Kitabı oku: «Der Herzenfresser», sayfa 3

Yazı tipi:

Nun streckte Pfarrer Johannes beide Hände nach oben und verkündete mit lauter Stimme und ernstem Gesichtsausdruck: »Der Herr sei mit euch!«

»Und mit deinem Geiste!«, kam es wie aus einem Munde zurück.

†††

Der Graf zu Mürze saß mit seiner Familie beim Mittagessen, als ein Diener eintrat und ihm diskret etwas ins Ohr flüsterte. Es fiel nicht weiter auf, weil die Kinder für hinreichend Lärm und Aufmerksamkeit sorgten und des Grafen Gemahlin Agnes ihr Augenmerk den Kindern schenkte. Außerdem war es nicht ungewöhnlich, dass ihr Gatte beim Essen gestört wurde und in der Folge irgendwelche Pflichten zu erfüllen hatte. Agnes hatte es längst aufgegeben, dagegen zu protestieren. Er hatte ihr bei einem früheren Anlass klarmachen können, dass es eben zu den Aufgaben ihres Standes gehörte, dem Volk Halt und Ordnung zu geben. Und das erforderte manchmal eben Opfer.

Der Diener war kaum gegangen, als sich der Graf mit gespielter Gelassenheit vom Tisch erhob und sich den Mund abtupfte. »Wenn ihr mich bitte entschuldigt. Ich habe mit Lafer etwas zu besprechen.«

Darauf eilte er von dannen. Er lief durch die hohen Flure seines Schlosses ins Freie und überquerte im Laufschritt den weitläufigen Hof. Gleich dahinter gelangte er zum Gutshof, wo ihn Lafer bereits ungeduldig erwartete.

»Ich bitte um Verzeihung, Herr Graf, aber mir ist eine Nachricht von höchstem Interesse zugetragen worden.«

»Worum geht es?«, fragte der Graf.

»Maria hat gestern einen gewissen Rudolf Reininger geheiratet«, antwortete Lafer.

Den Grafen durchfuhr ein kalter Schauer.

»Geheiratet? Rudolf Reininger? Wer soll das sein?«

»Er ist Hirte auf der Turnauer Alm. Unbedeutend. Soll ein ziemlicher Eigenbrötler sein. Niemand im Dorf kann sich so recht vorstellen, wie und wann die beiden ein Paar geworden sind. Nur Pfarrer Johannes tut so, als wäre alles den üblichen Weg gegangen.«

Der Graf seufzte. Er liebte Maria wirklich – noch immer. Manchmal quälte ihn die Sehnsucht nach ihr. Seit der Trennung hatte es Tage gegeben, da wäre er am liebsten unter irgendeinem Vorwand nach Turnau geritten, um sie zu sehen. Und nun konnte und wollte er nicht glauben, dass sie ihn schon vergessen hatte. Die Trennung war zwar auf sein Betreiben hin erfolgt, dennoch fühlte er sich nun in seinem Stolz verletzt.

»Ein eigenbrötlerischer Hirte«, murmelte er vor sich hin und versuchte, sich das bildlich vorzustellen.

»Was hat das alles zu bedeuten? Wir müssen nach Turnau. Ich muss zu ihr! Ich muss wissen, ob sie diesen Hirten wirklich liebt. Ich will wissen, was da dahintersteckt.«

Lafer schüttelte verneinend den Kopf.

»Herr Graf, ich weiß, was Sie empfinden, doch was erwarten Sie sich von einem Treffen? Sie hat geheiratet. Dieser Bund der Ehe wurde vor Gott geschlossen. Sie ist nun die Frau eines anderen Mannes, bis dass der Tod sie scheidet! Ob sie den Hirten liebt oder nicht, ist ohne Bedeutung. Sie haben mit ihr keinen gemeinsamen Weg. Sie haben diesen gemeinsamen Weg nie gehabt. Vergessen Sie diese Frau!«

»Wenn das nur so einfach wäre, mein Lieber«, erwiderte er und kehrte grübelnd zu seiner Familie zurück.

†††

»Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu sehr erschreckt«, sagte der schmächtige Mann in schwarzen Reitstiefeln, weißer Reithose und grauem Rock. Seine braunen Haare hatte er hinter dem Kopf zu einem modischen Schwanz zusammengebunden. Altmanner musste kräftig durchatmen.

