Kitabı oku: «Wie Kinder sprechen lernen», sayfa 12

Yazı tipi:

Hunger auf Wörter

Niemals rieche ich Maßliebchen, ohne wieder jene Morgenstunden voll Begeisterung zu durchleben, in denen meine Lehrerin und ich über die Felder wanderten, während ich neue Wörter und die Namen von Dingen lernte

(Helen KellerKeller, Helen).

Sobald ihr das Wort gefingert wird, verschwinden Helens alte Behelfsgesten und Pantomimen, so wie andere Kinder ihre Babywörter aufgeben. Helen und ihre Lehrerin belassen es natürlich nicht beim Benennen von Gegenständen. Als erste Verben kommen sitzen, stehen, gehen hinzu. In und auf lernt Helen, indem sie selbst in den Schrank und auf den Tisch gestellt wird. Langsam und schnell lernt sie am unterschiedlichen Tempo des Wollewickelns. Auf der Grundlage eines solchen konkreten Wortschatzes gelangt sie ebenso wie ein normal entwickeltes, zweijähriges Kind zu Wörtern wie gut, schlecht, glücklich, traurig, lieben oder hassen. Und genau so beginnt sie auch mit Einwortsätzen, während ihre Lehrerin ihr schon ausformulierte Sätze zufingert, die sie auch versteht:

Wie ihre kleine Cousine drückt sie ganze Sätze durch einzelne Worte aus. »Milch«, mit einer Handbewegung bedeutet: »Gib mir mehr Milch«; »Mutter«, begleitet von einem fragenden Blick, bedeutet: »Wo ist Mutter?« Buchstabiere ich ihr aber in die Hand: »Gib mir etwas Brot«, so reicht sie mir das Brot; und wenn ich ihr sage: »Hole deinen Hut, wir wollen spazieren gehen«, so gehorcht sie augenblicklich.1

Wäre es nicht naheliegend – und viel, viel einfacher – gewesen, nur die Wörter Hut und spazierengehen anstelle des ganzen Satzes zu fingern? Die Kommunikation hätte ja ebenso gut geklappt! Man kann hier nur Anne SullivanSullivan, Anne bewundern, die intuitiv das Richtige tut. »Ich muß ihr in die Hand sprechen, wie wir dem kleinen Kinde in das Ohr sprechen«, sagt sie sich.2 Helen wächst somit wie andere Kinder unmerklich in die GrammatikGrammatik hinein, ohne daß diese erklärt wird. Als erstes Bindewort taucht bei ihr quasi wie von selbst das Wörtchen und auf. Allerdings: Anfangs hatte ihr Anne sehr wohl nur Einzelwörter – Puppe, Becher, Milch usw. – in die Hand buchstabiert und mit klaren Eins-zu-eins-Zuordnungen schließlich das entscheidende Bedeutungserlebnis herbeigeführt. Beim Fingeralphabet fehlen ja die rhythmisch-intonatorischen Mittel der Hervorhebung, die Eltern einsetzen, um Wort und Ding eindeutig zusammen zu bringen: »(Unddasistdein) Entchen

Wenn Kinder sich bewußt werden, daß unser Empfinden und Wahrnehmen, Wünschen, Wollen und Denken von der Sprache ergriffen und mitteilbar wird, führt dies zu einer wahren intellektuellen Explosion. Staunend stehen wir vor diesem Wissensdrang des Kindes, das seine Welt auf den Begriff bringen und mitteilen will. Das Wort ist das Siegel, das wir auf den Begriff setzen, um ihn verfügbar zu machen und in unseren Umgang zu verwickeln.

Helen deutet diese Befreiung als Erwachen der Seele.

