Kitabı oku: «Compliance-Handbuch Kartellrecht», sayfa 5
1.2 Bundeskartellamt
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Das deutsche Bundeskartellamt verfügt gemäß §§ 81ff. GWB für Kartellverstöße gegenüber Unternehmen über den gleichen maximalen Bußgeldrahmen wie die Kommission, d.h. es kann Bußgelder von bis zu 10 % des weltweiten Konzernumsatzes verhängen (§ 81c Abs. 2 GWB). Mit der 10. GWB-Novelle wurde mit § 81c Abs. 4 GWB der Bußgeldrahmen für Unternehmensvereinigungen deutlich erhöht.53 Auch die Bußgelder gegen die Verletzung von Verfahrensanordnungen des Bundeskartellamtes haben sich deutlich erhöht. Der Bußgeldrahmen halbiert sich im Falle der Fahrlässigkeit, § 17 Abs. 2 OWiG.
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Durch eine Entscheidung des BGH zum Zement-Kartell54 hat sich bei der Interpretation der 10 %-Grenze zwischen deutschem und europäischem Kartellrecht ein wichtiger Unterschied aufgetan: Während die Kommission, unbeanstandet von den Europäischen Gerichten, die 10 %-Grenze als sog. Kappungsgrenze ansieht, ist der daran angelehnten Auffassung des Bundeskartellamtes (und des Gesetzgebers) nun ein Riegel vorgeschoben worden. Nach dem Urteil des BGH ist die 10 %-Grenze als Obergrenze des Bußgeldrahmens anzusehen. Das Bundeskartellamt hatte 2013 auf dieses Urteil mit einer Anpassung seiner Leitlinien zur Bußgeldberechnung reagiert.55
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Nach diesen Bußgeldleitlinien setzt das Bundeskartellamt ein Gewinn- und Schadenspotenzial in pauschaler Höhe von 10 % des während der Dauer des Kartellverstoßes erzielten tatbezogenen Umsatzes des Unternehmens an.56 Ist der Zuwiderhandlung kein Umsatz beizumessen (z.B. bei einem Marktaufteilungskartell oder bestimmten Formen der Submissionsabsprachen), werden die Umsatzerlöse herangezogen, die ohne die Zuwiderhandlung vermutlich erzielt worden wären.57 Das so festgesetzte Schadenspotenzial wird mit folgenden Faktoren multipliziert, um der Gesamtunternehmensgröße Rechnung zu tragen:
Faktor | 2–3 | 3–4 | 4–5 | 5–6 | > 6 |
Gesamtumsatz d. Unternehmens i.S.d. § 81 Abs. 4 S. 2 GWB | < 100 Mio. € | 100 Mio. € bis 1 Mrd. € | 1 Mrd. € bis 10 Mrd. € | 10 Mrd. € bis 100 Mrd. € | > 100 Mrd. € |
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Innerhalb des Bemessungsspielraums erfolgt eine Eingrenzung des Bußgeldes anhand der 10 %-Obergrenze auf der Grundlage der Gesamtabwägung der schärfenden und mildernden Faktoren. Dabei zieht das Bundeskartellamt tatbezogene Kriterien wie Art und Dauer des Verstoßes, Bedeutung der Märkte sowie Organisationsgrad unter den Beteiligten heran und hält fest, dass für schwerwiegende Kartellverstöße wie insbesondere Preis-, Quoten-, Gebiets- und Kundenabsprachen eine Einordnung im oberen Bereich stattfinden wird. Relevante tatbezogene Kriterien sind die Rolle des Unternehmens im Kartell, dessen Marktstellung, Besonderheiten der Wertschöpfungstiefe, der Grad des Vorsatzes/der Fahrlässigkeit, vorangegangene Verstöße und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.58 Die Bußgeldpraxis des Bundeskartellamtes ist herber Kritik ausgesetzt. Diese setzt vor allem an dem Auseinanderfallen der Bußgeldzumessung des Amtes mit dem Vorgehen der Gerichte an, die sich für die Bußgeldzumessung nicht an den Leitlinien des Bundeskartellamtes, sondern allein am gesetzlichen Rahmen orientieren. Praktische Folge ist, dass eine Überprüfung der behördlichen Bußgelder vor Gericht für betroffene Unternehmen zu einer substanziellen Verböserung führen kann.59
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Das Bundeskartellamt behält sich vor, die wirtschaftlichen Vorteile aus der Zuwiderhandlung im Rahmen des Bußgeldverfahrens oder eines separaten Verfahrens nach §§ 32, 34 GWB zu entziehen.
