Kitabı oku: «Die Dreizehnte Fee», sayfa 2
Rückkehr der Königin
Wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
So enden die Märchen, nur dass es kein Ende ist, sondern ein ewiges Fortbestehen. Ein Segen, zugleich ein Fluch. Auf niemanden passt dieses Ende besser als auf uns Feenkinder. Wir sind die Auserwählten, die Mächtigen. Unsere Leben scheinen endlos, unsere Geschichten fantastisch. Sie füllen die Bücher, die Träume der Kinder – und deren Alpträume. Wir waren niemals dazu bestimmt, gut zu sein, zumindest die meisten von uns. Hexen – so nennen sie uns heute. Der Schrecken braucht einen Namen, um ihm die Angst zu nehmen. Und um ihn zu jagen.
Ich laufe über den weichen Waldboden, genieße das Gefühl der nackten Füße auf Gras, Nadeln und Moos. Es zeigt mir, wie lebendig ich bin. Ich folge dem Hexenjäger auf seinem Pferd, die Hände vor dem Bauch gefesselt. Er hält meinen Zopf umschlungen. Ich bin seine Gefangene. Ob ich die Erste bin? Oder lief einst eine meiner Schwestern ebenso wie ich hinter ihm her?
Die mächtigen Dreizehn – das waren wir vor so langer Zeit.
Die Hufe des Pferdes federn lautlos auf dem dichten Moos, lautlos für menschliche Ohren. Mir bietet sich ein Feuerwerk der Sinne: Das emsige Surren der unzähligen Elfenflügel, die Blüte für Blüte der seltenen Mondblumen anfliegen, den wertvollen, silbernen Nektar schlürfen. Ich höre die Wichtel in ihren von Glühwürmchen erhellten Höhlen schimpfen, tief unter uns im Schoß der Erde. Und ich höre das hektische Flüstern der Bäume, die die beängstigende Kunde meiner Rückkehr verbreiten, hinaustragen in die grünen Hügel, die dichten Wälder, die Flüsse und Seen. Das ist Pandora – meine Heimat.
Eine Elfe landet auf meiner Schulter. Ihr goldenes Gesicht strahlt. Sie flüstert meinen Namen.
»Ja«, sage ich leise und fühle eine seltsame Freude darüber, dass sie mich nicht vergessen hat. »Ja, ich bin wieder da.«
Ihr Lachen klingt in meinen Ohren. Sie ruft die anderen Elfen, sie flattern herbei, umkreisen mich. Ihre Flügel leuchten, glitzernde Funken tanzen hinter ihnen her. Selbst bei Tag spiegelt sich das Mondlicht in ihren Augen.
Willkommen, seufzen sie im Chor.
Eine hüpft kichernd auf meinen Kopf, zwei balancieren auf dem dicken, langen Zopf zum reitenden Hexenjäger. Er kneift die Augen zusammen.
»Verschwindet«, knurrt er.
Kichernd sausen sie davon, die meisten folgen. Sie winken mir fröhlich zum Abschied. Nur die Elfe auf meiner Schulter bleibt eine Weile sitzen und summt ein vertrautes Lied. Manche Dinge bleiben, während andere vergehen. Noch nie fürchteten sie mich. Noch nie. Sie reibt ihre kleine Nase an meiner Wange, dann verschwindet auch sie zwischen den uralten Stämmen der Bäume und bleibt hinter uns zurück.
Mit jeder Meile, die zwischen mir und dem Turm wächst, verblasst die Spur der Magie, die ihn so sorgsam verborgen hielt. Und endlich erhebt sich vor uns die letzte Barriere: eine gewaltige, düstere Brombeerhecke. Überreife Früchte, prall und schwarz, hängen schwer an den Zweigen. Eine Schneise ist in das dornige Dickicht geschlagen, das wie ein Ring um den Turm gewachsen ist. Der Hexenjäger lenkt das Pferd hindurch. Vorsichtig folge ich, bemüht mich nicht in den Dornen zu verfangen. Kalkweiße Totenschädel hängen in dem samtig schimmernden Laub. Die Hecke, so schön wie tödlich. Dann sind wir hindurch, raus aus dem süßlichen Brombeer-Aroma, hinein in den Wald der Menschen. Der letzte magische Ring ist bezwungen. Ich bin frei!
Ich atme den Duft des feuchten Laubes ein, das Aroma des ewig währenden Kreislaufes von Geburt, Leben und Tod. Aber da ist mehr, etwas Unterschwelliges, das vor meiner Gefangenschaft im Turm nicht da war. Ein intensiver Geruch, penetrant und alles durchdringend.
