Kitabı oku: «Drei Brüder», sayfa 8

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»Warum Marc?«, fragt Thomas kurz.

»Weiß nicht. Jetzt lassen wir das erst einmal sacken, das war verdammt eng«, und an die Hubschrauberbesatzung gewandt, die nicht ohne das Team wegfliegen wollte und schlichtweg seinen Befehl ignoriert hatte: »Danke, Walter, danke, Henry.«

Die beiden Piloten nicken nur. Sie mögen sich nicht umschauen. Sie denken an Fritz und Willi, an die Ehefrauen, die kleinen Kinder, die gerade den Vater verloren haben. An all die Fragen.

Wofür?

Warum?

Entsetzen und Schock über das Erlebte sitzen tief. Die Panzerfaust hätte genauso gut bei ihnen einschlagen können. Sie haben einfach nur Glück gehabt. Verdammtes Glück!

Walter sieht im Augenwinkel, wie sich Henry mehrmals verstohlen über die Augen wischt. Er legt seine Hand auf Henrys Knie, als wolle er sagen, komm Junge, wir müssen uns unserer Tränen nicht schämen. Jetzt erst einmal den Rückflug schaffen …

Im Krisenkeller stehen sie in kleinen Gruppen zusammen. Die Weihnachtsstimmung und die berechtigte Hoffnung auf das Gelingen hat sich in Entsetzen gewandelt. Worauf hat man sich hier eingelassen? Die Normuhren ticken unbarmherzig leise weiter, so als wäre nichts geschehen.

Die Bundeskanzlerin hat sich allein zum Fenster zurückgezogen.

Allmählich begreift sie.

»Mein Gott«, murmelt sie, »zwei tote deutsche Soldaten, und die beiden Geiseln jetzt in höchster Lebensgefahr …«

Paul erwägt einen kurzen Moment, sie in die Arme zu nehmen, sie zu trösten. Von Freund zu Freundin, von Mann zu Frau oder auch nur von Kabinettsmitglied zu Kabinettsmitglied. Jeder sieht Henriettes Erschütterung. Hier im kleinen Kreise wäre eine tröstende Umarmung möglich. Jeder hätte Verständnis. Paul unterlässt es. Respekt vor der Bundeskanzlerin. Auch der Krisenkeller ist öffentlich.

Henriette spürt in diesen Minuten die grausame Einsamkeit ihrer Kanzlerschaft. Diese Erkenntnis, die schon im Vorgespräch mit Paul schwer auf ihren schmalen Schultern lag, zeigt sich heute Nacht in voller Tragweite. Sie gibt sich einen Ruck, will nicht in Selbstmitleid verfallen, strafft ihr Kostüm und geht langsam zur Gruppe zurück.

»Hoffentlich kommen die Männer jetzt heil nach Diyarbakir zurück.«

Sie will fest erscheinen, aber man hört ihrer Stimme die Mühe an.

Harry und Rudi schauen sich an.

»Was war das denn, Rudi? Wo ist der Fehler?«

»Der Fehler ist schon mal, dass diese ganze Tragödie hierhin übertragen wurde«, erwidert der.

Das Bild flackert wieder. Es erscheint Brigadegeneral Wolf, sichtbar von dem gescheiterten Einsatz gezeichnet.

»Frau Bundeskanzlerin, Sie haben es gesehen. Wir haben zwei Männer und einen Hubschrauber verloren. Die anderen fünf Männer sind auf dem Rückweg. Der Truppführer ist leicht verletzt. Eine F-22 wurde von der Terrormiliz mit einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen. Das Rettungsteam der Amerikaner macht sich in diesen Minuten auf den Weg.«

»Wie beurteilen Sie das, Herr Wolf?«

»Alles lief genau nach Plan. Doch die Geiseln waren überraschenderweise nicht da. Damit war nach der Voraufklärung nicht zu rechnen. Wir sind erwartet worden! Ohne den Untersuchungen vorzugreifen, das muss Verrat gewesen sein. Frau Bundeskanzlerin, wir sind in ein offenes Messer gelaufen. Meine Männer hatten keine Chance!«

