Kitabı oku: «Aufgewühlt», sayfa 3
Kapitel Vier
Mit einem metallischen Klicken löste sich die Verbindung zwischen den Handfesseln und ich bemerkte, dass meine Arme auf dem Rücken frei waren. Mein Oberkörper lag auf der polierten Tischplatte, während Bruno neben ihr stand.
»Leg deine Hände neben den Kopf«, wies mich Bruno an. »Mach schon.« Er klang ungeduldig und verärgert. Wie ein Lehrer, der zeitraubend eine Sache erklären muss, die er als bekannt voraussetzt.
Meine Stirn und Nase berührten das kühle Holz. Ich öffnete meine Handflächen weit und positionierte sie in Halshöhe. Die Metallringe an den Ledermanschetten klackten laut auf der Tischplatte.
»Nun also. Was genau gefällt meiner hübschen Lia an ihrem Halsband nicht?« Bruno betonte es noch spöttischer als zuvor.
Dass er das Halsband als »meines« bezeichnete, wurmte mich. Ich trug es zum ersten Mal und nur, weil er es wollte. Ich bemerkte, dass sich Bruno um den Tisch bewegt hatte und hinter mir befand. Seine Hand strich warm, aber fest über die Haut meines Hinterns. Sofort schob ich die Füße weiter nach außen. Mindestens eine Schulterbreite hatten sie auseinander zu stehen. Zugänglich sein oder sich zugänglich machen, auch darauf legte Bruno wert. Es war unerheblich, ob er davon Gebrauch machen wollte oder nicht. Darüber hatte nicht ich zu entscheiden.
»Ist es dir etwa nicht schick genug?« Er winkelte seine Finger zu Krallen und zog eine brennende Spur über meine Haut. Ich erschauerte. »Schick«, wiederholte er langsam.
Ich schloss die Augen und biss mir auf die Lippen. Denn ich spürte, dass es meinen Körper nicht scherte, in welcher Klemme ich mich befand. Ich konnte gerade noch verhindern, mich instinktiv gegen seine Hand und die kleinen Flammen zu drücken. Alles andere geriet außer Kontrolle. Verflüssigte sich.
»Rede!« Brunos Finger schürften weitere Bahnen über meine Haut. Langsam, fest und unerbittlich.
Ich versuchte, mich zu konzentrieren. Verglich meine Erwartungen mit dem, was ich um meinen Hals spürte. Offensichtlich hatte Bruno ganz andere Vorstellungen davon, was mich kleiden würde. Und ich wusste nicht, ob ich es ihm erklären konnte, ohne ihn zu enttäuschen. Vielleicht sollte ich besser schweigen.
Ein gewaltiger Hieb traf meinen Hintern und stieß meine Oberschenkel gegen die Tischkante. Ich schrie überrascht auf und öffnete weit die Augen. Dass ich mich leicht aufgerichtet hatte, nahm ich erst wahr, als Brunos Hand mich zwischen den Schulterblättern kräftig wieder nach unten drückte. Ich suchte erschrocken nach einer Erklärung für den Schmerz, der mich breit und kühl getroffen hatte. Das war nicht Brunos Handfläche. Es fühlte sich an wie ein Brett.
»Schick! So gefällt es mir«, meinte Bruno hinter mir süffisant. »Und dir, Lia? Gefällt dir das auch? Besser als dein Halsband?«
Ein zweiter Hieb traf mich nicht weniger heftig als der vorherige. Was immer Bruno in der Hand hielt, es war hart. Ich unterdrückte einen erneuten Schrei und atmete tief ein. Schob mich mühevoll wenige Zentimeter weiter auf den Tisch. Nein, es gefiel mir nicht. Denn ich wusste noch immer nicht, wie ich meine Enttäuschung über das Halsband nicht zu seiner werden lassen sollte. Und Bruno würde nicht auf eine Erklärung verzichten. Ich konnte nicht ewig schweigen.
Der nächste Schlag traf mich so kräftig, dass ich instinktiv auszuweichen versuchte und meinen Körper zur Seite drückte. Sofort wurde ich korrigiert. Bruno zog mich unmissverständlich zurück auf meine Position.
Mit einer Hand griff er gezielt zwischen meine Schenkel. Ich zuckte ebenso schnell zusammen, wie ich aufkeuchte. Seine Finger öffneten mich zügig, tauchten widerstandslos in die Tiefe. Erkundeten den Pegelstand meiner Empfindungen. Berührten dort den Quellpunkt meiner empfindlichsten Wärme. Und glitten dann auf meiner Nässe wieder hinaus. Wie sehr ich es liebte, das über mich ergehen lassen zu müssen.
