Kitabı oku: «Tanz auf dem Vulkan»
Ein Krimi aus Lippe
TANZ AUF DEM VULKAN
Jörg Armin Kranzhoff
Dann schreibt sich einer Schwielen in seine Kritikerseele, um rauszukriegen, was der Name Wehrwolf bedeutet. Daß das weiter nichts bedeutet, als daß Harm Wulf sich wehrt; da kommt kein Mensch drauf. Faseln sie da alles mögliche zusammen (Hermann Löns)
Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek
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Copyright 2020 by Lippe Verlag
Dr. Hans Jacobs, Hellweg 72, 32791 Lage
ISBN 978-3-89918-820-2
Insel der Glückseligen
Ich war auf dem Weg in den Urlaub. Es war früh am Morgen. Es herrschte schmuddeliges Februarwetter: Der Himmel war regenverhangen und es nieselte leise vor sich hin. Um diese Jahreszeit ist das Wetter in Lippe nun mal so, sagte ich mir. Auf den Kanaren erwartet mich strahlender Sonnenschein!
Das Taxi erschien verspätet. Der Fahrer wirkte genervt. Meine Anschrift war ihm kein Begriff. Sein Navi hatte ihn in die Irre geführt.
„Flughafen Paderborn?“, versicherte er sich.
„Ja bitte!“, sagte ich reichlich verschlafen. Dann lehnte ich mich zurück und schloss die Augen. Ich hatte keine Lust auf Gespräche.
Der Fahrer schlängelte sich durch die Dörfer Mosebeck, Vahlhausen und Fissenknick, kurvte bei Bad Meinberg zum Kamm der Egge hoch, folgte der Strothe bis in die Talmulde von Kohlstädt und nahm Kurs auf den Flughafen.
Als das Taxi vor dem Terminal hielt, spannte ich den Regenschirm auf, lud mein Gepäck aus, verstaute es auf einem Transportwagen und begab mich zum Einchecken. Ich wartete am Counter, bis ich an der Reihe war. Mein Hund kauerte zitternd vor Erregung zu meinen Füßen. Faida war Menschenansammlungen nicht gewöhnt.
Sie war mir ans Herz gewachsen. Ohne sie würde ich nie verreisen. Sie war eine „Podenca“, ein windhundähnlicher Laufhund, der auf den Kanaren bei der Jagd eingesetzt wird. Sie stammte aus einem Tierheim auf Teneriffa. Es ging zum ersten Mal in ihre alte Heimat zurück.
„Alles in Ordnung!“, beruhigte ich sie und gab ihr einen Schluck Wasser. Sie verstand nicht recht, warum sie in eine Transportkiste gezwängt wurde. Sie warf einen letzten Blick auf mich, dann hievte man die Kiste auf einen Wagen und schaffte sie fort. Faida tat mir leid, aber mir ging es nicht viel besser: Ich litt seit jeher unter Flugangst.
Während ich noch in der Warteschlange stand, studierte ich die Warnhinweise für das Handgepäck. Mein Gott, dachte ich, was kann nicht alles eine Waffe sein! Feuerzeuge waren gottlob erlaubt. Ich war Raucher. Ohne Anzünder fehlte mir etwas, auch wenn an Bord nicht geraucht werden durfte!
Als ich in meiner Handtasche nach meinen Papieren kramte, fiel mir ein Feuerzeug ins Auge. Ich wusste, dass ich es auf keinen Fall bei mir tragen sollte, denn der Besitzer war ein steckbrieflich gesuchter Mörder und es sollte dazu beitragen, ihn zu überführen. Ich konnte das Beweisstück deshalb keinesfalls an Ort und Stelle entsorgen.
All das hatte damit zu tun, dass ich in Dalborn ein altes Bauernhaus erworben hatte. Der heruntergekommene Bau machte einen gespenstischen Eindruck. Das würde sich rasch ändern, sagte ich mir, wenn ich ihn wieder in Schuss gebracht hätte. Ich hatte gehofft, in Dalborn Ruhe und Frieden zu finden, aber ich ahnte nicht, was sich dort an grauenhaften Dingen getan hatte! Zunächst wurde mein Nachbar Cord Drake tot aufgefunden. Am Ende fand man die im Kellerboden meines Hauses verscharrte Leiche des Mannes, der Drakes Hof erben sollte. Ich hatte alles noch vor Augen, als wäre es erst gestern passiert
Kommissar Dunkelmann sollte die Vorgänge aufklären. Er war ein skurriler Typ, nicht mehr der Jüngste und noch von der alten Schule. Von modernen Ermittlungsmethoden hielt er nicht allzu viel, aber er war erfahren. Er kannte seine „Pappenheimer“. „Es kommt immer auf den richtigen Riecher an!“, pflegte er zu sagen.
