Kitabı oku: «Alle, alle will ich», sayfa 3
GUSTI
Wie so manch anderes Mädchen, das den Weg Schnitzlers kreuzt, hat Gusti, abgeleitet von „Auguste“, keinen Familiennamen. Er trifft sie nur dreimal in seinem Leben und doch bleibt sie für immer unvergessen, ja, „dieses Wesen“ wird, „wenn auch nicht als individuelle Erscheinung“, so doch als „Idee“ für seine „dichterische Entwicklung bedeutungsvoll werden“, wie er später in Jugend in Wien befindet. Gusti, so seine Überzeugung, habe „mit einem gewissen Recht“ Anspruch darauf, das „erste süße Mädel“ genannt zu werden.
Was wissen wir über Gusti? Sie ist Choristin an einem Theater in der Vorstadt, an einer Bühne, die, wie er in Jugend in Wien erklärt, „ich mehr aus Gründen der Belletristik, als aus solchen einer in diesem Fall ganz zweck- und sinnlosen Diskretion, nur mit drei Sternchen zu bezeichnen für richtig fand“. Schnitzler lernt sie am 25. November 1881 kennen, als er mit seinem „liebenswürdigen“ Freund Leo Ebermann, gebürtig aus Draganówka in Galizien, durch die Straßen und Gassen in der „Neubau- und Josefstädtergegend“ bummelt und sie dabei zwei Mädchen ansprechen: Gusti und ihre Freundin Minna. Die wohlgesetzten „Einleitungsworte“ der beiden jungen Herren werden von den beiden Damen wohlwollend aufgenommen und so spaziert man zu viert weiter.
Schnitzler ist vom Charme Gustis, die sich ihm angeschlossen hat, sofort hingerissen. Noch am selben Abend notiert er im Tagebuch: „Gusti heißt sie. Prototyp einer Wienerin; reizende Gestalt – geschaffen zum tanzen (sic!) – ein Mündchen, das mich in seinen Bewegungen an das Fännchens erinnert – geschaffen zum küssen; – ein paar glänzende lebhafte Augen. – … Kleidung von einfachem Geschmack und der gewissen Grisettengrazie … der Gang hin und her wiegend … behend und unbefangen … die Stimme hell … die Sprache in natürlichem Dialekt vibrierend – … was sie spricht – nun – so wie sie eben sprechen kann, ja muss – d. h. lebenslustig … mit einem leisen Anklang von Übereiligkeit …“ (TB, 25. November 1881) Und auch das Lebensmotto der jungen Dame, das sie mit einem „gleichgiltigen Achselzucken“ zum Besten gibt, ist ganz nach seinem Geschmack: „Man ist nur einmal jung“, was natürlich impliziert: „Da gibt’s nichts zu versäumen.“ Schnitzlers Kommentar dazu: „Vernunft in die lichten Farben des Südens getaucht.“
Schnitzler fühlt sich von dieser ersten Begegnung ungemein inspiriert, schon denkt er daran, „die Skizze zu solch einem Mädchen“ zu entwerfen, das „durchaus nichts französisch … leidenschaftliches … dämonisches an sich hat … sondern ganz heimlich und humoristisch berührt“. Es beeindruckt ihn, dass Gusti, die er für „leichtsinnig – mit einem abwehrenden Anflug von Sprödigkeit“ erachtet, offen über ihren Liebhaber spricht, mit dem sie vor wenigen Wochen gebrochen hat, und scherzend zum Besten gibt, wie sie ihre zahlreichen verliebten Verehrer „zum Narren“ halte. Dieser freie Ton, diese „volkstümliche Melodie“ ist für den Medizinstudenten aus einer wohlhabenden jüdischen Familie etwas Neues, Faszinierendes, endlich ist da ein Mädchen, das nicht von einem verklärten Ideal der Liebe schwärmt, sondern einfach über seinen alltäglichen Umgang mit Männern spricht. Ganz „klar & aufrichtig“ zieht er für sich den Schluss: „Ich bin wieder verliebt.“ (TB, 28. November 1881)
Das nächste Rendezvous ist für Sonntag, den 27. November, 5 Uhr, vereinbart; die Paare vom ersten Treffen finden sich wieder zusammen: Arthur mit Gusti, Leo mit Minna. Wieder streift man zu viert durch die Stadt, Gusti erzählt wieder von ihrem Geliebten, der eigentlich, wie sie behauptet, gar kein Geliebter gewesen sei, denn er habe sie nicht „besessen“, sie sei „rein“ – natürlich ahnt sie, dass gerade dieses Detail den eleganten Medizinstudenten, den sie da gerade kennengelernt hat, brennend interessiert. Und sie erzählt die Geschichte des Bruchs mit ihrem Julius, dem Verflossenen: wie er sie mit leichten Mädchen betrogen habe und sie ihn deshalb nicht mehr liebe, wie sie in ihrer Verzweiflung über das Gerede der Nachbarn und das Unverständnis der Eltern Morphium genommen habe, denn Zyankali sei keines zu Hause verfügbar gewesen.