»Aber es gab doch diese Bilder und Ihren eigenen Agenten! Mein Gott, nennen Sie mir die Namen der beiden toten Hubschrauberpiloten.«

»Oberleutnant Fritz Jung und Oberleutnant Willi Fröhlich. Beide verheiratet, beide zwei kleine Kinder.«

Die Bundeskanzlerin notiert sich die Namen. Sie fürchtet, dass zu den zwei Pilotenwitwen nun auch die beiden Witwen der Geiseln Helmut Weier und Josef Fischer dazukommen. Sie macht sich da nichts vor.

»Es ist das erste Mal, Frau Bundeskanzlerin, dass die Terrormilizen ein Kampfflugzeug der Koalition abgeschossen haben.«

»Ich denke, die können so etwas nicht! Wieso ist das jetzt möglich?«

»Die Amerikaner hatten Hinweise, dass der IS über chinesische FN-6 Boden-Luft-Raketen verfügen könnte. Das hat sich möglicherweise jetzt bestätigt.«

Und nach kurzer Pause: »Frau Bundeskanzlerin, ich werde für das Scheitern der Operation Eagle persönlich die Verantwortung übernehmen!«

Die Kanzlerin reagiert spontan.

»General Wolf, Sie werden im Augenblick nur Eines übernehmen, und das ist, den Männern meinen tief empfundenen Dank für ihren Einsatz auszusprechen! Sagen Sie ihnen, wir sind entsetzt über den Verlust der beiden Kameraden. Niemand von Ihnen hat versagt, im Gegenteil! Was wir gesehen haben, ist unfassbar! Dass Ihre Männer nicht alle umgekommen sind, ist ein Wunder! Ich mochte das Wort eigentlich nie, aber seit heute Nacht weiß ich, dass es kein besseres gibt: Ihre Männer sind Patrioten. Wahrhaftige Patrioten! Und ich bin stolz, dass es sie gibt!«

Die Bundeskanzlerin macht eine kurze Pause. Ihr wird gerade bewusst, dass sie in dieser Weihnachtsnacht das in Amerika vielfach benutzte Wort Patriot zum ersten Mal selbst in Anspruch genommen hat, für KSK-Soldaten, die vorbehaltlos ihr Leben riskieren, um deutsche Staatsbürger zu retten. Sie setzt nach:

»Natürlich haben wir alle auf eine erfolgreiche Operation gehofft. Es ist furchtbar, dass das Gegenteil eingetreten ist. Wir trauern hier mit Ihnen um den Tod zweier Elitesoldaten. Machen Sie sich keine Vorwürfe! Sie haben Ihre Pflicht getan, und wir werden herausfinden, warum die Operation so furchtbar ausging. Außerdem, die letzte Verantwortung trage ich! Ist das verstanden, Herr General?«

Wolf zögert mit der Antwort. Dann gibt er sich einen Ruck. »Jawohl, Frau Bundeskanzlerin! Danke für Ihre Worte!«

»Sorgen Sie für größtmögliche Geheimhaltung dieser Operation, und nun versuchen auch Sie, zur Ruhe zu kommen. Gute Nacht Herr Wolf!«

»Gute Nacht nach Berlin!«

Während sich alle im Lageraum erheben, erhält Harry einen Zettel.

»Frau Bundeskanzlerin, die Terrororganisation Islamischer Staat hat für heute zwölf Uhr unserer Zeit ein Video angekündigt.«

»Das ist für mich kein Staat«, antwortet die Kanzlerin, »das ist eine Verbrecherbande, die ich nicht als Staat bezeichnet haben möchte. Stellen Sie sicher, Harry, dass ich das Video sehen kann.«

Eine aufgeriebene Eliteeinheit ist im Airbus A400M auf dem Rückflug nach Deutschland. Zwei Soldaten fehlen. Da, wo der Hubschrauber stand, liegen jetzt zwei Leichensäcke. Niemand sagt etwas, die maskenhaften Mienen der Männer aber verraten alles. Sie sind zwar darauf trainiert, das Undenkbare zu erleben und die Ruhe zu bewahren, aber wenn das ganze Kartenhaus zusammenbricht, muss das erst einmal weggesteckt werden.

