Kitabı oku: «Der reiche Mann», sayfa 2

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»Na, Tante Ann?« sagte eine Stimme hinter ihr.

Soames Forsyte, flachschultrig, glattrasiert, schmalwangig und engbrüstig, aber doch etwas geschlossen Vornehmes über seiner ganzen Erscheinung, sah schräg auf Tante Ann herab, als versuche er durch seine eigene Nase zu sehen.

»Und was sagst du zu dieser Verlobung?« fragte er.

Tante Anns Augen ruhten mit Stolz auf ihm. Als der Älteste ihrer Neffen seit dem Verschwinden des jungen Jolyon aus dem Familienkreise, war er jetzt ihr Liebling, denn in ihm erkannte sie einen treuen Heger der Familienseele, die ihrer Obhut so bald entrissen werden sollte.

»Sehr erfreulich für den jungen Mann,« sagte sie, »er sieht übrigens gut aus. Aber ich weiß nicht, ob er so ganz der Rechte ist für unsere June.«

Soames befühlte den Rand eines vergoldeten Kronleuchters.

»Sie wird ihn zähmen,« sagte er, indem er seinen Finger heimlich naß machte und an den höckrigen Buckeln rieb. »Das ist echte alte Vergoldung, so was gibt es heute gar nicht mehr. Der brächte einen guten Preis bei Jobson.« Er sprach mit Behagen, als fühle er, daß er die alte Tante aufheitere. Er war selten so mitteilsam. »Ich wollte, er gehörte mir,« fügte er hinzu, »alte echte Sachen wird man jederzeit gut los.«

»Du verstehst dich so gut auf solche Dinge,« sagte Tante Ann. »Und wie geht es Irene?«

Soames' Lächeln erstarb.

»O, ganz gut,« sagte er. »Sie klagt über schlechten Schlaf, dabei schläft sie viel besser als ich,« und er blickte zu seiner Frau hinüber, die an der Tür mit Bosinney sprach.

Tante Ann seufzte.

»Vielleicht wäre es besser,« sagte sie, »wenn sie nicht so viel mit June zusammensteckte. Sie ist ein so ausgesprochener Charakter, die liebe June!«

Soames stieg die Röte ins Gesicht; sie flog über seine schmalen Wangen und setzte sich als Merkmal quälender Gedanken zwischen den Augen fest.

»Ich weiß nicht, was sie an dem kleinen Irrwisch findet,« entfuhr es ihm, doch als er merkte, daß sie nicht länger allein waren, drehte er sich um und fing wieder an, den Kronleuchter zu untersuchen.

»Ich höre, Jolyon hat ein neues Haus gekauft,« sagte seines Vaters Stimme dicht neben ihm; »er muß einen Haufen Geld haben – mehr, als er zu gebrauchen weiß! Am Montpellier Square, sagen sie, dicht neben Soames! Mir hat keiner was davon gesagt – Irene sagt mir nie was!«

»Ausgezeichnete Lage, keine zwei Minuten von mir,« ließ sich Swithins Stimme vernehmen, »und von meiner Wohnung fahre ich in acht Minuten bis zum Klub.«

Die Lage ihrer Häuser war für die Forsytes eine Lebensfrage, kein Wunder übrigens, denn die ganze Seele ihres Erfolges war darin verkörpert.

Ihr Vater, der einem Bauerngeschlecht entstammte, war im Anfang des Jahrhunderts von Dorsetshire gekommen.

Von Beruf Steinmetz, hatte er sich zum Baumeister emporgearbeitet. Gegen Ende seines Lebens war er nach London gezogen, wo er in Highgate begraben wurde, nachdem er bis an seinen Tod gebaut hatte. Er hinterließ seinen zehn Kindern über dreißigtausend Pfund. Wenn der alte Jolyon ihn überhaupt einmal erwähnte, beschrieb er ihn als einen ›Mann von kräftig derbem Schlag – nicht sonderlich fein‹. Die zweite Generation hatte allerdings das Gefühl, daß nicht viel Staat mit ihm zu machen war. Der einzige aristokratische Zug, den sie in seinem Wesen entdecken konnten, war seine Gewohnheit Madeira zu trinken.

