Kitabı oku: «Der Milliardär und der Mechaniker», sayfa 3

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Larry vergaß die »Experten«-Tipps nie, die er während seiner Kindheit von Autoritäten erhalten hatte. Als Schüler an der South Shore High School hatte man ihm gesagt, dass ein verpatzter Latein-Abschluss ihm das Leben »ruinieren« würde. Er schaute seinen Lehrer an und sagte: »Wenn ich aufgrund eines Verkehrsunfalls querschnittgelähmt wäre, würde das vielleicht mein Leben ruinieren. Aber eine Note ist doch nur ein Zeichen in einem Rechteck.« Der Lehrer fand das wenig witzig. Doch Larry lernte gut genug für eine befriedigende Note. Als Junge hatte Larry einmal fast den Biologie-Abschluss vermasselt, weil er nie ins Labor und stattdessen lieber zum Basketball-Training ging. Seine Biologielehrerin, die zufällig die Mutter eines seiner besten Freunde war, sagte ihm bei einem Familienessen, dass sie ihn durchfallen lassen könnte, weil er die Laborstunden hatte ausfallen lassen, und er dann seine Zulassung zu den Sportstunden verlieren würde. Larry konterte: »Was wäre, wenn ich in der Abschlussprüfung die beste Note schreibe und beweise, dass ich mehr über Biologie weiß als alle anderen in der Klasse? Würden Sie mich dann immer noch durchfallen lassen?« Sie sagte: »Ja.« Und Larry dachte: »Cool, da wird also die Person, die mehr über Biologie weiß als alle anderen in der Klasse, die einzige sein, die durchfällt. So funktioniert die Welt also.« Untypisch für Larry war, dass er sich tatsächlich intensiv auf die Prüfung vorbereitete und alle damit überraschte, als er in der schwierigen Schlussprüfung die beste Note schrieb. Die Biologielehrerin gab nach und ihm im Zeugnis eine Drei. Im Physikunterricht war Larry bei seinem Lehrer ähnlich unpopulär. Er hatte die anstrengende Angewohnheit, seinen Ausbilder beim Schreiben von Problemlösungen an der Tafel zu korrigieren. Larry war, was Lehrer heute »verhaltensauffällig« nennen. Grahams Geschichte trug den Jungen von dieser Art Reglementierung und dem Katechismus der Schule zu Abenteuer und Freiheit auf See. Hier war ein Junge über Wochen allein auf See unterwegs. Er musste mit Stürmen, kreisenden Haien und gebrochenen Masten klarkommen. Er besuchte exotische Orte wie Pago Pago und Guadalcanal. Und bei alledem war er sein eigener Steuermann.

Larry starrte in das Lagerfeuer von Antigua und lächelte über die Gerüchte der Segler. Irgendjemand sagte, es sei an der Zeit, sich für die nächtliche Siegerehrung umzuziehen. Kurze Zeit später erschien Larry in seinen Kaki-Shorts, einem schwarzen Gürtel und einem kurzärmeligen schwarzen SAYONARA-Seidenhemd im Lokal.

Eine der Eigenschaften Antiguas, die Larry besonders mochte, war ein bestimmter Teil der Inselgeschichte. Hier lag das Revier, in dem sein Held Admiral Horatio Nelson trainiert hatte, bevor er als junger Leutnant auf der Insel sein Basiscamp einrichtete und die Verfolgung von Rumschmugglern aufgenommen hatte. Larry war überzeugt davon, dass er – hätte er im frühen 19. Jahrhundert gelebt – zur Royal Navy gegangen wäre. In der Armee trugen reiche Aristokraten selbst Sorge für ihre Ausstaffierung und waren verantwortlich für ein Regiment. Aber zu einem gewissen Prozentsatz war die Armee auch eine Leistungsgesellschaft, in der das Emporklettern auf der Karriereleiter vom mathematischen Navigationskönnen jedes Einzelnen abhängig war. Gleichzeitig musste man Glück haben, auf dem Schlachtfeld nicht getötet zu werden. Horatio Nelson hatte in der Armee als »Puderaffe« begonnen, war einer jener Jungs, die klein genug waren, das Schießpulver aus dem Pulverturm aus dem Herzen des Kriegsschiffes zu holen. Dazu mussten sie durch die schmalen hölzernen Tunnel kriechen, um die Kanonen auf den Schießdecks zu erreichen. Jahre später kommandierte Nelson die britische Flotte mit 27 Schiffen, die 1805 während der Napoleonischen Kriege in der berühmten Schlacht von Trafalgar 33 französische und spanische Schiffe besiegte. Es war der entscheidende britische Sieg zu See in diesem Krieg. Nelson war der Sieger, obwohl er im Kampf angeschossen wurde und starb. Seine unorthodoxen taktischen Schachzüge hatten den Ausschlag gegeben. Statt seine Flotte dem Feind in einer geschlossenen Linie gegenüberzustellen, was zur damaligen Zeit der üblichen Strategie entsprach, teilte er seine zahlenmäßig unterlegene Flotte in zwei hintereinander formierte Linien auf, die er im rechten Winkel zur formidablen gegnerischen Streitmacht positionierte. Diese Aufstellung verwirrte die Franzosen derart, dass sie die Schlacht verloren.