»Was ist das?«, frage ich leise.
Mein Begleiter schweigt. Nur das Zucken seiner Finger um meinen Zopf verrät, dass er mich gehört hat. Wir reisen alleine. Mein schwächlicher Prinz, mein Auserwählter, er hat nicht auf uns gewartet. Auf ihn viel mehr. Mich erwartet er erstochen und geschändet im Turm, stumm und tot, wie ein lästiges Insekt. Und das ist die Liebe?
Der Geisterwald ist anders, als ich ihn in Erinnerung habe. Dunkler und stiller. Die uralten Stämme entfalten ein dichtes Blätterdach, kein Sonnenstrahl findet seinen Weg hindurch. Sie tanzen auf den Kronen, sie schimmern matt. Eine grüne Kathedrale. Ein Ort der Toten. Doch die Geister von einst sind verstummt.
»Wo sind die Geister?«, frage ich.
»Es gibt keine Geister mehr.«
»Wo sind sie hin?«
Er antwortet nicht. Er ist mir nichts schuldig. Ich erwarte nichts.
Die erste Erfahrung, die mich das Leben lehrte, war die des Verlusts. Alles, was mir lieb und teuer war, wurde zerstört. Das ist das Schicksal. Es unterscheidet nicht zwischen Gut und Böse, zwischen Unschuld und Schuld. Es nimmt, es zerstört. Und wer dem Schicksal heute entflieht, ist morgen dran: Die Zeit meiner Schwestern ist gekommen!
»Wie viele …« Ich zögere, bevor ich das Wort ausspreche – es fühlt sich fremd an. »Wie viele Hexen gibt es noch?«
»Zu viele«, kommt die kalte Antwort.
»Du bist ein Jäger. Was bedeutet das?«
»Ich töte Hexen.«
»Auch die Dreizehn?«
»Gerade die.«
Ich nicke und blicke nach vorne. »Gut.« Das ist alles, was ich sage und meine es auch so.
Je mehr sie gejagt werden, desto eher werden sie fallen.
Die Nacht bricht herein. Die Elfen verkriechen sich in ihre schimmernden Paläste hoch oben in den Baumkronen. Die Wichtel hören auf zu streiten. Das schummerige Grün der letzten Sonnenstrahlen verliert seine Leuchtkraft. Kalte Dunkelheit kriecht wie gieriger, alles verschlingender Nebel herauf. War meine Sehkraft auch vor langer Zeit so stark, dass ich in den schwärzesten Nächten sehen konnte, so ist sie es jetzt nicht mehr. Dunkelheit, das ist neu für mich.
»Warum lachst du?«, fragt der Hexenjäger.
»Ich bin menschlich.« Tatsächlich lächele ich. »Ich sehe nichts.«
»Konntest du es früher?«, fragt er nur.
»Natürlich.«
»Und die anderen? Können sie es auch?«
Meine Freude verblasst. Die anderen. »Damals konnten sie es. Wir alle konnten es.«
»Du bist eine von ihnen«, stellt er nüchtern fest.
»Ja«, hauche ich und friere plötzlich. »Mir ist so kalt.« Eine Gänsehaut zieht ihre Spuren über meinen Körper. »Ich kenne die Kälte nicht.«
»Aber du kennst Schmerz.«
»Ja«, ist alles was ich sage und schweigend setzen wir unseren Weg durch den nächtlichen Wald fort. Eine einsame Eule kreuzt unseren Weg, auf der Suche nach letzten, verirrten Elfen. In der Ferne heult ein Wolf. Ich weiß nicht, wie der Hexenjäger den Weg findet. Ich selbst sehe nichts. Blind folge ich ihm, dicht gedrängt an die Wärme seines Pferdes.
Ich friere. Ich atme. Ich bin nicht tot.
Nordwind
Mitten in der Nacht frischt der Wind auf und trägt eisigen Frost mit sich. Eine Eisschicht überzieht meine Haut. Meine Finger werden taub. Meine Beine schmerzen.
Alles ist kalt.
So verteufelt kalt.
»Das ist der Fluch deiner Schwester«, höre ich ihn sagen. »Sie lässt die Kälte über ihre Grenzen dringen. Aber noch niemals wagte sie sich so weit vor.«
»Meine Schwester?«, hauche ich zitternd. Mein Atem steigt als dampfende Schwaden auf.
»Die Eishexe«, sagt er leise. »Schneekönigin, Gebieterin der Nordwinde. Sie hat viele Namen.«
Ich versuche zu antworten, doch nur ein Stöhnen dringt aus meinem Rachen. Vor uns beginnt ein winziger Funken zu tanzen, nicht mehr als das Blinken eines Sternes. Sein matter Schein lotst uns durch die vereiste Nacht. Ich stolpere ihm entgegen, die Füße zwei eisige Klumpen.