Tante Hester, eine Autorität auf dem Gebiet der Familiengeschichte, schilderte ihn in folgender Weise:

»Ich erinnere mich nicht, daß er je etwas tat, wenigstens nicht zu meiner Zeit. Er war eben – Hausbesitzer, weißt du. Sein Haar war etwa von der Farbe wie das von Onkel Swithin; ziemlich vierschrötig war er. Groß? N–nicht sehr (er war fünf einen halben Fuß hoch gewesen, mit roten Flecken im Gesicht), er hatte frische Farben. Trank sehr gern Madeira, das weiß ich noch, fragt nur Tante Ann. Was sein Vater war? Der, hm – der hatte mit dem Land da unten in Dorsetshire, an der See, zu tun.«

James war einmal hingefahren um selbst zu sehen, aus was für einer Gegend sie eigentlich stammten. Er fand zwei alte Pachthöfe vor, von wo aus eine Wagenspur, die die rote Erde durchfurchte, zu einer Mühle unten am Strande führte, eine kleine graue Kirche innerhalb einer Pfeilermauer und eine noch kleinere und grauere Kapelle. Der Strom, der die Mühle trieb, kam in einem Dutzend kleiner Bäche plätschernd herab, und an der Bucht trieben sich Schweine umher. Ein leichter Nebel verhüllte die Aussicht. Die Vorfahren der Forsytes waren es augenscheinlich zufrieden gewesen, hunderte von Jahren Sonntag für Sonntag, die Füße tief im Morast und den Blick aufs Meer gerichtet, durch diesen Hohlweg zu wandern.

Ob James im stillen auf ein Erbe gerechnet, oder sonst etwas ganz Außergewöhnliches zu finden gehofft hatte oder nicht, er kam jedenfalls ganz kleinlaut nach der Stadt zurück und war aufs äußerste bemüht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

»Da ist nicht viel zu holen,« sagte er, »ein richtiges kleines Landnest, und uralt.«

Das Alter war noch ein Trost. Der alte Jolyon, bei dem mitunter eine unverfrorene Offenherzigkeit hervorsprudelte, sprach von seinen Vorfahren zuweilen als von »Freisassen – kleine Verhältnisse vermutlich.« Doch wiederholte er das Wort »Freisassen«, als gewähre es ihm eine besondere Genugtuung.

Die Forsytes hatten es alle so weit gebracht, daß sie nun als »gutsituierte Leute«, wie man es nennt, eine gewisse Stellung einnahmen. Sie hatten ihr Vermögen in allen möglichen Aktien angelegt, nur – Timothy ausgenommen – nicht in Konsols, denn sie fürchteten nichts auf der Welt so sehr, wie drei Prozent für ihr Geld. Sie sammelten Bilder und unterstützten Wohltätigkeitsanstalten, die ihren kranken Dienstboten einmal zugute kommen konnten. Von ihrem Vater, dem Steinmetz, hatten sie Verständnis für Ziegel und Mörtel geerbt. Wenn sie ursprünglich vielleicht auch einer schlichten Sekte angehört hatten, waren sie nach dem natürlichen Lauf der Dinge jetzt Mitglieder der Staatskirche und hielten darauf, daß ihre Frauen und Kinder ziemlich regelmäßig die vornehmeren Kirchen der Hauptstadt besuchten. Zweifel an ihrer Christlichkeit hätten sie überrascht und verletzt. Einige von ihnen bezahlten sogar ihre Kirchenstühle und brachten so in der praktischsten Weise ihre Sympathie für die Lehren Christi zum Ausdruck.

Ihre Häuser lagen in bestimmten Abständen rings um den Park und paßten wie die Schildwachen auf, daß das reiche Herz Londons, an dem ihre Wünsche hingen, nicht ihren Händen entschlüpfte und sie dadurch in der eigenen Achtung sinken ließ.

Der alte Jolyon wohnte in Stanhope Place; James in Park Lane; Swithin in der einsamen Pracht orangefarbener und blauer Gemächer in Hyde Park Mansions – er hatte nie geheiratet – Gott bewahre! – Soames mit seiner Frau in ihrem Heim bei Knightsbridge; Roger in Prince's Gardens (Roger war dadurch merkwürdig unter den Forsytes, daß er sich vorgenommen und es durchgesetzt hatte, seine vier Söhne zu einem neuen Beruf zu erziehen. »Legt euer Geld in Häusern an – darüber geht nichts!« pflegte er zu sagen. »Ich hab's nie anders gemacht!«)

Dann Haymans – Mrs. Hayman war die einzige verheiratete Schwester der Forsytes – in einem Haus oben in Campden Hill, wie eine Giraffe anzusehen und so hoch, daß wer es betrachtete, einen steifen Nacken bekam. Nicholas wohnte in Ladbroke Grove in einer geräumigen Wohnung und billig dazu; und endlich Timothy am Bayswater Road, wo Ann, Hester und Juley unter seinem Schutze lebten.

