließt. Ungefähr von gleichem Alter wie mein Gatte, schloß er sich als kleiner, armer Knabe an den wohlhabenden, wohlwollenden Gespielen, an die Familie, an das Haus, an das Gewerbe; sie wuchsen zusammen heran und hielten zusammen, und doch waren es zwei ganz verschiedene Naturen; der eine frei gesinnt und mitteilend, der andere in früherer Jugend gedrückt, verschlossen, den geringsten ergriffenen Besitz festhaltend, zwar frommer Gesinnung, aber mehr an sich als an andere denkend.
Ich weiß recht gut, daß er von den ersten Zeiten her ein Auge auf mich richtete, er durfte es wohl, denn ich war ärmer als er; doch hielt er sich zurück, sobald er die Neigung des Freundes zu mir bemerkte. Durch anhaltenden Fleiß, Tätigkeit und Treue machte er sich bald zum Mitgenossen des Gewerbes. Mein Gatte hatte heimlich den Gedanken, bei unserer Auswanderung diesen hier einzusetzen und ihm das Zurückgelassene anzuvertrauen. Bald nach dem Tode des Trefflichen näherte er sich mir, und vor einiger Zeit verhielt er nicht, daß er sich um meine Hand bewerbe. Nun tritt aber der doppelt wunderliche Umstand ein, daß er sich von jeher gegen das Auswandern erklärte und dagegen eifrig betreibt, wir sollen auch Maschinen anlegen. Seine Gründe freilich sind dringend, denn in unsern Gebirgen hauset ein Mann, der, wenn er, unsere einfacheren Werkzeuge vernachlässigend, zusammengesetztere sich erbauen wollte, uns zugrunde richten könnte. Dieser in seinem Fache sehr geschickte Mann — wir nennen ihn den Geschirrfasser — ist einer wohlhabenden Familie in der Nachbarschaft anhänglich, und man darf wohl glauben, daß er im Sinne hat, von jenen steigenden Erfindungen für sich und seine Begünstigten nützlichen Gebrauch zu machen. Gegen die Gründe meines Gehülfen ist nichts einzuwenden, denn schon ist gewissermaßen zu viel Zeit versäumt, und gewinnen jene den Vorrang, so müssen wir, und zwar mit Unstatten, doch das gleiche tun. Dieses ist, was mich ängstigt und quält, das ist's, was Sie mir, teuerster Mann, als einen Schutzengel erscheinen läßt."
Ich hatte wenig Tröstliches hierauf zu erwidern, ich mußte den Fall so verwickelt finden, daß ich mir Bedenkzeit ausbat. Sie aber fuhr fort: "Ich habe noch manches zu eröffnen, damit meine Lage Ihnen noch mehr wundersam erscheine. Der junge Mann, dem ich persönlich nicht abgeneigt bin, der mir aber keineswegs meinen Gatten ersetzen noch meine eigentliche Neigung erwerben würde" — sie seufzte, indem sie dies sprach — , "wird seit einiger Zeit entschieden dringender, seine Vorträge sind so liebevoll als verständig. Die Notwendigkeit, meine Hand ihm zu reichen, die Unklugheit, an eine Auswanderung zu denken und darüber das einzige wahre Mittel der Selbsterhaltung zu versäumen, sind nicht zu widerlegen, und es scheint ihm mein Widerstreben, meine Grille des Auswanderns so wenig mit meinem übrigen haushältischen Sinn übereinzustimmen, daß ich bei einem letzten, etwas heftigen Gespräch die Vermutung bemerken konnte, meine Neigung müsse wo anders gefesselt sein." Sie brachte das letzte nur mit einigem Stocken hervor und blickte vor sich nieder.
Was mir bei diesen Worten durch die Seele fuhr, denke jeder, und doch, bei blitzschnell nachfahrender überlegung, mußt' ich fühlen, daß jedes Wort die Verwirrung nur vermehren würde. Doch ward ich zugleich, so vor ihr stehend, mir deutlich bewußt, daß ich sie im höchsten Grade liebgewonnen habe und nun alles, was in mir von vernünftiger, verständiger Kraft übrig war, aufzuwenden hatte, um ihr nicht sogleich meine Hand anzubieten. Mag sie doch, dachte ich, alles hinter sich lassen, wenn sie mir folgt! Doch die Leiden vergangener Jahre hielten mich zurück. Sollst du eine neue falsche Hoffnung hegen, um lebenslänglich daran zu büßen?
