Kitabı oku: «Compliance-Handbuch Kartellrecht», sayfa 8

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1.3 Risikofaktoren für und Aufdeckung von Kartellabsprachen

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Klassische Kartellabsprachen werden nur selten „zufällig“ oder bei Gelegenheit einer Compliance-Schulung aufgedeckt. Dies liegt schon daran, dass diese Absprachen für viele Mitarbeiter im Unternehmen nicht zwingend visibel sind, da sie auf Ebene der Geschäftsführer oder in den oberen Managementstufen vereinbart wurden. Zudem handelt es sich oft um Verhaltensweisen, die seit Jahren praktiziert werden, sodass der einzelne Mitarbeiter sie nicht unmittelbar hinterfragt. Eine große Zahl von Kartellen weist Berührungen zu Verbandsaktivitäten auf. Zum Teil, weil sie in diesen institutionalisierten Zusammentreffen ihren Ursprung haben, zum Teil weil die Verbandstreffen eine gute Gelegenheit bieten, sich mit Wettbewerbern auszutauschen. Um gut organisierte Kartellabsprachen in einem Unternehmen aufzudecken, wird es regelmäßig eines internen Audits bedürfen (siehe dazu ausführlich unter Rn. C 149ff.). In der Praxis hat es sich dabei als hilfreich erwiesen, ungewöhnlich starren Absatz- und Preisdaten besonders kritisch nachzugehen. Abhängig von den Gegebenheiten auf dem betroffenen Markt ist unter Umständen auch der Einsatz von ökonomischen Analyse-Instrumenten sinnvoll (siehe dazu unter Rn. C 263ff.).

2. Verbotener Informationsaustausch

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Der Austausch sog. strategischer Informationen zwischen Wettbewerbern ist verboten. Dies gilt, weil die Kartellbehörden davon ausgehen, dass die strategisch relevanten Informationen nach ihrem Austausch von einem rational handelnden Unternehmen als Grundlage für eine Verhaltensanpassung genutzt werden, ihr Austausch also zu einer abgestimmten Verhaltensweise zwischen Wettbewerbern führt.146 Dahinter steht der Grundsatz, dass sich jedes Unternehmen selbstständig im Wettbewerb behaupten und ohne Abstimmung mit Wettbewerbern agieren muss. Infolgedessen ist jede Fühlungnahme zwischen Wettbewerbern, durch die eine Koordinierung des Verhaltens an Stelle eines mit Risiken verbundenen Wettbewerbs tritt, aus kartellrechtlicher Sicht in hohem Maße kritisch.147

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Anders als im Bereich der Hardcore-Kartelle haben Unternehmensmitarbeiter bis hoch zur Unternehmensleitung oft keine zutreffende Vorstellung davon, welche Gefahren der Austausch strategischer Informationen auch dann mit sich bringt, wenn es nicht um den Austausch von Preisinformationen geht.

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Ein inhaltlicher Schwerpunkt wirksamer Compliance-Arbeit muss deshalb darauf liegen, mit weit verbreiteten Fehlvorstellungen über den Unwertgehalt solcher Verhaltensweisen aufzuräumen.

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Eine große Herausforderung für die Praxis besteht darin, mit der im Kartellrecht geltenden Beweislastumkehr zu arbeiten, die zulasten der handelnden Unternehmen bis zum Gegenbeweis durch die betroffenen Unternehmen davon ausgeht, dass bei Wettbewerberkontakten ausgetauschte Informationen auch für das weitere Wettbewerbsverhalten genutzt und damit zu eben dieser Grundlage für ein abgestimmtes Verhalten werden.

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Für einen verbotenen Informationsaustausch ist es irrelevant, ob nur ein Unternehmen gegenüber seinen Wettbewerbern einseitig strategische Informationen offenlegt oder ob alle beteiligten Unternehmen sich gegenseitig mit Informationen versorgen.148 Für die Kartellbehörden ist es insofern ausreichend, dass ein Unternehmen bei einem Informationsaustausch anwesend war oder die Informationen auf sonstige Weise (z.B. per E-Mail, Post etc.) erhalten hat. Sofern es die Informationen nicht ausdrücklich zurückweist, wird davon ausgegangen, dass das Unternehmen die Informationen akzeptiert hat und sein Marktverhalten entsprechend anpasst.149 Wie höchstrichterlich bestätigt, gilt dies auch für einen einmaligen Informationsaustausch:

In dem Fall T-Mobile/Netherlands hatte der EuGH über die kartellrechtliche Zulässigkeit eines einmaligen Informationsaustausches zu entscheiden.150 Ausgangspunkt war die Vorlage eines niederländischen Gerichts zur Vorabentscheidung, nachdem die niederländische Wettbewerbsbehörde im September 2004 Bußgelder in Höhe von EUR 52,2 Mio. gegen die damaligen fünf Betreiber von Mobiltelekommunikationsdiensten in den Niederlanden verhängt hatte und die Unternehmen Berufung eingelegt hatten.151 Bei einem einzigen Treffen im Juni 2001 waren zwischen den Wettbewerbern vertrauliche Informationen über Händlervergütungen von Pre- und Postpaid-Verträgen zur Sprache gekommen. Das Gericht stellte dem EuGH u.a. die Frage, ob die Voraussetzungen einer abgestimmten Verhaltensweise bereits durch einen einmaligen Austausch erfüllt seien oder ob es einer länger andauernden und regelmäßigen Abstimmung bedürfe. Die Antwort des EuGH war eindeutig: Entscheidend ist nicht, wie viele Treffen zwischen den beteiligten Unternehmen stattgefunden haben, sondern ob der/die Kontakt(e) ihnen ermöglicht hat/haben, die mit ihren Wettbewerbern ausgetauschten Informationen bei der Festlegung ihres Marktverhaltens zu berücksichtigen und eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle der mit dem Wettbewerb verbunden Risiken treten zu lassen. Ist dies der Fall, obliegt es den Unternehmen darzulegen, dass der Informationsaustausch ihr Marktverhalten nicht beeinflusst hat.152

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Wie vermeintlich unkompliziert ein kartellrechtlich verbotener Informationsaustausch mit modernen Kommunikationswegen erreichbar ist, belegt das Rekordbußgeld der Kommission von EUR 1 Mrd. gegen verschiedene Großbanken im Devisenhandel aus dem Jahr 2019:

Am 16.5.2019 einigte sich die Kommission auf die Beendigung von Verfahren mit verschiedenen Großbanken gegen ein Gesamtbußgeld von EUR 1,07 Mrd. für Kartellrechtsverstöße im Devisenkassahandel.153 Dem Bußgeld lagen Informationsaustausch und auf diesen gestützte stillschweigende Kartellabsprachen zugrunde: Nach Ermittlungen der Kommission hatten Händler, die bei den betroffenen Großbanken für den Forex-Kassahandel mit den liquidesten und weit verbreitetsten Währungen weltweit betraut waren, in Online-Chatrooms sensible Informationen und Handelsabsichten ausgetauscht und ihre Handelsstrategien auf diese Weise koordiniert. Devisenhandelsgeschäfte werden ausschließlich am selben Tag zu den geltenden Wechselkursen durchgeführt. Die in den Chatrooms „Three-Way-Banana-Split“ (organisiert von Händlern der Banken Barclays, Royal Bank of Scotland, JP Morgan, Citigroup und UBS) sowie „Essex Express“ (organisiert zwischen Händlern der Banken Barclays, RBS, MUFG und UBS) ausgetauschten sensiblen Geschäftsinformationen betrafen: offene Kundenaufträge (d.h. den vom Kunden angefragten Tauschbetrag und die jeweiligen Währungen sowie Angaben darüber, welcher Kunde an einem bestimmten Geschäft beteiligt war), Kurse für bestimmte Transaktionen, die offenen Risikopositionen der Händler (die Währung, die sie verkaufen oder kaufen mussten, um ihre Portfolios in die Währung ihrer Bank umzutauschen) und bestimmte Einzelheiten zu laufenden oder geplanten Handelstätigkeiten. Aufgrund des Informationsaustauschs konnten die Händler entscheiden, ob ihre Konditionen wettbewerbsfähig waren und sich – auf Basis informeller Absprachen – dann zugunsten einzelner Händler von Transaktionen zurückhalten. Die im direkten Wettbewerb zueinander stehenden Händler, von denen viele persönlich gut miteinander bekannt waren, loggten sich in der Regel für den gesamten Arbeitstag in multilaterale Chatrooms auf Bloomberg-Terminals ein und tauschten sich umfassend zu den genannten Themen aus. Der jahrelang andauernde Informationsaustausch wurde schließlich von UBS im Rahmen eines Kronzeugenantrags angezeigt. UBS erhielt vollständige Bußgeldimmunität.