James hatte die ganze Zeit nachdenklich dagestanden und fragte endlich seinen Gastgeber und Bruder was er für das Haus am Montpellier Square gegeben hatte. Er selber habe seit Jahren dort ein Haus im Auge, aber sie forderten einen zu hohen Preis dafür.

Der alte Jolyon berichtete über die Einzelheiten seines Kaufes.

»Auf zweiundzwanzig Jahre?« wiederholte James, »gerade das Haus, das ich wollte – du hast zu viel dafür bezahlt!«

Der alte Jolyon runzelte die Stirn.

»Ich will es nicht etwa für mich haben,« sagte James hastig, »zu dem Preis paßt es nicht für meine Zwecke. Soames kennt das Haus sehr gut, na – er wird dir sagen, daß es zu teuer ist – auf sein Urteil kann man etwas geben.«

»Ich gebe keinen Pfifferling dafür,« sagte der alte Jolyon.

»Meinetwegen,« brummte James, »du mußt ja immer deinen Willen haben – aber sein Urteil ist gut. Adieu! Wir wollen nach Hurlington hinausfahren. Ich höre, June geht nach Wales. Du wirst morgen allein sein. Was hast du vor? Du solltest zum Essen lieber zu uns kommen!«

Jolyon lehnte ab. Er ging mit an die Haustür, half ihnen in den Wagen und winkte ihnen zu, denn er hatte seinen Unmut schon vergessen. Im Fond saß groß und majestätisch James' Frau mit kastanienbraunem Haar, ihr zur Linken Irene – die beiden Gatten, Vater und Sohn, nahmen eifrig, fast erwartungsvoll, ihren Frauen gegenüber Platz. Auf ihren Sprungfederpolstern hin und her geworfen, gaben sie schwankend jeder Bewegung des Wagens nach und fuhren, von den Blicken des alten Jolyon begleitet, schweigend im Sonnenschein davon.

Während der Fahrt unterbrach James' Frau das Schweigen.

»Ist euch jemals eine solche Gesellschaft schnurriger Leute vorgekommen?«

Soames, der sie unter seinen Lidern hervor flüchtig ansah, nickte und bemerkte, wie Irene ihm einen ihrer unergründlichen Blicke zuwarf.

Höchst wahrscheinlich hatte jeder Zweig der Familie Forsyte auf der Heimfahrt von dem Empfang beim alten Jolyon diese Bemerkung gemacht.

Unter den letzten der aufbrechenden Gäste gingen der vierte und fünfte Bruder, Nicholas und Roger zusammen fort und schlugen die Richtung am Hyde Park entlang nach einer Station der Untergrundbahn ein. Wie alle andern Forsytes in einem gewissen Alter, hielten sie sich eigenes Fuhrwerk und vermieden, wenn es sich irgend tun ließ, eine Droschke zu nehmen.

Es war ein schöner Tag, die Bäume des Parks standen in der vollen Pracht ihres Junilaubes, aber die Brüder schienen nicht auf die Natur zu achten, die nichtsdestoweniger zur Lebhaftigkeit ihres Ganges und der Unterhaltung beitrug.

»Ja,« sagte Roger, »ein schönes Weib, diese Frau von Soames. Ich höre, es stimmt da nicht alles.«

Dieser Bruder hatte eine hohe Stirn und von allen Forsytes die frischeste Farbe. Seine hellgrauen Augen musterten die Häuser der Straßenfront am Wege, und dann und wann hob er seinen Schirm, um die verschiedenen Höhen abzumessen.

»Geld hatte sie nicht,« erwiderte Nicholas.

Er selbst hatte sehr reich geheiratet, und da es noch in der goldenen Zeit vor Einführung des Vermögensrechts der Ehefrauen war, glücklicherweise einen vorteilhaften Gebrauch von dem Gelde machen können.

»Was war ihr Vater?«

»Er hieß Peron, Professor, wie ich höre.«

Roger schüttelte den Kopf.

»Das bringt nichts ein,« sagte er.

»Ihr Großvater von Mutters Seite soll in Cement gearbeitet haben.«

Rogers Gesicht erhellte sich.

»Er machte aber Bankrott,« fuhr Nicholas fort.

»Ja, ja,« rief Roger aus. »Soames wird seine Not mit ihr haben, denk an mich, er wird seine Not mit ihr haben – sie hat was Verdächtiges im Blick.«

Nicholas leckte sich die Lippen.