Als Schnitzler sie offenbar fragt, wie es denn um die „Unschuld“ ihrer Freundin Minna, die mit Leo tändelt, stehe, wagt sie darüber „nicht deutlich zu sprechen“, Schnitzler jedenfalls „mißfällt dieses Mädchen sehr – sie hat etwas ordinäres und passt zu Gusti gar nicht“. (TB, 28. November 1881)
Vom Umherstreifen müde, begibt man sich schließlich in „Mariahilf oder Neubau“ in ein Gasthaus, Freund Leo übernimmt auf eine Schnitzler „anwidernde Art“ die Rolle des Possenreißers. Schließlich lässt Leo es auch an „schlimmen Zoten“ nicht fehlen und trägt als Krönung des Ganzen einen „höchst unzweideutigen Vierzeiler“ vor – zur Überraschung Schnitzlers amüsieren sich die beiden Mädchen köstlich, nicht nur die „unkeusche Minna“, sondern auch das, wie er meint, „um so viel reinere Fräulein Gusti“. (Jugend in Wien) Zu allem Überdruss bemerkt er, dass Gusti zwischen ihm und Leo, der „immer kühnere Töne“ anschlägt, zu „schwanken“ beginnt – als man das Lokal verlässt, erhält Gusti sowohl von ihm als auch von Leo ein Liebesgeständnis, Minna geht in diesem erotischen Viereck „mehr & mehr ein“.
Die beiden Studenten begleiten Gusti nach Hause, vor ihrem Haustor nimmt man Abschied, zuvor vereinbart man für Dienstag, den 29. November, das nächste Treffen und – sie stellen ihr ein nicht unwichtiges Ultimatum: Bis dahin solle sich Gusti für einen der beiden entscheiden und ihre „endgültige Wahl“ treffen. Schnitzler dazu im Tagebuch: „Ist die Sache komisch? Oder liegt etwas darin? Für uns, die wir da mit spielen (sic!), gewiss – sehr viel sogar. – Dieses ‚Mädel aus der Vorstadt‘ hat einen merkwürdigen, unerklärlichen Eindruck auf mich gemacht.“ (TB, 28. November 1881)
Schnitzler hat in diesen Novembertagen sein „Fännchen“ vergessen und auch die „hübschere“ Marie Joppich, deren am Postamt liegen gebliebene „Rendezvous Briefe“ er gerade entdeckt hat, er fiebert dem Dienstag entgegen, „ganz unbewußt“ fantasiert er über ein „Volksstück“, „in dessen Mitte ein Mädchen wie Gusti steht“. (TB, 28. November 1881) Pünktlich sind er und Leo Ebermann am vereinbarten Treffpunkt, dann kommt auch Gusti, diesmal schon allein, sie ist „reizend, wunderhübsch“, die beiden jungen Männer sind ungeduldig, fragen sie um ihre Entscheidung. Schnitzler hat uns diese denkwürdige Szene in seinem Tagebuch überliefert:
„Sie liess eine gute Weile fragen, und gab echt mädchenhafte Antworten; … und als ich sie fragte: Lieben Sie überhaupt einen von uns, erwiderte sie: ‚Gwiss, i weiß nur no nöt, wen!‘
Eine Minute darauf wußte sies. – ‚Sagen Sie doch, wer es ist‘ rief Leo aus – ‚weisen Sie wenigstens mit der Hand auf ihn, ists der, der zu Ihrer rechten oder der, der zu Ihrer linken steht –‘ Sie schwieg ein paar kurze Sekunden –
– ‚Na … der …‘ und sah uns beide oder eigentlich keinen mit schelmischen Augen an … und ein bischen verschämt – na meinetwegen … der … rechts …‘
– Ich – stand links. –
Oh, oh, oh! – –“ (TB, 29. November 1881)
