Kitabı oku: «Music Lovers», sayfa 2

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II.

Robert Armour

* * *

Das Funkeln

Das Auge schenkt Einblick in die Seele.

Robert Armour war ein nerdiger Flötist und mein Musiklehrer an der Highschool. Tatsächlich waren wir Musiker ja alle Nerds. Denn damals galt es noch nicht als „cool“, Musiker zu sein. Die Sportler waren die Coolen. Sie trugen Pullis mit einem Buchstaben drauf, der ihre jeweilige Sportart kennzeichnete – Football, Baseball, Leichtathletik. Umrahmt wurde dieser Letter von einem „U“, das für die University High in West Los Angeles stand. Dorthin wechselte ich im Anschluss an die Daniel Webster Junior High.

Wenn aber gekreuzte Tennisschläger innerhalb des „U“ für Uni High deinen Sweater zierten, hielten einen damals alle für schwul. Allerdings hatten wir dafür ein viel hässlicheres Wort. Jedoch musste ich mir darüber keine Sorgen machen. Ich war so etwas wie die eiserne Reserve des Tennisteams und wurde letzten Endes für kein einziges offizielles Match nominiert. Also bekam ich auch keinen Buchstaben oder sonstige Abzeichen für meinen Pulli. Zumeist schlug ich den Ball allein gegen eine Mauer.

Meine Leidenschaft gehörte der Musik. Nachdem ich im Alter von acht mit Klavierstunden begonnen hatte, begeisterte ich mich sofort für dieses Instrument. Ich konnte gar nicht genug davon bekommen und tendierte bereits in Richtung Jazz. Ich zog es vor, mir bereits vertraute Stücke durch Improvisationen aufzupeppen, anstatt neue Kompositionen zu lernen. Wenn ich diese Nummern spielte, immer und immer wieder, und sie dabei ein wenig abänderte, versetzte mich das in einen Trance-Zustand, da es mir so vorkam, als würde die Zeit stillstehen. Da war ich aber noch zu jung, um zu begreifen, dass die Kunst in der Lage ist, uns aus den Fängen der Zeit zu befreien.

Als ich an die Webster kam, wollte ich am liebsten gleichzeitig in der Blaskapelle, dem Orchester und dem Jazz-Ensemble mitspielen. Einfach in jeder musikalischen Formation. Dabei war es mir herzlich egal, welches Instrument ich spielen würde. Da ich wusste, dass ich mit dem Klavier weder für die Blaskapelle noch für das Orchester in Frage kam, entschied ich mich für die Klarinette. Eigentlich interessierte ich mich ja für die Posaune. Mir gefiel, wie man mit der linken Hand einen Teil des Instruments vor- und zurückschob. Auch die golden glänzende Optik sprach mich an. Allerdings hatte ich bei meinen Eltern die Platten von Benny Goodman gehört, weshalb die Klarinette irgendwie „cooler“ auf mich wirkte. Vielleicht würden mich die Mädchen mögen, wenn ich Klarinette spielte. Leider trug ich damals eine Zahnspange und der Kieferorthopäde sagte: „Nein, Klarinette kannst du nicht spielen! Immerhin versuchen wir, deine Zähne nach hinten zu begradigen. Dieses Instrument bewirkt aber das Gegenteil!“

Ich fragte daraufhin Mr. Armour, der auch mein Klassenlehrer war, nach seiner Meinung. „Nun ja, John, für die Band und das Orchester brauchen wir noch einen Schlagzeuger.“ Das hörte sich reizvoll an, da Drums ein Flair von Coolness anhaftet.

Ich begann mit einer einzelnen Bassdrum. Dann lernte ich mit den Becken umzugehen. Ich arbeitete mich auf diese Weise bis zur Snare durch, auf der man ausgeklügelte, kompliziertere Rhythmen spielt. Mr. Armour ermutigte mich, mich in Geduld zu üben. Später begriff ich, dass ich auf diese Weise genaue Kenntnisse über sämtliche Bestandteile eines Schlagzeugs gesammelt hatte. Alle zusammen genommen repräsentierten sie die gesamte Welt der Percussion.