»Oh doch! Ich hab dich gar nicht kommen gehört. Ich war so sehr in meine Arbeit vertieft.«

Der Besucher verbeugte sich höflich: »Dann bitte ich vielmals um Verzeihung!«

»Schon gut. Kann ich dir irgendwie helfen?«

Der junge Mann überlegte. »Helfen? Nein! Aber vielen Dank für das Angebot. Ich wollte nur ein wenig allein sein.«

»Die kaiserlichen Hofställe sind aber dafür kein guter Ort, noch dazu jetzt am Abend. Es ist nämlich strengstens untersagt, hier ohne Begleitung herumzuschleichen.«

Der junge Mann schmunzelte und sagte: »Dann begleiten Sie mich doch beim Herumschleichen.«

Altmanner gefiel diese Schlagfertigkeit.

»Zuerst musst du mir aber sagen, wer du bist und woher du kommst.«

»Mein Name ist Joseph und ich komme von dort drüben«, sagte er und zeigte dabei auf Schloss Schönbrunn.

Altmanner wurde verlegen.

»Joseph? Der Joseph?«

»Ja genau, der Joseph!«, entgegnete der junge Mann und lachte spitzbübisch.

Altmanner war darauf überhaupt nicht vorbereitet und merkte, wie er feuchte Hände bekam. Er wusste nicht recht, wie er sich nun verhalten sollte und entschied sich schließlich für einen ziemlich uneleganten Hofknicks, bei dem er fast gestolpert wäre.

»Wie muss ich jetzt zu dir … äh … zu Ihnen sagen? Von dort, wo ich herkomme, haben wir keine Erfahrung im Umgang mit kaiserlichen Hoheiten. Die lassen sich dort nämlich nicht blicken.«

Joseph schien amüsiert und fragte: »Woher kommen Sie denn?«

»Aus der Steiermark.«

»Die Steiermark ist groß.«

»Turnau heißt das Dorf am Fuß des Hochschwab-Gebirges.«

Joseph kratzte sich an der Stirn.

»Ich glaube, ich habe davon schon mal gehört. Schließlich und endlich werde ich von meinem strengen Hauslehrer jeden Tag in Heimatkunde unterrichtet – oder vielmehr gequält. Er pflegt immer zu sagen: ›Wer einmal ein Land regieren will, soll es zumindest auf der Landkarte kennen!‹«

Nun mussten beide herzlich lachen.

»Wie sagen die Leute bei euch zu jemandem, der Joseph heißt?«

»Sepp! Einfach Sepp!«, antwortete Altmanner.

»Sepp? Warum das?«

»Ich weiß auch nicht, woher das kommt.«

Joseph streckte ihm die Hand entgegen: »Gut! Dann bin ich für dich der Sepp. Und wie heißt du?«

»Johann! Johann Altmanner. Bei uns sagt man dazu einfach …«

»… Hans. Ich weiß. Das sagt man hier auch«, warf Joseph ein, »die Sache bleibt aber unter uns. Meine Mutter sieht es nämlich gar nicht gern, wenn ich mich allzu nah beim Volk herumtreibe. Ich glaube, sie hat einfach nur Angst, dass mir etwas zustoßen könnte, weil ich ein gutes Faustpfand abgeben würde. Aber was soll’s, jetzt bin ich nun mal da.«

Altmanner war angetan von dem jungen Mann und seiner Art zu reden.

»Hans, wie bist du zu uns nach Wien gekommen?«

»Interessiert dich das wirklich?«

»Ja, sehr sogar!«

Altmanner fühlte sich nicht ganz wohl in seiner Haut. Sollte er wirklich von seiner Vertreibung erzählen? Wie würde es der junge Thronfolger wohl aufnehmen? Er musste an die Worte von Ludowitz denken, wonach er niemanden bräuchte, der mit dem Mundwerk arbeitet und unbedachte Äußerungen macht.

»Erzähle! Ich hör dir zu«, sagte Joseph ermunternd, doch Altmanner hegte weiterhin Zweifel, was Joseph zu bemerken schien.

»Mache dir keine Sorgen, Hans, es bleibt unter uns.«

»Unter uns dreien«, korrigierte Altmanner.

»Wer noch?«

»Ludowitz!«

Joseph lachte auf.

»Bestens! Ludowitz und ich sind Freunde. Und alle Freunde von Ludowitz sind auch meine Freunde.«

Altmanner war erleichtert, doch blieb er vorsichtig. Konnte er Joseph wirklich trauen? Nur weil er Thronfolger war, bedeutete das lange nicht, dass sein Wort auch galt.

»Lieber Hans, jetzt hast du mich neugierig gemacht, und du wirst mich nicht eher los, bevor du mir deine Geschichte erzählt hast.«

Altmanner musste einsehen, dass ihm keine Wahl blieb. Sie setzten sich in eine schummrige Ecke, und er begann zu erzählen. Joseph hörte aufmerksam zu und schüttelte zwischendurch immer wieder den Kopf.