»Es gefällt dir also«, kommentierte Bruno mit rauer Stimme und wischte seine Hand auf meinem Rücken ab. Welche Demütigung. Und welcher Genuss. »Siehst du«, fuhr er fort, »wir finden unsere Antworten auch dann, wenn du nicht mit mir sprechen willst.«
Ich verzog den Mund. Ärgerte mich über die eigenständige Ehrlichkeit meiner Körperreaktion. Es gab Momente, in denen ich meine Leidenschaft als Verhängnis empfand. Kämpfe mit Bruno waren ihretwegen stets unfair. Denn er hatte den Vorteil, Empfindungen ablesen zu können. Nicht nur in meinen Augen und aus meinem Geruch. Sondern auch zwischen meinen Schenkeln. Es blieb ihm nichts verborgen. Taktieren war ausgeschlossen.
Der nächste Schlag war heftiger als alle zuvor. Breitflächig biss er zu, schlug flammend in die Haut und hinterließ einen Großbrand. Brunos anschließend aufgelegte Hand konnte ihn nicht niedrig halten. Im Gegenteil.
Ich atmete schnell ein und aus. Versuchte, meine Schmerzen auszuhecheln. Ich wusste, dass Bruno sich nun die Gründe holen würde, aus denen mir das Halsband nicht gefiel. Sicher. Aber er sollte wissen, wie sehr ich darum gerungen hatte. Wie ausdauernd ich sie gehütet hatte. Wie lange ich ihn vor einer Enttäuschung bewahren wollte. Ich schob meine Hände nach vorn, ertastete die Tischkante und krallte mich an ihr fest. Er konnte ruhig sehen, dass ich auf den nächsten Hieb wartete. Bereit war für einen Kampf, obgleich ich ihn sicher verlieren würde.
»Nun gut«, hörte ich Bruno hinter mir sagen und spürte, dass er seine Hand von meiner Haut nahm. »Meine hübsche Lia will also kämpfen.«
Nein, dachte ich. Sie will, dass du kämpfst. Ich zog das Kinn auf die Brust, biss mir auf die Lippen, schloss die Augen. Und lächelte.
Bruno setzte einen Schlag nach dem anderen. Gleichmäßig wie ein Uhrwerk. Jede Breitseite ließ meinen Körper auf der Tischplatte nach vorn schnellen, und noch bevor ich mich wieder zurückgeschoben hatte, schlug eine weitere ein. Ich versuchte, gleichmäßig zu atmen und mich abzulenken, aber es gelang mir stets nur wenige Sekunden. Schnell wurde der beißende Schmerz auf dem Hintern so groß, dass seine züngelnden Flammen meine Konzentration versengten. Ich drückte meine Finger von unten gegen die Tischkante, immer fester, aber ich tat es, ohne darüber nachzudenken. Ich dachte überhaupt nicht mehr nach. Stellte mich den Bissen der Glut auf meinem Hintern, suchte keine Flucht mehr und auch keine Möglichkeit, es zu beenden. Schlag für Schlag nahm ich, hörte mein Blut in den Ohren tosen wie eine rasende Feuersbrunst und schnappte nur dann nach Luft, wenn mein Unterbewusstsein schrie, es würde ersticken.
Es war wie ein Rausch. Der Schmerz verschwand nicht, aber er wechselte die Farbe. Wurde erst verführerisch. Machte dann süchtig. Ich schob mich ihm schließlich verlangend entgegen, gierte nach mehr. Härter sollte er mich treffen, andauernder, unaufhörlich. Ich wollte unter ihm explodieren.
»Stopp«, rief Bruno plötzlich hinter mir, als ich zu stöhnen begann. Aber es flog an mir vorbei und kehrte erst zurück, als ich gewahr wurde, dass die Schläge aufgehört hatten. Ich atmete flach und schnell. Bewegte meinen Körper noch immer im Takt, schob mich leicht nach vorn, drängte nach hinten. Mein erster Gedanke war der Wunsch, dass Bruno mich nehmen würde. So, wie ich war. Jetzt sofort. Ungestüm, den Takt fortsetzend und neue Brandspuren legend. War er etwa nicht erregt? Es wäre doch sein gutes Recht, über seine Beute herzufallen und sie gewaltsam in Besitz zu nehmen. Es gab kein willigeres Opfer als mich. Ich hob den glühenden Hintern und drückte meinen Rücken nach unten. Das musste ihm doch gefallen …
Aber es geschah nichts. Ich ballte die Hände zu Fäusten. Es fiel mir leichter, den wieder ins Bewusstsein zurückkehrenden Schmerz zu beherrschen als dessen plötzliches Ende. Ich bemerkte, dass Bruno um den Tisch ging. Als ich seinen schweren Atem hörte, lächelte ich gequält, obwohl ich Tränen in den Augen hatte. Also doch. Ich hatte unerwartet gewonnen, glaubte ich. Hatte mein Schweigen besser im Griff gehalten als er seine Lust. Ich war stolz. Triumphierte.