»Sie ist eine schöne Frau,« sagte er und schob einen Straßenkehrer beiseite.

»Wie kam er eigentlich an sie heran?« fragte Roger darauf. »Ihre Toilette muß ihn ein Heidengeld kosten!«

»Ann sagt,« erwiderte Nicholas, »er war ganz toll hinter ihr her. Fünfmal hat sie ihn abgewiesen. James ist die Sache fatal, das ist ihm anzumerken.«

»Für James tut es mir leid,« fing Roger wieder an, »er hat schon mit Dartie seine Not gehabt.« Das Gehen hatte seine frische Farbe noch erhöht, er schwang den Schirm öfter denn je bis in Augenhöhe. Auch Nicholas' Gesicht hatte einen heitern Ausdruck.

»Zu blaß für meinen Geschmack,« sagte er, »aber die Figur ist prachtvoll!«

Roger erwiderte nichts.

»Ich finde, sie sieht vornehm aus,« sagte er endlich – es war das höchste Lob im Forsyteschen Wortschatz. »Dieser junge Bosinney soll so'n Kunstfex sein – hat sich in den Kopf gesetzt, die englische Architektur zu vervollkommnen; das bringt nichts ein! Ich möchte wissen, was Timothy dazu sagt.«

Sie betraten die Bahnstation.

»Welche Klasse fährst du? Ich fahre zweiter.«

»Nur nicht zweiter,« sagte Nicholas, »man weiß nie, was man sich da holt.«

Er nahm ein Billett erster Klasse nach Notting Hill Gate, Roger eins zweiter nach Kensington. Eine Minute später fuhr der Zug ein, die Brüder trennten sich und jeder stieg in sein Abteil. Beide waren verletzt, daß der andere nicht von seiner Gewohnheit abgewichen war, um seine Gesellschaft etwas länger zu genießen.

»Immer ein alter Starrkopf dieser Nick!« dachte Roger bei sich.

Oder wie Nicholas es im stillen ausdrückte: »Ein unverträglicher Geselle war Roger von jeher!« Sentimentalität war nicht gerade Sache der Forsytes. Wo sollten sie in dem großen London, das sie sich erobert hatten, und in dem sie untergetaucht waren, auch die Zeit hernehmen, sentimental zu sein?

Zweites Kapitel
Der alte Jolyon geht in die Oper

Mit einer Zigarre zwischen den Lippen und einer Tasse Tee auf einem Tisch neben sich, saß der alte Jolyon am nächsten Tage um fünf Uhr allein. Er war müde, und ehe er noch seine Zigarre ausgeraucht hatte, schlummerte er ein. Eine Fliege setzte sich auf sein Haar, sein Atem klang schwer in der schläfrigen Stille, und seine Oberlippe hob und senkte sich unter dem weißen Schnurrbart. Die Zigarre entfiel den Fingern seiner geäderten runzligen Hand und brannte in dem leeren Kamin langsam zu Ende.

Das düstere kleine Arbeitszimmer mit Fenstern aus buntem Glas, die den Ausblick verhinderten, war mit dunkelgrünen Sammet- und reichgeschnitzten Mahagonimöbeln angefüllt – eine Einrichtung, von der der alte Jolyon zu sagen pflegte: »Sollte mich nicht wundern, wenn einst ein hoher Preis dafür geboten würde!«

Es war ihm ein angenehmer Gedanke, daß die Sachen nach seinem Tode einen höheren Preis erreichen würden, als er dafür gegeben hatte.

In der Atmosphäre von reichem Braun, die den Hinterzimmern im Hause Forsyte eigentümlich war, wurde der Rembrandteske Eindruck seines großen Kopfes mit dem weißen Haar gegen das Kissen seines hochlehnigen Stuhles durch den Schnurrbart beeinträchtigt, der seinem Gesicht einen etwas martialischen Ausdruck gab. Eine alte Uhr, die schon seit fünfzig Jahren, noch vor seiner Hochzeit, in seinem Besitz war, verzeichnete mit ihrem Ticken eifersüchtig die Sekunden, die ihrem Herrn für immer entwichen.

Ihm lag nichts an diesem Zimmer und er betrat es kaum jemals im ganzen Jahre, außer um Zigarren aus dem japanischen Wandschränkchen in der Ecke zu holen, und nun rächte sich das Zimmer.