Larry setzte sich im Lokal an einen Tisch. Er dachte immer noch über die Abtrünnigkeit von Superstar Coutts und seinen Kiwis nach, als SAYONARAS höchst geselliger Trimmer Tony Rae dazukam und fragte, ob er darüber nachgedacht habe, sein Team auf ein neues Niveau zu heben. Er wies darauf hin, dass Larry mit Dickson, Butterworth, Joey Allen, Robbie Naismith und sich selbst bereits über eine eindrucksvolle Crew verfüge. Dazu über ein von Bruce Farr angeführtes Design-Team und das von einem weiteren Kiwi namens Mark »Tugsy« Turner geführte Bootsbauteam.

»Ist jemals irgendjemand im America’s Cup zu Tode gekommen?«, fragte Ellison mit einem Augenzwinkern. Nach der Sydney-to-Hobart-Regatta hatte Larry dem Hochseesegelsport zugunsten von küstennahen Tagesrennen abgeschworen. Rae, der von allen nur »Trae« genannt wurde, war seit 1987 Mitglied im Team New Zealand und Teil der Crew, die den Cup 1995 gewonnen und im Jahre 2000, also erst zwei Monate zuvor, erfolgreich verteidigt hatte. Er lachte Larrys Frage einfach weg (die Antwort lautete ja; ein spanischer Segler war während eines Trainings an Bord einer America’s-Cup-Yacht ums Leben gekommen).

Trae fuhr fort zu erklären, wie eine solche Kampagne zu formieren sei und was dafür nötig wäre. Ein Syndikat oder ein Team für den America’s Cup aufzubauen sei wie der Startschuss zu einer politischen Kampagne. Der Kandidat – Team, Skipper und Crew – müssten vorbereitet sein und die Eröffnung gewinnen. In diesem Fall also die Qualifikation zum America’s Cup namens Louis Vuitton Cup. Erst dann ginge es in den entscheidenden Tanz.

Wie in der Politik würde ein manipulativer Gesetzgeber die künftigen Wettbewerber kontrollieren und bis zu seiner Absetzung regieren. Beherrscht würde der Cup fast von Beginn an von der 1857 entstandenen Stiftungsurkunde (»Deed of Gift«). Zu der damaligen Zeit war es ein Dokument mit 240 Worten, das »einen friedlichen Wettbewerb zwischen verschiedenen Nationen« versprach und verkündete, dass der Herausforderer »auf eigenem Bug« zur Austragungsstätte anreiste. Eine weitere Klausel infolge der nächsten Überarbeitung verbannte Teams von Clubs, die an Binnensee-Revieren zu Hause waren, und schrieb herausfordernden Yachten vor, dass sie Rennen an einem Meeresarm auszurichten hätten. Weitere Zusätze zur Stiftungsurkunde schrieben eine ganze Reihe von zusätzlichen Anforderungen vor. Darunter vom Zeitraum, in dem Teams eine Herausforderung bekannt zu geben haben, bis hin zu den Yachtspezifikationen und dem Prozess der Registrierung.