Marc ist keine Regung anzusehen. Sein Blick ist starr und nach innen gerichtet. Es liegt nicht an seinem bandagierten Bein. Nein, als Perfektionist ist er unablässig dabei, den Grund für die aufgeflogene Operation zu suchen. Es kann immer etwas schieflaufen. Auch in eine Falle zu laufen, ist für ihn nie ganz ausgeschlossen. Überhaupt nehmen die Fehlschläge bei den Befreiungsversuchen auch bei den amerikanischen und britischen Partnern zu. Die Gegenseite lernt schnell. Doch hier war eindeutig übelster Verrat im Spiel! Die Bilder der Drohnen hatten eine beherrschbare Lage nur vorgetäuscht. Selbst Tim hatte sich täuschen lassen! Die Realität war eine völlig andere gewesen. Sie wären wohl alle draufgegangen, wenn die F-22 nicht in letzter Sekunde gekommen wären. Buddy, denkt er, hoffentlich hat es ihn nicht erwischt …

General Wolf sitzt inmitten des Kommandos. Als sie gestern Nacht in Diyarbakir eintrafen, waren die Männer scheinbar gefasst. Scheinbar.

»Herr General, melde das Kommando zurück«, hatte Marc hervorgepresst.

Wolf gab jedem die Hand und überbrachte befehlsgemäß die Grüße der Bundeskanzlerin. Die Gruppe nickte nur, war extrem schweigsam.

Thomas roch am stärksten nach verbranntem Fleisch. Er hatte fast Unmenschliches geleistet, um die toten Körper aus der schwelenden Maschine herauszuziehen. Sein Gesicht war rußgeschwärzt und seine Kampfbekleidung am meisten beschädigt. Ein trotziges Lächeln war über sein Gesicht gegangen, als der General ihm die Hand gab und Thomas die Worte entfuhren: »Sierra Hotel.«

Wolf wusste, dass das Shit happens heißt.

Wie er auch wusste, dass Thomas, der Schrank mit dem weichen Herzen, trotz oder gerade wegen dieser verharmlosenden Bemerkung völlig aufgewühlt sein musste.

Wolf ahnte auch, wie es Tim zumute sein musste. Man hatte ihn gefragt, ob er sich zutraue, das Objekt vor der Operation aufzuklären. Dieser außergewöhnliche Feldwebel hatte bereits vor der Operation unter Einsatz seines Lebens gehandelt. Er hatte die Ausgangslage in allen Details bestätigt. Dafür würde er ihn besonders auszeichnen. Und seiner Ortskenntnis war es zu verdanken, dass er mit Marc heil nach hinten aus dem Gebäude rauskam und alle unversehrt den letzten verbliebenen Hubschrauber erreichen konnten.

Überhaupt, der völlig blutverschmierte Marc Anderson.

Nie hatte das Kommando Marc Anderson in derartiger Lebensgefahr gesehen. Wieder einmal hatte er cool reagiert. Und Anderson war es, der die Luftunterstützung durch die Amerikaner angeregt hatte.

Wolf schaut in die Gesichter von Marc, Thomas, Tim, Walter und Henry.

Seine Soldaten sind auch in der Trauma-Bekämpfung ausgebildet, aber mehr, um einem Kameraden zu helfen. Hier benötigt offensichtlich jeder von ihnen selbst Hilfe. Sollte nach vier Wochen das Erlebte nicht aufgearbeitet sein, würde Wolf eine Supervision mit einem Psychiater anregen. Die Bilder mussten aus den Köpfen, sonst würde es vorbei sein mit der Combat Readiness dieser Elitesoldaten.