Dunkelmann fand schließlich heraus, dass es sich bei den Tätern um John Houseman, einen vermeintlichen Landprediger aus den Staaten, und seinen Komplizen Wolf Tötemeier, den Boss einer rechtsradikalen Bande, handelte. Houseman wollte sich das Erbe an Drakes Hof erschleichen, indem er den Erblasser und den Erben Philipp Drake von Tötemeier beseitigen ließ, sich der Papiere Philipp Drakes bemächtigte und sich anschließend fälschlich als Erbe ausgab.
Inzwischen stand die Sicherheitskontrolle an: Handgepäck aufs Rollband, Jacke ausziehen, Hosengürtel abnehmen, Taschen leeren, auf Kommando durch ein Tor mit Metalldetektoren schreiten, warten, ob es piepst, wenn ja, Abtasten des Körpers. Ich kannte das. Nicht meckern, schärfte ich mir ein. Das muss sein! Aber insgeheim fragte ich mich, warum ich mir die Strapazen einer Flugreise angetan hatte und ob es nicht besser gewesen wäre, mit dem Auto an die Ostsee zu fahren.
Ich war froh, als ich endlich meinen Platz an Bord eingenommen hatte. In der Kabine war alles blitzsauber, roch aber durchdringend nach Reinigungsmitteln. Aus den Lautsprechern ertönte die Durchsage des Kapitäns: „Willkommen an Bord auf unserem Flug nach Teneriffa!“
Er machte Angaben zur Flugnummer, zum Flugzeugtyp, zur Wetterlage und zur voraussichtlichen Flugzeit. Man spürte, dass die Durchsage eine lästige Routine war, und das Kratzen im Lautsprecher war störend, aber eine persönliche Ansprache macht sich immer gut! Auf den Mann ist Verlass, das merkt man schon an seiner Stimme, mochten die Passagiere denken. Aber als das Bordpersonal die Außentür verriegelt hatte und ich mich anschnallen musste, fühlte mich eingesperrt. Ab jetzt war ich auf Gedeih und Verderb allen Eventualitäten ausgeliefert!
Ich warf einen Blick auf meinen Sitznachbarn. Er schaltete ein elektronisches Gerät ein. War das reine Routine? Wollte er sich die neuesten Meldungen herunterladen oder eine Mail verschicken? Doch ebenso gut konnte in dem Gerät der Zünder für einen Sprengsatz versteckt sein! Das passiert nur auf großen, internationalen Flughäfen, aber hier doch nicht, versuchte ich mich zu beruhigen.
Wir rollten zur Startbahn: ruhiges Schaukeln, leise Musik aus den Deckenlautsprechern, Erläuterung der Sicherheitseinrichtungen, dann endlich Einschwenken auf die Startbahn, kurzer Halt bis zur Freigabe, Aufheulen der Turbinen, Bremsen los, Anlauf, gespanntes Warten auf das Abheben.
Ich schaute aus dem Fenster. Der Blick lohnte nicht! Alles war grau in grau und rasch hüllten uns die Wolken ein. Das gleichmäßige Geräusch der Triebwerke wirkte einschläfernd. Ich lehnte mich zurück und schloss die Augen. Bald darauf war es jedoch mit der Ruhe vorbei: Der Bordimbiss stand an. Es gab labbrige, in der Mikrowelle aufgewärmte Brötchen, wahlweise mit Käse oder Schinken. Ich hatte „Ente mit Rotkraut“ vorbestellt. Als mir die Flugbegleiterin das Tablett reichte, äugten die Sitznachbarn zu mir herüber: Da hat einer eine Extrawurst bekommen! Sie schienen verstohlen zu verfolgen, wie ich mich in dem engen Sitz mit dem Verspeisen abquälte.
Anschließend stand Unterhaltung per Bildschirm auf dem Programm. Wie üblich war es eine turbulente Beziehungsgeschichte made in Hollywood. Ich dachte an Hilde. Wenn solche Liebesschmonzetten über den Schirm flimmerten, fieberte sie immer mit. Dass es am Ende gut ausging, ließ sich schon im Vorfeld erahnen.