Mein musikalischer Mentor riet mir, private Unterrichtsstunden zu nehmen. „Wenn du schnell Fortschritte machen willst, ist das genau der richtige Ansatz“, meinte Mr. Armour. Ich muss meinen Eltern zugutehalten, dass sie nicht nur die Kohle dafür springen ließen, sondern auch gelegentlich mein lärmendes Schlagzeugspiel im Haus duldeten. Ich schreibe „gelegentlich“, da sie mich lieber auf meinem Übungs-Pad aus schwarzem Gummi spielen sahen. Das fand ich aber lahmarschig. Zwar federte der Drumstick zurück wie bei einer echten Trommel, wenn man draufschlug, doch die Oberfläche blieb ansonsten stumm.

Als ich schließlich im Schulorchester an die Kesselpauken beordert wurde, durfte ich mich am Ende der Sinfonien mit dramatischen Trommelwirbeln in Szene setzen. Wie aufregend war das denn! Ich zählte die Takte mit und wartete auf meinen Einsatz, während ich Mr. Armour mit seiner Richard-Nixon-Frisur und seinem Stab beim Dirigieren beobachtete. Auf seinem Podium wirkte er groß und souverän. Alles, was mit Musik zu tun hatte, brachte seine Augen zum Funkeln. Tatsächlich schienen seine Augen permanent zu funkeln, was wohl an seiner Liebe zur Musik lag. Wie schon der bahnbrechende kalifornische Pädagoge Paul Cummins so treffend formulierte: „Mit seinem Enthusiasmus für ein Schulfach dient ein Lehrer seinen Schülern als Vorbild. Seine Energie stellt eine elementare Eigenschaft dar, die der Schüler auch in sich selbst

vorfinden will.“

Die Doors bezogen ihre Power aus der Kraft des Ensembles –

eine Lektion, die ich bei Mr. Armour gelernt hatte. Es ist nämlich ganz egal, ob man in einer vierköpfigen Rock-Combo oder mit einem aus 40 Personen bestehenden Orchester spielt. Um die Magie zu entfesseln, muss jeder Musiker sich dem Ensemble unterordnen. Alle müssen ganz genau und bewusst aufeinander hören. Das Ganze besteht aus mehr als aus seinen Einzelteilen. Ich erfuhr dieses Geheimnis als Jungspund im Orchester der Junior-High-School. Wenn sich nur auch unterschiedliche Kulturen auf dieselbe Art und Weise respektieren würden: Dann hätten wir eine Vielzahl verschiedener Gesellschaften, die aber wie ein globales Orchester in Harmonie miteinander leben würden. Es erklängen allerorts diverse, aber wohltuende Klänge.

Viele, viele Jahre später stattete ich der Daniel Webster Junior High School einen Besuch ab. Leider war die Schule da schon ziemlich heruntergekommen. Mein Foto hing immer noch an jener Wand, an der die musikalischen Lichtgestalten unter den einstigen Schülern geehrt wurden. Allerdings ließ sich kaum leugnen, dass nicht gerade viel Geld investiert wurde, um diese Schule oder ihre Musikprogramme auf dem neuesten Stand zu halten. Ich unterhielt mich kurz mit dem neuen Musiklehrer. Er versicherte mir, dass meine Zeit an der Schule, damals mit Mr. Armour, so etwas wie die Blütezeit gewesen war. Abgenutzte Musikinstrumente hin oder her – es war die Leidenschaft, die dieser nerdige Flötist ausgestrahlt hatte, die den Unterschied machte. Musiker sind die Botschafter einer versteckten Welt, die sich in jedem von uns verbirgt. Für Robert Armour stellte die Flöte jenen kleinen Vogel in uns allen dar, der imstande ist, die einen definierende Melodie zu zwitschern. Mr. Armour hat mein musikalisches Feuer entfacht und leuchtete mir meinen zukünftigen Weg. Danke, Robert A.

III.

Fred Katz

* * *

Der Professor

Zu unterrichten, indem man mit gutem Beispiel vorangeht,

ist ein höchst inspirierender Ansatz.

Zum ersten Mal sah ich ihn im Lighthouse in Hermosa Beach. Ich war gerade einmal 17 und pilgerte wieder einmal in dieses legendäre Mekka des Jazz. Chico Hamilton, der bereits zu meinen Helden zählte, stand mit seinem Quintett auf der Bühne. Später borgte ich mir Chicos Art, das Ride-Becken zu spielen, für den Doors-Song „The End“ aus. Doch damals musste mein jugendlicher Verstand erst einmal mit der Vorstellung zurechtkommen, einen Cellisten in einer Jazz-Gruppe zu hören. Wer war dieser bebrillte Typ mit der chassidisch anmutenden Optik? Und waren Cellisten in der Lage, einfach drauflos zu improvisieren?

