Kitabı oku: «Mord à la carte in Schwabing», sayfa 3
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Redaktionssitzung am nächsten Morgen. Tom hatte sich wieder neben Eike gestellt und hoffte, einen Auftrag zu erhalten. Zahlenmäßig schien das Personaltableau in der Redaktion nicht übermäßig groß zu sein. Er versuchte, Blickkontakt mit dem Planer aufzunehmen, doch das war kein Erfolg versprechendes Unterfangen. Die meisten Kollegen traten Tom sehr reserviert gegenüber auf. Haben die Angst, dass ich ihnen Arbeit wegnehme? Eike war bisher der Einzige, der nett zu ihm war und ihm ab und an etwas über das Redaktionsleben erzählte.
Als Neuwirt mit Verspätung das Zimmer betrat, legte sich der Geräuschpegel schnell. Nach einer kurzen Begrüßung blätterte er in den Unterlagen und formulierte zögerlich, wobei nach ein paar Worten immer wieder eine Pause entstand. »Bevor wir mit der Besprechung der heutigen Stücke beginnen, möchte ich noch etwas zur Angelegenheit Steineberg in Auftrag geben. Eike, Sie können das machen als Spezialist in dieser Sache. Fahren Sie in ein anderes Sterne-Restaurant, am besten zum Wissler, und fragen Sie nach den Abläufen in der Küche. Wie kann es überhaupt sein, dass etwas in die Menüs gemischt wird, ohne dass der Chefkoch das bemerkt. Das ist die Story.«
Eike freute sich offensichtlich. »In welcher Länge soll ich das machen?«
»Ist der Autor noch so fleißig, es sind immer nur 1,30.« Neuwirt unterstrich diese alte Wahrheit des aktuellen Fernsehjournalismus, indem er mit den Fingerknöcheln auf den Tisch klopfte.
Zaghaft streckte Tom den Arm nach oben, er hatte den Rüffel vom Vortag nicht vergessen.
»Was gibt es, Herr Kollege?«
»Ich würde gerne bei dem Dreh mitmachen, wenn es Ihnen recht ist.«
Neuwirt zuckte geringschätzig mit den Schultern. »Wenn Sie Eike brauchen kann, ist es mir recht. Sie müssen hier ja irgendetwas tun. Aber ich will Sie heute Abend weder als Zeugen noch in einem Aufsager sehen, ist das klar? Da haben Sie wohl auf der Journalistenschule gefehlt, als der Aufsager durchgenommen wurde. Uns wurde früher beigebracht, wie man das macht.«
Toms Gesicht glühte, und er brachte nur ein Nicken mit einem leisen »Okay« zustande. Karen huschte ein verräterisches Lächeln über die rosa geschminkten Lippen.
Eilig verließ Tom mit Eike das Redaktionszimmer.
Das Restaurant Wisslers lag im noblen Münchner Stadtteil Bogenhausen. Es befand sich in einem grauen, dreistöckigen Jugendstil-Haus und war derzeit noch geschlossen. Eike klingelte, und es öffnete ihnen ein sehr gut aussehender junger Mann Mitte 20 mit hellbrauner Haut, glatt rasiert, modisch geschnittenen, dunklen Haaren in einer sehr engen schwarzen Versace-Hose aus dünnem, leicht schimmerndem Stoff. Sein muskulöser Oberkörper steckte in einem weißen T-Shirt, auf dem im Graffiti-Style »Carpe Diem« zu lesen war. In seinen Ohrläppchen trug er runde, schwarze Stecker, in denen mit Diamantsplittern ein Pik As angedeutet war.
Mit hoher Stimme und starkem spanischem oder portugiesischem Akzent bat er das Fernsehteam in das Restaurant. Eike konnte den Blick nicht von dem jungen Mann lassen, der ihnen das Kommen von Marc Wissler ankündigte. Mit wiegenden Hüften zog er sich aus dem Restaurant zurück.
