Kitabı oku: «Compliance-Handbuch Kartellrecht», sayfa 6

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6. Kommerzielle Risiken durch Reputationsverlust, Kundenreaktionen, langwierige Untersuchungen, personelle Konsequenzen

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Kartellrechtsverstöße ziehen nicht nur Risiken aus unmittelbaren Rechtsfolgen nach sich, sondern führen auch zu einer Reihe weiterer kommerzieller Risiken, die erheblichen Einfluss auf das weitere Schicksal des Unternehmens haben können.

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Investoren und Anlegern sind die Konsequenzen des ungünstigen Ausgangs eines Verfahrens durch die Kartellbehörden gut bekannt. Muss ein Unternehmen einräumen, Beteiligter in einem Kartell- oder Missbrauchsverfahren zu sein, hat dies insbesondere bei börsennotierten Unternehmen regelmäßig einen unmittelbaren Einfluss auf den Unternehmenswert. Dies gilt meist schon dann, wenn die Einleitung eines Verfahrens bekannt wird, obgleich dessen Ausgang offen ist. Die Eröffnung eines kartellrechtlichen Verfahrens hat zudem einen erheblichen Einfluss auf anstehende Transaktionen. Ein Erwerber wird sich nur dann zum Kauf eines am Kartellverfahren beteiligten Unternehmens entschließen, wenn er meint, die kartellrechtlichen Risiken abschätzen und in Form des Kaufpreises oder der Vertragsverhandlungen kompensieren zu können.

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Reputationsverlust und schlechte Presse nach Eröffnung eines Kartellverfahrens wirken sich regelmäßig auch auf die Kundenbeziehungen aus. Unternehmen müssen in Jahresgesprächen schon weit vor Abschluss eines Kartellverfahrens erleben, dass sie für ihr vermeintliches Fehlverhalten von Kunden zur Rechenschaft gezogen werden. Aus Unternehmenssicht positiv ist, dass sich durch ein finanzielles Entgegenkommen gegenüber Kunden Schadensersatzklagen ggf. vermeiden lassen.

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In Ausschreibungsmärkten bedeutet ein Kartellrechtsverstoß gemäß § 124 GWB einen fakultativen Ausschluss eines Unternehmens von weiteren Ausschreibungen. Die Registrierung derartiger Verstöße wird durch das vom Bundeskartellamt geführte Wettbewerbsregister nunmehr formalisiert.99 Eine vorzeitige Löschung des Eintrags ins Wettbewerbsregister ist durch Selbstreinigung möglich. Damit wird eine Situation gesetzlich verankert, die bereits in der Vergangenheit in Verfahren vor dem Bundeskartellamt auf Märkten eine Rolle gespielt hat, in denen die öffentliche Hand als Kunde auftritt.100 Wie unter Rn. C 111ff. dargestellt, bietet ein solcher Nachweis z.B. über ein Zertifizierungsverfahren auch eine Chance für Unternehmen, ihre Compliance-Maßnahmen pro-aktiv bei Kunden zu nutzen.

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Unternehmen, gegen die ein kartellrechtliches Verfahren eröffnet ist, dürfen nicht unterschätzen, dass die Aufarbeitung des Sachverhaltes und Verteidigung in einem solchen Verfahren langwierig ist und erhebliche Zeit der Geschäftsführung, der Rechtsabteilung und ggf. anderer leitender Mitarbeiter bindet. Hinzu kommen Kosten externer Berater und Zeitverlust infolge von personellen Konsequenzen, die ggf. aufgrund des kartellrechtlichen Fehlverhaltens der betroffenen Mitarbeiter notwendig werden. Diese Konsequenzen mögen sich trivial anhören, sind für ein betroffenes Unternehmen aber regelmäßig die ersten spürbaren kommerziellen Folgen, die ein Kartellrechtsverstoß bzw. dessen Verdacht mit sich bringt.