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Anstelle der Verhängung eines umsatzbezogenen Bußgeldes kann das Bundeskartellamt Verstöße auch nach dem festen Bußgeldrahmen des § 81c Abs. 1 GWB ahnden. Schwere Kartellrechtsordnungswidrigkeiten können mit einer Geldbuße von bis zu EUR 1 Mio., sonstige Kartellrechtsordnungswidrigkeiten gemäß § 81 Abs. 4 S. 5 GWB mit einer Geldbuße von bis zu EUR 500.000 belegt werden.
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Für die hier in Rede stehenden Verstöße, die mit einem wirksamen Compliance-Programm aufgedeckt bzw. verhindert werden sollen, spielt der feste Bußgeldrahmen in der Regel keine Rolle. Diese Verstöße werden nach dem umsatzbezogenen Bußgeldrahmen sanktioniert. Mit der zunehmenden Bedeutung zivilrechtlicher Folge-Schadensersatzklagen (sog. follow-on damage claims), ist der Gedanke der Vorteilsabschöpfung bei der Bemessung von Bußgeldern durch das Bundeskartellamt schon lange in den Hintergrund getreten. Die derzeitigen Bußgelder des Bundeskartellamtes sind reine Ahndungsbußgelder.
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Das Bundeskartellamt ist eine sehr aktive Verfolgungsbehörde, die der Kommission auch in der Höhe der für Kartellrechtsverstöße verhängten Bußgelder kaum nachsteht.
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Das bislang höchste Bußgeld in seiner Geschichte von insgesamt EUR 646 Mio. verhängte das Bundeskartellamt gegen mehrere führende Stahlhersteller wegen Kartellabsprachen bei Grobblechen im Dezember 2019.60 Nur wenige Wochen zuvor hatte das Bundeskartellamt bereits Bußgelder in Höhe von EUR 100 Mio. gegen verschiedene Automobilhersteller wegen Absprachen beim Einkauf von Langstahl verhängt.61 Im Januar 2020 sanktionierte das Bundeskartellamt verschiedene Anbieter von Pflanzenschutzmitteln mit einem Gesamtbußgeld von EUR 156 Mio. Die Unternehmen hatten ihre Bruttopreislisten für Pflanzenschutzmittel untereinander abgestimmt.62 Wie die Kommission konzentriert sich auch das Bundeskartellamt keineswegs auf eine Verfolgung von Großkonzernen, wie sich z.B. an jüngeren Bußgeldern gegen Lesezirkel-Anbieter63 oder Fahrradgroßhändler64 zeigt.