Stilistisch entsprach die Einrichtung dem Alter des Gebäudes. An weiß gedeckten Tischen standen gepolsterte Jugendstil-Stühle aus poliertem braunem Holz. An den Wänden sah man Stuckapplikationen und Halterungen mit elektrischen Kerzen, dazwischen hingen impressionistische Gemälde, die Kassettendecke aus Nussbaumholz verringerte optisch die Höhe des Raumes. Über den Fenstern waren Bordüren aus rotbraunem Stoff angebracht. Die Einrichtung wirkte edel, aber schwer wie ein Zimmer des englischen Königshauses.
Eine Tür ging auf, und Wissler schritt in den Raum. Er war Mitte 30, Tom schien er sehr jung zu sein für einen Sternekoch. Wissler hatte eine weiße, zweireihige Chefkochjacke an, die ihm auf den ersten Blick die Aura eines Admirals verlieh. Seine hellblond gefärbten Haare, die er nach oben gegelt hatte, korrigierten diesen Eindruck ein Stück weit. Tom blickte in schiefergraue Augen in einem Gesicht, das glattrasiert war und nach einem herben Aftershave roch. Charmant stellte sich Wissler Eike, Tom und dem Team vor und schüttelte jedem die Hand. »Schön, dass mal wieder jemand von TV 1 bei uns vorbeischaut.«
»Unser Chef, Herr Neuwirt, hat gleich Sie und Ihr Restaurant für unsere Fragen vorgeschlagen.«
»Das ist sehr freundlich. Richten Sie ihm bitte einen schönen Gruß aus. Er soll uns bald mal wieder beehren.«
Eike deutete auf die impressionistischen Bilder an der Wand. »Sind das alles Originale?«
Geschmeichelt lächelte Wissler. »Wie Sie wissen, liebe ich die Kunst und die Malerei.«
Eike nickte eifrig.
»Es freut mich, dass Sie sich dafür interessieren. Ihre Vermutung stimmt, es sind Originale, darunter zwei Bilder des dänischen Malers Peder Severin Krøyer. Ich bin sehr stolz, dass sie in meinem Besitz sind.«
Nach einem kurzen Vorgespräch über den Inhalt der Fragen sah der Kameramann vor dem Restaurant nach dem Licht. Es war Mittag, die Sonne schien, dadurch verstärkten sich die Kontraste im Bild deutlich. Als er den richtigen Standort gefunden hatte, mit dem Logo des Restaurants und in einem Winkel, der die Fensterscheiben nicht spiegeln ließ, baute er mit dem Tonmann die Kamera auf.
Tom hatte nichts zu tun, ihm war aber vor lauter Nervosität so warm geworden, dass er seine Jacke auszog, und er steckte sich eine Gauloise an.
Eike nahm das Mikro, stellte sich und Wissler in Position und fragte nach ein paar einleitenden Sätzen: »Wie muss man sich die Abläufe in einem Sterne-Restaurant vorstellen? Kann es sein, dass jemand unbemerkt Haschisch oder andere Substanzen in einer Profiküche in das exquisite Essen mischt?«
Wissler blickte auf seine schwarzen Valentino-Schuhe, überlegte kurz und sagte sehr souverän: »In einem Sterne-Restaurant kommt es zunächst auf die Größe an, wie viele Köche arbeiten da. Bei 80 Gästen haben wir etwa 12 bis 15 Köche. Jeder macht da sein Ding, hat seinen Bereich und arbeitet unter Zeitdruck. Wenn man jemandem etwas unterschieben wollte, ginge das vielleicht schon. Aber ein aufmerksamer Chefkoch oder auch der Sous Chef müsste das merken. Die haben den Überblick. Und die schmecken auch ab.« Wissler wirkte gelassen, als wäre für ihn ein Fernsehinterview eine alltägliche Sache.
»Glauben Sie, dass bei Steineberg etwas übersehen wurde?«, fragte Eike.