Wolf reflektiert noch einmal den Operationsplan. Wie lange hatten sie für diese Rettung geübt? Alle Eventualitäten waren bedacht worden.

Dachten sie.

Weder Plan A noch Plan B hatten funktioniert, wenngleich Plan B mit dem Verlust eines Hubschraubers schon sehr nah an der Realität war. Hätten sie mit mehr Kräften überhaupt eine Chance gehabt, ohne Verluste herauszukommen? Nein, das war wie ein kleiner Krieg, jede Rettungsaktion wäre ohne massive Hilfe aus der Luft gescheitert. Und wer hätte schon auf der Grundlage der Informationen ein Dorf präventiv zusammengeschossen? Zu den Geiseln hätte das ohnehin nicht geführt. Operation Eagle hatte einen Fehler, einen verdammten Fehler in der Voraufklärung.

Wolfs Gedanken gehen zu der Schar der Mitwisser: Berlin, Hammelburg, Calw, Diyarbakir, US Air Force, Sirnak und all die Leute an den Telefonen dazwischen. Er weiß, dass die Arme des IS inzwischen lang sind – vielleicht nicht bis zum Herzen der US-amerikanischen Militärplanung, dem United States Central Command auf der MacDill Air Force Base in Florida, aber vielleicht zu dem nachgeordneten Gefechtsstand der Allianz gegen den IS-Terror in Kuwait oder zu dem Gefechtsstand zur Führung der Luftstreitkräfte in Katar. Katar soll doch verdeckt mit dem IS zusammenarbeiten, von den Saudis ganz zu schweigen. Wer könnte ein Interesse daran gehabt haben, Operation Eagle zu verraten?

Doch in welche Richtung er auch denkt, er findet keinen Ansatzpunkt. Aber er ist sich gewiss, dass jetzt bereits beim BND in Berlin wie auch drüben beim CIA und der NSA etliche Büros hell beleuchtet sind.

Wolf zwingt sich zur Ruhe. In wenigen Stunden würden sie in Büchel landen.

Doch die Ruhe wird gestört. Der Copilot bittet ihn ins Cockpit.

»Herr General, ein Gespräch für Sie, das Tactical Air Command Diyarbakir.«

»Hier Lieutenant Colonel David Maher, ist dort General Wolf?«

»Am Apparat, guten Abend, Dave.«

»Unser Rettungsteam hat unseren F-22-Piloten, Buddy McAllen, an Bord. Wir hatten ihn, bevor der IS da war. Es ist unglaublich, der Mann ist unverletzt. Lediglich beim Aufprall auf den Boden hat er sich einen Knöchel verstaucht.«

»Das ist gut zu hören, Dave. Gott sei Dank! Sagen Sie Ihrem gesamten Team unseren Dank. Eure Jungs haben das Schlimmste verhindert. Und nun auch noch Buddy! Wir sind glücklich, dass er es geschafft hat.«

»Die schlechte Nachricht, Sir, ist, der IS hatte sich im Dorf verschanzt, dort wo unsere Raketen einschlugen. Es gibt leider auch eine Vielzahl von getöteten Zivilisten. Wir bekommen wohl eine Menge politischen Ärger.«

»Das sehe ich auch so. Haben Sie im Headquarter schon Erkenntnisse, warum wir erwartet wurden«?

»Nein, aber die ersten Erkenntnisse weisen darauf hin, dass dies von langer Hand geplant worden ist. Unsere Luftunterstützung hat dem IS offensichtlich den Plan vermasselt. Sagen Sie bitte Ihrem Team, Sir, wir sind geschockt über den Verlust von Fritz und Willi. Ich sehe ihre Gesichter noch vor mir.«

»Danke, Dave. ich werde es weitergeben.«

»Es ist ein verdammter Krieg, Sir! Wir alle möchten Ihnen trotzdem frohe Weihnachten wünschen!«

»Merry Christmas, Dave, und danke für Ihren Anruf.«

Wolf geht zurück zu seinen Soldaten und berichtet über Buddys Rettung. Marc nimmt es schweigend zur Kenntnis. Wenigstens eine gute Nachricht, denkt er, der Kerl soll sehen, dass er Fußgänger wird und zu seiner Linda kommt. Sein Glück ist verbraucht, wie offensichtlich auch meines.