»Was ist das, Lia?« Brunos Stimme klang wie nach einer Nacht mit zu viel Cognac. Vibrierend. »Schau her.«
Neben mir schlug dumpf polternd ein Gegenstand auf die Tischplatte und blieb liegen. Als ich meinen Kopf anhob, lag vor mir der große Weltatlas, den ich in einem Antiquariat aufgespürt und seit vielen Jahren im Bücherregal stehen hatte. Eine Ausgabe mit schwerem, stark beschädigtem Leineneinband. Schön sah das Buch nicht mehr aus. Aber mir gefiel es, weil es wunderbare alte Karten enthielt und das vergilbte Papier nach Abenteuern roch. Das also war es, was breitflächig auf meinem Hintern eingeschlagen war und mich noch immer atemlos machte. Bruno hatte nur neben sich in den Bücherschrank gegriffen. Darauf hätte ich kommen können.
»Was siehst du?« Bruno stützte sich auf dem Tisch ab und beobachtete mich.
»Meinen Atlas«, antwortete ich keuchend und wusste nicht recht, was er meinte. Ich sah noch einmal auf das Buch und vergewisserte mich.
»Natürlich«, quittierte er. »Aber an was wirst du ab heute denken, wenn du ihn siehst?« Bruno strich zärtlich mit der Hand über den Einband, als sei er noch warm.
Ich verstand und war überrascht darüber. Geglaubt hatte ich, keines klaren Gedankens fähig zu sein. Doch ich dachte an die Schläge auf meinen Hintern und daran, dass dieses Erlebnis fortan mit dem Atlas verknüpft sein würde. Ganz gleich, wann und zu welchem Zweck ich das Buch künftig aus dem Regal ziehen würde. Nicht mehr nur nach vergilbtem Papier würde es riechen. Ich nickte.
Bruno genügte das als Antwort. Er griff mir in den Nacken und öffnete die Schließe des Halsbandes so ruckartig, dass ich kurz würgte. Dann zog er es einfach so von meinem Hals und legte es auf dem kupferfarbenen Einband des Buches ab.
»Und was siehst du hier?« Bruno wies mit dem Zeigefinger auf den Riemen.
»Mein Halsband«, sagte ich wahrheitsgemäß und bemerkte erst im Anschluss, dass ich es »mein« genannt hatte. Denn ich hatte es getragen, während ich mich den Schlägen entgegengestellt und für Bruno gelitten hatte. Und ich war stolz darauf, bestanden zu haben. All das, während es um meinen Hals lag.
»An was denkst du ab heute, wenn du es siehst?« Bruno fuhr mit der Fingerspitze auf der Kante des Leders entlang. »Weißt du, Lia, es kommt nicht immer darauf an, wie eine Sache aussieht. Entscheidend ist, welche Erinnerungen und Gefühle in ihr wohnen. Diesen schlichten Lederriemen finde ich unvergleichbar schön, wenn er den Schweiß aufgesaugt hat, den ich dir abgerungen habe. Wenn er dich gehalten hat, während du für mich gelitten oder stolz vor mir gesessen hast. Ich finde das viel wunderbarer und wichtiger als es diese kitschigen und gefühlsabweisenden Halsbänder sein können, die du vielleicht erwartet hast.« Bruno erreichte mit der Fingerspitze die Schließe und klappte den Dorn vor und zurück. »Wenn du das trägst, Lia, bist du meins. Weil nur ich es um dich schließen werde. Und weil nur ich dich daraus wieder befreien kann. Während jeder Minute, die es um deinen Hals liegt, wirst du auch dem kleinsten Zug meiner Hand folgen. Und spüren, warum das so ist.« Er sah mich sehr ernsthaft an. »Wenn du möchtest, wirst du es bequem tragen können. Aber wenn es notwendig sein sollte, werde ich es eng ziehen. Nun sage mir, welche Rolle die Farbe dabei spielt?«
Ich fühlte einen Kloß im Hals und wagte nicht, meinen Blick zu heben. Bruno hatte mich durchschaut. Er musste meine Vorstellungen von einem Halsband geahnt haben. Vielleicht hatte er sogar meine Enttäuschung erwartet.