Fortwährend tastete ich mit meinen Händen umher und lernte die Bezeichnung für jeden Gegenstand, den ich berührte, kennen, und je mehr ich mit den Dingen bekannt wurde und ihre Bezeichnungen und ihre Zwecke kennen lernte, desto freudiger und stärker wurde das Bewußtsein meiner Verwandtschaft mit der übrigen Welt.3

Einen ähnlichen Durchbruch schafft der gelähmte Christie BrownBrown, Christie mit fünf Jahren. Von ihm werden wir später noch mehr hören (S. 213f.). Er entdeckt, daß er mit Hilfe seines linken Fußes schreiben kann:

Wenn Mutter zu tun hatte, arbeitete ich allein weiter, immer wieder versuchend, neue Wörter zu erlernen, wann immer ich ihnen begegnete. Ich pflegte es mit den Namen der Gegenstände im Haus und um mich herum zu probieren, ich versuchte, sie zu buchstabieren, wie zum Beispiel Feuer, Bild, Hund, Tür, Stuhl und so weiter. Ich war sehr stolz auf mich, wenn ich ein neues Wort bewältigt hatte und es für Mutter niederschreiben konnte, um ihr zu zeigen, was für ein großartiger Schüler ich war.4

Kinder liegen geradezu auf der Lauer nach Ähnlichkeiten und Sinnverknüpfungen aller Art und zeigen dabei ihr wachsendes Verständnis der Welt durch Wörter an: Die Mutter erzählt Nicole, daß ihr Bruder zur Kirche fährt. Darauf bekundet Nicole verständnisinnig tita, was hier wohl heißen soll, An der Kirche ist eine (Tick tack) Uhr. Mit 1;6 findet sie ein Etui und meint delt, also etwa: Da gehört Geld rein.5 Kinder suchen aktiv nach Zusammenhängen, stiften selbständig Beziehungen. Sie sind keine Kübel, in die Eltern Sprache nur hineinschütten.

Die Betreuer der 13-jährigen, lange Jahre in einem Verschlag versteckten GenieGenie (Käfigkind), über die wir ebenfalls später noch berichten (S. 357ff.), schildern, wie ihre Patientin sie überall im Heim herumführt, dabei all die unbekannten Möbel und Gerätschaften berührt und sofort ihre Namen wissen will. Sie wird richtig ungeduldig, wenn sie auf etwas zeigt und ihre Begleitung nicht gleich ausmachen kann, was sie denn genau meint. Bei Einkaufsgängen will sie sich spontan Vokabeln abhören lassen, zeigt auf die Läden und Waren, sagt ihre Namen und läßt sie sich bestätigen. Ihr Hunger auf Wörter gleicht einer regelrechten AufholjagdWortAufholjagd.

Diese Lernbegier, wie sie in den biographischen Zeugnissen in ergreifender Weise geschildert wird, ist nicht immer nur ein Nachholbedarf der Spätgekommenen. Der Reiz und Rausch der Wörter begegnet uns auch bei normal entwickelten Kindern meist nach dem 18. Lebensmonat, wenn die Sprache plötzlich durchstartet; wenn die Kleinen in ihrem Wissensdrang geradezu lästig werden können und ihr Wortschatz rapide anwächst.

Das Ehepaar SternStern, Clara und William berichtet:

Bei Hilde beobachteten wir um 1;6, daß die Frage isn das? oder das Demonstrativ das! das! ihr Sprechen und Denken beherrschte und für alle möglichen realen Objekte und Abbildungen Bezeichnung heischte; zugleich nahm auch der Wortschatz einen plötzlichen Aufschwung. Desgleichen begann Günther um 1;7 mit der Frage: das? das? die Namen der Gegenstände unermüdlich zu erforschen; aber bei ihm vergingen einige Monate, bis der Same im eigenen Sprachgebrauch aufging. Bei unserem dritten Kinde trat die plötzliche Wortschatzsteigerung wieder früher auf, nämlich um 1;7;… Andere Kinder brauchen ähnliche Formeln wie isse? wasn das? oder is denn das wieder? So wird diese Zeit oft das erste Fragealter genannt.6

