Kitabı oku: «Abbazia», sayfa 2
SCHÜLER UND SEIN TEAM
Das Vorhaben des umtriebigen Südbahnmanagers, der 1884 die österreichische Staatsbürgerschaft annimmt, ist komplex, gilt es doch einerseits die Finanzierung der geplanten Großhotels in einer Umgebung ohne entsprechende Infrastruktur auf die Beine zu stellen, andererseits aber auch das Projekt mit Leben zu erfüllen und die richtigen Männer – „Promotoren“ – dafür zu finden. Erstes Ziel ist es jedoch, das Areal mit der Villa Angiolina zu erwerben, und man muss sich beeilen, denn inzwischen ist bereits eine andere Interessensgruppe, „sogenannter Gründer“, an den Grafen Chorinsky mit einem Kaufangebot herangetreten. Schüler beauftragt den ortskundigen Heinrich Noe mit der Führung der Gespräche und tatsächlich gelingt es dem enthusiastischen Bayern, Chorinsky vom Angebot der Südbahngesellschaft zu überzeugen, und das obwohl er nicht der Bestbieter ist – der Graf zieht jedoch das Angebot der Südbahn vor, von „deren Verwaltung er sicher sein konnte, dass sie mit ihren auf die Hebung des Verkehrs und auf den allgemeinen Nutzen gerichteten Bestrebungen bei ihren technischen und anderen Mitteln, bei dem Einflusse, welcher ihr zur Verfügung stand, aus seinem unvergesslichen Besitz am Südmeer etwas anderes zu machen wissen werde, als eine Gruppe von Spekulanten, deren nächste Absichten nur die einer rücksichtslosen Ausbeutung sein konnten“. Am 18. Juli 1882 wird der Kaufvertrag unterzeichnet – für 100.000 Gulden geht das „Object“ an die Südbahn; ein angemessener Preis, wenn man bedenkt, dass 1910 die Villa Angiolina zusammen mit dem Park um stolze 2,5 Millionen Kronen verkauft werden wird.
Friedrich Julius Schüler
Sofort danach beginnen die Bauarbeiten, die Pläne dazu hat man bereits fertig in der Schublade. Auch an die Versorgung der zu erwartenden Gäste mit frischem Obst und Gemüse wird gedacht: In dem kleinen Dorf Ika, zwischen Abbazia und Lovrana gelegen, erwirbt die Südbahngesellschaft einen der größten Landwirtschaftsbetriebe der Gegend, die „Campagna Colona“, zu der damals auch noch Weingärten gehörten.
Nicht ganz einfach ist es, das für den Hotelbetrieb notwendige weibliche Dienstpersonal zu finden. Wichtigster Arbeitgeber der Region für junge Frauen ist die Zigarrenfabrik in Fiume, bekannt für ihre Virginias. Etwa 2.000 Arbeiterinnen sind hier bei relativ gutem Lohn beschäftigt, ein Wechsel ins Hotelgewerbe daher für sie uninteressant. So ist man gezwungen, Köchinnen und „Kammerzofen“ aus Böhmen und Ungarn anzuwerben; die Kellner kommen aus Wien.
Für den Posten des Chef-Kurarztes hat Schüler einen aufstrebenden Wiener Mediziner im Visier, der sich auf Balneologie spezialisiert hat und inzwischen in Rohitsch-Sauerbrunn (heute: Rogaška Slatina) als „landschaftlicher Brunnenarzt“ praktiziert und an der Universität Graz Hydrotherapie und Balneotherapie lehrt: Dr. Julius Glax (1846 – 1922), den Sohn des Historikers Heinrich Glax. Durch erste wissenschaftliche Arbeiten hat sich Glax den Ruf eines Reformers und kompetenten Kritikers erworben, eines Mannes, der modern und zukunftsorientiert denkt. Die Diskussion um Abbazia kann diesem engagierten Arzt nicht verborgen bleiben: Angeregt durch die begeisterten Schilderungen Schweiger-Lerchenfelds (siehe unten), reist Glax, der sich 1876 in Graz habilitiert hat und 1880 vom Kaiser zum k. k. Universitätsprofessor ernannt worden ist, zum ersten Mal im September 1883 nach Abbazia und begibt sich dann nach Wien, wo er zunächst dem Wirtschaftsfachmann Wilhelm Freiherrn von Schwarz-Senborn seine Eindrücke schildert, und dieser vermittelt ihm schließlich eine Unterredung mit Schüler.
Lenkt als Vorsteher der Kurkommission jahrzehntelang die Geschicke des Seebads: Dr. Julius Glax.