»Warum also machst du keinen America’s Cup?«, fragte Rae, während er am Tisch kniete und auf den nun schon eine Stunde verspäteten Beginn der Siegerehrung wartete. Rae versicherte Larry, dass Ernesto Bertarelli mit seinem großen Portemonnaie und seinem noch größeren Ehrgeiz nicht der Einzige wäre, der talentierte Kiwis auf seine Seite ziehen könne. Rae bot für die Planung und die Strukturierung seine Hilfe an.

Larry dachte über die Idee nach. SAYONARA hatte seit ihrer Taufe im Jahre 1995 kein einziges Rennen in Küstennähe verloren. Team New Zealand hatte seit 1995 nicht mehr verloren. Irgendjemand aber musste 2003 verlieren. Bislang schienen die Kiwis unbesiegbar. Aus dem gleichen Grund, warum er sich nicht mit verheirateten Frauen traf, hatte Larry nicht die Absicht, Kiwis abzuwerben: Er wollte keine Familie zerstören.

»Okay, dann lass’ es uns machen«, sagte Larry zu Raes Überraschung. Der Oracle-Boss hatte sich weder nach den Kosten noch nach möglichem Sponsoring erkundigt. Fragen, die üblicherweise eine solche Entscheidung maßgeblich beeinflussen, weil eine Cup-Kampagne einen Eigner zwischen 50 und 100 Millionen US-Dollar kosten und Jahre der Planung bis zum ersten Rennen verschlingen kann. Larry argumentierte, dass er das Football-Team der San Francisco 49ers kaufen, aber deswegen nicht selbst Quarterback werden könne. In diesem Fall jedoch konnte er ein Team kaufen und selbst das Steuer in die Hand nehmen. Er hatte den festen Vorsatz, selbst zu steuern.

SAYONARAS Manager Bill Erkelens stand etwa sechs Meter entfernt vom Tisch, als mit Robbie Naismith ein weiterer der siegreichen neuseeländischen Cup-Segler zu ihm herüberkam und mit leiser Stimme sagte: »Du gehst da besser mal rüber. Sie sprechen über eine America’s-Cup-Teilnahme. Und sie machen keine Scherze.«

Larry sagte Erkelens, dass er am America’s Cup teilnehmen wollte, falls sie SAYONARAS Designer Bruce Farr verpflichten könnten.

Erkelens schaute Larry an und nickte. Dann begann die Siegerehrung.

Erkelens war es gewohnt, von seinem Boss überrascht zu werden. Er war sechs Jahre zuvor von Larrys Nachbar David Thomas für den Bau und das Regattamanagement von SAYONARA eingestellt worden. Larry Ellison traf Erkelens persönlich erstmals, als er ihn in seinem Haus im kalifornischen Atherton besuchte, um ihm die fertigen Zeichnungen von SAYONARA zu zeigen. Sein Leben lang ein leidenschaftlicher Segler und Liebhaber von Booten, hatte Erkelens doch nie zuvor eine Yacht wie sie gesehen. SAYONARA würde spektakulär sein. Er und Thomas präsentierten die Entwürfe. Larry schaute sie an und hatte nur eine einzige Frage: »Kann sie gewinnen?« Danach erkundigte er sich mit Begeisterung in der Stimme, ob sie sich vielleicht die Zeichnungen von einem neuen Flugzeug ansehen wollten, dass er gerade baute. Erkelens verließ das Meeting ohne Idee, ob das SAYONARA-Projekt nun verabschiedet sei. Was er aber verstanden hatte, war die Tatsache, dass er es mit einem Exzentriker zu tun hatte.

Eine Woche nach der Siegerehrung auf Antigua und nach der Überführung von SAYONARA zurück nach Südflorida erhielt Erkelens einen Anruf aus dem Büro von Ellison. Larry war selbst am Apparat. »Hast du ihn verpflichtet?«, fragte Larry ohne Begrüßung.

»Wen verpflichtet?«, fragte Erkelens.