»Das kann und will ich natürlich nicht unterstellen. Aber ich bin froh, dass nicht wir in dieser misslichen Lage sind.«
Damit hatten Tom und Eike ihr Statement. Während das Kamerateam noch einige Schnittbilder drehte, nahm Tom Eike auf die Seite und flüsterte ihm zu: »Ist der Wissler schwul?«
»Das darfst du glauben, der ist stockschwul.«
»Und der Latino ist sein Lustknabe – oder?«
»Davon kannst du ausgehen. Wieso fragst du das eigentlich mich?«
»Ich kenn mich da nicht so aus, ich bin hetero.«
»Und was glaubst du, was ich bin?«
Tom sah zur Seite. »Sorry, ich wollte dir nicht zu nahe treten.«
Eike grinste feixend.
Als er das Kommando gab, zurück zum Sender zu fahren, mischte sich Tom ein: »Lass uns noch beim Odeon vorbeifahren, wir können Steineberg befragen. Ich bin sicher, dass er sich äußert, wenn er hört, was Wissler gesagt hat.«
Eike ließ sich überzeugen. Es wäre die erste Stellungnahme des Odeon-Chefkochs in dieser Angelegenheit. Das zählte eine Menge im journalistischen Geschäft, und dafür konnte man natürlich einen kleinen Umweg machen.
Reglos und still wie der steinerne Epikur wirkte das Sterne-Restaurant bei der Ankunft des Teamwagens. Wenn man aber durch die großen Glasflächen der Fenster schaute, sah man Männer und Frauen in hektischer Betriebsamkeit hin und her laufen.
Eike und Tom läuteten an der Eingangstür. Nach einer Weile öffnete Williams und fragte sie etwas ungehalten, was sie wollten.
»Wir würden gerne kurz mit Herrn Steineberg sprechen.«
»Und in welcher Angelegenheit?«
»Sagen Sie ihm bitte, wir möchten ihm ein Statement von Wissler vorspielen.«
Der Amerikaner grummelte, drehte sich um und schloss die Tür hinter sich.
Nach wenigen Minuten kam Steineberg. Er sah bedrückt aus, sein blondes Haar schien einen grauen Schimmer bekommen zu haben, und es wirkte unfrisiert. Mit einem müden Ausdruck in den Augen fragte er: »Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Wir haben Herrn Wissler zu den Arbeitsabläufen in einer Sterneküche befragt. Er hat sich dazu geäußert, man kann seine Bemerkung als eine unterschwellige Kritik an Ihnen verstehen. Wir können Ihnen das Interview über das Kameradisplay vorspielen, wenn Sie wollen.«
Steineberg nickte, der Kameramann suchte die Stelle im Rückwärtslauf, dann bekam der Sternekoch einen Kopfhörer aufgesetzt und vernahm, was Wissler zu sagen hatte.
»Wie verstehen Sie diese Äußerung?«, fragte Eike, als Steineberg den Kopfhörer wieder absetzte.
»Ein aufmerksamer Chefkoch«, wiederholte er in Wisslers Tonfall, »dass ich nicht lache … Ein widerlicher Arsch!« Nach einer Weile fügte er hinzu: »Das ist nicht zitabel, meine Herren!«
»Sind Sie zu einem Statement vor der Kamera bereit?«
Steineberg nickte.
Nach einigen Minuten stand er frisch frisiert vor dem Eingang des Odeon und sagte in die Kamera: »Natürlich wird in meinem Restaurant jedes Gericht fein säuberlich abgeschmeckt, der Chefkoch hat den Überblick und garantiert für das Essen. Mehr möchte ich hierzu nicht sagen. Grundsätzlich möchte ich aber festhalten, dass im Odeon keine verbotenen Rauschmittel gefunden worden sind – weder im Zusammenhang mit dem Prozess gegen mich noch mit dem Fall des Guide-Michelin-Testers. Aber der Ruf wird ruiniert, den sich das Odeon in vielen Jahren mühsam erworben hat. Und es wird sicher lange dauern, bis diese Rufschädigung wieder aus der Welt geschafft ist.«
Die halbe Belegschaft des Sterne-Restaurants war aufgetaucht, um sich die Aufnahmen nicht entgehen zu lassen; auch Williams und Edgar waren darunter, nur Lisa konnte Tom nicht entdecken.