Glax erkundigt sich dabei ausführlich nach den Plänen der Südbahn: Wolle man nur eine Hotelanlage errichten oder tatsächlich einen Kurort gründen? Falls man Letzteres anstrebe, müsse die Gesellschaft auch die Schaffung „entsprechender Einrichtungen wie Wasserleitung, Kanalisation, Bäder, hydropathische Anstalt, Milchwirtschaft“ im Auge haben, weiters sieht das sehr fortschrittliche „Hygienekonzept“ des ambitionierten Balneologen die „einwandfreie Beseitigung der Abfallstoffe, geeignete Isolierrräume für infektiöse Kranke, Desinfektion und Desinfektionsräume, Leichenkammern, entsprechende Einrichtungen für Krankenpflege, Krankentransport, Rettungswesen und Feuerwehr, Überwachung der Kurmittel und ihrer Verabreichung“ und auch eine „Überwachung der Lebensmittel“ vor, daneben müsse aber auch die „Ruhe im Kurort“ gewährleistet sein. Als sich Schüler mit diesen zum Teil sehr kostenintensiven Forderungen konfrontiert sieht, gibt er offen zu, dass man sich noch nicht endgültigfestgelegt habe, lädt aber Glax zu einem längeren Aufenthalt in Abbazia ein, was dieser ab dem Oktober 1885 auch wahrnimmt. Da sich zu dieser Zeit auch der angesehene Müchner Laryngologe Max Joseph Oertel (1835 – 1897) und der berühmte Chirurg Theodor Billroth (1829 – 1894) in Abbazia aufhalten, bittet Schüler die drei Mediziner zu einem Consilium über die Zukunft Abbazias – auf Anraten der drei Gelehrten entscheidet sich Schüler endgültig für eine Zukunft Abbazias als Kurort. So vertritt der celebre Münchner Mediziner, der sich auch noch in den 1890er-Jahren am Quarnero aufhalten wird, die Meinung, dass sich Abbazia wegen seines hohen Luftdrucks – 760 Millimeter im Mittel – und seiner „staub- und keimfreien Seeluft“ vor allem als Kurort für Herzkranke eigne und als solcher in die „vorderste Linie“ zu stellen sei.
Julius Glax verlegt ab 1885/86 seine Winteraufenthalte und ab Sommer 1887 seinen ständigen Wohnsitz nach Abbazia; gemeinsam mit seinem Freund Graf Benedikt Giovanelli, dem Statthaltereirat von Triest, arbeitet er die Kurordnung für Abbazia aus, die zur Grundlage des Landesgesetzes vom 4. März 1889 wird, mit dem der Ort das Kurstatut verliehen erhält. Im Oktober 1887 wird er von Schüler zum „dirigierenden Arzt der Kuranstalten der k. k. privileg. Südbahn-Gesellschaft“ berufen und als solcher den Aufstieg Abbazias vom „Kurort-Baby“ zum „Weltkurort“ entscheidend mitgestalten. Theodor Billroth würdigt 1888 in der Wiener klinischen Wochenschrift diese Entscheidung Schülers: „Die Südbahn hat an Herrn Professor Glax eine ungewöhnlich glückliche Acquisition gemacht, wozu man den Kurort nur beglückwünschen kann; es ist das ein Vorzug von Abbazia, den ich ganz besonders hervorhebe, und den meine Kollegen zu würdigen wissen werden.“ Gleich nach Amtsantritt drängt Glax auf den Bau einer neuen Wasserleitung vom Monte Maggiore, um den Kurort mit tadellosem Trinkwasser versorgen zu können, stößt hier aber auf den Widerstand Schülers, der zuerst die bestehende Wasserleitung zu den Hotels der Gesellschaft von den sogenannten „Klara-Quellen“ südlich von Abbazia durch weitere Bohrungen absichern möchte. Das Problem der Klara-Quellen ist, dass sie in „intermittierender“ Beziehung zum Meer stehen und bei gewissen Seewasserständen Brackwasser liefern (siehe dazu auch das Kapitel „Kur-Alltag mit grantigem Halden“). Die Wasserleitung von den Hochquellen des Monte Maggiore wird schließlich erst 1897 in Betrieb genommen, der in diesem Jahr projektierte Bau des Kanalisationsnetzes 1907 fertiggestellt.
