Kitabı oku: «Rückkehr zu Gott», sayfa 6
An der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert trat nun das Ideal von der freiwilligen christlichen Armut und von der apostolischen Nachfolge gleichzeitig in sehr unterschiedlichen Kreisen hervor und bestimmte die Entwicklung der religiösen Bewegungen: in den meist antikirchlichen, von der Kirche deshalb als ketzerisch verurteilten Bewegungen, und in kirchlich gesinnten Wanderpredigern36, denen sich zahlreiche Frauen und Männer anschlossen. Aus diesen Gruppen der Wanderprediger gingen sodann neue Orden und Klöster hervor.37
1 Für unsere Ausführungen besonders wichtig: Grundmann 1976, Bd. 1; Ders. 1977; Bünz u.a. 2007; Angenendt 2005, vor allem 44 – 68; Dinzelbacher 1988; 2003a; 2003b; Borst 1988; Ders. 2004. Wir werden in diesem ersten Teil meistens aus Grundmann 1977 zitieren. Die Ausgabe von 1977 ist ein photomechanischer Nachdruck der Erstausgabe von 1935, dem 1961 sowie 1977 Anhänge mit neueren Erkenntnissen zugefügt wurden. Außerdem fällt auf, dass selbst neuere, in dieser Arbeit aufgeführte kirchengeschichtliche Publikationen immer wieder auf Grundmann verweisen. Meines Erachtens gibt es bis heute kein Werk, das sich so ausführlich und in einem Zusammenhang mit den religiösen Bewegungen des Mittelalters auseinandersetzt und dabei auf eine so große Menge von zeitgenössischen Quellen zurückgreift. In einzelnen Themen, wie z.B. bei der Darstellung der Beginen und der Freien Geister, müssen jedoch neue Forschungserkenntisse berücksichtigt werden. Eine neuere Publikation über die religiösen Bewegungen, Bünz 2007, behandelt, da sie als Festschrift konzipiert ist, einzelne Themen.
2 Dazu: Wollasch 2007; Angenendt 2005, 55f.; Kempf 1999, 365-375. 401-461; Hauschild I 1995, 298 – 304. 425 – 433; Morrison 1993, 195 – 210.
3 Grundmann 1977, 13.
4 Zu Cluny: Siehe Wollasch 2007.
5 Vgl. Angenendt 2005, 55f.; Kempf 1999, 368-371. Von Gorze ging, seit 933, ausschließlich eine geistliche Erneuerung aus. Gorze blieb, im Gegensatz zu Cluny ein Eigenkloster und stellte das Eigenklosterwesen auch nicht in Frage. Allerdings hatte es Gorze im deutschen Sprachraum mit einem erträglicheren Eigenkirchenwesen zu tun als Cluny in Frankreich; dort waren es zum Teil die Adligen und Fürsten selbst, die ein Reformkloster förderten bzw. gründeten.
6 Zum Folgenden: Vgl. Kempf 1999, 371-375; Leclercq 1993, 149ff.; Wollasch 2007.
7 Vgl. Angenendt 2005, 333f.
8 Wollasch 2007, 37-42; Quellen: Odonis abbatis Cluniacensis vita s. Geraldi, in: Bibliotheca Cluniacensis, hg. Von M. Marrier – A. Duchesne, Paris 1614, Neudruck Mâcon 1915.
9 Vgl. Kempf 1999, 404 – 411.
10 Morrison 1993, 195. Vgl. Borst 2007, 177. 212.
11 Morrison 1993, 195.
12 Vgl. Kempf 1999, 392.
13 Vgl. Angenendt 2005, 45f.
14 Vgl. Angenendt 2005, 46. 457, mit weiteren Verweisen); Kempf 1999, 390f.
15 Grundmann 1977, 13.
16 Grundmann 1977, 13.
17 Vgl. Angenendt 2005, 457ff.; Grundmann 1977, 13.
18 Gregor VII., Epistulae 139; zit. n. Grundmann 1977, 13. Vgl. Angenendt 2005, 458.
19 Kempf 1999, 423.
20 Vgl. Angenendt 2005, 324f.; Kempf 1999, 424.
21 Vgl. Kempf 1999, 424.
22 Kempf 1999, 424. - Aus diesem Denken resultieren zahlreiche Konflikte zwischen Kaiser und Papst, zunächst zwischen Gregor VII. und Kaiser Heinrich IV. selbst, der zum berühmten Gang des Kaisers nach Canossa führte (1077), nachdem der Papst diesen exkommuniziert hatte. Zur Zeit Taulers führte der Konflikt zwischen Papsttum und Kaiser Ludwig der Bayer dazu, dass Tauler Straßburg verlassen und einige Jahre im Baseler Exil verbringen musste, da die Stadtregierung Straßburgs auf der Seite des exkommunizierten Kaisers stand.