»Aber wieso wurden Sie dann überhaupt angeklagt, wenn in Ihrem Lokal keine Rauschmittel gefunden worden sind?«, fragte Eike nach.
»In Absprache mit meinem Rechtsanwalt möchte ich mich zu dem Prozess nicht öffentlich äußern.«
6
Sechs Stunden später warteten Eike und Tom im Schneideraum auf die Abnahme durch Neuwirt. Die Cutterin nutzte die Pause für ein von zu Hause mitgebrachtes Käsebrot und einen Schluck Tee aus der Thermoskanne. Eike hatte damit begonnen, für eine Story zu recherchieren, die er für den nächsten Tag realisieren sollte. Tom saß herum, sah auf seinem Laptop die Meldungen auf Spiegel Online und anderen Nachrichtenwebsites durch und freute sich auf seine Taekwondo-Stunde, bei der er hoffte, Lisa zu treffen. Endlich erschien Neuwirt gut gelaunt, als hätte er gerade eine Gehaltserhöhung erhalten.
Eike trug ihm den Text zu seinem Filmbericht vor, und Neuwirt hatte nichts auszusetzen. Tom war richtig überrascht, dass er den Beitrag uneingeschränkt lobte: »Dass Sie ein Statement von Steineberg bekommen haben, ist schon richtig gut!«
»Die Idee dazu kam von Tom«, bemerkte Eike.
Neuwirt hob den Daumen und sagte spitz: »Sehr gut, Herr Umweltaktivist!«
Kaum hatte Neuwirt den Schneideraum verlassen, begann Tom zu strahlen. »Vielen Dank für den Support. Jetzt hab ich endlich mal etwas richtig gemacht.«
»Heute hat er einen seiner besseren Tage.«
»Aber ich verstehe immer noch nicht, warum er mich als Umweltaktivist bezeichnet; einmal einen Vorschlag gemacht aus dem Bereich der Ökologie …«
»Mach dir nichts draus«, meinte Eike, »das sagt er auch zu anderen Kollegen. Ich glaube, da hat er ein Trauma. Als Student hatte er sich einmal beim ›Bund für Umwelt und Naturschutz‹ engagiert. Das sieht er heute offenbar als Jugendsünde. – Die Kollegen haben das rausgefunden.«
»Ha, das kann ich mir gar nicht vorstellen.«
»Leute ändern sich, vor allem, wenn sie in solche Positionen kommen. Durch ein ökologisches Engagement wurde man lange Zeit auf der linken Seite der Gesellschaft eingeordnet, und das führte bei den Regierenden eher zu einem Punktabzug. Diese Scharte aus der Vergangenheit wollte und will Neuwirt wohl auswetzen, aber vielleicht ändert er sein Verhalten auch bald wieder, nachdem das Thema ›Klimawandel‹ sogar bei den Neoliberalen angekommen ist.«
»Das klingt nach einer Menge Lebenserfahrung«, neckte ihn Tom, der seinen politischen Einsatz für den Klimaschutz während des Studiums lieber nicht preisgeben wollte.
»Pass auf, du Grünschnabel, dass du dir keinen Satz heiße Ohren holst.«
Die Taekwondo-Stunde leitete ein 70-jähriger Koreaner, der als Koryphäe in dieser Sportart galt. Er hatte den Trainingsraum in einem Hinterhof der Hohenzollernstraße mit einem ganzen Panoptikum von skurrilen Gegenständen ausstaffiert – an den Wänden hingen neben Hirschgeweihen Lebensweisheiten auf Chinesisch, in einer Ecke stand ein metergroßer Wolpertinger aus Stoff mit Fuchskopf und Adlerflügeln. Es roch nach altem Schweiß, und nach dem Training musste man sich an den zwei verfügbaren Duschen anstellen. Billigend nahmen die Schüler diese einfachen Umstände angesichts des Renommees des Großmeisters in Kauf.