Wir hatten beide eine Zeitlang geschwiegen, als Lieschen, die ich nicht hatte herankommen sehen, überraschend vor uns trat und die Erlaubnis verlangte, auf dem nächsten Hammerwerke diesen Abend zuzubringen. Ohne Bedenken ward es gewährt. Ich hatte mich indessen zusammengenommen und fing an, im allgemeinen zu erzählen: wie ich auf meinen Reisen das alles längst herankommen gesehen, wie Trieb und Notwendigkeit des Auswanderns jeden Tag sich vermehre; doch bleibe ein solches Abenteuer immer das Gefährlichste. Unvorbereitetes Wegeilen bringe unglückliche Wiederkehr; kein anderes Unternehmen bedürfe so viel Vorsicht und Leitung als ein solches. Diese Betrachtung war ihr nicht fremd, sie hatte viel über alle Verhältnisse gedacht, aber zuletzt sprach sie mit einem tiefen Seufzer: "Ich habe diese Tage Ihres Hierseins immer gehofft, durch vertrauliche Erzählung Trost zu gewinnen, aber ich fühle mich übler gestellt als vorher, ich fühle recht tief, wie unglücklich ich bin." Sie hob den Blick nach mir, aber die aus den schönen, guten Augen ausquellenden Tränen zu verbergen, wendete sie sich um und entfernte sich einige Schritte.
Ich will mich nicht entschuldigen, aber der Wunsch, diese herrliche Seele, wo nicht zu trösten, doch zu zerstreuen, gab mir den Gedanken ein, ihr von der wundersamen Vereinigung mehrerer Wandernden und Scheidenden zu sprechen, in die ich schon seit einiger Zeit getreten war. Unversehens hatte ich schon so weit mich herausgelassen, daß ich kaum hätte zurückhalten können, als ich gewahrte, wie unvorsichtig mein Vertrauen gewesen sein mochte. Sie beruhigte sich, staunte, erheiterte, entfaltete ihr ganzes Wesen und fragte mit solcher Neigung und Klugheit, daß ich ihr nicht mehr ausweichen, daß ich ihr alles bekennen mußte.
Gretchen trat vor uns und sagte: wir möchten zum Vater kommen! Das Mädchen schien sehr nachdenklich und verdrießlich. Zur Weggehenden sagte die Schöne-Gute: "Lieschen hat Urlaub für heut abend, besorge du die Geschäfte." — "Ihr hättet ihn nicht geben sollen", versetzte Gretchen, "sie stiftet nichts Gutes; Ihr seht dem Schalk mehr nach, als billig, vertraut ihr mehr, als recht ist. Eben jetzt erfahr' ich, sie hat ihm gestern einen Brief geschrieben; Euer Gespräch hat sie behorcht, jetzt geht sie ihm entgegen."
Ein Kind, das indessen beim Vater geblieben war, bat mich, zu eilen, der gute Mann sei unruhig. Wir traten hinein; heiter, ja verklärt saß er aufrecht im Bette. "Kinder", sagte er, "ich habe diese Stunden im anhaltenden Gebet vollbracht, keiner von allen Dank — und Lobgesängen Davids ist von mir unberührt geblieben, und ich füge hinzu, aus eignem Sinne mit gestärktem Glauben: Warum hofft der Mensch nur in die Nähe? da muß er handeln und sich helfen, in die Ferne soll er hoffen und Gott vertrauen." Er faßte Lenardos Hand und so die Hand der Tochter, und beide ineinander legend sprach er: "Das soll kein irdisches, es soll ein himmlisches Band sein; wie Bruder und Schwester liebt, vertraut, nützt und helft einander, so uneigennützig und rein, wie euch Gott helfe." Als er dies gesagt, sank er zurück mit himmlischem Lächeln und war heimgegangen. Die Tochter stürzte vor dem Bett nieder, Lenardo neben sie, ihre Wangen berührten sich, ihre Tränen vereinigten sich auf seiner Hand.