Wie sich herausstellte, war Fred Katz’ gesamte Existenz auf Improvisation aufgebaut. Aber an diesem Nachmittag – im Lighthouse gab es am Sonntag immer Jazz-Matineen – spielte das Cello bei sämtlichen Songs die Melodielinien. Außerdem improvisierte der Cellist sich so richtig den Arsch ab, indem er seine Solos strich, zupfte und sang. Wir konnten gar nicht genug davon bekommen.

Ich bin in Santa Monica zur Welt gekommen, nicht allzu weit weg von Hollywood. Später besuchte ich das San Fernando Valley State College, das heutige Cal State Northridge. Zunächst studierte ich Musik als Hauptfach, aber ich dachte, dass ich damit niemals meinen Lebensunterhalt bestreiten könnte, weshalb ich auf Betriebswirtschaftslehre umsattelte. Doch nun, einige Jahre nach dieser Show im Lighthouse, sah ich mich zunächst nach weiteren Lehrveranstaltungen um. Die erste meiner beiden Memoiren, Mein Leben mit Jim Morrison und den Doors, bringt es am besten auf den Punkt:

In diesem Frühjahr wechselte ich mehrmals meine Fächer am Valley State College. Ich wusste, dass ich Betriebswirtschaftslehre hassen würde, war aber der Ansicht, dass ich es gut gebrauchen könnte, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich bekam Vieren. Ich hörte nicht auf meine wahren Gefühle. Ich ließ mich von anderen beeinflussen. Aus diesem Grund kam ich auf eine für mich absurde Idee. Ich war gerne mit anderen Leuten zusammen, wollte ihnen helfen. Vielleicht war ja Soziologie etwas für mich. Aber schon bald hasste ich auch dieses Fach.

Als Nächstes wurde ich auf einen Kurs aufmerksam, der ethnologische Musik behandelte. Was zum Teufel war das denn? Ich hielt mich selbst ja für einen Musiker. „Ethnologisch“ bedeutete, dass es um fremde Kulturen ging. Die Lehrveranstaltung wurde vom Institut für Anthropologie angeboten. Ich warf einen genaueren Blick auf die Kursbeschreibung. Ach, du heilige Scheiße! Der Dozent hieß Fred Katz. Sollte es sich bei ihm etwa um denselben Typen handeln, den ich ein paar Jahre zuvor am Cello mit dem Chico Hamilton Quintet gesehen hatte?

Ich schlug im Personalverzeichnis den Lebenslauf dieses Lehrers nach, und er war es tatsächlich. Da wurde doch der Hund in der Pfanne verrückt! Ich wollte mich sofort für den Kurs eintragen, doch es gab bereits eine lange Warteliste. Im darauffolgenden Semester kam ich aber endlich an die Reihe. Professor Katz war unglaublich charmant und faszinierend. Kein Wunder, dass Ethnological Music der beliebteste Kurs auf dem gesamten Campus war. Nicht nur, weil man in dem Kurs eine gute Note auf die leichte Tour erhielt, sondern vor allem, weil Katz auch ein sehr interessanter Zeitgenosse war. Wie ich bereits in Mein Leben mit Jim Morrison und den Doors geschrieben habe:

Er war in der Welt herumgekommen und kannte sich mit dem Leben aus. Manchmal kamen Musikerkollegen wie der Flötist Paul Horn zu uns in die Klasse und spielten mit ihm für uns. Jeder von uns bekam einen Augenblick lang mit, was in der wahren Welt so abging. Natürlich wurde er ein paar Jahre später „freiwillig gegangen“. Zu abgefahren!

Nicht allzu lange, nachdem Fred seinen Hut hatte nehmen müssen, brachen Studentenrevolten über den Campus herein. Es schien fast so, als ob die Leute, die unsere Colleges leiteten, nicht wirklich wussten, wie die Studentenschaft tickte. Ihre Haltung erinnerte mich ein wenig an Antonin Scalia, einen inzwischen verstorbenen Richter am Obersten Gerichtshof der USA. Er grämte sich angesichts der Legalisierung der Homo-Ehe und sah in den Hippies die Hauptschuldigen für diese Entwicklung. Offenbar hatten sie eine respektlose Einstellung gegenüber der Institution Ehe gezeigt. Scalia war von Ronald Reagan ernannt worden. Auch er war ein großer Hippie-Hasser. Heute, im Jahr 2020, protestieren die Studenten (schon wieder diese verdammten jungen Leute!) gegen die Erhöhung der Studiengebühren.

