Die Erscheinung dieses kühnen Mannes machte auf die Mannschaft einen verschiedenen Eindruck; die einen schlossen sich eng an ihn an, sei’s aus Kühnheit oder Geldliebe; andere ergaben sich drein und behielten sich vor, später zu protestieren. Übrigens schien es im Augenblick doch schwierig, einem solchen Manne Widerstand zu leisten. Also begab sich jeder wieder an seinen Posten. Der 20. Mai war Sonntag, für die Mannschaft ein Ruhetag.
Beim Kapitän fand eine Beratung der Offiziere statt: Hatteras, Shandon, Well, Johnson und der Doktor bildeten die Versammlung.
»Meine Herren«, sagte der Kapitän in dem zugleich sanften und gebieterischen Ton, welcher ihm eigen war, »mein Vorhaben, bis zum Pol zu dringen, ist Ihnen bekannt; ich wünschte Ihre Ansicht über diese Unternehmung zu hören. Was halten Sie davon, Shandon?«
»Es kommt mir nicht zu, Kapitän«, erwiderte Shandon kalt, »darüber zu denken, sondern zu gehorchen.«
Hatteras wunderte sich nicht über die Antwort.
»Richard Shandon«, versetzte er ebenso kalt, »ich bitte, sich über unsere Aussichten auf Erfolg auszusprechen.«
»Nun, Kapitän«, erwiderte Shandon, »die Tatsachen sprechen an meiner Statt; bis jetzt sind alle Versuche der Art gescheitert; ich wünsche, wir möchten besseren Erfolg haben.«
»Wir werden ihn haben. Und Sie, mein Herr, was halten Sie davon?«
»Ich meinesteils«, sagte der Doktor, »halte Ihren Plan für ausführbar, Kapitän; und da es klar am Tage liegt, dass die Seefahrer früher oder später einmal zum Nordpol gelangen werden, so sehe ich nicht ein, warum wir nicht so glücklich sein sollten.«
»Und es sind Gründe vorhanden zu glauben, dass eben uns dieses Glück zuteil wird«, erwiderte Hatteras, »denn wir haben demnach unsere Maßregeln ergriffen und werden die Erfahrungen unserer Vorgänger benutzen. Und in dieser Hinsicht sage ich Ihnen, Shandon, meinen Dank für die Sorgfalt, womit Sie die Ausrüstung betrieben haben; es sind zwar unter der Mannschaft einige schlimme Gesellen, ich werde sie aber zur Vernunft zu bringen wissen; aber im ganzen hab’ ich Sie nur dafür zu beloben.«
Shandon machte eine kühle Verbeugung. Er war in eine falsche Stellung gekommen, da er an Bord des Forward das Kommando zu führen meinte. Hatteras verstand ihn und setzte ihm nicht weiter zu.
»Und Sie, meine Herren«, sprach er darauf zu Wall und Johnson, »ich hätte keine Offiziere zur Mitwirkung finden können, die mehr wie Sie sich durch Mut und Erfahrung auszeichnen.«
»Wahrhaftig! Kapitän, ich bin Ihnen mit Leib und Seele ergeben«, erwiderte Johnson, »und obwohl mir Ihre Unternehmung etwas kühn vorkommt, können Sie doch bis aufs äußerste auf mich bauen.«
»Und auf mich ebenfalls«, sagte James Wall.
»Ihren Wert, Herr Doktor, weiß ich zu schätzen.«
»So, da wissen Sie mehr wie ich«, erwiderte der Doktor lebhaft.
»Jetzt, meine Herren«, fuhr Hatteras fort, »sollen Sie erfahren, auf welche unbestreitbare Tatsachen sich meine Behauptung stützt, dass wir am Pol anlangen werden. Im Jahre 1817 kam der Neptun aus Aberdeen im Norden von Spitzbergen bis zum zweiundachtzigsten Grade. Im Jahre 1827 fuhr der berühmte Parry nach seiner dritten Reise in die Polarmeere, ebenfalls vom Ende Spitzbergens aus mit Schlittenbarken bis hundertundfünfzig Meilen nordwärts. Im Jahre 1852 drang der Kapitän Inglefield im Smith-Sund bis zu 78° 35' Breite. Alle diese Schiffe waren englische und von Engländern kommandiert.«
Nach einer Pause fuhr er fort.