1889 wird Julius Glax Mitglied der Kur-Kommission, 1899 übernimmt er als Kurvorsteher den Vorsitz in dieser Institution und führt diesen durch zwei Jahrzehnte hindurch bis 1919. Ob Unterhaltungsveranstaltungen für die Kurgäste oder Ausflüge in die Umgebung, ob der Ankauf eines Müllverbrennungsofens oder das Anlegen eine neuen Friedhofs – ohne Glax geht nichts; Abbazia ist Glax und Glax ist Abbazia. Zu seinen prominenten Patientinnen und Patienten zählen Kronprinzessin Stephanie, die Gattin Kronprinz Rudolfs, das rumänische Königspaar Carol I. und Elisabeth (Carmen Sylva), Prinz Peter KarageorgeviĆ, der spätere König von Serbien, Prinzessin Klementine von Sachsen-Coburg-Gotha und Fürst Johannes II. von und zu Liechtenstein sowie der eigenwillige Großherzog Adolph von Luxemburg. 1894 betreut Julius Glax die Söhne des deutschen Kaiserpaars während ihres Aufenthalts in Abbazia (siehe dazu auch das Kapitel „Kaisertreffen am Quarnero“) und auch Schauspielstar Alexander Girardi, der Liebling des Wiener Theaterpublikums, der nach der Auseinandersetzung mit seiner Frau Helene Odilon im Frühjahr 1897 Erholung in Abbazia sucht, legt Wert darauf, vom „Herrn Professor“ persönlich untersucht und betreut zu werden.
Eine zweite wichtige Personalentscheidung Schülers betrifft die Direktion der Hotels und Kuranstalten der Südbahn in Abbazia, und auch hier beweist er das richtige Gespür: Am 12. September 1889 ernennt er Anton Silberhuber (1839 – 1899), den Präsidenten des Österreichischen Touristenklubs und ehemaligen Inhaber eines Reisebüros in Wien, zum Direktor und bindet damit einen der besten Tourismus-Fachleute der Habsburgermonarchie in sein Imperium ein. Silberhuber ist seit 1881 Präsident des ÖTK, der unter seiner Leitung einen enormen Aufschwung genommen hat, und Chefredakteur der Österreichischen Touristen-Zeitung; als Reisebegleiter Kronprinz Rudolfs hat er bei Hochtouren und Bergbesteigungen auch Kroatien kennen gelernt. Beinahe ein Jahrzehnt lang wird von nun an Anton Silberhuber die Geschicke Abbazias mitbestimmen; erst mit der Verpachtung der Südbahn-Hotels an die Internationale Schlafwagengesellschaft geht seine Ära zu Ende. Am 15. Juni 1898 verlässt er den Kurort und geht nach Wien, wo er noch als „Reisemarschall“ eine Nordlandfahrt Erzherzog Karl Ludwigs und der ihm bestens bekannten Kronprinzessin-Witwe Stephanie organisiert. Anton Silberhuber stirbt am 7. März 1899.
Nachfolger Silberhubers als Direktor der Kuranstalten wird der 38-jährige Wiener Alfred Pachler, der von der Internationalen Schlafwagengesellschaft aus dem Pariser Hotel Continental nach Abbazia berufen wird. Pachler, der in Paris als Direktor-Stellvertreter tätig war, bietet, wie die Hygiea rühmend schreibt, das „ungemein ansprechende Characterbild eines zielbewussten Mannes in der Vollkraft der Jahre, der mit den höchsten fachlichen Erfordernissen ausgerüstet ist. Zu diesen gehören zunächst Weltkenntnis, Gewandtheit im Umgange und gründliche Sprachenkenntnisse; diese Erfordernisse vereinigt Herr Director Pachler im ungewöhnlichsten Maße in sich. Die Liebenswürdigkeit seiner Umgangsformen sichert ihm das höchste Ansehen unter den distinguirten Curgästen.“ Das „Corps seiner Untergebenen“ zählt 180 Menschen; bald bewundert man Pachlers Geschick, mit dem er unter seinen Mitarbeitern Disziplin zu halten weiß.
Aus dem verträumten Fischerdorf ist innerhalb weniger Jahre ein mondäner Kurort geworden: Panoramablick auf den Quarnero mit Abbazia und Volosca. Photochromdruck, um 1890.