Schnitzler bleibt nichts anderes übrig, als die spontane Entscheidung Gustis zu akzeptieren und „in einer Nebengasse zu verschwinden“, wie sich aber die „Liebelei zwischen dem ersten süßen Mädel, das durch eine Ironie des Schicksals nicht das meine wurde“ (Jugend in Wien), und seinem Freund Leo weiterentwickelt, wird er nie erfahren. Josef „Pepi“ Mütter, der Bruder von Fanny Mütter, wird ihm den Grund für seine Niederlage bei Gusti erklären: „Leo hatte sich freier benommen als du, so hatte er auch als Freier mehr Glück.“ (Jugend in Wien)
Schnitzler wird Gusti nie mehr wiedersehen. Sein Freund Leo Ebermann, der später ein Mädchen namens Laura Gramin heiratet, feiert mit dem Stück Die Athenerin, das 1896 am Burgtheater aufgeführt wird, einen einzigen Erfolg, später muss er sich mit journalistischen Arbeiten für die Wiener Zeitung über Wasser halten. Er stirbt 51-jährig am 9. Oktober 1914 in Wien; Arthur Schnitzler ist unter jenen Freunden und Bekannten, die ihn zwei Tage später am Döblinger Friedhof zur letzten Ruhe geleiten.
IRMA H.
Am 1. Oktober 1882 tritt der Medizinstudent Arthur Schnitzler, der vor den Ferien die „infernalische Prüfung“ (TB, 19. Mai 1882), sein erstes Rigorosum, bestanden hat, im Garnisonsspital Nr. 1 seinen Dienst als Einjährig-Freiwilliger an. Er, der sich bisher mit ziemlich langen Haaren, breitkrempigem Rembrandthut und Krawatte „einigermaßen künstlerisch getragen“ hat, beginnt jetzt mehr Sorgfalt auf sein Äußeres zu verwenden: „Der Snob in mir erwacht und entwickelt sich auf das lächerlichste.“ Weiche Hüte sind von nun an verpönt, Schnitzler wechselt seinen Schneider und verwendet Stehkrägen; in der Freiwilligenuniform gibt er, wie er in Jugend in Wien berichtet, „immerhin eine leidliche Figur“ ab, ja, es zeigt sich sogar eine Neigung zu „leichter Stutzerhaftigkeit“. Dazu gehört auch, dass man mit seinen Freunden im Fiaker unterwegs ist und darin von möglichst vielen Leuten gesehen wird. Und er fängt „bewusster an, auf das auszugehen, was man mit einem allzu heroischen Wort Eroberungen zu nennen pflegt“.
„Der Snob in mir erwacht“: Aus dem langhaarigen Studenten wird ein schneidiger „Einjährig-Freiwilliger“.
Begünstigt wird dieses Vorhaben durch ein Übermaß an Zeit – Schnitzler ist im Spital dem „Leichenhof“ zugeteilt und hat „wenig zu thun“ (TB, 10. Oktober 1882), an den Abenden besucht er die Familie Mütter und er schreibt an einer „Novelette“ mit dem Titel „Ein Festmahl“. Abwechslung kommt da gerade recht: Kamerad Hiero Stössel (1862 – 1925), „ein kleiner, dicker, überaus hässlicher und finniger, nicht gerade dummer Bursche“, der sich überdies durch „eine ans Unglaubliche grenzende Lügenhaftigkeit“ auszeichnet, vermittelt ein erstes Abenteuer. Der „unerbauliche Hiero“ schlägt ihm vor, doch seine Freundin Irma H. kennenzulernen, die 16-jährige Tochter eines „pensionierten Majors aus ungarischem Adel“, die sich „ausschließlich mit militärärztlichen Eleven in Beziehungen“ einlasse. Schnitzler, immer neugierig, ist mit dem Vorschlag einverstanden und so warten die beiden Freiwilligen am Abend des Allerseelentags 1882 vor dem Tor des Garnisonsspitals auf Irma H.