Es ist ein Feuer, prasselnd und lockend, mitten im Wald. Doch es verspricht keine Wärme. Der Wind trägt das dünne Wiehern eines sterbenden Pferdes mit sich.
»Es ist niemand dort«, flüstere ich so leise, dass er mich unmöglich gehört haben kann.
Doch er antwortet: »Niemand Lebendes.«
Der Hexenjäger lenkt das Pferd auf die von Eiskristallen übersäte Lichtung, in deren Mitte das Feuer dem starren Wind trotzt. Vier herrenlose Pferde drängen sich im Tode dicht beisammen. Daneben, zusammengerollt wie Babykatzen, liegen die erstarrten Körper der Reiter. Gläserne Gesichter im Schrei erstarrt, die Hände zu glitzernden Klauen verformt.
Der Prinz mit seinen Soldaten.
Die Königin in mir fühlt kein Bedauern, nur kalte Genugtuung. Aber etwas anderes, etwas Menschliches keimt: Trauer über die verlorene Chance. Und verwundert streiche ich mit den Fingerspitzen über meine Wange, fange eine glitzernde Perle. Eine Träne.
»Es ist die Kälte«, sagt der Hexenjäger. »Sie ist abgerichtet zu töten. Sie dient nur diesem einen Zweck.« Das Pferd scheut, unsere Schatten tanzen auf den Stämmen der Bäume. »Was will sie hier?«
Ich versuche zu schlucken, zerreibe die Träne mit meinen Fingern. Ich schwanke. Das Eis knirscht unter meinen nackten Füßen. »Sie sucht mich.«
Stille, dann: »Warum?«
»Weil sie mich im Spiegel sah.« Das Sprechen bereitet mir Mühe. Der beißende Wind ist unerträglich. Die Kälte frisst meine Haut.
»Hier bin ich Schwester«, wispere ich in den Nordwind und plötzlich bricht er mit all seiner Kraft gegen uns los. »Traust du dich zu kommen, um mich zu töten?«
»Warum sollte sie dich töten wollen?«, ruft der Hexenjäger gegen den aufheulenden Sturm. Das Pferd scheut, Eiskristalle prasseln nieder, schlagen auf uns ein.
»Weil ich die Einzige bin«, brülle ich mit all meiner verbliebenen Kraft zurück. »Weil ich die Einzige bin, die sie alle vernichten kann.«
Mit einer einzigen Bewegung hebt er mich auf seinen Schoß und schließt den gnädig warmen Mantel um meine zitternden Schultern. Er reißt das Pferd herum. Im gestreckten Galopp fliegen wir durch den winterlichen Wald. Ich schlinge die Beine um ihn, presse das Gesicht an seine schützende Brust. Sein Mantel hüllt mich ein, seine Wärme umgibt meine schmerzenden Glieder. Wir fliehen durch die finstere Nacht, verfolgt von dem Heulen des Nordsturms. Das treue Tier trägt uns, das Fell durchtränkt von Schweiß und Schnee. Ich spüre seine kraftvollen Bewegungen und weiß doch, dass sein Ende naht. Niemand entkommt dem Eiszauber dieser tödlichen Kälte. Nicht einmal eine Fee.
»Sie greift nach mir«, flüstere ich erstickt. »Sie fasst mich an.«
»Komm schon«, höre ich den Hexenjäger knurren, er treibt das erschöpfte Tier zum letzten Spurt. Ich kralle mich an seine Brust. Doch die Wärme vermag nicht mehr die tödlichen Klauen abzuhalten. Sie klammern sich an meine Waden, an meinen Nacken. Ihr eisiges Feuer verbrennt mein Fleisch. Ich schreie. Und mein Schrei hallt in dem Tosen des Nordwindes. Der Hexenjäger reißt an den Zügeln, das sterbende Pferd bäumt sich auf. Er springt herab, trägt mich auf den Armen, während hinter uns das Tier von der Kälte gefressen wird. Die Kälte frisst auch mich. Ich spüre ihre Zähne, ihren Hunger.
»Halt durch«, ruft er und eilt durch den Schnee. »Halt durch.«
Eine Tür, Licht, Wärme. Wir fliegen hinein. »Schließt die Tür!«, brüllt der Hexenjäger.
Ich höre meine Schwester kreischen. Ich höre ihre Ohnmacht, dann fällt die schwere Tür mit einem Krachen ins Schloss und sperrt den Nordwind aus.