Zu jenen Autoren, die bereitwillig die Werbetrommel für die Vision Schülers rühren, zählt auch Amand von Schweiger-Lerchenfeld (1846 – 1910), ehemals k. u. k. Offizier und Veteran der Schlacht von Custozza 1866, der sich mit Talent und enormem Fleiß zum wohl führenden „Sachbuchautor“ der Monarchie emporgeschrieben hat. 1883 veröffentlicht er sein Buch Abbazia. Idylle von der Adria, das in geradezu hymnischer Weise das Loblied auf das „Paradiesesgestade“ am Quarnero singt und dessen „Befähigung zu einem Winterasyle“ nachdrücklich dartun möchte. Mit den Bauplänen der Südbahngesellschaft – er spricht diskret von einer „großen Unternehmung“ – zum ersten Hotel und zu einem „still gelegenen Sanatorium“ offensichtlich bereits vertraut, greift er der Zeit voraus und denkt sich den „freundlichen Platz mit Gästen aus nah und fern bevölkert“, geschickt streut er in seinen Bericht die Versatzstücke mediterraner Traumwelten mit ein; er zitiert antike Mythen, Lord Byron und Goethe am Strand von Taormina, im Mittelpunkt stehen die einzigartige Natur und schöne Frauen, immer wieder versteht er es, Bezüge zu bekannten und touristisch bereits erschlossenen Orten am Mittelmeer zu knüpfen: „Dieser Blüthenduft zu Abbazia ist ein einziger langwährender Athemzug, den der Süden über Meere und Länder haucht. Auch in dieser Richtung schweift die Erinnerung gerne aus und schließt den Zauberring, der um das Mittelmeer und seinen schönsten Golf – die Adria – herumläuft. So ein duftumhauchtes Lauschplätzchen am Gestade von Abbazia streicht Raum und Zeit aus ihrem Zusammenhange. Man denkt an Cannes, wo die laue Seebrise über die Halbinsel von La Croisette streicht und mit frischem Blüthen-Athem die Locken schöner Frauen bethaut; oder man gedenkt jener Zauberstunde, wo im Palmenschatten der ,Promenade des Anglais‘ zu Nizza das Herz von zwei Magneten zugleich sich angezogen fühlte, von leuchtenden Frauenaugen und den Kindern Florens in den im Abendwind aufschauernden Blüthenbeeten; oder man frischt die Erinnerung an jenen Genuß auf, den man während einer Raststunde in den Gärten von Sorrent empfunden, wo man den blauen Himmel nur zwischen goldrothen Orangen sieht, und im Frühling das Haupt in den Duftwolken von Millionen von Orangenblüthen sich badet.“ In Abbazia, so Schweiger-Lerchenfelds Resümee, habe man all die Vorzüge der anderen Orte gemeinsam „zur Hand, und keinen schönern Märchengarthen gibt’s, als den, welchen wir hier durchwandern“, wer sich die Kindlichkeit des Gemüts bewahrt und die „eitle Weltlichkeit“ abgestreift habe, könne so durch „die unendliche Tiefe der Ahnungen, welche der Naturgenuß in uns erweckt“, seinen geistigen Horizont „bis auf Sonnenweiten“ öffnen und ausdehnen. Abbazia, so das erklärte Ziel, könne so etwas wie ein nationaler „Haltepunkt“ werden, eine „Localität“, einzig in ihrer Art, in der sich die Sehnsucht eines ganzen Volkes kristallisiere, ein „Altar im großen Tempel der Natur“, nur „schwerlich“ aber „ein Tummelplatz für Weltkinder“ – eine Einschätzung, mit der sich der Naturschwärmer Schweiger-Lerchenfeld kräftig irren sollte. Ein „fieberhafter Aufschwung“, so meint er warnend, könne für Abbazia nur schädlich sein, man dürfe seine „keuschen Naturreize“ nicht durch „betäubenden Luxus“ ersticken und solle es nicht zu „jenem fashionablen Cannes“ auswachsen lassen, „wo nur die britischen Erzmillionäre und depossedierte Fürsten in ihre Zaubervillen unterkriechen“, denn dann hielte die „Langeweile ihren Einzug und ertödtete das naive Vergnügen“. Die „Begründung des erforderlichen Comforts“ will er durchaus zugestehen, „fashionablen Luxus“ lehnt er jedoch ab, seine Forderung daher: „Man verschone diesen traulichen Erdenwinkel mit Cercles und Clubs, mit Taubenschießen und Theater, mit rauschendem Festgepränge und verdächtigem Spielgelichter, das bisher noch jeden aufblühenden Curort discreditiert und unleidlich gemacht hat. (…) Im Übrigen mag Abbazia bleiben, was es ist: ein trauliches Asyl für Alle, die einen grünen, sonnigen Küstenstrich aus anderen Gründen aufsuchen, als jene Weltkinder, die ohne Spiel und Sport, ohne Residenz-Odeur und Demimonde nirgends auf dieser Welt existieren können, und wäre es das leibhafte mesopotamische Paradies der Bibel.“
Gedenktafel für „Promotor“ Theodor Billroth am Lungomare.
