Kitabı oku: «Am laufenden Band», sayfa 2

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9.

Die Cheffitüde bei den Mongis

Ist vorbei

Drei Wochen »work ’n’ travel«

Wie junge Leute sagen

Fünfzehn Tage Workation

Ich habe viel am Steuer gesessen

Sehr viel

Habe an Le Conscrit des cent villages von Aragon gedacht

Das Defilee von Glockentürmen und klingenden Ortschaftsnamen

Von der Normandie über die Region Nord-Pas-de-Calais

Die ich wohl nie Hauts-de-France nennen werde

Bis nach Belgien

Habe mehr Käffer und Straßen gesehen

Als Leute

Dunkerque Saint-Valéry-en-Caux Fécamp Berck-sur-Mer

La Roche-Guyon Étampes Trouville Verviers Westrozebeke und

Ostende und bei den belgischen Vettern Vétheuil Vernon

Verneuil-sur-Avre Beuvron-en-Auge

Ein Frankreich der Unterpräfekturen

Der Marktplätze mit Kopfsteinpflaster und Fachwerkhäusern

Der flämischen Glockentürme

Und Erinnerungen an die Kriege

Dem von 1914

Passendale die Somme Péronne der Wettlauf zum Meer Ypern wo

ich das tägliche Gedenkläuten abends um acht für die Gefallenen

verpasst und die englischen kanadischen sogar indischen und

maorischen Friedhöfe nur aus der Ferne gesehen habe because ich

saß am Steuer

Dem von 1939 in der Normandie

Also eher von 1944

Am Steuer sitzen

Ist fast so eintönig

Wie Fische Kisten Garnelen sortieren

Aber natürlich anders

Chef sein von Leuten die Freizeitteilnehmer mit Behinderung

begleiten

Dagegen kann man nichts sagen

Man sitzt am Steuer

Sonst nichts

Die geplanten Besichtigungen

Waren schneller gemacht als ein Blitzkrieg

Étretat

Giverny

Honfleur

Postkartenidyllen von denen

Die Blumen in Monets Garten

Übrig bleiben

Und die Satiehäuser

Eines der schönsten Museen der Welt von dem man mir oft schon

vorgeschwärmt hat

Zu Recht

Eine fliegende Birne

Ein Zimmer in Montmartre

Ein elektrisches Klavier

Ein Tretkarussell das einen riesigen Regenschirm öffnet

Zurück auf der Straße

Auf der Autobahn

Streifte das Abendlicht in der Ferne den Mont-Saint-Michel

Ich fuhr an Villedieu-les-Poêles vorbei einem Dorf mit Messingwaren

und Gehörlosen von dem schon Rabelais im Gargantua spricht weil

von dort das Metall fürs Besteck seines Helden stammt

Dann quer durch die Bretagne und heim

Es war die Nacht der Sternschnuppen der Laurentiustränen

Zurück in Lorient die letzten Dudelsackklänge vom interkeltischen

Festival

In der Ferne ein Feuerwerk

Ich schaute zum Himmel und wünschte mir was

Heut Morgen

Habe ich in der Zeitarbeitsfirma meinen Scheck vom letzten Monat

und einen neuen Vertrag abgeholt

Bingo

Vier Wochen Nachtschicht in einer neuen Fabrik von zwanzig Uhr

dreißig bis fünf Uhr dreißig

Das wars mit den Fischen und Garnelen

Aber nicht mit Kisten Wannen und Maschinen

Ich freu mich auf die Arbeit auch wenn eine neue Fabrik Stress heißt

und ich meinen Fischen und Garnelen nachtrauere

Was werde ich wohl produzieren

Mit meinen behinderten Freizeitteilnehmern habe ich nichts

produziert

Sie hatten frei und produzieren den Rest des Jahres in

Behindertenwerkstätten

Für so wenig Geld wie Freizeit und sind dennoch zufrieden und stolz

Manche erzählen mir von Holzarbeiten und dem ständigen Hobeln

an Möbeln von Grünflächen wo sie je nach Jahreszeit Laub

einsammeln oder Blumen gießen von kleinen Schrauben die sie in

ich weiß nicht welche Teile stecken

Wenn ich das hör versteh ich sie genau aber trau mich nicht zu sagen

ich bin einer von euch

Chefposten ist Chefposten

Meine Freizeitteilnehmer mit Behinderung würden das sicher

verstehen

Meine untergeordneten Teamer und Begleiter verstehen es nicht

Montagabend um zwanzig Uhr dreißig

Stehe ich als Produktionsmitarbeiter wieder unter den Chefs am

Förderband am Fließband an der Produktionsstraße

Denke ich in der Fabrik bestimmt genauso an diese französischen

Städte und Dörfer wie ich auf der Straße an die Fabrik dachte

Bin ich wohl der Soldat Aragons

»Oh ihr Dämonen denn ihr seid Dämonen

Gebt mir Wörter über Wörter«

10.