»Hinzufügen muss ich, dass im Jahre 1854 der Amerikaner Kane, Kommandant der Brigg Advance, noch höher hinaufkam, und sein Lieutenant Morton, durch die Eisfelder vordringend, die Flagge der Vereinigten Staaten noch über den zweiundachtzigsten Grad flattern ließ. Auf dies werd’ ich nicht mehr zurückkommen. Das aber ist wohl zu merken, dass die Kapitäne des Neptun, der Entreprise, der Isabelle, des Advance übereinstimmend berichtet haben, dass von diesen hohen Breitengraden an ein ganz eisfreies Becken des Polarmeeres existiere.«
»Eisfrei!« rief Shandon unterbrechend. »Unmöglich!«
»Merken Sie wohl, Shandon«, fuhr Hatteras ruhig fort, »dass ich Ihnen Tatsachen anführe, gestützt auf Namen. Ich füge weiter bei, dass, während der Kommandant Parry im Jahre 1851 am Ufer des Wellington-Kanals sich aufhielt, sein Lieutenant Stewart ebenfalls ein freies Meer antraf, und dass dieser besondere Umstand im Jahre 1853, während des Winteraufenthalts Sir Edward Belchers in der Northumberland-Bai unter 76° 52' Breite und 99° 20' Länge bestätigt wurde. Das sind unbestreitbare Tatsachen, die man gelten lassen muss, will man nicht unredlich sein.«
»Doch, Kapitän«, fuhr Shandon fort, »sind diese Tatsachen so sehr in Widerspruch …«
»Irrtum, Shandon, Irrtum!« rief der Doktor Clawbonny; »diese Tatsachen widersprechen keinem Satz der Wissenschaft. Der Kapitän wird mir gestatten, es Ihnen auseinanderzusetzen.«
»Tun Sie das, Doktor!« erwiderte Hatteras.
»Nun, so hören Sie, Shandon. Es ergibt sich sehr klar aus den geografischen Tatsachen und dem Studium der isothermen Linien, dass der kälteste Punkt der Erde nicht am Pol selbst sich befindet; gleich dem magnetischen Punkt liegt er einige Grad vom Pol ab. So zeigen die Berechnungen Brewsters, Berghams und einiger Physiker, dass auf unserer Hemisphäre zwei Kältepole existieren: Der eine läge in Asien unter 79° 30' nördlicher Breite und 120° Länge; der andere in Amerika unter 78° nördlicher Breite und 97° westlicher Länge. Dieser letztere geht uns an, und Sie sehen, Shandon, dass er mehr wie zwölf Grad unterhalb des Pols liegt. Nun frage ich Sie, warum sollte nicht am Pol das Meer ebenso eisfrei sein, als es im Sommer unter 66° Breite sein kann, d. h. südlich der Baffins-Bai?«
»Das hieß vortrefflich auseinandergesetzt«, erwiderte Johnson; »Herr Clawbonny redet von diesen Dingen als Mann vom Fach.«
»Das scheint möglich«, versetzte James Wall.
»Hirngespinste und Vermutungen! Bloß Hypothesen!« erwiderte Shandon hartnäckig.
»Nein, Shandon«, fuhr Hatteras fort, »nehmen wir die beiden Fälle in Betracht: Entweder das Meer ist eisfrei oder nicht, und mögen wir das eine annehmen oder das andere, so kann uns nichts hindern, zum Pol zu gelangen. Ist es frei, so wird uns der Forward leicht hinbringen; ist er von Eis umgeben, so führen wir es auf unseren Schlitten aus. Sie werden mir zugeben, dass dies nicht unausführbar ist; sind wir einmal mit unserer Brigg bis zum dreiundachtzigsten Grad gedrungen, so haben wir nur noch sechshundert Meilen bis zum Pol zu machen.«
»Und was wollen sechshundert Meilen bedeuten«, sagte der Doktor lebhaft, »wenn es man weiß, dass ein Kosacke, Alexis Markoff, auf dem Eismeer längs der Nordküste Russlands mit Schlitten von Hunden gezogen eine Strecke von achthundert Meilen binnen vierundzwanzig Tagen zurückgelegt hat.«
»Hören Sie das, Shandon«, erwiderte Hatteras, »und sagen Sie mir, ob die Engländer weniger zustande bringen als ein Kosack?«
»Nein, gewiss nicht!« rief hitzig der Doktor aus.
