Kitabı oku: «Das Theater leben», sayfa 3
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Die Kreatur, die sich in Frankenstein am Ende des ersten und dritten Aktes formt, bedroht nicht nur die Öffentlichkeit, sie ist die Öffentlichkeit. Die Kreatur bedroht die Zivilisation und gleichzeitig ist sie die Zivilisation, eine sich selbst gefährdende Zivilisation.
Wir sind also beides: die Zivilisation und das Monster, das sie bedroht; in uns steckt die Kreatur, die ihre Arme erhebt und atmet, die sich vor aller Augen wandelt und umbaut, die fleht nach der nächsten Entwicklungsstufe der Menschheit.
Lausanne, Schweiz, 10. Januar 1968
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1: Die Fantasie als Notausrüstung des Gehirns.
2: Die Arbeit des Künstlers: Lösungen erfinden durch Training der Fantasie.
Wir warten auf bestimmte Antworten. Aber die neuen Künstler sagen, es darf keine Anführer geben. Das Ende von Moses. Verschmelzen Laotses mit dem Volk.
Meine Sklavenmentalität ist das Öl meiner Fantasie.
Dies Buch handelt von der Rolle des Künstlers in der Revolution.
Croissy-sur-Seine, Frankreich, April 1970
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MEDITATION. 1961. NEW YORK CITY
Ich bin jemand, der sich nicht für Theater interessiert. Auch nicht für die Art von Unterhaltung, die unser Dasein abwertet. Auch nicht für die Verbreitung von Lügen. Spaß zerstört, Freude ist kreativ. Eric Gutkind.
Das Leben ein Traum. Eine alte Fata Morgana, während wir in der Wüste leben. Mein ganzes Leben ist ein Traum. Strindberg. Wir träumen einander. Jeden Augenblick entstehen wir und vergehen: Ich will etwas und etwas will mich. Jeden Tag weiß ich weniger. Das ist meine Ehre.
Das Theater unserer Zeit tut so, als wüsste es viel. Was wir zu verstehen meinen, stimmt oft nicht. Es fehlt uns an Fakten, die Sicht ist begrenzt, unser Blick und unsere Gedanken sind nicht frei. Wenn der Schauspieler frei ist, kann er kreativ sein, wie jeder andere auch, wir aber gehen ins Theater und ertragen Schauspieler, die im Wahn der Bourgeoisie gefangen sind, deren Wahn aus den Gesetzen besteht, aus denen ihr Leben besteht, ein Leben für das Geld, das auch ein Gesetz ist, und es macht die Menschen verrückt. Die Freiheit ist neu geboren und stirbt vielleicht schon bald, und auch die Zivilisation, die sich so rasend ausbreitet wie das All, ist jung und könnte den Kindstod sterben. Im Jahr 1961 ist der Höhepunkt noch nicht erreicht. Und an keinem Datum, das wir uns vorstellen können. Im Angesicht des Todes machen wir weiter. Sich im Angesicht des Selbstmords für das Leben entscheiden. Wenn ich die Welt erhalten will, mache ich mich selbst unsterblich. Solange Menschen leben, leben wir alle.
Enger Blick. Menschen sind verschieden. Hütten und Geschütztürme. Reis und Telefone. Ein Mensch unterscheidet sich nie mehr von einem anderen als von sich selbst zu einem anderen Zeitpunkt. Pascal.
Das Theater ist ein Traum. Es ist wie ein Traum, wie ein Bild von der Welt. Die Welt interessiert mich. „M. Dalí“, sagt sein Begleiter, „interessiert sich für alles“. Dalí lehnt sich über den Tisch und fragt Allen Ginsberg: „Warum handelt Ihr Werk von Armut? Ist nicht Gold das Maß des Genies?“ Mag sein, aber unter uns sind viele Schöpfer, sie erfinden ständig etwas Neues für die Welt, das Volk aber macht die Welt satt.
Mein Gewissen torkelt unter der Wucht des jüdischen Himmels und dem Banner der Rabbis, auf dem steht, die Welt befinde sich im Prozess ihrer Schöpfung, und die heilige Pflicht des Menschen bestehe darin, Gott beizustehen.
Buber spricht von der „Nähe zu Gott“ als „Unterschied zwischen dem wahren Sein und der bloßen bewussten Existenz“.
Alle Seiten einer Sache auf einmal. Alle Ebenen. Gleichzeitigkeit.
