Kitabı oku: «Mord à la carte in Schwabing», sayfa 4

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1

Tom war in Gedanken, als er sich auf dem Heimweg befand. Von den meist dreistöckigen Häusern aus den 50er- und 60er-Jahren waren um diese Uhrzeit nur noch wenige Wohnungen beleuchtet, durch manche Fenster flackerte graublaues Fernsehlicht. Für die nächtliche Orientierung sorgten ein paar Straßenlaternen, Tom hätte den Weg auch im Schlaf gefunden. Als er vor seinem Wohnhaus ankam, stand da eine schwere schwarze Harley-Davidson mit glänzend polierten Chromteilen am Randstein. Das war ungewöhnlich.

Gerade als er seinen Schlüssel aus der Jackentasche zog und die Haustür aufsperren wollte, kam plötzlich ein Typ mit der Figur eines alten Eichenschrankes hinter einem Gebüsch hervor. Der Kerl war mindestens 1,90 Meter groß, 130 Kilogramm schwer, Ende 40. Er trug eine schwarze Lederjacke, einen dunkelbraunen Vollbart mit einigen grauen Stellen, auf dem Kopf hatte er keine Haare. Ein Rocker – mit einer Miene, die besagte, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen war. Bei Tom schrillten alle Alarmglocken. Ob er es noch ins Haus schaffte? Aber da hatte ihn der Rocker schon am Arm gepackt.

»Hier geblieben!«, rief er mit einer überraschend hohen Stimme.

Tom ließ seine Tasche fallen, er wusste vom Taekwondo, wie man sich mit Körperdrehungen aus Griffen befreien konnte. Er versuchte einen Fußtritt mit Drehung gegen das rechte Knie des Angreifers, aber er stand zu nah an dem Mann, sodass der Tritt, den er im Training so gut beherrschte, ins Leere ging. Der Riese nahm Toms Kopf mit einem Arm in den Schwitzkasten, mit der anderen Faust hieb er ihm auf den Schädel. Schmerz durchzuckte ihn blitzartig. Die nächste Faust schlug auf der Kieferhöhle ein. Er roch den nach Bier stinkenden Atem des Angreifers, der ihn fest im Griff hatte. Tom wurde übel, und seine Beine gaben nach.

»Kennst du den Film Chinatown?«, hörte Tom in unverkennbar norddeutschem Dialekt.

Tom schnappte nach Luft.

»Da wird Jack Nicholson die Nase geschlitzt. Und weißt du, warum?«

Tom trieb es die Augen aus den Höhlen.

»Weil er sie in Sachen steckt, die ihn nichts angehen. Das wird dir auch passieren, wenn du herumschnüffelst!«

Der Koloss ließ Tom los, schob ihn ein Stück von sich weg, und knallte ihm mit Wucht eine Faust in den Magen. Tom klappte zusammen, der Riese donnerte ihm von rechts und von links die Fäuste ins Gesicht. Ohnmächtig blieb Tom auf dem Fußweg liegen.

2

Ein hohes surrendes Geräusch wie von einem Zahnarztbohrer hatte sich in seinem Kopf festgesetzt. Dann kam der Schmerz – da arbeitete nicht nur ein Zahnarzt, sondern eine ganze zahnklinische Abteilung. Tom öffnete langsam die Augen und sah durch rötliche Nebelschwaden auf die dämonische Maske an der Wand, die er von einem Bali-Urlaub mitgebracht hatte. Er schloss seine Augen gleich wieder, der surrende Bohrer hörte nicht auf. In seinem Mund schmeckte er Galle, er musste gekotzt haben.

Stück für Stück fiel ihm wieder ein, was in der Nacht passiert war: der Rocker – die hohe Stimme – wie chancenlos er beim Kampf war! Die Nachbarin, die Geräusche gehört hatte. Sie hatte ihm geholfen, in seine Wohnung und ins Bett zu kommen. Er tastete nach seinen Wangen. Sie waren geschwollen, als hätte er halbe Äpfel darin stecken. Auf der Stirn hatte sich eine Beule von der Größe eines halben Kartoffelknödels gebildet.