»Nein, gewiss nicht!« stimmte der Rüstmeister ein.
»Nun, Shandon?« fragte der Kapitän.
»Kapitän«, erwiderte Shandon kalt, »ich kann nur wiederholen, was ich vorhin gesagt habe: Ich werde Gehorsam leisten.«
»Gut. Jetzt«, fuhr Hatteras fort, »denken wir an unsere gegenwärtige Lage. Wir stecken im Eise fest, und es scheint mir unmöglich, dass wir noch dieses Jahr bis zum Smith-Sund dringen können. Sehen Sie nun, was am besten zu tun ist.«
Hatteras breitete auf dem Tische eine der trefflichen Karten aus, welche im Jahre 1859 auf Befehl der Admiralität herausgegeben wurden.
»Wollen Sie mir freundlicherweise folgen. Wenn uns der Smith-Sund versperrt ist, so ist es an der Westseite des Baffins-Meeres mit dem Lancaster-Sund nicht ebenso; meiner Ansicht nach müssen wir diesen bis zur Barrow-Straße hinauffahren, und von da bis zur Insel Beechey; Segelschiffe haben diesen Weg hundertmal gemacht; mit einer Schraubenbrigg werden wir keine Schwierigkeiten haben. Sind wir einmal bei der Beechey-Insel, so fahren wir den Wellington-Kanal so weit als möglich hinauf nordwärts bis zum Ausfluss des Fahrwassers, welches die Verbindung des Wellington-Kanals mit dem Kanal der Königin bildet, an eben der Stelle, wo man das freie Meer gewahrte. Nun sind wir jetzt erst am 20. Mai; in einem Monat, wenn es gut geht, werden wir diesen Punkt erreicht haben, und von da aus dringen wir weiter nach dem Pol zu. Was halten Sie davon, meine Herren?«
»Offenbar«, erwiderte Johnson, »ist dies der einzige Weg, den wir zu nehmen haben.«
»Nun, so wollen wir ihn einschlagen, und gleich morgen. Dieser Sonntag sei der Ruhe gewidmet; Sie werden dafür sorgen, Shandon, dass der Gottesdienst regelmäßig stattfindet; die Religion wirkt wohltätig auf den Geist, ein Seemann darf das Vertrauen auf Gott nicht verlieren.«
»Sie haben recht, Kapitän«, erwiderte Shandon und ging mit dem Lieutenant und dem Rüstmeister hinaus.
»Doktor«, sagte John Hatteras, und wies auf Shandon, »das ist ein gedrückter Mann, den der Hochmut verdorben hat; ich kann nicht mehr auf ihn rechnen.«
Am folgenden Morgen ließ der Kapitän in aller Frühe das Boot ins Meer bringen und untersuchte die Eisberge des Beckens, welche nicht über zweihundert Yard dick waren. Er nahm sogar wahr, dass infolge eines allmählichen Druckes der Eisblöcke das Becken enger zu werden drohte; es wurde daher dringend nötig, eine Bresche zu schaffen, damit das Schiff nicht zwischen diesen Bergen wie in einem Schraubstock zertrümmert werde. Aus den von John Hatteras angewendeten Mitteln sah man wohl, dass es ein energischer Mann war.
Er ließ fürs erste Stufen in die Eiswand hauen und erstieg auf denselben den Gipfel eines Eisbergs; von da aus erkannte er, dass nach Südwesten leicht ein Ausgang zu bahnen sein würde. Auf seinen Befehl wurde fast in der Mitte des Berges eine Sprenggrube gemacht, eine Arbeit, die rasch vorgenommen, im Verlauf des Montags fertig wurde.