Das Heim der Sieben
Höllisch kalt draußen.«
»Verdammt Jäger, was treibt dich bei diesem Wetter herum?«
»Bist du hier, um Diamanten zu kaufen?«
»War das dein Pferd?«
»Jemand Suppe?«
Er antwortet nicht. Seine Aufmerksamkeit gilt mir allein. Sein Blick ist tief und unendlich grün. Er legt seine Hand an mein Kinn, hebt es an. Forschend betrachtet er mich. Sieht er die Pein in meinen Augen? Meine Zähne klappern, die Glieder zucken. Die Kälte steckt in meinen Knochen, sie frisst mich. Sie frisst mich!
»Dies ist das Haus meiner Freunde, wir sind ihr Gast, bis der Nordwind nachlässt.«
Ich nicke stumm. Ein Schrei tobt in meinem Innern. Doch meine Lippen bleiben verschlossen, lassen ihn nicht hinaus. Niemals Schwäche zeigen, niemals Schmerz.
Der Hexenjäger zögert, setzt den Dolch an die Fesseln und schneidet sie durch. Sofort schlinge ich die Arme um den Körper. Eiskalte Haut auf eiskalter Haut. Das Gift der Kälte brennt.
»Ihr Zauber wirkt gut«, flüstere ich.
»Rück näher an den Kamin!«, fordert er mich auf und schiebt mich ungewöhnlich sanft zum flackernden Schein des blauen Feuers. Es tanzt, ohne sich von dem tödlichen Sturm beeindrucken zu lassen, der an den Fensterläden rüttelt. Der Hexenjäger legt mir seinen Mantel um die Schultern.
»Nordwind«, flucht ein stämmiger Mann mit unzähligen goldenen Ohrringen und seltsamen Zeichnungen auf dem kahlen Kopf. Er ist klein, kleiner als der Hexenjäger und die Toten im Wald. »Die Eishexe ist eine wahre Meisterin. Doch warum schickt sie ihren Wind in das Siebengebirge? Außer uns lebt hier niemand!«
»Was ist passiert?«, fragt ein zweiter Mann. Der geflochtene Bart ist mit Goldbändern durchwoben. In der Nase trägt er einen goldenen Reifen. »Kord hat Recht. Die Eishexe handelt nicht ohne Grund. Sie hat ein Ziel. Und wir sind es nicht.« Er blickt vom Hexenjäger zu mir. Nur schwer gelingt es mir, den Kopf zu heben und einen Blick auf ihn zu erhaschen, ehe eine Schmerzwelle mich zurückreißt, zurück in den stummen Schrei. »Warum jagt dich die Eishexe? Wurde aus dem Jäger der Gejagte?«
»Nein«, brummt der Hexenjäger.
»Die Eishexe jagen zu wollen, wäre mehr als dumm«, tadelt Kord, der erste Mann.
»Gar unmöglich, sie zu jagen«, pflichtet der zweite bei.
»Niemand wagte es je und auch du solltest die Finger davon lassen«, ruft ein dritter.
»Eines Tages bringt dich diese Hexenjagerei noch ins Grab«, sagt ein vierter.
Sieben Herzen neben dem des Hexenjägers. Sieben, die magische Zahl. Sie gewährt Schutz vor Flüchen, mögen sie noch so mächtig sein wie die der Eishexe.
»Wer ist sie?«, fragt Kord und zeigt auf mich.
Der Jäger schweigt. Er legt die Waffen ab und setzt sich auf einen von sieben goldenen Stühlen. Sieben dauerhafte Bewohner, Gäste sind erlaubt. Aber wehe sie bleiben zu lang – alleine der Gedanke an eine beständige Anwesenheit reicht aus, um den Schutz brechen zu lassen. So will es das Gesetz der Magie. Ich selbst verfasste es. Ich war sein Schöpfer.
In einem meiner guten Momente.
Der Hexenjäger, er weiß nicht, wer ich bin. Er weiß nicht, wer ich war. Dennoch rettet er mich.
Sieben Augenpaare begutachten mich. Ich finde Schutz bei denen, die ich einst vor mir zu schützen versuchte. So viele Häuser, so viele Familien, verzweifelt bemüht, das Gesetz der Sieben zu erfüllen.
So viele Opfer.
Seit wann empfinde ich Reue?
Ich ziehe den Mantel enger um meinen steifen Körper, gehüllt in den Geruch des Hexenjägers verliere ich die Gedanken an die Vergangenheit. Mag es mir scheinen, als wäre es erst gestern gewesen. Es liegt weit, weit zurück. Pandora, wie ich es kenne, existiert nicht mehr.