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Das Bundeskartellamt nimmt auch bei der Sanktionierung vertikaler Kartellrechtsverstöße eine Rolle ein, mit der das Amt durchaus als Vorreiter im europäischen Kontext gelten kann. Im Fokus der Verfolgungspraxis steht dabei die direkte wie indirekte Preisbindung des Handels.65 Regelmäßig spielen in der Verfolgungspraxis des Bundeskartellamts auch kartellrechtswidrige Vereinbarungen eine Rolle, mit denen Hersteller günstige Preise von Online-Händlern zu unterbinden suchen. Bußgelder für den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung waren in der Fallpraxis des Bundeskartellamtes bislang seltener, können in ihrer Höhe aber ebenso substanziell ausfallen.66
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Mit der 10. GWB-Novelle sind Compliance-Programme erstmals als bußgeldmildernder Faktor in das Gesetz aufgenommen worden. Im Rahmen der in § 81d Abs. 1 S. 2 Nr. 4 und Nr. 5 GWB verankerten Compliance-Defense können nun vor und nach der Zuwiderhandlung getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen bei der Festsetzung der Geldbuße zugunsten der Unternehmen berücksichtigt werden.67
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Zuvor waren Compliance-Programme schon im Kontext von Submissionsabsprachen relevant: Hier ist der Nachweis eines Compliance-Programms in Form von konkreten „technische[n], organisatorische[n] und personelle[n] Maßnahmen“ gesetzlich verankerte Voraussetzung der Selbstreinigung, um gemäß § 125 GWB eine vorzeitige Löschung des Unternehmens aus dem Wettbewerbsregister zu erwirken und so sicherzustellen, dass es wieder bei Vergabeverfahren berücksichtigt werden kann.68 Auch in den Reformüberlegungen zum Verbandssanktionenrecht wurden Compliance-Programme erwähnt.69
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Das Bundeskartellamt verhängt wegen Kartellrechtsverstößen auch Bußgelder gegen bestimmte für das Unternehmen handelnde Mitarbeiter. Dies ist ein wichtiger Unterschied zum Verfahren der Kommission, das sich nur gegen Unternehmen richtet. Anders als das reine Verwaltungsverfahren der Kommission richtet sich das Bußgeldverfahren nach dem GWB nach OWiG und StPO und geht somit stets von der Haftung des Individuums aus. Die Unternehmensmitarbeiter sind im deutschen Bußgeldverfahren die handelnden Verletzer, die Unternehmen dagegen nur Nebenbetroffene, denen das Verhalten bestimmter Mitarbeiter zugerechnet wird.
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Im Hinblick auf die bußgeldpflichtigen Personen nach dem deutschen GWB sind insoweit drei Gruppen von Unternehmensmitarbeitern zu unterscheiden:70
– Zum einen die unmittelbar handelnden Mitarbeiter, die selbst „Unternehmenseigenschaft“ haben71 oder denen die Unternehmenseigenschaft nach § 9 OWiG zugerechnet wird, weil sie gesetzlicher Vertreter eines Unternehmens sind und/oder für dieses eigene Aufgaben mit Leitungsfunktion wahrnehmen (z.B. Leiter der Rechtsabteilung, Leiter der Vertriebsabteilung etc.);
– sodann beteiligte Mitarbeiter, die eine Person mit Unternehmenseigenschaft oder zugerechneter Unternehmenseigenschaft mit einer physischen oder psychischen Beihilfehandlung im Sinne des § 14 OWiG unterstützen (z.B. die Sekretärin eines Vorstandsmitglieds, die dieses bei der Organisation des Kartells unterstützt);
– und schließlich aufsichtspflichtige Mitarbeiter nach § 130 OWiG, für den Fall, dass ein Unternehmensmitarbeiter, der selbst nicht bußgeldpflichtig ist, einen Kartellverstoß begeht, den die aufsichtspflichtige Person vorsätzlich oder fahrlässig nicht verhindert hat.
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Das Bundeskartellamt muss zwar für jeden Einzelfall und für jedes beteiligte Unternehmen die internen Verantwortlichkeiten feststellen.72 In der Praxis kommt es allerdings nicht vor, dass das Bundeskartellamt bei der Suche nach einem verantwortlichen Unternehmensmitarbeiter nicht „fündig“ wird. Dies gilt, obwohl das Organisationsverschulden gegenüber dem täterschaftlichen Handlungsverschulden subsidiär ist.
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Der maximale Bußgeldrahmen für Bußgelder gegen natürliche Personen beträgt gemäß § 81c Abs. 1 GWB EUR 1 Mio. Der Bußgeldrahmen halbiert sich jeweils im Falle fahrlässigen Verhaltens (§ 17 Abs. 2, § 30 Abs. 2 OWiG).