Hatteras konnte von seinen Sprengzylindern zu acht und zehn Pfund Pulver keinen Gebrauch machen, weil bei solchen Massen ihre Wirkung unbedeutend gewesen wäre; sie waren nur zum Zersprengen der Eisfelder tauglich. Er ließ daher tausend Pfund Pulver in die Grube schaffen und die Richtung der Explosion sorgfältig berechnen. Eine lange, mit Guttapercha umgebene Lunte führte aus dieser Mine nach außen. Der zu der Grube führende Gang wurde mit Schnee und Eisstücken ausgefüllt, welche in der folgenden Nacht so hart wie Granit zusammenfroren. In der Tat sank die Temperatur unter Einwirkung des Ostwinds auf zwölf Grad (-11° hundertteilig).
Am folgenden Morgen um sieben Uhr hielt sich der Forward mit geheizter Maschine bereit, den geringsten Ausweg zu benutzen. Johnson erhielt den Auftrag, die Mine anzuzünden; die Lunte war so berechnet, dass sie eine halbe Stunde zu brennen hatte, bevor das Feuer zum Pulver gelangte. Johnson hatte daher hinreichend Zeit, wieder an Bord zu kommen, und er war auch schon zehn Minuten nach Ausführung seines Auftrags wieder an seinem Posten.
Die Mannschaft befand sich auf dem Verdeck; das Wetter war, nachdem es aufgehört hatte zu schneien, trocken und ziemlich hell; Hatteras stand mit Shandon auf der Kampanie, und der Doktor zählte die Minuten auf seinem Chronometer.
Um acht Uhr fünfunddreißig Minuten hörte man eine dumpfe Explosion, die weit weniger laut war, als man vorausgesetzt hatte. Die äußere Gestalt der Berge änderte sich wie bei einem Erdbeben plötzlich; dicker, weißer Rauch drang in beträchtlicher Höhe in die Lüfte; die Seiten des Eisbergs zerspalteten sich in langen Rissen, und sein oberer Teil wurde weit fortgeschleudert, sodass seine Trümmer um den Forward umher niederfielen.
Aber der Weg war noch nicht frei; ungeheure Eisstücke blieben auf die benachbarten Berge gelagert in der Luft schweben und ließen befürchten, sie möchten herabfallend die Öffnung wieder schließen.
Hatteras erkannte mit einem Blick was not tat.
»Wolsten!« rief er.
Der Waffenschmied erschien.
»Kapitän!«
»Laden Sie das Geschütz auf dem Vorderteil dreifach«, sagte Hatteras, »und stoßen Sie die Ladung möglichst stark.«
»Also wollen wir das Gebirge mit Kanonenkugeln angreifen«, fragte der Doktor.
»Nein«, erwiderte Hatteras, »das ist unnötig. Keine Kugel, Wolsten, sondern dreifache Ladung Pulver. Aber rasch!«
Nach einigen Minuten war die Ladung vollzogen.
»Was will er ohne Kugeln ausrichten?« brummte Shandon.
»Das wird sich zeigen«, erwiderte der Doktor.
»Wir sind fertig, Kapitän«, rief Wolsten.
»Gut«, erwiderte Hatteras. »Brunton!« rief er dem Maschinisten zu. »Achtung! Einige Schritte voran.«
Brunton öffnete die Schieber, und die Schraube setzte sich in Bewegung; der Forward fuhr nahe zu dem gesprengten Berg heran.
»Richten Sie wohl auf den Fahrpass!« rief der Kapitän zum Waffenschmied.
Derselbe gehorchte; als die Brigg nur noch eine halbe Kabellänge entfernt war, rief Hatteras:
»Feuer!«
Es erfolgte ein furchtbarer Knall, und durch die Luftbewegung erschüttert, wurden die Blöcke mit einem Mal ins Meer gestürzt. Die lebhafte Erregung der Luftschichten war schon hinreichend gewesen.