5.
Berlin

Am ersten Weihnachtstag liegt die Hauptstadt unter einer leichten Schneedecke. Das politische Geschehen scheint einer Weihnachtspause gewichen. Doch der schöne Schein trügt.

Bundeskanzlerin Dr. Henriette Behrens hat ihren Verteidigungsminister und Vertrauten Paul Voss gebeten, bei dem avisierten Video in ihrem Büro zu sein. Sie fürchtet, das allein nicht zu überstehen. Sie möchte nur mit ihm in dieser Stunde zusammen sein.

Paul steht am Fenster und schaut auf den Weihnachtsbaum vor dem Bundeskanzleramt. Jedes Jahr reißen sich geradezu viele Orte in Deutschland um die Ehre, den schönsten und größten Baum vor dem Amt aufstellen zu dürfen.

»Du weißt, was dich erwartet, Henriette. Willst du dir das wirklich antun?«

»Ich hoffe, die Hinrichtung bleibt beiden erspart, und die Terroristen lenken doch noch ein.«

»Es laufen verschiedene Aktionen, um Kontakt mit dem IS aufzunehmen, doch nach unseren nun offensichtlichen Scheinverhandlungen sind die Chancen gleich Null.«

Außerhalb des Büros durchsuchen Experten die Internet-Plattformen nach dem angekündigten Video. Um genau zwölf Uhr erscheint das Bild auf dem Fernseher der Kanzlerin.

Es ist die gleiche Gruppe, dieselbe Inszenierung. Beide Geiseln knien. Neben ihnen die beiden Vermummten mit dem Messer am Hals der Geiseln. Diesmal schweigt der Deutsch sprechende Islamist. Durch einen Lautsprecher im Hintergrund ertönt die deutsche Nationalhymne. In der Hand hält Josef Fischer das Foto der Kanzlerin mit dem Aufkleber Das Leben von Geiseln ist mir nichts wert!

Helmut Weier beginnt von einem Blatt Papier abzulesen. Seine Stimme ist tränenerstickt.

»Wir beiden Deutschen sind Feinde des Gottesstaates und müssen sterben, weil die Bundesregierung die militärische Aggression gegen den heiligen Islamischen Staat unterstützt. Unser Land hat uns verraten.«

Dann beginnt der barbarische Akt, der gigantische Schritt zurück in die Vorzivilisation der Menschheit.

Henriette kann den aufkommenden Weinkrampf nicht mehr unterdrücken. Paul nimmt sie in den Arm, streichelt sie, bis ihr Zittern allmählich nachlässt. Er geht hinaus und lässt von Henriettes Büroleiterin und Freundin, Susanne Ehrlich, einen Tee bringen. Wieder allein zu zweit.

Sie schauen beide auf das weihnachtliche Berlin. Dort unten der Friede, hier oben auf dem Bildschirm der Abschaum der Menschheit. Er ist selber tief betroffen, hat doch er Henriette ermutigt, diese fatale Entscheidung zu treffen. So wie er von seinen eigenen Experten ermutigt wurde.