Das Feuer im Ofen singt sein knisterndes Lied. Ich strecke meine steife Hand aus, versuche die Wärme zu greifen. Doch ich fühle nichts als Schmerz. Er breitet sich aus. Er wächst unaufhaltsam.
»Suppe?«, fragt ein Mann. Er lächelt mich freundlich mit einem Mund vergoldeter Zähne an. »Ich heiße Peter, ich bin der Koch. Meine Wurzelsuppe ist die Beste, die du innerhalb des Waldes finden kannst. Ich würze sie mit einem Hauch Goldspäne. Das darfst du niemandem verraten!« Er kichert, die Zähne funkeln.
»Nein«, wispere ich und kann mich kaum noch rühren.
»Wird dir schon wärmer?«, fragt Peter zögernd.
Ich schüttele matt den Kopf. Schwarze Sterne tanzen vor meinen Augen. Die Umrisse des Kochs verschwimmen zu einer breiigen Masse. Seltsam. Fühlt sich so der Tod an? Der echte Tod?
»Zeig mal her«, höre ich ihn sagen und spüre, wie er nach meiner Hand greift. Er schreit auf: »Sie ist eiskalt!«
Ich blinzele, kämpfe gegen die wachsende Dunkelheit. Mein Arm. Ich hebe meinen Arm. Eisblaue Linien fressen sich durch die Haut, hinterlassen eine eiskalte Spur und verwandeln das Fleisch in kühles, glattes Eis. Es erinnert mich an eingeschneite Winter, an glitzernde Zapfen, die vom Dach baumeln. An das Lachen meiner Mutter, während sie meine blauen Füße reibt.
»Es schmerzt«, wispere ich und weiß nicht, ob die Erinnerung oder das Eis mich quält.
»Es schmerzt?«, ruft Peter und starrt mich an. »Es schmerzt?!«
Mama?
»Zeig her!«, verlangt Kord und schiebt den Koch beiseite. Er erstarrt beim Anblick der gläsernen Haut. »Beim Lied der Felsen. Wenn wir das Eis nicht aus ihrem Körper bekommen, ist sie verloren!«
»Es ist ein Wunder, dass sie den Weg bis hier überlebte«, knurrt der Zweite.
»Sie ist mir nicht geheuer«, höre ich Peter rufen.
»Sie zuckt nicht einmal mit den Wimpern«, sagt einer.
»Dabei sollte sie schreien, sie sollte sich krümmen«, stimmt der Nächste zu.
Ich begegne dem Blick des Hexenjägers. Sie wissen nicht, wer ich bin! Was, wenn …? Doch ich kann nicht zu Ende denken, der Schmerz zermürbt alle meine Sinne.
Von irgendwoher werden Eimer geschleppt. Wasser klirrt in ihnen, begrüßt mich freudig, doch ich kann nicht antworten. Das Feuer wird geschürt, aber ich spüre keine Hitze. Alles ist kalt.
Der Fluch der Eishexe, er wirkt selbst im Haus der Sieben. Sie ist stark, so stark.
»Wieso trifft dich der Fluch nicht?«, wispere ich schwach. Unendlich menschlich und schwach.
»Hexenzauber wirken bei mir nicht«, meine ich den Hexenjäger antworten zu hören.
»Das Bad ist vorbereitet, eile dich, bevor es zu spät ist!«
Ich kann mich nicht rühren. Nicht einen Finger.
Kord zieht den Mantel fort, meinen letzten Schutz. Ich höre sie schreien, aufstöhnen.
Ich blinzele herab und begreife. Vom Bauchnabel abwärts bestehe ich aus Eis. Und es wächst weiter. Mit tausend Nadelspitzen kriecht es über meine Haut, erklimmt meine linke Brust, zerreißt das Fleisch. Seltsam matt beobachte ich, wie sich Stück für Stück meines Körpers verwandelt.
Der Hexenjäger reißt mich hoch, er trägt mich auf seinen warmen Armen, er trägt mich in einen anderen Raum. Dampf, Wasser, eine goldene Wanne. Hastig taucht er mich in das brühend heiße Bad.
Ich keuche.
Feuer und Eis – Hitze und Kälte.
Doch der Kampf ist entschieden, bevor er begann. Das Wasser gefriert. Der Fluch ist zu mächtig.
»Es ist zu spät«, sagt der Koch belegt.
»Verdammt«, flucht der Hexenjäger. Er zertrümmert die Eisschicht, doch so schnell sie zerbricht, so schnell wächst sie nach.