Zurück von der Nachtschicht

Wird es im Osten in der Ferne langsam hell

Sechs Uhr morgens und acht Stunden in der Panierfischfabrik die

Form verlieren liegen hinter mir

Nicht meine

Sondern Gussformen wie Kuchenformen wie große

Sechserplastiklegosteine aber weich und in Fünfzigerstapeln die

man abstapelt und auf ein Förderband legt das nie stillsteht

Dann füllt eine Maschine die Formen mit einer dicken Soße

Was dann kommt seh ich nicht mehr

Für meinen Organismus ist der Rhythmus meiner acht

Nachtstunden nicht einfach zu handeln

Wann soll ich aufstehen zu Bett gehen mich ausruhen essen Kaffee

trinken oder Wein

Ich dachte ich verschiebe einfach alles um zwölf Stunden

Ich fang um neun Uhr abends an als wär es neun Uhr morgens der

Rest folgt der Verschiebung

Und hör um fünf Uhr also siebzehn auf

Haste gedacht

Mein Organismus ist genauso orientierungslos wie ich in dieser

neuen Fabrik

Klar ich bin erst seit zwei Tagen hier der Automatismus ist noch nicht

da aber in der Nacht verdammt

»Allein in der Nacht liege ich wach und denk an dich sacht ich bin ein

Soldat steh wie alle parat«

Sang Johnny Hallyday in Deutschland für seine Sylvie

In der Nacht fühle ich mich wie ein Fabriksoldat

Wenn ich von meiner Frau träume

Die so nah und doch so fern von mir schläft

Tausend weiche Plastikformen entfernt

Mit Panierfisch

Fühlt sich die Arbeit nicht mehr so edel an wie mit echtem Fisch

Hier gibts nur Paniermehl Kräuter Tiefgefrorenes

Geschmack- und Reizloses

Egal

Es ist sieben

Es wird hell

Es ist Schlafenszeit

Ich weiß nicht soll ich einen Kaffee oder Rotwein trinken

Auf jeden Fall werd ich eine Ballade von Johnny summen wenn ich

mich an meine schlafende Frau schmiege die ich nicht aufwecken

will

»Ich bin ein Soldat der der Dinge hier harrt«

11.

Seit sieben Monaten ist er beim Panierfisch

Er ist zwanzig

Er hat die Schnauze voll

Von der brutalen Mutprobe die man ihm aufgezwungen hat der

beschissenen Atmosphäre den eintönigen Nachtstunden in denen

man schuftet und schuftet und dem Gefrierpanierfisch ohne Ende

Inmitten der Nacht lässt der Maschinenlärm etwas nach

Er fragt mich warum ich hier bin

Ich sage ihm wie allen anderen die einfache schöne Wahrheit

Dass ich weg bin von allem für die die ich liebe

Dass wir geheiratet haben

Dass ich glücklich bin hier zu sein

Und die Fabrik na ja irgendwas muss man ja tun

Und bald ein Baby fragt er sofort

Hoffen wir so sehr wie wir dran arbeiten

Auch er heiratet bald

Es gibt noch viel zu tun

Er hat ein bisschen Angst aber sie kommen voran

Ein paar Gesprächsfetzen später erfahre ich

Ich wohne ganz in der Nähe von der Arbeit seines Freundes

Ein paar Tage später helfe ich einem anderen Team

Einer erzählt mir von der Hochzeit des Ersten

Sie wollten ihre Partnerschaft eintragen lassen aber durch das neue

Gesetz können sie auch heiraten und damit auch leichter adoptieren

Ich lächle gerührt

Und denke fest an Ministerin Taubira die zu Recht dafür gesorgt hat

dass ein kleiner schwuler Arbeiter sich in der Fabrik outen kann

Bei seinen Eltern war das womöglich schwieriger

Dass er das Recht auf seiner Seite hat

Und selbst wenn er gelitten hat und die Mutprobe hart war

Heiraten wird

Am Ende meiner Nacht hol ich mir aus dem Getränkeautomaten

eine Dose Perrier

Champagner

12.