»Warum, Paul? Das ist nicht die Welt, in der ich Bundeskanzlerin sein wollte.«

»Genau das will man erreichen, Henriette. Wir müssen einfach realisieren, dass dieser grausame Kampf erst begonnen hat. Die Terrormiliz ist längst tief in Europa angekommen. Wir können versuchen, die Zentren des IS zu zerstören, aber geben wir uns keiner Illusion hin. Das Krebsgeschwür hat schon zu viele Metastasen. Die Terroranschläge werden weitergehen. Wir beide wissen, dass es natürlich auch Deutschland treffen wird. Das sehe ich noch nicht einmal als das Schlimmste an, so zynisch das klingen mag. Für mich ist das Schlimmste der Angriff auf unsere Werte, auf unsere Würde, auf unseren Rechtsstaat, auf alles, was wir aufgebaut haben. Sie gehen an unser Inneres. Und diese Bastarde erreichen jetzt schon, dass unsere Gesellschaft nach rechts driftet, sich selbst aus diffuser Angst vor irgendwelchen Verlusten radikalisiert. Davor müssen wir aufpassen, Henriette! Der islamistische Terror wird noch einige Bundeskanzler und Regierungen nach dir beschäftigen.«

»Dennoch Paul, das sind doch keine Menschen! Menschen köpfen keine Menschen! Man sollte meinen, das wäre in unserer zivilisierten Welt vorbei.«

»Die haben mit diesem Video einen großen Fehler gemacht. Du wirst sehen, das Entsetzen in unserer Bevölkerung über diese abartige Hinrichtung wird groß sein. Wichtig ist jetzt, wie du in diesem Fall politisch reagierst, deine Krisenkommunikation ist jetzt wichtig!«

»Warum werden eigentlich die amerikanischen Jets nicht erwähnt?«

»Der Abschuss einer F-22 wird bereits in Berichten des IS groß gefeiert. Ebenso der zerstörte deutsche Hubschrauber. Die sozialen Medien sind voll mit Fotos. Es werden auch tote Zivilisten gezeigt. Aber das wird erstaunlicherweise nicht im Zusammenhang mit unserer versuchten Geiselbefreiung gebracht. Dem Verlust von zwei deutschen Soldaten steht der Verlust von offensichtlich über sechzig IS-Milizen gegenüber. Es muss Gründe geben, warum der IS nicht mehr daraus macht. Ich stehe da selbst vor einem Rätsel.«

»Wie erklären wir das der deutschen Öffentlichkeit?«

»Wir sollten versuchen, den Ball flach zu halten. Daran wird intensiv gearbeitet. Bei unseren amerikanischen Freunden haben wir uns auf ministerieller Ebene bereits bedankt. Du solltest das ebenso schnellstmöglich in einem Gespräch mit dem amerikanischen Präsidenten machen. Unser Vorschlag ist, dass wir die Operation Eagle als Unterstützungsoperation für die Amerikaner im grenznahen Gebiet verkaufen. Das KSK darf nicht in den Fokus der Öffentlichkeit geraten.«

Henriette überlegt, atmet tief durch und nickt.

»Scheint mir eine gute Idee zu sein, Paul. Ich werde ihn anrufen. Bei ihm habe ich Einiges gut. Wer kümmert sich um die Ehefrauen von Weier und Fischer?«

»Du kannst sicher sein, dass Rudi tätig ist.«

Henriette drückt auf eine Taste und lässt sich mit Ministerialdirigent Dr. Kürten im Krisenkeller verbinden.

»Guten Tag, Herr Dr. Kürten!«

»Guten Tag, Frau Bundeskanzlerin!«

»Sie haben es auch gesehen?«

»Ja, und wir sind hier alle entsetzt.«

»Hatten Sie schon Kontakt zu den Ehefrauen?«

»Ich war selbst wiederholt mit beiden in Kontakt, doch jetzt brauchen wir die Krisenintervention vor Ort.«

»Wie funktioniert dieses System eigentlich, von dem ich immer wieder höre?«

»Wir verfügen in unserem Land über ein System der Opfer- und Angehörigen-Hilfe, ein flächendeckendes Netz freiwilliger Helfer bestehend aus Ärzten, Psychologen, Rettungssanitätern, Geistlichen und Ersthelfern. Die sind geschult, Menschen bei einem schweren Verlust in der ersten Phase zur Seite zu stehen.«

»Gut, das bestätigt meine Kenntnisse. Sobald beide Frauen – und natürlich auch die Kinder – etwas stabilisiert sind, arrangieren Sie ein Treffen mit mir. Ich möchte ihnen persönlich vermitteln, dass wir ihre Männer keinesfalls im Stich gelassen haben.«

