Kitabı oku: «Beethovens unsterbliche Geliebte», sayfa 4
Fast sprichwörtlich war die Unzertrennlichkeit der beiden Freunde geworden, daß man rief: »Wo ist der andere?«, sobald man den einen sah.
In dem freundschaftlichen Beisammensein des Abends wurde fleißig musiziert, und der Meister phantasierte wundervoll auf dem Klavier.
Schließlich sagte Amenda: »Jammerschade, daß solche herrliche Musik mit dem Augenblick verschwindet, in dem sie geboren.«
»Du irrst«, sagte Meister Ludwig und wiederholte die extemporierte Phantasie ohne jede Abweichung.
Im Vorzimmer wurde heftiger Wortwechsel hörbar, der Diener wollte einen robusten Mann abweisen, der indessen den Alten beiseite schob und mit kurzem Anklopfen ungestüm hereintrat: »Mein Geld muß ich haben, sonst haben Sie morgen die Kündigung.«
Der Hausherr.
Ach, daß diese gemeine Prosa den hochbeschwingten Augenblick stören muß!
»Geld, Geld! Das ist leicht gesagt! Woher nehmen, wenn man's just nicht hat!«
»Nun, das wird doch nicht schwer sein«, meinte Amenda, der sich ins Mittel legte, um einen unliebsamen Auftritt zu verhüten. Denn der Meister wollte Grobheit mit Grobheit erwidern und den ungebärdigen Mahner vor die Tür setzen. Amenda hieß den Mann, im Vorzimmer zu warten oder in einer Viertelstunde wiederzukommen.
»Nun?!« wandte sich Meister Ludwig fragend und erwartungsvoll an Amenda.
»Nichts leichter als das«, erwiderte dieser kaltblütig. »Ich gebe dir ein Thema auf: Freudvoll und leidvoll. Du hast eine Viertelstunde Zeit zur Variation.«
Der Meister begriff nicht, was Amenda wollte, aber er ahnte einen dunklen Sinn und fügte sich.
Als die Zeit um war, gab er ihm mürrisch das Blatt: »Da ist der Wisch!« So begann die Bekanntschaft mit Goethes Dichtung.
Amenda ließ den Wirt wiederkommen und gab ihm das Blatt mit der Anweisung, sich das Geld bei den Verlegern Beethovens Steiner und Haslinger, den »Paternostergäßlern«, einzukassieren.
Etwas mißtrauisch nahm der Hauswirt diesen sonderbaren Schein in Empfang; es war kurz nach sieben Uhr, wenn er sich beeilte, so konnte er den einen oder anderen Chef der Verlagsfirma noch antreffen.
Es dauerte gar nicht lange, so kam der Mann hocherfreut zurück und entschuldigte sich wegen seines vorigen allzu aufdringlichen Benehmens; dabei tat er die Frage, ob er noch mehr solcher »Zettel« haben könne.
Dem Bruder Karl glänzten gierig die Augen, als er eine solche schnell funktionierende »Notenpresse« sah.
Ludwig erinnerte sich, daß ihn Karl angepumpt hatte; er ließ sich ein neues Thema aufgeben, und in einer weiteren halben Stunde hatte auch Karl seinen »Zettel«. »Das muß ich mir merken«, dachte er und empfahl sich eilends, in der Hoffnung, den Laden in der Paternostergasse noch offen zu finden.
Die Freunde waren allein.
Amenda machte eine betrübende Eröffnung.
»Habe ich dir schon gesagt,« begann er, »daß ich im Begriffe bin, Wien zu verlassen?«
»Nein, das darf nicht sein«, erwiderte der Meister erschrocken; »du kannst mich nicht allein zurücklassen in der großen fremden Stadt.«
»Ich habe eine Anstellung in der Heimat«, erwiderte der junge Theologe, der dem Meister merkwürdig ähnlich sah, besonders wenn er lachte. Ähnliche Züge, ähnliche Seelen – das mochte der geheime Grund der tiefen Sympathie und des Vertrauens sein, das der sonst so leicht mißtrauische Meister für Amenda empfand.