Angefangen hat das so

Verlangt hatte ich ja nie was aber

Als mich ein Chef bei Schichtbeginn fragt ob ich schon mal Tofu

abgetropft hab

Als ich die Anzahl der Paletten und Paletten und Paletten seh die

ich allein abtropfen soll und ich gleich weiß damit bin ich die ganze

Nacht beschäftigt

Tofu abtropfen

Sag ich mir immer wieder ohne recht daran zu glauben

Heute Nacht werde ich Tofu abtropfen

Heute werde ich die ganze Nacht Tofuabtropfer sein

Ich werde eine Parallelerfahrung machen sag ich mir

In dieser bereits parallelen Welt Fabrik

Ich beschreib mal die Szene

Es ist vierzehn Uhr dreißig

Ich wache auf nach einer Nacht die um acht Uhr morgens begann

Ich soll um zwanzig Uhr dreißig anfangen um fünf hab ich Schluss

Die Zeitarbeitsfirma ruft an Dienstplanänderung

Von neunzehn Uhr bis vier Uhr dreißig macht mit der üblichen

halben Stunde Pause gut neun Stunden Arbeit

Soll ich nicht zum Panierfisch sondern zu den Fertiggerichten die

meine Fabrik ebenfalls herstellt

Ich mach mich an die Arbeit

Ich tropfe Tofu ab

Ich sag mir diesen Satz auf

Wie ein Mantra

Fast

Wie ein Zauberspruch

Ein Segen

Ein Passwort

Eine Art Resümee der Sinnlosigkeit des Lebens der Arbeit der ganzen

Welt der Fabrik

Ich lach mich schlapp

Ich träller im Kopf Y a d’ la joie vom guten Trenet um mich in Gang zu

kriegen

Ich denk an den berühmten Shakespeare-Vers in dem die Welt eine

Bühne ist und wir nur schlechte Schauspieler

Ich wär bestimmt ein guter Kandidat für die TV-Show Kamoulox

»Ich träller Trenet und tropfe Tofu ab«

»Lei-der falsch drei Pa-nier-fi-sche zu-rück«

Ich finde Tofu widerlich und gäb es keine Vegetarier gäbs auch nicht

dieses Tofutrallala

Denk ich mir eben Reime aus die schön zu klingen scheinen

Tofuabtropfer

Bohnenquarkopfer

Die Griffe werden langsam mechanisch

Mit dem Cutter aufschneiden

Den Karton mit zwanzig Kilo Tofu öffnen

Die Dreikilobeutel auf die Arbeitsfläche packen

Mit dem Cutter aufschneiden

Die Beutel öffnen

Den Tofu senkrecht auf ein waagerechtes Stahlsieb packen durch das

die brackige Flüssigkeit abtropft

Den Tofu eine Zeit lang abtropfen lassen

Eine Zeit lang

Wie Fernand Raynaud gesagt hätte

Hätte man ihn gefragt wie lange ein Kanonenrohr braucht um

abzukühlen

Wer erinnert sich noch an Fernand Raynaud und seine Sketche die

heute so altmodisch wirken

Beim Tofuabtropfen versuche ich mich an die Sketche von Fernand

Raynaud zu erinnern

Le 22 à Asnières

La Chemise lilas

Pourquoi tu tousses

Le Fût du canon

Ich erinnere mich wie gern meine Oma sie mir im Fernsehen gezeigt

hat als ich klein war

Ich denk an sie sie fehlt mir

Ich erinnere mich an

Ich erinnere mich von Georges Perec

Klar

Ich tropfe Tofu ab

Ist der Tofu einmal abgetropft

Füll ich ihn in einen Bottich mach Folie drauf stell den Bottich in

eine Ecke wo er drauf wartet irgendeinem Fertiggericht beigegeben

zu werden

Was nicht mehr meine Aufgabe ist

Von Zeit zu Zeit

Fahr ich die großen Säcke in die ich meinen Papp- und Plastikmüll

sortiere

Mit einem Gabelstapler zu den Mülleimern nach draußen

Das tut gut

Zum Müll fahren

Ist mal was anderes

In meiner alten Fabrik

War ich kürzlich noch

Chimärensortierer

Das machte irgendwie mehr her

Tofuabtropfer

Wer nicht selbst mal nachts neun Stunden lang Tofu abgetropft hat

kann das nicht verstehen

Oh Mann

Ich Klugscheißer weiß es und du nicht

Dabei gibts hier rein gar nichts woraus man Stolz beziehen könnte

Oder Verachtung für die Nichtarbeiter

Die Verachtung