»Bruce Farr.«

»Du hast mit dem America’s Cup keine Scherze gemacht?«

»Nein, habe ich nicht.«

Yachthafen von San Francisco
Frühjahr 2000

Norbert schloss seine Werkstatt an der unteren Divisadero Street in San Francisco ab. Sie lag in einem von kleinen Handwerksbetrieben und Unternehmen besiedelten Gebiet. Ganz in der Nähe fanden sich öffentliche Wohngebäude und hier und da einige hippe Bars, Clubs und Cafés. Er stieg in seinen Truck und steuerte ihn in nördliche Richtung den steilen Teil Divisaderos hinauf in die Pacific Heights, wo einige der teuersten Immobilien weltweit zu finden waren. Als er den Broadway erreicht hatte, legte Norbert eine kurze Pause ein und schaute nach unten. Divisadero verschwand hinter ihm wie bei einer aufregenden Achterbahnfahrt. Vor ihm breiteten sich die Stadt und die Bucht wie ein wundervolles pastellfarbenes Gemälde aus. Sein Ziel, der Golden Gate Yacht Club, lag direkt voraus.

Bei seiner Einfahrt in den Hafen verlangsamte Norbert das Tempo, während er am St. Francis Yacht Club mit seinem Dach aus spanischen Fliesen und seinen imposanten Blicken über die Bucht vorbeifuhr. Zu seiner Rechten lag die Slipanlage für die Yachten der Mitglieder des St. Francis Yacht Clubs. Etwa 115 Meter die Straße hinunter passierte Norbert einen alten steinernen Leuchtturm, bevor die Straße sich erst von gepflegt in holprig und dann, auf dem letzten Stück zum Golden Gate Yacht Club, in völlig ungepflastert verwandelte.

Er parkte auf einem der vier Parkplätze vor dem Club und ging den mit Holz beplankten Weg entlang durch die große Tür mit ihrem Bullaugenfenster die Treppen hinauf in die Bar. Er hatte angefangen, mehr Zeit im Club zu verbringen, und war von Freunden aufgefordert worden, sich um das Amt des Kommodores zu bewerben. Er war offenbar genau das, wonach sie suchten: etwas jünger, ausgestattet mit einem kaufmännischen Diplom; er mochte schöne Boote und guten Wein und hatte über seinen Vater familiäre Bindung zum Verein. Jozo war 1996 nach Gertrudes Tod in den Golden Gate Yacht Club eingetreten, und Norbert war ihm gefolgt.

1939 von einigen Mechanikern, Zimmerleuten und Fischern auf einem Frachtkahn gegründet, war der Golden Gate als Gegenstück der Blaumänner zum blaublütig geprägten benachbarten St. Francis Yacht Club aus der Taufe gehoben worden. Er war zwischen der Marina Green und Crissy Fields beheimatet und lag an einem spektakulären kleinen Uferbereich, der von Joggern, Fahrradfahrern, Windsurfern und Touristen gleichermaßen geschätzt wurde. Das zweistöckige Clubhaus des Golden Gate Yacht Clubs war in einem weichen Nebelgrau gestrichen. Seine Räumlichkeiten waren so spartanisch wie die des St. Francis Yacht Clubs groß. Es war das Zuhause vieler Wochenendsegler, 250 Mitglieder und einiger Angestellter. Dieser Club verlangte eine bescheidene Aufnahmegebühr von 1000 US-Dollar und eine monatliche Mitgliedergebühr von 90 Dollar. Es war ein Ort, an dem man seine eigenen Getränke mitbringen durfte. Einmal im Jahr wurde Manuel Fagundes Seegras-Suppen-Regatta ausgerichtet, die nach dem singenden Barkeeper benannt worden war. Im Gegensatz dazu war der St. Francis Yacht Club einer der ehrwürdigsten Vereine des Landes mit Weltklasseseglern, 2500 Mitgliedern, 150 Festangestellten, Pokalvitrinen und Yachtmodellen hinter Glas. Die Aufnahmegebühr betrug 25 000 und der Monatsbeitrag 250 US-Dollar. Außerdem gehörte Tinsley dazu, eine kleine Insel im kalifornischen Delta, die in sechs bis acht Segelstunden von der Marina in San Francisco aus zu erreichen war. Oder auch in drei bis fünf Stunden mit einem Powerboot. Die Insel stand nur Mitgliedern offen. Maximal 100 Boote konnten dort anlegen. Der Golden Gate Yacht Club war zufrieden mit seinen Club-Essen, bei denen jeder etwas für den Fischeintopf beisteuerte.