Beim ziemlich wortkargen Günther kommt die – körperlichen Wachstumsschüben vergleichbare – Wortschatzsteigerung sechs Monate später als bei seiner älteren Schwester; für die Eltern war der Bann »mit einem Zauberschlage gebrochen.« Neue Wörter kommen jetzt »wie ein Platzregen«, und die Mutter, die sorgfältig Tagebuch führt, kommt gar nicht mehr mit.7

Ein solch deutlicher »Vokabelspurt« muss aber nicht bei jedem Kind auftreten und kann auch später erfolgen als gewöhnlich. Als Bubi schon zweieinhalb Jahre alt ist und schon ordentliche Sätze hervorbringt, packt ihn noch gelegentlich der Hunger auf Wörter:

Das Verlangen, seinen Wortschatz zu bereichern und die Namen der ihn umgebenden Dinge kennen zu lernen, ist so groß, daß er uns oft bei der Hand nimmt, durch die ganze Wohnung zieht und eine Flut von Fragen über uns ergießt, indem er auf alle ihm lautlich noch unbekannten Dinge zeigt: »Was d’nn das? is denn das wieder?«8

Als ob sie die Welt sprachlich abarbeiten müßten, um sie zu vereinnahmen und in ihre Gewalt zu bekommen. Denn die Wörter streben bei ihrem raschen Anwachsen sehr schnell einer kritischen Schwelle zu und können so immer mehr aufeinander verweisen und sich wechselseitig erklären. Wie schade, wenn wir später abstumpfen sollten und aufhören, weiterzufragen!

In zwei SprachenZweitsprache, Zweisprachigkeit aufwachsende Kinder versuchen ebenfalls durch Nachfragen WortlückenWortWortlücke zu füllen, die sie in der anderen Sprache schon geschlossen haben, wie hier die zweieinhalbjährige, in Rom aufwachsende Giulia, die mit ihrer Mutter deutsch spricht:


Giulia:

Kinder lernen aber nur fragen, weil ihre Eltern sie zuvor gefragt haben, zuerst mit Blicken, dann mit Blicken und Wörtern, und schließlich mit Wörtern allein.Pinker, Steven10

Frühstarter und Spätzünder

SzagunSzagun, Gisela hat für deutschsprachige Kinder mit dem Elternfragebogen FRAKIS Normen für Wortschatzerwerb und Grammatikaufbau ermittelt. Der Wortschatz von 1240 Kindern im Alter zwischen 1;6 und 2;6 wurde erfasst, indem die Eltern aus einer Liste von insgesamt 600 Wörtern diejenigen ankreuzten, die sie von ihren Kindern gehört hatten. Die Ergebnisse bestätigen die hier wiedergegebenen amerikanischen Daten von Bates, die an mehr als 1800 gesunden und normalen Kindern gewonnen wurden.1

Wie viele Wörter werden von Kindern von 8 bis 16 Monaten verstanden? Die Schnellstarter verstehen mit 8 Monaten schon um die 90 Wörter, im Schnitt schon 20 mehr, als die Spätstarter erst mit 16 Monaten deuten können. Allerdings liegen nicht nur Zeitverschiebungen vor, so als ob einige Kinder genau das Gleiche im Alter von 16 Monaten durchmachen, was andere eben schon mit 8 Monaten gemacht haben. In diesem Zeitraum passiert von Monat zu Monat sehr viel. Sich selbst und die Welt entdecken und verstehen, das alles entwickelt sich ja weiter, ob nun mit vielen oder mit wenigen Worten. Die anderen Reifungs- und Entwicklungsprozesse bringen ihre Erträge ein. Mit Sicherheit werden die wenigen Worte von den 16 Monate alten Spätstartern auf eine andere Art und Weise verarbeitet als die vergleichsweise vielen bei den 8 Monate alten Frühstartern.