Seine Schläfen, die sich wie ein Dach über den Höhlungen darunter wölbten, seine Backenknochen und das Kinn traten im Schlafe schärfer hervor und sein Gesicht verriet, daß er ein alter Mann war.

Er erwachte. June war fort! James hatte gesagt, er würde einsam sein. Aber er, James, war immer ein armseliger Tropf. Mit Genugtuung dachte er an seinen Hauskauf über James' Kopf hinweg. Geschah ihm recht für seine Knauserei, das einzige, woran der Mensch dachte, war Geld. Oder hatte er doch zuviel gegeben? Es mußte noch eine Menge hineingesteckt werden – wahrscheinlich würde er sein ganzes Geld brauchen, bevor die Sache mit June in Ordnung war. Er hätte diese Verlobung doch nie zugeben sollen. Sie hatte diesen Bosinney im Hause von Baynes – Baynes und Bildeboy, den Architekten – kennen gelernt. Er glaubte Baynes, den er kannte – er hatte etwas von einem alten Weibe – war ein angeheirateter Onkel des jungen Mannes. Seitdem war sie ihm beständig nachgelaufen, und wenn sie sich etwas in den Kopf setzte, war sie nicht davon abzubringen. Sie hatte immer irgend solche armen ›Hungerleider‹ an der Hand. Dieser Bursche besaß keinen Pfennig, aber sie mußte sich durchaus mit ihm verloben – mit diesem unpraktischen Windbeutel, der aus den Schwierigkeiten nicht herauskommen würde.

Sie war eines Tages in ihrer unverfrorenen Art zu ihm gekommen und hatte es ihm gesagt; und wie zum Trost hatte sie hinzugefügt:

»Er ist prachtvoll, er hat oft schon eine Woche lang nur von Kakao gelebt!«

»Und er möchte, daß auch du nur von Kakao lebst?«

»O nein; jetzt kommt er schon ins rechte Fahrwasser hinein.«

Der alte Jolyon hatte seine Zigarre unter dem weißen, an den Enden mit Kaffee gefärbten Schnurrbart hervorgenommen und das kleinwinzige Ding angeschaut, das eine solche Macht über sein Herz gewonnen hatte. Er wußte besser Bescheid mit diesem Fahrwasser als seine Enkelin. Aber sie hatte sich mit den Händen auf seine Kniee gestützt, ihr Kinn an ihm gerieben und einen Laut von sich gegeben wie eine schnurrende Katze. Und er hatte, die Asche von seiner Zigarre klopfend, in ungeduldiger Heftigkeit ausgerufen:

»Ihr seid alle gleich: ihr gebt euch nicht zufrieden, bis ihr erreicht habt was ihr wollt. Wenn du durchaus ins Unglück kommen mußt, so tu's. Ich wasche meine Hände...«

Er hatte also alle Verantwortung von sich geschoben und zur Bedingung gemacht, daß sie nicht heiraten durften, bis Bosinney wenigstens vierhundert Pfund im Jahr verdiente.

»Ich werde euch nicht viel geben können,« hatte er gesagt, eine Redewendung, die June nicht ungewohnt war. »Vielleicht wird dieser, Wie-heißt-er-doch, für den Kakao sorgen.«

Er hatte sie kaum noch zu Gesicht bekommen, seitdem die Sache anfing. Eine böse Geschichte! Es fiel ihm nicht ein, ihr einen Haufen Geld zu geben, um diesem Menschen, von dem er nichts wußte, zu einem Faulenzerleben zu verhelfen. Er kannte das, es kam nie Gutes dabei heraus. Das Schlimmste aber war, daß er keine Hoffnung hatte, sie in ihrem Entschluß wankend zu machen; sie war halsstarrig wie ein Maulesel, war es von Kind an gewesen. Es war kein Ende abzusehen. Sie mußten sich nach ihrer Decke strecken. Er würde nicht nachgeben, bis er sah, daß der junge Bosinney ein festes Einkommen hatte. Daß June ihre Not mit ihm haben würde, war sonnenklar; er hatte ja nicht mehr Ahnung was Geld war, als eine Kuh. Und jetzt wieder diese überstürzte Fahrt nach Wales, um die Tanten des jungen Mannes zu besuchen, die sicherlich alte Drachen waren.

Ohne sich zu rühren, starrte der alte Jolyon auf die Wand, nur die offenen Augen verrieten, daß er nicht schlief ... Diese Idee anzunehmen, daß Soames, dieser junge Laffe, ihm einen Rat geben könne! Er war immer ein hochnäsiger Laffe gewesen! Nächstens würde er sich wohl gar als der reiche Mann aufspielen, mit einem Haus auf dem Lande! Der reiche Mann! Pah! Wie sein Vater war er unaufhörlich nur auf Gewinn bedacht, der kaltherzige Narr!