Tom hatte Glück gehabt, Lisa war auch gekommen, und sie beschlossen, nach den schweißtreibenden Übungen in einem Wirtshaus einzukehren.
Sie schlenderten die Einkaufsstraße zwischen Kurfürstenplatz und Leopoldstraße entlang, vorbei an hippen Klamottenläden, Supermärkten, Friseurgeschäften, Cafés und chicen Restaurants. Tom hatte vor allem Augen für Lisa, freute sich an ihrem ebenmäßigen Profil und ihren Brüsten, die straff unter ihrem graublauen Pullover hervortraten.
Dabei erzählte er ihr von seinem erfolgreichen Tag.
Auch Lisa war wieder zuversichtlicher als bei ihrem letzten Treffen. Steineberg hatte eine einstweilige Verfügung gegen die Schließung seines Restaurants erwirkt, und nun konnte das Odeon seine Tore wieder öffnen. Lisa berichtete, sie hätten schon einen Großteil des Chaos beseitigt, das durch den Polizeieinsatz entstanden war, und bald könnten sie wieder normal arbeiten. Zumindest erst einmal war das Gespenst einer drohenden Arbeitslosigkeit abgewendet.
Endlich standen sie vor dem Weinbauer, einem der urbayerischen Wirtshäuser, die in Schwabing immer seltener wurden. Eine Bedienung in bayerischer Tracht wies ihnen in dem gut besuchten Lokal einen Platz an einem Tisch zu, an dem schon ein anderes Paar saß, und fragte nach ihren Wünschen. Auf der Speisekarte standen vornehmlich bayerische Gerichte wie Jungschweinebraten, Tellerfleisch oder Rahmschwammerl. Tom bestellte eine Ochsensuppe mit Nudeln und Rindfleisch, Lisa einen gemischten Salat mit Hähnchenbrustfilet. Ihren Durst löschten sie mit je einem leichten Weißbier.
Tom plagte noch ein Problem, bei dem er sich von Lisa Hilfe erhoffte, aber er hatte Gewissensbisse, da er wusste, wie gereizt und zurückhaltend sie reagierte, wenn es um ihre Arbeit ging.
Nach den ersten Schlucken Bier fragte er sie: »Dieser Edgar war doch heute auch im Odeon, als wir mit Steineberg gedreht haben?«
»Ja, schon. Warum?«
»Fährt der Motorrad?«
»Ja. – Wieso willst du das wissen?«
»Weil mich jemand mit einem Motorrad gestern Nacht verfolgt hat, und ich bin mir sicher, dass er das war.«
»Warum sollte er das tun?«
»Keine Ahnung.«
Lisa zuckte mit den Schultern. »Wenn er dich wirklich verfolgt hat, war es vielleicht Eifersucht? Ich glaube, er mag mich, und es stört ihn, dass ich mit dir ausgehe.«
»Vielleicht stört ihn, dass ich beim Fernsehen arbeite und an einer Geschichte recherchiere, bei der Drogen eine Rolle spielen? Der Typ ist doch nicht wirklich koscher!«
»Na ja, die ersten Artikel in den Boulevardzeitungen waren schon ein Schock für uns.«
»Wie fing das denn eigentlich an?«
Lisa seufzte, rückte näher zu Tom und sprach leise, damit die anderen Gäste sie nicht verstehen konnten. »Vor etwa vier Monaten gab es bei uns als Dessert eine Schokoladenterrine mit leicht gerösteten Hanfsamen.«
Tom zog die Augenbrauen hoch. »Dann stimmt es doch: Dope in der Sterneküche!«
»Das dachten viele, und Steineberg hat sicher auch ein wenig auf so eine Reaktion gehofft und wollte dem Odeon damit einen medialen Kick verpassen. Hanfsamen sind ausgesprochen gesund, schmecken nussig und enthalten kein THC, sind also kein Haschisch.«
»Oh!« Tom war beinahe enttäuscht.
