Kitabı oku: «Woher wir kommen. Wohin wir gehen.», sayfa 3
Bevor wir uns weiteren Illusionen hingeben: Das klappt auch nicht. Wir müssten nicht nur unsere gesamte Flugstrecke mit dem sehr seltenen Cäsium auskleiden (weil wir es als Transportmedium benötigen, uns in ihm fortbewegen wollen), wir stünden obendrein vor anderen übermächtigen Mauern. Da wäre der Antrieb. Der Energiebedarf, um Masse nur annähernd auf Lichtgeschwindigkeit hochzujagen, ist enorm. Außerdem gewinnt Masse mit zunehmendem Tempo an Gewicht. Wir benötigen also, je schneller wir werden, überproportional mehr Energie. Und dann wäre da noch die Gammastrahlung, auf die wir irgendwann träfen. Sie würde beginnen, uns zu zersetzen. Auch nicht fein. Außer wir hätten, wie der Physiker Harald Lesch einmal gemeint hat, einen wuchtigen Stirnknochen, an dem die Strahlung abprallt, wenn wir uns mit annähernd Lichtgeschwindigkeit fortbewegen und zum Fenster rausschauen, um zu sehen, wie Raum und Zeit sich immer mehr verbiegen. Mit diesem Knochenschild sähen wir allerdings aus wie Klingonen.
Also: Auf physikalischem Weg ist die Aufgabe nach derzeitiger Erkenntnis und in diesem Universum nicht zu lösen. Hm. Wieder: theoretisch möglich, aber für uns nicht.
Variante D:
Eine Lichtgeschwindigkeitsreise ginge mit Antimaterie als Treibstoff. Die müssten wir vorher erzeugen und mitnehmen. Allerdings ist Materie, die aus Antiteilchen besteht, nur ein extrem aufwendiges Experimentalprodukt der Forschung. Wir wissen: Antimaterie soll weder Neutron noch Proton noch Elektron haben. Und sonst? Nichts. Nur, dass sie ein fixer Bestandteil im Welterklärungsmodell der Physik ist, die Natur kennt sie trotzdem nicht. 1995 wies eine Arbeitsgruppe in der Kernforschungseinrichtung CERN erstmals Antiwasserstoff-Atome nach. Beim Raumschiff Enterprise diente eine Materie-Antimaterie-Reaktion als Energiequelle für den Warp-Antrieb. Wir haben so was Flottes leider noch nicht. Scotty, zurück zum Start.
Variante E:
Wir selbst ziehen alle Register. Wir haben als Ultima Ratio die Lösung parat. Ein Medium, mit dem es doch klappt. Dieses Medium war immer schon Vorreiter großer Errungenschaften und wird es auch immer sein, solange es uns gibt. Die menschliche Vorstellungskraft. Aber nützt es uns hier etwas? Das Überschreiten der Lichtgeschwindigkeit würde unsere Welt ins Chaos stürzen. Selbst bei bloßem Erreichen dieser Schwelle wäre nichts, wie es ist. Ein Gedanke – in der nüchternen Sprache der Biochemie nichts weiter als unsichtbarer, elektrischer Strom – hätte keine Zeit, sich zu entfalten. Es gäbe nichts, worauf er hinsteuern würde. Nichts, worauf er Bezug nehmen könnte. Weil er ja schon da ist. Von jetzt auf gleich sozusagen.
Überhaupt könnte nichts von A nach B gelangen. Blut und Sauerstoff fänden nicht zueinander, um die Zellen mit ihrem Gemisch zu speisen, den Stoffwechsel in Gang zu setzen und Energie zu erzeugen. Der Austausch von Sauerstoff gegen Kohlendioxid in der Lunge – zum Vergessen. Alles wäre auf eine seltsame Weise verwoben. Alles zugleich da. Und zugleich nicht. Es fehlte an Abläufen, an lebensnotwendiger Kausalität, an dem einen, das ein anderes bedingt oder zeitigt. Für ein geordnetes Dasein keine erquickliche Basis. Und die philosophischen Momente, in denen wir nach dem Woher und Wohin fragen, hätten sich auch erübrigt. Da wäre schon alles geklärt. Eigentlich müsste uns die spekulative Physik bescheiden machen. Immerhin zeigt sie uns, wie beschränkt wir in diesem Mesokosmos leben. Der Mensch neigt aber dazu, sich unheimlich in Szene zu setzen und wichtig zu machen.
Aber. Genau das führt uns zu einem neuen Gedanken.
Einem Umstand, der alles erklären kann.