»Du bist nicht allein,« sagte der Theologe, »du hast viele Freunde, die größer und mächtiger sind als ich; was konnte ich armer Student denn dir sein, dem anerkannten, viel umworbenen Künstler, außer daß ich ein Empfangender war und dir dankbar bin dafür.«
»Ich habe viele Bekannte, aber keine Freunde außer dir und etwa Stephan Breuning, Leonorens Bruder, der seit einiger Zeit auch hier ist, wie du weißt, und mir Wegeler, den Bonner Jugendfreund, ersetzt, der nun schon wieder in Bonn ist und mich verlassen hat wie du jetzt, der Glückliche!« Der Gedanke an Leonore stahl sich durch sein Gemüt, als er den Namen Wegelers und Steffens genannt hatte; sie waren ja ein unzertrennliches Bonnsches Kleeblatt gewesen. Und ein noch tieferer Schatten von Trauer senkte sich über ihn. »Jetzt bin ich arm und verlassen!«
»Wieso, Freund?« tröstete ihn Amenda, »du sitzest mitten im Glück, verwöhnt von den Großen, ein Liebling der Frauen – ich wollte, ich wäre an deiner Stelle!«
»Ach, unter diesen elenden egoistischen Menschen,« greinte der unzufriedene Künstler, der leicht zur Misanthropie neigte, »da ist allenfalls der Fürst Lichnowsky, der mir noch der liebste ist; er hat sich wenigstens generös gezeigt. Aber was sie tun, das geschieht doch auch wieder aus Eigennutz, und da kennen sie keine Rücksicht; wenn einem schon das Blut aus den Fingern spritzt, da heißt es trotzdem noch immer spielen, spielen, spielen, und schließlich trotzen sie es einem durch Bitten und Schmeicheln ab. Sie kümmern sich gar nicht darum, daß Phantasieren heißt: die Seele bloßlegen, daß man sich oft dabei wund und elend am ganzen Körper fühlt; für sie ist es ein bloßer Genuß – oh, wie ich diesen Genießerstandpunkt in der Kunst hasse, – wie ich ihn verachte!« –
Und da er schon im Zuge war, so goß er gleich die ganze Schale seines Unmuts aus, gleichviel ob er im Recht war oder nicht.
»Und was die anderen betrifft, wie etwa den Zmeskall, so weißt du, daß er mir ebensowenig wie alle übrigen gefallen kann, sie sind und bleiben zu schwach zur Freundschaft. Ich betrachte sie als bloße Instrumente, auf denen ich spiele, wie's mir gefällt; ich taxiere sie nach dem, was sie mir leisten. Seit ich mein Vaterland verlassen habe, bist du einer, den mein Herz erwählt hat und mit dem ich wie mit meinen Jugendfreunden das Vergnügen des Umgangs und der uneigennützigen Freundschaft teilen kann. Und nun gehst auch du, aber das muß eben sein – es ist nun mein Los, und das heißt: allein sein!«
Amenda wunderte sich ein wenig über das harte Urteil, das der Meister über seine Wiener Freunde fällte; doch er wußte, daß er die Übertreibung liebe und daß ihm jene doch mehr waren als bloße »Instrumente«; es war eben Seelenbekümmernis über das Scheiden des Freundes, die aus ihm sprach: sein Gemüt war verfinstert. Ihn auf freundlichere Gedanken zu lenken, brachte Amenda das Gespräch nochmals auf die Frauen; Wegeler wollte wissen, daß der Meister »immer in Liebesverhältnissen« war und mitunter Eroberungen machte, die manchem Adonis, wo nicht unmöglich, so doch sehr erschwert gewesen wären.
Er erinnerte ihn jetzt daran.
Der Meister lächelte wehmütig. »Du weißt, wie ich über diese Dinge denke: die längste Liebe hat nicht sieben Monate gedauert, und betrachtet man's genau, so war's nicht einmal eine Liebe. Die müßte kommen im Sturm, wie eine Katastrophe, die den ganzen Menschen um und um stürzt, das Innerste nach außen – aber ich fürchte, ich bin zu vernünftig dazu, vielleicht auch zu bedenklich und zu sehr an die eine Frau Kunst verschworen, als daß ich den Kopf an eine andere verlieren könnte. Es müßte denn sein, daß sie mich inspiriert und selbst so eine Art Muse wird – aber das gibt es wohl nicht!«
Er sann eine Weile nach und fügte in Erinnerungen verloren hinzu: »Einmal allerdings habe ich eine geliebt, die mir Herzensfreundin und Muse zugleich war: mit ihr wäre ich vielleicht glücklich geworden – vielleicht bilde ich mir das nur ein – genug an dem, sie gehört einem andern, du weißt ja: Leonore ... Wegeler irrt sich; seitdem ist mir Frau Venus beharrlich aus dem Wege gegangen; ist auch besser so – – –«
Eine Pause entstand.