23 Vgl. Angenendt 2005, 54
24 Vgl. McGinn 1996, 237
25 Grundmann 1977, 508. Vgl. Angenendt 2005, 54f.
26 Vgl. Borst 2007, 212; Angenendt 2005, 458. 460
27 Vgl. Borst 2007, 25
28 McGinn 1996, 237. Vgl. Erdmann 1965.
29 Vgl. Angenendt 2005, 55.
30 Vgl. Grundmann 1977, 505.
31 McGinn 1996, 233.
32 McGinn 1996, 234.
33 Grundmann 1977, 14.
34 Vgl. Grundmann 1977, 15: „Die monastische Reformbewegung hat zwar bei ihrer Erneuerung des benediktinischen Mönchtums auch den Verzicht auf Privateigentum in aller Strenge gefordert, keineswegs aber sich zu einem ‚Armutsideal‘ und zum Eigentumsverzicht der Klostergemeinschaft bekannt, sondern im Gegenteil nach machtvollem Reichtum der Klöster gestrebt.“
35 Grundmann 1977, 15.
36 Norbert von Xanten (1082 – 1134), begann als Wanderprediger. Zur gleichen Zeit wanderte auch Robert von Arbrissel (+1177) predigend durch Frankreich und sammelte zahlreiche Anhänger um sich, die sich die „Armen Christi“ nannten.
37 Norbert gründete zunächst ein Doppelkloster für Frauen und Männer (Prämonstratenser). Auch Robert gründete ein Kloster für die „Armen Christi“, das sich allerdings nach seinem Tod wieder auflöste.
Zweites Kapitel
Neue Mönchsorden
Bei der Umsetzung der gregorianischen Reform nahm die monastische Lebensform eine bedeutende Rolle ein.38 Diese beeinflusste die neuen religiösen Bewegungen maßgeblich. Denn die Anhänger der gregorianischen Reform, vielfach selbst Mönche, schöpften ihre Vorstellungen
„aus ihrem monastischen Ethos und aus der Übertragung der monastischen Lebensformen – z.B. des Zölibats – auf den gesamten Klerus. Ihr Eintreten für das Mönchtum förderte die Frömmigkeit und die Lebensweisen, die der affektiven Vereinigung dienten. Der stetige Austausch zwischen dem Mönchtum und den Laien brachte eine Umgestaltung der Laienfrömmigkeit mit sich.“39
Die Kraft der gregorianischen Reform zur Umgestaltung der Kirche und des geistlichen Lebens im 11. und 12. Jahrhundert kam aus den drei monastischen Grundformen:
„Die koinobitische (Gemeinschaften mit gemeinsamer Lebensführung nach dem Vorbild der benediktinischen Klöster), die eremitische (Gemeinschaften, die ein Leben der Einsamkeit führten), und die Kollegiate (Gemeinschaften, die das gemeinsame Leben in einer halbkoinobitischen Weise lebten nach dem Beispiel der Regularkanoniker).“40
Die monastische Lebensform bot eine Praxis an, das eigene religiöse Leben zu vertiefen:
„Zahllose Einzelübungen verbanden sich mit körperlichen und geistigen Strengheiten: Verleugnung des Eigenwillens unter den Regeln des Gehorsams, den täglichen und jährlichen Zyklus der Liturgie, besondere Andachten (z.B. zur seligsten Jungfrau Maria), Gebet und Schriftmeditation.“41
Besonders wichtig war das Ziel dieses tiefen geistlichen Lebens: „Solche Übungen sollten ... vor allem das Gefühl erwecken, an der Armut und dem Leiden Christi teilzunehmen.“42 Angeregt von diesem Ideal, das sie in der Urkirche verwirklicht sahen, wie es im 4. Kapitel der Apostelgeschichte beschrieben wird43, gaben viele Kleriker und Laien ihren persönlichen Besitz auf, bildeten Gemeinschaften oder zogen als Wanderprediger umher, um in apostolischer Armut das Evangelium zu verkünden. Die „reformierten“ Priester und Ordensleute wurden nun
„die Seelenführer der Laien, Männer und Frauen; in Fragen der Moral gaben sie ihnen Rat, verfassten Texte, um ihnen in ihrem Gebetsleben zu helfen, und waren ihre Lehrer für ein vertieftes Andachtsleben.“44
Auf diese Weise suchten Laien und Kleriker, Priester und Mönche nach gemeinsamen Wegen, wie man dem Ideal des Evangeliums entsprechen könne, um „zur ursprünglichen ecclesia apostolica et evangelica“45 zurückzukehren.46 Wir werden sehen, dass die Wege zum Ziel sehr unterschiedlich verlaufen.