Das Mädchen erscheint in Begleitung „einer ganz unhübschen Genossin“, die auch Hiero nicht kennt; die Majorstochter ist trotz ihrer „fast ärmlich zu nennenden Kleidung eine nicht unedle Erscheinung mit angenehmen, doch blassen und verlebten Zügen“ – wie mit Hiero zuvor verabredet, wendet sie sich sofort Schnitzler zu. Ohne „weitere Förmlichkeiten“ machen sich die zwei Pärchen zu einem „jener trübseligen, kleinen Gasthöfe“ auf, „wo die Gäste mehrmals des Tages zu wechseln pflegen“. Arthur und Irma finden aneinander „lebhaftes Gefallen“, im Tagebuch vermerkt er über den Abend: „Eigentlich wäre auch über Irma H., ein Mädchen von sechzehn Jahren, dessen Schönheit viel bedeutender ist als ihre Tugend, manches zu schreiben. Sie ist eine Majorstochter und erfreute mich mit ihrer ganz besonderen Gunst. Ein herrlicher Leib und ein sehr schönes Gesicht.–“ (TB, 2. November 1882)
Es kommt, wie Schnitzler in Jugend in Wien erzählt, zu keinen weiteren „Zusammenkünften“ mit Irma und er ist darüber nicht unfroh, erhält er doch bald darauf „ziemlich erschreckende Mitteilungen“ über ihren „Lebenswandel und ihren Gesundheitszustand“, von dem Kamerad Hiero Stössel „zweifellos unterrichtet“ gewesen sein dürfte – Schnitzler darf sich „gratulieren, bei dieser ersten und letzten Liebesstunde mit der Majorstochter glimpflich davongekommen zu sein“.
„Sie kam … sie ward mein“: Else von Kolschitzky. Schnitzler lernt das „ernste, beinahe verschlossene Wesen“ bei seinem Studienkollegen Louis Mandl kennen.
ELSE VON KOLSCHITZKY
Schnitzler lernt Else von Kolschitzky im Haus seines Studienkollegen und Vetters zweiten Grades Louis Mandl in der Asperngasse 1, heute Aspernbrückengasse 1, kennen. Aus einer verarmten polnischen Adelsfamilie stammend, lebt sie „ganz wie eine Gleichgestellte“ im Hause Mandl und ist eine „Stütze der Hausfrau“, daneben leistet sie einem „Fräulein Nancy“ Gesellschaft, einer Verwandten, die als Ziehtochter in die Familie aufgenommen worden ist. In seiner Autobiografie Jugend in Wien qualifiziert er Else als „eben noch hübsch“ und „bei einigem Verstand und leidlicher Bildung“, dabei „von ernstem, beinahe verschlossenem Wesen“.
Louis Mandls Vater ist der bekannte Arzt Dr. Ferdinand Mandl, sein Onkel Ignaz Mandl ein erster „Kampfgenosse“ Karl Luegers. Der spätere rabiate Antisemit und Bürgermeister findet nichts dabei, im Hause Mandl zu verkehren und mit den Juden Tarock zu spielen – für Schnitzler in der Rückschau der „stärkste Beweis seiner moralischen Fragwürdigkeit“. Im Spätherbst 1882 verschwendet der Militäreleve jedoch kaum einen Gedanken an Politik – er kommt an den Sonn- und Feiertagen gern hierher, um die Gesellschaft der „zahlreich auftretenden, hübschen Cousinen“ zu genießen, dabei fällt ihm Else auf. Am 22. November 1882 notiert er im Tagebuch: „Frl. Else bei meinem Freund M. beginnt mich zu interessiren.“
Am Abend des Christtags 1882 ist Schnitzler, der inzwischen vom Leichenhof in die „2. Abtheilung (Intern)“ mit Stabsarzt Chvostek als Chef versetzt worden ist und im Übrigen über das „verdammte Militärjahr“ klagt (TB, 22. Dezember 1882), zu Gast bei der Familie Adler, wo es „wie selbstverständlich unzählige Mägdelein“ gibt, auch Else ist da; Schnitzler beschäftigt sich „besonders mit ihr und Sophie“, einer der Töchter des Hausherrn Philipp Adler. Man unterhält sich bestens, auch „einige Küsschen liefen mit unter“. (TB, 27. Dezember 1882) Einige Tage später, wohl am Silvesterabend 1882, begegnet er Else zufällig in einem Stiegenhaus „und nach ein paar belanglosen, durchaus konventionellen Redensarten lagen wir uns ganz plötzlich in den Armen“ (Jugend in Wien) – die Vorstufe im Tagebuch liest sich so: „Das alte Jahr schloss ich ganz vernünftig ab. – Else lag an meinem Halse, während wir im Treppenhaus standen, küssend und geküsst unzählige Male.“ (TB, 2. Jänner 1883)