32 Siehe dazu bereits die Ausführungen in der Einleitung sowie unter Rn. B 17. 33 Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Art. 23 Abs. 2 Buchstabe a) der VO Nr. 1/2003, ABl. EU 2006 C 210/02 (Bußgeldleitlinien Kommission). 34 Bußgeldleitlinien Kommission, Rn. 13, 20. 35 Bußgeldleitlinien Kommission, Rn. 24. 36 Bußgeldleitlinien Kommission, Rn. 25. 37 Bußgeldleitlinien Kommission, Rn. 29. 38 Zu den Ländern, in denen Compliance-Programme explizit bußgeldmindernd berücksichtigt werden können, gehört in Europa neben Deutschland z.B. Italien. Außerhalb der EU berücksichtigen dies z.B. die USA, Schweiz sowie Großbritannien. Frankreich, das Compliance-Programme zunächst stark bußgeldmindert berücksichtigt hat, hat diesen Ansatz 2017 explizit aufgegeben. Deutschland hat die Berücksichtigung von Compliance-Programmen erst mit Inkrafttreten der 10. GWB-Novelle zum 19.1.2021 gesetzlich verankert, siehe hierzu ausführlich Rn. A 1ff. Die konkreten Voraussetzungen werden sich durch die Entscheidungen des BKartA erst herausbilden müssen. 39 Siehe ausführlich zu dieser Thematik Steger/Schwabach, WuW 2021, 138, 139f. sowie Brettel/Thomas, Compliance und Unternehmensverantwortlichkeit im Kartellrecht, 2016. 40 Abgerufen am 1.3.2021 unter: https://ec.europa.eu/competition/antitrust/compliance/index_en.html. 41 EGMR, Urt. v. 27.9.2011, Rs. 43509/08 (Menarini/Italien). 42 EuG, Urt. v. 17.2.2011, Rs. T-343/08 (Arkema). 43 Komm., Pressemitteilungen v. 19.7.2016, AT. 39824, v. 27.9.2017, AT. 39824. 44 Komm., Pressemitteilungen v. 27.6.2017, AT. 39740 (EUR 2,42 Mrd.); v. 18.7.2018, AT. 40099 (EUR 4,34 Mrd.); v. 20.3.2019, AT. 40441 (EUR 1, 42 Mrd.). 45 Fensterbeschläge: Bußgeld in Höhe von EUR 86 Mio. gegen neun Hersteller, Komm., Pressemitteilung v. 28.3.2012, IP/12/313; Selbstdurchschreibpapier: Bußgeld in Höhe von EUR 313,7 Mio. gegen zehn Unternehmen, Komm., Pressemitteilung v. 21.12.2001, IP/01/1892; Reißverschlüsse: Bußgeld in Höhe von EUR 303 Mio. gegen sieben Unternehmen, Komm., Pressemitteilung v. 19.9.2007, IP/01/1362; Plastikverpackungen für Lebensmittel: Bußgeld in Höhe von EUR 115 Mio. gegen acht Hersteller und zwei Händler, Komm., Pressemitteilung v. 24.6.2015, IP/15/5253. 46 Bußgeld in Höhe von EUR 24 Mio., Komm., Pressemitteilung v. 29.3.2006, IP/06/398. 47 Siehe z.B. Bußgelder wegen Exportbeschränkungen in Höhe von EUR 35 Mio. gegen Opel Nederlands, Komm., Entsch. v. 20.9.2000, Rs. COMP/36.653, ABl. EU 2001 L 59/1 bestätigt vom EuGH, Urt. v. 6.4.2006, Rs. C-551/03 P, Slg. 2006, I-3173; Bußgeld in Höhe von EUR 102 Mio. gegen VW, Komm., Entsch. v. 28.1.1998, Rs. IV/35.733, ABl. EU 1998 L 124/60 (VW), weitgehend bestätigt vom EuG, Urt. v. 6.7.2000, Rs. T-62/98, Slg. 2000, II-2707, Rn. 162ff., bestätigt durch den EuGH, Urt. v. 18.9.2003, Rs. C-338/00, Slg. 2003, I-9189; Bußgeld wegen Exportbeschränkungen in Höhe von EUR 149 Mio. gegen Nintendo, Komm., Entsch. v 30.10.2002, ABl. EG 2003 L 255/33, vom Gericht reduziert auf EUR 119 Mio., EuG, Urt. v. 30.4.2009, Rs. T-18/03, Slg. 2009 II-975. 