»Sie ist verloren«, murmelt Kord. Ich sehe, wie er den Kopf senkt. Und die Tür schließt sich hinter ihm. Sie lassen uns alleine. Abschied. Nehmt Abschied!, scheinen sie zu sagen. Ich blicke in die seltsam vertrauten Augen des Hexenjägers. Grün wie die Tannenwälder meiner Heimat.
»Es tut mir leid.« Ich versuche, ihn anzulächeln.
»Ich bin dein Feind, vergiss das nicht!«, sagt er und umfasst mein Kinn. Der Druck seiner warmen Finger ist nicht so grob, wie er es sein sollte.
»Vielleicht sind wir bestimmt, Feinde zu sein«, gebe ich matt zu. »Gegen das Schicksal kann niemand etwas tun, nicht einmal wir Feen.«
»Es gibt kein Schicksal.« Er legt die zweite Hand an meinen Nacken. Sie ist wärmer als die vermeintliche Hitze des Bades. Ich schmiege mich an sie, schüttele den Kopf.
»Schicksal umgibt uns alle. Schicksal hielt mich in dem Turm gefangen. Schicksal ist der Kuss des Prinzen.« Ich zögere; die Tatsachen auszusprechen, tut weh. »Vielleicht war ich bestimmt, mit ihm gemeinsam zu sterben. Das Schicksal duldet keine Flucht. Es jagt, bis es bekommt, was es will. Es ist ein Jäger, genau wie du.«
»Dann werden wir sehen, wer der bessere Jäger ist«, prophezeit er düster.
»Du willst meine Schwestern töten, aber niemand schafft das alleine«, flüstere ich. »Sie sind zu mächtig. Gemeinsam …« Ich huste und spucke Eiskristalle. »Gemeinsam hätten wir es schaffen können.«
Das Eis in der Wanne wächst, das Wasser gefriert so schnell.
»Hol mich heraus!«, bitte ich sanft. »Ich will nicht in einer Badewanne mein Ende finden.«
Sei es Gnade oder eine seltsame Art von Respekt, die ein Jäger seinem Opfer gegenüber empfinden kann: Er gewährt mir meinen letzten Wunsch.
Er zerschlägt die Eisschicht, greift in das gefrierende Wasser und hebt mich heraus. In der Wanne bleibt nichts als klirrendes Eis.
Ich spüre nichts. Keine Kälte, keinen Schmerz. Nur ihn. Ich lehne den Kopf an die heiße Schulter des Hexenjägers, während er mich zu einem Eisbärenfell trägt. Er kniet mit mir nieder, setzt mich ab.
In dem Moment, in dem er mich loslässt, kommt die Kälte mit aller Kraft zurück. Ich spüre sie siegeshungrig durch die Adern fließen. Ich höre die Eishexe lachen.
»Bitte«, schluchze ich, »bitte bleib bei mir!«
Er zögert, als trüge er einen inneren Kampf aus. Dann ist er bei mir. Ich stöhne, presse mich an ihn, an seinen schützenden Körper und erkenne, dass es kein schöneres Ende geben kann als in den wärmenden Armen dieses Mannes.
»Was, wenn es nicht der Kuss war?«, flüstert er und ich verstehe erst nicht.
»Es ist ein Zauber«, antworte ich, das Gesicht an seinen Hals gepresst. »Nur durch den Kuss der wahren Liebe kann der Schlaf gebrochen werden.«
»Wer sagt, dass es so sein muss?«
»Ich.« So lautet meine schlichte Antwort. Wie sehr ich seine Umarmung brauche! Sie gibt mir Ruhe und Kraft. Sie schützt mich vor dem Schmerz. »Ich wünschte, du wärst es gewesen«, flüstere ich, und einem inneren Drang folgend, berühre ich mit den Lippen seinen Hals, teste den Geschmack seiner Haut. »Ich wünschte, du hättest mich geküsst.«
Zum ersten Mal höre ich sein Herz stolpern. Der Griff seiner Arme wird fester.
Was ist das für ein Kribbeln in meinem Bauch? Wie das zarte Tanzen tausender Flügel. Ist das die Liebe?, frage ich mich. Die Liebe, die für uns Feen unmöglich scheint, weil es uns nicht gestattet ist zu lieben? Weil die Magie uns unfähig macht.
»Bin ich noch eine Fee?«, murmele ich und löse die Hand von seinem Nacken. Langsam ziehe ich das Handgelenk zurück und starre auf das schwarze Mal, das Zeichen.
»Deine Haut«, ruft der Hexenjäger rau. »Der Fluch, er weicht!«
Das dunkle Mal auf rosiger Haut. Die Hand, die Finger, frei von Eis!