Sprachverstehen: Anzahl der verstandenen Wörter von 8–16 Monaten


Sprechbeginn: Anzahl der produzierten Wörter von 8–16 Monaten

Noch größer als beim Sprachverstehen ist die Spannbreite beim aktiven Sprechbeginn: Wann fangen sie an, und wie schnell vermehrt sich der Wortschatz? Die Spätsprecher fangen erst gar nicht vor 1 1/2 Jahren an, im Durchschnitt beginnt der Gebrauch von Worten so um das erste Lebensjahr, während Frühsprecher schon mit 10 Monaten ca. 12 Wörter gebrauchen.

Mit etwa 1 1/2 Jahren machen sich auch die Spätsprecher auf den Weg und sind mit 30 Monaten ungefähr auf dem Stand wie der Durchschnitt mit ungefähr 26 und die Frühstarter mit etwa 22 Monaten. Das Kind braucht eine kritische Versuchsmasse von ca. 50 Wörtern, die einen brauchbaren Silbenbaukasten abgeben. Dann ist nicht jedes neue Wort ein völlig neues Ereignis, sondern neue Wörter können aus den gleichen Bausteinen neu zusammengefügt werden. Ist dieses Baukastensystem der Wortbildung erkannt, wird die Sprechflüssigkeit und damit auch die Freude, sich auf immer wieder neue Wörter einzulassen, erhöht. Werden mit 2 Jahren nicht mindestens 50 Wörter produziert, kann das ein alarmierendes Zeichen sein, muss aber nicht. Obwohl unterhalb der hier als normal dargestellten Bandbreite, holen etwa die Hälfte bis drei Viertel dieser Kinder den Rückstand später wieder auf. Aber bei den übrigen Kindern ist mit einer Sprachbehinderung zu rechnen. Der Wortvorrat reichte nicht aus, um weitere Entwicklungen anzustoßen.2 Im Abschnitt »Verzögerte Sprachentwicklung« (S. 351) greifen wir diese Thematik wieder auf.


Anzahl der produzierten Wörter von 16–30 Monaten

Weiterhin ändert sich in dieser Zeit dramatisch der Bedeutungsspielraum und die Bedeutungsart der Wörter. Mit der Zunahme der Wörter werden auch die Bedeutungen immer präziser auf die von der sprechenden Mitwelt vorgegebenen abgestimmt. Verben und die geschlossene Gesellschaft der grammatischen FunktionswörterFunktionswörter (und, mit, wo, wann, weil, der, die, das etc.) tauchen auf. Der Zusammenhang zwischen Wortschatz- und Grammatikerwerb ist sehr eng. Kinder, die schnell viele Wörter aufnehmen, kommen auch schnell zur Grammatik – ein Zusammenhang, der von Gisela SzagunSzagun, Gisela erneut bestätigt wurde.

Unsere nächste Grafik beleuchtet das Verhältnis von verstandenen und gesprochenen Wörtern. Bei etwa 150 bis 200 verstandenen Wörtern gibt es bei den meisten Kindern einen deutlichen Anstieg der Wortproduktion. Aber es gibt auch Kinder, die – aus welchen Gründen auch immer – noch andere und zusätzliche Anreize brauchen. Die Spätsprecher verstehen durchaus, doch die Initialzündung zum Wortspurt bleibt noch aus.


Anzahl der produzierten Wörter in Abhängigkeit von der Anzahl der verstandenen Wörter

Mit zwei Jahren sind Kinder bei 200 bis 300 Wörtern angelangt, am Ende verfügen deutsche Schulanfänger – nach Messungen aus den siebziger Jahren – über einen Aktivwortschatz von über 5.000 Wörtern, können aber fünfmal so viele Wörter verstehen.3 Der individuelle Wortschatz eines gebildeten Erwachsenen umfaßt 10.000 bis 15.000 aktive und bis zu 200.000 passive Wörter. So wird durch Sprache die ganze Welt zum Thema des Menschen.

Das »Mutterische« nach Sprechbeginn: eine Art Unterricht?