Der Gehülfe rennt in diesem Augenblick herein, erstarrt über der Szene. Mit wildem Blick, die schwarzen Locken schüttelnd, ruft der wohlgestaltete Jüngling: "Er ist tot; in dem Augenblick, da ich seine wiederhergestellte Sprache dringend anrufen wollte, mein Schicksal, das Schicksal seiner Tochter zu entscheiden, des Wesens, das ich nächst Gott am meisten liebe, dem ich ein gesundes Herz wünschte, ein Herz, das den Wert meiner Neigung fühlen könnte. Für mich ist sie verloren, sie kniet neben einem andern! Hat er euch eingesegnet? gesteht's nur!"
Das herrliche Wesen war indessen aufgestanden, Lenardo hatte sich erhoben und erholt; sie sprach: "Ich erkenn' Euch nicht mehr, den sanften, frommen, auf einmal so verwilderten Mann; wißt Ihr doch, wie ich Euch danke, wie ich von Euch denke."
"Von Danken und Denken ist hier die Rede nicht", versetzte jener gefaßt, "hier handelt sich's vom Glück oder Unglück meines Lebens. Dieser fremde Mann macht mich besorgt; wie ich ihn ansehe, getrau' ich mich nicht, ihn aufzuwiegen; frühere Rechte zu verdrängen, frühere Verbindungen zu lösen vermag ich nicht."
"Sobald du wieder in dich selbst zurücktreten kannst", sagte die Gute, schöner als je, "wenn mit dir zu sprechen ist wie sonst und immer, so will ich dir sagen, dir beteuern bei den irdischen Resten meines verklärten Vaters, daß ich zu diesem Herrn und Freunde kein ander Verständnis habe, als das du kennen, billigen und teilen kannst und dessen du dich erfreuen mußt."
Lenardo schauderte bis tief ins Innerste, alle drei standen still, stumm und nachdenkend eine Weile; der Jüngling nahm zuerst das Wort und sagte: "Der Augenblick ist von zu großer Bedeutung, als daß er nicht entscheidend sein sollte. Es ist nicht aus dem Stegreif, was ich spreche, ich habe Zeit gehabt zu denken, also vernehmt: Die Ursache, deine Hand mir zu verweigern, war meine Weigerung, dir zu folgen, wenn du aus Not oder Grille wandern würdest. Hier also erklär' ich feierlich vor diesem gültigen Zeugen, daß ich deinem Auswandern kein Hindernis in den Weg legen, vielmehr es befördern und dir überallhin folgen will. Gegen diese mir nicht abgenötigte, sondern nur durch die seltsamsten Umstände beschleunigte Erklärung verlang' ich aber im Augenblick deine Hand." Er reichte sie hin, stand fest und sicher da, die beiden andern wichen überrascht, unwillkürlich zurück.
"Es ist ausgesprochen", sagte der Jüngling, ruhig mit einer gewissen frommen Hoheit: "das sollte geschehen, es ist zu unser aller Bestem, Gott hat es gewollt; aber damit du nicht denkst, es sei übereilung und Grille, so wisse nur, ich hatte dir zulieb auf Berg und Felsen Verzicht getan und eben jetzt in der Stadt alles eingeleitet, um nach deinem Willen zu leben. Nun aber geh' ich allein, du wirst mir die Mittel dazu nicht versagen, du behältst noch immer genug übrig, um es hier zu verlieren, wie du fürchtest und wie du recht hast zu fürchten. Denn ich habe mich endlich auch überzeugt: der künstliche, werktätige Schelm hat sich ins obere Tal gewendet, dort legt er Maschinen an, du wirst ihn alle Nahrung an sich ziehen sehen, vielleicht rufst du, und nur allzubald, einen treuen Freund zurück, den du vertreibst."
Peinlicher haben nicht leicht drei Menschen sich gegenübergestanden, alle zusammen in Furcht, sich einander zu verlieren, und im Augenblick nicht wissend, wie sie sich wechselseitig erhalten sollten.
Leidenschaftlich entschlossen stürzte der Jüngling zur Türe hinaus. Auf ihres Vaters erkältete Brust hatte die Schöne-Gute ihre Hand gelegt: "In die Nähe soll man nicht hoffen", rief sie aus, "aber in die Ferne, das war sein letzter Segen. Vertrauen wir Gott, jeder sich selbst und dem andern, so wird sich's wohl fügen."