Es ist offenkundig, was die Hochschulverwaltung vor 50 Jahren an Professor Katz auszusetzen hatte: Er wich vom Lehrplan ab und sprach einfach aus, was ihn so beschäftigte. Doch er sprudelte förmlich über vor Vitalität und Lebensfreude – und das war die allerbeste Lektion.

Ich habe eigentlich immer noch ein Jahr am College vor mir, in dem ich 30 Kurspunkte sammeln muss, bevor ich meinen Bachelor in Anthropologie erhalte. Aber ich glaube nicht, dass ich mir das noch antun werde. Allerdings erwies ich Fred Katz noch einmal die Ehre, als er schon in seinen Neunzigern war. In der Los Angeles Times hatte ich gelesen, dass das überaus ehrwürdige Skirball Cultural Center nach 20 Jahren eine Neuauflage von Freds Wohnzimmer-Konzerten organisierte. Da durfte ich nicht fehlen und saß in der zweiten Reihe. Die Bühne war mit Stühlen und Sofas ausstaffiert, um eine einwandfreie Wohnzimmer-Atmosphäre zu garantieren. Die Kulisse war dem tatsächlichen Wohnzimmer des Professors nachempfunden, in dem er jahrelang Jam-Sessions veranstaltet hatte.

Seinerzeit kreuzten etliche klassisch ausgebildete Musiker bei ihm zuhause auf. Immerhin hatte Fred in seinen jungen Jahren bei Pablo Casals gelernt. Aber auch eingefleischte Jazzer standen auf der Matte. Schließlich hatte Fred mit Dexter Gordon, Charles Mingus, Lester Young, Lena Horne, Tony Bennett, Gerry Mulligan, Ken Nordine und Buddy Collette gespielt, um nur ein paar zu nennen, und mit Jim Hall, Paul Horn, Eric Dolphy, Gábor Szabó und Charles Lloyd musiziert, um noch ein paar weitere Jazz-Granden zu erwähnen.

Der Maestro jammte ein bisschen auf seinem Cello, nahm auf einer Couch Platz und begann drauflos zu plaudern. Der Mann liebte es zu quasseln. Er dankte uns dafür, dass wir zur Probe für seinen 92. Geburtstag erschienen waren. Er erzählte Witze. Dann spielte er noch mehr Musik. Die Warmherzigkeit, die den Raum erfüllte, war förmlich greifbar. Es fühlte sich so an, als hätte er tatsächlich alle 200 Anwesenden zu sich in sein Wohnzimmer eingeladen. Wieder einmal wurde einem klar, was die College-Leitung so an Fred Katz frustriert hatte: Seine eindrucksvollste Lektion bestand schlicht darin, wer er war.

Am Ende der Festivitäten wartete ich zunächst noch ein bisschen, ging dann aber doch zu ihm hinüber und stellte mich ihm noch einmal vor. Professor Katz rief mit lauter Stimme: „Hey, du bist der Typ von den Doors! John! Der Schlagzeuger!“ Das war einerseits sehr schmeichelhaft, andererseits aber auch ein bisschen peinlich. Doch wenn es meinen Mentor glücklich machte, mich zu sehen, dann machte mich das erst recht glücklich! Wir verabschiedeten uns und ich fuhr ganz selig heimwärts.

Etwa einen Monat später kam Freds Herz hingegen endgültig zum Stillstand. Sein Geist flog nun jedoch noch höher als jemals zuvor. Die Berichterstattung über sein Ableben überschlug sich nur so vor Superlativen: „Sein großes musikalisches Genie ist nunmehr überall! Es durchdringt den Äther! Es erfüllt den Ozean! Man kann sich überall mit ihm in Verbindung setzen. Es ist für alle verfügbar! Man muss nicht mal mehr eine Eintrittskarte kaufen. Seine Liebe und seine Weisheit kennen keine Grenzen! Dieser Mann, der das Leben so geliebt hat, ist nun ein Schutzengel! Ruft ihn einfach an … er wird euch stets erhören. Er wird euch allen mittels Schallwellen eine Nachricht zukommen lassen.“

IV.

Elvin Jones

* * *

Auf Messers Schneide

Vom Rand aus überblickt man besser das große Ganze.