»Kennst du die Komtessen Brunszvik?« fragte er plötzlich und ganz unvermittelt. »Ich glaube Theresa heißt die eine, Josephine die andere, die mit den Teufelsaugen.«
Amenda verneinte; er kannte wohl den Bruder Franz Brunszvik und erzählte, daß er bei Lobkowitz viel geschwärmt habe von Meister Ludwig; übrigens sei er selten in Wien, meistens in Ungarn auf seinem Gut und in dem kleinen Palais in Ofen-Pest – –
»Das hat mich neulich gepackt bei Lichnowsky, als ich sie zum erstenmal sah«, gestand Ludwig. »Ich dachte unwillkürlich an Leonore – ich bin immer ein wenig unglücklich, wenn ich an sie denke –, diesmal aber war ich wie verzaubert, ganz getröstet: ich hatte das Gefühl, die könnte mir ersetzen, was die Jugendliebe war, vielleicht mehr als das; zum erstenmal, daß Leonore in meinem Gefühl ausgelöscht war; aber dann war ich erst recht unglücklich: ich sah die ganze Hoffnungslosigkeit; diese stolzen Gräfinnen, auch wenn sie liebe Augen machen und gar süß und vertraulich tun –, es gibt eine Schranke, du kommst nicht hinüber, man braucht nur die hochgeborene Gräfin-Mutter anzusehen, liebenswürdig und eiskalt! Und wenn ich mich jetzt genau erinnern will, weiß ich gar nicht mehr recht, welche mich mehr bezaubert hat, die Theresa oder die Josephine; beide fließen mir jetzt in eine zusammen: die mit der Haarkrone und dem wunderbar schönen, fast traurigen Gesicht und die andere mit den brennenden Augen, die wie dunkles Feuer lodern: nein, Amenda, ich bin froh, daß ich sie nicht kenne und wahrscheinlich nicht mehr sehe, es wäre geschehen um meinen Frieden: freudvoll und leidvoll, das wäre jetzt mein Los; besonders aber leidvoll – es war schon das richtige Thema, das du mir aufgegeben hast.«
Der Meister trat ans Klavier, er war aufs neue angeregt, immer wenn er im Herzen Sturm fühlte, und begann zu phantasieren. Der Schmerz, der Freund, die Liebe, sie waren vergessen, oder sie traten in anderer Gestalt hervor, als Klangerscheinung, eine geisthafte Existenz, in der etwas wie Schicksal lag, eine Ankündigung.
Unheimliche, düstere Klopfmotive melden sich, ein dämonischer Anfang, dem bald ein Ausbruch von Leidenschaft folgt, ein tönendes Gewoge, wie wenn die See heult. Dann ein traumhaftes, gebetartiges Thema, wie eine himmlische Erscheinung, engelmild. Und wieder der Aufschrei der Leidenschaft, verzweifeltes Ringen nach dem Licht und dem Frieden, nach der Engelgleichen, im Kampf mit Dämonen, wahre Seelenstürme bis zur grausigen Wildheit gesteigert.
Es waren Ahnungen von Dingen, die möglich sind oder gar unvermeidlich.