Ich betrachtete den Riemen, der noch immer auf dem Einband lag, und spürte, wie nackt sich mein Hals anfühlte. Die schwere Schließe hatte eben noch auf meinem Nacken gelegen und mich sanft nach unten gedrückt, während ich mich Bruno zur Verfügung gestellt hatte. Nicht ein einziges Mal hatte ich währenddessen geglaubt, ein Halsband zu tragen, das mir nicht gefällt.
Ich legte meine Stirn zurück auf die Tischplatte und schloss die Augen. Bruno wollte mich nicht schmücken mit einem Halsband. Ihm ging es um die Macht, die er um mich legte und schloss. Darum, dass ich wusste, welchen Status ich innehatte, wenn ich es trug.
Ich befeuchtete meine Lippen und formulierte eine Frage, die ich noch vor wenigen Minuten strikt abgelehnt hätte.
»Darf ich es wieder tragen? Bitte?«
»Natürlich«, brummte Bruno und griff zum Halsband. »Selbstverständlich darfst du das. Es ist deins.«
Kapitel Fünf
Julia legt ihre Hand auf das Halsband, das zwischen ihr und Sarah auf dem Tisch wartet. Mit dem Daumen streicht sie langsam über das Leder und ertastet das eingeprägte »L«. Es ist ihres.
Sarah schweigt. Sie ahnt, dass es sich anfühlen muss wie ein aufgeschlagenes Album mit Bildern, auf denen lieb gewonnene Momente erstarrt und zugleich lebendig fortbestehen.
»Ich frage mich, Sarah …« Julia zieht das Halsband langsam über die glänzende Tischplatte hinweg zu sich. Sie führt die Enden des Riemens zueinander und berührt vorsichtig mit der Spitze der Lasche die Schließe. »Ich frage mich, aus welchem Grund er dir das Halsband gegeben hat. Wieso dir? Und warum solltest du es mir bringen?«
Sarah atmet tief ein. Julia, fürchtet sie, zweifelt noch immer. Daran, dass es zwischen ihr und Herrn Conrad lediglich Geschichten gab. Jetzt wird sie ihr erzählen müssen, dass er stattdessen nur auf sie gewartet hat. Und dass sie das Halsband einfach mitgenommen hat, damit es nicht verloren geht.
»Weißt du«, setzt Julia fort, »diese Beziehung zwischen Bruno und mir ist nie tatsächlich zerbrochen. Ich denke, wir kamen lediglich mit einem unschönen Riss nicht zurecht. Plötzlich klang es nicht mehr vertraut und fühlte sich gebraucht an.« Julia betrachtet nachdenklich das Halsband. Dann nickt sie. »Schuld daran tragen wir beide. Sein Fehler war, dass er für mich etwas tat, was er selbst nicht gut hieß. Anstatt es mir und ebenso sich zu verbieten. Aber mein Fehler war viel größer. Ich habe ihn dazu gedrängt. Und nicht zu schätzen gewusst, was er für mich war.« Julia schüttelt den Kopf und blickt einen Moment mit schmalen, zusammengekniffenen Lippen an die Decke. Als schwebten dort ihre Einsichten wie überreife Früchte, die nun endlich gepflückt werden müssten. »Ich wusste, dass er meinen Wunsch nicht ablehnen konnte. Er hat alles für mich getan. Denn er hatte Angst, mich zu verlieren. Die hatte er immer. Auch an diesem Abend, als es geschah. Und ich habe es ausgenutzt. Ich habe ihn ausgenutzt. Das war tatsächlich ein unverzeihlicher Fehler.«
»Die Veranstaltung auf dem Schloss?« Sarah knetet unter dem Tisch ihre Finger in den Handinnenflächen. Sie erinnert sich an die Erzählung von Herrn Conrad und daran, dass Julia dort beinahe missbraucht worden wäre.
»Du weißt davon?« Julia wendet ihr ruckartig den Kopf zu und schiebt sich die Locken aus dem Gesicht. Ungläubig bohrt sich ihr Blick in Sarahs Augen. »Bruno hat dir davon erzählt?«
Sarah fühlt sich unwohl. Sie kennt viel mehr Intimes, als es ihr im Moment lieb ist. »Ja, das hat er.« Leise sagt sie es, als trage sie die Verantwortung dafür. Dabei war sie nur Zuhörerin. Aber interessiert. Sie bemerkt Julias fassungslosen Gesichtsausdruck und überlegt, wie sie die Situation retten kann. »Er hat dir keine Schuld gegeben«, sagt sie ehrlich.