UNSER ABBAZIA:
THEODOR BILLROTHS WERBEFELDZUG
Tatkräftige Unterstützung für sein Projekt als „Promotor“ findet Schüler nicht zuletzt bei Theodor Billroth (1829 – 1894), der erstmals zu Weihnachten 1884 nach Abbazia reist und hier im neuen Hotel Quarnero Quartier nimmt. Herr Hofrat Billroth, ansonsten ein treuer Gast in seinem geliebten St. Gilgen am Wolfgangssee, schreibt über die Eindrücke an der Adria am 29. Dezember 1884 einen langen Brief an seinen Freund, den Musikkritiker Eduard Hanslick, wobei Duktus und Länge des „Briefs“ darauf hindeuten, dass hier Billroth offenbar einem klaren Kalkül folgt – er möchte, wohl im Rahmen einer „konzertierten“ Aktion, „Reklame“ für das Südbahn-Projekt Schülers machen. Er lässt daher den „Reisebrief“ am 2. Jänner 1885 in der Neuen Freien Presse abdrucken; darin heißt es:
„Liebster Freund!
Da bin ich nun seit einigen Tagen in dem lorbeerumkränzten Abbazia und finde es herrlich hier. Wenn ich Wien verlasse, so suche ich Ruhe, Luft und Einsamkeit. Wer, wie ich, den größten Theil des Tages für Andere leben und denken muß, dabei über das Geschick vieler Menschen zu entscheiden hat, der sehnt sich, diese mit der Zeit immer schwerer werdende Last der Verantwortung öfter auf einige Zeit abzulegen. (…)
Wohin soll man zu Weihnachten, zu Ostern in die Ferien reisen? Südtirol, die Riviera, Corfu, Zante waren mir diesmal zu weit, also versuchte ich es mit Abbazia. Ich preise mich glücklich, dass ich diesen Vorsatz ausführte; auch abgesehen davon, dass ich als Arzt nicht gerne einen meiner Clienten an einen mir unbekannten Ort sende. Daß man so oft von Abbazia reden hört, machte mich aufmerksam; denn über ganz dumme Dinge ist man auch bald fertig mit dem Reden. Oft wirst Du hören, Abbazia sei als Curort ein Kunst- und Reclameproduct, in Allem unfertig und ohne Spaziergänge, eine ganz kleine Oase in der Wildniß, kein San Reno, kein Mentone, nicht einmal mit Arco, Bozen, Meran zu vergleichen etc. Mir fällt bei solchen Reden immer die alte Volkswortspielerei ein: ‚Äppel sind keine Birnen, Birnen sind keine Äppel, die Wurst hat zwei Zäppel, zwei Zäppel hat die Wurst‘ etc. Was hier vor einem oder zwei Jahren war oder nicht war, weiß ich nicht; jetzt steht hier an einem ausgesucht schönen Punkte ein treffliches Hotel mit Dependence, ähnlich dem ‚Hotel Bellaggio‘ am Comer-See, daneben eine zum Hotel gehörige, große Villa mit sorgfältig gepflegtem, altem Parke; ein neues großes Hotel ist im Bau. Rundum Leben, Bewegung, Fortentwicklung. Es ist eine Freude, zu beobachten, von welch’ großen, die Zukunft sicher beherrschenden Gesichtspunkten aus das Ganze von dem General-Director der Südbahn angelegt wird. In dem erwähnten Parke stehen die gleichen schönen Riesen-Coniferen, Magnolien etc. wie auf Isola madre. Ich bin überzeugt, dass unter sachkundiger Leitung auch Citronen, Orangen, Palmen zu erziehen wären, Sträucher und Bäume, die ja auch auf Sicilien nicht wild wachsen, sondern in den Gärten sorgfältig cultiviert werden.
Über den Winteraufenthalt in europäischen südlichen Curorten mag man als Arzt denken, wie man will; es bleibt eine Wonne, mitten im Winter nur aus dem Hause zu treten, um an so manchen Tagen stundenlang im hellen Sonnenschein spazieren gehen zu können. Man ist hier so ganz ‚am Land‘. Auch hier wird es zuweilen schlechtes Wetter geben; es ist eben nicht zu ändern, dass es naß ist, wenn es regnet, und dass die Erde trocken und staubig wird, wenn die Sonne lange scheint. Würde der Himmel stets unter Thränen lachen, die Menschen würden auch das bald fad finden; ihretwegen wird sich die Atmosphäre unseres Planeten nicht ändern.