48 Siehe z.B. das Bußgeld von insgesamt EUR 111 Mio. gegen vier Elektronikkonzerne wegen Preisbindung, Komm., Entsch. v. 24.7.2018 AT. 40465 (Asus), AT. 40469 (Denon und Marantz), AT. 40181 (Philips), AT. 40182 (Pioneer); EUR 40 Mio. gegen den italienischen Bekleidungshersteller Guess, Komm., Entsch. v. 17.12.2018, AT. 40468 (Guess); EUR 12,5 Mio. gegen Sportartikelhersteller Nike, Komm., Entsch. v. 25.3.2019, AT. 40436 (Nike). 49 § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 8 EStG. 50 Siehe hierzu unten Rn. B 58. 51 Siehe dazu unter Rn. C 360ff. 52 Art. 28 Abs. 5 VO 1/2003. 53 Siehe dazu ausführlich Klumpp, NZKart 2020, 9ff.; Heinichen/Janssen/Klumpp/Schelzke/Steinle, NZKart 2020, 562ff., 646ff. 54 BGH, Urt. v. 10.4.2013, Az. KRB 20/12. 55 Leitlinien für die Bußgeldzumessung im Kartellordnungswidrigkeitenverfahren, 25.6.2013 (Bußgeldleitlinien BKartA 2013). 56 Bußgeldleitlinien BKartA 2013, Rn. 10. 57 Bußgeldleitlinien BKartA 2013, Rn. 11. 58 Bußgeldleitlinien BKartA 2013, Rn. 16. 59 So z.B. im Falle Rossmann, OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.1.2018, Az. V-4 Kart 2/17 (OWi) (Rossmann), in dem das ursprüngliche Bußgeld des BKartA von EUR 5,25 Mio. vom OLG Düsseldorf auf EUR 30 Mio. erhöht wurde (aufgehoben durch BGH, Beschl. v. 9.7.2019, Az. KRB 37/19 wegen Formfehler des OLG Düsseldorf). Siehe zu einer Auseinandersetzung des BKartA mit den Vorwürfen aus der Praxis im Einzelnen Ost/Breuer, NZKart 2019, 119ff. 60 BKartA, Fallbericht v. 3.8.2020, Az. B12-25/16. 61 BKartA, Fallbericht v. 21.11.2019, Az. B12-23/16. 62 BKartA, Fallbericht v. 21.10.2020, Az. B10-22/15. 63 BKartA, Fallbericht v. 24.1.2019, Az. B7-50/16. 64 BKartA, Fallbericht v. 17.5.2019, Az. B11-28/16. 65 Für einen umfassenden Überblick zur Fallpraxis Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 563ff. 66 Siehe z.B. das Bußgeld von EUR 216 Mio. gegen RTL/Pro 7 Sat. 1, BKartA, Pressemitteilung v. 30.11.2007. 67 Siehe hierzu ausführlich unter Rn. A 1ff. 68 Siehe dazu ausführlich unter Rn. B 80f. 69 Siehe Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 16.6.2020: Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft. 70 Dreher, ZWeR 2004, 76, 90f. 71 Siehe zum Unternehmensbegriff unter Rn. B 25f. 72 BKartA, Tagung des Arbeitskreises Kartellrecht, 4.10.2012, Kartellrechtsbußgeldverfahren zwischen deutschem Systemdenken und europäischer Konvergenz, Hintergrundpapier, S. 6. 73 § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG, siehe oben Rn. B 50. 74 Siehe dazu unter Rn. C 360ff. 75 Art. 23 Abs. 5 VO 1/2003. 76 Siehe dazu unter Rn. B 146ff. 77 Siehe z.B. Fallbericht BKartA, v. 27.3.2020 zu Kartellabsprachen und Submissionsabsprachen Technische Gebäudeausrüstung, Az. B11-21/14. 78 Siehe Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität der Wirtschaft vom 16.6.2020, der nach einem Veto der Unionsfraktion im Juni 2021 als gescheitert erklärt wurde. 