Als jugendlicher Schlagzeuger stolperte ich über John Coltranes Schallplatten und spürte, dass hier etwas Magisches vonstattenging. Ich war noch zu jung, um begreifen zu können, was mich so ansprach. Allerdings wusste ich, dass das unablässige „Suchende“ in Elvin Jones’ Schlagzeugspiel mich in einen Trance-Zustand zu versetzen vermochte. Jones bediente sich des Rhythmus’, um mit der Ewigkeit in Kontakt zu treten.

Am allerwichtigsten für Schlagzeuger – und eigentlich für alle Musiker – ist ein ausgeprägtes Taktgefühl, eine Art verinnerlichtes Metronom, um ein gleichmäßiges Tempo halten zu können. Ohne dieses Gespür sind sie nämlich nicht in der Lage, in einen hypnotischen Zustand der Zeitlosigkeit einzutreten. Wenn man jegliches Gefühl für das richtige Tempo vermissen lässt, wird einem auch kein technischer Schnickschnack weiterhelfen.

Der Jazz-Titan Thelonius Monk brachte es perfekt auf den Punkt, als er eine Liste der zehn wichtigsten Eigenschaften erstellte, die ein guter Musiker benötigt. Ganz oben stand bei ihm das Timing: „Vor allem, wenn du nicht der Schlagzeuger bist!“ Das war ein richtig cleverer Kommentar. Monk wusste, dass ein Saxofonist zwar wie ein Irrer Solos vom Stapel lassen konnte, es aber alles nichts nutzte, wenn das innere Metronom nicht richtig eingestellt war. Wenn es einem am musikalischen Timing mangelt, fühlt es sich an, als würde man im Krankenhaus auf einer Pritsche liegen und dabei zusehen müssen, wie das eigenen EKG auf und ab fluktuiert.

Mein Mentor Elvin Jones brach am 18. Mai 2004 zur anderen Seite durch. Doch sein Schaffen hinterm Schlagzeug war so einprägsam und stark, dass man seinen Puls noch über Jahrhunderte hinweg wird vernehmen können. Elvin Jones, diese polyrhythmische „Jazz-Maschine“ und der Motor hinter Coltrane, war über den Jordan. Er hatte eine bahnbrechende Vorarbeit für alle anderen Takthalter geleistet. Er war der erste, der sich wirklich von der Aufgabe verabschiedete, als Uhrwerk zu fungieren. Stattdessen improvisierte er durchgehend, ohne dabei die Orientierung und den Takt aus den Augen zu verlieren.

Für Schlagzeuger ist es am wichtigsten, ein konstantes Tempo zu halten. Ganz egal, was für einen Rhythmus man spielt, wenn der Pulsschlag nicht sitzt, wird man nicht zum Publikum durchdringen. Die amerikanischen Ureinwohner betonen gerne, dass die Trommeln, die sie für ihre Tänze einsetzen, einen schnörkellosen, monotonen Rhythmus vorgeben, weil dieser den Herzschlag von Mutter Erde repräsentiert. Wir Schlagzeuger wissen, dass der Herzschlag unserer Mütter das erste Musikinstrument war, das wir jemals zu hören bekamen. Wenn der rhythmische Pulsschlag auch nur im Geringsten kompromittiert ist, wird sich das auf das gesamte Ensemble auswirken, mit dem man spielt. Als ob sie sich noch immer im Bauch der Mutter befänden und der Puls der Mutter aussetzen würde. Wenn der Beat aber Konsistenz vermittelt, fühlt sich der Hörer geborgen, kann zum Sound grooven und sich in einen Song, der in seiner Funktion an warmes Fruchtwasser erinnern mag, so richtig eintauchen.

Als Spezies haben wir seit jeher versucht, in den Schoß der Mutter zurückzukehren. Das ist auch der Grund, warum wir uns zum Rhythmus bewegen, warum wir tanzen. Wenn Leute zu Jazz grooven, zu Reggae oder Hip-Hop tanzen, bewegen sie sich immer auf der Eins, also dem ersten Beat eines Takts. Als wären unsere Körper elektrisch mit dem Puls eines Songs, dessen Herzschlag, verbunden.