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Auch das Bundeskartellamt hat eine Reihe empfindlicher Bußgelder gegen Unternehmen wegen Kartellabsprachen,154 aber insbesondere auch wegen unzulässigen Informationsaustausches erlassen.155 Gegenstand dieses Informationsaustausches waren dabei nicht nur Informationen zu Verkaufspreisen, sondern auch zu sonstigen strategischen Informationen wie insbesondere Kundenforderungen, aktuelle Marktanteils-, Absatz- oder Umsatzzahlen.

Bestimmte Arten des Informationsaustauschs zwischen Wettbewerbern sind kartellrechtlich unzulässig. Der Wettbewerb wird durch solche Verhaltensweisen beeinträchtigt, auch wenn es sich nicht um klassische Hardcore-Absprachen über Preise, Gebiete, Kunden oder Quoten handelt.

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes in der Pressemitteilung vom 17.3.2011 zum Bußgeld von EUR 38 Mio. gegen drei Konsumgüterhersteller wegen Informationsaustausches.

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Die Europäische Kommission gibt Unternehmen in ihren Horizontal-Leitlinien eine gewisse Hilfestellung bei der Identifizierung strategischer Informationen und nennt in diesem Zusammenhang beispielhaft, aber keinesfalls abschließend: Preise, Preisbestandteile, Kundenlisten, Produktionskosten, Mengen, Umsätze, Verkaufszahlen, Kapazitäten, Qualität, Marketingpläne, Risiken, Investitionen, Technologien, F&E-Programme und deren Ergebnisse.156 Letztlich fallen unter den Begriff der strategischen Informationen alle Informationen, die nicht ohne Weiteres öffentlich verfügbar sind und die Rückschlüsse auf das aktuelle bzw. künftige Marktverhalten eines Unternehmen ermöglichen. Dies muss nicht zwingend nur aus den ausgetauschten Informationen selbst gelingen. Es kann nach den Leitlinien der Kommission vielmehr bereits der marginale Zusatznutzen sein, der zu einem auf Informationsaustausch basierenden Kollusionsergebnis führt.157

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Der Informationsaustausch ist dann ohne kartellrechtliche Relevanz, wenn aus den Informationen keine Rückschlüsse mehr auf das aktuelle oder künftige Verhalten eines Unternehmens gezogen werden können, etwa weil die Daten zu alt oder generisch bzw. aggregiert sind, oder wenn es sich um echte öffentliche Informationen handelt.158 Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist jeweils im Einzelfall zu prüfen.

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Erhält ein Unternehmen strategisch relevante Informationen nicht direkt vom Wettbewerber, sondern vom neutralen Dritten, wie z.B. von einem Kunden im normalen Geschäftsverlauf, kann dies zulässig sein. Vorsicht ist geboten, wenn Dritte strategisch oder institutionalisiert zur Informationsbeschaffung eingesetzt werden159 oder gar als Moderator für einen unzulässigen Informationsaustausch oder eine Verhaltenskoordinierung eingesetzt werden. Letzteres ist unter dem Stichwort der Hub-and-spoke-Kartelle unter anderem von den Kartellbehörden in Großbritannien und Frankreich scharf sanktioniert worden.160 Der unzulässige Informationsaustausch über Dritte ist auch bei der Teilnahme eines Unternehmens an Marktinformationssystemen oder anderen statistischen Datensammlungen, wie z.B. Benchmarking-Studien auf Verbandsebene, kartellrechtlich stets genau zu prüfen.161

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Da der unzulässige Informationsaustausch für nahezu jedes Unternehmen von besonderer praktischer Relevanz ist, sind Verhaltensrichtlinien in diesem Bereich besonders wichtig, um Mitarbeitern konkrete Anweisungen an die Hand zu geben, wie sie auf kritische Situationen richtig reagieren bzw. eine unzulässige Diskussion strategischer Informationen oder ihre bloße „Entgegennahme“ von vornherein vermeiden können. Aus diesen Verhaltensrichtlinien muss deutlich werden, dass:

 – das bloße passive Zuhören die Risiken aus einem rechtswidrigen Informationsaustausch nicht ausschließt;

 – der Mitarbeiter strategische Informationen von einem Wettbewerber stets explizit zurückweisen muss;

 – Vorfälle solcher Art unverzüglich an die Rechts-/Compliance-Abteilung oder eine andere geeignete Stelle im Unternehmen gemeldet werden müssen, damit eine Risikoanalyse stattfinden und geprüft werden kann, ob weitere Reaktionen oder Konsequenzen erforderlich sind.