Ab und zu machte der Meister Notizen, um diesen oder jenen Gedanken der Improvisation festzuhalten. »Das könnte ich brauchen,« sagte er wie zu sich selbst, »das könnte was werden!« Und dann fiel das Wort: »Appassionata müßte man's nennen – –«
Zum endgültigen Abschied Amendas sollte ein Festschmaus veranstaltet werden, den Meister Ludwig in seiner Wohnung gab. Es war damit kein Ohrenschmaus gemeint, der die Gäste entzückt hätte, sondern ein richtiger Küchenschmaus; der Künstler liebte es, sich auch als Kochkünstler zu zeigen, was freilich weniger Entzücken weckte. Der ewigen Gasthausküche – beim »Schwanen«, oder im »Fischtrüherl«, oder im »Jägerhorn«, oder beim »Römischen Kaiser«, beim »Schwarzen Kamel«, im »Blumenstöckl«, in der »Eiche« auf der Brandstatt und wie sie alle hießen, die bevorzugten Altwiener Lokale, wo gerne Musiker verkehrten – überdrüssig geworden, kam er auf die barocke Idee, zu der ihn sein Unabhängigkeitssinn trieb, gelegentlich sein eigener Küchenchef zu sein. Der Diener verstand nichts von der Kocherei, also hieß es eigenhändig zupacken; der Meister wollte den Freunden beweisen, daß er auch auf diesem Gebiete seinen Mann stellen könne. Um nicht betrogen zu werden, was seine ewige Furcht war, begab er sich schon am frühen Morgen in eigener Person auf den Markt, wählte mit großer Umsicht und Kennermiene, schimpfte über die Preise, feilschte – und kaufte schließlich schlecht und teuer.
Die Freunde wußten schon, was ihrer bei Meister »Mehlschöberl« – das war sein Spitzname als Koch – harrte. Es waren nur die Intimsten geladen: außer Amenda als dem Gefeierten das »Falstafferl«, »Baron Dreckfahrer«, nämlich Zmeskall, der Kapellmeister Hummel, kurz »Natzl« genannt, und Steffen Breuning, der Bonner Jugendfreund, der in der Hofkriegskanzlei tätig war. Die Freunde hatten verabredet, vorher insgesamt in einer Gastwirtschaft ein tüchtiges Frühstück zu nehmen und von dort aus zum Diner in des Meisters Wohnung zu ziehen, wo man die Speisen als bloße »Schaugerichte« unbehelligt vorüberspazieren zu lassen entschlossen war. Man war gewitzigt. Nur durfte man es »Mehlschöberl« ja nicht merken lassen.
Alles kam, wie man es bei solchen Anlässen schon gewohnt war: der Hausherr empfing seine Gäste als Koch im Nachtjäckchen, eine stattliche Schlafmütze auf dem struppigen Kopf, eine blaue Schürze um die Lenden gebunden, das braune Gesicht brandrot erhitzt wie Meister Vulkan von der emsigen Tätigkeit am Feuerherde.
Die Vorbereitungen zogen sich wie gewöhnlich in die Länge; schon anderthalb Stunden harrten die Gäste der Dinge, die da kommen sollten, geduldig zwar, aber doch mit dem bangen Wunsche, daß die Prüfung gnädig vorübergehen sollte.
Endlich schlug die große Stunde; der Diener begann zu servieren. Man wußte es schon von früher und hatte sich auch diesmal nicht getäuscht: die Suppe war mager wie die Bettelsuppe der Gasthöfe; das Rindfleisch halb gar und zäh, etwa für einen Straußenmagen berechnet; das Gemüse ein Gemengsel von Zellstoff, Fett und Wasser, unvermengt, der Braten halb verkohlt.
Am besten schmeckte es dem Festgeber; der höfliche Beifall der Gäste würzte das Mahl und versetzte ihn in rosigste Laune; aufgemuntert, selbst tüchtig zuzugreifen, würgte jeder ein paar Bissen hinunter und beteuerte, schon übersatt zu sein; im übrigen hielten sie sich wacker an das frische Brot, Obst und Backwerk und besonders an den süffigen Ofener Wein, der Hausmarke des Meisters, und ließen »Mehlschöberl«, die komische Person in der Burleske »Das lustige Beilager«, hochleben. Meister Ludwig war kein Kostverächter, er verschmähte keineswegs einen guten Tropfen; in der Regel aber hielt er sich an klares Brunnenwasser, das er freilich übermäßig und in Strömen trank. Der tüchtige Zug lag schon in der Familie; der Großvater, Hofmusikkapellmeister in Bonn, aus Belgien eingewandert, führte nebenher einen Weinhandel, seine Frau, die Großmutter, erlag der Trunksucht, und leider auch der Vater war ein Trinker und hatte dadurch sich und die Familie ruiniert. Der göttlichen Natur des Meisters lag der Mißbrauch fern; Wassertrinken war kein Laster.