Julia ist wie erstarrt. »Was genau hat er dir erzählt?« Ihre Stimme schimmert plötzlich so kalkig wie die Farbe ihrer Gesichtshaut.
»Ihr habt ein Schloss besucht«, formuliert Sarah und vermeidet, es klingen zu lassen, als wäre Lia die Initiatorin gewesen. »Du solltest dich dort anderen Männern …« Sie stockt. Zu intim. Als es Herr Conrad erzählte, war Lia Teil einer Geschichte. Jetzt sitzt sie direkt vor ihr. Das ist ein fühlbarer Unterschied.
»Zur Verfügung stellen«, ergänzt Julia trocken. »Erzähle weiter.«
Sarah nickt. »Bruno wollte es kurz zuvor noch verhindern, aber er gab dir schließlich nach und begleitete dich auf die Veranstaltung. Es handelte sich um eine Feier oder etwas Vergleichbares. Du wärst die Hauptattraktion gewesen.«
»Die war ich«, unterbricht Julia. Aber es klingt nicht stolz. »Das war eine der Fantasien, die mich damals fasziniert haben.«
Sarah wartet einen Moment ab, aber als Julia schweigt, ergreift sie wieder das Wort. »Du musstest nackt über einen riesigen Tisch kriechen, während alle Anwesenden deinen Körper berühren durften. Man hat dir Weinbeeren in …« Sie weiß nicht, wie sie es ausdrücken soll. Herr Conrad hatte erzählt, dass Lias Unterleib mit Beeren vollgestopft war. »Man hat dich dort grob behandelt.«
»Noch ein Grund, aus dem ich dort war«, wirft Julia ein, ohne Sarahs diplomatische Umschreibung zu konkretisieren. »Hat dir Bruno das auch gesagt?«
»Er sprach davon, dass du dunkle Fantasien ausleben wolltest. Und dass du dabei deine eigenen Grenzen aus den Augen verloren hast.«
»Das ist nicht wahr!« Julia greift energisch ihre Kaffeetasse und erhebt sich. Mit vor dem Körper gewinkelten Armen geht sie zum Fenster und blickt nach draußen. Die Sonne wirft gleißende Rechtecke auf den Parkettboden um Julias Pantoletten herum. »Ich habe meine Grenzen nicht aus den Augen verloren. Nicht an diesem Abend.«
Sarah erinnert sich an die Erzählung von Herrn Conrad. An den Streit zwischen Bruno und Lia, nachdem er sie gegen ihren Willen aus dem Schloss geführt hatte. Lia hatte anschließend behauptet, er habe ihr den Abend verdorben. Ebenso aufgebracht, wie sie jetzt vor dem Panoramafenster steht. Sarah schaut verlegen in ihre Tasse und trinkt anschließend einen Rest Kaffee. Dann stellt sie das Gefäß vorsichtig ab. Als der Tassenboden auf das Holz klopft, dreht sich Julia um.
»Ich hatte eine Grenze erreicht, das ist wahr. Aber es stimmt nicht, dass ich sie nicht bemerkt hätte.« Sie kaut auf der Unterlippe und überlegt einen Moment. »Ich wollte sie durchbrechen. Wollte noch tiefer. Dort, wo ich war, befand sich nicht der Grund. Lediglich die nächste Schicht Wasser. Deutlich kälteres.«
Sarah ist überrascht. Herr Conrad hat es anders erzählt. Und Bruno hat es anders wahrgenommen. In seiner Geschichte war Lia nicht mehr in der Lage gewesen, die Sache zu beenden. Wurde von der Strömung fortgerissen.
»Warum«, fragt sie, »hast du es dann nicht abgebrochen?« Spätestens, als sich Lia mit schmerzendem Fuß kaum noch auf der Tischkante halten konnte und die Weinbeeren vor den Augen aller Männer aus sich pressen sollte, wäre der richtige Zeitpunkt gewesen. Bruno hatte ihren verzweifelten Blick sogar gesehen.