Vierzehntes Kapitel
Unser Freund las mit großem Anteil das Vorgelegte, mußte aber zugleich gestehen, er habe schon beim Schluß des vorigen Heftes geahnet, ja vermutet, das gute Wesen sei entdeckt worden. Die Beschreibung der schroffen Gebirgsgegend habe ihn zuerst in jene Zustände versetzt, besonders aber sei er durch die Ahnung Lenardos in jener Mondennacht, so auch durch die Wiederholung der Worte seines Briefes auf die Spur geleitet worden. Friedrich, dem er das alles umständlich vortrug, ließ sich es auch ganz wohl gefallen.
Hier aber wird die Pflicht des Mitteilens, Darstellens, Ausführens und Zusammenziehens immer schwieriger. Wer fühlt nicht, daß wir uns diesmal dem Ende nähern, wo die Furcht, in Umständlichkeiten zu verweilen, mit dem Wunsche, nichts völlig unerörtert zu lassen, uns in Zwiespalt versetzt. Durch die eben angekommene Depesche wurden wir zwar von manchem unterrichtet, die Briefe jedoch und die vielfachen Beilagen enthielten verschiedene Dinge, gerade nicht von allgemeinem Interesse. Wir sind also gesonnen, dasjenige, was wir damals gewußt und erfahren, ferner auch das, was später zu unserer Kenntnis kam, zusammenzufassen und in diesem Sinne das übernommene ernste Geschäft eines treuen Referenten getrost abzuschließen.
Vor allen Dingen haben wir daher zu berichten, daß Lothario mit Theresen, seiner Gemahlin, und Natalien, die ihren Bruder nicht von sich lassen wollte, in Begleitung des Abbés schon wirklich zur See gegangen sind. Unter günstigen Vorbedeutungen reisten sie ab, und hoffentlich bläht ein fördernder Wind ihre Segel. Die einzige unangenehme Empfindung, eine wahre sittliche Trauer, nehmen sie mit: daß sie Makarien vorher nicht ihren Besuch abstatten konnten. Der Umweg war zu groß, das Unternehmen zu bedeutend; schon warf man sich einige Zögerung vor und mußte selbst eine heilige Pflicht der Notwendigkeit aufopfern.
Wir aber, von unserer erzählenden und darstellenden Seite, sollten diese teuren Personen, die uns früher so viele Neigungen abgewonnen, nicht in so weite Entfernung ziehen lassen, ohne von ihrem bisherigen Vornehmen und Tun nähere Nachricht erteilt zu haben, besonders da wir so lange nichts Ausführliches von ihnen vernommen. Gleichwohl unterlassen wir dieses, weil ihr bisheriges Geschäft sich nur vorbereitend auf das große Unternehmen bezog, auf welches wir sie lossteuern sehen. Wir leben jedoch in der Hoffnung, sie dereinst in voller geregelter Tätigkeit, den wahren Wert ihrer verschiedenen Charaktere offenbarend, vergnüglich wiederzufinden.
Juliette, die Sinnige-Gute, deren wir uns wohl noch erinnern, hatte geheiratet, einen Mann nach dem Herzen des Oheims, durchaus in seinem Sinne mit — und fortwirkend. Juliette war in der letzten Zeit viel um die Tante, wo manche derjenigen zusammentrafen, auf die sie wohltätigen Einfluß gehabt; nicht nur solche, die dem festen Lande gewidmet bleiben, auch solche, die über See zu gehen gedenken. Lenardo hingegen hatte schon früher mit Friedrichen Abschied genommen; die Mitteilung durch Boten war unter diesen desto lebhafter.
Vermißte man also in dem Verzeichnisse der Gäste jene edlen Obengenannten, so waren doch manche bedeutende, uns schon näher bekannte Personen darauf zu finden. Hilarie kam mit ihrem Gatten, der nun als Hauptmann und entschieden reicher Gutsbesitzer auftrat. Sie in ihrer großen Anmut und Liebenswürdigkeit gewann sich hier wie überall gar gern Verzeihung einer allzu großen Leichtigkeit, von Interesse zu Interesse übergehend zu wechseln, deren wir sie im Lauf der Erzählung schuldig gefunden. Besonders die Männer rechneten es ihr nicht hoch an. Einen dergleichen Fehler, wenn es einer ist, finden sie nicht anstößig, weil ein jeder wünschen und hoffen mag, auch an die Reihe zu kommen.