Ich sah in San Remo im Januar Schnee liegen und war einmal um Ostern in Meran gründlich eingeschneit; vor zwei Jahren amüsierte sich die Jugend von Spezzia (sic!) im April mit der Plastik von Schneemännern, wie in meinem Geburtslande an der Ostsee. Hier hat man den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass man bei solchen Intermezzi nicht in den Zimmern zu frieren braucht, wie in Italien; die Zimmer haben Doppelfenster und Öfen, die trefflich nach dem Thermometer bedient werden. Es gibt hier bei den Spaziergängen auch keine Windwinkel und kalte Passagen, wie in San Remo und Mentone, wenn man durch die Stadt gehen muß. Auf diese Weise fällt bei einiger Vorsicht der Acclimations-Schnupfen fort, dem man im Winter in Italien nicht leicht entgeht; man erkältet sich dort ja meist im Zimmer.
Ich kenne die Winter- und Frühlingsanfänge in Italien genug, um darüber keine Illusionen zu haben. Italien hat wohl einen milderen und kürzeren Winter als wir, doch ist es immerhin ein Winter; man darf sich durch die Sonnenwärme der Mittagsstunden nicht täuschen lassen. Tage mit einem Februarmorgen, einem Julimittag, einer Oktobernacht sind auch an der Riviera zu Zeiten nichts Ungewöhnliches. Der Culturmensch soll als der Klügere in diesem Kampf mit der Natur hier wie anderwärts nachgeben und außer seiner Wollhaut zweierlei Überzieher haben. Gewiß sind die Morgen- und Abend-Temperaturen in San Remo, Mentone, Cannes, Ajaccio und Palermo um 2 bis 3 Grad höher; doch beim Sonnenschein am Tage dürfte die Differenz nicht so erheblich sein. Wer solche Stürme in Nizza und Bordighera erlebt hat, wie ich, wird sich nicht wundern, wenn es auch in Abbazia zuweilen windet; doch der Raum ist zu beengt, als dass Sirocco und Borina sich hier in allzu tollem Wirbel drehen könnten.
Die Natur ist nicht so wildromantisch wie etwa in Taormina, doch von zauberisch, anmuthigem Reiz. Das Meer, von den Gebirgen zu einem colossalen Hafen eingedämmt, glänzt, nach Süden offen, weit hinaus; das Auge weidet sich an der Mannigfaltigkeit der Buchten und Klippen; von den Bergen, den Geländen, aus den Thälern leuchten Städte, Dörfer, Capellen, Villen hervor. Wie für die Riviera die Ölbaumwaldungen, so sind für Abbazia die stark duftenden und darum Zanzaren vertreibenden Lorbeerbäume charakteristisch. Und wie schön ist dieser edle, saftgrüne, dichte Dichterbaum, zumal im Contrast zu den in etwas geringerer Menge verbreiteten blaugrünen Olivenbäumen! Die dunklen Monatsrosen blühen auch jetzt an den Hecken in purpurnem Glanze. Wie herrlich die Gebirge rings umher, auf den Inseln, an den Küsten, eines sich hinter das andere bald so, bald so verschiebend! ‚Über drei Gebirge hin‘ ruft und flucht das Mädchen dem Geliebten in den von Brahms so gluthvoll componirten, von elementarer Sinnlichkeit strotzenden, südslavischen Liedern; daran muß ich hier oft denken.
Man sagt, es gäbe hier keine Spaziergänge; unbegreiflich! Am Meere entlang nach beiden Richtungen hin die trefflichsten Straßen, auf denen man freilich keine Hotelbewohner findet; doch manches Andere sieht und hört man da. ‚Maiennacht‘, ‚Am Seegestade‘, ‚Über die See‘, ‚Abenddämmerung‘, ‚Sommerabend‘ – der ganze Brahms klingt mir hier immerfort entgegen. Nach dem Takte des letzten Satzes seines F-moll-Clavierquintetts trotte ich die Straße entlang, und der dritte Satz meines (wollte sagen seines) A-moll-Streichquartetts führt mich gemächlich zurück. Ich kann mir nichts Besseres wünschen. Andere mögen hier Anderes sehen und hören und gleichfalls zufrieden sein. Viele hören und sehen wohl auch nichts; die armen innerlich Blinden und Tauben!
„Ist man der einseitigen Unterhaltung müde, so schaut man wieder hinaus aufs Meer“ (Theodor Billroth): Barcarole mit bunten Segeln.
Illustration für eine Tourismus-Broschüre von Stephanie Glax.