Eltern lehren die Kinder nie Sprache, ohne daß diese nicht immer selbst mit erfänden.

(Johann Gottfried HerderHerder, Johann Gottfried)

Anpassung ohne grammatische Dosierung

Das »MutterischeMutterische (Elternsprache)« meint – in Anlehnung an das englische motherese – die Art, in der Mütter mit Säuglingen und Kleinkindern kommunizieren. Man braucht aber nicht tatsächlich Mutter geworden zu sein, um das »Mutterische« zu sprechen. Auch Nichtmütter verwenden es als Babysitter oder in Rollenspielen; desgleichen Väter und ältere Geschwister. So wäre auch »Elternsprache« (engl. parentese, caretaker speech) angebracht. In Anlehnung an child-directed speech verwendet SzagunSzagun, Gisela (2016) die Abkürzung KGS – an das Kind gerichtete Sprache. Die ältere Bezeichnung »Ammensprache« (baby talk) wird heute für das mütterliche Ansprechen des Kleinkinds vor Sprechbeginn reserviert.

Mütter passen sich den Fortschritten ihrer Kinder kontinuierlich an. Sie lassen sich durch das Kind leiten und dosieren ihre Anregungen entsprechend der kindlichen Aufnahmebereitschaft. Das melodisch-ausdrucksvolle »Mutterische« für das Säuglingsalter, eben die Ammensprache, ist anders als die an Zweijährige, die schon sprechen, und wieder anders als die an Fünfjährige gerichtete Sprache.

Allerdings: Eltern haben keinen Lehrplan. Ihre Sprache ist nicht wie ein Lehrbuch in grammatische Kapitel eingeteilt.

Die Grundregel des »Mutterischen« besteht darin, verständlich und dabei grammatikalisch korrekt zu sprechen. Zwar benutzen Eltern anfangs verniedlichende Babywörter und Kosewörter, die so in der Erwachsenensprache nicht vorkommen: taita statt spazierengehen, hmhm statt essen usw. Aber sie sprechen grammatisch richtig und gehen keine Kompromisse ein wie etwa beim sog. »Ausländerdeutsch«.

Den Schlüssel zum Verständnis des Mutterischen liefert somit der Vergleich: Warum unterscheidet sich das Mutterische sowohl vom Sprachunterricht wie auch vom Ausländerdeutsch, das heute noch gelegentlich gegenüber radebrechenden Fremden verwendet wird:

(Beim Ausfüllen eines Fragebogens): »Hier du Kreuz machen.«

(Am Mittagstisch in der Familie): »In Deutschland das Kartoffelsalat heißen.«

Nach unseren Erfahrungen ist dies keineswegs herablassend gemeint. Vielmehr ist der Wunsch überdeutlich, voll und ganz verständlich zu sein und in Notsituationen wirksam zu helfen. Warum sprechen Mütter dann nicht auch so? Hier geht es doch auch in erster Linie um Verständigung! Daß sie mit ihren Kleinkindern z.T. grammatisch vereinfacht, aber richtig sprechen, ist uns selbstverständlich. Zu selbstverständlich. Wir sollten über solche Selbstverständlichkeiten stolpern und stutzig werden!

»AusländerdeutschAusländerdeutsch« wird in punktuellen Begegnungen und bei flüchtigen Bekanntschaften gesprochen. Ein Verständigungsproblem ist möglichst rasch zu lösen. Der Umgang mit dem Kind ist jedoch von Dauer und auf dauernden Spracherwerb ausgerichtet. Beim Ausländerdeutsch fehlt das Motiv, das Eltern bewußt oder unbewußt leitet: Sprache zu lehren.

Bleibt die Frage, wie und warum sich das Mutterische auch vom Vorgehen der Sprachlehrer unterscheidet.