Die entscheidende Entdeckung des 20. Jahrhunderts. Ohne sie ist Vereinigung unmöglich. Menschen in Zwietracht finden keine magische Formel. Mein einzigartiges Leben.
Nur ein Leben. Ich Armer! Muss mich entscheiden. Soll ich nach Gaspé fahren. Soll ich Verkäufer oder Käufer sein. Soll ich das Land bestellen, die Armen satt machen, Händlern und Freunden die Bücher führen, soll ich die Decke der Welt aufreißen und ihre Daunen zu Staub zermahlen, soll ich Felsen und Rinnen in verwesendes Blut verwandeln, Kindsmord, Bazillentod, soll ich Milch pasteurisieren oder Furzkissen bemalen, mit Männern schlafen, mit Frauen schlafen, aufwiegeln, beruhigen, zum Tier werden, lieben, opfern, schreiben, triezen, aufstocken, umarmen, bewässern oder zersetzen. Lieber alt werden oder weise.
Ich entscheide mich nicht, im Theater zu arbeiten, sondern in der Welt. Das Living Theatre ist mein Leben geworden als Theaterleben. Wir verschlingen einander. Ich kann uns nicht mehr auseinanderhalten. Judith und ich gehen darin auf. Und andere in uns. Es gibt Schauspieler, die an uns hängen wie Jeffers Läuse am Adler. Manche Schauspieler sind meine Augen, manche Techniker unsere Flügel. Das Nest, an dem wir bauen, wimmelt vielleicht vor Maden. Und aus den Eiern schlüpfen Fleischfresser. Mein Theater. Ich halte den Spiegel hoch, bis meine Arme schmerzen. Er fällt den Zuschauern auf die Köpfe, sie bluten und sind verletzt. Oder es passiert ihnen nichts. Ich halte den Spiegel hoch, das bröselnde Symbol für die Scheiße, und ich bin darunter begraben. Ein Misthaufen auf der Bühne, den niemand zu Gesicht kriegen sollte. Ein einzigartig nichtiges Leben.
Was weiß denn ich. Ich kann mich nur sorgen, niemals kann ich wissen.
Auf der Bühne ist Leben. Ein Schauspieler, der von seinen Abenteuern kommt und einen Augenblick des Verstehens überbringt, ist ein Held, das Licht unseres Lebens.
Ich gehe ins Theater statt zur Synagoge. Nicht um den Weg zur Erlösung zu feiern, sondern um ihn zu entdecken. Vielleicht mache ich die Erfahrung meines Lebens. Ich werde schweben, abheben sogar, wie Horatio in Paul Goodmans The Dead of Spring. Er hat es mir beigebracht.
Verehrung sieht anders aus als Erlösung.
Wenn man das Schöne betrachtet, kann man erkennen, was sein könnte. Judith.
Es leitet sich vom göttlichen Zauber ab, ist mit Gott verbunden, zielt auf Gott, erfüllt von Menschen, die auf Ehre aus sind. Die Vorfahren spielten im Sonnenlicht, wir im elektrischen Licht, Licht ist das Gewand der Ehre, aber es gibt auch Dunkelheit.
Leidenschaft. Qualen. Verzweiflung. Arbeit. Die Arbeit, die Hämmer, die Beharrlichkeit, die Besen, die Nägel verbinden mich mit den Menschen, sonst wäre ich nichts als Poesie und Flug. Allein wäre ich zu nichts gut. Das Theater ist eine Übung in Gemeinschaft. Ein Einzelner kann es nicht machen, es wird von vielen für viele gemacht. Aber das Leben im Kibbuz ist hart. Alle beschweren sich. Vor allem ich. Nichts hilft, es ist so vollkommen wie das Wetter, immer schön, wie in einem Kalender, immer schrecklich, immer vergeht der Tag, die Sonne geht unter, der Wind weht wild aus dem Westen.
Im Theater arbeite ich an meinem Leben. Mit Judith, dem Engel meines Lebens, ohne den es kein Living Theatre gäbe.
Je ne trouve pas, je cherche.
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MEDITATION. 1962. NEW YORK CITY
Wir sterben, weil eines Tages, vor nicht allzu langer Zeit, unser Bewusstsein dazu gezwungen wurde, den Tod für notwendig zu halten. Artaud.
Durch die Welt musst du das Theater betreten.