»Vielen Dank für deine offenen Worte. Wirklich unglaublich«, sagte Joseph am Ende, »ich werde alles für mich behalten. Behalte aber auch für dich, was ich dir zu sagen habe.«

Altmanner hob eine Hand zum feierlichen Schwur und war gespannt, was ihm ein junger Thronfolger wohl so Geheimes zu berichten hatte.

»Der kaiserliche Hof ist eine Schlangengrube. Viele Menschen hier sagen nicht das, was sie denken. Ich bin aber daran interessiert, Leute wie dich und Ludowitz als Freunde zu haben. Leute, die mit mir offen reden, die mir sagen, was das Volk denkt, was das Volk wirklich will!«

Altmanner musterte aufmerksam das Gesicht des Thronfolgers, und ihm wurde klar, dass er einen ungewöhnlichen Menschen vor sich hatte, der sich nach selbstbestimmter, wahrer Freundschaft sehnte.

Ein Knarren der Stalltür ließ die beiden aufhorchen. Jemand trat ein und lief umher.

Es blieb ihnen keine Zeit, sich zu verkriechen, weshalb sie regungslos in ihrer Ecke verharrten. Die Schritte kamen immer näher. Dann ein Schatten.

»Oh, ich hoffe doch, ich störe die beiden Herren nicht?«

Ludowitz wirkte erstaunt, dass er ausgerechnet auf Altmanner mit dem Thronfolger traf.

»Naja, ein wenig schon. Wir waren gerade mitten in einer spannenden Geschichte«, antwortete Joseph mit einem Augenzwinkern.

»Spannende Geschichte?«, wiederholte Ludowitz und warf Altmanner verstohlen einen Blick zu.

»Ja, spannende Geschichte«, betonte Joseph abermals. »Warum hast du mir Hans und sein unglaubliches Schicksal vorenthalten? Ich hätte schon erwartet, dass wir unter Freunden offen miteinander reden!«

Ludowitz rieb sich verlegen die Nase.

»Naja, ich dachte …«

»Ist schon recht!«, sagte Joseph, »aber so gut müsstest du mich schon kennen, dass du mir vertrauen kannst.«

Ludowitz schien es peinlich zu sein.

»Verstehe mich bitte nicht falsch, aber ich war mir nicht sicher, wie der Hof auf einen Vertriebenen reagiert. So etwas könnte Unruhe stiften oder gar einen Skandal auslösen.«

Joseph nickte.

»Das stimmt allerdings. Aber von mir wird niemand etwas erfahren.«

Doch Ludowitz’ Sorgenfalten verschwanden nicht von seiner Stirn, und Altmanner verstand warum. Die Geschichte könnte auf unglaublichen Wegen, vielleicht auch nur durch einen dummen Zufall, an die falsche Adresse gelangen. Endlich hätte es dann einen Grund gegeben, Ludowitz in Frage zu stellen und seine begehrte Position durch irgendeinen Günstling neu zu besetzen. Joseph war noch zu jung, um das verhindern zu können.

4

(Monate später …) »Es ist Zeit aufzubrechen!«, sagte Reininger und blickte besorgt auf Marias Bäuchlein, das beträchtlich angewachsen war. »Wirst du es wohl schaffen, hinauf zur Alm?«

Maria nickte nur. Was blieb ihr auch anderes übrig, als mit ihm zwischen Frühling und Herbst als Hirtin dort oben zu leben? Den Winter hatten sie unten in Turnau in einer kleinen Kammer zugebracht, die ihnen ein Bauer in seinem Haus gnadenhalber zur Verfügung gestellt hatte. Mehrmals hatte er die Brautleute ermahnt, es nur ja nicht allzu oft und zu heftig knarren zu lassen, weil seine Alte sonst ziemlich unrund würde und auch er dann wieder einmal antreten müsse. Er wäre aber lieber im Wirtshaus.

Die Sorge des Bauern war unbegründet, denn Reininger hatte Maria das Bett allein überlassen, während er selbst auf dem harten Boden schlief. Er hatte nicht ein einziges Mal versucht, sich ihr zu nähern, obwohl er ihr ansonsten ein guter und fürsorglicher Ehemann war. Sie hatte sich insofern seiner angenommen, als sie seine Kleidung sauber hielt, flickte und ihren Mann zu regelmäßiger Körperpflege anhielt. Die Veränderung des Hirten entging den Leuten im Dorf nicht. Machten sie sich anfänglich noch darüber lustig, so verstummten sie allmählich. Und nachdem die Schwangerschaft sichtbar geworden war, deuteten sie dieses untrügliche Zeichen: Die Hochzeit dieses ungleichen Paares musste doch etwas mit Liebe zu tun gehabt haben. Genau so, wie es Pfarrer Johannes ja immer behauptet hatte.

