Kitabı oku: «Compliance-Handbuch Kartellrecht», sayfa 7

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4. Keine Anwendbarkeit des Kartellverbots mangels Wettbewerbsbeschränkung

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Ein Verstoß gegen das Kartellverbot scheidet aus, wenn in der unternehmerischen Verhaltensweise bereits keine Wettbewerbsbeschränkung liegt. In diesem Fall bedarf es für die Vereinbarung auch keiner Freistellung nach einer Gruppenfreistellungsverordnung oder der Legalausnahme.

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An einer Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des europäischen Kartellverbots kann es fehlen, wenn es an der sog. doppelten Spürbarkeit mangelt, die entsprechende Beschränkung also nicht geeignet ist, entweder den Wettbewerb oder den zwischenstaatlichen Handel innerhalb der EU spürbar zu beeinträchtigen. Fehlt es allein an der Eignung zur spürbaren Beschränkung des zwischenstaatlichen Handels, hat dies rechtlich nur zur Folge, dass die jeweiligen Vereinbarungen dann dem nationalen Recht der EWR-Mitgliedstaaten unterfallen und letztlich anhand des gleichen inhaltlichen Regelungsrahmens zu beurteilen sind. Zuständige Verfolgungsbehörde für Vereinbarungen mit Auswirkungen in Deutschland ist dann allein das Bundeskartellamt.118

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Die Frage, wann von einer „spürbaren“ Wettbewerbsbeschränkung auszugehen ist, konkretisiert die Kommission in ihrer De-minimis-Bekanntmachung119, nach der die Kommission Wettbewerbsbeschränkungen unterhalb bestimmter Marktanteilsschwellen nicht aufgreifen will. Für Vereinbarungen zwischen Nicht-Wettbewerbern liegt diese Marktanteilsschwelle bei 15 %, wobei jeder der Vertragsbeteiligten für sich unter dieser Schwelle liegen muss, für Vereinbarungen zwischen aktuellen oder potenziellen Wettbewerbern bei 10 %, wobei alle Unternehmen zusammen unter dieser Schwelle bleiben müssen.120 Dies entspricht den Schwellenwerten, die auch das Bundeskartellamt in seiner Bagatellbekanntmachung121 als Mindestschwellen für ein behördliches Eingreifen nennt. Beide Bekanntmachungen sind in der Praxis jedoch mit erheblicher Vorsicht zu genießen: Sie gelten nämlich nicht, wenn in der Vereinbarung sog. Kernbeschränkungen enthalten sind.122 Für Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern sind dies: (i) Festsetzung der Preise beim Verkauf von Erzeugnissen an Dritte, (ii) Beschränkung der Produktion oder des Absatzes und (iii) Aufteilung von Märkten oder Kunden. Für Vereinbarungen, die in den Anwendungsbereich einer Gruppenfreistellungsverordnung fallen, sind dies die in der jeweiligen Gruppenfreistellungsverordnung aufgeführten Kernbeschränkungen. Zudem enthalten beide Bekanntmachungen lediglich eine Selbstbindung der Behörden. Gerichte sind an diese Leitlinien und die dort enthaltenen Schwellenwerte nicht gebunden.

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In der Compliance-Praxis haben die De-minimis- und Bagatellbekanntmachung deshalb eher Bedeutung bei der Verteidigung einer Vereinbarung als bei der zukunftsgewandten Risikoabwägung. Verhaltensrichtlinien für Unternehmen müssen zudem berücksichtigen, dass ein Unternehmen sehr schnell in die relevanten Schwellenwerte hineinwachsen kann.