Der heilige Auftrag holt sich das Theater zurück.
Alles existiert, nichts hat Wert. Ohne Wert passieren Irrtümer, Sünden, Verluste.
In den geheimen Bezirken, im Untergrund, in Greenwich Village, Saint Germain, unter den Studenten, die Sitzstreiks und Friedensmärsche planen, in den abgelegenen Gegenden Afrikas, überall, wo der Wandel seinen Ursprung hat, in der Musik des Wandels, im Marsch zur See, in den Demonstrationen vor den Botschaften wird vom Wert der Welt gesprochen. In versteckten Wohnungen, in denen Anarchisten und Pazifisten dem Geld und der Gesellschaft trotzen, wo all die Lügen untersucht und aufgedeckt werden, die mit dem Tod gemeinsame Sache machen, an diesen Orten lebt jene Poesie, die Gottes Sprache spricht.
Im Wahn liegt die Macht, die uns an den Rand der Sphäre bringt, jener Sphäre, in der wir eingeschlossen sind, in der wir sterben, jener Sphäre, die durch das unbekannte Universum driftet, das uns versagt ist, bis wir der Vision der Wahnsinns-Macht, Ginsberg, erlauben, uns beim Durchstoßen der Sphärenschicht zu helfen, sie zu punktieren, und zu jener Schöpfung zu gelangen, die wir bisher nur von archaischen Gerüchten her kannten. Wenn die Wahnsinns-Kräfte ihre Arbeit getan haben und wir das Atmen lernen.
Unsere Art zu leben müssen wir nicht verteidigen, unseren vorzeitigen Tod, Tod durch die Regierung, Tod durch Waffen, Tod durch Unterdrückung, Tod durch Klasse, Tod durch die Wehrpflicht, Tod durch Armut, Tod durch den rassistischen Mob, Tod durch Gesetz, Tod durch die Polizei, Tod durch Radioaktivität und vergiftete Luft, Tod durch Erziehung, dieser schreckliche Kältetod, Tod durch Wohlstand, Tod durch Besitz, Tod durch Falschheit, durch den Schmerz in meinem Magen, den Krebs in meinem Rücken, die Plagen, die die Körper zerstören, und, noch fataler für das Leben, durch den Verlust des Daseins.
Die Falschheit der Ideale. Tod durch den Broadway. Die richtigen Kostüme, das richtige Sprechen. Tod durch Kompromiss, sicherer Tod durch Luxus und Mangel an Luxus. Aspekte der Bühne, die nicht Welt sind, sondern Eitelkeit. Wir treten an gegen die Bühne der Eitelkeit, wir wissen zwar noch nicht, mit welchen Werkzeugen und wie sie anzuwenden sind, wir sind unsicher, wir haben keine Ideen, sind eine barfüßige Armee aus Versprengten.
Das Theater am Broadway gefällt mir nicht, weil es nicht Guten Tag sagen kann. Seine Stimmlage ist falsch, seine Manierismen sind unecht, sein Sex ist falsch, geschönt, perfektionierte Hollywoodwelt, sauberes Bild, gebügelte Kostüme, sauber abgewischter, geruchloser, unmenschlicher Anus des Hollywood-Schauspielers, des Broadway-Stars. Ganz zu schweigen von diesem schrecklich falschen Dreck am Broadway, das Nachtasyl mit dem schlecht nachgemachten Dreck.
Das Schauspiel am Living Theatre hat seit Jahren einen schlechten Ruf, besonders bei anderen Schauspielern. Judith und ich haben Schauspieler ohne Manierismen um uns geschart, ohne Stimmen, ohne das richtige Sprechen, ohne die schützende Schminke der Schauspieler, die die Welt des Weißen Hauses imitieren und die Problemchen der Bourgeoisie. Die Welt der bewussten Erfahrung reicht nicht aus.
Die Schauspieler des Living Theatre sind ungeschickt, ungeschult, ohne genau zu wissen wie, fordern sie die Konventionen heraus, mit denen Menschen dargestellt werden, die in Demokratien leben, die vernünftig sind, gut, ausgeglichen und die in musealen Versen sprechen. Für die Schauspieler des Living Theatre muss es um Leben und Tod gehen.