Nur der Kaffee war seine Leidenschaft, den er selbst braute, sechzig Bohnen auf jede Tasse, und der unter seinen Gästen mit Recht berühmt war. Waren auch die lukullischen Genüsse bei solcher Tafel mehr als mäßig, so ersetzten gute Laune und heitere Reden reichlich das Fehlende, und schließlich wurden die Gäste herrlich entschädigt durch das musikalische Nachgericht, das der Meister seinen Freunden bot und das allen die Hauptsache war. Auch das durfte man natürlich nicht merken lassen, denn im Hinblick auf seine Kochkünste war der Meister empfindlicher als auf seine Klavierkünste, darin er viel eher eine Kritik vertrug. Zum Glück ergriff er nur selten das Küchenzepter und entsagte alsbald den Ausflügen auf dieses entlegene Gebiet, durch Magenverstimmungen nachdrücklich gewarnt, die sich regelmäßig nach einem solchen Symposion einzustellen pflegten.
So war allmählich der Nachmittag im schönsten Verein verflogen, man wußte kaum wie; abends entschloß man sich doch, gemeinsam in den »Schwan« zu gehen und dort erst den Scheidenden zu feiern. Das Abschiedsweh wurde in Wein ertränkt, bis endlich spät nachts so ziemlich alle Absterbens Amen waren. Die Narkose erleichterte den Trennungsschmerz, und als man doch am nächsten oder vielmehr übernächsten Tag das bürgerliche Gleichmaß wieder gefunden hatte, war Amenda im Postwagen schon viele Meilen fern, und man konnte kaum mehr denken, daß das Leben die beiden Freunde, die eine Strecke weit so einträchtig miteinander gewandert waren, je wieder zusammenführen werde. Aber gerade die Ferne und Trennung wirkte festigend auf diese eigenartige Freundschaft. Das hatte der Meister schon mit seinen Bonner Jugendfreunden erfahren. Er blieb ihnen treu, weil sie fern waren. Dadurch rückten sie in eine ideale Zone, die keine Trübung durch die sonst unvermeidlichen täglichen Reibungen erleiden konnte. Die Nähe, der tägliche Umgang, war viel gefährlicher. Und der Meister war alles, nur kein bequemer Freund.
Das Frühjahr lockte hinaus; Meister Ludwig entschloß sich auf ärztlichen Rat, einige Wochen eine Badekur in Baden zu machen. Aber auch der kurze Badeaufenthalt war für ihn keine Arbeitspause, sondern erst recht eine ungestörte Gelegenheit zu neuem emsigem Schaffen.
Dem entsprachen auch die umfänglichen Anstalten, die zu solchem Zwecke gemacht wurden.
Eines Morgens schwankte ein vierspänniger Lastwagen mit einem turmhohen Bau von Musikalien, Manuskripten, Notizheften, Büchern und etlichen Gerätschaften zum Linienwall hinaus nach den elysischen Bezirken des lieblichen Badens am Südostrande des Wiener Waldes, wo die Quellennymphe unter klassizistischen Badetempeln ein arkadisches Idyll gefunden hat. Ernste Tannenwälder ziehen die Höhen hinauf, von droben schauen Burgruinen talwärts. Klassizismus und Romantik. So liebt es der Meister, denn beides ist ihm verwandt.
Ferdinand Ries, der Schüler und Famulus, soll binnen wenigen Tagen nachkommen und mit Meister Ludwig die Einsamkeit teilen.
Er selbst wandert zu Fuß dem Wagen voraus, seelenvergnügt. Lerchenjubel, sanfte Lüfte, schaukelnde Kornfelder. Ideen schwirren heran, wetterleuchten durchs Gemüt; das dicke Zimmermannsblei hat zu tun im flüchtigen Festhalten der Eingebungen. Vergessen ist die Welt, der Sänger schwebt schon halb im Elysium. Vergessen auch der Möbelwagen.