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Ungeachtet der Frage der Spürbarkeit fehlt solchen Abreden der wettbewerbsbeschränkende Charakter, bei denen die spezifische Beschränkung objektiv notwendig ist, damit es überhaupt zum Abschluss einer – im Übrigen kartellrechtlich neutralen – Vereinbarung kommt.123 Objektiv notwendig heißt in diesem Zusammenhang, dass die Beschränkung nicht lediglich von den Parteien zum Abschluss der Vereinbarung für notwendig erachtet, sondern für den Abschluss einer vergleichbaren Vereinbarung generell notwendig und angemessen ist.124 Es darf zudem keine weniger beschränkende Vereinbarung geben, mit der das gleiche Ziel erreicht werden kann. Praxisrelevante Beispiele sind bestimmte Beschränkungen in Handelsvertreterverträgen125 sowie Nebenabreden zu einer Transaktion.126

101 Das deutsche GWB kennt z.B. neben der Kontrolle einseitiger Verhaltensweisen durch marktbeherrschende Unternehmen auch die Verhaltenskontrolle „marktstarker“ Unternehmen, siehe dazu unter Rn. B 225ff. 102 Siehe zum Begriff der Wettbewerbsbeschränkung Rn. B 20ff. sowie zur Spürbarkeit Rn. B 101ff. 103 Zur Ermittlung der spürbaren Beschränkung des zwischenstaatlichen Handels: Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des Zwischenstaatlichen Handels in den Art. 81 und 82 des Vertrages, ABl. EU 2004 C 101/81. 104 Siehe zum Begriff des Wettbewerbs Rn. B 5, 20f. 105 Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag, ABl. EU 2004 C 101/8 (Art. 81 Abs. 3-Leitlinien), Rn. 35. 106 Art. 81 Abs. 3-Leitlinien (siehe vorherige Fn.), Rn. 33. 107 Das Bundeskartellamt kann im Hinblick auf eine bestimmte Verhaltensweise gemäß § 32c GWB bestätigen, dass für das Amt kein Anlass zum Tätigwerden besteht. Ob das Bundeskartellamt eine solche Entscheidung trifft, liegt in seinem alleinigen Ermessen. Die Unternehmen haben also keinen Anspruch auf eine solche Entscheidung, siehe dazu weiterführend Bechtold/Bosch, GWB, 9. Aufl. 2018, § 32c. 108 Art. 81 Abs. 3 – Leitlinien, Rn. 35. 109 Zur Systematik von GVOen Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 17ff. 110 Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, 3. Aufl. 2014, Art. 101 Rn. 150. 111 Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 974ff. 112 Für einen Gesamtüberblick zu allen geltenden GVOen siehe Ellger, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1/EU, 6. Aufl. 2019, Art. 101 Abs. 3 Rn. 332ff. 113 ABl. EU 2010 L 335/36. 114 ABl. EU 2010 L 335/43. 115 ABl. EU 2014 L 9/17. 116 ABl. EU 2010 L 102/1. 117 Siehe für Spezialisierungs-GVO und F&E-GVO: Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. EU 2011 C 11/1 (Horizontal-Leitlinien); für die TT-GVO: Leitlinien zur Anwendung von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. EU 2014 C 89/3 (TT-Leitlinien); für die Vertikal-GVO: Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. EU 2010 C 130/1 (Vertikal-Leitlinien). 118 Siehe dazu bereits oben Rn. B 12. 119 Bekanntmachung der Kommission über die Vereinbarung von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Art. 81 Abs. 1 des Vertrages nicht spürbar beschränkt (de minimis), ABl. EU 2014 C 291/01 (De-minimis-Bekanntmachung). 120 De-minimis-Bekanntmachung, Rn. 8ff. 121 Bekanntmachung Nr. 18/2007 des Bundeskartellamtes v. 13.3.2007 über die Nichtverfolgung von Kooperationsabreden mit geringer wettbewerbsbeschränkender Bedeutung (Bagatellbekanntmachung). 122 De-minimis-Bekanntmachung, Rn. 11; Bagatellbekanntmachung, Rn. 13. 123 In den Art. 81 Abs. 3-Leitlinien bezeichnet die Kommission diese zur Durchführung der Hauptvereinbarung notwendigen und mit dieser verbundenen Beschränkungen – in Anlehnung an Beschränkungen im Zusammenhang mit einem Zusammenschlussvorhaben – als „Nebenabreden“, Rn. 29–30. 124 Art. 81 Abs. 3-Leitlinien, Rn. 29. 125 Siehe dazu Rn. B 172. 126 Siehe dazu unter Rn. B 317ff.