Julia kommt zurück an den Tisch. »Hör zu«, sagt sie, stellt resolut die Tasse neben dem Halsband ab und nimmt wieder Platz. »Dieses Schloss stand mitten im Marianengraben. In der tiefsten Rinne meiner Fantasien. Direkt am dunkelsten gemeinsamen Punkt von Macht und Demütigung, den ich mir vorstellen konnte. Schwarz, beklemmend und geheimnisvoll. Es hat mich erregt, auch nur daran zu denken. Und ich wollte es wenigstens einmal erleben. Nicht als Spiel, sondern ganz ohne Sicherungsseil und mit unbekanntem Ausgang. Ich wollte ausgeliefert sein, erniedrigt und benutzt. Einfach so. Hast du denn keinen Marianengraben?«
Sarah schluckt.
»Es war diese sexuelle Fantasie, die mich erregt hat«, setzt Julia fort und schiebt die Tasse an ihrem Henkel auf der Tischplatte hin und her. »Es mag sein, dass es besser für immer eine geblieben wäre. Aber es war bereits zu spät, als die Gesichter der Männer zu Fratzen wurden. Verzerrt von Lust auf rohe Gewalt. In meinen Träumen hatte ich mir immer vorgestellt, was ich in diesem Moment fühlen werde, wie man mich behandeln wird. Es ging immer um mich, verstehst du? Auf all den Bildern, die mich lockten, war nur ich zu sehen. Dort aber war alles anders. Ich fühlte plötzlich nichts mehr. Es ging nicht mehr um mich. Es gab keine nach mir greifende und in mich dringende Macht, sondern nur losgelöste, ungebremste und auf mich prallende Gewalt. Keine Demütigung, sondern Missachtung. Ich bemerkte recht schnell, dass ich in meiner Fantasie niemals so alleine sein wollte.«
»Bruno war doch bei dir?« Sarah reibt sich den Oberarm. Ihr ist kühl, obwohl die Sonne den Raum aufheizt. Sie braucht nicht ihre Haut betrachten, um zu wissen, dass tausend feine Härchen aufgerichtet sind.
»Er stand nicht weit entfernt. Er hatte mich vor genau der Situation bewahren wollen, in der ich mich plötzlich fand.«
Sarah stößt kurz Luft aus und ist entsetzt. »Und trotzdem hast du nicht abgebrochen? Du hast riskiert, dort abzustürzen!«
Julia winkt ab. »Ich war Bruno böse, als er die Sache beendete.« Sie senkt den Kopf.
»Aber warum?« Sarah verschränkt die Arme. Ihr ist noch immer kalt.
Julia setzt einen Ellenbogen am Rand der Tischplatte auf und stützt ihren Kopf. Mit den Fingern wühlt sie in ihren Haaren. »Ich wollte nicht seinen Schutz. Seine Sorge. Seine Gutmütigkeit. Immerzu umgab er mich damit. Wie ein klebriges Netz. Manchmal war es mir einfach zu eng. Ich hatte das Gefühl, nie tatsächlich bis unten fallen zu können, wenn er stets noch seine Hand zwischen mich und den Boden hielt. Auf dem Schloss hatte ich zum ersten Mal die Chance, den Grund zu berühren. Wenigstens dieses eine Mal. Auch wenn es schief gegangen wäre. Aber noch bevor ich eine Erfahrung machen konnte, hat Bruno wieder sein Netz geworfen.«
»Du konntest dich auf ihn verlassen …«
»Ja«, antwortet Julia und es klingt sehr ehrlich, »das konnte ich. Zu hundert Prozent. In jeder Situation. Ich habe mich in meinem ganzen Leben auf niemanden so verlassen können wie auf ihn. Er war eine absolute Lebensversicherung. Das aber hat mein Risiko auf null reduziert. Manchmal war das …« Julia sucht nach Worten. »Manchmal fühlte sich das einfach zu sicher an, verstehst du?«
Sarah nickt, auch wenn sie zweifelt. Was, überlegt sie, ist das packendere Abenteuer? Eines mit absolut sicherem Ausgang oder eines, bei dem man verlieren kann? Wer rettet spannender? Der unerwartet in letzter Minute auftauchende Prinz? Oder der Ritter, der stets treu an der Seite bleibt und Probleme auf eine Lanze spießt, bevor sie einem überhaupt nahekommen? Wie viele Situationen im Leben werden nur deswegen zu einer aufregenden Erinnerung, weil sie genauso gut hätten schief gehen können? Sarah mustert ihr Gegenüber. Ihr begegnet der Gedanke, dass Lia viel mehr Risiko suchte, als Bruno ihr zu gewähren bereit war. Aber sie schiebt schnell alles beiseite, was das bedeuten würde.