Ich traf Elvin zum ersten Mal 1963. Nervös zeigte ich dem Türsteher im Shelly’s Manne Hole, einem Jazz-Schuppen in Hollywood, meinen gefälschten Ausweis aus Tijuana. Er sah ihn sich an und warf mir einen Blick zu, der zu sagen schien: Dein Ausweis ist ein ganz klarer Fake, Kleiner. Dann winkte er mich in den Club rein, in dem ich meinen Helden sehen wollte. Mit meinen 16 Jahren hatte ich mich bereits durch Coltranes LPs auf Impulse! Records gehört. Ich fütterte diese Musik meinen Ohren wie Bonbons. Es fühlte sich so an, als würden die Musikgötter mit jedem neuen Album einen akustischen Eisbecher mit heißer Karamellsauce kredenzen. Auch in meiner Autobiografie Mein Leben mit Jim Morrison und den Doors brachte ich diese Obsession zur Sprache: „Immer, wenn ich die Plattennadel auf eine Coltrane-Platte senkte, versetzte mich die kraftvolle, treibende Energie in meiner Vorstellung in den Körper des Schlagzeugers Elvin Jones. Der Takt pulsierte in meinen Adern.“ Nachdem ich bereits jede Nuance seines Stils mithilfe der Schallplatten seziert hatte (inklusive seinem Stöhnen zwischen den Viertelnoten), sollte ich Elvin nun zum ersten Mal in Fleisch und Blut gegenübertreten. Es sollte nicht das einzige Treffen bleiben, was ich aber noch nicht wusste. Er saß hinter einer der herausragendsten Formationen in der Geschichte des Jazz – und er tat das mit seinem typischen breiten Grinsen im Gesicht. Die Beatles waren noch keine feste Größe und Elvin Jones war meine Muse.

Coltrane stand ganz vorne, aber ich fixierte meinen Blick auf den Mann, der im Hintergrund saß. Ich hörte staunend zu, wie Elvin einen Beat anspielte, denn nächsten aber nur andeutete, oder manchmal zwei zur selben Zeit spielte. Das zwingt die Gehirnzellen, sich anzustrengen, und kreiert Spannung. Shyamdas, der verstorbene Kirtan-Sänger, sagte, dass man den „Tal“ (Hindi für Takt) ehren müsste und sich immer darüber im Klaren sein sollte, wo sich die Eins befände. Elvin tat genau das und konnte immer noch die Rhythmen wie mit einem Schneebesen durcheinanderwirbeln, um den Hörern mehrere unterschiedliche Gerichte innerhalb von vier Takten aufzutischen. Und all das gelang ihm mit einem großen Lächeln im Gesicht.

Seine Rhythmen befanden sich fortwährend auf Messers Schneide. Als ob er gleich in sein Schlagzeug hineinkippen würde –

was natürlich nie passiert ist. Der Pulsschlag war immer da, diese Verbindung zum Göttlichen. Elvins ununterbrochener „Dialog“ mit Coltrane inspirierte mich später dazu, einen ähnlichen Ansatz bei meiner musikalischen Zusammenarbeit mit Jim Morrison anzustreben. Es war Jones’ lockere Spielweise, die mir den Mut verlieh, den stetigen Beat bei „When The Music’s Over“ während Morrisons „Rap“ über die Welt buchstäblich zu unterbrechen, um bloß ein paar expressive Schläge auf mein Schlagzeug prasseln zu lassen. Meine Intuition gab mir irgendwann vor, zum Groove zurückzukehren, so wie der Pianist McCoy Tyner wieder einsetzte, wenn sich Elvin und Coltrane einen ihrer intensiven musikalischen Schlagabtäusche geliefert hatten.

Zwischen den Sets im Manne Hole begab ich mich auf die Toilette, aber nicht etwa, weil ich mich erleichtern musste, sondern weil sich diese direkt neben der Garderobe befand. Ich hörte Stimmen und Gelächter. Ich wusch mir solange die Hände, bis ich hörte, dass die Stimmen sich hinaus auf den Flur begaben. Dann trocknete ich mir die Hände an meinen Hosenbeinen ab und öffnete die Tür. Coltrane stand direkt vor mir und musterte mich. Aus Respekt verhielt ich mich aber ganz cool, vermied direkten Augenkontakt und deutete mit einer Kopfbewegung an, dass das Klo frei wäre. Aber Coltrane trat nicht ein. Stattdessen ging er an mir vorbei und nickte. Als das letzte Set vorüber war, lungerte ich noch einmal ein wenig am Klo ab und hörte wie Elvin „Hotel, Hotel“ zu Coltrane sagte. Ich nehme an, er wollte auf sein Zimmer gehen. Ich wiederholte die kurze Phrase gegenüber meinen Freunden immer wieder in den nächsten Tagen. Sie müssen mich für verrückt gehalten haben.