Am Living Theatre ist das Spiel eine vorsichtige Geste, Andeutung dessen, was noch passieren könnte; aus einem Arm könnte ein Flügel werden, aus Beinen Flossen, aus Körpern nie Erträumtes. Etwas anderes. Der Broadway bemüht sich, das zu zeigen, was er gern sehen möchte. Das, was ist, übertrifft jegliche Illusion. „Genauigkeiten.“ William Carlos Williams.
Man betritt das Theater durch die Welt, die heilige Welt, die unvollendete Welt, man betritt das Theater im Bewusstsein unzerstörbarer Hässlichkeit. Hässlichkeit des Lebens. Die Hässlichkeit annehmen und vergessen, was schön ist. Der Pfad der Transzendenz. Die Akropolis, all das Streben, Streben nach dem Mythos der Vollendung wird sich auflösen in der Fülle des Daseins, das Güte ist.
Kann mich um sonst nichts kümmern.
Besserungstheater. Wo es möglich ist, jemanden auf der Toilette sitzen zu sehen, ohne dass man sich schämt.
Alle ablehnen, deren konventionell geschriebene Stücke die Konventionen der Zivilisation anpreisen und die Wege hin zum vorzeitigen Tod. Alles oder nichts.
Das Living Theatre ist allenfalls Nachahmung, schwach, sehnsüchtig, verdorben, machtorientiert, diktatorisch, arrogant, antikommunal, und es sehnt den Tag herbei, an dem es vergeht. Darin liegt die eigentliche Opposition zum Broadway, dem Dämon der oberen Welt, Dämon der Geldwechsler, die den Dollar aufwerten wollen, die eine Welt des vorzeitigen Todes hinnehmen. Sie sind Errico Malatestas „Mensch in Ketten“ (Leute, die sich derart an ihre Ketten gewöhnt haben, dass sie nicht glauben, es könne ihnen ohne Ketten besser gehen.)
Alle Nettigkeit muss weggesprengt werden.
Le rappel à l’ordre. Alle Pseudo-Organisation muss zerschlagen werden. Und wenn der Wind von Greenwich Village sein Werk getan hat, wenn die Illusion aufgebrochen ist, dringen die Bruchstücke vielleicht ins entfernte Universum vor, wo der Tod weder Antwort ist noch Fazit.
Jedes Mal, wenn am Broadway der Vorhang aufgeht, fass ich mir mit der flachen Hand an den Kopf: Das soll 100.000 Dollar kosten? Harold Rosenberg.
Ein Bühnenbild, das „Ordnung“ behauptet, dessen „Ordnung“ aber die tatsächliche Ordnung verleugnet und dessen fortschrittlichste Variante nicht mehr als pikante Kontraste wagt, eine empfindsame Farbe. Sentiment ist in Wahrheit nur ein Ersatz für falsche Gefühle (wenn man sonst nichts fühlt).
Exzellente Form ist eine Lüge.
Zu viel Perfektion am Broadway. Sie erschaffen den Götzen und alle, alle sind eitel; und ihre köstlichen Dinge sollen nichts nützen; und sie sind ihre eigenen Zeugen; sie sehen und wissen es nicht; dass sie sich schämen sollten. Es schmiedet einer das Eisen in der Zange, arbeitet in der Glut, und bereitet’s mit Hämmern, und arbeitet dran mit ganzer Kraft seines Arms; leidet auch Hunger, bis er nimmer kann, trinket auch nicht Wasser, bis er matt wird. Jener fällt die Zedern, siehe, da macht er einen Gott von und betet’s an, er macht einen Götzen daraus und kniet davor nieder. Sie wissen nichts und verstehen nichts, denn sie sind verblendet. Er hat Lust an Asche, sein getäuschtes Herz verführt ihn und er wird seine Seele nicht erretten, dass er dächte, ist das nicht Trügerei in meiner rechten Hand? Jesaja
„Besserungstheater. Etwas Nützliches tun.“ Judith.
Etwas Nützliches tun. Nur das ist interessant. Nur das ist für das Publikum interessant, das große Publikum. Dem Publikum dienen, es unterweisen, Staub aufwirbeln, Erfahrungen anregen, Aufmerksamkeit wecken, das Herz klopfen lassen, das Blut kreisen, die Tränen fließen, die Stimme schreien, und den Altar umrunden, die Muskeln bebend vor Lachen, und den Körper spüren, vom Schrecken des Todes erlöst sein, erlöst von der Verwahrlosung durch die Bequemlichkeit. Die nützliche Veranstaltung, die uns helfen kann. Hilfe.