»Jetzt mit vollem Dampf, Brunton!« rief Hatteras. »Gerade in den Fahrpass hinein, Johnson!«
Johnson hielt das Steuer; die Brigg, vom Dampf getrieben, drang mitten durch die nun offene Bahn. Es war hohe Zeit. Kaum war der Forward hindurchgefahren, so schloss sich die Öffnung wieder.
Es war ein ängstlicher Moment, und es befand sich an Bord nur ein einziges ruhiges und festes Herz – der Kapitän. Darum brach auch die Mannschaft, in freudigem Staunen über das Gelingen, in den einstimmigen Ruf aus:
»Hurra für John Hatteras!«
Mittwoch, den 23. Mai, setzte der Forward seine abenteuerliche Fahrt fort, indem er mitten zwischen den Eisblöcken und Eisbergen geschickt lavrierte, dank der fügsamen Dampfkraft, welche so vielen Polarmeerfahrern abging; es schien für ihn ein Spiel inmitten der schwimmenden Klippen; es war, als erkenne er die Hand des erfahrenen Herrn, und gleich einem Ross unter einem geschickten Reiter, war er dem Gedanken seines Kapitäns dienstbar.
Die Temperatur war wieder im Steigen. Das Thermometer zeigte um sechs Uhr früh sechsundzwanzig Grad (-3° hundertteilig), um sechs Uhr abends neunundzwanzig (-2° hundertteilig) und um Mitternacht fünfundzwanzig (-4° hundertteilig); es wehte ein leichter Südwest.
Donnerstags um drei Uhr morgens kam der Forward gegenüber der Bai Possession an der Küste Amerikas beim Anfang des Lancaster-Sunds; bald sah man Kap Burney. Es fuhren einige Eskimos auf das Schiff zu, aber Hatteras nahm sich nicht die Zeit, auf sie zu warten.
Die das Kap Liverpool beherrschenden Spitzen Byam-Martin, welche man links ließ, verloren sich im Abendnebel; dieser hinderte auch das Kap Hay aufzunehmen, dessen übrigens sehr niedrige Spitze sich unter den Eisblöcken der Küste verlor, ein Umstand, welcher die hydrografische1 Bestimmung der Polarmeere oft sehr schwierig macht.
Die Sturmvögel, Enten, weißen Möwen zeigten sich in sehr großer Zahl. Die Breite betrug 74° 01', die Länge 77° 15'.
Die beiden Berge Katharine und Elisabeth ragten mit ihren Schneekappen über dem Gewölk empor.
Freitags um sechs Uhr fuhr man Kap Warender auf der rechten Küste der Meerenge vorüber, auf der linken vor Admiralty-Inlet, einer von den Seefahrern, die westwärts eilten, noch wenig untersuchten Bai. Das Meer wogte stark, sodass oft das Verdeck der Brigg von den Wellen bespült und mit Eisstücken besprengt wurde. Das Land der Nordküste bot den Blicken merkwürdige Ansichten dar mit fast waagerechten Hochflächen, welche die Sonnenstrahlen zurückwarfen.
Hatteras wäre gern längs der Nord-Länder gefahren, um desto eher zur Beechey-Insel und der Einfahrt des Wellington-Kanals zu gelangen; aber eine zusammenhängende Eisdecke nötigte ihn, zu großem Bedauern, sich südlicher zu halten.
Aus diesem Grunde befand sich am 26. Mai, mitten im Nebel mit Schneegestöber, der Forward dem Kap York gegenüber; ein großes und steiles Gebirge machte es kenntlich, da das Wetter ein wenig heller geworden; es zeigte sich gegen Mittag eine Weile die Sonne, sodass man ziemlich gute Beobachtung anstellen konnte: 74° 4' Breite und 84° 3' Länge. Der Forward befand sich demnach am Ende des Lancaster-Sundes.
Hatteras zeigte dem Doktor auf den Karten den Weg, welchen er einschlug und verfolgen wollte. Die Lage der Brigg war in dem Augenblick interessant.
»Es wäre mir lieber«, sagte er, »wir befänden uns weiter nördlich; aber nach dem Unmöglichen muss man nicht streben. Sehen Sie genau unsere Lage.« Es war nicht weit vom Kap York.