Todmüde, staubbedeckt, schweißtriefend kommt der Meister spät abends ans Ziel. Nirgends der Lastwagen zu sehen. Endlich, am Kirchenplatz findet er seine Sachen abgeladen, zu einem Haufen aufgestapelt, eine Rotte Buben herum. Der Kutscher, der sein Geld im voraus empfangen hatte, ist längst heimgefahren.
Zuerst Wut, dann schallendes Gelächter, und schließlich mit Hilfe der Buben ein stundenlanges Bergen der Habseligkeiten in den Mietzimmern, wo dann alles kunterbunt durcheinanderliegt, in gewohnter Weise. Aber, Gott sei Dank, man ist endlich glücklich installiert.
Am übernächsten Tag kommt Ries an, und nun geht das Leben seinen geregelten Gang. Ries ist sozusagen Verbindungsoffizier mit der Außenwelt, er besorgt alles Nötige, begleitet Meister Ludwig auf den ausgedehnten Spaziergängen, macht auch gelegentlich die Kopiatur der neuen Kompositionen, ist Gesellschafter, vernünftig, bescheiden, diskret; er empfängt dafür Unterricht und freie Station.
Eines Abends kommt Ries heim und tritt in das Zimmer des Meisters, prallt aber sofort zurück, als er eine dichtverschleierte, anscheinend junge schöne, jedenfalls aber sehr elegante Dame bei ihm auf dem Sopha sitzen sieht.
Ries fürchtet, daß er ungelegen käme, und will sich sofort unauffällig entfernen. Aber da winkt ihm schon der Meister zu und fordert ihn auf:
»Bleiben Sie nur, und spielen Sie einstweilen!«
Ries setzte sich hin und spielte, indessen hinter seinem Rücken der Meister mit der Dame plauderte. Es dauerte sehr lange.
In einer zufälligen Kunstpause hört der Junge seinen Herrn und Meister zur Fremden sagen:
»Lüften Sie doch Ihren Schleier! Ich komme mir vor wie auf einem Maskenball. Und ich gestehe, daß ich begierig bin – – –«
»Und ich war ebenso begierig auf Sie – ich interessierte mich für den berühmten Künstler; finden Sie das ungewöhnlich oder unrecht? Denken Sie nicht schlecht von mir – – –«
Ries hatte unwillkürlich die Pause verlängert, und der Meister rief ihm sofort zu: »Ries, spielen Sie etwas Verliebtes!« Und dann zur Schönen: »Was ich denke, kann Ihnen ja gleich sein – ich kenne Sie leider gar nicht!« Das Gespräch ging unverständlich fort.
Der Schüler hielt inne.
»Ries, etwas Melancholisches!« befahl der Meister.
»Sie werden mich vielleicht eines Tages kennen,« sagte die Schöne hinter ihm, »aber Sie sollen dann nicht wissen, daß ich es war, die bei Ihnen war. Vielleicht werde ich es Ihnen einmal sagen, vielleicht auch nicht, das hängt von Umständen ab, die ich nicht voraussehen kann.«
Der Meister mußte plötzlich etwas Ungeschicktes gesagt haben, wodurch die Dame beleidigt schien; denn Ries hörte sie plötzlich sagen: »Als Kavalier wissen Sie, daß ich in Ihrem Schutz stehe, besonders in dieser Lage, in die mich mein romantischer Fürwitz und meine Verehrung geführt hat; wenn Sie meinem Ruf schaden, so schaden Sie Ihrem noch mehr, und die Gesellschaft würde Ihnen das nie verzeihen.«
Der Meister suchte nun durch gute Laune wieder gutzumachen, was er verdorben zu haben schien, und schrie dem Klavierspieler, der wieder nachließ, übermütig zu: »Vorwärts, Ries, etwas Leidenschaftliches!«
»Woran soll ich Sie wieder erkennen, schöne Unbekannte!«
»Sie sollen mich nicht wieder erkennen! Ich bin Ihnen eine Unbekannte und will es bleiben. Ob ich schön bin, können Sie nicht wissen.«
»Werde ich Sie je kennen? Ich habe den Wunsch, das Unbekannte lockt, es ist das Romantische! Und man sagt mir nach, daß ich Romantiker bin.«
»Dann wird Sie diese Episode freuen und Ihrer Kunst vielleicht von einigem Gewinn sein.«
»Sie weichen meiner Frage aus, Verehrte. Ob Sie mir ewig Geheimnis bleiben wollen – –«
»Ja und nein – Sie werden mich kennen als eine andere; mehr kann ich Ihnen nicht versprechen – – –«
Der Meister horchte ein wenig auf den Spieler, sprang dann auf und schrie: »Ja Mensch, das sind ja lauter Sachen von mir!«
In der Tat hatte Ries Motive aus des Meisters Ludwig Arbeiten aneinandergereiht und durch kurze Übergänge verbunden, bei der Wahl immer auf die allgemeine Charakteristik bedacht: etwas Verliebtes, etwas Melancholisches, etwas Leidenschaftliches – – es fand sich alles und stimmte vortrefflich.