Tom sah auf sein Handy – die Uhr zeigte 9:03. Gerade begann die Redaktionskonferenz. Scheiße. Mühsam stemmte er sich aus dem Bett, stellte die Füße auf den Boden. Auf wackeligen Beinen ging er ins Bad, um sich ein Schmerzmittel zu holen. Im Spiegel erblickte er sein Gesicht. Es sah so übel aus, wie es sich anfühlte. Mit der Zunge tastete er seine Zähne ab, da war kein Schaden entstanden. Dann steckte er sich zwei Ibuprofen 400 in den Mund und spülte sie mit Wasser hinunter.

Tom rief in der Redaktion an und entschuldigte sich. Er sagte, dass er wegen eines Unfalls später kommen würde. Beim Sprechen brachte er die Lippen nur mühsam auseinander und musste seine Sätze oft dreimal wiederholen, weil die Sekretärin ihn nicht richtig verstand. Zum Sender wollte er in jedem Fall gehen, das war er seinem Ehrgeiz schuldig.

Was würde Neuwirt sagen, wenn er von dem Überfall erfuhr? Wahrscheinlich interessierte ihn das gar nicht.

Und seine Mutter? »Was hast du denn angestellt? Wegen nichts wird man nicht so verprügelt.« Das war ihr Denken, das wusste er.

Duschen war Tom zu anstrengend, vorsichtig wusch er mit einem Frottee-Waschlappen Reste von Blut und Dreck aus seinem Gesicht. Anschließend sprühte er sich ein herb duftendes Deo unter die Arme und zog behutsam ein T-Shirt über seinen ramponierten Kopf.

Nachdem er sich einen Kaffee gemacht hatte, rief er Lisa an und berichtete ihr von seinem Erlebnis. »Meine Nachbarin wollte sogar den Rettungsdienst rufen, doch ich war dagegen.«

»Du tust mir leid, aber markiere jetzt nicht den starken Mann. Geh zu einem Arzt! Du kannst auch eine Gehirnerschütterung haben. Damit ist nicht zu spaßen.«

Tom schnaufte tief, nach einer Pause sagte er: »Es geht schon, hab’ auch ein Schmerzmittel genommen. Ich muss noch zum Sender.«

»Tom, leg dich ins Bett. Bei TV 1 wird jeder verstehen, dass du in deinem Zustand nicht zur Arbeit kommen kannst.«

Tom wechselte das Thema. »Das Schwein hat sich mich ganz bewusst ausgeguckt, hat auf mich gewartet und mich als Schnüffler bezeichnet. Wo schnüffle ich denn? Ich recherchiere in genau einer Geschichte, und das ist die in eurem Restaurant, sonst mache ich gerade nichts. Der Schläger muss irgendeine Verbindung zum Odeon haben!«

»Aber Tom, das kann ich mir nicht vorstellen! Der Steineberg schickt doch keinen Rocker los und lässt Journalisten verprügeln, das ist Blödsinn.«

»Überleg mal, Lisa, an einem Tag fährt mir jemand auf einem Motorrad hinterher, vermutlich Edgar. Am nächsten passt mich ein Typ mit Motorrad zu Hause ab. Da gibt es eine Verbindung, nicht nur wegen der Motorräder. Der eine hat meine Adresse ausgekundschaftet, und der andere hat mich dann zusammengeschlagen. Der Edgar ist nicht sauber.«

Tom merkte, wie Lisa unsicher wurde und dass sie nicht wusste, was sie sagen sollte.

»Genau, der muss dahinterstecken«, bekräftigte Tom. »Gib mir bitte mal seine Adresse.«

»Und wenn er doch nicht dahintersteckt?«

»Da geht’s auch nicht um Eifersucht!« Tom spürte wieder den Zahnarztbohrer, und sein Mund war vom vielen Reden ganz trocken.