Die Wege sind eben, oder nur schwach ansteigend; das ist wichtig, weil nothwendig für ruhiges Denken im Gehen. Starke Körperanstrengung, ja selbst kleine, doch häufige Hemmnisse auf schlechter Straße hindern das freie Weben und Wogen der Gedanken. Beethoven wusste das und suchte sich seine Sommerfrischen danach aus. Man hat genug zu thun, aus dem großen Schwarm seines Gedankentrosses sich je nach Stimmung diesen oder jenen Kumpan hervorzuholen. Beschäftigt man sich lange mit Einem, so ziehen sich die Anderen eifersüchtig zurück; auf diese Weise erfährt man zuweilen von seinen eigenen Gedanken etwas Neues. Ist man der einseitigen Unterhaltung müde, so schaut man wieder hinaus aufs Meer, auf die Berge. Wie schön ist das Alles auch zur Winterszeit! Und wie mag es erst im Frühling sein, wenn der Sonnengott mit seinen Strahlenarmen die Erde so fest umklammert, und diese mit halbgeschlossenem Aug’, der wolkenumflossenen Io gleich, ganz wonnigen Entzückens den Hauch seines glühenden Athems trinkt. Da sprießen die Blumen üppig hervor, die Eichen, Kastanien, Platanen, Feigen; sie wetteifern, den tiefgrünen Lorbeer, die schwarzen Cypressen, den blassen Ölbaum mit ihrem jungen Laub zu überstrahlen.
Doch wohin gerathe ich da? Mir scheint in eine Bildergalerie, und weiß doch, dass Du kein Freund von übermäßig alten Bildern bist. Ein Bild nur will ich Dir noch zeigen: Still-Leben, bürgerliches Genre, ganz modern. Du siehst mich da am Abend mit meinen, mehr aber noch mit Deinen Büchern in einem höchst behaglichen, claviersicheren Zimmer der Villa Angiolina bei der Lampe sitzen. Die göttliche Stille ringsum ist freilich ebenso unmalerisch, wie das himmlische Nirwana. Übrigens wirst Du mir wohl ansehen, dass ich kurz zuvor Languster speiste; der Quarnero ist ja eine Art von Homard-Reservoir; der Pomard dazu war höchst trinkenswürdig. Die Cigarre, die Du mich rauchen siehst, ist eine echte Carolina, ein Geschenk unseres gemeinschaftlichen Kunstfreundes Wilhelm von Gutmann. Riechst du das feine Aroma? Bei solchen ‚Geschehnissen‘ pflegt der Züribieter (der Ur-Züricher) zu sagen: ‚Schöner nützt nüt!‘
Und ist denn nichts an Abbazia auszusetzen? wirst Du fragen. Nun ja! Die Zwiebelthürme der Jesuitenkirche in Volosca stören mich; es fehlen die italienischen Campanile, die malerischen Capuziner. Die gutmüthige Bevölkerung ist unschön, durch Armuth elend, ohne Race, nicht slavisch, nicht italienisch, auch noch recht abergläubisch. Vor nicht langer Zeit hat man hier einen sogenannten Hexenmeister im Sarge angenagelt; es hat freilich nichts genützt; er ist vor Kurzem doch als Vampyr in Wien gesehen worden (= eine Anspielung auf die Oper Der Vampyr von Heinrich August Marschner, die am 15. Oktober 1884 in Wien uraufgeführt wurde). Auch zeigt man hier eine von Weinbergen umgebene Casa maledetta; der Teufel soll darin ein Zimmer als Absteigequartier haben, es gefällt ihm eben auch in Abbazia. Ein Schiffer, der uns neulich diese Mittheilung machte, und der oft die Erde umfahren hatte, fügte verächtlich hinzu: Gente stupido! – Es gibt hier auch zu strenge Polizei, und daher zu wenige naiv und lustig bettelnde Kinder; man merkt, dass man noch nicht ganz in Italien ist. – Doch das sind so meine Privatschmerzen. Andere mögen Anderes zu bemäkeln haben. Ich halte mich an Dein schönes Wort: ‚Nur wer zu lieben fähig ist, weiß auch zu schonen.‘ Schon lange sehe ich im Geiste Deinen Papierkorb nach meinem Briefe schnappen, der so sehr Deiner Schonung bedürftig ist. Auf baldiges Wiedersehen in Wien.