Flavio, ihr Gemahl, rüstig, munter und liebenswürdig genug, schien vollkommen ihre Neigung zu fesseln; sie mochte sich das Vergangene selbst verziehen haben; auch fand Makarie keinen Anlaß, dessen zu erwähnen. Er, der immer leidenschaftliche Dichter, bat sich aus, beim Abschiede ein Gedicht vorlesen zu dürfen, welches er zu Ehren ihrer und ihrer Umgebung in den wenigen Tagen seines Hierseins verfaßte. Man sah ihn oft im Freien auf und ab gehen, nach einigem Stillstand mit bewegter Gebärde wieder vorwärts schreitend in die Schreibtafel schreiben, sinnen und wieder schreiben. Nun aber schien er es für vollendet zu halten, als er durch Angela jenen Wunsch zu erkennen gab.
Die gute Dame, obgleich ungern, verstand sich hiezu, und es ließ sich allenfalls anhören, ob man gleich dadurch weiter nichts erfuhr, als was man schon wußte, nichts fühlte, als was man schon gefühlt hatte. Indessen war denn doch der Vortrag leicht und gefällig, Wendung und Reim mitunter neu, wenn man es auch hätte im ganzen etwas kürzer wünschen mögen. Zuletzt übergab er dasselbe, auf gerändertes Papier sehr schön geschrieben, und man schied mit vollkommener wechselseitiger Zufriedenheit.
Dieses Paar war von einer bedeutenden, wohlgenutzten Reise nach dem Süden zurückgekommen, um den Vater, den Major, von Hause abzulösen, der mit jener Unwiderstehlichen, die nun seine Gemahlin geworden, auch etwas von der paradiesischen Luft zu einiger Erquickung einatmen wollte.
Diese beiden kamen denn auch, im Wechsel, und so wie überall hatte bei Makarien die Merkwürdige auch vorzügliche Gunst, welche sich besonders darin erwies, daß die Dame in den innern Zimmern und allein empfangen wurde, welche Geneigtheit auch nachher dem Major zuteil ward. Dieser empfahl sich darauf sogleich als gebildeter Militär, guter Haus — und Landwirt, Literaturfreund, sogar als Lehrdichter beifallswürdig und fand bei dem Astronomen und sonstigen Hausgenossen guten Eingang.
Auch von unserm alten Herrn, dem würdigen Oheim, ward er besonders ausgezeichnet, welcher, in mäßiger Ferne wohnend, diesmal mehr, als er sonst pflegte, obgleich nur für Stunden, herüberkam, aber keine Nacht, auch bei angebotener größten Bequemlichkeit, zu bleiben bewogen werden konnte.
Bei solchen kurzen Zusammenkünften war seine Gegenwart jedoch höchst erfreulich, weil er sodann, als Welt — und Hofmann, nachgiebig und vermittelnd auftreten wollte; wobei denn sogar ein Zug von aristokratischer Pedanterie nicht unangenehm empfunden wurde. überdem ging diesmal sein Behagen von Grund aus, er war glücklich, wie wir uns alle fühlen, wenn wir mit verständig-vernünftigen Leuten Wichtiges zu verhandeln haben. Das umfassende Geschäft war völlig im Gange, es bewegte sich stetig nach gepflogener Verabredung.
Hievon nur die Hauptmomente. Er ist drüben über dem Meere, von seinen Vorfahren her, Eigentümer. Was das heißen wolle, möge der Kenner dortiger Angelegenheiten, da es uns hier zu weit führen müßte, seinen Freunden näher erklären. Diese wichtigen Besitzungen waren bisher verpachtet und trugen, bei mancherlei Unannehmlichkeiten, wenig ein. Die Gesellschaft, die wir genugsam kennen, ist nun berechtigt, dort Besitz zu nehmen, mitten in der vollkommensten bürgerlichen Einrichtung, von da sie als einflußreiches Staatsglied ihren Vorteil ersehen und sich in die noch unangebaute Wüste fern verbreiten kann. Hier nun will sich Friedrich mit Lenardo besonders hervortun, um zu zeigen, wie man eigentlich von vorn beginnen und einen Naturweg einschlagen könne.