VI. Verbotene Vereinbarungen und Kontakte mit Wettbewerbern

Vollkommen zu Recht sind Kartellabsprachen weltweit verboten und scharfen Sanktionen ausgesetzt. Das deutsche Kartellrecht sieht hohe Bußgelder gegen die beteiligten Unternehmen und verantwortlich handelnde Personen vor. Bußgelder sind zwar nicht das primäre Ziel der Kartellverfolgung, aber sie sind mitunter notwendig, um Unternehmen davon abzuschrecken, sich überhaupt erst auf illegale Absprachen einzulassen.

Andreas Mundt, Präsident Bundeskartellamt 2017 in der Broschüre „Erfolgreiche Kartellverfolgung – Nutzen für Wirtschaft und Verbraucher“.

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Die größten kartellrechtlichen Risiken für ein Unternehmen entstehen aus Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen zwischen Wettbewerbern. Dabei geht es nicht nur um Kartelle, sondern auch um indirektere Formen der Koordination, allem voran um den Austausch sog. strategischer Informationen.

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Anders als aus der wirtschaftlichen Sicht eines Unternehmensmitarbeiters ist unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten grundsätzlich jeder Kontakt zwischen Wettbewerbern relevant. Dies bedeutet nicht, dass jeder Kontakt mit einem Wettbewerber gegen das Kartellrecht verstößt. Es bedeutet aber, dass am Anfang jeder Compliance-Bemühung die Aufgabe steht, zu identifizieren, zu welchen Gelegenheiten welche Unternehmensmitarbeiter Kontakt zu Wettbewerbern haben.

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Neben der Geschäftsführung und der Rechtsabteilung sollte diese Mitarbeitergruppe vorrangige Beachtung bei Schulungen oder internen Audits erhalten, um möglichst schnell eingrenzen zu können, ob und wenn ja, in welcher Form von diesen Wettbewerberkontakten ein Risiko für das Unternehmen ausgeht. Dies schließt auch Unternehmensvertreter ein, bei denen von vornherein klar ist, dass sie in besonderen Risikobereichen tätig sind, etwa weil sie in Verbandsaktivitäten eingebunden oder für Ausschreibungen zuständig sind (siehe dazu unten).

1. Kartellabsprachen

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Die Hardcore-Kartelle nehmen bei Kartellbehörden weltweit die höchste Verfolgungspriorität ein. Sie sind es auch, die in einigen Ländern in der EU und weltweit als Strafrechtsverstöße eingestuft werden und damit dort auch Gefängnisstrafen für die handelnden Personen mit sich bringen können.127 Für die Aufdeckung von Kartellen wurden in vielen Ländern sog. Kronzeugenregelungen eingeführt. Vereinfacht gesprochen bekommt danach das erste Unternehmen, das einer Kartellbehörde ein dieser nicht bekanntes Kartell meldet und bei der Verfolgung des Kartells uneingeschränkt mit der Kartellbehörde kooperiert, einen vollständigen Bußgelderlass (siehe dazu ausführlich Rn. D 19ff.). Die drastischen Bußgelder für Kartellverstöße haben dazu geführt, dass Unternehmen zunächst verstärkt von der Kronzeugenregelung Gebrauch gemacht haben, was wiederum die Verfolgungsaktivitäten der Behörde angekurbelt hat. In letzter Zeit hat das Bundeskartellamt allerdings einen Rücklauf von Selbstanzeigen verzeichnet. Grund ist die Erhöhung des Risikos kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche. Ob sich dies durch eine gewisse Privilegierung des Kronzeugen in Haftungsfragen ausgleichen lässt, bleibt abzuwarten. Um die Aufdeckungsquote von Kartellabsprachen zu erhöhen und die Verfahren zu beschleunigen, hat das Bundeskartellamt eine Sonderkommission Kartellbekämpfung (SKK) eingerichtet. Sie soll die zuständigen Beschlussabteilungen des Amtes durch den Einsatz spezialisierter, personeller und sachlicher Ressourcen bei der Aufdeckung von Kartellabsprachen unterstützen. Das Bundeskartellamt verfügt zudem über mittlerweile drei Beschlussabteilungen, die sich mit Ordnungswidrigkeitenverfahren befassen. Auch hier nehmen Kartellabsprachen den breitesten Raum ein.