Maria verstaute ihre paar Habseligkeiten und Vorräte in einem größeren Rucksack, den Reininger schulterte, und die beiden wanderten los. Der Weg zur Alm war um diese Jahreszeit viel beschwerlicher als sonst, denn abgesehen vom steilen Anstieg war es ein Marsch zurück in den vergangenen Winter, je höher sie hinaufkamen. Im Tal war nämlich alles schon grün, doch hier oben gab es noch reichlich Schnee und Eis. Die wenigen aperen Stellen dazwischen waren zumeist mit Geröll bedeckt und konnten nur mit größter Vorsicht überquert werden. Ein falscher Tritt und die beiden wären verloren.

So ging es stundenlang dahin, bis sie am Ende unversehrt ihr Ziel, die Turnauer Alm, erreichten. Irgendwo zwischen den weißen, hügeligen Weiden fand sich die völlig zugewehte kleine Almhütte.

»So, da wären wir«, sagte Reininger mit einem Anflug von Stolz, als würde sich die Hütte bei näherem Hinsehen als Märchenschloss entpuppen. »Ich werde gleich einmal den Eingang freischaufeln!«

Sie bemerkte, dass er seine Erschöpfung zu überspielen versuchte.

»Kann ich dir irgendwie helfen?«

»In deinem Zustand? Das lasse ich nicht zu! Suche dir inzwischen ein sonniges Plätzchen«, sagte er und tat so, als müsse er angestrengt überlegen, wie er die Arbeit wohl am besten anginge. In Wahrheit versuchte er Zeit zu gewinnen, um Kräfte zu sammeln. Irgendwann war es dann soweit, und er legte los. Er schuftete ohne Unterlass. Der Frühjahrsschnee war ziemlich widerspenstig, zusammengepappt und hart wie ein Brett. Gelegentlich musste Reininger ihn mühevoll abkratzen. Aber irgendwann hatte er es geschafft, stemmte sich mit seinem ganzen Körper gegen die Tür und drang in die Hütte ein. Gleich darauf machte er sich daran, den Kamin einzuheizen, denn obwohl tagsüber die Sonne schon angenehm warm vom Himmel schien, würde es in der Nacht stark abkühlen und draußen wieder alles gefrieren. Bis dahin musste die Stube durchwärmt sein.

»Bitte einzutreten!«, sagte er dann stolz und führte Maria zur einzigen kleinen Kammer gleich neben der Stube. »Das ist ab jetzt dein Reich.«

»Und wo schläfst du?«, fragte sie verwundert.

»Ich mach es mir auf der Holzbank in der Stube gemütlich.«

Sie bekam ein schlechtes Gewissen.

»Rudolf, du bist mir so ein guter Mann, und ich gebe dir nichts zurück. Noch dazu werde ich bald ein Kind gebären, das nicht von dir ist. Wie kannst du damit bloß leben?«

Er begann leicht zu zittern, und seine Augen wurden feucht. Verzweifelt rang er nach Worten. Sie ergriff seinen Arm und sagte tröstend: »Du musst mir nicht antworten.«

Das brachte ihn zum Weinen. Er setzte sich, hielt sich die Hände vors Gesicht, zögerte, legte sie in den Schoß und sah sie an. Dann erzählte er ihr immer wieder stockend seine Geschichte.

»Ich kam auf einem Bergbauernhof weit weg von hier zur Welt und musste schon als Kind hart arbeiten. Mein Vater war ein Trunkenbold, und wenn es ihm gefiel, prügelte er auf alles ein, was ihm in die Quere kam. Auf mich, meine Mutter, die Tiere … alle! Es machte ihm Spaß, wenn wir uns vor ihm fürchteten. Irgendwann, nach einer ausgiebigen Zecherei im Wirtshaus kam er nach Hause und verlangte von mir, dass ich mich ausziehe. Ich sehe ihn noch heute mit geöffneter Hose vor mir, Er sagte, er will mir nun zeigen, wie er es den Weibern von hinten besorgt. Ich musste mich bücken, und er besudelte mich, damit ich schön feucht bin, ›so wie die Weiber‹.«

»Das ist ja furchtbar!«, rief sie aus.

Er nickte.