»Du bist es«, erkenne ich und sehe ihn erstaunt an. »Ich fühle nur deine Wärme.«
Er rückt ab, um meinen Körper zu betrachten. Ich sehe jedes Hauptpartikel tauen, das mit seiner Haut in Kontakt kommt. Rasch beginnt er, meine Beine zu reiben, die eiskalten Waden. Die blauen Adern verblassen, das Eis weicht vor seiner Nähe. Es flieht.
»Was bist du?«, frage ich verblüfft. Er hebt den Blick nur kurz, reibt meine Füße, bis sie rosig schimmern. »Du kannst kein Mensch sein.«
»Doch, das bin ich«, sagt er. »Nichts sonst.«
»Du lügst. Schon wieder.« Mit der Kälte vergeht der Schmerz. Und ohne den Schmerz beginne ich, klar zu denken. »Ich weiß, dass du kein gewöhnlicher Mensch sein kannst. Und ich weiß, dass du mich begehrst.«
Seine Hände streichen über die Knie, hinauf zu den Oberschenkeln. Er hebt mein Bein an und reibt es. Plötzlich ist es nicht der Fluch, der mich quält, sondern der Wunsch, er möge mich aus einem anderen Grund berühren.
»Du begehrst mich und ich begehre dich«, flüstere ich. »Vielleicht ist es Schicksal. Vielleicht sollen wir zusammen sein.«
Er sieht mich an, sein Blick glüht. »Du bist eine Hexe.«
»Ich bin auch eine Frau.«
Langsam, so als sei er sich selbst noch nicht sicher, zeichnet er mit seinen Fingern einen Kreis um meinen Bauchnabel. Eine sanfte Spur bleibt. Sein Blick gleitet zu meinen Brüsten, eine glänzt durchsichtig, die andere reckt sich ihm rosig entgegen.
Er will mich.
Und was viel schlimmer ist: Ich will ihn!
»Traue niemals einer Hexe«, murmelt er und die Hände folgen seinem Blick. Er umfasst die eiskalte Brust. Ich beiße mir auf die Lippen. Ungewohnte Wärme durchströmt mich. Diese Gefühle sind mir fremd. Das sehnsüchtige Ziehen im Magen. Das Bedürfnis nach Nähe.
»Was ist das?«, hauche ich.
Er antwortet nicht. Obwohl das Eis geflohen ist, lässt er seine Hand, wo sie ist. Sein Daumen umkreist meine Brustwarze. Eine neue Art Schmerz, anders, wohltuend, berauschend.
»Ist das Liebe?«
Er schüttelt den Kopf. »Nein.«
Im nächsten Moment beugt er sich über mich, seine Augen zwei tannengrüne Punkte, meine ganze Welt. Dann küsst er mich, wie ich noch nie geküsst worden bin. In all den endlosen Jahren meines ersten Lebens habe ich viele Männer gekannt, viele Vereinigungen erlebt. Aber niemals, noch niemals war es so … erfüllend? Ich spüre seine Kraft, schmecke seine Lippen, seine Haut. Seine Hände sind überall. Er ist über mir, in mir, er umgibt mich vollkommen. Ich gebe mich ihm hin, und er gibt sich mir hin. Wir sind eins. Umschlungen im wilden Tanz und mit jedem seiner Stöße verschwindet die Kälte ein kleines bisschen mehr, bis da nichts mehr ist außer alles umfassende Wärme. Bis da nichts mehr ist als er.
Ich weiß nicht, wie lange wir Herz an Herz auf dem Fell liegen. Die Jahre im Turm scheinen verschwindend wenige dagegen. Ich lausche den Atemzügen, dem kräftigen Schlagen seines Lebens und wünschte die Zeit würde niemals vergehen. Aber wie Sand in einer Uhr, so verrinnt auch unsere Ruhe. Die Welt ist schnelllebig geworden, Zeit kostbar.
»Hexenjäger«, flüstere ich und kenne doch nicht seinen wahren Namen.
Er brummt nur. Seine Hände ruhen auf meinem Rücken. Er hält mich. Noch hält er mich.
»Ist das Liebe?«, frage ich erneut. Meine Fingerspitze folgt den Linien seiner zahllosen Narben. Ich stütze mich ab, sehe ihn an.
»Nein«, wiederholt er.
»Was ist es dann? Es fühlt sich … gut an.«
Er schweigt.
»Bist du sicher, dass es keine Liebe ist?«
Langsam dreht er den Kopf. Sein Blick ist seltsam distanziert, beinahe kühl. »Ja.«
Ich runzele die Brauen.