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Der Präsident des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt, fasst die gegenwärtige Entwicklung bei der Kartellverfolgung in einem Interview der Funke Mediengruppe vom 18.1.2020 wie folgt zusammen:

Am wichtigsten ist für uns die Kronzeugenregelung. Jedes zweite Kartell wird durch Unternehmen aufgedeckt, die selbst daran beteiligt waren und aufgrund ihrer Hinweise dann straffrei aus dem Verfahren hervorgehen können. Hinzu kommen sonstige Tippgeber aus der Branche und nicht zuletzt auch anonyme Hinweise. Hinweisgeber sind besonders wichtig, weil sich Kartelle im Verborgenen abspielen. Die Tat ist nicht sichtbar – wie beispielsweise bei Diebstählen oder Sachbeschädigung. Wir prüfen zudem IT-gestützt Ausschreibungen und Bieterverfahren auf mögliche Verstöße.

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Wenn sich mehrere Unternehmen koordinieren, um dadurch den Wettbewerb auf dem Markt einzuschränken oder auszuschalten, bezeichnet man dieses Verhalten als Kartell.128 Kartelle können sich dabei auf jeden Parameter des Wettbewerbs beziehen. Von „Hardcore-Kartellen“ spricht man bei Preis-, Quoten-, Produktions-, Kunden- oder Gebietskartellen, da hier die Ausschaltung des Wettbewerbs und der daraus folgende Schaden für den Verbraucher in Form von höheren Preisen, weniger Produkten oder minderer Qualität besonders evident ist. Als Vereinbarungen, abgestimmte Verhaltensweisen oder Beschlüsse zwischen Wettbewerbern, die eine Beschränkung des Wettbewerbs bezwecken, sind Kartelle nach dem Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB verboten. Anders als für bestimmte Formen der Kooperation zwischen Wettbewerbern129 gibt es für Hardcore-Kartelle regelmäßig keine Freistellung durch die sog. Legalausnahme des Art. 101 Abs. 3 bzw. des § 2 Abs. 1 GWB oder eine Gruppenfreistellungsverordnung.

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Das deutsche Kartellrecht kennt mit § 3 GWB zwar einen Sondertatbestand für die Rechtfertigung von Mittelstandskooperationen. Wegen des Vorrangs des europäischen Kartellrechts ist diese Ausnahme aber allein auf Absprachen zwischen kleinen und mittleren Unternehmen130 anwendbar, die wegen ihrer rein lokalen Bedeutung keinerlei Potenzial für grenzüberschreitende Wirkungen haben oder den grenzüberschreitenden Handel nicht spürbar beeinträchtigen. Außerdem dürfen diese Kooperationen den „Wettbewerb nicht wesentlich beeinträchtigen“ und müssen der Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge dienen. In der Praxis bedeutet dies regelmäßig, dass die an der Absprache beteiligten kleinen und mittleren Unternehmen insgesamt auf den betroffenen Märkten einen Anteil von höchstens 10–15 % halten dürfen.131 Absprachen über Preise oder Preisbestandteile werden auch innerhalb dieser Grenzen sehr kritisch gesehen und werden sich nur im Ausnahmefall für eine Ausnahme qualifizieren. Für Quotenabsprachen fehlt es nach Auffassung des Bundeskartellamtes bereits an der Eignung zur „Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge“. Sie sind von § 3 GWB daher grundsätzlich ausgeschlossen.132

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Hardcore-Kartelle werden regelmäßig vorsätzlich geschlossen, allerdings ist dies keinesfalls Voraussetzung für ihre Rechtswidrigkeit. Ein besonderes subjektives Element ist für die Erfüllung einer illegalen Kartellabsprache nicht zwingend erforderlich, sondern macht sich lediglich in einer möglichen Bußgeldbemessung bemerkbar.133