Ich denke an Godards Meisterwerk versuche mich an George Delerues

Leitmotiv für Camille zu erinnern eine Musik die glaube ich gut zu

dieser Atmosphäre passen würde

Die sehr gut passen würde

Aber ich erinnere mich nicht

Silenzio

Die Stunden vergehen und vergehen nicht ich bin verloren

Ich bin in einer paradoxen Ekstase halbschlafend halbwach fast wie

beim Eindämmern wenn die Gedanken durch die Aktivität des

Unterbewusstseins umherschweifen

Aber ich träume nicht

Ich albträume nicht

Ich schlafe nicht ein

Ich arbeite

Ich tropfe Tofu ab

Ich sage mir den Satz auf

Wie ein Mantra

Ich versuche mich an meinen Reim von vorhin zu erinnern aber ich

erinnere mich nicht

Ich sage mir man muss schon ganz schön fest an seine Kohle glauben

und dass die auch noch kommt die Liebe zum Absurden oder die

Literatur

Um weiterzumachen

Ich muss weitermachen

Tofu abtropfen

Von Zeit zu Zeit

Zum Müll fahren

Morgens um ein Uhr zehn ist Pause

Sie dauert bis ein Uhr vierzig

Ich weiß nicht ob eine Pause nach über sechs Stunden Arbeit legal ist

Aber ich scheiß drauf

Noch drei Stunden Tofu abtropfen

Kippe

Kaffee

Kippe

Snickers

Kippe

SMS von meiner Frau die um dreiundzwanzig Uhr an mich gedacht

hat

Ich lächele

Wenn sie wüsste

Aber die Zeit ist um

Ein letzter Kippenzug zum Zeichen des Widerstands

Haste gesehen Fabrik haste gesehen Tofu meine letzte Kippe kriegste

nicht

Schön wärs

Ich drück sie schnell aus

Schnell zur Umkleide

Kittel

Stechuhr

Weiter gehts

Ich tropfe Tofu ab

Noch drei Stunden

Nur noch drei Stunden

Ich muss weitermachen

Ich tropfe Tofu ab

Ich werde weitermachen

Die Nacht hört nicht auf

Ich tropfe Tofu ab

Die Nacht hört nicht mehr auf

Ich tropfe Tofu ab

Ich tropfe Tofu ab

13.

Ich habs satt aber in der Fabrik sagt man nichts

Es ist Wochenende

Ich kann nicht schlafen

Um diese Uhrzeit müsste ich am Band stehen

Noch zwei Stunden arbeiten

Noch zwei Stunden malochen

In der Fabrik

Am laufenden Band

Es ist Wochenende

Zeit die Arbeitskraft zu regenerieren

Also

Ausruhen

Schlafen

Leben

Und zwar nicht in der Fabrik

Aber sie frisst mich auf

Die Schlampe

Zu Hause habe ich draußen beim Rauchen

Die gleichen Reflexe wie in der Pause

Schnell ziehen und an der Kippe eine Kippe anzünden

Übermorgen muss ich zurück in die Fabrik

Doch mir kommts vor als wärs schon

Morgen

Schon den Schlafrhythmus anpassen

Den Lebensrhythmus

Den die Fabrik diktiert

Ich muss zurück

Ich muss schlafen

Ich muss

Ich habe die Fabrik so satt

Den Scheißrhythmus

Das sinnlose Tun jede Nacht

Nichts sagen

Schreiben

Die Muskeln tun weh

Die Pause tut weh die ich jetzt haben müsste aber nicht habe

Während ich zu Hause meine Kippe rauche

Bin ich immer noch in der Fabrik

Wer könnte mich morgen oder übermorgen mit dem Auto

mitnehmen

Arbeite ich nachts verlier ich die Lust am Tag

Das ist hart

Nimmt mich niemand mit habe ich keinen Job mehr

Das wäre das Ende

Das wäre scheiße

Muss ich wohl mit den Kollegen regeln

Doch dafür müsste man mal sprechen

Trotz der Ohrstöpsel hämmern die Maschinen in der Pause weiter auf

unser Schweigen ein

Warum was sagen und was überhaupt

Dass man es satt hat

Dass man am Wochenende kaum schläft

Aber so tut

Als ob

Alles gut läuft

Man einen Job hat

Auch wenns ein Scheißjob ist

Auch wenn man sich nicht ausruht

Verdient man was

Die Fabrik wird uns fressen

Frisst uns jetzt schon

Doch keiner sagt was

Denn in der Fabrik

Ists wie bei Brel

»Keiner sagt was

mein Herr

Keiner sagt was«

14.