Er erhob sich, ging an das Schränkchen und fing an seine Zigarrentasche methodisch mit frischem Vorrat zu versehen. Sie waren nicht schlecht für den Preis, aber eine gute Zigarre war heutzutage gar nicht mehr zu haben, nichts im Vergleich zu den alten Superfinos von Hansom und Bridger. Das war eine Zigarre!

Der Gedanke trug ihn wie ein leiser Duft zu jenen wundervollen Abenden in Richmond zurück, wo er mit Nicholas Treffry und Traquair und Jack Herring und Anthony Thornworthy nach dem Essen rauchend auf der Terrasse von ›Krone und Szepter‹ gesessen. Wie gut seine Zigarren damals waren! Armer alter Nick! – tot, und Jack Herring – tot, und Traquair – tot, durch seine Frau ins Grab gebracht, und Thornworthy – der war ja furchtbar klapprig (kein Wunder, bei seinem Appetit).

Von der ganzen Gesellschaft jener Tage schien er allein übrig geblieben zu sein, außer Swithin natürlich, aber der war so maßlos dick, es war gar nichts mit ihm anzufangen.

Schwer zu glauben, daß es solange her war; er fühlte sich noch jung! Von allen Gedanken, die ihm beim Zählen seiner Zigarren durch den Kopf gingen, war dies der stechendste und bitterste. Mit seinem weißen Haar und seiner Einsamkeit war er im Herzen jung und frisch geblieben. Und die Sonntagnachmittage in Hampstead Heath, wenn er mit seinem Jungen einen Ausflug machte und hernach in Jack Straws Castle zum Essen einkehrte – wie köstlich waren seine Zigarren dann! Und das Wetter! Jetzt gab es gar kein Wetter mehr.

Als June ein kleiner Tolpatsch von fünf Jahren war und er sie jeden zweiten Sonntag von den beiden guten Frauen, ihrer Mutter und Großmutter holte, um sie in den Zoo mitzunehmen, wo er oben vom Bärenzwinger ihre Lieblingsbären mit Weißbrot fütterte, das er an seinen Schirm steckte, wie herrlich waren seine Zigarren da!

Zigarren! Er hatte nicht einmal mehr Gelegenheit von seiner feinen Zunge Gebrauch zu machen – dieser berühmt feinen Zunge, auf die alle Leute in den fünfziger Jahren schworen und ihn, wenn sie von ihm sprachen, »die feinste Zunge in London« nannten! Dieser feinen Zunge hatte er übrigens in gewissem Sinne sein Glück zu verdanken – das Glück der berühmten Teefirma Forsyte und Treffry, deren Tee, wie kein anderer, ein romantisches Aroma und den Reiz einer ganz besonderen Echtheit hatte. Über dem Hause Forsyte und Treffry in der City hatte eine geheimnisvolle Atmosphäre von Unternehmungslust gelegen, von besondern Handelsbeziehungen auf besondern Schiffen in besondern Häfen mit besondern Firmen des Orients.

Und wie hatte er in diesem Geschäft gearbeitet! Damals arbeitete man noch! Diese jungen Grünschnäbel kannten kaum die Bedeutung des Wortes. Er hatte sich mit jeder Einzelheit beschäftigt, hatte von allem gewußt was vorging und zuweilen die ganze Nacht darüber aufgesessen. Und immer hatte er seine Agenten selbst ausgesucht und sich etwas daraus zugute getan. Seine Menschenkenntnis, hatte er immer gesagt, sei das Geheimnis seines Erfolges, und die Ausübung dieser meisterhaften Kunst eine Auswahl zu treffen, wäre das einzige von allem, das ihm wirklich Freude gemacht. Eigentlich war es kein Beruf für einen Mann mit seinen Fähigkeiten. Selbst jetzt, wo das Geschäft in eine G. m. b. H. umgewandelt war und anfing zurückzugehen (er hatte seine Anteile längst heraus), empfand er einen bittern Unwillen, wenn er jener Zeit gedachte. Wieviel besser hätte er es haben können! Als Anwalt hätte er glänzende Erfolge gehabt! Er hatte sogar daran gedacht, es mit dem Parlament zu versuchen. Wie oft hatte Nicholas Treffry nicht zu ihm gesagt: »Du könntest alles, Jo, wenn du nicht so verdammt vorsichtig wärst!« Der liebe alte Nick! Ein so guter Kerl, aber ein leichtsinniger Geselle! Der berüchtigte Treffry! Er war nie vorsichtig gewesen. Nun war er tot! Der alte Jolyon zählte seine Zigarren mit fester Hand und fragte sich im stillen, ob er nicht vielleicht zu vorsichtig gewesen war.