»Sorry. Das kann ich nicht machen.« Lisa legte auf.

Tom stutzte, spürte Wut in seinem Körper. »Die krieg ich schon noch raus«, murmelte er säuerlich zu sich selbst. Was war mit Lisa los? Verschwieg sie ihm etwas?

Draußen war ein Gewitter aufgezogen. Ein gewaltiger Sturm fegte durch das nördliche München und die Schopenhauerstraße. Der heftige Wind rüttelte an Rollläden, brachte Fahrräder zum Umfallen, ließ Bäume um ihre Äste zittern, Plastiktüten und Zeitungen fegten durch die Gegend. Dann goss es in Strömen, und Hagelkörner begannen, an die Fenster zu trommeln.

Tom hatte sich nochmals hingelegt, konnte aber nicht schlafen. Das Krachen der Donnerschläge schien immer näher zu kommen, aber Tom störte sich nicht am Wetter, sondern es gingen ihm abwechselnd zwei Gedanken im Kopf herum:

Erstens: Was steckte hinter der Verbindung von Edgar zu dem Rocker? Versuchten die vielleicht Steineberg zu erpressen? Und zweitens: Warum verhielt sich Lisa so merkwürdig?

Er beschloss, Eike anzurufen. »Ich glaube, ich weiß, wer mit dieser Geschichte in Verbindung steht.«

»Ich kann dich ganz schlecht verstehen! Du sprichst so leise, hast du den Mund voll? Und außerdem scheint draußen ein Gewitter zu toben.«

Tom bemühte sich, seinen Satz nochmals deutlicher zu wiederholen.

»Was meinst du?«

»Das Odeon und das Rauschgift. Schon vergessen?«

»Was weißt du da?«

»Ich bin sicher, dieser Edgar ist nicht koscher.«

»Edgar, der Kochgehilfe?«

»Genau der. Er muss irgendwie Kontakt zu Drogendealern haben.«

»Wie kommst du darauf?«

»Das erzähl ich dir, wenn ich in der Redaktion bin. Ist ein bisschen kompliziert. Aber kannst du mir einen Gefallen tun? Kannst du herausfinden, wo dieser Edgar Sturm wohnt? Irgendwo im Schlachthofviertel muss das sein.«

»Und wieso machst du das nicht selber?«

Tom versuchte zu erklären, dass es besser sei, bei Ämtern vom Fernsehen aus anzurufen, und dass er nicht so gut reden könne. Schließlich willigte Eike ein, aber Tom spürte eine deutliche Reserviertheit. War er wieder zu forsch gewesen? Vermutlich ja. Er hatte gerade als Neuling einem Reporter in einem geregelten Arbeitsverhältnis einen Rechercheauftrag erteilt.

3

Tom stellte seinen Wagen auf einem Parkplatz in der Kapuzinerstraße ab. Eike hatte ihm dort ein Rückgebäude als Edgars Wohnsitz genannt. Die Gegend um das Schlachthofviertel zeichnet sich durch morbiden Charme aus, wirkt wie ein Stiefkind in der expandierenden Stadt und verfügt doch über einige Adressen für kulinarische Genießer.

Der Sturm am Morgen hatte auf dem Areal große Pfützen hinterlassen. Über die Parkfläche vor einem stillgelegten Möbelhaus pfiff der Wind und trieb Getränkedosen und kaputte Regenschirme über den Asphalt. Menschen waren nicht zu sehen.

Das Haus machte keinen gepflegten Eindruck, Putz war von den Wänden abgeblättert, an einer Ecke stand in einer Graffitischrift: »Too old to Rock’n’Roll – too young to die«. Die Rahmen der Fenster verlangten nach einem neuen Anstrich, hinter einigen waren die Vorhänge zugezogen, andere starrten schwarz wie riesige finstere Fischaugen nach draußen. Irgendwann würden Immobilienhaie anrücken, um es zu entmieten, abzureißen und als Neubau für Eigentumswohnungen des gehobenen Bürgertums wieder aufzubauen.