»Ja, aber Gott sei Dank konnte ich ihm entwischen. Da hat er sich meine Mutter geschnappt. Doch weil auch sie nicht wollte, hat er sie fast zu Tode geprügelt. Sie brauchte viele Wochen, um wieder auf die Beine zu kommen. Auf einem Auge blieb sie blind. Später hat er im Suff immer wieder damit rumgeprahlt, ›das hat das Luder nun davon, wenn es beim Wetzen nicht stillhält‹.«

Reininger griff nach einem Holzscheit und schob es in den Ofen.

»Er hat sie auch später immer wieder geschlagen, bis sie zum Krüppel geworden ist. Eines Tages, ich war grad auf der Weide, ist er wieder mal stockbesoffen herumgetorkelt und hat gemeint, ich soll mir was ansehn. Ich bin ihm nach in die Scheune … Mutter hatte sich an einem Balken erhängt. Ab und zu hat ihr Körper noch gezuckt, aber es war zu spät. Er hat nur höhnisch gegrinst und gesagt, ›das ist der Teufel, der sich aus dem nutzlosen Kadaver davonmacht!‹«

Maria saß mit weit aufgerissenen Augen da, musste immer wieder schlucken und hielt sich entsetzt die Hände vor den Mund. Reiningers Stimme hatte versagt. Er holte tief Luft und fuhr sich mit dem Ärmel über die Augen.

Zum ersten Mal erzählte er seine Geschichte, und Maria hörte ihm zu. Nun musste er alles loswerden. Es tat so gut, sich jemandem anvertrauen zu können, noch dazu einer Frau, die Mitgefühl zeigte, noch dazu seiner Frau.

Er sammelte sich und fuhr fort: »Weil es eine Sünde war, sich zu erhängen, durfte meine Mutter nicht auf dem Friedhof beerdigt werden. ›Lasst sie doch einfach irgendwo verschwinden‹, hat uns der dortige Pfarrer geraten. Vater und ich haben eine Grube am Waldrand ausgehoben und sie hineingelegt. ›Jetzt hat das Luder auch noch Schande über uns gebracht‹, hat mein Vater gesagt. Danach hat er sich bis zur Ohnmacht betrunken, und ich hab meinen Rucksack genommen und bin fortgegangen. Ich bin viele, viele Tage gelaufen, vielleicht sogar Wochen, und irgendwann bin ich hierhergekommen, nach Turnau. Der alte Hirte von hier oben hat sich meiner erbarmt und mich zu sich genommen. Aber nur für ein paar Tage, hat er gesagt. Daraus sind dann Wochen, Monate und Jahre geworden. Er ist mir ein lieber Vater geworden. Als er gestorben ist, hab ich seine Arbeit ganz übernommen.«

Reininger beteuerte, dass er hier auf der Alm immer eine schöne Zeit gehabt hatte. Hier war er frei, hatte die Natur und die Tiere. Aber trotz allem hatte er sich immer nach einer lieben Frau und nach einer eigenen Familie gesehnt, für die er sorgen konnte. Als diese Sehnsucht unerträglich wurde, nahm er seinen ganzen Mut zusammen und vertraute sich Pfarrer Johannes an. Der versprach ihm, die Sache dem lieben Gott vorzutragen. Allerdings müsste er hierfür eine günstige Gelegenheit abwarten, denn Gott wäre ein vielbeschäftigter Herr und müsste sich um viel wichtigere Dinge kümmern.

Maria war sehr traurig geworden. Als Reininger das sah, sagte er sanft: »Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Ich bin kein böser Mensch. Ich werde für dich sorgen und auch für dein Kind, als wäre es mein eigenes.«

»Und du willst gar nicht wissen, wer der richtige Vater ist?«, fragte sie und schüttelte dabei ungläubig den Kopf.

Er machte eine abwehrende Handbewegung und meinte: »Wichtig ist doch nur, dass wir glücklich sind.«

†††

Mit jedem Tag schmolz jetzt auch auf den Bergen der Schnee dahin. An sich harmlose Bäche füllten sich mit milchigem Schmelzwasser und wurden unten im Tal zu reißenden Fluten. Nur an den sonnenabgewandten Abbrüchen blieben mächtige Schneefelder zurück, die gelegentlich mit ohrenbetäubendem Getöse als Lawinen abfuhren und alles unter sich glatt hobelten. Mitunter rissen sie auch unachtsame Tiere mit, ja, sie ›saugten‹ diese geradezu in sich hinein. Die Turnauer Alm verwandelte sich in wenigen Wochen auf wundersame Weise in saftige grüne Weideflächen, übersät mit duftenden Kräutern und bunten Blumen.