Wenige Tage später trifft Schnitzler erneut „zufällig“ mit Else zusammen, er führt sie in den Quaipark am Donaukanal, ihm bestens bekannt von den Spaziergängen mit Franziska Reich, und unter „unzähligen Liebkosungen“ wird ein Rendezvous für Sonntag, den 14. Jänner 1883, vereinbart, im Diarium heißt es dazu triumphierend: „Sie kam … sie ward mein.“ (TB, 15. Jänner 1883) Danach heißt es vorsichtig sein: Beide werden am Abend im Haus Mandl erwartet und dürfen nicht gemeinsam dort eintreffen, sie fahren daher getrennt in die Asperngasse, wo man sich dann „leidlich amüsirte“, „Else sass mir natürlich ganz unschuldig gegenüber“. (TB, 22. Jänner 1883) Schnitzler genießt dieses Doppelspiel mit vollen Zügen: „Zum erstenmal ward mir nun das immer wieder reizvolle Erlebnis, ein Geschöpf, das ein paar Stunden vorher rückhaltlos hingegeben mir am Herzen geruht, in Gesellschaft, unter Leuten, denen unser Verhältnis ein Geheimnis war und bleiben mußte, mir unschuldig-damenhaft gegenübertreten zu sehen. Und hatte man am Nachmittag auf zerknüllten Polstern gemeinsam Schokoladekastanien und andere Süßigkeiten genascht, so saß man einander vielleicht am selben Abend noch an der Familientafel wohlanständig und zugeknöpft gegenüber, tauschte gleichgültige Worte von übertriebener Harmlosigkeit, denen es doch an versteckten Beziehungen nicht fehlte, die einen unmerklich erröten und lächeln machten, trank einander mit Blicken zu, die keiner merken sollte, und zum Abschied küsste man das geliebte Händchen, als hätte man, oder wie es in jenem Gedicht heißt, das ich diesem Erlebnis widmete: ‚Als hätt’ ich deinen Nacken nie geküsst.‘“ (Zitiert nach Jugend in Wien)
Am Samstag, dem 20. Jänner 1883, beschließt Schnitzler die Woche nach einer „lustigen Aventure mit einem jungen sechzehnjährigen Mädchen“ beim Kränzchen des Vereins Unitas „bußfertig in den liebesheißen Armen Else’s“ (TB, 22. Jänner 1883), doch dann lernt er in den Drei-Engel-Sälen Anna Thoman kennen und eine Woche später ist Else von Kolschitzky nur mehr der „Stern der vorverflossenen Woche“. (TB, 29. Jänner 1883)
Wohl am 7. März 1883 kommt es zu einem letzten intimen Zusammensein mit Else; Schnitzler, mittlerweile an die leidenschaftlichen Umarmungen von Anna Thoman gewöhnt, langweilt sich bereits mit ihr, „es fehlt nicht mehr viel und sie ist mir unausstehlich“, bemerkt er tags darauf kühl und etwas zynisch im Diarium.
Am Ostermontag, dem 26. März 1883, vermerkt Schnitzler im Tagebuch: „Vor zwei Wochen erhielt ich von Elsen ein Schreiben voll Moral und Entsagung – sie hört auf meine Geliebte zu sein. Alles in ihrem Briefe klingt wahr – nur die eine Stelle ist vollkommen falsch: ‚Ich weiss, daß ich dir durch diese Erklärung unangenehme Stunden bereite.‘ – Ganz falsch – s. o. –“ Auslöser für diesen plötzlichen Sinneswandel ist, wie Schnitzler in Jugend in Wien berichtet, ein Gespräch Elses mit dem blinden Arzt Ferdinand Mandl, ihrem Gastgeber, der sie mit „andeutungsvollen milden Mahnungen“ „tief berührt“ und sie dazu bewegen kann, Schnitzler nur mehr „Freundin“ zu sein. Zwar kann Schnitzler diesen Entschluss, wie er in Jugend in Wien nicht ohne Stolz erzählt, noch „einige Male mit viel Erfolg ins Wanken“ bringen, doch dann reist Else aus Wien ab: „So nahm ich vorläufig Abschied von ihr, um so leichteren Herzens, als ich nie wirklich in sie verliebt gewesen war und mich ein neues, heitereres Glück erwartete, ja sogar schon gefangennahm“ – Schnitzler denkt dabei an die blonde Anna Thoman. Er „quittiert“ die Trennung mit einem Gedicht, das Else nie zu sehen bekommt und das mit dem Vers schließt: „Auch dieses Strumpfband schick’ ich dir zurück, ich fand es heute früh in meinem Bette.“