Konkret: Die Hardware unserer Existenz war ab dem Urknall vorhanden – ein Faktum, auch wenn wir nicht in die Welt des überschnellen Lichts eintauchen und so tatsächlich in der Zeit zurückfahren können.
Alles war von Anfang an da. Wir sind heute nur die Software, die diese Hardware steuert. Die Essenz liegt in etwas Vergleichbarem wie der Ewigkeit.
Und wir werden sehen: Diese Hardware hat viel erlebt.
Und wir tragen ihre Geschichte in uns. Die Biografie des Universums ist auch die Geschichte von uns. Die Reise zu den Ursprüngen, aber auch zum Ende hat schon Literaturnobelpreisträger Gabriel Garcia Márquez in seinem wunderbaren Werk Hundert Jahre Einsamkeit thematisiert. Er ließ sie seinen Helden Aureliano Babilonia beim Auffinden der Pergamente des Zigeuners Melchiades zurücklegen.
»Es war die von Melchiades hundert Jahre vorausgesehene, bis in die belanglosesten Einzelheiten abgefasste Geschichte seines Geschlechtes; in Sanskrit, seiner Muttersprache, hatte er sie niedergeschrieben und die gleichen Verse mit dem Privatschlüssel des Kaiser Augustus, die ungleichen mit dem lazedämonischen Militärschlüssel chiffriert. Gefesselt von dem Fund, las Aureliano mit lauter Stimme, ohne eine Zeile zu überspringen, die gesungenen Enzykliken, die Melchiades persönlich vorgetragen hatte und die in Wirklichkeit die Voraussagen für das Weitere waren. In der Ungeduld, seinen eigenen Ursprung endlich kennenzulernen, machte Aureliano einen Sprung, als der Wind aufkam, mild, tastend, vom Geflüster uralter Geranien, den er allerdings nicht wahrnahm, weil er in diesem Augenblick die ersten Anzeichen seines Seins, in einem … Großvater entdeckte, der sich von der Leichtfertigkeit eines betörten Hochlandes mitreißen ließ, auf der Suche nach einer schönen Frau, die er nicht glücklich machen würde. Aureliano erkannte ihn, verfolgte die dunklen Pfade seiner Herkunft und stieß auf den Augenblick seiner eigenen Zeugung… In dieser Faszination der Erkenntnis der eigenen Herkunft war Aureliano so versunken, dass er auch den zweiten Anrand des Windes nicht merkte, dessen Zyklonengewalten nun bereits Türen und Fenster aus den Angeln rissen, das Dach der Westgalerie abdeckt und die Grundmauern entwurzelt. Der Ort seines Hauses war bereits ein von der Wut des biblischen Taifuns aufgewirbelter, wüster Strudel aus Schutt und Asche, als Aureliano 11 Seiten übersprang, um keine Zeit mit allzu bekannten Tatsachen zu verlieren und begann, den Augenblick zu entziffern, den er gerade durchlebte, und er enträtselte ihn, während er ihn erlebte, und sagte sich im Akt des Entzifferns selber die letzte Seite des Pergamentes voraus, als sehe er sich in einem sprechenden Spiegel. Er blätterte von neuem und mit Inbrunst, um die Voraussagen zu überspringen und Tag und Umstände seines Todes festzustellen. Doch bevor er zum letzten Vers kam, hatte er schon begriffen, dass er nie aus diesem Zimmer gelangen würde, da der Ort, das Haus und das Zimmer vom Wind vernichtet werden würden, in dem Augenblick, in dem Aureliano Babilonia die Pergamente endgültig entziffert hatte …«
Bei unserem Trip zu den Ursprüngen von allem fahren wir an den Milliarden Jahre alten Vorposten unserer Existenz vorbei. In einem besonderen Raumzeitschiff, der Arche Noah II. Sagen wir, das klappt mithilfe von Tachyonen – hypothetischen Teilchen, die sich mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen – und der Kraft wissenschaftlich getunter Fantasie. Tachyonen, so die Annahme, sieht man erst, nachdem sie an jemanden vorbeigezischt sind, und zwar doppelt. Einmal in die Richtung, in die sie fliegen, und einmal in die Richtung, aus der sie kommen. Beide Eindrücke würden sich vom Beobachter als Bilder entfernen. Im Spiel sind auch Tardyonen – hypothetische Teilchen, die immer langsamer als das Licht durch den Raum fliegen. Wenn man nun Wechselwirkungen zwischen Tachyonen und Tardyonen nachweisen könnte, hieße das, dass Botschaften in die Vergangenheit übermittelt werden könnten.