3. Gefahrenbereich Verbandstätigkeit

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Die Compliance-Bemühungen auf Verbandsebene haben sich in den letzten Jahren signifikant verbessert, nachdem Verbände zunehmend in das Visier der Kartellbehörden geraten sind.162 Dennoch bleiben Verbandstreffen ein klarer Risikobereich für unzulässige Kartellabsprachen und insbesondere den unzulässigen Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, da der Verband ein Ort ist, an dem Wettbewerber regelmäßig und organisiert zusammenkommen. Es gibt zahlreiche (legale) Initiativen, die ein solches Zusammenkommen rechtfertigen und vielleicht sogar notwendig machen. Es gibt aber auch zahlreiche Gelegenheiten, um anlässlich solcher Zusammenkünfte gewollt oder ungewollt Teil einer kartellrechtswidrigen Abrede zu werden.

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Aus Unternehmenssicht muss für eine wirkungsvolle Compliance-Arbeit zunächst geklärt werden, welche Mitarbeiter an welchen Verbandsaktivitäten teilnehmen. Je nach Ergebnis dieser Bestandsaufnahme bietet es sich in diesem Zusammenhang an, kritisch zu hinterfragen, ob die Teilnahme der jeweiligen Mitarbeiter sachlich gerechtfertigt ist. Eine sehr effektive Maßnahme ist es, Unternehmensmitarbeiter mit hoher operativer und strategischer Bedeutung (z.B. den Leiter Vertrieb oder Einkauf) aus der Verbandsarbeit auszuklammern und von vorneherein nur Personen zu schicken, die aufgrund ihrer Funktion keine unmittelbare Gefahr eines unzulässigen Informationsaustausches auslösen. Für die Zukunft sollte sichergestellt sein, dass jede Verbandsmitarbeit erfasst und zuvor freigegeben ist, bevor der jeweilige Unternehmensmitarbeiter seine Tätigkeit aufnimmt. Bestehen Zweifel, muss die Teilnahme ausgesetzt werden, bis die Zulässigkeit geklärt ist.

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Auf diese Weise lässt sich sicherstellen, dass Unternehmensmitarbeiter, die an Verbandsaktivitäten teilnehmen

 – vorrangig kartellrechtlich geschult werden und

 – klare Verhaltensregeln an die Hand bekommen, wie sie sich in konkreten Situationen richtig verhalten.

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Im Verbandskontext ist es dabei besonders wichtig, dass die entsprechend geschulten Mitarbeiter schon die Tagesordnung auf kartellrechtlich kritische Punkte hin durchsehen, um Zweifel über Diskussionen einzelner Tagesordnungspunkte bereits im Vorfeld abzuklären und ausräumen zu lassen. Zudem müssen in die Verbandsarbeit eingebundene Unternehmensmitglieder verinnerlicht haben, dass sie kartellrechtlich problematische Diskussionen unter deutlichem Hinweis abbrechen und ggf. die Sitzung verlassen und dies im Protokoll vermerken lassen müssen, um kartellrechtliche Risiken für das Unternehmen (d.h. ein eigenes Bußgeld oder eine Ausfallhaftung für einen zahlungsunfähigen Verband, siehe Rn. B 144) auszuschließen.