Zunächst aber wollen wir bei den Mönchsorden bleiben. Obwohl die traditionellen Orden in gutem Ruf standen47, genügte es vielen Menschen nicht mehr,
„dass der einzelne Mönch zwar nichts besitzen, die Klostergemeinschaft dagegen über große Einkünfte verfügen dürfe. Für sie bedeutete Armut den möglichst vollständigen Verzicht auf irdische Sicherungen.“48
Deshalb zogen sich manche Anhänger dieser neuen Armutsbewegung in abgelegene Gegenden zurück, um allein oder mit Gefährten ganz für Gott frei zu sein. Den notwendigen Lebensunterhalt erwarben sie sich durch Handarbeit, indem sie je nach Bedarf Ackerbau betrieben. Diese Eremiten – obwohl zurückgezogen lebend – standen dennoch im regen Kontakt zu den Laien:
„Gerade die Eremiten und die zönobitischen Vertreter strenger Askese standen in einem viel engeren Kontakt mit breiten Massen des Volkes als die Klosterkonvente älterer Ordnung. Sprachen doch ihre Ideale in steigendem Maße die in gärende Unruhe geratenden Laien an.“49
Aus diesem Grund kann man die Eremiten-Bewegung als wichtigen Impulsgeber für die Wanderpredigt sowie als Vorläufer für die aus der Wanderpredigt ausgehenden Neugründungen, u.a. die Prämonstratenser, ansehen.50
I. Kartäuser und Zisterzienser
Aus der Eremitenbewegung gingen zwei für das Mittelalter und für die religiösen Bewegungen bedeutsame Orden hervor51: die Kartäuser und die für die religiösen Bewegungen wichtigeren Zisterzienser.
Die Kartäuser, La Grande Chartreuse, gehen auf das Wirken des aus Köln stammenden Weltpriesters Bruno (+ 1101) zurück, „der um 1056 an der Reimser Domschule die Leitung der philosophisch-theologischen Studien übernommen hatte, zu Erzbischof Manasses von Reims sowie zu dessen Nachfolger in Gegensatz geraten und dadurch in seinem Wunsch, die Welt zu verlassen, bestärkt worden war. Für kurze Zeit verweilte er in Molesme bei Abt Robert [der Gründer des Zisterzienserordens], ging dann mit Gefährten in die Einöde von Lêche-Fontaine, verließ sie jedoch bald, von sechs Freunden begleitet, und begann um 1084 im Talgrund von Chartreuse von neuem als Eremit zu leben. Eine Ordensgründung oder dergleichen war nicht beabsichtigt; die Gemeinschaft hätte sich sogar fast aufgelöst, als Bruno 1090 dem Ruf Urbans II., seines früheren Schülers, folgen und nach Rom ziehen musste. Bereits im Jahr darauf gestattete ihm der Papst, in Süditalien wiederum den Eremus aufzusuchen. Er errichtet im Waldgebiet von La Torre (Bistum Squillace) die Einsiedelei S. Maria dell´Eremo, der er 1097/99 für kränkliche Gefährten die zönobitisch ausgerichtete Filiale S. Stefano in Bosco angliederte. Dass sich die Spur seines Erdenwirkens nicht verlor (er starb 1101), ist weniger den Eremiten von La Torre als jenen von Chartreuse zuzuschreiben, besonders dem bedeutenden Prior Guigo de Chastel (+ 1137), der 