1.1 Vereinbarungen, abgestimmtes Verhalten, Beschlüsse

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Das deutsche und europäische Kartellverbot gehen von einem denkbar weiten Anwendungsbereich der kartellrechtswidrigen Abreden aus, der sowohl Vereinbarungen, abgestimmte Verhaltensweisen als auch Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen erfasst. Der Anwendungsbereich des Kartellverbots ist damit für alle Verhaltensweisen eröffnet, bei denen praktische Zusammenarbeit anstelle des autonomen Handelns eines Unternehmens tritt. Für eine Vereinbarung braucht es weder eine explizite schriftliche noch eine mündliche Vereinbarung; die Abrede muss auch keine Rechtsbindung anstreben. Auch das sog. gentlemen’s agreement ist vom Kartellverbot erfasst. Gleiches gilt für stillschweigende Abreden, die also letztlich nur eine irgendwann erfolgte Willensübereinstimmung voraussetzen. Der Übergang von einer Vereinbarung zur aufeinander abgestimmten Verhaltensweise ist fließend. In der Praxis wird zwischen beiden Tatbestandsalternativen folglich auch keine genaue Abgrenzung vorgenommen.

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Von den unzulässigen Formen des bewussten Zusammenwirkens ist das autonome Parallelverhalten eines Unternehmens abzugrenzen. Die Beobachtung des Wettbewerbs und ein (zeitversetztes) Gleichziehen mit diesem ist nicht verboten, sondern macht das Wesen von Wettbewerb aus. Oder mit den Worten des EuGH:

„[Das Kartellrecht] entzieht den Unternehmen nicht das Recht, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Konkurrenten mit wachem Sinn anzupassen. Es schließt jedoch jede unmittelbare oder mittelbare Fühlungnahme zwischen Wettbewerbern aus [...]“.134

1.2 Praxisbeispiele für Kartellabsprachen

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Nicht zuletzt wegen der äußerst weiten Erfassung von rechtswidrigen Abreden kommen Kartelle in sehr verschiedenen Ausprägungen daher, ihre Erscheinungsformen lassen sich nicht generalisieren: Kartelle können sehr ausgeklügelte Melde- und Überwachungsmechanismen enthalten und über lange Jahre im Geheimen praktiziert werden (siehe z.B. die sogleich dargestellten Praxisbeispiele zum Bildröhren-Kartell oder dem Kartell der „Schienenfreunde“), sie können aber auch nur aus einer kurzfristigen bilateralen Absprache bestehen, die sogar offen in einem Vertrag festgehalten wird (siehe dazu das Praxisbeispiel zu Telefónica und Portugal Telecom). Manche Kartelle geben sich klangvolle Namen wie „Schienenfreunde“, andere bezeichneten sich gar als „Gartenbauclub“, in dem sich die Kartellanten unter Code-Namen wie „Spargel“ und „Mini-Zucchini“ identifizieren.135 Obgleich Kartelle an ganz verschiedenen Orten und Gelegenheiten geschlossen werden, so z.B. auf Golfplätzen,136 in Flughafen-Hotels,137 Schlosshotels,138 im Rotlichtmilieu139 oder in Chatrooms,140 hat die Vielzahl dieser rechtswidrigen Vereinbarungen ihren Ursprung aber im wenig spektakulär anmutenden Umfeld von Verbandssitzungen,141 Messen, Kundenbesuchen oder sonstigen eher unverfänglichen Zusammenkünften zwischen Wettbewerbern.

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Ein klassisches Praxisbeispiel für ein hochorganisiertes Kartell liefert eine Kommissionsentscheidung 2012 zum sog. Bildröhren-Kartell:

Die Kommission verhängte im Dezember 2012 gegen sieben internationale Hersteller von Bildröhren für Fernsehgeräte und Computerbildschirme wegen der Beteiligung an zwei Kartellen ein Rekordbußgeld in Höhe von EUR 1,47 Mrd.142 Die beiden Kartelle gehören zu den am besten organisierten Kartellen, die die Kommission bisher untersucht hat. Fast zehn Jahre lang trafen die Unternehmen Preisabsprachen, teilten Märkte und Kunden untereinander auf und beschränkten ihre Produktion. Auf weltweit abgehaltenen sog. Green(s) Meetings der obersten Führungsebene (die so bezeichnet wurden, weil im Anschluss häufig ein Golfspiel stattfand) wurde die Ausrichtung der Kartelle ausgehandelt. Vorbereitung und Umsetzung wurden auf niedrigerer Ebene bei sog. Glass Meetings vierteljährlich, monatlich oder sogar wöchentlich diskutiert. Die Kartellanten überwachten die Umsetzung der Kartellabsprachen, indem sie u.a. die Einhaltung der Kapazitätsbeschränkungen bei Betriebsstättenbegehungen überprüften. Dass sich die Unternehmen des Kartellverstoßes bewusst waren, zeigen Warnhinweise, die die Kommission in den Unterlagen fand, z.B.: „Es wird zur Geheimhaltung aufgefordert, da eine Offenlegung gegenüber Kunden oder der Europäischen Kommission äußerst schädlich wäre.“ Das Kartell wurde durch einen Kronzeugenantrag des taiwanesischen Unternehmens Chungwa aufgedeckt.