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Neben dem generellen Risiko, dass der Verband als Ort für unzulässige Absprachen oder einen unzulässigen Informationsaustausch genutzt wird,163 ist im Verbandskontext insbesondere darauf zu achten, dass jede Form der statistischen Datensammlung, gleich ob im Zusammenhang mit Absatzstatistiken oder Benchmarking-Aktivitäten, mit kartellrechtlichen Grundsätzen im Einklang steht. Eine zulässige Datensammlung setzt insbesondere voraus, dass die individuellen Unternehmensdaten von einer neutralen, zur Verschwiegenheit verpflichteten Person (und nicht etwa vom Angehörigen eines Mitgliedsunternehmens) ausgewertet werden und nur in nicht-identifizierbarer Form, d.h. nur in solcher Form wieder an die Mitgliedsunternehmen herausgegeben werden, dass Rückschlüsse auf aktuelles oder künftiges Wettbewerbsverhalten von Wettbewerbern nicht mehr möglich sind.164

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Auch aus Verbandssicht ist es notwendig, sich proaktiv mit kartellrechtlicher Compliance zu befassen. Gerade in Branchen, in denen auf Mitgliederebene noch wenig Bewusstsein für die Gefahren von Kartellverstößen besteht, ist der Verband ein zentrales Forum, um dieses Bewusstsein zu schärfen. Dies gilt schon deshalb, weil der Verband und seine Organe selbst sicherstellen müssen, nicht gegen Kartellrechtsregeln zu verstoßen. Haben Verbandsorgane und -mitarbeiter Kartellaktivitäten gefördert, sind sie nach ständiger Praxis, insbesondere des Bundeskartellamtes, selbst Verfahrensbeteiligte und werden bei Nachweis der kartellrechtswidrigen Aktivitäten auch mit Bußgeldern belegt.165 Dies gilt wegen des im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden Einheitstäterbegriffs auch dann, wenn ihr Tatbeitrag regelmäßig „nur“ in physischer oder psychischer Beihilfe zu den Verstößen ihrer Mitglieder bestanden hat. Mit der 10. GWB-Novelle können Geldbußen gegen einen Verband – statt am eigenen Gesamtumsatz – alternativ auch am Gesamtumsatz seiner Mitglieder ausgerichtet werden, die auf dem vom Kartellverstoß des Verbandes betroffenen Markt tätig waren (§ 81c Abs. 4 GWB). Bei fehlender Zahlungsfähigkeit des Verbandes kann die Geldbuße auch direkt bei den Mitgliedsunternehmen eingetrieben werden. Für Unternehmen, deren Vertreter zum Zeitpunkt des Verstoßes den Entscheidungsgremien des Verbandes angehört haben, besteht dabei ein erhöhtes Risiko der Ausfallhaftung. Die neu eingeführte Regelung des § 81b GWB entspricht der europäischen Regelung in Art. 23 Abs. 4 VO Nr. 1/2003. Auch wenn die Ausfallhaftung in der Praxis der Kommission bislang keine besondere Relevanz erlangt hat, bedeutet dies nicht, dass das Bundeskartellamt künftig davon keinen Gebrauch machen wird. Vor diesem Hintergrund ist die genaue Prüfung umso wichtiger, welche Unternehmensvertreter in welcher Funktion in welchen Verbänden aktiv sind.

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Der Fallbericht zur Wirtschaftsvereinigung Stahl166 zeigt, dass nicht selten eine umfassende Reorganisation von Verbandsabläufen nach Feststellung von Kartellverstößen erforderlich ist, um die Überlebensfähigkeit eines Verbandes zu sichern. Rein praktisch ist die Kündigung der Verbandsmitgliedschaft für viele Unternehmen ein zentraler erster Schritt, um ein positives Nachtatverhalten zu demonstrieren, wenn Kartelluntersuchungen im Verbandskontext eingeleitet wurden. Es ist hier also im elementaren Interesse der Verbände selbst, Vertrauen bei ihren Mitgliedern zu schaffen, indem sie durch Änderung von Strukturen und Abläufen zeigen, dass eine sichere Verbandsarbeit möglich ist. Diese verbandsinternen Schritte entbinden die Mitgliedsunternehmen natürlich nicht von der Verpflichtung, eigene Vorkehrungen und Compliance-Maßnahmen zur Einhaltung von Kartellrechtsregeln zu treffen, wenn sie die Risiken von Rechtsverstößen durch ihre Mitarbeiter künftig eindämmen wollen. Ohne eine Entsprechung auf Verbandsseite gehen diese unternehmensspezifischen Schritte allerdings ins Leere. Die Risiken, dass Mitarbeiter die Grenzen von Kartellrechtsverstößen anderenfalls verkennen und weiterhin an kartellrechtswidrigen Diskussionen, Datensammlungen etc. teilnehmen, sind ohne wechselseitige Vorkehrungen zu groß.