Die Dame hatte sich erhoben, dankte mit wenigen gewählten Worten für die köstlichen Augenblicke und bat, nicht auf des Rätsels Lösung zu drängen, es würde sich eines Tages vielleicht ganz mühelos ergeben. Sie sagte noch »Auf Wiedersehen!«, machte eine graziöse Bewegung und schwebte hinaus.
Meister und Schüler sahen sich verdutzt an.
»Ries, kennen Sie die Dame?«
Der Gefragte verneinte und gab die Gegenfrage zurück:
»Ja, kennen Sie sie selbst nicht?!«
»Keine Ahnung; sie ist wenige Augenblicke vor Ihnen erschienen und erklärte, sie wolle ungenannt und ungekannt bleiben. Ich möge mir auch keine Mühe geben und nicht auf irgend jemand aus dem Gesellschaftskreis schließen, denn sie gehöre nicht dem Personenkreis an, in dem ich bisher verkehrte, und ich sei ihr bis nun auch da nie begegnet.«
»Hm,« lächelte Ries etwas knabenhaft und sagte großartig: »Galantes Abenteuer!«
»Können Sie sich ungefähr denken, wer sie sein mag?« fragte der Meister. »Kommt sie Ihnen nicht irgendwie bekannt vor?«
»Nicht im mindesten, aber daß sie den vornehmen Ständen angehört, glaube ich durchaus; es muß doch wenigstens eine Gräfin sein, um sich solche Kaprice in den Kopf zu setzen. Eine andere wagt das gar nicht. Vielleicht ist sie eine Ausländerin, eine Russin oder Engländerin, die sind so emanzipiert!«
»Jedenfalls scheint sie jung und schön, zweifellos vornehm. Kommen Sie, Ries, wir müssen herausbekommen, wer sie ist; wir folgen ihr unauffällig nach, und haben wir ihre Wohnung, dann wird sich auch Name und Stand erforschen lassen.«
Sagte es, und stürmte hinaus, Ries ihm nach.
Die Nacht war mondhell; von weitem sahen die beiden ihre dunkle Gestalt, dann war sie plötzlich verschwunden.
Sie liefen, so schnell sie konnten, ein Gewirr von ländlichen Gassen und Gärten; die Geheimnisvolle war nirgends zu entdecken.
Silberhell und tannenschwarz öffnete sich das Helenental, Wasser rauschte und plauderte neben der mondweißen Straße. An ein Nach-Hause-Gehen war jetzt nicht zu denken. Unter allerlei Gesprächen und Vermutungen verging die Zeit, sie wanderten noch gut anderthalb Stunden umher, auf das lebhafteste angeregt.
Beim Heimweg sagte der Meister noch zu seinem Getreuen: »Ich muß herausfinden, wer sie ist, und Sie müssen mir helfen, Ries.«
Noch bis tief in die Nacht saß der Meister am Klavier. Es war ja sein urpersönliches Instrument, sein Seelenorgan, mit dem er vertrauteste Zwiesprache hielt. Was er dem treuesten Freund nicht zu sagen vermochte, weil Worte schließlich unzulänglich werden, das vertraute er dem Klavier an. Sein freies Phantasieren und seine Klaviersonaten waren intimes Bekenntnis, gleichsam Tagebuch. Nur daß niemand recht wußte, was er sich bei seiner Musik dachte. Es war sein tiefstes Geheimnis. Die anderen mochten ahnen; ganz verstehen niemand. Indem er eine verstehende Seele zu ergreifen glaubte, war es schon wieder mehr ihr eigenes Wesen, das sich in dem Tonbild spiegelte und ihr eigenes Gleichnis suchte, als jenes des Meisters, der seine Seele hineingelegt hatte. So blieb es undurchdringliches Mysterium; nur eines wußte man, und das war das unerhört Neue und Bezaubernde: es war Ausdruck des persönlichen Seelenlebens wie nie vor ihm.