Noch effektiver: Ein Wurmloch tut sich auf und ermöglicht die Zeitreise. Mit der Arche Noah II. Wir haben nicht Tierpärchen aller Gattungen an Bord. Unsere Passagiere sind gelehrte Köpfe. Forscherinnen und Forscher aller Fachrichtungen. Da sind die Naturwissenschaften mit ihren Aushängeschildern Astronomie und Physik, Biologie und Chemie. Die Geisteswissenschaften mit Literatur und Musik, Theater und Theologie. Dazu all die anderen, die diesen Oberkategorien angehören. Abseits der beiden Großlager Mathematik und Philosophie die Soziologen und die sogenannten Interdisziplinären, die fachübergreifend forschen. Manche Passagiere sitzen auf Wunsch möglichst weit voneinander entfernt. Weltanschauungen fordern ihren Tribut. In der Arche Noah II ist glücklicherweise genug Platz für alle. Schön, dass Sie auch mitkommen, hier bitte, 12 F ist für Sie reserviert, rechts vorne, ja, genau dort. Das Handgepäck mit den vielen Fragen legen Sie einfach oben ins Fach, danke. Und bitte anschnallen, es geht gleich los. Der Holo-Countdown beginnt.
Zehn.
Neun.
Acht.
Sieben.
Sechs.
Fünf.
Vier.
Drei.
Zwei.
Eins …
… Abheben.
Zeitreise zurück bis zum Urknall
Wir starten im Jetzt. Wien, Stephansplatz, direkt vor dem Dom. Die Menschen jubeln, wünschen gute Reise. Das Schiff entschwebt in Richtung ferne Vergangenheit. Langsam nehmen wir Fahrt auf. Die ersten Jahre, Jahrzehnte fliegen vorüber. Der Verkehr auf den Straßen wird dünner, die Automodelle werden eckiger. Bilder vom Wiederaufbau einer zerbombten Stadt. Hitlers Einmarsch. Das große Morden. Der Brand des Justizpalastes 1927. Die Not der Bevölkerung zwischen den Kriegen. Die mitfahrenden Psychologen sind erstaunt, wie schnell sich das kollektive Bewusstsein änderte. Vor hundert Jahren war unsere Software noch in einer ganz anderen Geistigkeit. Unsere heutige Software hat es besser.
Weiter zurück in der Zeit.
Die Kaiserstadt Wien um 1900 ist eine Metropole mit einer Million Einwohnern. Fiaker und Einspänner und stolzierende Männer in Gehröcken zieren das Straßenbild. 50 Jahre zuvor, zur Gründerzeit, werden all die Monumentalbauten von Hof und Staat in Auftrag gegeben, die alten Stadtmauern fallen, die Ringstraße entsteht.
Die Arche Noah II fliegt weiter. Wir sehen Napoleon in Wien. Hegels Weltgeist zu Pferde. Die zweite Türkenbelagerung. Dreißigjähriger Krieg. Erste Türkenbelagerung. Gegenreformation. Reformation. Irgendwo in der Ferne macht ein gewisser Christoph Columbus von sich reden. Er suchte die verschollenen Stämme Israels und entdeckte Amerika. Aufstieg der Habsburger, Niedergang der Babenberger. Richard Löwenherz, Englands König, als er zwei Tage vor Weihnachten des Jahres 1192 in Erdberg bei Wien gefangen genommen wird. Filmreife Darbietungen im Ultrazeitraffer.
Über den Resten römischer Lagermauern wird die erste Stadtmauer hochgezogen. Weiter geht’s mit den Bajuwaren, Awaren, Völkerwanderung. Römerzeit. Wien, vormals keltische Siedlung, heißt nun Vindobona und ist ein Legionslager. Ein Teil der Indigenen findet in der Zivilstadt Aufnahme, der Rest der Urbewohner zieht sich in die Täler des Wienerwaldes zurück. 30.000 Menschen leben hier zur Blütezeit. Die Weltbevölkerung beläuft sich auf weniger als hundert Millionen.
Auch zweitausend Jahre vor Christi Geburt, zur Bronzezeit, herrscht in Wien reges Leben. Weitere neuntausend Jahre zuvor, in der Jungsteinzeit, desgleichen. Es ist eine entscheidende Epoche, die prägend ins Heute reicht. Der Mensch hat begonnen, nicht länger Jäger und Sammler zu sein. Er wird sesshaft, betreibt Ackerbau und Viehzucht.
»Beeindruckend«, sagt einer der Passagiere.