An das Haus schlossen sich in rechtem Winkel Garagen mit zum Teil offen stehenden, verwitterten Holztüren an. In alten Regalen lag Gerümpel, verrostete Fahrräder lehnten an den Wänden, und in einer Garage stand ein Motorrad.

Tom sah es sich genauer an. Es war eine Kawasaki Zephyr 550, deren Nummernschild unter der Gepäckhalterung montiert war. Die letzten zwei Ziffern zeigten eine Acht und eine Sieben.

An der Klingelanlage des Hauses waren mit Papier überklebte und mit Kugelschreiber beschriftete Schilder befestigt. An einer Klingel stand der Name E. Sturm. Tom überlegte, ob er sich in dem stillgelegten Möbelhaus verstecken und von dort aus den Eingang beobachten sollte. Wenn Edgar das Haus verließ, könnte er ihm folgen und womöglich die Spur zu dem Rocker ausfindig machen.

Plötzlich wurde die Haustür geöffnet, und Edgar stand vor ihm. »Was ma-ma-machst du denn hier?«, kam es aus seinem Mund.

Toms Gesicht begann wieder zu schmerzen, die Haut spannte über den Schwellungen, die er zu Hause noch mit Eis gekühlt hatte. »Ich wollte mich für die Observierung und den Stinkefinger bedanken, du Arschloch.«

Edgar griente. »Du siehst aus, als hä-hä-hättest du einen Sa-ha-tz heiße O-O-Ohren bekommen.«

»Wo ist dein Rockerkumpel, der Feigling?«

»Ich w-w-weiß nicht, was du meinst! Du spinnst ei-einfach ein bisschen. La-l-ass dich mal untersuchen – du verstehst schon – von den Psy-psychotypen.«

Mit diesen Worten versuchte Edgar Tom zur Seite zu stoßen. Wut stieg in Tom hoch, er mochte sich nicht mehr herumschubsen lassen, er holte mit einem Bein aus und trat Edgar seitlich gegen den rechten Oberschenkel. Der knickte ein, griff mit einer Hand an die verletzte Stelle und hielt plötzlich in der anderen ein Messer mit einer langen Klinge.

Tom blieb ruhig. Die Abwehr hatte er tausendmal geübt. Das Messer kam von oben. Er wehrte den Angriff mit gekreuzten Unterarmen ab, fasste mit seiner Rechten nach dem Handgelenk des Gegners, drehte sich um 180 Grad und zog dabei dessen Arm über die eigene Schulter. Edgar ließ das Messer fallen, Tom überlegte kurz, ob er ihm den Arm über seinem Knie brechen sollte, unterließ es aber. Stattdessen versetzte er Edgar einen kräftigen Tritt gegen sein Steißbein. Der Widersacher landete auf allen vieren in einer Pfütze.

Tom hob das Messer auf. »Das behalt ich als Andenken. Und schönen Gruß an deinen Freund.«

Er machte sich auf den Weg zu seinem Auto, dabei ließ er Edgar nicht aus den Augen. Er stieg in den Dacia, und schon begannen wieder die Grübeleien. War es nicht unter seiner Würde, sich mit einem Idioten wie Edgar zu prügeln? Aber er spürte auch Genugtuung nach dem, was der Rocker ihm angetan hatte. Wie in Trance fuhr Tom vom Parkplatz auf die Straße, im Rückspiegel sah er, wie Edgar, der mit der Faust drohte, immer kleiner wurde.