Vokabelgleichungen, Trennhilfen und Lehrerfragen

Eltern erteilen Sprachlektionen – en miniature – aber eben eher unbeabsichtigt. Würden sie ihren Kleinen wirklich Sprachunterricht geben wollen, würde der Versuch kläglich mißraten. Trotzdem verwenden sie teilweise die gleichen didaktischen Tricks wie FremdsprachenlehrerFremdsprachen, F.-Unterricht. Kommt z.B. ein neues Spielzeug in die Badewanne, heben sie das Wort in ihrer Rede so hervor, daß das Kind gewissermaßen eine Vokabelgleichung aufstellen kann: »Aha, (dasheißtalsojetzt) Entchen«. »Entchen« als neuer Geschehensschwerpunkt hebt sich ab vom bekannten Hintergrund der Badezeremonie. Wort und Welt werden zur Deckung gebracht. Zusätzlich zu solchen »Vokabelhilfen« geben sie »Trennhilfen«, so daß die den Inhalt tragenden Wörter aus dem Satz herausgelöst werden können. Trennhilfen gibt’s aber längst nicht immer. Äußerungen wie:

Nukommschon

Numachschon

Nutrinkschon

müssen die Kinder wohl von selbst auseinander dröseln. Wir, als der Schrift verhaftete Erwachsene, die wir die Wörter im Druck säuberlich getrennt vor uns sehen, vergessen, wie die Einzelwörter in der Rede normalerweise aneinanderkleben undinihrgleichsamverschwinden. Aber erst wenn wir eine Fremdsprache lernen und Mühe haben, die ineinanderfließenden Klanggebilde zu entschlüsseln, werden wir uns dessen wieder bewußt.

Daß Kinder Trennhilfen brauchen, verrät uns der gut vierjährige Bubi, der eine Zeitlang an den unmöglichsten Stellen vor das »du« ein s zu setzen pflegte, wahrscheinlich in Anlehnung an Formen wie gehste (gehst-du), biste (bist-du), siehste (siehst-du). So sagte er statt »wenn du«, »weil du«, »wie du«, »ob du«, »die du« – »wennste«, »weilstu«, »wiestu« »obstu«, »diestu«: »Die Kiste, diestu auf den Tisch gestellt hast …« oder »wennste nich artig bist, wer’ ich dich ins Wasser wäfen.«1 Ein schönes Beispiel liefert Hilde Stern (3;10), die oft mit einem »Zerlaubst du’s?« um Erlaubnis bittet. Des Rätsels Lösung: Das z /ts/ stammt wohl aus dem Satz: »Die Mutter, der Vater hat’s erlaubt.« Ihr Bruder Günther, zweieinhalb, nennt den Weihnachtsbaum »Otannebaum« nach dem bekannten Weihnachtslied. Und natürlich haben nicht nur Ausländer, sondern auch deutsche Muttersprachler mit den »trennbaren Verben« ihre Probleme, wie wiederum Hilde (5) dokumentiert: »Warum wortest du nicht an? Warum wortest du mir nicht an?« Weitere falsche Abtrennungen und Worteinteilungen von verschiedenen Kindern:

mit’n das Messer

die Abalo, meine Abalo (Diabolospiel)


Oma: Schau mal, die Papagaien!
Olivia: Papagai, Mamagai und Babygai.
Papa: Das sind doch gar keine Pakete.
Gisa: Gisa offen machen! Gisa dahfa (darf-er) doch offen machen!
Gisa: Magse nich (Mag ich nicht). Papa mags das.

Wie im Deutschen und Englischen bereitet auch im Französischen die richtige Scheidung zwischen Artikel und Hauptwort Probleme; so tauchen statt l’oiseau (der Vogel) auch Fehlformen auf wie le loiseau und le soiseau, statt l’ascenseur (der Lift) la senseur und viele ähnliche Fehler.


Ein englisches Beispiel:
Mother: Don’t argue.
Hugh (3;0): I don’t arg me.