Allmählich kommt die Arche Noah II mit Warp-Antrieb auf Touren, braust durch die Jahrtausende. Abgesehen von kleineren Disputen zwischen Religionswissenschaftlern und Historikern, Soziologen und Paläontologen ist die Stimmung an Bord gut. Manche lehnen sich entspannt zurück, schauen nicht einmal zum Fenster raus und lächeln still. Als würden sie auf das Einsetzen der Raum-Zeit-Krümmung nach Einstein warten, sobald wir uns annähernd mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen. Mathematiker. Physiker, auch ausgewählte Theologen und Philosophen. Sie alle wissen: Ihre große Stunde kommt erst.
Bei manchen grenzt die Stimmung an Ausgelassenheit. Das hat mit dem Zwischenstopp zu tun, der nicht lange zurückliegt. Genau genommen am 23. Oktober 4004 vor Christus. An diesem Tag sollen Himmel und Erde erschaffen worden sein. Und an den folgenden fünf alles, was so kreucht und fleucht. Sogar die Dinosaurier, die es da seit Jahrmillionen gar nicht mehr gibt. Australiens Kängurus wiederum und alle anderen Beuteltiere würden von dem einen Gründungs-Känguru-Pärchen abstammen, das Noah einst auf der anderen, biblischen Arche im Nahen Osten mitnahm. Das finden sogar leidenschaftliche Theologen überzogen. Schließlich gehen auch sie mit der Zeit. Und kommt Zeit, kommt Evolution.
Unsere Software erlebte die erste neolithische Revolution. Eine Erderwärmung ließ Pflanzen, die bislang in der Kategorie »Unwichtig« dahinvegetierten, explosionsartig wachsen. Die Gräser. Zu ihnen gehören der Weizen, der Reis und der Mais. Kohlehydratreiche Früchte, die dem menschlichen Gehirn einen Wachstumsschub gaben. Städte wurden gegründet, Tiere gezüchtet, die Menschen sesshaft.
Sie gaben sich ihre ersten Gesetze und Regeln für ein halbwegs vernünftiges Zusammenleben.
Die Erdgeschichte war damals noch nicht zu Ende. Gälte das auch für heute?
Weiter geht’s. Vor mehr als 15.000 Jahren, fast gegen Ende der jüngeren Altsteinzeit, des Jungpaläolithikums, herrscht im Sommer noch bittere Kälte. In den Wäldern tummeln sich prähistorische Stämme. Anderswo in Europa, im heutigen Pariser Becken, trampeln Mammut-Herden die Böden unter sich fest. Genau hier wird später einmal am Ende der Champs Élysées der Triumphbogen stehen. Weltweit lebt jetzt kaum eine Million Menschen.
»Mon Dieu«, entfährt es einer Forscherin aus Frankreich. Ihr Blick hat etwas Elegantes.
An anderer Stelle, dort, wo es Höhlen gibt, macht ein heute alter Bekannter erstmals auf sich aufmerksam. Ein Meister der Anpassung an die Härten des Daseins. Der urzeitliche Hund. Canis familiaris. Hund und Cro-Magnon-Mensch, so heißt der anatomisch moderne Homo sapiens des westlichen Eurasiens bis vor 12.000 Jahren, beide bejagen dieselben Gebiete. Aus anfangs blutiger Rivalität wird bald eine fruchtende Allianz von Dauer, wuff.
40.000 Jahre zurück haben sich die Spuren frühester menschlicher Umtriebe in und rund um Wien längst verloren. Bald in ganz Europa, wo der Homo sapiens und der Neandertaler nebeneinander leben, sich ein bisschen paaren, wie Reste im Genom des modernen Menschen heute noch belegen. Die Reise führt uns im wahrsten Sinne des Wortes an unserer Geschichte vorbei. Übrigens: Ich selbst habe mein Genom vor Kurzem analysieren lassen. Ergebnis: Zu drei Prozent steckt ein Neandertaler in mir. Das nur nebenbei.
Wir fliegen weitere 60.000 Jahre ins Gestern. 80.000 Neandertaler weltweit laufen durch die Gegend, mit einem Schädel von erstaunlicher Größe, ähnlich unserem. Die Weltbevölkerung von 400.000 fände in einer bescheidenen Großstadt Platz. Von einer Zusammenrottung kann keine Rede sein. Es ist vielmehr die Zeit, in der mächtige Eisschichten Landbrücken zwischen den Kontinenten bauen.