1128 die von Bruno gegründete und wohl weiterentwickelte Lebensweise durch eine Regel [„consuetudines“] festlegte. Was den langsam und in bescheidenem Umfang sich ausbreitenden Kartäuserorden auszeichnete, waren die eigenartige Verbindung von anachoretischer und zönobitischer Form, eine äußerste, aber mit gesundem Sinn für das Tragbare gepaarte Strenge und endlich eine zweckentsprechende Organisation, bei der die beiden Errungenschaften jener Zeit: das Institut der Laienbrüder und die Ordensverfassung der Zisterzienser, verwendet worden sind. Hier hat der Geist, von dem die Armutsbewegung des 11. Jh. beseelt war, einen zwar partikulären, aber so gültigen Ausdruck gefunden, dass er in seiner ursprünglichen Strenge ohne wesentliche Milderung bis zum heutigen Tag den Kartäusern verblieb und, einmaliges Faktum in der Ordensgeschichte, niemals eine Reform erforderte.“52
Die Zisterzienser gehen aus der Suche nach einem vollkommenen christlichen Leben hervor: 1098 gründete der Benediktinerabt Robert von Molesme (*1028 +1111) in der Einöde von Cîteaux bei Dijon (Burgund) ein neues Reformkloster. Dort sollte die Benedictus-Regel ihrer ursprünglichen Strenge gelebt werden. Bereits 1099 musste Robert jedoch, auf Veranlassung des päpstlichen Legaten, in sein Kloster nach Molesme zurückkehren. Seine Gefährten setzten sein Werk fort: Abt Alberich (1099 – 1109) ersetzte das schwarze Benediktinergewand durch ein weißes oder graues. Der dritte Abt, der gebürtige Engländer Stephan Harding (1109 – 1133) verfasste 1119 die Ordensstatuten, die „Carta caritatis“. In ihr wurde strengste Armut gefordert; im Gotteshaus sollte größte Einfachheit herrschen, keine steinernen Türme, keinerlei Schmuck und Prunk im Innern. Darüber hinaus wurde die Bedeutung der Handarbeit betont. Im Gegensatz zu den reicheren Abteien der Benediktiner oder Cluniacenser verzichteten die Zisterzienser auf den Besitz von Eigenkirchen und auf die Verpachtung von Grund und Boden zwecks Zins- und Rentenwirtschaft. Vielmehr nutzten sie den Grundbesitz mit Hilfe von „Conversen“, d.h. von einfachen Laienbrüdern, um sich wirtschaftlich selbst versorgen zu können. Dadurch wurden jedoch die Laienbrüder von den Chorbrüdern deutlicher geschieden.53
Zu einer neuen Blüte des Ordens führte dann das Wirken des hl. Bernhard von Clairvaux (*1090 +1153). Bernhard gilt als der zweite Gründer des Ordens. Als er 1112 in den Orden eintrat, brachte er gleich 30 gleichgesinnte Adlige mit. Bernhard und seine Gefährten prägten fortan das geistliche Leben des Ordens. Bereits in den folgenden Jahren wurden vier neue Niederlassungen gegründet, La Ferté, Ponitigny, Clairvaux und Morimond. Bernhard selbst wurde 1115 Abt von Clairvaux und leitete dieses Kloster bis zu seinem Tode 1153. Bereits 1174 sprach ihn Papst Alexander III. heilig.