Er steckte das Zigarrenetui in die Brusttasche seines Rockes, knöpfte ihn zu und stieg die hohe Treppe zu seinem Schlafzimmer hinauf, wobei er schwer einen Fuß hinter dem andern nachzog und sich am Geländer hielt. Das Haus war doch zu groß! Sobald June verheiratet war, wenn sie diesen Burschen wirklich jemals heiratete, was sie sicherlich tun würde, wollte er es vermieten und eine Wohnung nehmen. Wozu ein halbes Dutzend Dienstboten halten, die nichts zu tun hatten.

Auf sein Klingeln kam der Butler herein – ein großer Mann mit einem Bart, leisem Tritt und einer besonderen Gabe zu schweigen.

Der alte Jolyon befahl ihm, seine Sachen herauszulegen, denn er wollte im Klub speisen.

»Wie lange ist der Wagen zurück, seitdem er Miß June zum Bahnhof gebracht hat? Seit zwei Uhr? Dann lassen Sie ihn um halb sieben vorfahren.«

Der Klub, in den der alte Jolyon mit dem Schlage sieben eintrat, gehörte zu jenen politischen Institutionen des höheren Mittelstandes, die bessere Tage gesehen hatten. Obwohl er in Verruf gekommen war, vielleicht infolge dieses Verrufes, erfreute er sich einer Lebenskraft, die enttäuschte. Man war es müde geworden zu sagen, der › Disunion‹ liege in den letzten Zügen. Auch der alte Jolyon pflegte das zu sagen, übersah die Tatsache jedoch in einer für eingefleischte Klubleute wahrhaft irritierenden Weise.

»Warum läßt du deinen Namen auf der Liste?« fragte Swithin ihn oft in tiefem Verdruß. »Warum trittst du nicht in den › Polyglot‹ ein? Du bekommst in ganz London keinen Wein wie unsern Heidsieck unter zwanzig Schilling die Flasche;« und die Stimme senkend, fügte er hinzu: »Es sind nur noch fünftausend Dutzend da. Ich trinke ihn jeden einzigen Abend.«

»Ich will's mir überlegen,« pflegte der alte Jolyon zu erwidern; aber immer wenn er überlegte, tauchte die Frage der fünfzig Guineen Eintrittsgeld wieder auf, und daß es vier oder fünf Jahre dauern würde, bis er Aufnahme fände. So überlegte er weiter.

Er war zu alt um ein Liberaler zu sein und hatte längst aufgehört an die politischen Anschauungen seines Klubs zu glauben, man wußte sogar, daß er sie für ›dummes Zeug‹ erklärt hatte, und es machte ihm Spaß, trotz der Prinzipien, die den seinen widersprachen, weiter Mitglied zu bleiben. Er hatte immer eine gewisse Geringschätzung für den Klub gehabt und war ihm vor vielen Jahren nur beigetreten, als man sich geweigert hatte, ihn im › Hotch Potch‹ aufzunehmen, weil er dem ›Kaufmannstande‹ angehörte. Als ob er nicht ebenso gut gewesen wäre, wie einer von ihnen! Er verachtete natürlich den Klub, der ihn aufgenommen hatte. Seine Mitglieder waren eine armselige Gesellschaft, viele von ihnen Makler, Anwälte, Auktionatoren und wer weiß was sonst noch, in der City! Wie die meisten Menschen von starkem Charakter, aber nicht allzugroßer Originalität, hielt der alte Jolyon nicht viel von der Klasse, der er selbst angehörte. Getreulich richtete er sich nach ihren sozialen und sonstigen Gewohnheiten, betrachtete sie im geheimen aber als ›ordinäre Gesellschaft‹.

Die Jahre und seine Philosophie hatten die Erinnerung an seine Niederlage im ›Hotch Potch‹ etwas verwischt, und im Herzen betrachtete er ihn jetzt als Königin der Klubs. Er hätte schon all diese Jahre hindurch Mitglied sein können, aber dank der nachlässigen Art, mit der Jack Herring, der ihn vorgeschlagen, zu Werke gegangen war, wußten sie nicht was sie taten, als sie ihn abwiesen. Seinen Sohn Jo hatten sie ja gleich aufgenommen, und der Junge war wahrscheinlich noch Mitglied, denn er hatte vor acht Jahren einen Brief bekommen, der von dort datiert war.