Norbert gesellte sich zu einigen Mitgliedern an der kleinen Bar, die der Stadt den Rücken zukehrte und ihre Besucher auf die östliche Küstenlinie blicken ließ. Seine Frau Madeleine, die ihm in Sachen Charme und Redseligkeit in nichts nachstand, war ebenfalls auf dem Weg in den Club.

Clubmitglied Ned Barrett, der nur ein paar Blocks entfernt wohnte, war mit seiner Frau Carole da. Barrett wollte wissen, ob Norbert nun Ja zur Kommodore-Kandidatur gesagt habe. »Das machst du mal besser«, schmeichelte er, »denn sie haben mich dazu überredet, für den Posten des Vizepräsidenten zu kandidieren. Wir werden diesen Ort im Sturm nehmen.«

Norbert schaute seinen neuen Freund an und sagte, er würde immer noch darüber nachdenken.

Madeleine kam herein. Der Arbeitstag steckte ihr noch in den Knochen, aber sie war glücklich, Norbert zu sehen. Norbert stellte Madeleine Barrett vor, der sogleich berichtete, dass er der neue Vizekommodore sein würde. Und dass er Norbert dazu überreden wolle, den Posten des Kommodores zu übernehmen. Was Madeleine zur Kommodorin machen würde. Madeleine lächelte.

»Es wird doch niemals langweilig«, sagte Madeleine und ließ Norbert ein Glas Weißwein für sie bestellen.

Madeleine war von Norbert eingenommen, seit sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Sie hatte mit seiner Mutter in der Bank of America gearbeitet. Als Gertrude plötzlich nach Deutschland zur Beerdigung ihrer eigenen Mutter fliegen musste, hatte sie Madeleine gebeten, in ihrem Haus zu wohnen und darauf aufzupassen. Als Madeleine mit ihrem Sohn ankam, funktionierte das heiße Wasser nicht. Also rief sie Gertrudes Sohn an. Norbert kam, zündete die Flamme, und – so formulieren es beide gern – der Rest sei Geschichte. Ihr erstes Date hatten sie im Benihana. Dort unterhielten sie sich, bis die Lichter ausgingen und die Angestellten bereits in der Tür standen und auf sie warteten. Sie sprachen über Kinder, alleinerziehende Eltern und die Arbeit. Norbert hatte mit seiner ersten Frau zwei Kinder: Heidi und Nicholas. Beide Kinder waren schon aus dem Haus und an einem College. Madeleines Sohn aus ihrer ersten Ehe war ebenfalls aus dem Haus.

Madeleine empfand Norbert als stark und zuverlässig. Er war aber auch redseliger als sie, hatte Zeit in Europa verbracht, Kroatien und Deutschland besucht. Meistens allein, auch schon in jungen Jahren. In ihren Augen war er ein großartiger Typ: Er konnte Autos reparieren und ihre großen Koffer auf Flughäfen umherwuchten. Er tolerierte ihre Lippenstifte, ihre Rüschengardinen und ihre Wandschränke, die mit Kleidern vollgestopft waren, von denen er sagte, dass sie die gar nicht brauchte.

Vom ersten Tag ihrer Begegnung an war sich Madeleine sicher, dass ein Leben mit Norbert ein Abenteuer sein würde. Er war eine seltene Mischung aus

Beständigkeit und Zuverlässigkeit, hatte dabei aber diesen tollkühnen Charakter. Es war kurz vor sieben Uhr morgens. Die Bucht von San Francisco erschien als ruhiges Schiefergrau mit ein paar weißen Kritzeln darin – wie Kreide auf einer Tafel. Der Himmel war blassblau, und es gab keine Spur von Nebel. Die Insel von Alcatraz lag direkt voraus, die Bay Bridge thronte zur Rechten und war schon mit Autos bepackt. Die majestätische Golden Gate Bridge auf der linken Seite, die sich vom Presidio von San Francisco imposant zum Zentrum der abfallenden Marin Headlands erstreckt, legten Norbert und sein Vater mit Jozos Boot CROATIA im Westhafen der Marina von San Francisco ab, ein 30 Fuß langer Sea Ray Sundancer von 1978 mit zwei Motoren und einer Radarhalterung. In der Kühltasche waren Käse, Salami, Brot, Wein und Bier. Außerdem hatten sie Lachskaviar und frische Sardellen als Köder für den Stör dabei.