Diesem Abschied soll ein Jahr später doch noch ein kleines Nachspiel folgen: Als Schnitzler im April 1884 erfährt, dass Else wieder in Wien ist, beginnt er sich wieder mit ihr zu treffen, in „traulicher Zweisamkeit“ wird das Wiedersehen gefeiert. Im Diarium lesen wir: „ – und in diesem Momente besteht zwischen mir und ihr ein so intimes Verhältnis wie nur je zuvor. Sie ist noch immer so hübsch wie früher und so – gebildet. Auch schwört sie hoch und theuer, daß sie seit – damals niemanden geliebt … Frag’ ich sie drum?–“ (TB, 18. April 1884) Das „intime Verhältnis“, von dem der Medizinstudent Schnitzler so selbstbewusst spricht, zerbricht jedoch rasch endgültig, in einer Tagebuchnotiz vom 7. Juli 1884 berichtet Schnitzler, der kurz zuvor zusammen mit seinem Bruder die „wunderhübsche“ Charlotte Heit in Vöslau besucht hat, von der neuerlichen Abreise Elses: „Else ist seit ziemlich lange, nachdem ich mich ziemlich lange nicht um sie gekümmert weg; schickte mir Briefe und Photographie; ich ließ ziemlich lange mit der Antwort warten.“
Es ist dies das letzte Mal, das Schnitzler Else von Kolschitzky im Tagebuch erwähnt; ihr weiteres Schicksal liegt im Dunkeln …
ANNA THOMAN
Fasching 1883. Wien gedenkt der Zweiten Türkenbelagerung, Kostüme im Stile des Jahres 1683 sind die große Mode, eine Ballveranstaltung jagt die andere. Am 24. Jänner ist Hausball in den Sälen des Gasthauses „Zu den drei Engeln“ in der Großen Neugasse 36. „Hausbälle“ haben in den Wirtshäusern der Vorstadt „nach dem guten alten Schlag“ Tradition, ein Wirt, der nicht „’s Geredt“ haben will, so urteilt die Morgen-Post vom 29. Jänner 1883, kann auf die bei den Stammgästen allseits beliebte „Remasuri“ nicht verzichten. Arthur Schnitzler und sein Freund Louis Friedmann hätten an diesem Mittwoch auch zu einem Maskenball im Großen Musikvereinssaal oder in den Sophiensälen gehen oder sich in Schwender’s Colosseum vergnügen können, wegen einer Frau, „für welche er sich interessirt“, hat sich Louis jedoch für das ausgelassene bodenständige Tanzvergnügen auf der Wieden ausgesprochen. Arthur, der eben die vorangegangene Woche „bußfertig in den liebesheißen Armen Else’s“ verbracht hat, wartet ab, auch er bereit für ein neues Abenteuer. Der Abend verläuft zunächst ruhig, Schnitzler will schon gehen, als ihm eine „reizende Blondine“ ins Auge sticht: „Ich forderte sie zum Tanz auf, mit einiger Raschheit glühte mein Mund bereits auf dem ihren – ein Saal, den ein merkwürdiger Zufall dunkel liess, war sehr anmutig und passend dazu, sie in meinen Armen zu halten, unzählige Mal sie zu küssen … und so verfloss die Nacht bis vier Uhr Morgens ganz reizend, … ihr Vater (sowie Schwester und Bruder) war natürlich auch da.–“ Die nächste Nacht verbringt Schnitzler auf einem „langweiligen Maskenball“, am Abend darauf aber ein Rendezvous mit Anna, die, wie er im Tagebuch am 29. Jänner vermerkt, „zwar keine Unschuld, wohl aber ein Engel ist … am Sonntag ward sie mein“. „Es ist komisch, daß ich beinahe in sie verliebt bin; heiter das umgekehrte.“ In seiner Autobiografie Jugend in Wien wird er die „kleine, blonde Anni“ als das „Urbild des süßen Mädels“ bezeichnen, als ein Mädchen, das „verdorben war ohne Sündhaftigkeit, unschuldsvoll ohne Jungfräulichkeit, ziemlich aufrichtig und ein bißchen verlogen, meistens sehr gut gelaunt und doch manchmal mit flüchtigen Sorgenschatten über der hellen Stirn, als Bürgertöchterchen immerhin nicht ganz wohl geraten, aber als Liebchen das bürgerlichste und uneigennützigste Geschöpf, das sich denken läßt.“
Bodenständiges Vorstadt-Tanzvergnügen auf der Wieden:
das Gasthaus „Zu den drei Engeln“ in der Großen Neugasse 36