»Rudolf!«, rief Maria, die es sich auf der hölzernen Bank vor der Hütte in der Frühlingssonne gemütlich gemacht hatte, »komm schnell!«

Er stürmte aus der Hütte, wo er gerade Asche aus dem Kaminofen geholt hatte, und fragte besorgt: »Ist es soweit?«

»Ach nein!«, beruhigte sie ihn. »Etwas ganz anderes. Hörst du das?«

Er lauschte: »Sie kommen!«

Eine leichte Brise trug das hohle Scheppern vieler Glocken heran. Es kam immer näher. Die Zeit des Almauftriebs war gekommen. Ein großes Spektakel. Schon viele Stunden zuvor hatten sich die Bauern aus dem Tal mit ihren Tieren auf dem Dorfplatz versammelt und waren von dort losgezogen.

Ein Lächeln huschte über Rudolfs Gesicht: »Die Tiere sind mein Leben. Und von nun an, darf ich es mit dir teilen.«

Bald waren sie von der Herde umringt, und einer der Treiber, ein gedrungener kräftiger Bauer, kam auf die beiden zu: »Passt mir schön auf unsere Viecher auf. Wir wollen sie wieder vollzählig zurückhaben!«

»Wie immer«, sagte Reininger.

»Da wäre noch was«, sagte der Bauer und kratzte sich am Hintern. »Ich hab meine ausgediente Magd, die alte Weinberger Resl, mit raufgenommen.«

»Ah so … und warum?«, fragte Reininger ahnungslos.

Der Bauer schien nicht zu verstehen, was es hier zu fragen gab, kratzte sich am Bauch und sagte: »Dann machst du’s also selber.«

Reininger war noch immer ahnungslos: »Was mache ich selber?«

Maria hatte längst begriffen und grinste in sich hinein.

»Na, die Geburt!«, fuhr ihn der Bauer an und kratzte sich im Schritt. »Die Resl soll der Maria eine gute Hebamme sein. Sie kennt sich da aus. Sie hat schon einigen Weibern im Dorf beigestanden. Ich kann sie entbehrn, denn für’s Arbeiten bei mir taugt sie ohnehin nicht mehr.«

Inzwischen hatte sich auch die Resl keuchend heraufgeschleppt. Der lange Fußmarsch steckte ihr offensichtlich noch in den Knochen. Sie ignorierte Reininger, ging gleich auf Maria zu und sagte: »Grüß dich Gott schön! Lass dich anschaun, das Kindchen kommt wohl bald.«

»Dann ham wir das wohl geklärt und ich kann wieder gehn«, sagte der Bauer.

Aber etwas musste er noch loswerden: »Weiß der Teufel, warum mich heut der Schweiß so juckt.«

Auf dem von vielen feinen Linien gezeichneten Gesicht der Resl erschien ein schadenfrohes Grinsen: »Dich juckt nicht der Schweiß, dich jucken deine Läuse. Du solltest dich mal ordentlich waschen und deine Kleider wechseln«, krächzte sie. »Du riechst übler als deine Viecher!«

»Meinem Weib macht’s nichts aus«, brummte der Bauer missmutig und machte sich auf den Weg.

†††

Gleich als erste Handlung verscheuchte die alte Resl den Reininger von seiner Schlafstelle auf der Holzbank, um sich dort selbst breitzumachen. Seinen viel zu zaghaften Protest ignorierte sie, indem sie sich taub stellte. Ihm blieb also nur der knorrige Bretterboden, der ihm in jeder Nacht ein steifes Genick bescherte. Doch am schlimmsten war Resls lautes Geschnarche und ihr ständiges Furzen, das ihn auch schon mal mitten in der Nacht vor die Hütte trieb. Ansonsten war die Anwesenheit der Alten ein Segen. Sie unterstützte Maria, wo sie nur konnte, und sie hatte für die bevorstehende Niederkunft allerlei bereitgestellt: Eine Schüssel für heißes Wasser, frische Tücher und was sie sonst noch brauchte. Sie ließ Maria niemals aus den Augen, und so konnte Reininger beruhigt seiner Arbeit auf den Bergwiesen nachgehen.