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Auch die Bußgelder des Bundeskartellamts sind steuerlich nicht als Betriebsausgaben abzugsfähig.73 Sie spielen zudem keine Rolle im Zusammenhang mit Schadensersatzforderungen, etwa indem sie auf diese angerechnet würden oder eine Bußgeldfreiheit – etwa im Rahmen eines Kronzeugenantrags – das Unternehmen von einer Schadensersatzpflicht befreien würde.74
2. Strafrechtssanktionen gegen Mitarbeiter
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Ein Verstoß gegen das europäische Kartellrecht ist keine Straftat.75
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Auch nach dem deutschen GWB sind Kartellrechtsverstöße Ordnungswidrigkeiten, jedoch keine Straftaten. Dies gilt mit einer Ausnahme, nämlich für wettbewerbswidrige Abreden im Zusammenhang mit Ausschreibungen. Der bereits 1997 in das deutsche StGB eingeführte Sondertatbestand der Submissionsabsprache nach § 298 StGB sieht vor, dass sich strafbar macht, wer bei einer Ausschreibung über Waren oder gewerbliche Leistungen ein Angebot abgibt, das auf einer Absprache beruht, die den Ausschreibenden zur Annahme eines bestimmten Angebots veranlassen soll. Ein Verstoß kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder mit Geldbuße geahndet werden.76 Anders als die Kartellrechtsverstöße nach dem GWB kann ein Verstoß gegen § 298 StGB nur vorsätzlich erfolgen. Er kann nur durch eine natürliche Person, nicht dagegen durch ein Unternehmen begangen werden; diese werden wegen Verstoßes gegen das Kartellverbot bebußt.77 Der kürzlich gescheiterte Regierungsentwurf des Verbandssanktionengesetzes sah auch die Möglichkeit vor, ein Unternehmen wegen eines Verstoßes gegen § 298 StGB „strafrechtlich“ zur Verantwortung zu ziehen.78 Im Zusammenhang mit der Verwirklichung des § 298 StGB stellt sich zudem die Frage, ob auch der § 263 StGB in Form des Ausschreibungsbetrugs verletzt ist. Anders als die Verwirklichung des § 298 StGB, der als abstraktes Gefährdungsdelikt konzipiert ist, setzt dies jedoch voraus, dass ein Vermögensschaden nachweisbar ist.79
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Informationen zu konkreten Rechtsfolgen bei Submissionsabsprachen sind wegen ihrer uneinheitlichen statistischen Erfassung sporadisch.80 Die Rechtsfolgen selbst können dabei durchaus drastisch sein: So wurde im Jahr 2006 einer der Beteiligten im Fernwärmerohr-Kartell zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten sowie einer Gesamtgeldstrafe von EUR 100.000 verurteilt.81
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Seit Februar 2012 hat das Bundeskartellamt einen fortwährenden Austausch mit den Staatsanwaltschaften ins Leben gerufen, um dafür zu sorgen, dass die Behörden effektiver zusammenarbeiten. Kartellrechtswidrige Absprachen im Zusammenhang mit Ausschreibungen werden vom Bundeskartellamt automatisch an die zuständige Staatsanwaltschaft gemeldet. Diese verfolgt dann die handelnden Individualpersonen, während das Bundeskartellamt gemäß § 82 GWB für die Verfolgung und Ahndung der juristischen Person, sprich des Unternehmens zuständig bleibt, sofern das Bundeskartellamt gemäß § 82 S. 2 GWB das Verfahren nicht insgesamt an die Staatsanwaltschaft abgibt.