»Wir befinden uns mitten in dem nach allen Richtungen hin offenen Kreuzungspunkt, welcher durch die Mündungen des Lancaster-Sunds, der Barrow-Straße, des Wellington-Kanals und der Regenten-Durchfahrt gebildet wird. An diesen Punkt müssen notwendig alle Befahrer dieser Meere kommen.«
»Nun«, erwiderte der Doktor, »da mussten sie aber in Verlegenheit kommen; denn es ist wirklich ein Kreuzpunkt, wie Sie sagen, wo vier Hauptstraßen zusammenlaufen, und es sind da keine Wegweiser! Wie haben es da Parry, Ross und Franklin gemacht?«
»Sie haben gar nichts gemacht, Doktor, sie haben gewähren lassen; sie hatten sicherlich keine Wahl; bald verschloss sich dem einen die Barrow-Straße, welche im folgenden Jahr einem anderen offen war; bald wurde das Schiff unausweichlich in die Regenten-Durchfahrt hingeführt. Aus alledem ergab sich durch die Gewalt der Dinge zuletzt eine genauere Kenntnis der hier so verwickelten Meere.«
»Was für ein sonderbares Land«, sagte der Doktor mit einem Blick auf die Karte. »Wie ist da alles ausgezackt, zerrissen, zerfetzt, ohne alle Ordnung und Gedankeneinheit. Es hat den Anschein, als seien die Länder in der Nähe des Nordpols nur deshalb so zerstückelt, um die Annäherung schwieriger zu machen, während auf der anderen Hemisphäre sie in milden und glatten Spitzen auslaufen, wie das Kap Horn, das der Guten Hoffnung und der Indischen Halbinsel! Liegt der Grund dieser Gestaltungen etwa in der raschen Rotationsbewegung unterm Äquator, während das Land in der Umgebung der Pole, als es in der Urepoche noch flüssig war, sich nicht so verdichten, aneinander anschichten konnte, wegen geringerer Rotationskraft?«
»Das muss wohl der Grund sein, denn alles in der Welt hat seine gesetzmäßige Regel, und es ist nichts ohne hinreichende Gründe entstanden, welche Gott bisweilen den Gelehrten zu erforschen gestattet. Also, Doktor, machen Sie Gebrauch von dieser Gewährung.«
»Ich werde leider darin bescheiden sein, Kapitän. Aber was herrscht für ein entsetzlicher Wind in dieser Straße?« fügte der Doktor bei, indem er sich so viel als möglich einwickelte.
»Ja, der Nordwind tobt da zumeist und treibt uns aus unserer Bahn.«
»Er sollte jedoch zwar die Eisblöcke südwärts treiben, aber sonst nicht die Bahn stören.«
»Er sollte wohl, Doktor, aber der Wind tut nicht immer seine Schuldigkeit. Sehen Sie! Diese Eisdecke scheint undurchdringlich. Kurz, wir wollen versuchen, bis zur Insel Griffith zu kommen, dann um die Insel Cornwallis zu fahren, um den Kanal der Königin zu erreichen, ohne durch den Wellington-Kanal zu fahren. Und inzwischen will ich durchaus an der Insel Beechey landen, um meinen Kohlenvorrat zu ergänzen.«
»Wieso?« erwiderte der Doktor erstaunt.