Ich ergehe mich in dieser Polemik, weil dies das Einzige ist, was wirklich gesagt werden muss. Der Weg zur Liebe ist nicht romantisch. Aus meiner Negation wird der Pfad der unaufhörlichen positiven Schöpfung hervorgehen. Hilfe.
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MEDITATION I. 1963. NEW YORK CITY
Traum von einer freien Gesellschaft.
In dieser freien Gesellschaft der Traum von einem nützlichen Theater. Der Traum von nützlichen Dingen in einer Epoche voller nutzloser Dinge. Wenn man genug Zeit hat, ist alles interessant. Vorausgesetzt, es ist interessant. John Cage. Aber es ist nicht genug Zeit.
Nutzlose Produktion, nutzlose Gesetze, sinnlose Formen. Das weltweite Geldgefängnis, Gehaltsgefängnis, ein Leben lang nutzlose Dinge kaufen, nutzlose Dinge herstellen, Einnehmen und Ausgeben, unsere Kräfte verschwenden. Interessant, aber nicht interessant genug. Mein Lied.
Nutzloses Theater. Schau dir zuerst die Architektur an. Ist das ein Ort für Menschen, diese Andeutung von Plüsch und Gold, dieses Treppengedöns, diese aufgesetzte Kronleuchter-Grandezza, dieses moderne Theaterkunst Design? Oh Architektur der Potentaten! Oh Gestank nach Geld! Hat sich der Goldene Vogel wirklich hierher verirrt? Und wo sind die Hafenarbeiter, die Textilarbeiter, die Mechaniker? Hier sind keine Bauern, niemand von denen, die das Gebäude errichtet haben, niemand, der Getreide anbaut, keine Schwarzen sind hier und kein Kanalarbeiter, niemand, der Nähte näht. Für wen also ist das Gebäude erbaut? Wo sind diese Menschen? Und warum spricht das, was hier passiert, sie nicht an? Der Teppich ist für bleiche Patrizierfüße gemacht, die Sitze sind zum Aufstehen viel zu bequem, sie verhindern Partizipation, verwöhnen den passiven Körper. Trennwände!
Oh brächte doch unsere Klage die Wände zum Zittern und Fallen, fallt, Gefängnisse, fallt, ihr Festungen einer falschen Industrie, fallt, ihr Häuser der Abgrenzung! Einheit. Wenn die Menschen zusammen sind, einander nicht gegenübergestellt, dann entsteht der Gleichklang, der die Verzweiflung austreibt, das Dasein verlängert, der Gleichklang, der all die unmöglichen Hoffnungen möglich erscheinen lässt.
Wenn jemand aufschreit, wenn jemand stirbt – in meinem Samtsitz umgeben von Kunstseide – stört mich das nur. Ich bin nicht bereit, auf das Leben zu reagieren. Ich schaue nur zu. Von kalten Nachbarn umgeben in einer Atmosphäre des Trugs, sitze ich im Gedöns. Bin ich hergekommen, um zu erstarren und zu sterben? Wie kann ich zum Gefühl vordringen? Ich bin doch die kunstseidene Tantieme, wie soll ich in dieser samtenen Umgebung transzendieren, wie den Schlüssel finden in diesem dunklen Raum? Das geht nur, indem ich träume. Aber der Traum ist eine Lüge, denn ich fühle nichts. Alles hier ist Lüge, blutleer und zutiefst geschlechtslos. Und indem ich dabei bin, geht es weiter so.
Staaten machen dem Künstler und allen anderen Vorschriften. Gut schlecht so aber so nicht. Die Demokratie gibt vor, das zu ächten; aber auch das kapitalistische Theater wird kontrolliert. Die Fuchtel des Geldes, die Vorschriften der Investoren, die Meinung des konformen Zuschauers. Wenn wir ein freies Theater wollen, müssen wir es befreien. Als Erstes muss es für das Publikum frei werden, Zutritt ohne Geld, weg mit dem Maß des Mammons, endlich Leben.
Das Theater der Ausgrenzung, das Schwarze Menschen nicht besuchen, Kammer der weißen Gedanken und erstarrtes Gefühl. Ich weiß, dass ich auch nicht besser bin, aber so schaffen wir eine Erfahrung, die die Armen ausgrenzt, und wir reden uns ein, die Armen wollten sowieso nicht kommen. Ich gehe ins Theater und bin von den Armen abgeschnitten. Etwas stimmt nicht, wenn ich im Theater, dessen Domäne die Welt ist, von der Welt abgeschnitten bin, anstatt ihr näher zu kommen.