Dem Wirken des hl. Bernhard ist es zu verdanken, dass der Zisterzienserorden im 12. Jahrhundert der angesehenste Orden der Christenheit wurde. Allein von Clairvaux aus gingen nach Bernhards Tod noch weitere 68 Neugründungen aus. Bis 1300 stieg die Zahl der Männerklöster von 300 auf 700. Diesen schlossen sich im 12. Jahrhundert auch immer mehr Frauen an. Auch zahlreiche Benediktinerinnenklöster suchten Anschluss an den neuen Orden. So entstanden sehr schnell mehr als 1000 neue Zisterzienserinnenklöster. Viele dieser Klöster, deren Zahl höher war als die der Männer, lebten zwar nach der Regel von Citeaux, gehörten aber rechtlich nicht zum Orden.54 Diese hohe Zahl aber wurde zu einem erheblichen Organisationsproblem für die Männerklöster, die für die Seelsorge der Frauenklöster (Cura monialum) zuständig waren. Genauso problematisch war auch die wirtschaftliche Existenzfähigkeit dieser Frauenkonvente. Deshalb versuchten die Zisterzienser und nach ihnen die Prämonstratenser erfolgreich, die Dominikaner und Franziskaner dagegen vergeblich55, sich der Frauenseelsorge zu entledigen.56
II. Die Bedeutung der Zisterzienser für das geistliche Leben
Der neue Orden prägte die Mystik des 12. Jahrhunderts maßgeblich.57 Die „signifikanten Neuerungen“58 begünstigten den Erfolg der Zisterzienser und beeinflussten indirekt auch das geistlich-spirituelle Leben des 12. Jahrhunderts59: Durch die „Carta caritatis“, die Ordensverfassung, wurden alle Klöster hierarchisch miteinander verbunden, im Gegensatz zu den Reformklöstern von Cluny, die nur einen losen Verband bildeten. Auch die Äbte der zisterziensischen Klöster trafen sich regelmäßig einmal im Jahr zu einem Generalkapitel in Citeaux, was ebenso den Zusammenhalt förderte.
Der Förderung einer Laienspiritualität dienlich war der Umstand, dass die Zisterzienser für die Handarbeit und Landwirtschaft statt Leibeigene, wie die übrigen Benediktinerklöster, sog. „Conversen“, d.h. bekehrte Laienmönche aufnahmen. Diese Laienmönche, die aus den armen unteren Schichten der Gesellschaft stammten, waren nicht für den Chordienst vorgesehen, konnten aber dennoch ein spirituelles Leben führen. Darüber hinaus schaffte der neue Orden das Institut der Oblaten ab: Ebenfalls im Gegensatz zu den Benediktinern lehnte der Zisterzienserorden es ab, bereits Kinder, die von ihren Familien zum Ordensleben ausersehen wurden, im Kloster aufzunehmen. Diese veränderte „Personalstruktur“, die Anwesenheit von Menschen, die an einem vertieft geistlichem Leben in Armut und Abgeschiedenheit interessiert waren, wirkte sich auf die monastischen Lehren und auf die Predigt aus.60 Menschen, die ein spirituelles Leben im Kloster führen wollten, benötigten die entsprechend kompetente Begleitung und Ansprache.
Bernhard von Clairvaux (1090 - 1153) kam den Ansprüchen und dem religiösen Sehnen seiner Zeit entgegen. Seine Spiritualität wirkte inspirierend auf die Frauenmystik.
„Bernhard ist die alles überragende Gestalt der Mystik im zwölften Jahrhundert. ... Unter den lateinischen Autoren des Mittelalters findet sich keiner, der Bernhard übertrifft.“61
Der Eintritt Bernhards in den Zisterzienserorden markiert deshalb einen Wendepunkt in der Geschichte der Zisterzienser. Mit Bernhard begann die Blüte des Ordens. Sein Wirken beeinflusste den Verlauf der europäischen Geschichte62 und die geistige Entwicklung des Abendlandes.63
III. Die Spiritualität des heiligen Bernhard von Clairvaux