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Diese ausschließliche Zuständigkeit der Kartellbehörden zur Bebußung des Unternehmens wegen Verstoßes gegen das Kartellrecht sollte durch das geplante, jedoch vorerst gescheiterte Gesetzesvorhaben zur Einführung eines Verbandssanktionengesetzes (VerSanG-E) Änderungen unterliegen. Da bei Vorliegen eines Wettbewerbsverstoßes in den meisten Fällen nur eine Ordnungswidrigkeit vorliegt, ermittelt grundsätzlich die Kartellbehörde gegen das Unternehmen und setzt ein Bußgeld fest. Ist aber mit dem Wettbewerbsverstoß gleichzeitig ein Straftatbestand erfüllt, sah der VerSanG-E die Möglichkeit vor, dass bei Untätigkeit der Kartellbehörde die Staatsanwaltschaft nicht nur gegen die Mitarbeiter, sondern auch gegen das Unternehmen ermittelt und es zur Festsetzung einer Verbandssanktion durch ein Strafgericht käme.82
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In Kartellrechtsordnungen vieler Länder innerhalb und außerhalb von Europa sind Kartellrechtsverstöße – anders als nach europäischem und grundsätzlich auch nach deutschem Kartellrecht – Straftatbestände. Das US-Kartellrecht stuft Verstöße gegen den Sherman Act als Verbrechen ein, die mit Haftstrafen von bis zu zehn Jahren sanktioniert werden können. Vertreter des amerikanischen Department of Justice werden dabei nicht müde zu betonen, dass sie Haftstrafen gegen persönlich Verantwortliche als die wirksamste Abschreckungsmaßnahme bei Kartellverstößen ansehen. Laut Statistik des Department of Justice betrug die durchschnittliche Haftdauer für Kartellrechtsverstöße in Jahren 2010 bis 2018 19 Monate.83 Bereits im März 2010 kam es zu einer ersten Auslieferung eines englischen Managers an die US-Verfolgungsbehörde.84 Insgesamt sitzt eine große Zahl ausländischer Unternehmensvertreter Haftstrafen in den USA wegen Kartellrechtsverstößen ab.
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Auch in einer Reihe von EU-Mitgliedstaaten85 sowie in Ländern außerhalb der EU86 sind Verstöße gegen das Kartellrecht Strafrechtstatbestände.
3. Zivilrechtliche Nichtigkeit
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Eine Vereinbarung, die gegen ein Kartellrechtsverbot verstößt, ist nichtig.87 Die Nichtigkeit nach deutschem und/oder EU-Kartellrecht im Rahmen einer Vertragsvereinbarung betrifft grundsätzlich nur die wettbewerbsbeschränkenden Klauseln. Das Schicksal der restlichen Vereinbarung bestimmt sich nach nationalem Recht.88 Für die Frage nach den Konsequenzen für andere Vertragsklauseln wird salvatorischen Klauseln eine große Bedeutung beigemessen. Diese Bedeutung hat sich durch die BGH-Rechtsprechung in Sachen Tennishallenpacht zumindest für standardisierte salvatorische Klauseln jedoch deutlich abgeschwächt. Ist die salvatorische Klausel, wie oft üblich, als allgemeine Geschäftsbedingung vereinbart, bewirkt diese lediglich eine Beweislastumkehr zugunsten desjenigen, der sich auf die Wirksamkeit des Restvertrages beruft. Oder umgekehrt: Die Darlegungs- und Beweislast für die Gesamtnichtigkeit des Vertrages nach § 139 BGB trifft diejenige Partei, die sich entgegen der Erhaltungsklausel auf die Unwirksamkeit des gesamten Vertrages beruft.89
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Die zivilrechtliche Nichtigkeit kartellrechtswidriger Vereinbarungen ist im Kontext von Hard-core-Kartellen nur selten relevant. Die wenigsten Unternehmen sind heute noch derart unbedarft, den Versuch zu unternehmen, die Einhaltung dieser Abreden gerichtlich einzuklagen. Passiert es doch, wird sich auch das Bundeskartellamt der Sache annehmen: Gemäß § 90 i.V.m. § 87 GWB sind die Zivilgerichte verpflichtet, das Bundeskartellamt über Rechtsstreitigkeiten zu informieren, deren Ausgang ganz oder teilweise von Normen des deutschen oder europäischen Kartellrechts abhängt.