Was nun unter seinen Händen am Klavier erblühte, war traumhaft wie die Mondnacht draußen mit ihren lockenden Werbungen und ihrer unerfüllten Sehnsucht. Zerfließende Harfenakkorde in schwermütigen Adagioharmonien, aufschäumende Presti, fiebernde Erregung und darüber schwebender Gesang mit melancholischer Grundstimmung. Ein musikalisches Gleichnis auf das seltsame Erlebnis dieses Abends, darüber der Schleier des Geheimnisses gebreitet war, und das eben deshalb um so aufwühlender wirkte. In flüchtigen Umrissen entstand die sogenannte Mondschein-Sonate.
Als der Meister inmitten der einstürmenden Eingebungen innehielt und bemerkte, daß Ries noch immer wartend dasaß, sagte er nur kurz: »Ich kann Ihnen heute keine Stunde geben«, und vertiefte sich sofort wieder in seine Arbeit. Das war für den Schüler das Zeichen, daß er für diesmal entlassen war und sich stillschweigend entfernen sollte, um den Besuch der Muse, nicht weniger geheimnisvoll als jene schöne Unbekannte, nicht länger zu stören. Immer wieder kehrten die Gedanken zu der Fremden zurück; sie war fast schon unwirklich geworden, eine flüchtige reale Verkörperung der Göttin Phantasie. Keine andere Spur ihrer Anwesenheit war geblieben als jene Skizzen und Entwürfe der neuen Sonate, die aus diesem eigenartigen Vorkommnis entsprossen waren, die geistige Frucht jener mysteriösen Annäherung. Ob sich das Rätsel jemals lösen werde?
Meister Ludwig war bald darauf nach Wien zurückgekehrt. Eines Tages kam Ries in heller Aufregung, er habe die Fremde wiedergesehen. Sie sei in einer Karosse gefahren; er lief hinterdrein, so schnell er konnte; aber alsbald sei der Wagen seinem Gesichtskreis entschwunden. Zufällig sei ihm Zmeskall begegnet, dem er den entschwindenden Wagen habe im letzten Augenblicke zeigen können. Zmeskall, der nur einen flüchtigen Blick erhaschte, meinte, sie sei die Geliebte eines ausländischen Prinzen, wenn ihn der Augenschein nicht täusche. Es sei allerdings fraglich, ob er recht gesehen habe.
Der Meister zweifelte. Es war ihm fast zur inneren Gewißheit geworden, daß er die Geheimnisvolle wiedersehen werde. »Sie kommt wieder,« meinte er, »wer weiß, als was sie sich dann entpuppen wird!«
Und zugleich hatte er das unbestimmte Gefühl, als ob es besser wäre, ihr nicht wieder zu begegnen. Ob sie nicht die Verkörperung eines Verhängnisses sei, das sich ihm in dieser verführerischen Form näherte? Er war eine zu gerade, sittlich gesunde Natur, um an einem so dunklen Spiel sein Gefallen zu haben. Leichtfertige, frivole oder auch nur ungeklärte Verhältnisse waren ihm ein Greuel. »Was hatte die Unbekannte zu verbergen; warum gab sie sich nicht zu erkennen? Hatte sie etwas zu verbergen? Um so schlimmer für sie!« Das waren die Erwägungen, die sich immer wieder einstellten. Eigensinnig liefen die Gedanken zu ihr zurück und ließen ihn Theresa und Josephine fast vergessen. Selbst das Bild Leonorens war entschwunden. Stets drängte sich die Geheimnisvolle vor. Der Meister war schon ärgerlich über sich selbst geworden. »Sie ist wie ein Dämon, der mich unsichtbar verfolgt! Hätte ich sie doch nie gesehen! Was stört sie meine Ruhe?« Und er beschloß, sie hart und abweisend zu behandeln, wenn sie ihm je wieder begegnen würde.