»Verdammt noch mal, fahr geradeaus!«, bellte Norberts Vater, »wir sind nicht auf Touristenfahrt. Mit deiner Fahrerei werden wir erst zum Sonnenuntergang dort sein.« Norbert schüttelte seinen Kopf, sein feinsäuberlich getrimmter Schurrbart hob sich, während er lachte. Immerhin zeigte sich das Wetter heute kooperativ. Norbert dachte an die Zeit, als er 14 Jahre alt war und Jozo darauf bestanden hatte, dass sie hinaus hinter die Golden Gate Bridge fuhren, um dort Streifenbarsche zu angeln. Norbert fuhr das fipsige 16-Fuß-Boot mit dem alten 30-PS-Johnson-Motor. Schnell waren sie draußen in der turbulenten See und der frostigen Kälte. Die Wellen schubsten sie umher, doch an Rettungswesten wurde kein Gedanke verschwendet.

Norbert schaute nach vorn auf die Gewässer bei der San Rafael Bridge und jene auf dem Kurs in die Bucht von San Pablo mit ihrem reichen Fischvorkommen inklusive der Streifenbarsche, Sardellen, Stinte, Butte und Störe.

Die CROATIA erreichte die Bucht von San Pablo, ein seichtes Gewässer mit einer tiefen Rinne in der Mitte der Bucht. Die Männer montierten ihre Köder auf die Haken und warfen auf der Suche nach den gründelnden Stören dickere Angelschnüre zum Testen aus. Sie zogen ihre Jacken aus und machten sich das erste Bier auf. Es war ein warmer Tag, und Norbert war klug genug, das Gespräch auf Minimalniveau zu halten. Die CROATIA war Jozos Hafen, sein Zufluchtsort nach dem Kirchgang, wo er heimlich ein Schlückchen Brandy trinken und vielleicht ein Nickerchen halten konnte. Vom Frühjahr bis in den Herbst angelten sie Lachse und Streifenbarsche. Die Wintermonate und der Frühlingsbeginn waren gut für Störe, obwohl es schon als respektabler Fang galt, wenn man einen oder zwei erwischte. Sie liebten es, Barsche zu fangen und daraus einen Gemüseeintopf mit großen Stücken des weißen Fisches zu machen. Während des Sommers ließen sie sich ohne Motor treiben und widmeten sich dem Schleppangelfischen. Der größte Lachs, den Norbert je gefangen hatte, war ein strammer Bursche von 20 Kilogramm. Diese großen Fische nannten sie Geschosse.

Langsam entspannten sie sich. Norbert verstand, dass die wichtigste Sache beim Angeln Geduld war. Die Stille zwischen ihnen beiden war angenehm. Nach einer Weile begann Jozo Geschichten auf Kroatisch zu erzählen, hin und wieder auch einen unanständigen Witz. Sie sprachen auch über die Nachrichten des Tages: Der Skandal um Bill Clintons Amtsenthebungsverfahren und den Freispruch des Senats im Jahr zuvor, im Frühwinter 1999, erstaunte Jozo immer noch. So wie der große Konflikt im Kosovo, der seiner Heimat so nah war.