Der Mensch nutzt die Gunst der Stunde, sich auf allen Erdteilen breitzumachen. Abermals 100.000 Jahre zurück liegt der Zeitpunkt, den wir heute die Wiege des modernen Menschen nennen. Wobei neueste Funde aus dem Vorjahr, wie jener am Jebel Irhoud nahe dem marokkanischen Marrakesch, darauf hindeuten, dass der Startschuss schon vor 300.000 Jahren erfolgt sein könnte.
Eine Million Jahre vor unserer Zeit gibt es 20.000 menschenartige Wesen. Weitere zwei Millionen Jahre zurück steigen die afrikanischen Affen von den Bäumen, uh! Wir erinnern uns: Da wäre es vier Stunden vor Silvester im Kafka-Universum-Jahr.
Der Glaube, man habe es mit einer stets identischen Natur zu tun, muss dem beobachtbaren Eindruck vom allgemeinen Gleiten weichen. Ist der Mensch vielleicht doch nur eine Episode in den Geschichten der Gene und des Epigenoms?
Zehn Millionen Jahre zurück tummelt sich der Ramapithecus in den Wäldern, ein lange Zeit als unser Urahne angesehener Primat. Seine Stellung im Stammbaum des Menschenaffen ist sehr umstritten. Weitere dreißig Millionen Jahre davor ist die Geografie hierzulande eine völlig andere: Weite Teile Europas sind von der Tethys, dem Urmeer, geflutet. Vom heutigen Rhône-Gebiet bis an den Aralsee in Zentralasien.
65 Millionen Jahre in der Geschichte halten wir kurz inne.
Im Kafka-Ein-Jahres-Universum ist erst der 29. Dezember angebrochen. Die Forschungsreisenden an Bord, die zu gähnen begonnen haben, zum Beispiel die Soziologen und Futurologen, sind mit einem Schlag hellwach. Sie bezeugen die, erdgeschichtlich gesehen, jüngste Katastrophe von globalem Ausmaß. Ein Inferno, das die Vorstellungskraft auf eine harte Probe stellt.
»Mir bringen S’ bitte eine Bloody Mary«, sagt ein Herr ganz vorne.
Er weiß, was kommt.
Die große Katastrophe
Es ist ein heißer Tag in einer endlosen Reihe heißer Tage. Die Weltmeere sind warm, sehr warm, Süd- und Nordpol seit Urgedenken eisfrei, und da wie dort wachsen sogar Palmen und andere tropische Hölzer. Das Tagesmittel übers Jahr beträgt weltweit 20 Grad Celsius. Zweierlei hat die Erde fest im Griff: Hüben der ewige Sommer. Drüben die Dinos, Kopf der Nahrungskette und uneingeschränkte Herrscher über alles und jeden seit fast 200 Millionen Jahren.
Einige Giganten mögen ihr heranbrausendes Ende haben kommen sehen, als sie beim Grasen oder Zerfleischen eines Beutetieres hochsahen. Manche vielleicht, als sie selbst in der Luft waren. Realisiert haben sie ihr Ende nicht. Bei einem Minigehirn von der Größe eines Hefewürfels tut man sich schwer. Bei einer Neuronenzahl von knapp 10.000 und einer Gedächtnisleistung von maximal 15 Sekunden. Aber nicht einmal diese Zeit bleibt ihnen, bis der galaktische Todesbote sie vom Eindringen in die Erdatmosphäre weg erreicht.
Zehn Kilometer Durchmesser hat der Asteroid mit Kursziel Erde. Und er kommt mit Tempo 100.000. Damit ließe sich die Erde in einer Stunde zweieinhalbmal umrunden. Für das bisschen Atmosphäre (die hinter ihm zur Gänze verdunstet wie Hunderte Kilometer von Strato-, Meso- und Thermosphäre zuvor auch schon) braucht dieser gigantische, einen Feuerschweif hinter sich herziehende Berg aus Stein und Metall zehn Sekunden. Dann schlägt der Meteor in Chicxulub an der Küste der heutigen Halbinsel Yucatán in Mexiko ins Meer ein. Und die Welt ist eine andere.
Ein Blitz mit der Energie von vier bis fünf Milliarden Hiroshima-Bomben wird freigesetzt. Der Krater, den der Meteor schlägt, misst 180 Kilometer, reicht 30.000 Meter tief ins Erdinnere. Keine fünf Atemzüge später bricht eine Flutwelle unvorstellbaren Ausmaßes los. Ein rollendes Monster aus Wasser. Ein Tsunami von bis zu fünf Kilometer Höhe, der nach wenigen Minuten die Küste erreicht und alles verschlingt.