Kaum hatten sich die Genannten von ihrem Aufenthalte höchst zufrieden entfernt, so waren dagegen Gäste ganz anderer Art angemeldet und doch auch willkommen. Wir erwarteten wohl kaum, Philinen und Lydien an so heiliger Stätte auftreten zu sehen, und doch kamen sie an. Der zunächst in den Gebirgen noch immer weilende Montan sollte sie hier abholen und auf dem nächsten Wege zur See bringen. Beide wurden von Haushälterinnen, Schaffnerinnen, sonst angestellten und mitwohnenden Frauen sehr gut aufgenommen: Philine brachte ein paar allerliebste Kinder mit und zeichnete sich, bei einer einfachen, sehr reizenden Kleidung, aus durch das Sonderbare, daß sie von blumig gesticktem Gürtel herab an langer silberner Kette eine mäßig große englische Schere trug, mit der sie manchmal, gleichsam als wollte sie ihrem Gespräch einigen Nachdruck geben, in die Luft schnitt und schnappte und durch einen solchen Akt die sämtlichen Anwesenden erheiterte; worauf denn bald die Frage folgte: ob es denn in einer so großen Familie nichts zuzuschneiden gebe? und da fand sich denn, daß, erwünscht für eine solche Tätigkeit, ein paar Bräute sollten ausgestattet werden. Sie sieht hierauf die Landestracht an, läßt die Mädchen vor sich auf und ab gehen und schneidet immer zu, wobei sie aber, mit Geist und Geschmack verfahrend, ohne dem Charakter einer solchen Tracht etwas zu benehmen, das eigentlich stockende Barbarische derselben mit einer Anmut zu vermitteln weiß, so gelind, daß die Bekleideten sich und andern besser gefallen und die Bangigkeit überwinden, man möge von dem Herkömmlichen doch abgewichen sein.
Hier kam nun Lydie, die mit gleicher Fertigkeit, Zierlichkeit und Schnelle zu nähen verstand, vollkommen zu Hülfe, und man durfte hoffen, mit dem übrigen weiblichen Beistand die Bräute schneller, als man gedacht hatte, herausgeputzt zu sehen. Dabei durften sich diese Mädchen nicht lange entfernen, Philine beschäftigte sich mit ihnen bis aufs kleinste und behandelte sie wie Puppen oder Theaterstatisten. Gehäufte Bänder und sonstiger in der Nachbarschaft üblicher Festschmuck wurde schicklich verteilt, und so erreichte man zuletzt, daß diese tüchtigen Körper und hübschen Figuren, sonst durch barbarische Pedanterei zugedeckt, nunmehr zu einiger Evidenz gelangten, wobei alle Derbheit doch immer zu einiger Anmut herausgestutzt erschien.
Allzu tätige Personen werden aber doch in einem gleichmäßig geregelten Zustande lästig. Philine war mit ihrer gefräßigen Schere in die Zimmer geraten, wo die Vorräte zu Kleidern für die große Familie, in Stoffen aller Art, zur Hand lagen. Da fand sie nun in der Aussicht, das alles zu zerschneiden, die größte Glückseligkeit; man mußte sie wirklich daraus entfernen und die Türen fest verschließen, denn sie kannte weder Maß noch Ziel. Angela wollte wirklich deshalb nicht als Braut behandelt sein, weil sie sich vor einer solchen Zuschneiderin fürchtete; überhaupt ließ sich das Verhältnis zwischen beiden keineswegs glücklich einleiten. Doch hievon kann erst später die Rede sein.
Montan, länger als man gedacht hatte, zauderte zu kommen, und Philine drang darauf, Makarien vorgestellt zu werden. Es geschah, weil man sie alsdann um desto eher loszuwerden hoffte, und es war merkwürdig genug, die beiden Sünderinnen zu den Füßen der Heiligen zu sehen. Zu beiden Seiten lagen sie ihr an den Knieen, Philine zwischen ihren zwei Kindern, die sie lebhaft anmutig niederdrückte; mit gewohnter Heiterkeit sprach sie: "Ich liebe meinen Mann, meine Kinder, beschäftige mich gern für sie, auch für andere, das übrige verzeihst du!" Makarie begrüßte sie segnend, sie entfernte sich mit anständiger Beugung.