79 Siehe weiterführend: Klusmann in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts. 4. Aufl. 2020, § 56 Rn. 31ff. 80 Nach den amtlichen Statistiken wurden zwischen 1998 und 2007 (je einschließlich) 240 Fälle abgeurteilt. In 28 Fällen erfolgte Freispruch, ein Fünftel der Verfahren wurde eingestellt. 164 Täter wurden verurteilt, davon 21 zu Freiheitsstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, und 142 zu Geldstrafen; ein jugendlicher Täter wurde 2006 zu Kurzarrest verurteilt, (vertiefend) Wagner-von Papp, WuW 2009, 1236ff. 81 LG München II, Urt. v. 3.5.2006, Az. W5 KLs 567 Js 30966, dazu Wagner-von Papp, WuW 2009, 1236ff. 82 Vgl. § 42 VerSanG-E (siehe Fn. B 78), § 82 GWB. 83 U.S. Department of Justice, Antitrust Division, Criminal Enforcement, Trend Charts for the years 2010–2018, derzeit abrufbar unter: https://www.justice.gov/atr/criminal-enforcementfine-and-jail-charts. 84 Betroffen war ein ehemaliger CEO von Morgan Crucible, der im Dezember 2010 wegen Behinderung der Justiz im Rahmen der Ermittlungen gegen das Carbon-Kartell verurteilt wurde. 85 Z.B. Irland, Griechenland, Estland und Slowenien. 86 Darunter Großbritannien, Südkorea, Japan, Australien, Kanada und Israel. 87 Art. 101 Abs. 2 AEUV, § 1 GWB i.V.m. § 134 BGB bzw. bei einem Verstoß gegen das fusionskontrollrechtliche Vollzugsverbot Art. 7 FKVO, § 41 Abs. 1 GWB. 88 Einschlägig ist für das deutsche Recht damit § 139 BGB. 89 BGH, Urt. v. 24.9.2002, Az. KZR 10/01, WuW/DE-R 1031 (Tennishallenpacht), unter Aufgabe seiner früheren Rspr. in Urt. v. 8.2.1994, Az. KZR 2/93, WuW/E BGH 2909, 2913 (Pronuptia II), wonach der Rest des Vertrages grundsätzlich weiter wirksam sein sollte. 90 Ausführlicher Rieder/Dammann de Chapto, NZKart 2018, 8ff. 91 So bereits im Schienen-Kartell: Das Bußgeld bezogen auf Schienen, die an die Deutsche Bahn geliefert wurden, belief sich auf EUR 124 Mio. Die Deutsche Bahn bezifferte ihre gegen die Kartellanten geltend gemachte Schadensersatzklage auf EUR 550 Mio., siehe Handelsblatt v. 29.4.2013. Auch in dem Verfahren Zucker- und insbesondere im LKW-Kartell übersteigen die geltend gemachten Schadensersatzklagen die hohen Bußgelder signifikant. 92 Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. EU 2014 C 349/1. 93 Für einen umfassenden Überblick zu den Neuerungen siehe z.B. Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017. 94 EuGH, Urt. v. 12.12.2019, Rs. C-435/18 (Otis), dazu Weitbrecht, NZKart 2019, 106. 95 EuGH, Urt. v. 14.3.2019, Rs. C-724/17 (Skanska). 96 Weitbrecht, NZKart 2019, 106, 108 m.w.N. 97 So schon Franz/Jüntgen, BB 2007, 1681ff., siehe insoweit auch § 93 AktG. 98 Die freiwillige Zahlung von EUR 50 Mio. gegenüber der Deutschen Bahn für die Beteiligung der voestalpine am sog. Schienen-Kartell liefert dafür ein konkretes Beispiel, siehe Handelsblatt v. 29.4.2013. 99 Siehe dazu bereits oben unter Rn. B 80f. 100 So z.B. infolge des sog. Feuerwehr-Kartells, in dem Lieferanten nunmehr einen Zertifizierungsprozess durchlaufen müssen, um wieder in Ausschreibungen der Gemeinden und Kommunen zugelassen zu werden, siehe dazu unter Rn. C 111ff. sowie Fn. C 100.