Seit Monaten war er nicht in seinem Klub gewesen, und das Haus war inzwischen mit einer Buntheit aufgefrischt worden, wie sie bei alten Häusern und alten Schiffen angewendet wird, die man gern verkaufen möchte.

»Schauderhafte Farbe, dieses Rauchzimmer!« dachte er. »Das Speisezimmer ist gut.«

Das düstere Schokoladenbraun mit hellem Grün durchsetzt, war nach seinem Geschmack.

Er bestellte das Essen und setzte sich in die selbe Ecke, vielleicht an den selben Tisch (im ›Disunion‹, wo man fast radikalen Prinzipien huldigte, war von Fortschritten nicht viel zu merken), an dem er und sein Sohn vor fünfundzwanzig Jahren zu sitzen pflegten, wenn er ihn während der Ferien zuweilen mit ins Drury-Lane nahm.

Der Junge schwärmte fürs Theater, und der alte Jolyon erinnerte sich, wie er ihm gegenüber zu sitzen pflegte und seine Aufregung hinter einer absichtlichen, aber sehr durchsichtigen Gleichgültigkeit zu verbergen suchte.

Er bestellte für sich auch genau dasselbe Diner, das der Junge sich immer ausgesucht hatte – Suppe, Fisch, Koteletts und eine Torte. Ach, wenn er ihm doch jetzt gegenüber säße!

Die beiden hatten sich seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen. Und nicht zum ersten Mal während dieser fünfzehn Jahre dachte der alte Jolyon darüber nach, ob er sich in der Sache mit seinem Sohn wohl etwas vorzuwerfen hatte. Eine unglückliche Liebesgeschichte mit der reizenden, koketten Danäe Thornworthy, jetzt Danäe Bellew, Anthony Thornworthys Tochter, hatte ihn Junes Mutter in die Arme getrieben. Er hätte ihre Heirat vielleicht hindern sollen, sie waren noch zu jung; aber nachdem er gesehen, wie leicht entflammt Jo sein konnte, war er nur zu eifrig darauf bedacht gewesen, ihn verheiratet zu wissen. Und nach vier Jahren war es zu dem Krach gekommen! Das Verhalten seines Sohnes bei diesem Krach zu billigen, war natürlich unmöglich gewesen; Vernunft und Selbstzucht, – beides mächtige Faktoren, die bei ihm Grundsätze vertraten – überzeugten ihn von der Unmöglichkeit, aber sein Herz sträubte sich dagegen. Allein bei der grausamen Unbarmherzigkeit solcher Pflicht gab es kein Mitleid für Herzen. Da war June, dies Atom mit dem flammenden Haar, das ganz und gar Besitz von ihm genommen hatte, völlig verwebt und verwachsen war mit seinem Herzen. Und dies Herz war wie dazu geschaffen ein Spielball und die Lieblingszuflucht winziger hilfloser Wesen zu sein. Mit charakteristischer Einsicht erkannte er, daß er sich von dem einen oder dem andern trennen müsse; halbe Maßregeln konnten in einer solchen Lage nichts nützen. Darin lag ihre Tragik. Und das winzige hilflose Wesen trug den Sieg davon. Er wollte nicht mit den Hasen laufen und mit den Hunden hetzen, und darum trennte er sich von seinem Sohn.

Diese Trennung hatte bis jetzt gewährt.

Er hatte Jo einen kleinen Zuschuß angeboten, der aber hatte es zurückgewiesen, und diese Abweisung hatte ihn vielleicht mehr verletzt als alles andere, denn damit war die letzte Möglichkeit dahin, seine unterdrückte Liebe zum Ausdruck zu bringen; und es war zu einem so gründlichen und fühlbaren Bruch gekommen, wie ihn sonst nur Vermögensbestimmungen, ein Vermächtnis oder die Verweigerung eines solchen, herbeiführen können.

Das Essen schmeckte flau. Der Champagner war herbes bitteres Zeug, nicht wie der Veuve Cliquot in alten Tagen.

Bei seiner Tasse Kaffee kam ihm der Gedanke ins Theater zu gehen. Er las daher in der Times – gegen andere Zeitungen hatte er ein Vorurteil – die Anzeigen für den Abend. Es wurde ›Fidelio‹ gegeben.

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