Das nächste Mal, dass ich Zeuge wurde, wie die Muse sich mittels Elvins direktem Draht zur Sonne bemerkbar machte, war bei einer Show in der Royce Hall der UCLA. Die stilprägendste Jazz-Combo aller Zeiten wurde nun zusehends immer populärer, doch Coltranes kontinuierliche Annäherung an „das Neue“, gepaart mit seinem Sinn für Integrität, pushte das Quartett in musikalische Richtungen, die manche Leute nur schwer verdaulich fanden. Auf mich traf das nicht zu. In der Royce Hall saß ich in der ersten Reihe, während sie einen einzigen Song spielten, der sich über 45 Minuten erstreckte. Eine Hälfte des Publikums suchte erzürnt das Weite, bevor die Musiker ihr Werk zu Ende gebracht hatten. Die neuen Fans hatten es einfach nicht mehr ausgehalten, weil sie die Darbietung nicht verstanden. Da ich mit seinem Werdegang vertraut war, begeisterte ich mich sehr für John Coltranes experimentelle Exkursionen in die Weiten des Raums. Wenn er nicht selbst dazu beigetragen hätte, zusammen mit Miles Davis Begriffe wie Bebop und Cool Jazz zu definieren, hätte er nicht die Erlaubnis gehabt, sich nach „draußen“ zu begeben. Aber eigentlich ging es hier um das „Innere“, wie eine seiner Kompositionen, „Chasin’ the Trane“, veranschaulicht. In der Mitte dieser langen Nummer überließ der Pianist McCoy Tyner die Rhythmussektion sich selbst. Der Bassist Jimmy Garrison und Elvin mussten sich nun ihrem Anführer stellen. Coltrane drehte sich um und lieferte sich mit dem Rücken zu uns ein Duell mit meinem Percussion-Idol. Es war eine 20 Minuten lange hochemotionale Katharsis, wie ich sie niemals zuvor oder danach von irgendeinem anderen Musiker erlebt habe. Die beiden verabschiedeten sich von dieser Welt, wie es schon in dem alten Song „Out of This World“ von Johnny Mercer hieß, den sie auf einem ihrer Alben gecovert hatten. Das Fernsehen bildet nicht die Welt ab. Die echte Welt befindet sich hinter unserer Welt, wie es die Iren ausdrücken würden. Die echte Welt ist, so wie auch die Natur, unendlich.

Elvins Power passte perfekt zum Tenor-Saxofonisten Coltrane. Er sah aus wie jemand, dem man nicht in einer finsteren Gasse über den Weg laufen wollte. Doch er strahlte auch Liebe aus. Mir war klar, dass es auch seine Power sein würde, die Elvin letzten Endes zum Verhängnis werden würde. Wenn man sich mit Leib und Seele der Aufgabe verschrieben hat, jeden einzelnen Beat genau zu hören, dann laugt das einen irgendwann aus. Mit seinen breiten Schultern und seinen muskulösen Armen wirkte er, als ob er jeden Tag im Fitnesszentrum trainieren würde. So ähnlich war das ja auch, nur spielte er eben tagein-tagaus auf seinem Schlagzeug. Ein Freund von mir, der Elvin kurz vor seinem Tod noch spielen sah, berichtete, wie traurig es doch war, ihn so kraftlos zu sehen.

Die Vorstellung, wie Elvin Jones da oben auf der Bühne praktisch das Bewusstsein verlor, während er darauf bestand, das zu tun, was er am besten konnte, tut mir in meinem Innersten weh. Andererseits müssen wir alle einen Preis dafür bezahlen, um das tun zu können, was wir eben so tun. Egal, ob es sich dabei um Geige spielen, Malerei, Arbeit auf einem Computer oder mit einem Presslufthammer handelt. Niemand entkommt den Risiken seines Berufes. Doch was ist, wenn gerade diese Tätigkeit dir ein Gefühl der Alterslosigkeit vermittelt? So hatte ich unlängst Probleme mit meinem Rücken, was darauf zurückzuführen ist, dass ich seit 50 Jahren krumm über mein Schlagzeug gebeugt bin. Aber wenn ich das anders gemacht hätte, hätte ich mich wohl anders angehört. Und ich spielte, wie es mir mein Ohr befahl. Also keine Reue meinerseits.