Wir sind ein fühlloses Volk. Wenn wir fühlten, wäre der Schmerz so groß, dass wir dem Leiden ein Ende setzen würden. Wenn wir fühlten, dass alle sechs Sekunden ein Mensch an Hunger stirbt (und während ich hier lese und schreibe verhungert jemand), wir würden es verhindern. Wenn wir es in unserem Innersten, im Unterleib, der Kehle, der Brust fühlten, würden wir auf die Straße gehen, den Krieg abschaffen, die Sklaverei, die Gefängnisse, das Morden, die Zerstörung. Ach, dann wüsste ich vielleicht, was Liebe ist.
Freude. Geschätzte Tugend der heiligen Theresa. Freude. Im Theater könnten wir uns gemeinsam mit anderen freuen. Meine Stücke handelten nicht mehr von Kummer, Problemen, einer anderen Haltung, sondern von Freude, Vergnügen, Lachen, Jubel, aber es wäre kein grausames Gelächter, keine Satire, nur Freude. Aber Freude empfinden ist schwer, schwer zu wissen, was Freude ist, wenn man blass ist und die Welt draußen im Sterben liegt. Ein anderes Theater wollen, das uns wirklich entspricht, darauf warten, dass das Theater sich ändert, und dabei wollen wir eigentlich uns ändern, wollen anders werden, indem wir uns miteinander verbinden, und indem wir uns verändern, verändern wir die Welt.
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MEDITATION II. 1963. NEW YORK CITY
was geschieht, geschieht in unserem Theater, weil
es die Muster einer mörderischen Gesellschaft akzeptiert
und sie als bewundernswert darstellt
es zeigt viel Triviales
in einem Leben voller Drangsal
stellt das Unerträgliche als erträglich dar
lässt das Leben als unterhaltsamen Zeitvertreib erscheinen und gibt simple Antworten
und wenn ich frage, warum die Zuschauer das mitmachen
sehe ich leider, dass es so ist,
weil das Leben, wie wir es leben, nicht mehr zu ertragen ist
und die Falschheit auf den Bühnen
ein Trost ist
obwohl niemand dran glaubt
aber die Leute tun so, als wäre es wahr, weil dann alles vielleicht doch nicht so schlecht ist
und so ist unser Theater ein Ort des Betrügens und der Entstellung
auf eigenen Wunsch wird die Mittelklasse hinters Licht geführt und die Aristokratie
wenn du Wahrheit sehen willst, musst du verrückt sein, verrückt genug, dem Schrecken ins Auge zu sehn
Erfahrungen, Autobiografie. Willst du mich kennen lernen, komm und lebe mit mir.
Mit zwanzig oder einundzwanzig bereits erste Pläne für ein Theater. Desinteressiert am Theater, wie es damals war, es stellte nicht menschliche Menschen dar und war dazu patriotisch, dabei ist Patriotismus etwas für Idioten, abgesehen vielleicht von der Leidenschaft für Land und Leute.
Deshalb reicht das bloße Bild des heutigen Theaters aus, eine Revolution vom Zaun zu brechen.
Wir begannen im Zorn. Die normalen Theater der damaligen Zeit waren erwachsener Frauen und starker Männer nicht würdig. Was dem Zuschauer gebührte, war dagegen immer auf eine bestimmte Art verrückt, das waren Gesten, die direkt aus den Gedärmen des Schauspielers kamen, unbewusst wie die Reflexe der Heuschrecken, das waren zuckende Glieder, als wenn die Nadeln ihren Thorax durchstächen, das waren die Hände der Ertrinkenden, ähnlich den anonymen Botschaften, die man im Schlaf empfängt. Wir suchten nach allem, was uns half, die Sicherungen der Fantasie durchzubrennen, bis es mit ihr durchging und sie entwischen konnte. Das waren die einzigen Blinkzeichen, die uns erreichten, aus dem Reich der Unsterblichen.
Aufs Stichwort warten. Ins Irrenhaus gehen und die Wahrheit sehen: in der schiefen Ordnung der Dinge, in der Perversion echter Liebe, den berstenden Furunkeln des Verstands. Keine Täuschung mehr. Wenn du klarsehen willst, musst du irre sein, in der Lage, dem Horror entgegenzutreten.