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Von besonderer Bedeutung ist die zivilrechtliche Nichtigkeit kartellrechtlicher Verträge dagegen im Zusammenhang mit Lizenzverträgen, Forschungs- und Entwicklungskooperationen, Liefer- oder Vertriebsverträgen oder auch im Transaktionskontext. Hier hat die Nichtigkeit beschränkender Klauseln oder gar des ganzen Vertrages (etwa bei einem Verstoß gegen das fusionskontrollrechtliche Vollzugsverbot) erhebliche kommerzielle Konsequenzen, da mit diesen Verträgen oft ein hohes Investitionsvolumen einhergeht.
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Auch der Verstoß gegen das Missbrauchsverbot ist verboten und ein entsprechendes Verhalten folglich nach § 134 BGB nichtig.
4. Wettbewerbsregister
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Am 29.7.2017 ist das Gesetz zur Einführung des Wettbewerbsregisters in Kraft getreten.90 Im März 2021 hat das Bundeskartellamt den Betrieb des Registers, das in Form einer elektronischen Datenbank geführt wird, aufgenommen; die Mitteilungs- und Abfragungspflichten sind jedoch erst anwendbar, sobald sie im Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Öffentliche Auftraggeber sind danach ab einem Auftragswert von EUR 30.000 verpflichtet, das Wettbewerbsregister im Rahmen von Vergabeverfahren einzusehen und zu prüfen, ob Unternehmen an Wirtschaftsdelikten beteiligt waren und deshalb von einem Auftrag auszuschließen sind oder ausgeschlossen werden können. § 123 Abs. 1 und 4 GWB beinhalten Delikte, für die rechtskräftige Verurteilungen, Strafbefehle oder Bußgeldentscheidungen zwingend zum Ausschluss aus dem Vergabeverfahren führen (darunter Bestechung, Menschenhandel, Bildung krimineller Vereinigungen, Terrorismusfinanzierung, Geldwäsche, Vorenthalten von Sozialabgaben, Steuerhinterziehung). Zu den in § 124 GWB aufgeführten fakultativen Ausschlussgründen zählen Submissionsabsprachen sowie Verstöße gegen das Kartellrecht. Nach drei (fakultative Ausschlussgründe) bzw. fünf Jahren (zwingende Ausschlussgründe) sind die Einträge zu löschen. Allerdings haben Unternehmen die Möglichkeit, durch eine Selbstreinigung eine vorzeitige Löschung zu erwirken. Die Voraussetzungen der Selbstreinigung sind in § 125 GWB explizit geregelt: Dazu ist erforderlich, dass das Unternehmen (i) für jeden durch eine Straftat oder ein Fehlverhalten verursachten Schaden einen Ausgleich gezahlt oder sich zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet hat, (ii) die Tatsachen und Umstände, die mit der Straftat oder dem Fehlverhalten und dem dadurch verursachten Schaden in Zusammenhang stehen, durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden und dem öffentlichen Auftraggeber umfassend geklärt hat, und (iii) konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen ergriffen hat, die geeignet sind, weitere Straftaten oder weiteres Fehlverhalten zu vermeiden.
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Letzteres setzt ein wirksames Compliance-Programm voraus. Wie dieses konkret ausgestaltet werden muss, hat das Bundeskartellamt als Registerbehörde in seinen Anfang Juni 2021 zum Zwecke der öffentlichen Konsultation veröffentlichten Entwurfsfassungen von „Leitlinien zur vorzeitigen Löschung einer Eintragung aus dem Wettbewerbsregister wegen Selbstreinigung“ sowie von „Praktischen Hinweisen für einen Antrag“ dargelegt (abrufbar unter www.bundeskartellamt.de/DE/Wettbewerbsregister).