Das mit Hilde war ein Kapitel für sich. Ich hatte es nicht leicht mit ihr, aber ich musste ihr zugutehalten, was sie mit Siegfried Schnieders durchgemacht hatte. Ihre Ehe mit dem renommierten Fachanwalt für Erbrecht galt als „gute Partie“, doch ich hatte volles Verständnis dafür, dass sie nicht länger mit einem Menschen zusammenleben wollte, der nebenbei „eine andere hatte“ und zudem von der Staatsanwaltschaft verdächtigt wurde, mit Raubkunst zu handeln und verschwörerische Kontakte zu rechtsradikalen Kreisen zu unterhalten.
Ich mochte seine herrische Art nicht und noch weniger seine stramm-patriotische Gesinnung. Er faselte ständig von „nationaler Identität“ und „deutschem Wesen“ und forderte einen „neuen Kurs in der Deutschlandpolitik“. Hilde störte das weniger. Sie interessierte sich nicht sonderlich für Politik, machte sich allerdings Sorgen um ihren Sohn, der beim Vater geblieben war, und befürchtete, dass Schnieders einen schlechten Einfluss auf ihn ausübte.
Ich hatte gehofft, dass die Trennung von Schnieders ein Befreiungsschlag war, musste indes feststellen, dass auch Hilde ihre Tücken hatte. Sie war mit Leib und Seele Lehrerin. Sie ging völlig in ihrem Beruf auf. Disziplin war für sie das oberste Gebot. Das betraf auch mich: Sie bestimmte, wo es lang ging. Sie verplante unsere gemeinsame Zeit. Sie kontrollierte, wofür Geld ausgegeben wurde. Ein zweites Kind kam nicht infrage: „Beruf und zugleich Mutterschaft, das geht einfach nicht!“
Im Grunde war ich ihr Kind. Aber auch für mich blieb nie Zeit. Das galt auch für meine Bedürfnisse als Mann. „Männer sind immer nur auf das eine aus!“, bekam ich zu hören. „Ich bin doch keine Sexmaschine!“
Zwischen uns lagen Welten. Wir waren menschlich von einem anderen Schlag. Man hätte meinen können, dass wir nicht zueinander passten. Doch es gab durchaus Dinge, die uns innerlich verbanden. Ich schätzte, dass sie eine starke Frau war. Sie war intelligent, gebildet und selbstbewusst. Sie machte mir nie etwas vor. Wenn sie anderer Meinung war, rückte sie offen damit heraus. Ich war für sie einfach gestrickt, aber zuverlässig. Sie wusste, dass ich ihr nie in den Rücken fallen würde.
Ich nahm sie, wie sie war, aber ich war mir nicht sicher, ob sie mich wirklich liebte. Fand sie mich attraktiv? Was hatte ich ihr zu bieten? Ich hielt Nabelschau: Was hat mich zu dem gemacht, was ich bin? Ich stammte aus Dörentrup. Mein Vater war Fuhrunternehmer. Er war ein biederer und redlicher Mensch. Wenn er sein Tagewerk hinter sich gebracht hatte, war für ihn die Welt in Ordnung. Alles sollte so bleiben wie gewohnt. Dass er in der Familie den Ton angab, war selbstverständlich. Das galt auch für meine Taufe: Ich sollte Friedrich heißen wie er und damit basta!
Ich galt als ein braves und folgsames Kind, aber als ich in die Pubertät kam, gab es erstmals Probleme. Unter anderem stellte sich die Frage, wie bei den Menschen der Nachwuchs entsteht. Wie das bei Tieren abläuft, konnte ich bei den Pferden meines Vaters beobachten, aber bei den Menschen lief das vermeintlich ganz anders.
„Frag Vater!“, sagte meine Mutter, wenn es um Sex ging. Mein Vater beschränkte sich auf die Bemerkung, ich dürfe auf keinen Fall „irgendwelche Dummheiten machen“. Was das bedeuten sollte, war mir nicht klar.
In der Tanzschule lernte ich ein Mädchen kennen. Ich glaubte, ich hätte mich verliebt, aber es war beim Händchenhalten geblieben.