Von Zeit zu Zeit sprach Norberts Vater über seine Kindheit im von Tito beherrschten kommunistischen Jugoslawien. Jozos Fischerdorf Hodilje lag an der Küste Dalmatiens an der Adria. Hodilje bedeutete in der kroatischen Sprache »kleiner Dornhai«. Das Dorf war ein Ort, an dem Kinder lernten, einen Fisch zu bestimmen, bevor sie einen Fuß in die Schule setzten. Im Alter von 18 Jahren, am 22. Mai 1952 und nach vier Monaten angstvoller Planung, verließen Jozo und vier Freunde Hodilje in einer dunklen Nacht. Sie marschierten viele Kilometer bis zu einem steinigen Strand. Dann schwammen sie nach Olepi. Dort wartete etwas ganz Außergewöhnliches auf sie: ein motorisiertes Segelboot, das einem kommunistischen Arzt gehörte. Die jungen Männer – Jozo, Bendo, Rafo, Dani und Ante – flohen aus ihrem Leben, das von Unterdrückung und Armut geprägt war. Jozos älterer Bruder war derjenige gewesen, der auf dem Boot des kommunistischen Arztes hätte sein sollen. Doch er war geblieben. Zwonkos Jugendliebe Maria, die seine Frau und Mutter seiner Tochter geworden war, konnte ihre Familie nicht verlassen und hatte ihn gebeten zu bleiben. Also nahm Jozo Zwonkos Platz an Bord ein. Sie verbrachten fünf Tage ohne Wasser und Nahrung auf dem nur 4,20 Meter langen Holzsegelboot, denn die Vorbereitung von Proviant hätte jemanden misstrauisch machen können. Nur wenige Wochen zuvor war Jozos Cousin bei einem ähnlichen Fluchtversuch geschnappt und ins Gefängnis gesteckt worden. Als Jozo und seine vier Freunde im Seehafen Bari von der italienischen Polizei aufgegriffen wurden, sorgte ihre mutige Flucht vor dem Kommunismus für einige Schlagzeilen in Italien – und zu Hause in Hodilje.

Von Italien wurden Jozo und die anderen jungen Männer zum Arbeiten nach Deutschland geschickt. Jozo lernte Gertrude in einer Tanzhalle in Kaiserslautern im Südwesten Deutschlands kennen. Die beiden begannen sich öfter zu treffen. Jozo war ein Romantiker und umwarb Gertrude. Sie war beeindruckt von seinem guten Aussehen und seiner Arbeitsmoral. Sie hatten Verwandte in San Francisco, die ihnen erzählten, dass Amerika ein Land war, in dem sich mit harter Arbeit ein gutes Leben führen ließe. Jozo und Gertrude Bajurin und ihr kleiner Junge namens Norbert kamen am 14. Februar 1957 in Amerika an. Sie waren an Bord eines US-Navy-Truppentransporters, der USS GENERAL LANGFITT, von Bremerhaven in die Vereinigten Staaten gefahren. Norbert und seine Mutter blieben im Frachtraum unter Deck, während die Männer weiter oben untergebracht waren. Jozo und Gertrude trafen sich mit Norbert im Schlepptau zu den Mahlzeiten und zu Spaziergängen an Deck. Als das Schiff in den Hafen von New York einlief, schickte Jozo ein kleines Gebet gen Himmel. Boote waren gut zu den Bajurins gewesen. »Wir kamen mit dem Boot hierher«, pflegte sein Vater jetzt zu sagen, »und haben es hier ohne Hilfe geschafft.«

Jozo hatte damit begonnen, tagsüber Gräben auszuheben und nachts Pizza zu backen. Heute gehörte ihm die Werkstatt Alouis Auto Radiator in San Francisco. 1965 hatten er und Gertrude in Marin County ein kleines Haus für 35 000 Dollar gekauft. Seinem Sohn erzählte Jozo immer wieder: »Als ich noch ein Junge war, trug ich meine Schuhe auf dem Weg zur Schule immer über der Schulter, um die Sohlen vor Abnutzung zu bewahren.« Hodilje war ein Ort, an dem die Väter ihren Söhnen das Fischerhandwerk beibrachten und dabei Netze benutzten, die alt und begehrt wie ein Erbstück waren. Doch Norbert hatte das Fischen von den Freunden seines Vaters gelernt. Jozo konnte sehr schnell ungeduldig werden und war niemals wirklich richtig zufrieden mit seinem einzigen Sohn gewesen, den er über Tage, Wochen oder auch Monate mit seinem typischen Schweigen bedachte.

Es war sonderbar, dachte Norbert nun, dass er sich nicht an einen einzigen Tag in seinem Leben erinnern konnte, an dem sein Vater auf ihn stolz gewesen zu sein schien. Er war als Kind ein guter Fußballspieler gewesen, doch Jozo hatte sich nicht ein einziges Spiel angesehen. Er war auch ein pflichtbewusstes Kind gewesen. Da seine Eltern beide arbeiteten, kam er von der Schule in ein leeres Haus, machte ihre Betten und seines, den Abwasch und deckte den Tisch. Sogar noch bei Tisch klagte der europäisch geprägte Vater, wenn er riesige Mengen Milch trank: »Wann hörst du endlich mit der Milchtrinkerei auf und fängst an, Wein zum Essen zu trinken?« Was immer er tat, war falsch.