Eine Viertelstunde nach dem Einschlag sind alle Kontinente des Erdballs geflutet. Quarzkristalle, die eben noch bis zu zwanzig Kilometer tief im Erdinneren steckten, finden sich in einer Aschesäule wieder, auf dem Flug ins All. Die Säule ist Hunderte Kilometer breit, spuckt ein zischendes Gebräu aus Lava und Materie vor sich her. Zigtausende Stundenkilometer schnell und bis zu achtzig Kilometer hoch. Hunderte Milliarden Tonnen glühender Materie fauchen rund um Globus.
Als die Feuerblöcke zurück auf die Erde prasseln, heizen sie die Atmosphäre enorm auf. Statt der gewohnten Frühlingstemperatur hat es plötzlich mehr als vierhundert Grad. Riesenmengen Methan, entstanden in der spontanen Zersetzung der Flora, werden in die Atmosphäre emporgerissen, entzünden sich. Brände epischen Ausmaßes versengen den Planeten. Wer nicht ertrinkt, verkohlt.
Die wenigen Dinosaurier und die Säugetiere, die in Höhlen überlebt haben, stehen am Beginn einer ewigen Nacht. Der Himmel verfinstert sich. Die Sonne vermag die aufgewirbelten Staubfelder nicht mehr zu durchdringen. Die Luft ist erfüllt von einem Gemisch aus Kohlendioxid, Schwefelsäure und Schwefeldampf. Atmen ist kaum noch möglich. Immer dunkler werden die Wolken, bald sind sie tiefschwarz. Finsternis hält Einzug auf der Erde. Schlagartig kühlt es ab. Binnen 48, vielleicht 72 Stunden. Von eben noch 400 Grad auf 20 Grad unter null. Eiseskälte.
Eine Frage wird laut: »Ist dieser Crash wirklich notwendig, um die Evolution weiterzutreiben?« Schweigen.
Zehn Jahre und länger hält die ewige Nacht an. Ihr folgt ein Treibhauseffekt. Für die Dinosaurier ist schon lange Endstation. Alle Tiere, die größer sind als ein Medizinball, sterben. Auch die Ozeane hat es schwer erwischt. Sie werden Millionen von Jahren brauchen, um sich einigermaßen zu erholen.
Inmitten der Katastrophe und den Jahrtausende währenden Nachwirkungen macht die Evolution die erstaunlichsten, entscheidenden Fortschritte. Fünfmal in Summe kommt es auf unserer Erde seit Bestehen zum globalen Massensterben. Und jedes Mal geht die Evolution gestärkt daraus hervor. Selbst als der Globus in seiner ersten Eiszeit versinkt und aus dem Weltall besehen einem einzigen Schneeball gleicht (im Kafka-Jahr Mitte Dezember), ist das Leben nicht auszulöschen. Es verfügt über eine erstaunliche Robustheit, macht sich klein und überdauert die Eiskrise, um hinterher zu explodieren. Die Krise als Chance – das war immer schon so.
Zum Ende der Dinosaurier schlägt die Stunde der Säuger. Anders als die Reptilien haben sie ein Fell, einen ausgeprägten Geruchssinn und ein überdurchschnittlich großes Gehirn. Die ersten unter denen, die es zu etwas bringen, sind spitzmausartige Nager, die sich von Insekten ernähren. Ein anderer Überlebender ist 20 Zentimeter groß, schaut aus wie ein Lemur und hat eine besondere Eigenschaft. Er kann den großen Zeh abspreizen. Sein Name: Purgatorius. Gemeinsamer Ahne von Affe und Mensch.
In diesem Moment trug sich die Evolution in einer Art und Weise ins Gästebuch der Natur ein, wie es weder vorher noch nachher der Fall sein sollte. Was auch unsere Hardware neu modulierte. Damals begann sie, eine große Geschichte zu erzählen. Bis dahin wurde das Leben äußerlich weitergegeben. Die Fische setzten irgendwo einen Laich ab und überließen es den männlichen Artgenossen, dort eine Spermawolke zu deponieren. Ebenso Reptilien und auch die Dinos legten Eier, die äußerlich erwärmt oder bebrütet wurden. Dann aber entschied die Evolution, die Fortpflanzung in das Innere eines Lebewesens zu verlegen, das später den Namen Eva bekommen sollte – die Ära des Mammäozäns war angebrochen, das Zeitalter der hormonellen Innenpolitik. Und unsere Hardware wurde dafür verwendet.
In der Arche Noah II stehen die Menschen unter Schock. Die Bilder globaler Vernichtung sind in die Netzhaut gebrannt. Der Schrecken lässt alle zusammenrücken. Zugleich werden Stimmen laut, Eventualitäten: Wären die Dinosaurier nicht ausgestorben, wer weiß, vielleicht gäbe es den Menschen nicht? Nach der Katastrophe der Neubeginn.