Judith und ich gingen ständig ins Theater. Alles war interessant und brachte uns zum Verzweifeln. Zwei drei vier Mal die Woche. Im Jahr 1946 wusste Judith also, dass sie in einem solchen Theater nicht arbeiten wollte. Damals malte ich noch, brauchte sechs Monate, um mich durchzuringen, und wir sagten, wir würden ein Theater erfinden, das anders funktioniert. Jetzt, fünfzehn Jahre später, wissen wir, dass wir das nicht geschafft haben. Wir glaubten auch, das Theater würde sich mit soziologischer Verzögerung entwickeln. Wir lasen also Joyce und Pound, Breton, Lorca, Proust, Patchen, Goodman, Cummings, Stein, Rilke, Cocteau und so weiter. 1944: Die Malerei von Pollock und de Kooning wies auf ein Leben hin, von dem das Theater noch nichts wusste, ein Level an Bewusstheit und Unbewusstheit, das es selten auf die Bühne schaffte. Judith studierte bei Piscator, und er wusste, dass es um radikale Politik und gesellschaftliches Handeln ging. Wir sprachen von Anarchismus, Marxismus, von griechischen Mythen und Metren, von Träumen und Freud, es waren jugendliche Gespräche und wir wanderten durch die Wälder entlang The Palisades, oft gingen wir ans Meer, die Schönheit des Strandes. Unsere wichtigste Erkenntnis war vielleicht, dass die 1940er Jahre zwar nicht der Höhepunkt menschlicher Errungenschaften waren, dennoch enthielt dieses Jahrzehnt, wenn auch versprengt, alle Ehren, die es auf der Welt geben konnte. Das Problem des Findens, Sortierens, des neu Zusammensetzens, des Fühlen und des Seins. Wir wollten ein Theater für all das.
Du bist was du isst und was du nicht mehr essen wirst.
Mit sechs habe ich während einer Vorstellung von Hänsel und Gretel in der Metropolitan Opera ein Taschentuch aufgegessen. In der Oper geht es um Essen, es gibt Lebkuchenhäuser, hungrige Kinder und Brotkrumen, Hänsel und Gretel werden gemästet, die kannibalische Hexe frisst Kinder. Mein Vater dachte, ich esse aus Nervosität, und das stimmte, aber ich aß auch, weil ich mich mit Hänsel identifizierte, ich aß dieses schreckliche Taschentuch, das nach nichts schmeckte, bis ich aufhören konnte, weil alle Kinder frei waren, aus dem Ofen entlassen, nicht gefressen, sie lebten und durften groß werden. Alles, was ich je im Theater versucht habe, war, den Freiheitswillen zu entfesseln, den ich am Beispiel des Hexengefängnisses bei Hänsel und Gretel erlebt hatte. Ich hatte gelernt, dass es drei Dinge braucht für die totale Erfahrung im Theater: körperliche Teilnahme des partizipierenden Zuschauers, die Erzählung und die Transzendenz, die Revolution ist.
Die Erzählung ist wichtig im Theater, denn wenn das Theater die Welt darstellen soll, muss es wissen, was vorgeht, wissen, wie ein Moment in den nächsten übergeht. Wenn man einen Schwamm mit blauer Tinte auf grünes Glas wirft, ist das zwar ein faszinierender Anblick, aber die Person, die den Schwamm wirft, ist immer interessanter als die spritzende Tinte. Wir müssen ein Theater schaffen, in dem das klar ist. Deine Hand, die die vertraute Kaffeetasse an die Lippen führt, ist wichtiger als der rote Streif am Abendhimmel: Was jemand tut, schlägt jede Kulisse, das muss klar sein. Wenn wir die Landschaft überleben wollen.
Als wir 1947 Robert Edmond Jones besuchten und ihm von unserem Theater erzählten, war er freudig erregt und wollte, dass wir wiederkämen.