»Allerdings, auf Befehl der Admiralität sind dort große Vorräte gelagert, um künftige Expeditionen damit zu versehen, und obwohl der Kapitän Mac Clintock im August 1859 davon mitgenommen hat, so versichere ich Sie, dass noch welche für uns vorhanden sind.«
Weiße Füchse mit gezeichneten Halsbändern als Sendboten
»In der Tat«, sagte der Doktor, »sind diese Gegenden während fünfzehn Jahren untersucht worden, und bis zu dem Tag, wo man den unzweideutigen Beweis vom Untergang Franklins erhielt, hat die Admiralität stets fünf bis sechs Schiffe in diesen Meeren unterhalten. Irre ich nicht, so ist selbst die Insel Griffith, welche ich da auf der Karte sehe, fast mitten auf der Kreuzung, zu einem allgemeinen Rendezvous der Seefahrer geworden.«
»So ist es in Wahrheit, Doktor, und die unglückliche Expedition Franklins hatte zum Resultat, dass wir mit diesen fernen Gegenden näher bekannt wurden.«
»Sie haben recht, Kapitän, denn seit 1845 haben zahlreiche Unternehmungen stattgefunden. Seit 1848 ward man über das Verschwinden des Erebus und Terror, der beiden Schiffe Franklins, unruhig. Man sah damals den alten Freund des Admirals, Doktor Richardson, der schon im siebzigsten Jahre stand, nach Kanada eilen und dem Kupferminenfluss entlang bis zum Polarmeer dringen. Sodann ist James Ross, Kommandant der Entreprise und der Investigator, im Jahre 1848 zu Uppernawik unter Segel gegangen und bis zum Kap York, wo wir uns eben befinden, gekommen. Er warf tagtäglich eine Tonne mit Papieren ins Meer, welche den Zweck hatten, seinen Aufenthalt bekanntzugeben; während des Nebels löste er Kanonen; bei der Nacht ließ er Raketen werfen und bengalische Feuer anzünden und fuhr dabei immer mit wenig Segeln; zuletzt überwinterte er 1848 auf 1849 im Hafen Leopold; hier ließ er eine große Zahl weißer Füchse einfangen und ihnen kupferne Halsbänder anschmieden, worauf die Angabe vom Aufenthaltsort der Schiffe und der Niederlage von Lebensmitteln eingegraben war, – und ließ diese Füchse nach allen Richtungen laufen. Nachher im Frühling fing er an, die Küste von North-Sommerset auf Schlitten zu untersuchen, inmitten von Gefahren und Entbehrungen, wodurch fast seine gesamte Mannschaft krank oder verstümmelt wurde, errichtete kleine Steinpyramiden, worin er kupferne Röhren barg mit den erforderlichen Notizen, um die Leute der verlorenen Expedition wieder zu sammeln; während seiner Abwesenheit durchforschte sein Lieutenant Mac Clure erfolglos die Nordküsten der Barrow-Straße. Bemerkenswert ist, Kapitän, dass James Ross unter seinem Befehl zwei Offiziere hatte, welchen später berühmt zu werden beschieden war, Mac Clure, welcher die nordwestliche Durchfahrt entdeckte, und Mac Clintock, welcher die Reste Franklins auffand.«
»Jetzt zwei tüchtige, wackere Kapitäne, zwei brave Engländer. Verfolgen Sie weiter, Doktor, die Entdeckungsgeschichte dieser Meere, worin Sie so bewandert sind; man kann bei der Erzählung dieser kühnen Unternehmungen stets etwas lernen.«
»Also, um mit James Ross fertig zu werden, habe ich noch hinzuzufügen, dass er noch weiter westlich die Insel Melville zu erreichen trachtete; aber er war nahe daran, seine Schiffe zu verlieren, blieb zwischen den Eisblöcken stecken und wurde wider Willen ins Baffins-Meer getrieben.«
»Zurückgetrieben«, sagte Hatteras mit Stirnrunzeln, »wider Willen zurückgetrieben!«