V. Das Kartellverbot – Einführung

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Die Verhaltenskontrolle nach europäischem und deutschem Kartellrecht ist zum einen verankert im Kartellverbot, das zwei- oder mehrseitige Abreden zwischen Unternehmen adressiert, sowie zum anderen im Verbot missbräuchlichen Verhaltens, das sich gegen Verhalten von Unternehmen mit Marktmacht richtet.

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Das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB schützt den Wettbewerb, indem es wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, abgestimmte Verhaltensweisen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen zwischen zwei oder mehr Unternehmen verbietet. Einseitige Verhaltensweisen unterfallen nur dann der Kontrolle durch das Kartellrecht, wenn sie den Wettbewerb durch eine missbräuchliche Ausnutzung von Marktmacht beschränken (Art. 102 AEUV bzw. §§ 19, 20 GWB).

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Während das deutsche GWB seit 2005 im Hinblick auf die Beurteilung zwei- oder mehrseitiger Wettbewerbsbeschränkungen fast vollständig an das europäische Kartellrecht angeglichen ist, lässt das europäische Kartellrecht den nationalen Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Beurteilung einseitiger Verhaltensweisen die Möglichkeit, strengere Maßstäbe anzulegen. Hiervon macht das deutsche Kartellrecht Gebrauch. Das GWB verfügt also über weitergehende Eingriffsmöglichkeiten bei einseitigem Wettbewerbsverhalten als das europäische Kartellrecht.101

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Vereinbarungen, die gegen das Kartellverbot verstoßen, ohne dass die Voraussetzungen für eine Freistellung vorliegen, sind nichtig und können nach Art. 23 Abs. 2 lit. a VO 1/2003 von der Kommission bzw. nach § 81 Abs. 1, 2, 4 GWB vom Bundeskartellamt mit Bußgeldern von bis zu 10 % des weltweiten Konzernumsatzes der an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen belegt werden. Diese und andere Rechtsfolgen, mit denen ein Unternehmen bei einem Verstoß gegen kartellrechtliche Regeln rechnen muss, sind ausführlich in Rn. B 39ff. dargestellt.

1. Verbot und Ausnahme – grundsätzliche Regelungstechnik

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Das deutsche und europäische Kartellverbot entsprechen sich im Wortlaut mittlerweile und folgen der gleichen Regelungstechnik: Art. 101 Abs. 1 AEUV sowie § 1 GWB verbieten Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen sowie Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen, die eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken.102 Das europäische Kartellverbot verlangt darüber hinaus das Potenzial zur spürbaren Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels.103

100

Das europäische und deutsche Kartellverbot verbieten sowohl wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern104 (sog. „horizontale Vereinbarungen“) als auch zwischen Nicht-Wettbewerbern (sog. „vertikale Vereinbarungen“).

2. Ausnahmen vom Kartellverbot – Legalausnahme

101

Nach beiden Rechtsordnungen liegt kein Verstoß gegen das Kartellverbot vor, sofern die Voraussetzungen für eine Freistellung vom Kartellverbot nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 GWB gegeben sind.

102

Die gleichlautenden Legalausnahmen des Art. 101 Abs. 3 AEUV sowie § 2 GWB nehmen vom Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB erfasste Wettbewerbsbeschränkungen dann vom Kartellverbot aus, wenn – wie die Kommission in ihren Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EGV105 (Art. 81 Abs. 3-Leitlinien; nunmehr Art. 101 Abs. 3 AEUV) vereinfacht zusammenfasst – die wettbewerbsfördernden Auswirkungen einer Beschränkung die negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb überwiegen.106 Dies ist der Fall, wenn die Parteien einer beschränkenden Vereinbarung nachweisen können, dass die folgenden vier Voraussetzungen vollständig erfüllt sind:

 – Die Wettbewerbsbeschränkungen dienen der Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder der Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts;

 – die Verbraucher werden am Gewinn angemessen beteiligt;

 – die Wettbewerbsbeschränkungen sind für die Verwirklichung dieser Ziele unerlässlich;

 – die Vereinbarung eröffnet den Parteien nicht die Möglichkeit, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.