Julia seufzt. »An diesem Abend wollte ich keinen Schutz. Ein einziges Mal. Doch Bruno war trotzdem da. Ich musste feststellen, dass ich niemals bis auf den Grund des Marianengrabens gelangen konnte, solange Bruno meine Tauchgänge begleitet. Eine meiner erregendsten Fantasien war an diesem Abend unerreichbar geworden. In dem Moment, als Bruno das Arrangement vorzeitig beendete.«
Sarah schweigt. Sie kennt nun beide Seiten. Die Geschichte von Herrn Conrad und die Erzählung von Julia. Zwei Fäden hält sie in der Hand. Aber sie passen noch nicht zueinander. Warum hat Bruno weiterhin und bis an sein Lebensende auf Lia gewartet, wenn sie nicht zueinanderpassten?
»An diesem Tag habe ich erfahren, dass mein Marianengraben weiter in den Abgrund führt, als ich dachte. Vielleicht so tief, dass ich den Grund nicht erreichen konnte. Aber ganz sicher zu tief für Bruno.« Sie hält einen Moment inne. »Dass selbst ich scheitern würde, habe ich erst viel später begriffen. Weil das Wasser dort unten so kalt ist, dass auch ich es nicht mehr aushalten kann. Nicht ungeschützt. Doch das konnte ich nur ohne Bruno herausfinden.«
Sarah schweigt betreten. Der letzte Schluck Kaffee entwickelt plötzlich einen bitteren Nachgeschmack. Herr Conrad hatte offen gelassen, ob es nach der Begebenheit im Schloss noch weitere Treffen zwischen ihm und Lia gegeben hatte. Die Antwort darauf füllt nun den ganzen Raum. Nein.
Julia erhebt sich. »Lass uns nach draußen gehen. Wenn du magst, können wir uns auf die Terrasse setzen. Mir wird es hier zu eng.« Sie geht einen Schritt auf die Glasfront zu, dann verharrt sie mitten in der Bewegung. Dreht sich um, als habe sie etwas vergessen oder sei gerufen worden. Sie schaut zum Tisch, zögert und greift schließlich langsam nach dem Halsband. Sie will es nicht liegen lassen. Der Metallring schleift über das Holz, dann hebt sie es an. Umschließt es fest mit der rechten Hand. Sie will es nie wieder hergeben.
Sarah ist überrascht und beeindruckt zugleich. Sie starrt noch auf die leere Tischplatte, während Julia bereits das Panoramafenster zur Seite schiebt und die schmale Terrasse betritt. Erst, als warme Vormittagsluft und Vogelgezwitscher in den Raum strömen, kann sie sich lösen. Sie schließt kurz die Augen, atmet tief. Julia hat recht, denkt sie. Das Wohnzimmer ist zu klein. Zu eng. Zu dunkel. Im Moment. Sie muss an den Marianengraben denken. War Julia später noch einmal dort?
»Komm schon«, ruft Julia von draußen und rückt einen zweiten Liegestuhl herbei. Sie klopft mit der freien Hand flach auf die Stoffbahn. »Hier hat lange niemand mehr gesessen«, kommentiert sie entschuldigend eine kleine Staubwolke. Dann lässt sie sich vorsichtig nieder. Den Lederriemen legt sie auf ihren Schoß und hält ihn mit beiden Händen.
Sarah schaut sich um. Direkt an die drei Plattenreihen der Terrasse grenzt eine große Wiese aus hohen Gräsern und wild gewachsenen Blumen. Sie scheint sich unendlich auszudehnen und wenn man über sie hinwegsieht, erkennt man lediglich sanfte Hügel am Horizont. Für einen Moment fühlt sich Sarah an etwas erinnert, als sie die weite Landschaft betrachtet, aber ihr fällt nicht ein, was es ist. Sie kehrt mit ihren Gedanken zurück und betrachtet die kleine Eiche, die sich unweit von ihr aus der Wiese erhebt. Ihre um sich greifenden Äste sehen aus wie Schattententakeln. Als wollten sie die vielen Schmetterlinge und kleinen Insekten einfangen, die aufgeregt über dem Meer aus Halmen schwirren. Wie ein Feenland, denkt Sarah und fühlt sich wohl.