Lydie lag von der linken Seite her der Heiligen mit dem Gesicht auf dem Schoße, weinte bitterlich und konnte kein Wort sprechen; Makarie, ihre Tränen auffassend, klopfte ihr auf die Schulter als beschwichtigend, dann küßte sie ihr Haupt zwischen den gescheitelten Haaren, wie es vor ihr lag, brünstig und wiederholt in frommer Absicht.
Lydie richtete sich auf, erst auf ihre Kniee, dann auf die Füße, und schaute zu ihrer Wohltäterin mit reiner Heiterkeit. "Wie geschieht mir!" sagte sie, "wie ist mir! Der schwere, lästige Druck, der mir, wo nicht alle Besinnung, doch alles überlegen raubte, er ist auf einmal von meinem Haupte weggehoben, ich kann nun frei in die Höhe sehen, meine Gedanken in die Höhe richten, und", setzte sie nach tiefem Atemholen hinzu, "ich glaube, mein Herz will nach."
In diesem Augenblick eröffnete sich die Türe, und Montan trat herein, wie öfters der allzu lang Erwartete plötzlich und unverhofft erscheint. Lydie schritt munter auf ihn zu, umarmte ihn freudig, und indem sie ihn vor Makarien führte, rief sie aus: "Er soll erfahren, was er dieser Göttlichen schuldig ist, und sich mit mir dankend niederwerfen."
Montan, betroffen und, gegen seine Gewohnheit, gewissermaßen verlegen, sagte mit edler Verbeugung gegen die würdige Dame: "Es scheint sehr viel zu sein, denn ich werde dich ihr schuldig. Es ist das erstemal, daß du mir offen und liebevoll entgegenkommst, das erstemal, daß du mich ans Herz drückst, ob ich es gleich längst verdiente."
Hier nun müssen wir vertraulich eröffnen, daß Montan Lydien von ihrer frühen Jugend an geliebt, daß der einnehmendere Lothario sie ihm entführt, er aber ihr und dem Freunde treu geblieben und sie sich endlich, vielleicht zu nicht geringer Verwunderung unserer früheren Leser, als Gattin zugeeignet habe.
Diese drei zusammen, welche sich in der europäischen Gesellschaft doch nicht ganz behaglich fühlen mochten, mäßigten kaum den Ausdruck ihrer Freude, wenn von den dort erwarteten Zuständen die Rede war. Die Schere Philinens zuckte schon: denn man gedachte sich das Monopol vorzubehalten, diese neuen Kolonien mit Kleidungsstücken zu versorgen. Philine beschrieb den großen Tuch — und Leinwandvorrat sehr artig und schnitt in die Luft, die Ernte für Sichel und Sense, wie sie sagte, schon vor sich sehend.
Lydie dagegen, erst durch jene glücklichen Segnungen zu teilnehmender Liebe wieder auferwacht, sah im Geiste schon ihre Schülerinnen sich ins Hundertfache vermehren und ein ganzes Volk von Hausfrauen zu Genauigkeit und Zierlichkeit eingeleitet und aufgeregt. Auch der ernste Montan hat die dortige Bergfülle an Blei, Kupfer, Eisen und Steinkohlen dergestalt vor Augen, daß er alle sein Wissen und Können manchmal nur für ängstlich tastendes Versuchen erklären möchte, um erst dort in eine reiche, belohnende Ernte mutig einzugreifen.
Daß Montan sich mit unserm Astronomen bald verstehen würde, war vorauszusehen. Die Gespräche, die sie in Gegenwart Makariens führten, waren höchst anziehend; wir finden aber nur weniges davon niedergeschrieben, indem Angela seit einiger Zeit beim Zuhören minder aufmerksam und beim Aufzeichnen nachlässiger geworden war. Auch mochte ihr manches zu allgemein und für ein Frauenzimmer nicht faßlich genug vorkommen. Wir schalten daher nur einige der in jene Tage gehörigen äußerungen hier vorübergehend ein, die nicht einmal von ihrer Hand geschrieben uns zugekommen sind.