103

Bereits im Jahre 2004 hat die Kommission, im Jahre 2005 das Bundeskartellamt, die zuvor bestehende Anmeldemöglichkeit für wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen abgeschafft, nach der eine beschränkende Vereinbarung der Behörde zur Prüfung vorgelegt und von dieser freigegeben oder für unbedenklich erklärt werden konnte. Die Einschätzung, ob eine Vereinbarung die Voraussetzungen einer Freistellung vom Kartellverbot erfüllt, obliegt allein den Unternehmen.107 Nicht zuletzt aufgrund der sehr weit gefassten Legalausnahme ist diese Selbsteinschätzung mit vielen Unwägbarkeiten behaftet: Sie setzt regelmäßig eine umfassende ökonomische Analyse des jeweiligen Markt- und Wettbewerbsumfelds durch die an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen voraus. Entsprechend groß ist deshalb die praktische Bedeutung der Gruppenfreistellungsverordnungen (GVOen).

3. Gruppenfreistellungsverordnungen und ihre Systematik

104

GVOen sind Rechtsverordnungen der Europäischen Kommission, in denen die Voraussetzungen formuliert sind, unter denen wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen in typischen Vertragskonstellationen automatisch vom Kartellverbot freigestellt sind. Den GVOen kommt damit die Rolle eines sicheren Hafens (safe harbour) zu. Oder rechtlich ausgedrückt: Ist eine beschränkende Vereinbarung durch eine GVO erfasst und hält deren Vorgaben ein, sind die Parteien von ihrer Verpflichtung nach Art. 2 VO 1/2003 entbunden, d.h. sie müssen nicht nachweisen, dass ihre individuellen vertraglichen Beschränkungen sämtliche Voraussetzungen der Legalausnahme erfüllen. Sie müssen lediglich beweisen, dass die Vereinbarung unter die jeweilige GVO fällt.108 Die GVOen sind über § 2 Abs. 2 GWB unmittelbarer Bestandteil des nationalen deutschen Kartellrechts.

105

Mittlerweile gehen alle GVOen von der gleichen Regelungs- bzw. Freistellungssystematik für wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen aus, die regelmäßig als „Schirmtechnik“ bezeichnet wird: Danach sind innerhalb bestimmter Marktanteilsgrenzen alle in den Anwendungsbereich der jeweiligen GVO fallenden beschränkenden Vereinbarungen freigestellt, sofern sie in der jeweiligen GVO nicht explizit als unzulässige Kernbeschränkungen bzw. als nicht freigestellte Beschränkungen aufgeführt sind.109 Kernbeschränkungen stellen dabei schwerwiegende bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen dar, die sowohl die Anwendbarkeit der GVO selbst als auch regelmäßig die Freistellung der beschränkenden Vereinbarung auf Grundlage der Legalausnahme des Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 Abs. 1 GWB ausschließen.110 Nicht freigestellte Beschränkungen sind weniger schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkungen, die zwar nicht mehr von einer GVO erfasst und damit nicht „automatisch“ freigestellt sind, für die ggf. aber eine Freistellung möglich ist, wenn die Parteien das Vorliegen der Voraussetzungen der Legalausnahme des Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 Abs. 1 GWB individuell nachweisen.111

106

Die wichtigsten GVOen im Unternehmensalltag sind:112

 – die Verordnung (EU) Nr. 1217/2010 der Kommission über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung (F&E-GVO),113

 – die Verordnung (EU) Nr. 1218/2010 der Kommission über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen (Spezialisierungs-GVO),114

 – die Verordnung (EU) Nr. 316/2014 der Kommission über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen (TT-GVO),115

 – die Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen (Vertikal-GVO).116

107

Zu diesen GVOen hat die Kommission jeweils Leitlinien erlassen, die sich sowohl mit der Frage befassen, wie die jeweiligen GVOen anzuwenden sind, als auch praktische Hilfe bei der Beurteilung von Vereinbarungen geben, die außerhalb des Anwendungsbereichs der jeweiligen GVO liegen.117

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