Wenn es wirklich so ist, dass dieser halbstarke Stotterer und der Rocker unter einer Decke steckten, dann war seine Auseinandersetzung mit Edgar für ihn nicht ungefährlich. Wenn der Rocker wusste, dass sich Tom nicht so leicht einschüchtern ließ, was sollte ihn daran hindern, nun schwereres Geschütz aufzufahren? Tom war es mulmig zumute. Es wurde ihm immer klarer, dass er jemandem seine Gedanken und Überlegungen mitteilen musste. Aber wem? Eigentlich kam nur Eike infrage. Lisa verbarg Dinge vor ihm, und mit seinen Kumpeln aus der Journalistenschule hatte sich nie ein wirkliches Vertrauensverhältnis entwickelt. Eike war kollegial, legte da und dort ein Wort für ihn ein – er war kein Freund, aber jemand, dem Tom vertraute.

Er beschloss, in die Redaktion zu fahren.

Als er dort ankam, war Karen die Erste, der er begegnete.

»Was ist denn mit dir passiert? Hat dich jemand für einen Punchingball gehalten?«

Tom berichtete ihr mit knappen Worten, dass er Opfer eines Rockerüberfalls geworden war.

»Warum legst du dich denn nicht zu Hause hin und gibst Ruhe?«

»Es geht schon. Hab ein Schmerzmittel genommen.«

Diese Geschichte musste er noch ein Dutzend Mal erzählen. Als Tom Eike schließlich gefunden hatte, bat er ihn um fünf Minuten für ein Gespräch unter vier Augen. Eike zeigte sich zugeknöpft und zögerlich. Er stand wohl unter Zeitdruck, um einen Beitrag fertigzustellen. Oder hatte er noch eine Rechnung mit Tom offen?

Schließlich gingen sie zusammen in eine Mitarbeiterküche, in der sich ungewaschene Teller und Kaffeetassen in und neben der Spüle stapelten.

Eike musterte Tom, schnaubte einmal und sagte mitfühlend: »Schlimm siehst du aus. Wie ein Boxer nach einem verlorenen Kampf.« Eikes Gesichtsausdruck änderte sich, er zwinkerte ihm zu und säuselte aufreizend: »Dabei bist du doch eigentlich ein ganz Süßer, ein richtiges Sahneschnittchen.«

Tom stutzte. Was sollte das jetzt? Wollte Eike ihn anmachen? »Lass das mal.« Tom ging instinktiv einen Schritt zurück.

Eike zog die Stirn in Falten. »Hab ich dich erschreckt.«

Tom merkte, dass Eike ihn absichtlich irritiert hatte. War da ein Bruch in ihrer Beziehung entstanden? Warum? Wegen des Telefonats heute Morgen? Wie konnte er das wieder ins Reine bringen?

»Entschuldige, dass ich die Recherche, wo Edgar wohnt, heute Morgen nicht selbst gemacht habe. Aber sieh mich an – das ist der Grund, mir ging es nicht gut.«

Eike schaute an Tom vorbei in die Ferne. »Ich habe keine Zeit für große Diskussionen. Was wolltest du mir sagen?«

»Ich bin hierher gekommen, damit du weißt, dass ich nicht nur eine Auseinandersetzung mit dem Rocker hatte, sondern jetzt auch mit Edgar. Der wollte mit dem Messer auf mich los, aber ich habe ihn ruhiggestellt – zumindest vorübergehend. Weißt du, das sind beides Kriminelle, Edgar und der Rocker, – die arbeiten zusammen, da bin ich mir sicher. Ich glaube, dass es dabei um Rauschgift geht. Da spielt das Odeon eine Rolle, und denk daran, wir haben beide darüber berichtet. Wenn wir in ein Wespennest gestochen haben, kann die Sache auch für dich noch gefährlich werden.«

»Warum gehst du nicht zur Polizei?«

»Ich hab doch letztlich keine Beweise!«

»Und was ist mit den dunkelroten Flecken in deinem Gesicht?«

»Für die Schlägerei schon, aber nicht dafür, dass Edgar und der Rocker Kompagnons sind.«