„So gehört sich das!“, lobte mein Vater und dann machte er mir klar, dass es vorerst um Wichtigeres ging. „Junge, lern“, schärfte er mir ein, „damit du es einmal zu etwas bringst!“
Ich war ein aufgewecktes Kerlchen, aber zum Helden war ich nicht geboren! Als mich mein Vater in den Keller schickte, um Bier zu holen, hatte mir das finstere Gemäuer einen großen Schrecken eingejagt. „Gut gemacht!“, hatte mein Vater gelobt, als ich die Bierflasche brachte. „So wird ein Mann aus dir!“
In der Schule machte ich vielversprechende Fortschritte, aber ein Abitur kam nicht infrage. Mein Vater sorgte dafür, dass ich bei der Lippischen Landes-Zeitung als Volontär unterkam. „Frag nicht viel!“, riet er mir. „Tu, was dein Chef dir sagt!“
Ich fand, dass ich es inzwischen zu etwas gebracht hatte. Mit Hilde konnte ich mich allerdings in keiner Weise messen. Für sie blieb ich der kleine „Zeitungsfritze!“ Bei Licht betrachtet, hatte sie durchaus Recht! Mein Job als Lokalreporter hatte es in sich: Mein Chef saß mir ständig im Nacken, ich war immer auf Tour, es waren immer die gleichen Geschichten. Das war auf Dauer eintönig! Zuweilen ging es auch um Einbrüche, Überfälle und Morde. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich auch über Mord und Totschlag in Dalborn berichten müsste!
Ich hatte mir Mühe gegeben. Ich war immer für Hilde da. Doch am Ende war der Faden gerissen. Sie brauchte angeblich eine „Auszeit“. Ich konnte es kaum fassen: Sie konnte mir im Grunde nichts vorwerfen. Ich hatte zumindest nie ein anderes Verhältnis.
Nach der Trennung von Hilde wollte ich in Dalborn einen Neuanfang wagen. In den heruntergekommenen Kotten wäre sie nie eingezogen! Im Grunde war ihr ganz Lippe ein Gräuel: „Das ist eine hinterwäldlerische Provinz, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen!“ Sie konnte nicht ahnen, dass es in Dalborn zu Mord und Totschlag kommen würde!
Faida war alles, was mir geblieben war. Wir brauchten uns gegenseitig. Ich sorgte dafür, dass sie es guthatte. Sie lenkte mich von meinen Sorgen ab. Ich fand, dass sie mich tausendmal besser verstand als Hilde. Ich brauchte ihr nur in die Augen zu blicken, um zu wissen, was los war. Zuweilen hatte ich nicht bemerkt, dass der Postbote vor der Haustür auf mich wartete, oder das Telefon überhört. Meist jedoch gab sie mir zu verstehen, dass ich vergessen hatte, ihr vor dem Einschlafen das heißersehnte Leckerchen zu reichen.
Mitunter schien sie mich warnen zu wollen. Ich gab in der Regel nicht viel darauf, denn ich wusste, dass sie ein ängstliches Wesen hatte. Das mochte daran liegen, dass ihr vormaliger Halter sie schlecht behandelt hatte. Wenn ich einen Stock oder einen Besen in die Hand nahm, stob sie verschreckt davon. Gewitter, Feuerwerkskörper, das Schleudern der Waschmaschine und selbst das Ploppen beim Öffnen einer Bierflasche konnten sie in helle Aufregung versetzen. Aber wenn es darauf ankam, konnte ich mich auf ihren Riecher verlassen. Waren das Urängste oder spürte sie besser als ich, wenn Gefahr drohte? Nachdem ihr vormaliges Herrchen sie ausgesetzt hatte, war sie völlig auf sich gestellt. Sie hatte nicht unter Wölfen gelebt, dennoch schien in ihren Adern Wolfsblut zu fließen und mir war, als hätte ich mich in einem Wolfsbau verkrochen und sie gehörte zu meinem Rudel.
Hilde mochte keine Tiere. Das galt auch für meinen Hund. Wenn er sich ihr näherte, wich sie angeekelt zurück, und wenn sich Faida eng an mich kuschelte oder schnuppernd um meine Beine strich und mich aus ihren Bernsteinaugen erwartungsvoll ansah, wurde Hilde sofort eifersüchtig.
„Die ideale Zweitfrau!“, stichelte sie. „Den Köter musst du nehmen!“, hieß es, als wir uns getrennt hatten. Inzwischen hatten wir uns leidlich wieder versöhnt, aber ich wusste nicht, ob das auf Dauer gutgehen würde.
Ich wollte den Kopf wieder freibekommen und in Teneriffa die Seele baumeln lassen. „Hören Sie zu Wiesekopsieker!“, meinte mein Chef. „Ruhen Sie sich zunächst mal aus, aber verbinden Sie das Angenehme mit dem Nützlichen!“
Und sogleich war ihm Passendes eingefallen. Er schlug eine neue Artikelserie unter der Rubrik „Unbekannte Winkel und Wanderrouten“ vor. Motto: „Sanfter Tourismus. Geheimtipps für Naturfreunde und Individualtouristen“. Das sollte die Leser zum Reisen animieren und zugleich das Anzeigengeschäft beleben. Die Anzeigen waren eine wichtige Einnahmequelle!