4. Gefahrenbereich Ausschreibungen

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Der bereits 1997 eingeführte Sondertatbestand der Submissionsabsprache in § 298 StGB sieht vor, dass sich strafbar macht, wer bei einer Ausschreibung über Waren oder gewerbliche Leistungen ein Angebot abgibt, das auf einer Absprache beruht, die den Ausschreibenden zur Annahme eines bestimmten Angebots veranlassen soll. Ein Verstoß kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder mit Geldbußen geahndet werden.167 Von § 298 StGB sind öffentlich-rechtliche unbeschränkte und beschränkte Ausschreibungen aller Art erfasst. Auch private, d.h. durch Unternehmen oder auch Privatpersonen erfolgende Ausschreibungen fallen darunter, wobei die Anforderungen an das Vorliegen privater Ausschreibungen sehr gering sind. Der Gesetzgeber wollte Ausschreibungen möglichst lückenlos erfassen und bezieht deshalb in § 298 Abs. 2 StGB auch die freihändige Vergabe in den Schutzzweck der Norm ein. In der Vergangenheit ist das Zusammenspiel zwischen Strafrecht und GWB z.B. in den Kartellverfahren Feuerwehrfahrzeuge und Schienen sowie jüngst bei Technischer Gebäudeausrüstung zum Tragen gekommen.168

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Nach der Rechtsprechung des BGH zu § 298 StGB ist davon auszugehen, dass von § 298 StGB alle Absprachen erfasst sind, die gegen das Kartellverbot verstoßen, sofern sie vom Wortlaut der Norm gedeckt sind.169 Damit kann der § 298 StGB auch dann verwirklicht werden, wenn die wettbewerbswidrige Abrede nicht zwischen aktuellen oder potenziellen Bietern, sondern zwischen Ausschreibendem und Bieter, also auf vertikaler Ebene getroffen wurde.170

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Im Compliance-Kontext ist es zentral, dass allen Mitarbeitern, die mit Ausschreibungen befasst sind, die hohen kartellrechtlichen Risiken im Hinblick auf den Umgang mit ausschreibungsrelevanten Informationen bewusst sind. Das Bundeskartellamt hat bereits 2015 eine hilfreiche Broschüre auf ihrer Webseite veröffentlicht, die sehr konkrete Anhaltspunkte für Verdachtsmomente für das Vorliegen von Submissionsabsprachen enthält.171 Das Dokument ist vom Bundeskartellamt als Checkliste für Vergabestellen entwickelt worden, um diesen die Aufdeckung von Kartellrechtsverstößen zu erleichtern. Aus dieser Broschüre wie auch aus der Fallpraxis des Bundeskartellamtes wird deutlich, dass unter den Tatbestand selbstverständlich die Abgabe von Schutzangeboten wie auch der reine Informationsaustausch, etwa im Hinblick auf Angebotshöhe oder Interessenlage der Bieter fällt.172 Absprachen bzw. Informationsaustausch zu jedem einzelnen Projekt stellen insoweit eine eigene Tat dar.

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Eine sorgsame Überprüfung des Angebotsverhaltens in Vergabeverfahren ist – wie bereits angesprochen – nicht nur zwingend, um Risiken für das Unternehmen, sondern auch um persönliche Risiken für die handelnden Mitarbeiter auszuschließen. Aufgrund des weiten Begriffs der kartellrechtswidrigen Abrede, die wie ausgeführt173 ja bereits die abgestimmte Verhaltensweise und damit letztlich auch den Informationsaustausch erfasst, der zu einer solchen Verhaltensweise führt, ist jede Kommunikation über eine Ausschreibung zu unterlassen. Dies bezieht sich nicht nur auf den Inhalt eines möglichen Angebots, sondern schon auf die Frage, ob ein Unternehmen an einer Ausschreibung teilnimmt oder nicht. Die Tragweite dieses Verbots ist den wenigsten Mitarbeitern ohne entsprechende Schulung bewusst.

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Die Verfolgungsaktivitäten der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit Submissionsabsprachen nehmen ständig zu.174 Submissionsabsprachen werden an das Wettbewerbsregister (siehe Rn. B 80) gemeldet.

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