»Ich würde trotzdem zur Polizei gehen. Dort äußerst du deinen Verdacht, und Obermeier wird schon etwas damit anzufangen wissen.«

Bekümmert wendete sich Tom mit hängenden Schultern ab. »Jedenfalls weißt du Bescheid, sollte noch etwas passieren.«

So richtig weitergekommen war er nicht durch das Gespräch, immerhin müsste Eike die Gefährlichkeit der Situation deutlich geworden sein. Er war müde, sein Kopf pochte, und eine Idee, wie er zur Aufklärung des Falles beitragen könnte, hatte er nicht bekommen. Auch die Kommentare, die er von den Redaktionskollegen zu seinen Blessuren gehört hatte, nervten ihn, da sie letztlich nur der Befriedigung ihrer Neugierde dienten.

Frustriert und deprimiert meldete er sich für den Rest des Tages im Sekretariat ab.

4

Zwei Coolpacks hatte sich Tom mit einem Schal auf seine Wangen gebunden. Mit der Schleife oben auf dem Kopf sah er aus wie eine von Zahnschmerzen geplagte Figur in einem Comic. Nebenher schrieb er gefühlt 200 Whatsapp-Nachrichten an Lisa, erhielt aber keine Antwort. Der Schmerz durchfuhr ihn immer wieder in Wellen, er war nervös und ärgerte sich darüber, dass ihm das geradlinige Denken scheinbar abhandengekommen war. Um sich abzulenken, kochte er sich am Abend eine Kartoffelsuppe aus der Tüte, die für ihn allemal besser zu essen war als feste Nahrung.

Es war schon nach 22 Uhr, da rief Lisa endlich zurück. Tom fiel es noch immer schwer, sich deutlich zu artikulieren.

Als er sie um ein Treffen bat, reagierte sie reserviert. Er vermutete, dass sie ihm die Frage nach Edgars Adresse nach wie vor übel nahm. Tom druckste eine Zeitlang herum, als Lisa sich verabschieden wollte, platzte er heraus: »Ich habe die Adresse von Edgar herausbekommen, die du mir nicht nennen wolltest. War gar kein Problem.«

Lisa schluckte. »Ich kann doch meinen Arbeitskollegen nicht in die Bredouille bringen, indem ich jemandem, der etwas gegen ihn im Schilde führt, seine Adresse nenne. Verstehst du das nicht?«

»Er ist doch der Gangster!«

»Tom, das ist Blödsinn, er versucht mal, jemanden zu bescheißen, aber er ist doch kein Verbrecher.«

Hastig erzählte Tom die Geschichte, die er in der Kapuzinerstraße erlebt hatte. »Der geht mit dem Messer auf mich los und du sagst, er ist kein Gangster? Wieso verteidigst du ihn so vehement?«

Lisa war sehr kleinlaut geworden. »Er ist ein Arbeitskollege, und ich komme mit ihm gut klar. Aber wenn es so war, wie du es gerade geschildert hast, tut es mir leid.«

Tom empfand ihre Worte als einen kleinen Triumph. Edgars Messer hatte die fest verschlossene Auster einen winzigen Spalt weit geöffnet.

Tom ging zum Kühlschrank, öffnete eine Bierflasche und kühlte seinen Mund mit dem herben Getränk auch von innen.

5

Als Tom am nächsten Morgen in die Redaktion kam, herrschte die übliche Hektik im Großraumbüro. Die Reporter telefonierten, riefen sich kurze Informationen zu und schrieben in ihre Computer. Eike schaute vom Bildschirm hoch, als er Tom hereinkommen sah. »Und … warst du bei der Polizei?«

Tom schüttelte den Kopf.