Ich kramte eine Landkarte aus meiner Tasche, auf der ich voraussichtliche Zielgebiete markiert hatte. Einige lagen in der Nähe meines Urlaubsortes, die interessantesten Ecken aber befanden weiter im Landesinneren. Man hatte mich gewarnt: Du musst dich auf lange Märsche in entlegene Regionen und riskante Klettertouren einstellen, du kannst dich leicht verlaufen und solltest immer eine Wasserflasche bei dir haben!
Mit Räubern und Dieben musste ich weniger rechnen. Die gingen eher in den Touristenzentren auf Beute. Wie das abläuft, ließ sich einem Schmöker entnehmen, dessen Handlung in dem Badeort Puerto de la Cruz spielte. Bislang hatte ich nur den Anfang überflogen, aber es zeichnete sich bereits im Vorfeld ab, dass es ein grauenhaftes Ende nehmen würde. Hoffentlich war das kein böses Omen! Mach dich nicht verrückt, sagte ich mir. Das sind Krimiphantasien!
Während ich noch meinen Gedanken nachhing, wurde ich vom Kabinenlautsprecher abrupt wieder in die Gegenwart katapultiert. Die Flugbegleiterin kündigte mit lieblich säuselnder Stimme an, dass man jetzt mit dem Bordshop anrückte. Die diversen Parfüms und Alkoholika lieferten einen Vorgeschmack auf die Wellnesszeit im Urlaub. Zugleich flimmerte über den Monitor an der Kabinendecke, was man auf Teneriffa alles erleben konnte: Relaxen, baden, durch die Stadt bummeln, schoppen, Ausflüge machen, alles unter dem Motto: „Ständig betreut, all inclusive!“
So kann man die wahre Schönheit der Insel nicht erleben, dachte ich. Was ist das eigentliche Teneriffa? Worin liegt, jenseits der Blumenpracht in den Hotelgärten, der Zauber der Inselflora? Wie sieht das Leben der Einheimischen aus? Was ist noch von der wechselvollen Geschichte der Insel zu spüren?
Ich hatte mich schlau gemacht: Ursprünglich wurde der Archipel von dem weithin unbekannten Urvolk der Guanchen bewohnt. Die spanischen Eroberer hatten gründlich mit ihnen aufgeräumt. Und auch nachfolgend gab es nur Hauen und Stechen, denn die Briten wollten den Spaniern die Insel wieder abluchsen. Als der Freibeuter Lord Nelson dort aufkreuzte, schoss ihm die Kanone „El Tigre“ den rechten Arm ab. Wer will, kann die Monsterwaffe in den Ausstellungsräumen an der Plaza de Espana in Santa Cruz bewundern.
Bis heute ist der Archipel Teil des spanischen Königreichs, was aber nichts daran ändert, dass die „Leute von der Peninsula“, wie man die Festlandsspanier nennt, unbeliebt sind. Das Trauma der Fremdherrschaft ist nicht überwunden. Man munkelt von Scharfmachern, die sich von Madrid lossagen wollen. „Godos fuera“, Spanier raus, pinseln sie auf die Hauswände.
Das Franco-Regime ist in besonders schlechter Erinnerung. Der Caudillo ist inzwischen Geschichte. Der König ist noch da, aber die Pesete ist abgeschafft. Man ist Teil der Europäischen Union. Die Grenzkontrollen entfallen. Die Touristen strömen in Scharen auf die Insel. Auch die Briten machen dort Urlaub, nur Gibraltar wollen sie nach wie vor nicht hergeben.
„Islas afortunadas“, Inseln der Glückseligen, nannte man vormals den Archipel. Aber so rosig sah es inzwischen nicht mehr aus: Der Tourismus florierte, das Baugewerbe boomte, doch das könnte zur „Blase“ werden. Dann drohten Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit. Der Klimawandel hinterließ erste Spuren: Im Winter fiel zu wenig Regen. Im Sommer wurden die Wasservorräte knapp. Infolge der anhaltenden Trockenheit gingen die Wälder in Flammen auf. Hurrikane knickten Strommasten um und verwüsteten die Plantagen. Monsterwellen brandeten gegen die Küste, rissen Teile der Klippen ins Meer und setzten ufernahe Ortschaften unter Wasser.