5. Schadensersatzrisiken
„Einen ergänzenden Beitrag zur Abschreckungswirkung des Kartellrechts leistet in den letzten Jahren zunehmend das Instrument privater Schadensersatzklagen. Müssen Kartellmitglieder neben einem empfindlichen Bußgeld auch mit zusätzlichen Forderungen der geschädigten Kunden auf Schadensersatz rechnen, schwächt dies spürbar die Attraktivität illegaler Absprachen. Die Bedingungen für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen Kartellrechtsverstößen haben sich durch die zunehmende gerichtliche Praxis und höchstrichterliche Entscheidungen in den vergangenen Jahren weiter verbessert.“
Informationsbroschüre des Bundeskartellamtes 2017 – Erfolgreiche Kartellverfolgung – Nutzen für Verbraucher und die Wirtschaft
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In der Praxis haben die finanziellen Risiken durch Schadensersatzklagen in Folge von Kartellrechtsverstößen mittlerweile eine Bedeutung eingenommen, die die behördlichen Bußgelder im Summe um ein Vielfaches übersteigen können.91 Das Geltendmachen von kartellrechtsbedingten Folgeschäden ist dabei durch umfassende Gesetzesreformen erheblich erleichtert worden. Dahinter steht der politische Wille auf EU-Ebene, durch einen deutlich erleichterten zivilrechtlichen Klageweg die Verhinderung von Kartellrechtsverstößen auf eine weitere wirksame Säule, nämlich die der privaten Schadensdurchsetzung (des private enforcement) zu stellen und für Geschädigte europaweit ein vergleichbares Schutzniveau herzustellen. Das Instrument der dezentralen Kartellrechtsdurchsetzung durch Privatklagen nimmt in anderen Rechtskreisen, namentlich den USA, schon lange eine herausragende Bedeutung ein. Dies wird insbesondere durch den – in Europa nicht verfolgten – US-Ansatz der punitive oder treble damages getragen, der dem Geschädigten den dreifachen Schadensersatz einräumt, was häufig durch class actions (Sammelklagen) durchgesetzt wird.
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Die Europäische Schadensersatzrechtsrichtlinie92 ist in Deutschland mit der 9. GWB-Novelle am 9.6.2017 umgesetzt worden.93 Kläger profitierten in sog. nachgelagerten oder follow-on-Schadensersatzklagen bereits vor dieser Umsetzung davon, dass die Gerichte an die rechtskräftige Feststellung des Kartellrechtsverstoßes durch eine Behörde oder ein (anderes) Gericht gebunden sind und die Feststellung eines Kartellrechtsverstoßes deshalb im Schadensersatzprozess keine Rolle mehr spielt. Zudem gibt es mittlerweile für nach dem 26.12.2016 entstehende Schadensansprüche mit § 33a Abs. 2 GWB eine gesetzlich geregelte widerlegliche Schadensvermutung für Preiskartelle, Quotenkartelle, gebietsbezogene Marktaufteilungen oder andere wettbewerbsschädigende Maßnahmen. Kartellanten, die gegen sie gerichtete Schadensersatzansprüche abwehren wollen, müssen für diese Ansprüche nunmehr darlegen, dass die von ihnen getroffene Absprachen nicht zu einem Schaden geführt haben, also einen Vollbeweis des Gegenteils gemäß § 292 ZPO erbringen.
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Ebenfalls gesetzlich erheblich erleichtert ist für Ansprüche, die nach dem 26.12.2016 entstanden sind, die Geltendmachung von Schadensersatz durch mittelbar Geschädigte, die sich auf eine gesetzliche Vermutung der Schadensabwälzung gemäß § 33c GWB berufen können. Die Gesetzesreform hat zudem Ermittlungserleichterungen für potenzielle Kläger mit sich gebracht. So können Geschädigte nach § 33g GWB die Herausgabe von Unterlagen und Erteilung von Auskünften seitens der Kartellanten verlangen, die zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen erforderlich sind.