Schnitzler, in diesen Faschingstagen 1883 „mehr zum leben (sic!) aufgelegt als zum Schreiben“, genießt die Ballsaison in vollen Zügen, studiert wird „natürlich gar nichts“. Für das Tanzen ist er zwar „nicht so sehr begeistert“ wie in den Jahren zuvor, jetzt konzentriert er sich aber ganz auf die junge weibliche Teilnehmerschaft an den Bällen: „Meist wähl’ ich mir ein oder zwei Mädchen aus dem bekannten ‚Flor‘ aus, und beschäftigt (sic!) mich mit diesem ausschließlich.“ (TB, 28. Februar 1883)
„Zwar keine Unschuld, wohl aber ein Engel“: Anna Thoman bereitet Schnitzler „manche genussreiche Stunde“ …
Wo Schnitzler die Liebesstunden mit „Ännchen“ verbringt, bleibt unklar, die Erinnerungen in Jugend in Wien deuten darauf hin, dass er schon in diesen jungen Jahren die Tête-à-tête geschickt zu arrangieren weiß: „Und war sie eben noch in dem behaglichen, wohlgeheizten Kämmerchen, in das sie mir immer erst nach einigem Zögern folgte, im Zauber der Stunde selig verloren, die ausgelassen-zärtliche Geliebte gewesen, so mußte sie nur über die schwach beleuchtete Treppe, durch den halbdunklen Hausflur, aus der verschwiegen-dämmerigen Nebengasse in den nüchtern-grellen Laternenschein der Hauptstraße treten, um sich, ein unauffälliges, kleines Bürgerfräulein unter vielen anderen, mit unbefangen hellem Aug, in das Gewimmel der abendlichen Geschäfts-, Spazier- und Heimwärtsgänger zu schicken.“ Vor den Eltern muss das lustvolle Treiben um jeden Preis verheimlicht werden, wie Schnitzler andeutet, weiß Anni mit dieser Herausforderung souverän umzugehen.
Einen Monat später kann Schnitzler mit der Großspurigkeit des umschwärmten Kavaliers Bilanz ziehen: „Ännchen behauptet sich noch bei mir; sie hat mir manche genussreiche Stunde bereitet und ihre Lippen sind süß! Ich denke mit besondrer Wonne an Sonntag vor acht Tagen … und Freitag den zweiten … Ab und zu war ich auch Vormittag mit ihr im Kaffeehaus oder promenirte Abends mit ihr.–“ (TB, 28. Februar 1883) Kurz danach, „eines schönen Nachmittags im Vorfrühling“, wartet er jedoch an der „gewohnten Straßenecke“ vergeblich auf Anni – Schnitzler muss das vermeintliche Ende der „Geschichte“ mit ihr zur Kenntnis nehmen.
Inzwischen hat er sich, „ich glaube aus Faulheit“, entschlossen, doch wieder etwas zu studieren, Lernstoffe aus Pathologischer Anatomie und interner Medizin stehen am Plan, „einiges interessiert mich wirklich“. Ja, der neu motivierte Student will sogar etwas für seine sportliche Ausbildung tun: Ab Anfang März 1883 nimmt er in einer Fechtschule Unterricht im Säbelfechten, ansonsten widmet er sich ganz der Rennsaison in der Freudenau: „Ich liess keins von den Sommerrennen aus, war stets mit viel Interesse dabei und wettete bald mit weniger, bald mit mehr Glück, so daß ich auf meine Finanzen bald himmelhoch jauchzend, bald zu Tode betrübt sehn konnte.“ Und dann kommt es doch noch zu einem intimen Zusammensein mit Anna Thoman. Am Abend des 26. März 1883, es ist Ostermontag, notiert Schnitzler in seinem Tagebuch: „Ännchen’s süßen Leib verkostete ich gestern vor acht Tagen zum letzten Mal“ und lässt dann noch einmal ihre körperlichen Reize Revue passieren: „Dieses Mädchen ist nach ihrem Aussehen und ganzen Wesen der Prototyp einer Grisette – notabene einer reizenden Grisette. Eine schmiegsame, weiche, schlanke Gestalt … ein köstlicher flaumiger Hals, den ich unglaublich gern küsse – ein charmantes Köpfchen mit reichlichem blonden Haar, das vorn zierlich gekräuselt in die Stirn fällt … und am allerhübschesten ist dieses Köpfchen, wenn es schon mit dem halb zerrauften Haar aus dem Bette hervorlugt. Dunkle Augenbrauen über blaugrauen Augen – über die sich in den süßesten Momenten die Augenlider in lieblicher Müdigkeit schließen – und Lippen voll Wärme und Leben – und so weiter.“ „Und Geist! Natürlich keiner. Dafür der (reinste) Mutterwitz – freilich nicht mehr – Aber – ich küsse ja nicht ihren Verstand –“.