»Er hatte nichts aufgefunden«, fuhr der Doktor fort. »Seit diesem Jahr 1850 wurden jene Meere unablässig von englischen Schiffen befahren, und es wurde eine Prämie von zwanzigtausend Pfund einem jeden zugesagt, welcher die Mannschaften des Erebus und Terror auffände. Bereits im Jahre 1848 versuchten die Kapitäne Kellet und Moore, Kommandanten des Herald und Plover, durch die Behrings-Straße zu dringen. Ich habe weiter beizufügen, dass der Kapitän Austin während 1850 bis 1851 auf der Insel Cornwallis überwinterte, der Kapitän Penny auf der Assistance und Resolute den Wellington-Kanal erforschte, der alte John Ross, der Held des magnetischen Pols, auf seiner Yacht Felix nochmals zur Auffindung seines Freundes ausfuhr, die Brigg Prinz Albert eine erste Fahrt auf Kosten der Lady Franklin machte, und endlich zwei von Grinnel ausgerüstete amerikanische Schiffe unter dem Kapitän Haven, aus dem Wellington-Kanal heraus in den Lancaster-Sund zurückgeworfen wurden. Während dieses Jahres drang Mac Clintock, damals Austins Lieutenant, bis zur Insel Melville und dem Kap Dundas, jener äußersten von Parry im Jahre 1819 erreichten Punkte vor, und fand auf der Insel Beechey Spuren der Überwinterung Franklins im Jahre 1845.«
»Ja«, erwiderte Hatteras, »drei seiner Matrosen waren dort beerdigt worden, und diese drei Mann waren glücklicher dran als die anderen!«
»Von 1851-1852«, fuhr der Doktor, der Bemerkung des Kapitän Hatteras zustimmend, fort, »sehen wir den ›Prinz Albert‹ eine zweite Fahrt mit dem französischen Lieutenant Bellot vornehmen; er überwinterte in der Batty-Bai in der Prinz-Regenten-Straße, erforschte den Südwesten von Sommerset und untersuchte ihre Küste bis zum Kap Walker. Währenddessen wurde die Entreprise und der Investigator, als sie nach England zurückkamen, unter den Befehl Collinsons und Mac Clures gestellt und vereinigten sich mit Kellet und Moore in der Behrings-Straße. Collinson kehrte zur Überwinterung nach Hongkong zurück, indes Mac Clure vorwärtsdrang und nach dreimaligem Winteraufenthalt, 1850-1851, 1851-1852 und 1852 bis 1853 die nordwestliche Durchfahrt entdeckte, ohne über Franklins Schicksal etwas erfahren zu können. Von 1852-1853 wurde eine neue Expedition aus drei Segelschiffen, Assistance, Resolute und North-Star nebst zwei Dampfboten, Pionnier und Intrepide bestehend, unter dem Oberkommandanten Sir Edward Belcher und dem Kapitän Kellet als Unterbefehlshaber ausgesendet; Sir Edward besuchte den Wellington-Kanal, überwinterte in der Bai Northumberland und befuhr die Küste, während Kellet, bis Bridport auf der Insel Melville weiterdringend, diesen Teil der Nordländer ohne Erfolg durchforschte. Damals aber verbreitete sich in England das Gerücht, es seien zwei, mitten zwischen den Eisblöcken verlassene Schiffe unweit der Küsten Neu-Schottlands gesehen worden. Sogleich rüstete Lady Franklin den kleinen Schraubendampfer Isabelle aus, und der Kapitän Inglefield fuhr die Baffins-Bai hinauf bis zur Spitze Victoria unterm achtzigsten Breitengrad und kam ohne weiteren Erfolg zur Insel Beechey zurück. Zu Anfang 1855 wendete der Amerikaner Grinnel die Kosten für eine neue Expedition auf, und der Doktor Kane suchte bis zum Pol vorzudringen …«
»Aber er hat es nicht dahin gebracht«, rief Hatteras heftig, »und Gott Lob! Was er nicht fertig brachte, werden wir zustande bringen!«
»Ich weiß es, Kapitän, und ich rede nur deshalb von dieser Expedition, weil sie notwendig an die Bestrebungen, Franklin aufzusuchen, sich anschließt. Übrigens führte sie auch zu keinem Resultat. Ich hätte beinahe vergessen anzuführen, dass die Admiralität, indem sie die Insel Beechey als die allgemeine Versammlungsstätte der Expeditionen ansah, im Jahre 1853 den Dampfer Phönix, Kapitän Inglefield, beauftragte, Vorräte dahin zu schaffen; dieser Seemann begab sich nebst dem Lieutenant Bellot dahin und verlor diesen wackeren Offizier, welcher zum zweiten Mal England seine eifrigen Dienste widmete; wir können über diese Katastrophe umso genauer die Umstände erfahren, als unser Rüstmeister Johnson Zeuge dieses Unglücks war.«
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