»Oh«, sagt Julia, die ihre Reaktion bemerkt hat. »Verzeih, ich mähe keinen Rasen. Hier lasse ich alles zu, was die Natur jedes Jahr anrichtet. Ich kümmere mich lediglich um die Blumenrabatte vor dem Haus, sie genügt mir und meinem Rücken. Eine nicht ganz freiwillige Hommage an all die gepflegten Vorgärten der Nachbarn. Hinter dem Haus dagegen sieht es ja niemand. Wenn man es genau nimmt, zeigt mein Haus zwei Seiten. Eine helle für die Öffentlichkeit. Und hier hinten«, flüstert sie und tut bedrohlich, »eine dunkle und ganz wilde.«
Sarah lächelt über das Gleichnis. Was sich hinter einer Fassade verbirgt, kann man am wenigsten am Vorgarten ablesen, denkt sie. Auch sie selbst hielt ihre dunkle Seite stets gut verborgen. Sie sieht zu der kleinen Eiche und stellt sich den Baum nachts vor, wenn die krakeligen Äste in der Dunkelheit zu langen Armen werden. Nicht weniger furchteinflößend als die Fantasien im Marianengraben. Aber gleichwohl auch faszinierend.
»Mein Lieblingsbaum«, kommentiert Julia, als sie dem Blick folgt. »Bruno hat ihn gepflanzt und mir damit einen Wunsch erfüllt.« Sie hebt den Lederriemen, hält ihn vorsichtig vor ihren Hals. Berührt ihn aber nicht. »Er hat mir so viele Wünsche erfüllt.« Sie nickt gedankenverloren. Erinnert sich daran, wie er ihr mit dem Spaten in der Hand sagte, dass er sie irgendwann an die Äste der Eiche binden werde. Wohl wissend, dass sie dann schon alt sein werden. Gelacht haben sie darüber, damals, und sich umarmt. Sich über das gegenseitige Versprechen gefreut. Nun steht nur noch die Eiche hier. »So überdauert wohl alles die Zeit«, sagt Julia schließlich leise. »Irgendwie.« Ihre Stimme klingt belegt.
Nein, denkt Sarah. Es gibt Dinge, die nicht die Zeit überdauern. Selbst solche Dinge, die in einmaliger Weise nach Ewigkeit riechen, unbemüht zueinander passen und deren Abstand zueinander nie so groß werden kann wie die Sehnsucht. Sarah sieht Bruno in seinem Sessel in der Lederwerkstatt sitzen, als würde es gerade eben geschehen. Seine Pfeife rauchend, gedankenverloren in den Raum blickend. Bilder von früher einfangend. Wartend. Während Julia sich hier im Liegestuhl an ihr Halsband klammert. Ebenso wartend.
Aber es ist zu spät. Herr Conrad ist tot.
»Ja«, setzt Julia plötzlich ihren Gedanken fort, während sie den schlichten Lederriemen betrachtet, »er hat mir wirklich viele Wünsche erfüllt.«
Sarah schiebt sich den Liegestuhl zurecht. »Du ihm sicher auch«, sagt sie bedrückt und lässt sich langsam nieder.
Julia schaut zu ihr herüber. Lächelnd. Beinahe mitleidig. »Sarah … Er brauchte sich nichts wünschen. Er konnte nehmen, was immer er wollte. Zu jeder Zeit. Ich war sein Geschenk. Alles an mir.«
»Tatsächlich zu jeder Zeit?« Die Stoffbahn des Liegestuhls knarrt.
»Ja.« Julia nickt entschieden und lässt keine Zweifel. »Das war Teil unserer Beziehung zueinander. Und …« Sie zögert einen Moment. »Ich weiß nicht, ob du das verstehen kannst. Aber es erregte mich. Genau das. Immer zur Verfügung zu stehen. Wenn Bruno nehmen mochte, musste ich ihm geben. Ich liebte dieses Müssen, denn als Wollen hätte es mir nicht gefallen. Vielleicht denkst du, dass es erniedrigend ist, sich derart beherrschen zu lassen. Ja, das ist es. Ich empfand es als ein fortwährendes, kompromissloses Unterwerfen. Jederzeit. Es fiel nicht immer leicht, aber das sollte es auch gar nicht sein.«
Sarah legt ihre Hände auf die rauen Holzstützen des Liegestuhls. Sie versucht sich vorzustellen, welche Tragweite eine solche Vereinbarung haben muss. Ob sie selbst bereit wäre, sich derart in die Hände eines Anderen auszuliefern. Geben zu müssen, was erwartet wird, unter dauerhaftem Verzicht auf Widerrede. Die Vorstellung reizt sie. Beinahe so sehr, dass sie bereit ist, Unwägbarkeiten als Anreiz zu kaschieren. »Jederzeit«, wiederholt sie flüsternd.
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