Von Seiten Anna Thomans scheint die Begeisterung für ihren Galan jedoch nicht so groß gewesen zu sein, denn nun entschwindet das „Urbild des süßen Mädels“, tatsächlich aus seinem Leben, Schnitzler scheint darob einigermaßen verwundert, tröstet sich aber rasch mit Therese D., der „vielumworbenen Kassierin“ des Arkadencafés, in dem er „vormittags Billard, nachmittags Karten, abends Billard und Karten, nachts Karten und Billard zu spielen“ pflegt. (Jugend in Wien) Als er die „sehr hübsche“ Therese eines Tages nach ihrem Dienstschluss zufällig auf der Straße trifft, lädt er sie zu einer Fahrt in den Prater im geschlossenen Fiaker ein, das Mädchen ist einverstanden, man kommt sich näher – der Abend endet in einem „reizenden kleinen Zimmerchen … und Liebe!“: „… Wie sie mir dann, als wir auf dem Bette saßen, um den Hals fiel … anfing zu weinen – mir schwor, daß sie mich unendlich liebe …“ (TB, 16. Mai 1883) Schnitzler traut ihr jedoch nicht ganz – wie er in Jugend in Wien erzählt, vermutet er, dass sie ein Verhältnis mit dem Zahlkellner unterhält, der ein wahrer Lebemann ist und „beträchtlich eleganter“ aussieht als „die meisten seiner Stammgäste“. Therese ist keine Wienerin und sie hat eine kleine Eigenheit, die ihm unvergessen bleibt: „Öfter als notwendig“ trällert sie den populären Operettenrefrain: „Die Lieb’ erfordert Studium, und wer nur einmal liebt, bleibt dumm, dumm, dumm.“
Noch einmal schläft Schnitzler mit Therese, es ist ein „schwüler Vormittag“ Mitte April 1883, am nächsten Tag soll sie in ihre Heimat abreisen. Sie hat ihre Stellung im Arkadencafé gekündigt, nicht zuletzt auch, wie Schnitzler vermutet, nach Differenzen mit dem Zahlkellner. Therese ist in dieser Liebesstunde „sentimental“, seufzt an seinem Hals: „Endlich hat man einen gefunden, den man wirklich gern haben möchte, und da muß man fort.“ Tags darauf kommt es zu einem „rührenden“ Abschied. (TB, 16. Mai 1883) Schnitzler lässt diese „kleine Liebschaft“, auch wenn er in Jugend in Wien später das Gegenteil behauptet, nicht ganz unberührt – das beweisen zwei Gedichte, die er für Therese D. schreibt und die sich im Nachlass erhalten haben.
Die Affäre mit Anna Thoman hat noch ein kurzes Nachspiel: Ende September 1883 trifft Schnitzler sie zufällig noch einmal und vereinbart prompt ein Rendezvous mit ihr. Von erotischer Spannung jedoch keine Spur mehr: Es scheint, dass sich in Annis Leben einiges verändert hat, tut sie doch bei diesem Treffen „etwas geheimnisvoll und vielgeschäftig und behauptet, sehr verliebt zu sein; allerdings nicht in mich“. (TB, 3. Oktober 1883) Schnitzler verzichtet auf ein weiteres Wiedersehen, das Rätsel um den neuen Liebhaber Annas löst sich erst, so berichtet er in Jugend in Wien, über ein Jahrzehnt später, als ein Freund Schnitzlers, dem er von diesem Jugenderlebnis erzählt, in ihr die Geliebte eines Bekannten erkennt.