Dein
Th. Billroth.“
Die wohl kalkulierte Begeisterung des Chirurgen für Abbazia sorgt für Aufregung unter seinen Medizinerkollegen und Patienten: Der Brief veranlasst „mehrfache Anfragen, sogar injurielle Zurechtweisungen und Anklagen (natürlich anonym) von anderen südlichen Kurorten“; da diese ihm „aufgezwungene Korrespondenz“ nicht nach seinem „Geschmack“ ist, sieht er sich gezwungen, in der angesehenen Wiener Medizinischen Wochenschrift vom 11. Jänner 1885 ein „offenes Schreiben“ über Abbazia an deren Herausgeber und Chefredakteur Leopold Wittelshöfer zu publizieren. Wie Billroth betont, möchte er damit „die Sache gern summarisch abthun“, deutlich spürbar ist das Bemühen um ein ausgewogenes Urteil, aber auch die Entschlossenheit, in der Sache selbst nicht nachzugeben. So räumt er einleitend gleich mit dem Vorurteil auf, dass das südliche Klima eine „spezifische Wirkung“ auf Tuberkulose habe; „wohlthätig und durch nichts zu ersetzen“ sei dagegen der „Aufenthalt am südeuropäischen Meergestade für schwächliche Kinder und chlorotische Mädchen im Winter“; die „glänzendsten Erfolge“ würde man jedoch bei Nervenkranken erzielen. Was nun seine Empfehlung für Abbazia betreffe, so „mag das davon kommen, dass ich auf einer Insel (= Rügen, J. S.) geboren bin und am Meere meine Jugend verlebte. So gern ich auch in Italien bin, so ist es doch ein noch angenehmeres Gefühl, im Heimatlande das Gesuchte zu finden und nach alter Gewohnheit fortleben zu können. Dass sich weder Triest noch Fiume zu Kurorten eignen, ist bekannt. Bleibt also das alte, junge Abbazia, das in 14 Stunden von Wien aus bequem zu erreichen ist. Unser Abbazia. Nicht Jedem wird die Landschaft dort so sympathisch sein wie mir. Viele werden enttäuscht bald wieder von dannen fahren; das hängt ja ganz von der Individualität, von Stimmungen, von den Menschen, die man trifft, und von vielen anderen Dingen ab.“
Ausführlich kommt Billroth auf „die größte Schwierigkeit, Abbazia für Fremde bewohnbar zu machen“ zu sprechen, die „Beschaffung von gesundem Trinkwasser“. Es sei jedoch gelungen, im Karst drei Wasseradern abzufangen und deren Wasser in eine „gemeinsame Brunnenstube“ zu leiten, von der aus das kostbare Nass „mittelst einer Dampfmaschine in ein großes, hochgelegenes Reservoir hinaufgepumpt“ und von hier in „das jetzige und die neu zu erbauenden Hotels“ verteilt werde.
Offene Worte findet Billroth für die noch vorhandenen „Übelstände“ im Hotel Quarnero; seine Ausführungen lassen vermuten, dass er in die Planungen für den Ausbau von Abbazia mit einbezogen worden ist und bestens Bescheid weiß: „Das jetzige Hotel Quarnero soll, zumal wenn das neue große Hotel Cherso fertig ist, vorwiegend Sanatorium für Leidende werden, welche einen längeren Aufenthalt in Abbazia nehmen. Zu diesem Zwecke ist der jetzige Esssaal durch eine breite geheizte Wandelbahn mit dem Hause für warme Seebäder verbunden. Das neue, bis zum nächsten Winter bewohnbare Hotel soll mehr für Passanten sein, und wird, wie ich aus den Plänen ersehe, sehr zweckmäßig eingerichtet. Für die Sonn- und Feiertagsbesucher der Extra-Vergnügungszüge wird später, wie auf dem Semmering, eine sogenannte ‚Jubelhalle‘ in einiger Entfernung von den Hotels mit billiger Restauration, Würsteln, Fassbier und Allem, was der Wiener sonst zu seinem Vergnügen braucht, errichtet.“ Noch scheint das Südbahn-Management also entschlossen, das bewährte Semmering-Konzept zur Gänze auch auf Abbazia zu übertragen – ein Vorhaben, das man bald revidieren wird müssen: Die „Extra-Vergnügungszüge“ an die Adria und die „Jubelhalle“ bleiben Utopie, die Gäste Abbazias kommen weiterhin aus dem Adel und dem Großbürgertum, vom Massentourismus muss Abstand genommen werden. Bemerkenswert auch, dass für das zweite große Hotel, wenige Monate vor seiner Eröffnung, noch der Name „Hotel Cherso“ vorgesehen ist – ein Indiz dafür, dass wohl erst jetzt, zu Beginn des Jahres 1885, der Plan gefasst wird, das Kronprinzenpaar stärker in die bereits laufende Abbazia-Kampagne einzubinden. Mit der Zusage Rudolfs und Stephanies, zur Eröffnung des neuen Hotels in die „Winterstation“ zu kommen, haben sich hier neue Perspektiven ergeben, die Südbahn setzt nun mit dem „Kronprinzessin Stephanie“ ganz auf die kaiserliche Familie.