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Dass sich klassische Kartelle auch Jahre später nicht überlebt haben, zeigt unter anderem das 2020 mit einem Bußgeld von EUR 154 Mio. abgeschlossene Pflanzenschutzmittelkartell des Bundeskartellamts:143

Das Bundeskartellamt kam im Januar 2002 zu dem Schluss, dass sieben Agrargroßhändler zwischen 1998 und März 2015 jeweils im Frühjahr und Herbst ihre Preislisten für Pflanzenschutzmittel miteinander abgestimmt haben. Grundlage der Abstimmung war eine gemeinsame Kalkulation der Großhändler, die weitgehend einheitliche Preislisten für Einzelhändler und Endkunden zur Folge hatte. Vor allem in den ersten Jahren übernahmen einige Unternehmen die abgestimmte Preisliste dann einfach für die eigene Preissetzung, indem sie faktisch nur noch ihr Firmenlogo über die fertige Liste setzten. In der Anfangszeit des Kartells trafen sich die Unternehmen mehrmals im Jahr, um sich auf (rabattfähige Brutto-)Listenpreise zu verständigen – in den späteren Jahren erfolgte die Abstimmung überwiegend schriftlich und telefonisch. Die vier führenden Großhändler im Markt – zwei genossenschaftlich organisierte Großhändler und zwei sog. Private – übernahmen grundsätzlich die Vorabstimmung der Kalkulation dieser Preisangaben. Im Anschluss erfolgte die weitere Abstimmung unter den Großhändlern in zwei Lagern, einerseits unter den genossenschaftlich organisierten Großhändlern und andererseits unter den sog. Privaten, den nicht-genossenschaftlich organisierten Großhändlern. Das Ergebnis dieser Abstimmung, die Kalkulationsschemata sowie die fertig berechneten (rabattfähigen Brutto-)Preislisten, wurde dann allen Unternehmen jeweils zur Frühjahrs- und Herbstsaison zur Verfügung gestellt. Bis zum Jahr 2008 hatten bis auf einen betroffenen Großhändler dann alle Unternehmen teilweise auch die darauf zu gewährenden Rabattspannen sowie teilweise Netto-Netto-Preise (Abgabepreise gegenüber Einzelhändlern ohne weitere Rabattierung) für zentrale Produkte abgesprochen.

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Dass Kartelle nicht nur als geheime Absprachen, sondern auch offen in Verträgen geschlossen werden können, belegt bereits das 2013 abgeschlossene Kommissionsverfahren gegen Telefónica und Portugal Telecom:

Die Kommission verhängte am 23.1.2013 gegen die Telekommunikationsanbieter Telefónica aus Spanien und Portugal Telecom Bußgelder in Höhe von insgesamt EUR 79,2 Mio. Die Parteien hatten im Rahmen der Auflösung eines gemeinsamen Joint Ventures in Brasilien vertraglich vereinbart, ab September 2010 bis Ende 2011 in ihren jeweiligen Heimatmärkten Spanien und Portugal nicht miteinander in Wettbewerb zu treten.144 Der Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV wurde im Februar 2011 beendet, nachdem die Kommission auf Hinweis der spanischen Wettbewerbsbehörde ein Kartellverfahren eingeleitet hatte. Das hohe Bußgeld erging, obwohl das Wettbewerbsverbot letztlich nur für vier Monate in Kraft war.145

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