Bernhards Spiritualität ist eine „Liebes- und Brautmystik“. Sie war „so bestürzend neu“64 und beeinflusste das religiöse Leben von Mönchen wie auch Laien maßgeblich.65 Vor allem sprach Bernhard die Frauen an, deren Seelen sich mit Christus vereinigen wollten, wie die Braut mit dem Bräutigam.66 Von dorther ist es nicht verwunderlich, dass die nach Religiosität strebenden Frauen die Nähe zu den Zisterziensern suchten.67
1. Bernhards Predigten über das „Hohelied“
Bernhard sah sich zuallererst als Prediger. Er benutzte die Predigt, um seine Theologie zu lehren. Genauso dachten auch Meister Eckhart und Tauler.68 Bernhards wichtigstes Hauptwerk für das neue religiöse Leben im Mittelalter sind seine Predigten über das „Hohelied“.69 Diese 86 Predigten70 haben, wie Ruh betont, die „aszetisch-mystische Literatur seines Jahrhunderts und der folgenden Jahre, sehr früh auch das volkssprachliche Schrifttum befruchtet und genährt.“71
„In seiner Auslegung des alttestamentlichen Liebesliedes bricht der Abt mit der traditionellen frühmittelalterlichen Deutung der Braut als Personifikation der Kirche.“72
Stattdessen identifiziert er die Braut mit der Seele des Menschen. Die Geschichte Gottes mit den Menschen ist damit nicht mehr nur die Geschichte der Kirche, sondern sie verlagert sich „in den Bereich der seelischen Erfahrung des Einzelnen.“73
„Hört nun, was wir gestern aufgeschoben haben, hört von der großen Freude, die ich erfahren habe. Sie soll nun auch die eure sein: hört also voll Freude! Bei einem Wort der Braut habe ich sie empfunden. Ich habe sie gleichsam eingeatmet und verborgen, um sie heute desto artiger vorzutragen, je besser die Zeit gewählt ist. Die Braut sprach und sagte, der Bräutigam neige sich ihr zu. Wer ist die Braut, und wer ist der Bräutigam? Es ist unser Gott, sie dagegen, wenn ich es auszusprechen wage, sind wir.“74
Die Seele des einzelnen Menschen dürstet nach Gott. Die Seele, die Braut Christi, spricht: „ ‚Er küsse mich mit dem Kuss seines Mundes‘ (Hld 1,1).“75 Wer aber den Kuss eines Geliebten begehrt, der liebt:
„Wer Sklave ist, fürchtet sich vor dem Antlitz des Herrn, der Tagelöhner hofft auf die Hand des Herrn, der Jünger macht sein Ohr dem Meister bereit, der Sohn ehrt den Vater; die aber einen Kuss begehrt, liebt.“76
Wer ist es, der liebt? Wer ist diese Braut? „Die Seele, die nach Gott dürstet.“77 Wie aber kann die Seele den Kuss des Geliebten, seine Liebe, erlangen? Der Vers Hld 1,7 gibt die Antwort:
„ ‘Wenn du dich nicht kennst, du Schöne unter den Frauen, so geh hinaus und folge den Spuren der Herden deiner Gefährten und weide deine Böcklein neben den Hütten der Hirten.‘ “ 78
Diese Aufforderung enthält einen Tadel:
„So widerfährt es jetzt auch der Braut: Weil sie etwas Großes zu verlangen scheint, wird sie durch eine gewiss strenge, aber heilsame und ehrliche Antwort zurückgewiesen. Wer nämlich nach Höherem strebt, muss von sich niedrig denken, damit er nicht von seiner Höhe stürzt, wenn er sich über sich selbst erhebt, es sei denn, er wäre durch wahre Demut unerschütterlich in sich gefestigt.“79
Zu wahrer Demut gelangt die Braut durch Selbsterkenntnis:
„Ihr erinnert euch also, dass ich eure Zustimmung für meine Meinung besitze, niemand könne ohne Selbsterkenntnis gerettet werden. Aus dieser entspringt ja die Demut, die Mutter des Heiles, und die Gottesfurcht, die selbst der Anfang der Weisheit und ebenso des Heiles ist. ... Du sollst daher dich erkennen, um Gott zu fürchten; und du sollst ihn erkennen, um ihn in gleicher Weise zu lieben.“80
Die Braut wird im Hohenlied (1,4) als „schwarz aber schön“ beschrieben. Die dunkle, schwarze Hautfarbe bezeichnet nach Bernhard den Pilgerweg der Braut, den Weg der Nachfolge; die Schönheit die gottfarbene Ebenbildlichkeit.