Schädlinge breiteten sich aus. Die „weiße Fliege“ fiel über die Palmen her. Die Zitruspflanzen litten unter der „Kräuselkrankheit“. Die Insel erstickte im Müll. Die Küstengewässer waren leergefischt und mancherorts verschmutzt. Vor den Küsten vermutete man Öl unter dem Meeresboden. Die Probebohrungen galten als eine Gefahr für die Meeresbewohner. Die Wale wurden von Schaulustigen an ihren Stammplätzen aufgestört und von den Signalen der U-Boote irritiert. In Marokko sollte ein Atomkraftwerk entstehen. Auf der Insel El Hierro plante die Nato eine Raketenabschussbasis. Das klingt nicht gerade aufmunternd, dachte ich, aber die Inselvulkane würden vermutlich nicht während meines Aufenthaltes ausbrechen und der nächste Hurrikan würde auf sich warten lassen.
Hilde brauchte ich nicht viel zu erzählen. Sie kannte sich auf der Insel bestens aus. Sie war mehrmals dort, vor allem im Frühjahr, wenn das Wetter daheim noch kühl und ungemütlich war. Sie hatte von der reinen Luft geschwärmt, von der Blütenpracht und nicht zuletzt von der urwüchsigen Landschaft. „Großartig!“, meinte sie, „wie zum Malen!“
Sie hatte historische Klöster und Kirchen besichtigt und sich in Museen umgesehen. Folkloristisches hatte es ihr besonders angetan. Sie war dabei, als die Einheimischen auf einer Fiesta traditionelle Lieder und Volkstänze zum Besten gaben. Sie war begeistert: „Das ist doch was ganz anderes als das blöde Gehampel in den Discos!“
Andererseits kamen ihr die Einheimischen „kulturlos“ vor: „Das sind arme Schlucker, sie sind ungebildet, sie sprechen kein korrektes Spanisch. Aber sie wollen den Anschluss nicht verpassen, was heißt, ein Auto muss her, eine schicke Wohnung und der neueste Fernseher, natürlich alles auf Kredit!“
Ihr Fotoalbum war angefüllt mit erinnerungswürdigen Schnappschüssen: Gruppenfotos vom Ausflug in die Berge oder ans Meer, in der Regel mit Bus und Reiseleitung, sowie Selfies vor beeindruckender Kulisse, mal auf einer hoch aufragenden Klippe, mal am Steilhang eines Barrancos, einmal sogar auf dem Rücken eines Esels und im schwankenden Sitz eines Kamels.
Einmal war sie während einer Wandertour mit Rucksack und zünftigem Wanderoutfit abgelichtet. Der ungewohnt lange Marsch war angeblich höllisch anstrengend. Ich wusste, dass sie körperliche Anstrengungen hasste. „Sport ist Mord!“ war ihre Devise. Selbst das Wort „Schwitzen“ war tabu. Hilde sprach stattdessen von „Perspirieren“. Sie hielt ständig den Deospray griffbereit.
Mittags hatte man in einem Landgasthof gespeist und abends beim Umtrunk in einer Bodega gesessen. „Alles war perfekt organisiert“, schwärmte sie. „Das bekommt man allein gar nicht zu sehen!“
Mich wunderte das, denn eigentlich hatte sie die Nase vom Massentourismus voll: „Wenn man in den wohlverdienten Urlaub fährt, will man nicht, dass dort Horden von Urlaubern herumlaufen!“
Gottlob hatte sie, wie immer, „nette Leute“ kennengelernt. Meist waren es deutsche Rentner, viele davon pensionierte Lehrer. Manche waren als Touristen gekommen. „Wir sind schon immer gern gereist“, hieß es, „aber so bezaubernd wie in Teneriffa war es nirgends!“ Andere waren für immer geblieben: „Die Rente ist auf der Insel das Doppelte wert und hinzukommt, dass alles viel billiger ist als daheim.“
Man hatte einen Café Solo am Strand getrunken und sich ausgetauscht. Die einen sprachen davon, wohin es im nächsten Jahr gehen sollte, die anderen davon, was man demnächst am Haus neu herrichten wollte. Zum Schluss versprach man, in Kontakt zu bleiben. Hilde vergaß nie, die Leute einzuladen: „Wenn Sie mal in meiner Gegend sind, schauen Sie doch mal bei mir rein!“
Für mehr Wirbel hatte ein junger Campesino gesorgt. Carlos sah angeblich „blendend“ aus. Ich kannte Hildes Vorliebe: Er war ein smarter Typ, großgewachsen, sportlich, markante Züge, drei-Tage-Bart, schwarze Lockenmähne und funkelnde Augen.