»Ich werde das sofort einleiten. Das ist sicherlich eine gute Idee, auch weil die Medien sich jetzt auf beide Ehefrauen stürzen werden.«

»Ich möchte auch, dass wir diesen Krisenstab solange aufrechterhalten, bis wir wissen, wer der Verräter der Operation Eagle war.«

»Unbedingt! Wir haben die gefährlichen Ausbildungsprojekte der Bundeswehr in Afghanistan, Syrien, im Irak und besonders in Mali. Meine militärischen Kollegen befürchten Probleme, wenn der Maulwurf nicht gefunden wird.«

Paul nickt ihr bestätigend zu.

»Das ist sehr berechtigt. Ich werde auch den Einsatz der angefragten Kampfbomber-Tornados zusätzlich zu unseren Aufklärungs-Tornados nicht ins Gespräch bringen, solange wir nicht wissen, wer möglicherweise aus unseren eigenen Reihen auf der anderen Seite steht.«

»Verständlich.«

»Gut, danke. Ich wünsche Ihnen ruhige Weihnachtstage, Herr Dr. Kürten.«

»Danke, ich Ihnen auch, Frau Bundeskanzlerin.«

Im Bundeskanzleramt sind sie an diesem ersten Weihnachtstag fast die Einzigen. Zeit, aufzubrechen.

»Was machst du über die Feiertage, Paul?«

»Ich fahre in mein Fachwerkhaus, lege alle roten Gittermappen für zwei Tage zur Seite und bereite ein Fondue zu. Beim Fleischer nebenan gibt es hervorragendes Rinderfilet. Ich werde meine eigenen Soßen zusammenstellen, ein Baguette aufbacken, eine Flasche Brunello di Montalcino von 2004 dekantieren und etwas Marc Aurel lesen.«

»Hm, ich denke, ich werde auch völlig abschalten. Aber du kannst doch nicht den ganzen Abend Marc-Aurel-Verse lesen?«

»Um Gottes Willen! Du kennst meine E-Gitarre und meine Leidenschaft für Heavy Metal. Sobald ich nach dem Essen meinen Grappa getrunken habe und der Kaiser wieder im Bücherschrank steht, geht im Fachwerkhaus die Post ab!«

»Das meinst du doch nicht ernst? Du willst Weihnachten abrocken? So kenne ich dich ja gar nicht, Kulturbanause! Mir ist Weihnachten mehr nach Schumann und Rilke.«

Sie schaut ihn verständnislos an. Irgendwie überkommt sie kurz der Gedanke, dass man den Abend vielleicht zusammen verbringen könnte. Aber Krach und Abrocken, nein danke. Dann lieber die Füße hochlegen und …

Doch er unterbricht sie in ihren Gedanken.

»Weihnachten heißt für mich auch, mal richtig Dampf abzulassen. Besonders nach dem heutigen Tag. Es kann allerdings sein, dass ich den Anfang soft mache.«

»Soft – auf der E-Gitarre?«

»Nein, mir ist kürzlich ein Stück in die Finger gekommen, es heißt Atacama. Wenn du das gehört hast, ist jede Krise Vergangenheit. Das wird meine Begleitmusik beim ersten Stückchen Rinderfilet sein.«

»Hättest du noch Fleisch und ein bis zwei Grappa übrig? Über den weihnachtlichen Auftritt mit deiner E-Gitarre könnten wir ja noch vor Ort verhandeln.«

Paul schaut sie durchdringend an, zieht eine Augenbraue hoch. Diesmal schweigt er aber nicht, wie damals bei der ersten Begegnung in diesem Raum. Er grinst, denn er hat bereits ein gewisses Bild von den »Verhandlungen«.

»Hätte ich aber nur, wenn du deinen wunderbaren italienischen Salat mit der Sauce à la Henriette mitbringst.«

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