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Nach deutschem Recht haften Kartellanten gegenüber den Geschädigten als Gesamtschuldner. Dies bedeutet konkret, dass ein Geschädigter seinen gesamten Schaden gegenüber einem Kartellanten geltend machen könnte, ohne dass er zu diesem Unternehmen überhaupt in einer Vertragsbeziehung gestanden haben muss. Kronzeugen haften für Ansprüche nach dem 26.12.2016 nur gegenüber ihren eigenen direkten und indirekten Abnehmern und sind auch beim entsprechenden Gesamtschuldnerinnenausgleich gegenüber anderen Kartellanten privilegiert.
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Durch die Entscheidung des EuGH in Sachen Otis wurde die Aktivlegitimation für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche deutlich erweitert: Der Gerichtshof hat entschieden, dass auch diejenigen von den Beteiligten eines Kartells Schadenersatz verlangen können, die nicht unmittelbar in die Wertschöpfungs- oder Lieferkette des kartellbefangenen Produktes eingebunden sind.94 Der EuGH hatte bereits kurz vor diesem Urteil die Passivlegitimation für eine Kartellschadensersatzklage klargestellt: Danach haften für einen Kartellrechtsverstoß alle Gesellschaften eines einzelnen Rechtsträgers, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, soweit ihnen, z.B. aufgrund einer 100 %-Beteiligung, eine Verantwortlichkeit für den Verstoß angelastet werden kann.95 Dies bedeutet praktisch, dass für den Verstoß eines Konzernunternehmens in jedem Fall die kontrollierende Muttergesellschaft in Anspruch genommen werden kann. Die Haftung von Schwestergesellschaften wird dagegen von der wohl h.M. verneint.96
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Für die Geschäftsführer von geschädigten Unternehmen gehört die Prüfung der Möglichkeit von Schadensersatzansprüchen aus Kartellverfahren zu ihrer Treuepflicht gegenüber ihrem eigenen Unternehmen.97
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Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Durchsetzung von kartellrechtlichen Folge-Schadensersatzansprüchen nicht zwingend vor Gericht ausgetragen wird. Viele Unternehmen einigen sich außergerichtlich.98 Dies gilt vor allem für Unternehmen, die mit potenziellen Klägern in langjährigen Liefer- oder Abnahmebeziehungen stecken. Die im Rahmen von außergerichtlichen Streitbeilegungsvereinbarungen erzielten Ausgleichssummen fallen in ihrer Höhe nicht minder substanziell aus.
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Unternehmen, die wegen eines Kronzeugenantrags volle oder teilweise Bußgeldfreiheit erlangt haben, haben vor der Umsetzung der 9. GWB-Novelle das uneingeschränkte Risiko getragen, zu gleichrangigen Beklagten im Rahmen nachgelagerter Schadensersatzforderungen zu werden. Da die erfolgreiche Rolle des Kronzeugen die Einräumung des kartellrechtswidrigen Sachverhaltes voraussetzt, hat sich die für einen Kronzeugenantrag erforderliche Kooperation damit später durchaus als nachteilig bei der Verteidigung gegen Schadensersatzforderungen erwiesen. Das Folgerisiko von Schadensersatzklagen ist für Kronzeugen auch mit der Umsetzung der Gesetzesreformen nicht grundsätzlich beseitigt. Kronzeugen haften ihren direkten und indirekten Abnehmern nach wie vor vollumfänglich für die durch die Kartellrechtsverletzung entstandenen Schäden. Wie oben aufgeführt, werden sie allerdings gegenüber Schadensersatzforderungen Dritter privilegiert, die sie lediglich im Rahmen der Haftung aller Kartellanten als Gesamtschuldner treffen. Auch vor dem Hintergrund der neuen Rechtslage ist also nach wie vor in die Risikoabwägung einzubeziehen, ob ein Kronzeugenantrag in der konkreten Situation für das Unternehmen der richtige Schritt ist (siehe dazu ausführlich unter Rn. D 4ff.).