Hugh hat argue (widersprechen) als arg you oder arg Hugh mißverstanden, wobei unklar ist, was er sich überhaupt unter arg vorgestellt hat.2

An Unterricht erinnern auch die typischen »Lehrerfragen«, die eigentlich gar keine Fragen sind. Die Eltern wissen die Antwort ja schon und fragen, genau wie der Lehrer, nur um die Kinder zu sinnvollen Äußerungen zu bewegen. Im Englischen spricht man hier von display questions, also von Vorzeigefragen: Die Schüler erhalten durch sie die Gelegenheit, ihre Kenntnisse vorzuzeigen.

So ahnt die Mutter schon, was die eineinhalbjährige Jenny will, nämlich ihre Teeflasche. Sie stellt sich aber dumm, möchte gerne, daß Jenny auch »Tee« sagt. Sie hat ja schon einmal so etwas wie »tä« gesagt. Also fragt die Mutter, indem sie auf Verschiedenes zeigt: »Willst du das? Oder das?« Jenny verneint jeweils mit einem »gägä« Laut, verändert aber die Intonation deutlich, als endlich das Teefläschchen an der Reihe ist. Diesmal gelingt es also nicht, ihr das Wort zu entlocken: vielleicht hat Jenny einfach Spaß an dem Spiel. Sie ist noch im Einwortstadium und läßt sich nicht häufig herab, vernehmlich »tä« zu sagen. Mütter wissen meistens, ob ihr Kind ein betreffendes Wort schon einmal gebraucht hat – genauso wie der Lehrer die Übersicht über den Stoff behält, den er durchgenommen hat.

In den folgenden Ausschnitten haben die Mütter mehr Erfolg als bei Jenny. Es gelingt ihnen, den Kleinen das passende Wort zu entlocken.3


Maria (1;9) zeigt beim Betrachten eines neuen Bilderbuches auf einen Hahn und äußert zur danebensitzenden und zusehenden Mutter:
Maria: ga
Mutter: was ist das?
Maria: gi gi
Mutter: und wie macht der Hahn?
Maria: ki ki
Mutter: jawoll
Julia (2;6) sitzt auf dem Schoß der Mutter und äußert plötzlich:
Julia: mein Hallo
Mutter: dein was?
Julia: mein Hallo
Mutter: dein was?
Julia: mein Telefon
Mutter: na da geh doch, hol dein Telefon, da telefonieren wir beide ja
Julia: ja
Mutter: los, holst de ma.

Auffällig ist auch, daß Kinder bei Rückfragen Varianten des zuerst Gesagten anbieten, so als ahnten sie, daß sie sich vielleicht nicht richtig oder verständlich genug ausgedrückt haben:


S. (1;10, geht mit einer Dose zum Vater): Schrauben machen.
Vater: Was soll ich machen?
S. (gibt ihm die Dose): Macht schrauben.
Valle (2;10): Die ham sich die Farben abmacht! (Der Regen hatte Farben von der Scheibe gewaschen)
Mutter: Hm?
Valle: Die ham die Malen abmacht.
Mutter: Die ham das Gem-, was da gemalt war, weggewaschen, ja.

(Man beachte, daß »Farbe« zwei Bedeutungen hat, die das Englische in colour und paint trennt)

Als Valle zum zweiten Mal ansetzt, läßt er das falsche »sich« weg, ersetzt aber auch »Farben« durch »Malen« und verschlimmbessert nur. Aber es kommt auf das Prinzip an. Rückfragen sind wichtig, ist es doch oft gar nicht so einfach zu verstehen, was die Kinder wirklich meinen. Mit unseren Klärungsversuchen bekunden wir unser Interesse am Gesagten. Wir bleiben beim Thema, wollen wissen, ob wir's richtig verstanden haben und geben dem Gesprächspartner zugleich die Gelegenheit, es noch mal, ja besser, klarer, genauer zu sagen. Wir würden allerdings nur wenig erreichen, wenn die Kinder nicht schon von sich aus mitarbeiten würden und uns gern auf die Sprünge helfen.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.