»Du meinst für dich.«
»Ich bin dein Feind. Ich empfinde Hass für dich.«
»Mit Hass kenne ich mich aus«, sage ich bemüht leicht. Ich will ihm nicht zeigen, wie sehr mich seine Worte verletzen. »Das ist kein Hass.«
Er seufzt und erhebt sich.
»Warte.«
Ich greife nach seiner Hand.
»Warum warst du in dem Turm?«, fragt er plötzlich. Seine Miene ist eisern und ich verstehe, dass der Punkt gekommen ist, an dem er Antworten braucht. Er ließ mich am Leben. Ich muss ihm einen Grund geben, es dabei zu belassen. Ich habe keine Macht. Ich brauche ihn.
»Es ist ein Grab.«
»Du warst nicht tot.«
»Ja.«
»Warum?«
»Warum ich in dem Turm war? Oder warum ich noch lebe?«
»Beides.«
Ich sehe ihn lange an, dann frage ich ihn: »Wie tötest du die Hexen, wenn du sie jagst?«
»Das verrate ich dir bestimmt nicht.«
»Ist es leicht?«
»Nein.«
Ich verschränke meine Finger mit seinen. Er lässt es zu. Solange er bei mir ist, solange er mir nah ist. »Wie würdest du die Eishexe töten?«
Er braucht einen Moment, ehe er antwortet: »Ich weiß nicht, ob man sie überhaupt töten kann.«
Meine Lippen lächeln, meine Augen nicht. »Und wie würdest du eine Hexe umbringen, die noch sehr viel mächtiger ist …?«
»Was willst du mir damit sagen?«
Ich hebe den Blick. Meine Augen sind eisblau, wie die meiner Schwestern – wie die der Eishexe.
Ich war zu mächtig, als dass sie mich hätten töten können, nicht einmal mit ihrer vereinten Macht. Ich weiß, dass ich so nicht beginnen darf – nicht, wenn ich will, dass er mir vertraut.
»Der Dornröschenschlaf«, sage ich also. »Ich habe ihn erschaffen wie viele andere Zauber. Auch den der magischen Sieben.«
»Du hast das magische Gesetz verfasst?«, fragt er und runzelt die Brauen.
Ich sehe ihn an. Ahnt er, wer ich bin? Wer ich war? Welche Macht ich besaß? Ich hebe meine Hand. Seine zuckt zum Dolch. Ich rufe nach meiner Magie – aber nichts regt sich. Erst als ich die Hand sinken lasse, entspannt er sich, doch der Dolch bleibt in seiner Hand liegen. Ein Zeichen seines Misstrauens, und ich erkenne, dass ich weiter ausholen muss, um ihm zu zeigen, wer ich bin und warum ich wurde, wer ich war.
»Wir waren unschuldige Kinder, geboren mit den Zeichen der Feen. Schwarzes Haar, schneeweiße Haut, Lippen wie Blut. Die Menschen fürchteten uns. Sie fürchteten die Saat der Feen. Sie nannten uns Wechselbälger. Viele von uns wurden getötet. Manche konnten entkommen, manche wurden ausgesetzt.«
Ich verstumme. Ich werde gerissen in eine Zeit, die so lange zurückliegt, dass nicht einmal die Bäume ihre Geschichten kennen. Ein kleines Mädchen im roten Mantel. So lange versteckt – so lange geschützt vor den Blicken der anderen.
»Ich kann mich kaum noch an das Gesicht meiner Mutter erinnern. Sie holten sie am Tag des ersten Schnees. Ich folgte ihren Spuren. Bevor die Sonne den Horizont erklommen hatte, war sie tot. Sie war tot, weil sie ein Feenkind versteckt hatte. Ihr eigenes Kind.« Die Spuren im Schnee führten ins Dorf. Zum Scheiterhaufen. »Zuerst roch ich den Rauch, dann hörte ich das Prasseln des Feuers.« Flieh, mein Herz! Flieh, so weit du kannst!
Und während der Himmel sich blutrot färbte, verbrannte meine Mutter.
»Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht ihre Schreie höre.« Und die der anderen. Ich presse die Lippen zusammen: »Dreizehn Schwestern. Dreizehn, die der Jagd der Menschen entkamen.«
»Feenkinder«, höre ich ihn murmeln. Der Hexenjäger. Ich sehe ihn an. Er ist ein Nichts gegen mich. Seine Lebensspanne ist kurz und unbedeutend.
»Wir sind die Auserwählten – fähig die Magie zu nutzen, Macht zu besitzen. Deshalb fürchteten sie uns und tun es noch.«
»Zu Recht«, sagt er.
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