Die sollte man mal sehen

Unsere kaputten Gesichter

In der Pause

Die verhärteten Züge

Die verlorenen Blicke im Zigarettenrauch

Unsere entstellten Gesichter

Wie die der Gueules cassées im Ersten Weltkrieg

Wir

Das Fußvolk der Fabrik

Oder besser

Söldner

Nicht junge Rekruten der Marie-Louise-Armee

Sondern

Halbwegs Freiwillige in einem Krieg gegen die Maschine

Der schon im Voraus verloren ist

Klar

Aber zumindest einen Monatssold einbringt

Warten auf die Rückkehr an die Front

Die Pause

Diese verdammte Pause

Seit Schichtbeginn erhofft erträumt erwartet

Und auch wenn sie so oder so zu kurz sein wird

Kommt sie zu früh

Noch Stunden schuften

Kommt sie zu spät

Nicht mehr können nicht mehr können

Sie wird kommen

Der siegreiche Kapitalismus hat nur zu gut verstanden dass er den

Arbeiter am besten ausbeutet

Wenn er ihn verwöhnt

Und sei es nur ein bisschen

Man tut was man kann

Ruh dich ein halbes Stündchen aus

Kleine Zitrone

Da ist noch Saft drin den ich auspressen will

Ein halbes Stündchen

Das sagt schon alles

Natürlich kommt die Stechuhr vor oder nach der Umkleide

Je nachdem ob man kommt oder geht

Das heißt

Mindestens vier verlorene Minuten

Schneller umziehen geht nicht

Die Zeit für einen Kaffee im Pausenraum

Endlose Gänge Treppen

Die verlorene Zeit

Lieber Marcel ich hab gefunden wonach du gesucht hast

Komm zur Fabrik ich zeig sie dir sofort

Die verlorene Zeit

Dann musst du keine Wälzer mehr darüber schreiben

Endlich frische Luft

Endlich draußen

Kippe

Blick aufs Handy

Sagen wir zwanzig Minuten

Der dröhnende Fabriklärm wiegt mich fast in den Schlaf

Manche ziehen sich in ihr Auto zurück

Manche essen

Weiter weg werden Joints geraucht wenn ich das richtig rieche

Ich sitz auf einer Bank und steck mir an der Kippe meiner Kippe

eine Kippe an die ich aus dunklem Tabak selbst gedreht hab

Blick aufs Handy

All die Zeit die vergeht

Lässt sich kaum nachholen

Noch eine Kippe

Noch ein Viertelstündchen

Wie lange brauche ich fürs Hochgehn

Umziehn

Pinkeln

Natürlich erlaubt der Chef nicht wenn du in der Stunde vor oder nach

der Pause aufs Klo willst

Musste halt warten

Hättste halt vorher dran denken müssen

Also weiß ich nicht

Aber schätz ich mal

Die Kippenzüge werden zittriger

Die Blicke aufs Handy häufiger

Und hektischer

Je mehr Zeit vergeht und

Sich kaum nachholen lässt

Na los

Wir müssen los

Versuchen draußen noch dreißig Sekunden frische Luft zu schnappen

obwohl man drinnen in den Gängen auf den Treppen in der Umkleide

dann noch mehr Gas geben muss

Letzter Kippenzug

Letzter Blick aufs Handy

Wir müssen hoch

In diesem Moment denke ich immer an Kamerad Apollinaire

Und seh ihn mit der Pfeife

In seinem Schützengraben

Kurz vorm Kommando

Denkt er an Lou

Und ich an meine Frau

»Die Augen auf die Uhr geheftet seh ich die Minute des Sturmangriffs

nahen«

15.

Es gibt Nächte in denen es läuft

Es läuft wie unsere neuen Gabelstapler Made in Sweden

Mit denen ich sofort zu parken schaffe obwohl das mit den alten

nicht so einfach war

So gut dass die Kollegen von vorher auf meiner Straße anderthalb

Stunden Vorsprung rausschlagen konnten

So kann ich ab und zu kurz in den Gängen der Fabrik rumschlendern

Kann etwas länger draußen bei den Mülleimern bleiben mich sogar

dreißig Sekunden setzen und verschnaufen

Kann auf mein Handy schauen

Kann Kollegen helfen die nicht so viel Glück hatten wie ich

Die Nacht vergeht friedlich

Die Stunden sind ruhig

Ich denk an einen Vers der nicht von Ronsard ist wie ich dachte

sondern von Desportes

»Die unbeschwerte Zeit verfliegt und ich bemerk es nicht«

Es flutscht

Wie der Fisch aus der Hand

Wie der Papa in die Mama

Ich spüre deutlich mein In-der-Welt-sein

Eine fast spinozaische Einheit mit meiner Umwelt

Mit der All-Einheit der Fabrik

Ich bin die Fabrik sie ist ich sie ist sie und ich bin ich

Heute Nacht

Sind wir am Werk

16.