»Irgendwann machen die dich richtig fertig!«

Tom zuckte unbeholfen mit den Achseln und sagte etwas zu bekümmert: »Wir müssen halt schneller sein.«

Eike riss seine Augen weit auf und begann zu lachen. »Unser Jungspund und die Mafia – ist ja nicht zu glauben. Du bist schon ein Traumtänzer?!«

»Ach, lass gut sein.«

Tom hatte das Gefühl, als würde ihm langsam alles über den Kopf wachsen. Traumtänzer – vielleicht hatte Eike da sogar recht. Nichts war so richtig für ihn greifbar, der Fernsehjob, Lisa, und dann wurde er auch noch von einem Rocker verprügelt.

»Jetzt schau nicht so belämmert! – Ich hatte eine Idee. Wie du sicher weißt, wird von TV 1 die Kochshow ›Sterneküche für zu Hause‹ produziert. Franz Fuchs ist der Redaktionsleiter. Ich hab mir einen Termin bei ihm geben lassen. Magst du mitkommen?«

Tom war begeistert. »Der kennt sich sicher in der Szene aus.«

»Natürlich. Könnte sein, dass wir etwas Neues von ihm erfahren. Sag mal im Sekretariat Bescheid, dass wir für ’ne Stunde im Haus unterwegs sind.«

Tom erledigte es sofort, und sie machten sich auf den Weg.

Sie gingen an einem langen grau gestrichenen Betonbau entlang, in dem sich hinter geschlossenen Fenstern Angestellte und freie Mitarbeiter des Senders an ihren Aufgaben abarbeiteten. Das Redaktionsbüro von Franz Fuchs lag in einem anderen Gebäude, gut 100 Meter entfernt von dem der Aktuellen Redaktion.

Er war gerade mit dem Sichten von Aufzeichnungen beschäftigt, als die beiden das Zimmer betraten. Fuchs stoppte die DVD, nahm seine rechteckige braune Brille ab und schüttelte Eike und Tom die Hände. »Hab mich schon gewundert, dass die Aktuellen hier nicht schon früher aufgeschlagen sind.«

Eikes Handy klingelte, aber er drückte den Anruf weg. »Bei Mord und Totschlag denkt man halt nicht gleich an die Unterhaltung.«

»Ich weiß schon, wir sind nur die soften Fernsehmacher, die sich um den Publikumsgeschmack kümmern, und ihr seid die Hardcore-Journalisten, die die Welt retten.« Bei diesen Worten zwinkerte Fuchs Eike zu.

Tom musterte den Chef der Kochsendungen neugierig aus der Distanz. Er war Mitte 50, hatte dicke Backen, und sein weinrotes Sakko spannte über dem Bauch. Grau melierte Haare standen über die Ohren. Er wirkte wie ein freundlicher Genussmensch, passte zum Kochstudio – ein ganz anderer Typ als Neuwirt.

Während Fuchs den beiden anbot, auf den ledernen Besuchersesseln Platz zu nehmen, sagte Eike: »Jedenfalls ist es sehr nett, dass Sie uns empfangen.«

Franz Fuchs lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück und faltete die Hände über der Brust. »Womit kann ich dienen?«

Eike erzählte mit ein paar Sätzen den Stand der Dinge im Fall Steineberg und ließ auch nicht die Erlebnisse von Tom mit Edgar und dem Rocker aus.

Fuchs bedauerte Tom und wurde nachdenklich. »Rauschgift im Sterne-Restaurant – das hatten wir schon Anfang der 90er-Jahre in München bei Witzigmann, aber dass Steineberg selbst damit zu tun hat, kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Er ist sehr ehrgeizig, aber auch seriös. Er will den dritten Stern. Vielleicht hat er mal einen krummen Hund in der Küche, das kann passieren, aber sonst? Nein, meine Herren.«

»Und was halten Sie von Wissler?«, fragte Eike.