»Ich sag nur: Finanzkrise.« Ein Scherzbold weiter hinten in der Reihe. Niemand lacht.
Und dann dieser Moment. Wir fahren an ihm vorbei wie an einem Meilenstein der Zeugung. Der Augenblick, an dem die Eizelle der Säugetiere von der Evolution auf den Tisch gezaubert wurde. Gemeinsam mit jenen damaligen Viren, die die Eizelle befielen. Normalerweise hätte das zum Tod der Eizelle geführt. Aber eine überlebte den Angriff und nützte die Bösartigkeit der Viren aus: ungehemmt zu wachsen und immer neue Blutgefäße zu bilden. So entstand die Plazenta, der Mutterkuchen. Die Plazenta, die heute noch die Viren von damals in sich trägt. Deshalb wird sie auch als Pseudomalignom bezeichnet. Ein halber Krebs, dem wir unsere Existenz verdanken. Unsere Reise führt an diesen Viren vorbei, bevor sie noch die Koalition mit den Eizellen starteten.
Weiter geht der rasante Trip in die Vergangenheit. Bei 300 Millionen Jahren bleibt die Uhr stehen. Eine goldene Ära von Fauna und Flora tut sich auf. Einzig die Ornithologen kommen nicht auf ihre Rechnung, machen lange Gesichter, spitzen vergeblich die Ohren nach Gezwitscher im Geäst. Vögel gibt es noch keine. Stattdessen liegt ein brummender Grundton über allem. Mal dumpfer, mal heller. Es ist das Zeitalter der Insekten. Glänzende Augen bei Paläobiologen und Zoologen, als sie urzeitliche Libellen von fast einem Meter Länge dahinschwirren sehen, die Flügelspannweite wie bei einem Modellsegelflieger. Vierzig Meter hohe Farne sind die Norm. Riesenhafte Tausendfüßler ebenso. Vieles ist um ein Dreißigbis Vierzigfaches mächtiger, als wir es heute kennen. Skorpione so groß wie Schäferhunde. Die ersten Dinosaurierarten wiederum in jenen Tagen sind kaum größer.
Die Geologen jubilieren, als sie unter sich Pangäa ausmachen – den Urkontinent, der Amerika, Asien, Afrika und ganz Europa zu einem einzigen Stück Landmasse eint, zur Gänze umflossen vom Urmeer Tethys.
Abermals stehen wir an der Schwelle eines globalen Massensterbens – 40, vielleicht 50 Millionen Jahre zurück in die Zukunft und womöglich noch größer als jenes, das den Dinos den Garaus machte. 90 Prozent allen Lebens würden bei diesem Armageddon vernichtet werden, heißt es. Die Ursache? Ebenfalls ein Meteorit. Diesmal im Norden Australiens. Ein verdächtiger Krater, behauptet eine Handvoll Geologen an Bord vehement, sei ausgemacht. Andere streiten das entschieden ab. Es ergeben sich ein paar laute Worte, die Stewardess bringt Tee zur Beruhigung, dann ist wieder Ruh’ an Bord.
Erneut jagt die Zeitmaschine die Arche weit ins Gestern, diesmal um den Wert 200 Millionen. Eine halbe Milliarde Jahre haben wir abgespult, und die Erde ist nun das: ein Planet der Fische. Algen und Flechten haben Jahrhundertmillionen zuvor begonnen, die bis dahin kahle Steinerde aus dem Meer heraus zu erobern. Sie schlagen Wurzeln, bewuchern, verwittern, spülen zusätzliche Nährstoffe ins Wasser. Erste primitive Tiere entstehen. Schwämme, Würmer, Asseln, Schnecken, Gliederfüßler. Und mit der Zusatzspeisung gedeihen und vervielfältigen sich die Arten. Bis sie es eines Tages den Pflanzen gleichtun. Mit gebotenem, respektvollem Zeitabstand von zig Millionen Jahren. Als hätten sie erst abgewartet, ob sich das Leben dort draußen tatsächlich lohnt.
Die Geburtsstunde der Amphibien
Manche Landgänger nehmen Maß an den Genossen zu Wasser, etwa am Anomalocaris, einem wirbellosen Meeresräuber mit stacheligem Kopf und Hunderten facettenaugengleichen Sehlinsen, der als größtes bekanntes Wesen aus jener Zeit gilt. Sie nennen ihn den Hai des Kambriums. Diese Eroberer erweisen sich auch außerhalb des angestammten Mediums als extrem bissfreudig. Sie entwickeln Zähne scharf wie Rasierklingen, werden zu Krokodilen und tragen den Krieg an Land.