Mohamad ruft um siebzehn Uhr an

Die Zeitarbeitsfirma hat gerade seinen Dienstplan geändert

Er fängt nicht mehr mit mir um neunzehn Uhr an sondern mit

anderen Kollegen um neun

Das wars mit dem Mitnehmen

Es tut ihm leid aber »vor der Fabrik warten oder hin und her fahren

ist leider nicht drin verstehst du doch oder«

Klar versteh ich das

Ich verstehe dass

Prekäre Arbeit

Eben auch das ist

Dass der Personaler nach Belieben die Zeitarbeitsfirma anruft die

die ganze proletarische Organisation von Fahrgemeinschaften

ruiniert oder Ähnliches

Und zwar so richtig nach- und hinterhältig

Ich mach mal ein Beispiel

Du arbeitest nachts oder schläfst nach der Arbeit

Die Zeitarbeitsfirma ruft an

Das Handy ist aus

Nach dem Aufwachen die Nachricht

»Du fängst zwei Stunden früher an als sonst«

Rufst du die Zeitarbeitsfirma zurück um zu sagen du kannst nicht

hat sie zu

Zu spät

Du hättest schon an deinem Platz stehen sollen

Also macht morgen ein anderer den Job

Zurück zum Panierfisch

Es ist siebzehn Uhr in zwei Stunden fang ich an und auch ich wach

gerade erst auf und hab das Gespräch mit Mohamad gerade erst

beendet

Die Fabrik ist gut fünfzehn Kilometer entfernt

Der Puls rast so schnell wie der Schweiß von den Achseln rinnt

Taxi

Was anderes seh ich nicht

Als sich blitzschnell anziehen und

Zu einem Taxistand in die Stadt flitzen um nicht auch noch den

Abholzuschlag zu zahlen

Name der Fabrik

Ja klar kennt er

Im Radio läuft auf RTL eine Debatte der Konservativen zu den

Präsidentschaftsvorwahlen die Herren Kandidaten wollen den

randalierenden Demonstranten die Sozialhilfe streichen ja was denn

schon wieder Leute die vom System profitieren und nicht arbeiten

wollen und sich auch noch in die Ordnungskräfte und Schaufenster

schmeißen

Natürlich beziehen diese Leute Sozialhilfe

Natürlich

Ich beiß mir auf die Lippen um nicht loszuschreien

Der Fahrer fragt ob ich Chef bin dass ich mit dem Taxi zur Fabrik fahr

Ich antworte ich bin der Sohn von Agnès Saal aber sieht nicht aus als

verstünde er den Witz

Gleich da

Ich schäm mich

Ich komm mit dem Taxi die Kollegen sollen das nicht mitkriegen

Warum weiß ich auch nicht

Schließlich wissen sie dass ich sonst bei Mohamad mitfahr aber

So fühlt es sich an als stellte ich einen Reichtum zur Schau

Obwohl mein Dispo die Fahrt bezahlt

Die versteckte Scham

Der Unterworfenen

Nicht sagen zu wollen

Ähm ja ich komm mit der Taxe weil meine Mitfahrgelegenheit mich

versetzt hat und ich den Job nicht verlieren will

Ich sag dem Fahrer er solle mich fünfhundert Meter vor dem

Parkplatz absetzen

Und hoffe dabei nicht gesehen zu werden

Gleicher Schweiß wie zuvor

Ich bezahle die Fahrt was soviel sein müsste wie der Lohn für eine

halbe Arbeitsnacht

Bezahlen um bezahlt zu werden

Bezahlen um nicht von einer Panierfischfabrik gefeuert zu werden

Um von der Zeitarbeitsfirma nicht gedisst zu werden

Aber keiner kriegt es mit

Keiner hat mich aussteigen sehen

Oder es haben welche gesehen aber lassen sich nichts anmerken

So wie ich mir nichts anmerken lasse

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