»Der will auch den dritten Stern. Wissler hat einen ganz anderen Hintergrund als Steineberg. Da war immer Geld da, der Vater im Vorstand der ›Münchener Rück‹, die Mutter Schauspielerin, Wissler liebt die Malerei, und ich weiß, dass er sich auch selber als Maler versucht hat. Er gehört zu den oberen Zehntausend. Steineberg hat sich hochgearbeitet. Seine Familie stammt aus Murnau. Da hat er sehr gute Kontakte zu den regionalen Erzeugern von Lebensmitteln.« Fuchs winkte ab. »Aber das ist eine andere Welt.«

Tom räusperte sich. »Der Wissler hat auf mich sehr, sehr glatt gewirkt.«

»Da war Ihre Empfindung richtig, junger Mann. Er präsentiert sich glatt wie eine frisch polierte Aubergine. Aber in den Sendungen kommt er gut beim Publikum an. Da kann er sich auch jovial geben. Er ist ein schwieriger Mensch.«

Tom war unruhig geworden. »Wie stehen Steineberg und Wissler zueinander?«

Franz Fuchs griff nach einem großen hölzernen Kochlöffel, der auf seinem Schreibtisch lag. Auf dem Stiel war in breiten goldfarbenen Buchstaben zu lesen: ›The Golden Cooking Spoon‹. »Natürlich sind sie Konkurrenten, und wenn ein Koch vom Steineberg zu Wissler geht, dann kann er nicht mehr zurück. Das ist nicht wie in der Fußball-Bundesliga, wo Claudio Pizarro eine Saison für Werder Bremen spielt, die nächste für den FC Bayern und dann wieder für Werder. Das Betriebsgeheimnis steht bei beiden Köchen an erster Stelle. Beide wollen sicher auch nicht nur den dritten Stern, sondern sie wollen ganz hinauf, die Nummer eins in Deutschland sein – wie früher Witzigmann. Beide lassen sich ständig Neues in der Küche einfallen. Sie sind sehr kreativ. Aber dass einer beim anderen einen Gast vergiften lässt«, Fuchs setzte eine skeptische Miene auf, »das können Sie sich aus dem Kopf schlagen.«

Eike schaltete sich wieder ins Gespräch ein: »Wo hat der Wissler eigentlich das Kochen gelernt?«

Fuchs zeigte auf den Kochlöffel. »Den hat er mir nach einer Show geschenkt. Er ist von seiner ersten internationalen Station, dem Hotel Lancaster in Paris. Danach lernte Marc im Oriental in Bangkok, und schließlich in New York bei Eric Ripert. Aus der Stadt hat er sich auch seinen Lustknaben mitgebracht.«

Eike bemerkte: »Ist ein hübscher Kerl; den haben wir auch schon kennengelernt.«

Franz Fuchs grinste, und Tom begutachtete verlegen die weiße Kochschürze, die an einem Bücherregal hing.

In diesem Moment klopfte es, und die Sekretärin von Fuchs steckte den Kopf zur Tür herein. »Herr Fuchs, der Produktionschef wartet im Studio auf Sie.«

»Ja, sagen Sie ihm, ich komme gleich. Meine Herren, ich muss weiter. Wir produzieren morgen und übermorgen eine Show – wissen Sie mit wem?«

Tom platzte heraus: »Mit Steineberg?«

Fuchs lächelte. »Das hatten wir vor. Leider mussten wir ihn wieder ausladen. Aus aktuellen Gründen – versteht sich. Wir hätten zu viel ansprechen müssen, das wollte ich nicht und Steineberg auch nicht. Nein, es ist Marc Wissler.«

Tom stutzte. »Darf ich mal bei der Produktion dabei sein?«

Fuchs freute sich sichtlich über das Interesse an seiner Show. »Gerne, kommen Sie einfach vorbei. Wir sind im Studio 1.«

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Yaş sınırı:
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Litres'teki yayın tarihi:
25 mayıs 2021
Hacim:
293 s. 6 illüstrasyon
ISBN:
9783839267660
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Telif hakkı:
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