Als sie nach dem Mittagessen an Bord der CROATIA immer noch nichts gefangen hatten und die Miene seines Vaters sich langsam verdüsterte, sagte Norbert: »Du, Papa, ich glaube, ich habe Neuigkeiten für dich, die dir gefallen werden.«

Sein Vater blickte in seine Richtung. Norbert hatte immer gedacht, dass Jozo – wären da nicht diese leuchtend blauen Augen – mit seiner Größe, seiner Stattlichkeit und der gekrümmten Nase aussehen würde wie der Schauspieler Robert De Niro.

»Ich bin zum Kommodore des Golden Gate gewählt worden.«

Jozo schüttelte seinen Kopf. »Bist du verrückt geworden?«

»Papa, du liebst doch diesen Club«, sagte Norbert überrascht.

»Konzentriere dich aufs Geschäft«, sagte sein Vater verärgert, schwenkte seinen Sitz und kehrte ihm den Rücken zu. Es war die gleiche abrupte Beendigung des Gesprächs, die er in seinem letzten Jahr an der Highschool im Frühjahr 1974 erlebt hatte. Er war im November 18 Jahre alt geworden. Sein Einberufungsbefehl kam wenige Monate später. Er traf einen der Musterungsoffiziere. Ihm gefiel, was das Militär zu bieten hatte. Seine Eltern erwarteten von ihm ein Studium an der Universität von San Francisco, wo er bereits angenommen worden war. Doch Norbert hatte andere Pläne. Er verpflichtete sich für drei Jahre in der Armee und informierte seine Eltern erst nach der Entscheidung. Zuerst sprach er mit seiner Mutter darüber, denn er fürchtete sich vor der Reaktion seines Vaters. Er lauschte, als die beiden darüber diskutierten, wie sie ungeschehen machen könnten, was er getan hatte. »Können wir zu unserem Priester gehen und die Sache ändern lassen«, bettelte seine Mutter bei Jozo. Aber es war zu spät. Norbert verließ sie bald darauf, um in der Garage eines Freundes zu leben. Sein Vater sprach nicht mehr mit ihm. Norbert wurde trotzdem mehrfach ausgezeichnet und geehrt.

Nachdem sie zwei Störe gefangen und einen dritten freigelassen hatten, weil er die minimale Länge unterschritt, packten Norbert und Jozo zusammen und fuhren heim in Richtung San Francisco. Als sie aus dem geschützten Meeresarm hinausfuhren, konnte Norbert den dicken Nebel sehen, der sich über der Landzunge ergoss und wie die Finger einer Hexe nach den düsteren Stahlseilen der Golden Gate Bridge zu greifen schien. Die Nebelhörner bellten in ihrem tiefen nachhallenden Klang. Zwei von ihnen waren am Steg unter dem Südturm etwa sechs Meter über der Wasserlinie angebracht. Drei weitere hingen in der Mitte der Brücke. Norbert gefiel es, dass die moderne Technologie die Hörner bislang nicht ersetzt hatte. Sie waren seit Eröffnung der Brücke in Betrieb. Norbert wusste aufgrund der in der Bucht verbrachten Zeit, dass die Hörner am Steg einen längeren und tieferen Einzelton aussandten als die in der Mitte, die zwei Töne abgaben.

Die Bucht der Stadt bot einen schönen Anblick. Der nahende Nebel hatte die puderige blaue Farbpalette in ein perlmuttfarbenes Grau verwandelt. CROATIA fuhr so schnell sie konnte, um dem Nebel zu entkommen. Jozo hatte kein Wort gesagt, seit Norbert den Yacht Club und seine zukünftige Rolle als Kommodore erwähnt hatte.

Als er das Thema noch einmal anschneiden wollte, blickte sein Vater ihn kalt an: »Bleib bei dem, was du kannst«, beschied er ihm, »bleib bei den Kühlern und Klimaanlagen.«

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