Sie gab sich neckisch: „Nicht, was du wieder denkst! Das war eine harmlose Urlaubsbekanntschaft!“
Ich ahnte nicht, unter welch fragwürdigen Umständen ich ihm begegnen würde, und schon gar nicht, dass das mit einem spektakulären Mordfall zu tun hatte, der an meinem Urlaubsort zurzeit für Aufsehen sorgte.
Ich hatte davon von Juan erfahren, dem Sohn des Bauern, auf dessen Finca ich mich einquartieren wollte. Juan hatte Faida aufgegriffen und in ein Tierheim gebracht. Juan wirkte auffällig betroffen. War seine Familie in den Mordfall verwickelt? Das darf doch wohl nicht wahr sein, dachte ich. Geht das schon wieder los? Bin ich vom Regen in die Traufe gekommen?
Es war, als kündigte sich auch an Bord Bedrohliches an. Ich spürte, dass das Flugzeug leicht erzitterte. Aus dem Lautsprecher ertönte die Anweisung, sich wieder anzuschnallen. Von einer anrückenden Schlechtwetterzone war aus dem Bordfenster nichts auszumachen, aber bekanntlich kommt es auch bei klarem Himmel gelegentlich zu Luftverwirbelungen. Die Stöße nahmen an Stärke zu. Als das Flugzeug wiederholt durchsackte, hatte ich ein beklemmendes Gefühl in der Magengegend und mir schien, dass mein Nebenmann den Atem anhielt. Dann endete der Spuk so schnell, wie er begonnen hatte.
Die Maschine ging in den Sinkflug über und näherte sich der Insel. Wir durchstießen soeben die über dem Meer lagernde Wolkendecke. An meinem Fenster rasten gespenstische Wolkenschwaden vorüber. Mein Gott, dachte ich, dass der Kapitän unter diesen Umständen Kurs halten kann, ist erstaunlich!
Als ich wieder freie Sicht hatte, wurden in der Ferne die Nordküste der Insel und die Umrisse des Teidegipfels sichtbar. Ich war froh, dass sich der Flug endlich seinem Ende zuneigte. Der Kapitän verabschiedete sich aus der Kanzel und gab die voraussichtliche Ankunftszeit und die aktuelle Wetterlage durch: „Um die zwanzig Grad, leichte Bewölkung, frischer Wind.“
Die Passagiere lehnten sich entspannt in den Sitz zurück. Dann kann das Relaxen bald losgehen, mochten sie denken. Die daheim sitzen noch im kalten Nieselregen!
„Bitte wieder anschnallen und alle elektronischen Geräte ausstellen!“, lautete die Anweisung aus dem Lautsprecher. Es herrschte gespannte Stille. Wir schienen rapide an Höhe zu verlieren. Was ist los?, dachte ich. Gibt es technische Probleme? Ich stellte mir vor, dass umgehend die Notanweisungen an die Passagiere erfolgten, doch dann hörte sich alles wieder normal an.
Der Boden kam zunehmend näher. Ich lauschte auf die Geräusche beim Ausfahren des Fahrwerks und der Landeklappen. Der Kapitän drosselte die Turbinen und richtete die Maschine vor dem Aufsetzen leicht auf. Sie schwebte für einen Augenblick nahezu lautlos auf die Piste zu. Als die Räder des Fahrwerks aufsetzten, spürte ich einen heftigen Stoß und als der Kapitän abrupt abbremste, wurde mein Körper ruckartig gegen den Bauchgurt gedrückt. Zugleich schaltete der Kapitän die Turbinen auf Umkehrschub. Sie machten einen höllischen Lärm. Alles in der Kabine begann zu vibrieren. Mein Sitznachbar wurde kreidebleich.
Noch immer rasten wir mit rasantem Tempo über die Landebahn, doch die Bremsen zeigten zunehmend Wirkung. Die Passagiere wirkten erleichtert. Manche klatschten anerkennend. „Wir bedanken uns, dass Sie mit uns geflogen sind, und wünschen Ihnen einen angenehmen Urlaub“, verabschiedete sich die Chefstewardess in säuselndem Ton.