Für diesen Landgang muss Mutter Natur den Schalter der Kalziumkontrolle umlegen. Am Anfang war das Kalzium im Meerwasser so großzügig vorhanden, dass sich Fische fast dagegen schützen mussten. Dafür hat die Evolution das Kalzium erfunden. Am Land dagegen herrscht Kalziummangel. Um es trotzdem in der Nahrung aufzustöbern und im Körper sammeln zu können, ist eine zweite Erfindung notwendig: die des Vitamins D.
Andere, friedfertigere Wesen entwickeln sich zum Frosch oder Chamäleon. Die einen Amphibien verlanden eher mit der Neigung zum Dinosaurier. Die anderen mit der zum Säugetier. Aus Kiemen werden Lungen. Aus immer kaltem Blut wird wechselwarmes und nur warmes. Bei Kafka wäre nun der 26. Dezember. Stephanitag.
»Da hat mein Vater Geburtstag«, sagt ein Mann, der in sein Handy starrt. Die ältere Dame am Nebensitz fühlt sich gestört von solchen Kommentaren, die auf einer Raumzeitreise nichts verloren haben. Der Mann entschuldigt sich.
Eine Milliarde Jahre vor unserer Zeit erheben sich die Algen. Zuvor haben sie den Sauerstoffanteil der Atmosphäre noch auf bescheidenen drei Prozent gehalten, jetzt zünden sie den Turbo. Ihre rege Tätigkeit setzt Elementares in Gang. Zu verdanken haben sie das den Ur-Erdenbewohnern, die lange vor ihnen da waren und die als Hebammen des Lebens auf Erden gelten: Cyanobakterien und Rhodospirillum rubrum. Sie sind es, die der vorangelegten Information von Leben erst auf die Sprünge und dann zum Durchbruch verhelfen.
Wir erleben, wie die Natur etwas erfindet, das viel später der Mensch nachbauen wird. Turbinen, um Energie zu erzeugen. Mitochondrien und Chloroplasten. Die Vorläufer der Wasserturbinen, mit denen später Strom erzeugt wird.
Wir reisen zu den Anfängen dieser wundertätigen Gesellen. Dreieinhalb Milliarden Jahre vor unserer Zeit zeigt die Uhr der Arche an (bei Peter Kafka ist jetzt Ende September). Wir sind in der Jugendzeit der Erde angelangt, in der Pubertät. Auf einen flüchtigen Blick aus dem Fenster scheint sich nicht viel verändert zu haben in dieser endlos langen Phase seit dem letzten Zwischenstopp bei den Algen. Mehr so ein gemächliches Vor-sich-hin-Brodeln und Dahin-Blubbern des Erdballs, ein oberflächliches Abkühlen und zugleich tiefgreifendes Atemschöpfen. Für den großen Wurf.
Genau da, vor dreieinhalb Milliarden Jahren, beherrschen die Cyanobakterien und Rhodospirillum rubrum eine phänomenale Fertigkeit. Letztere verstehen es, die Sonnenenergie zu nutzen, da sie Kohlenstoff und Wasser hernehmen, sie mit den Photonen, den Lichtteilchen unserer Sonne, reagieren lassen und auf brillante Weise umwandeln. Zu Biomasse. Und so nebenher, quasi als Abfallprodukt, erzeugen sie lebensspendenden Sauerstoff. Heute nennen wir diesen Prozess Photosynthese.
Wir sehen die einzelnen Bakterien noch isoliert, sie taten sich dann zusammen und bildeten die sogenannte eukaryote Zelle. In Pflanzen und Tieren. Ein Beispiel mehr, wie wir die großen Vorläufer des Lebens – Bakterien und Viren – noch in uns tragen.
Diese kleinen Kraftwerke von Bakterien werden ihre Leistung über die Jahrmillionen so sehr steigern und sich vermehren und die Evolution der Fauna vorantreiben, dass die späteren Algen ebenfalls in die Gänge kommen. Der Sauerstoffanteil rund um den Globus schnellt hoch auf bis zu dreißig Prozent. Ohne solche Mengen Sauerstoff hätten gigantische Lebewesen wie Dinosaurier gar nicht existieren können. Auch keine Farne von der Höhe eines zehnstöckigen Wohnhauses. Heute hat sich der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre längst auf die für uns gemütlichen 21 Prozent eingependelt.
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