„ ‚Schwarz bin ich doch schön‘. Liegt nicht in diesen Worten ein Widerspruch? Fern sei der Gedanke. ... Ohne Zahl jedoch sind die Dinge, bei denen du finden wirst, dass sie an der Oberfläche zwar entstellt, hinsichtlich der ganzen Gestalt aber von edler Schönheit sind. Vielleicht kann auf diese Weise die Braut gerade in Verbindung mit der Schönheit der ganzen Gestalt nicht des Makels der Schwärze entbehren: Das gilt aber für den Ort ihrer Pilgerschaft (Ps 118,54). Anders wird es sein, wenn der Bräutigam der Herrlichkeit sie in der Heimat vor sich erscheinen lassen wird, herrlich, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler (Eph. 5,27). ... Höre aber, weshalb sie schwarz und weshalb sie sich schön nannte. ... Sie schämt sich nicht ihrer Schwärze, denn sie weiß, dass diese zuvor auch der Bräutigam gekannt hat. Und gibt es einen größeren Ruhm, als ihm ähnlich zu werden? So glaubt sie, dass es für sie nichts Ruhmvolleres gibt, als die Schmach Christi zu tragen ... Es ist Schwärze, aber die Schönheit und Ähnlichkeit des Herrn.“81
Die Schönheit der Braut wird von Bernhard sodann mit den Tugenden verglichen, welche die Ebenbildlichkeit des Bräutigams spiegeln. Doch ist diese Schönheit nach Bernhard geistiger Art82, sie entspricht dem Schmuck des Brautkleides:
„Ihre Schönheit beispielsweise ist die Liebe ... . Sicher ist es auch Gerechtigkeit ... . Es ist auch Geduld ... . Wie ist es mit der freiwilligen Armut, wie mit der Demut? Verdient nicht die eine das ewige Reich, die andere in gleicher Weise ewige Erhöhung? Auch die heilige Furcht des Herrn gehört hierher, denn sie währt in alle Ewigkeit. So ist es mit der Klugheit, so mit der Mäßigung, so mit der Tapferkeit, und wenn es sonst noch andere Tugenden gibt: Was sind sie anderes als Perlen im Kleid der Braut, funkelnd in dauerndem Glanz? Dauernd, sage ich, denn sie sind die Stätte und das Fundament der Dauer. In der Seele kann ja nur dann ein Platz für dauerndes und glückseliges Leben sein, wenn in ihrem Innersten die Tugenden eingepflanzt sind.“83
Die Tugenden, die in der Nachfolge Christi gelebt werden, sind die Voraussetzung für die Vermählung mit Christus.
Bernhard vergleicht die Liebesgeschichte zwischen der Seele des Menschen und Christus immer wieder mit Formen der Geschlechterliebe, gleichsam Vorstufen für die Vereinigung von Braut und Bräutigam: „Es ist die Liebestrunkenheit, die Liebeskrankheit und der Liebesschlaf.“84 Die Trunkenheit beschreibt den Zustand der nach dem Bräutigam schmachtenden Seele, das Verlangen nach dem Kuss des Geliebten.85 Wie der Liebesrausch, die Trunkenheit die Anwesenheit des Geliebten zum Ausdruck bringt, so führt die Abwesenheit des Bräutigams zur Liebeskrankheit:
„Als sich der Bräutigam nach all dem seiner Gewohnheit folgend zurückzieht, sagt sie, sie sei durch Liebe krank, das heißt vor Liebe. Je beglückender sie seine Anwesenheit erfahren hat, desto bedrückender empfindet sie nachher seine Abwesenheit.“86
Der Liebesschlaf ist schließlich die Vollendung der Vermählung von Braut und Bräutigam, von Seele und Christus:
„Doch ist dieser Schlaf der Braut auch kein angenehmes Entschlummern des Leibes, das die Sinne des Leibes für eine Zeitlang sanft betäubt, noch das erschreckende Einschlafen, das gewöhnlich das Leben vollständig wegnimmt. Noch mehr unterscheidet es sich von jenem Entschlafen im Tod, wenn einer in einer Sünde, die zum Tod führt (1 Joh 5,17), unwiderruflich verharrt. Vielmehr erleuchtet dieser lebendige und wache Schlummer dagegen den inneren Sinn und verleiht durch die Vertreibung des Todes das ewige Leben. Er ist nämlich ein wahrer Schlaf, der dennoch den Sinn nicht betäubt, sondern entrückt.“87
Der „Liebesschlaf“ ist weder mit dem Tod noch mit einer Art von Betäubung zu vergleichen, sondern er entspricht im Gegenteil einer größeren Wachsamkeit und Aufmerksamkeit der Sinne. Es ist ein wachsames Ruhen im göttlichen Frieden.