Wir rollten über ein endloses Gewirr von Betonpisten, bis das Flugzeug an der Haltebucht zum Stehen kam. Die Passagiere schnallten umgehend die Gurte los und kramten eiligst das Handgepäck aus den Gefachen. Alle wollten möglichst schnell raus, aber das Andocken und das Öffnen der Kabinentüren nahmen eine geraume Zeit in Anspruch. Endlich wieder frische Luft in der Nase, dachte ich, als ich den Ausgang erreichte. Es roch allerdings allenthalben nach Kerosin und Abgasen!
In der Ankunftshalle wartete ich auf mein Gepäck. Ich richtete meine Blicke auf die Stelle, an der mein Koffer aus dem Untergeschoss nach oben befördert würde. Sie war ein ganzes Stück von meiner augenblicklichen Position entfernt. Dennoch fiel mir auf, dass einer seinen Koffer blitzartig vom Band zog, dann aber innehielt. Mir schien, dass er mich beobachtete. Als ich genauer hinschauen wollte, verschwand er in der Menge.
Du hast Hirngespinste, sagte ich mir. Warum sollte mich hier jemand beäugen? Der Mann hat vermutlich nach etwas anderem Ausschau gehalten. Dass man sich hier unsicher fühlt, liegt daran, dass man in einem solchen Menschengewimmel immer um seine Sicherheit besorgt ist.
Ich hatte den Eindruck, dass mich der Mann erkannt hatte. Aber wie sollte er das? Während der Anreise hatte ich niemanden ausgemacht, der mich kennen mochte.
Das könnte Kluckhan sein, dachte ich. Hatte ich ihn übersehen? Der Dalborner Landwirt war eine zwielichtige Erscheinung. Er war ein sogenannter „Reichsbürger“, für den das Dritte Reich nie aufgehört hatte zu existieren. Er hatte sich wiederholt den Anordnungen der Behörden widersetzt und war ständig auf der Suche nach Relikten aus der Nazizeit. Er war überzeugt, dass die Wehrmacht auf den Kanaren militärische Anlagen errichtet und gegen Kriegende die neuesten Superwaffen sowie Devisen- und Goldreserven aus dem Bestand der Reichsbank eingelagert hatte. Er hatte sich bereits auf Fuerteventura umgesehen, aber nur Reste von deutschen Uniformen entdecken können. Doch als man dort jüngst einen Film drehte und am Strand eine Fliegerbombe der Alliierten fand, flammten die Spekulationen erneut auf.
Vielleicht will Kluckhan jetzt auf Teneriffa auf Suche gehen, dachte ich. Mit mir hat das nichts zu tun! Aber warum ist er zur gleichen Zeit wie ich unterwegs und wie hat er von meiner Reise erfahren?
Doch dann schoss mir durch den Kopf, dass der Unbekannte Houseman sein könnte. Hatte er sich auf meine Fersen gesetzt, um das Feuerzeug wieder in seine Hand zu bekommen? Das wäre reichlich spekulativ, sagte ich mir. Er wurde steckbrieflich gesucht und hätte sich kaum dem Risiko ausgesetzt, bei der Passkontrolle erwischt zu werden!
Ich kam nicht dazu, mir einen Reim auf die Sache zu machen, aber ich nahm mir fest vor, das Feuerzeug in meinem Urlaubsquartier an einem sicheren Ort zu verstecken. Dass ich das unterließ, sollte böse Folgen haben!
„Gut angekommen! Halte dich auf dem Laufenden“, ließ ich Hilde wissen.
„Beneidenswert!“, funkte sie zurück. „Ich wünschte, ich hätte es auch so gut!“
„Du hast gut reden!“, sagte ich. „Es sieht so aus, als hätte mich jemand ausspioniert.“
„Ich verstehe, dass du den Eindruck hast, dass man hinter dir her ist“, meinte sie lapidar. „Mich würde nicht wundern, wenn das Houseman wäre! Er hat mit dir vermutlich noch ein Hühnchen zu rupfen. Hoffentlich sind das nur Hirngespinste! Das kommt davon, dass du zu viel Krimis liest! Wie auch immer, pass gut auf dich auf und lass dich nicht wieder in etwas hineinziehen!“
Die Leiche im Barranco
Am Flughafen erwartete mich Juan. Er wollte mich zu der elterlichen Finca bringen. Faida schien ihn wiederzuerkennen und wedelte freudig mit der Rute. Wir machten uns auf den Weg zum Parkplatz, wo Juan den Wagen seines Vaters geparkt hatte. Der klapprige Landrover kam mir nicht gerade vertrauenerweckend vor, für Faida jedoch war er genau das Richtige. Die Taxifahrer machten immer einen Aufstand, wenn ich einen Hund bei mir hatte!