Beim nächsten Mal hatte ich meine Bühnenentwürfe dabei und wir redeten über Stücke, die wir machen wollten. Wir redeten viel, er wurde traurig und wir sprachen ihn darauf an. Zuerst dachte ich, sagte er, ihr hättet die Antwort und würdet tatsächlich ein neues Theater schaffen, aber jetzt sehe ich, dass ihr nur Fragen stellt. Wie viel Geld habt ihr eigentlich? Sechstausend Dollar, sagte ich. Schade, sagte er, hättet ihr kein Geld, wirklich gar keins, dann könntet ihr vielleicht das neue Theater erfinden, euer eigenes Theater aus Seil und Sofakissen, ihr könntet in Ateliers und Wohnzimmern spielen. Vergesst die große Bühne, sagte er, vergesst das Eintrittsgeld, dort passiert nichts, was nicht stupide ist, und es wird nie zu etwas führen. Los, wenn ihr wollt, sagte er, nehmt diesen Raum, er bot uns sein Atelier an, ihr könnt gleich hier anfangen.
Erst vier Jahre später, nachdem wir kein Theater für unsere Arbeit gefunden hatten, entschieden wir uns, in unserem Wohnzimmer zu spielen und dafür weder einen Cent zu verlangen noch auszugeben. Er hatte recht gehabt, es funktionierte. Trotzdem hatten wir es immer noch nicht richtig verstanden. Wir arbeiteten immer noch in Theatern, die kommerziell Werbung schalteten, Eintritt nahmen und Steuern zahlten, als ob das etwas brächte, la gloire vielleicht. Reingefallen. Jetzt, wo wir es verstanden haben, dass wir drin sind, fangen wir immerhin an, Strategien zu diskutieren, wie wir wieder rauskommen.
irgendetwas ist schief wenn picassos gemälde und schönbergs musik
auf den wappen der macht elite prangen
rockefeller sammelt de kooning
in der wall street wird allen ginsberg gelesen
jacqueline kennedy verehrt manet
sie nehmen alles weg
Malraux und Frost verkauften sich an den Staat unter dem Vorwand, nationale Kunst populärer machen zu wollen. Der Staat braucht Diamanten für seine Krone, er hat kein Interesse daran, den Menschen Kunst zu bringen. Wenn der Élysée-Palast einen Hummer nach Claudel benennt, dann wird Kunst gestohlen, kastriert und als Schokolade serviert. Neuerdings lockt Spanien Touristen mit den Bildern seiner großen Künstler, z. B. Picasso, aber nicht mit Guernica, nicht mit Traum und Lüge Francos; mit Lorca, aber nicht mit seinem Werk und seinem Körper. Der revolutionäre Künstler wird zuerst ignoriert, dann verachtet, sagt Cocteau, und wenn das nicht hilft, wird er unterdrückt, indem man ihn mit Ehrungen überhäuft.
theoretisch dürfte es unmöglich sein de kooning zu verehren und bunker zu bauen (wie rockefeller)
man kann nicht jewtuschenko gutheißen und bomben horten (wie chruschtschow)
kunst muss sich dem staat entgegenstellen, sonst zersetzt sie die eigene kraft
wenn der staat die kunst mit ehrungen überhäuft, sagt er, diese kunst tut der regierenden klasse nicht weh
vorsicht vor anerkennung und offizieller unterstützung
dorothy day vom catholic worker lebt seit dreißig jahren in freiwilliger armut, sie nährte, kleidete und beherbergte die armen
und als die stiftung für die republik, eine abteilung der ford stiftung, ihr 10.000 dollar anbot, vielleicht stimmt die summe nicht, und es war eher mehr als weniger
lehnte der catholic worker ab
weil sie kein blutgeld annehmen wollten
das heißt sie wollten kein geld nehmen das leuten abgepresst wurde durch zinsen investition kriegsproduktion und grausame fabrikarbeit
und solches geld für die speisung der armen verwenden denn solches geld annehmen hieße die schuld zu entschulden des systems das uns umbringt und das elend produziert und das die katholischen arbeiter zu mildern versuchen
in unserer harten gesellschaft in diesen harten zeiten fällt es leuten schwer das zu verstehen
ich kannte sogar leute die wütend wurden, als ob dorothy day (und nicht die gemeine natur des geldes) die armen ums brot gebracht hätte, weil der catholic worker das blutgeld verweigerte
leute denken immer das naheliegende
und wissen nicht, dass man gutes nicht mit schlechtem erreicht,
und deshalb denken die leute, dass ein theater das ihnen etwas zu denken gibt, wie das heute so beliebte intellektuelle theater
eine gute sache sei,
aber ein theater das unterstützung von einer gesellschaft annimmt, die sich wehrt gegen
veränderung,