Tage vergingen, und als er irgendwann an einem Vormittag weiter wegmusste, um ein paar verirrte Tiere zu suchen, und erst am späten Nachmittag wieder zurückkam, konnte er schon aus einiger Entfernung erkennen, dass Rauch aus dem Kamin aufstieg. Die Resl hatte offenbar Feuer gemacht. Er hatte so eine Vorahnung und begann zu rennen. Rasch erreichte er die Hütte und hörte schon Marias Wehklagen. Hastig riss er die Tür auf, doch die Resl schrie ihm entgegen: »Draußen bleiben. Es ist soweit.«

Aufgeregt wich er zurück und wartete vor der Hütte. Immer wieder hörte er Marias Stöhnen und Wimmern und die Resl, die Maria dazu anhielt, ruhig zu atmen und zu pressen. Dann polternde Schritte, und das alte Weib schaute kurz nach ihm und meinte: »Es wird schon gutgehn.«

»Aha!«, war alles, was er mit Mühe herausbrachte.

Dann ein Aufschrei. Er lugte besorgt und gleichzeitig neugierig durchs kleine Fenster in die Stube, wo die Resl mit Tüchern geschäftig hin und her huschte, im Topf rührte und sich zwischendurch den Schweiß von der Stirn wischte. Für ihr hohes Alter war sie ziemlich wendig. Er wandte sich wieder ab und spürte, wie sein Herz bis in die Schläfen hinein pochte. Sein Mund war trocken, aber ihm war nicht nach Wasser zumute. Er hätte es ohnehin nicht hinunterbekommen.

Dann wurde es plötzlich ruhig. Unerträglich ruhig. Eine Ewigkeit lang. Und dann ein herzzerreißendes Plärren, das nicht aufhören wollte. Nun ging ein Lächeln über sein Gesicht, und er spürte, wie er sich entspannte. Nie zuvor empfand er solch ein Glück wie in diesem Moment. Er war auf einmal so schwach, dass ihm fast die Beine versagten. Nun wollte er nicht länger warten und öffnete die Tür zur Hütte.

Die Resl bemerkte ihn sofort, obwohl sie noch in Marias Kammer beschäftigt war, und rief ihm zu: »Du bist Vater geworden. Es ist ein gesunder Bub. Auch Maria geht es gut! Der liebe Gott meint es gut mit euch. Aber nun wart noch einen Moment draußen, ich hol dich rein, wenn wir fertig sind.«

Ihm wurde schwindelig vor Aufregung, und er wäre fast zusammengeknickt, wenn er sich nicht gleich wieder draußen auf die Holzbank gesetzt hätte. Wieder verging einige Zeit, bis die Resl ihn holte. Als sie sah, wie bleich er geworden war, herrschte sie ihn an, er solle sich zusammenreißen. Schließlich habe nicht er, sondern Maria ein Kind geboren. Er nickte nur und wankte ehrfürchtig in Marias Kammer, atmete dabei tief durch.

Sie lag schweißgebadet und erschöpft, aber glücklich mit dem schlafenden Neugeborenen im Arm im Bett und lächelte. Dieser Anblick rührte ihn so sehr, dass ihm die Tränen aus den Augen rollten: »Du hast mir einen Buben geschenkt«, sagte er mit zitternder Stimme und strich ihr zärtlich über die Wange.

»Wie wird er denn heißen?«, rief die Resl durch die offene Tür in die Kammer herein. Sie war am Herd damit beschäftigt, Tücher in einem großen Topf einzuweichen. »Ich muss es ja gleich unserem Herrn Pfarrer melden, damit der Bub anständig getauft wird, weil sonst kann er nach seinem Tod nicht ins Himmelreich kommen.«

»Paul«, sagte Maria mit schwacher Stimme und lächelte Rudolf an, »Paul Reininger.«

Die Resl juchzte begeistert auf.

»Wie unser heiliger Apostel Paulus. Da wird sich unser Herr Pfarrer aber ganz besonders freun.«

†††

Pfarrer Johannes tropfte vor Anstrengung der Schweiß vom Gesicht, und auch seine Kutte war vollgesogen. Er konnte nicht ablassen, daran zu schnuppern und sich zu ekeln.

Was soll’s. Wenn’s getrocknet ist, riecht’s eh wieder erträglicher!

Immer wieder blieb er stehen und holte tief Luft. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er zuletzt auf die Alm hochgestiegen war. Es musste Jahre her sein. Aber gleich hatte er es geschafft, er konnte schon das Dach von Reiningers Hütte erkennen. Und dann traf er ihn auch schon draußen auf der Weide an, wo Reininger damit beschäftigt war, etwas zu zimmern. Es sah ganz nach einer Wiege aus.