John Coltranes Beschäftigung mit indischer und afrikanischer Musik trug dazu bei, dass sich in seinem Ensemble die Auffassung breitmachte, Musik wäre nicht nur ein Mittel zum Zweck, sondern vielmehr eine Methode, die eigene spirituelle Reise voranzutreiben. Kritiker verschmähten diese neue Ausrichtung als „grotesk“, „gewollt hässlich“ und „verschwurbelt“. Ironischerweise wurde Coltranes Publikum aber immer größer. Und ich war mittendrin. Er versetzte die Hörer in Trance, bevor er sie auf eine meditative Expedition entführte. Es war so, als würde man eine „akustische“ Droge verabreicht bekommen, um sich mit einer musikalischen Eisenbahn auf eine Rundfahrt zu begeben. Manche Hörer bevorzugten es, sich im Speisewagen aufzuhalten, wo JC wunderschöne Balladen wie „After the Rain“ servierte, während andere wiederum die Nähe zum Antrieb suchten, wo es das intensive „Chasin’ the Trane“ zu hören gab. Ein paar der Mitreisenden verschlug es aber auch dorthin, wo wir Schlagzeuger die Reise verbringen, in den Dienstwagen. Dort hinten kann es ganz schön lebhaft zur Sache gehen.

Wenn man sich der Musik ganz hingab, ähnelte ihr Effekt jener Art von „Besessenheit“, die auch in manchen Kirchen eine Rolle spielt. Auch traten dadurch die Wut und der Zorn über die politischen Zustände und vor allem auch den Rassismus jener Tage zum Vorschein. Die Bürgerrechtsbewegung befand sich im vollen Schwung und JC hatte seinen Finger am Puls der Nation. Nachdem der Ku-Klux-Klan in einer Kirche in Alabama einen Sprengstoffanschlag verübt hatte, schrieb Coltrane das so eindringliche „Alabama“. Er ließ sich für diesen Song von Martin Luther Kings Trauerrede inspirieren, die der für die vier afroamerikanischen Mädchen, die bei der Explosion ums Leben gekommen waren, gehalten hatte.

Coltrane beeinflusste damals auch minimalistisch angehauchte klassische Komponisten wie La Monte Young und Philip Glass. Vom musikalischen Standpunkt aus gibt es einige Parallelen zwischen minimaler und modaler Herangehensweise. Beide Ansätze lassen jede Menge Freiraum für die Hörer, damit sie sich darin unbegrenzt bewegen können.

Es ergab durchaus einen Sinn für mich, als ich später erfuhr, dass Coltrane, der ein unersättlicher Musikliebhaber war, sich in den 1950ern mit dem Sitar-Meister Ravi Shankar angefreundet hatte. So viel zu Musik, die jede Menge Raum schafft. Ravis Musik, auf die ich noch ausführlicher zurückkommen werde, hatte die Zeit überstanden, da sie die Vorstellung vermittelt, zeitlos zu sein. Ihre Diskussionen und Jam-Sessions unterwiesen JC in der Wissenschaft des Sounds und zeigten ihm, dass musikalische Riffs spezifische Bewusstseinszustände reflektieren. Seine Frau Alice brachte es ganz eloquent auf den Punkt: „Er fragte sich, ob es nicht möglich wäre, mithilfe von Sound zur Wahrheit durchzudringen.“

Sein Schlagzeuger war ihm da einen Schritt voraus. Elvins komplexes Spiel dokumentierte die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Eine von Coltranes LPs trug den Titel OM, was im Sanskrit „klingen“ bedeutet. Auch bestimmt diese Silbe, dass alles unabhängig von den drei Zeitebenen (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) existiert und sich in einem einzigen Klang zusammenfassen lässt. Elvin deutete dies von Moment zu Moment aufs Neue an. Während sich John Coltrane unleugbar auf der Suche nach der Wahrheit befand, hatte Elvin Jones diese bereits mittels der Kraft des Rhythmus gefunden.

Swami Satchidananda, jener indische Guru, der zu Beginn des Woodstock-Festivals 1969 gesprochen hatte, bestätigte Elvin und Coltrane auf ihrer Suche:

Es gibt gewisse mystische Klänge (OM), die der Sanskrit-Terminologie zufolge als Bijakshara bezeichnet werden. Musik ist ein astrales Geräusch und es ist der Klang, der das ganze Universum kontrolliert, nicht etwa atomare Schwingungen. Die Energie des Klangs ist viel, viel größer als irgendeine andere Kraft auf dieser Welt.

In einem Interview sagte Coltrane einmal, dass es finstere Mächte gäbe, die Leiden verursachten. Er wollte hingegen eine Kraft des Guten sein.

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