»Wir hatten einen Schauspieler zu Gast, der so reagierte wie du, und ihm wurde das gesagt, was ich dir gerade gesagt habe. Er aß seine Schoko-Hanf-Terrine und etwa eine viertel Stunde später hatte er einen Lachanfall. Alle Gäste bekamen das mit. Schließlich zahlte er und ging.«
»Wer war der Schauspieler? Und wie ging’s weiter?«, fragte Tom gespannt.
»Das war Baldur Kröninger, der mal im Tatort, mal in ›Hubert und Staller‹ kleinere Rollen spielte. Er behauptete, noch nie gekifft zu haben. Auf seinem Nachhauseweg ist er mit einem Radler zusammengestoßen, weil er bei Rot über die Ampel gelatscht war. Der Radler hatte sich aufgeschürft, und unser Schauspieler hatte sich eine Platzwunde am Kopf zugezogen, mit der er in die Klinik ging. Dort hatte man den Verdacht, dass er stoned war. Man hat ihm – wohlgemerkt mit seinem Einverständnis – Blut abgenommen, und fand eine ziemlich große Menge von THC. Daraufhin nutzte er seine Chance auf Publicity, ging zur Boulevardpresse, und sprach über Berufsausfall wegen der Verletzung im Gesicht und solche Dinge. Er zeigte Steineberg an.«
»Nun weiß man nicht, ob das THC bei euch im Restaurant in sein Essen gelangte oder ob der Schauspieler sich irgendwo einen Joint durchgezogen hat?«
»Die Zeitspanne zwischen dem Verlassen des Odeon und dem Unfall war nicht sehr groß.«
»Also ist es doch bei euch passiert?«
»Wir vermuten, dass es Haschischöl war. Da kann man sich leicht mit der Menge vertun.«
»War das Haschischöl also im Essen?«, fragte Tom ungeduldig.
Lisa rückte noch ein Stück näher an Tom heran und flüsterte: »Ich glaube, dass er es sich selbst ins Essen getan hat. Wahrscheinlich hat ihn jemand dazu angestiftet, aber wir wissen es nicht. Ein krummes Ding, das zum Himmel stinkt! – Jedenfalls hatte die Presse jetzt ein Thema, man konnte ständig von Hanfsamen, Haschischöl und vielen anderen Rauschgiften lesen, immer war das Odeon mit dabei im Gerede. Außerdem wurden schon damals Ermittlungen und Untersuchungen angestellt, aber man fand nichts bei uns. Steineberg behielt die Schoko-Hanf-Terrine auch weiter auf der Speisekarte – wie als trotzigen Beleg für seine Unschuld.«
Lisa presste die Lippen fest zusammen, als hätte sie zu viel erzählt. Tom schien plötzlich einer anderen Person gegenüberzusitzen, einer, aus der alle Energie gewichen war.
Er war sehr unsicher geworden, wie er sich nun verhalten sollte. Hatte Lisa vielleicht vor etwas Angst? Hatte sie ein dienstliches Redeverbot von Steineberg erhalten? Tom wusste, dass sie ihre Erzählung große Überwindung gekostet hatte.
»Deine Mundwinkel hängen ganz schön runter. Sieht aus, als müsste man dich auf den Kopf stellen, damit du wieder lachst«, versuchte er sie aufzumuntern.
Während Lisa Tom fest am Jackenärmel packte, sagte sie eindringlich: »Das sind Interna, Tom, die sind nicht fürs Fernsehen gedacht – ist das klar?«
»Okay, ich verstehe.«
Draußen hatte es zu regnen begonnen. Tom schulterte seine Sporttasche und versuchte Lisa in den Arm zu nehmen, aber sie wehrte ihn ab. »Das geht jetzt nicht. Lass uns nach Hause fahren. Aber jeder zu sich«, fügte sie mit schelmischer Miene hinzu.
Tom ließ enttäuscht von ihr ab. Eigentlich war doch alles so gut gelaufen an diesem Tag. Nun hatte er noch eine Kerbe erhalten. War wohl nicht der richtige Augenblick. Was sie wohl bedrückte? Schweigend, aber schnellen Schrittes gingen beide zur nächsten U-Bahn-Station.