»Grüß Gott, Rudolf!«, sagte Pfarrer Johannes, und kam dabei nicht aus dem Schnaufen heraus. »Ich komm wegen eurem Bub.«

»Grüß Gott, Hochwürden«, strahlte Reininger und legte den Hammer nieder. »Wenn Hochwürden den beschwerlichen Weg hier herauf zur Alm auf sich nimmt, muss der Bub ja was ganz Besonderes sein …«

»Lieber Rudolf, jetzt ist nur wichtig, dass du hast, was du immer wolltest. Eine liebe Frau und einen gesunden Bub. Sei glücklich und denk nicht dran, wie alles kam. Meinen Segen habt ihr.«

»Na dann vergelt’s Gott.«

»Schon gut, schon gut«, winkte Pfarrer Johannes ab. »Wie steht’s um die beiden?«

»Paul ist ein gesunder Bub, und Maria geht’s auch gut.«

»Das hör ich gern.«

»Kommen Sie Hochwürden, ich geh mit Ihnen zur Hütte.«

»Nein, nein. Ist nicht notwendig. Lass dich nicht von deinem Tagwerk abhalten.«

Pfarrer Johannes schritt auf einmal eilig weiter und konnte schon bald darauf Maria vor der Hütte sitzen sehen. Sie wiegte liebevoll ein weißes Bündel in ihren Armen.

»Grüß Gott, Maria!«, rief er laut und winkte ihr mit beiden Armen wedelnd zu.

Sie sah nur kurz auf und legte den Zeigefinger an den Mund. Er verstand und näherte sich leise mit einem breiten Grinsen. Sie sah glücklich aus. Maria hob einen Zipfel des weißen Tuchs ein wenig an und gab ihm einen Blick auf den friedlich schlafenden Säugling frei. Er musterte das Gesichtchen und nickte zufrieden.

»Sieht ein wenig aus wie der Vater«, bemerkte sie spitz. Doch er ließ sich nicht provozieren und bewahrte Haltung. Lediglich ein leichtes Kratzen im Hals ließ ihn hüsteln. Sie rückte den Zipfel wieder schützend zurecht, hob das Bündel hoch, legte es behutsam in den Weidenkorb, der neben ihr auf der Bank stand, und brachte diesen in die Stube. Kurz darauf erschien sie wieder, vermied es aber, sich neben ihn zu setzen. Sie blieb direkt vor ihm stehen, verschränkte die Arme und wartete ab, was Pfarrer Johannes wohl vorzubringen hätte.

»Ich spüre, dass du noch immer ein wenig böse auf mich bist. Aber irgendwann wirst du mein Handeln verstehen. So wie es aussieht, ist doch alles zu deinem Besten verlaufen. Rudolf scheint dir ein guter Mann zu sein, und du hast ein Zuhause.«

Er hielt inne und hoffte auf eine zustimmende Geste. Doch Maria erlöste ihn nicht von seinem schlechten Gewissen.

»Liebe Maria, ich bin stolz auf dich, und ich bewundere dich für das, was du alles ertragen hast. Ich werde für dich, deinen Bub und Rudolf beten, damit euch Gott für immer und ewig gnädig ist.«

Da bekreuzigte sie sich und erwiderte scharf: »Und ich bete dafür, dass Gott eurer Seele gnädig ist, Hochwürden!«

Er fuhr erschrocken zusammen. So eine Antwort in diesem scharfen Ton hatte er von ihr nicht erwartet. Doch er fasste sich schnell wieder und tat so, als sei nichts gewesen. Stattdessen öffnete er seine Hand und übergab ihr ein zartes goldenes Halskettchen mit einem kleinen goldenen Kreuz als Anhänger. Sie warf ihm einen fragenden Blick zu.

»Nein, nein! Es ist nicht von mir«, sagte er, »es ist ein Geschenk von ihm. Er ist sehr an deinem Wohlergehen interessiert. Als er von deiner Schwangerschaft erfahren hat, hat er es mir durch Gutsverwalter Lafer überbringen lassen mit dem Auftrag, es dir sofort nach der Geburt für das Kind zu überreichen.«

»Bestellen Sie ihm, ich kann dieses Geschenk nicht annehmen«, sagte sie schroff.

»Aber warum denn nicht?«

»Muss ich das wirklich erklären?«

Er tat so, als hätte sie all sein Mitgefühl.

»Du musst vergessen und vergeben, mein Kind! Sei doch klug, dieses Geschenk könnte dir und deinem Sohn einmal nützlich sein.«

Sie überlegte.

Seine Stimme wurde sanft: »Komm Maria, nimm es an. Wir können ohnehin nichts mehr ungeschehen machen. Und ich bin mir sicher, dass alles mit dem Wohlwollen Gottes geschehen ist, sonst hätte er schon längst ein Unglück über uns hereinbrechen lassen.«

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺482,91

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
251 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783903200081
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок