Kitabı oku: «Feenders», sayfa 6
11 – Nieuweschans
Am Freitag, dem 10. Mai 1940, begann der als »Fall Gelb« bezeichnete deutsche Angriff auf die Beneluxstaaten und Nordfrankreich. Ab dem 5. Juni schloss sich der »Fall Rot«, der Vorstoß auf Südfrankreich und in Richtung der Schweizer Grenze an.
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Posten van de Koninklijke Landmacht aan de westelijke kop van de brug over de Aa, half vier in de morgen.13
Sergeant Major Mulder schaute in den nächtlichen Himmel. Flugzeuge in großer Höhe. Man konnte nur ihre Motoren hören. Richtung Westen zogen sie, flogen über die Niederlande. Das Telefon, die Leitung war tot, er konnte das Oberkommando nicht mehr erreichen. Er war auf sich allein gestellt. Geräusche aus östlicher Richtung, vom anderen Ufer der Aa. Lastwagen? Panzer? Ganz deutlich aber Pferdegetrappel. Er legte den Schalter des großen Scheinwerfers um. Die Brücke und das andere Ufer wurden in gleißendes Licht getaucht. Deutsche Kavallerie! Und Soldaten, die ein Maschinengewehr schleppten! Den ersten Posten in Nieuweschans hatten sie also schon überrannt. Kein Schuss war gefallen, keinen Alarm hatte es gegeben.
Er legt den zweiten Schalter für die Alarmsirene um. Schaurig heulte sie durch die Nacht. Schüsse peitschten. Es knallte, Splitter regneten und der Scheinwerfer erlosch. Mulder und seine Männer gingen hinter der Sandsackbarriere in Deckung. Eine Maschinengewehrsalve fegte über die Stellung. Gebückt rannte der Sergeant Major in den Unterstand. Er griff die Zündermaschine, kurbelte wie wild daran und drückte den Griff herunter. Mit einem gewaltigen Knall flog die Straßenbrücke in die Luft.
Die Eisenbahnbrücke! Sie lag nur etwa zweihundertfünfzig Meter nördlich. Doch auch diese Telefonleitung war tot. In der Ferne war ein gleichmäßiges Schnaufen zu hören. De pantsertrein! Nur gut, dass man noch rechtzeitig gewarnt worden war. Etwa vier Kilometer westlich gab es eine weitere kleine Eisenbahnbrücke.
Wieder der Griff zum Telefon. Verblüffenderweise kam die Verbindung sofort zustande.
»Posten einundzwanzig!«
»Hier Posten drei! Brücke über das buiskool diep sofort sprengen! De moffen komen!«
»Verstanden!«
Ein dumpfer Schlag war in der Ferne zu hören.
»Posten einundzwanzig! Brücke gesprengt!«
Als Sergeant Major Mulder sich umdrehte, blickte er in eine Gewehrmündung. Langsam hob er die Hände.
Der deutsche Kommandotrupp hatte an der Eisenbahnbrücke in Nieuweschans bereits ganze Arbeit geleistet, den dortigen Posten überrumpelt, die Zündkabel durchgeschnitten und die Hindernisse auf den Gleisen beseitigt. Der Panzerzug raste zunächst ungehindert durch den Ort und weiter gen Westen, bis er vor der gesprengten Brücke zum Stehen kam.
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Viele strategisch wichtige Bauwerke wie die erwähnte Eisenbahnbrücke in Nieuweschans waren bereits von Vorauskommandos in deutsche Hand gebracht worden. Teils waren diese Trupps schon Tage zuvor in manch abenteuerlicher Verkleidung in das Nachbarland eingesickert, teils mit Fallschirmen abgesprungen. Die Brücke über das »buiskool diep« war bereits nach wenigen Stunden von Pionieren repariert worden. Der Panzerzug kam noch bis Winschoten, wo er durch eine quer gestellte Drehbrücke endgültig gestoppt und die Besatzung von den Verteidigern in ein schweres Feuergefecht verwickelt wurde. Die gesprengte Straßenbrücke in Nieuweschans wurde durch eilends herangeholte Lastkähne und eine darübergelegte Bohlenbrücke ersetzt.
Die Invasion ließ sich durch nichts mehr aufhalten. Der Brutalität und Geschwindigkeit des deutschen Vormarsches waren die Streitkräfte des kleinen Landes nicht gewachsen. An manchen Orten tobten schwerste Kämpfe. Aber auch Tausende niederländischer Soldaten, in der Kriegsführung ungeübt und demoralisiert, gingen in deutsche Gefangenschaft, ohne einen Schuss abgegeben zu haben. Am 13. Mai 1940 wurden die niederländische Königsfamilie und einige Regierungsmitglieder an Bord eines Zerstörers der Royal Navy ins Exil nach Großbritannien gebracht. Die Kämpfe fanden am 14. Mai 1940 ihren schaurigen Höhepunkt in der Bombardierung Rotterdams durch die Luftwaffe, um den anhaltenden Widerstand der Niederländer endgültig zu brechen. Etwa neunhundert Tote, überwiegend Zivilisten, und die Zerstörung der gesamten Altstadt waren die Folge. Der Angriff überschnitt sich mit dem Beginn der Kapitulationsverhandlungen. Nur ein Teil der Bomber hatte noch zurückgerufen werden können.
Am Abend des 14. Mai kapitulierten die Niederlande. Am 28. Mai streckten die Belgier die Waffen, am 10. Juni Norwegen, gefolgt von Frankreich am 25. Juni. Die lange Zeit der Besetzung begann.
Bekanntmachung für das besetzte Gebiet
vom 10.5.1940
Auf Grund der mir vom Oberbefehlshaber des Heeres erteilten Ermächtigung mache ich bekannt:
I. Die deutsche Wehrmacht gewährleistet den Einwohnern volle Sicherheit ihrer Person und ihres Eigentums. Wer sich ruhig und friedlich verhält, hat nichts zu befürchten.
II. Gewalttaten und Sabotageakte sind mit den schwersten Strafen bedroht. Als Sabotage wird auch jede Beschädigung oder Entziehung von Ernteerzeugnissen, kriegswichtigen Vorräten und Anlagen aller Art sowie das Abreißen und Beschädigen angeschlagener Bekanntmachungen gewertet. Unter dem besonderen Schutz der deutschen Wehrmacht stehen Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke, Eisenbahnen und Schleusenanlagen sowie Kunstschätze.
III. Die Abgabe von Schußwaffen und Kriegsgerät ist durch besondere Bekanntmachung angeordnet. Für Erinnerungswaffen ohne Gebrauchswert gilt diese Anordnung nicht. Jagdschußwaffen sind unter Kenntlichmachung von Name, Beruf und Wohnung des Eigentümers bei dem für die Aufbewahrung verantwortlichen Bürgermeister abzuliefern.
IV. Kriegsgerichtlich geahndet wird
1. jede Unterstützung nichtdeutscher Militärpersonen im besetzten Gebiet,
2. jede Flucht von Zivilpersonen in das nichtbesetzte Gebiet,
3. jede Nachrichtenübermittlung an Personen oder Behörden außerhalb des besetzten Gebietes,
4. jeder Verkehr mit Kriegsgefangenen,
5. jede Beleidigung der deutschen Wehrmacht und ihrer Befehlshaber,
6. das Zusammenrotten auf der Straße, das Verbreiten von Flugschriften, die Veranstaltung von öffentlichen Versammlungen und Aufzügen, die nicht vorher von einem deutschen Befehlshaber genehmigt worden sind, sowie jede andere deutschfeindliche Kundgebung,
7. Verleitung zur Arbeitseinstellung, böswillige Arbeitseinstellung, Streik und Aussperrung.
V. Die Staats- und Kommunalbehörden, Polizei und Schulen haben weiterzuarbeiten. Sie dienen damit der eigenen Bevölkerung. Ihre Leiter sind für loyales Verhalten gegenüber der Besatzungsmacht verantwortlich. Die im öffentlichen Dienst arbeitenden Personen erhalten ihre bisherigen Bezüge weiter.
VI. Alle gewerblichen Betriebe, Handelsgeschäfte und Banken sind im Interesse der Bevölkerung offen zu halten. Grundloses Schließen wird geahndet.
VII. Im Interesse einer geordneten und gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung hat jedes Hamstern von Waren des täglichen Bedarfs (jede übermäßige Bevorratung) zu unterbleiben. Hamstern wird als Sabotage gewertet. Der für den täglichen Lebensbedarf der Zivilbevölkerung nötige Verkehr, insbesondere auch der Marktverkehr, wird, soweit es die militärischen Verhältnisse zulassen, nicht unterbunden werden. Produzenten und Händler mit Waren des täglichen Bedarfs haben ihre Tätigkeit fortzusetzen und die Waren dem Verbrauch zuzuführen.
VIII. Die Erhöhung von Preisen und Entgelten jeder Art sowie von Löhnen über den Stand vom Tage der Besetzung hinaus ist verboten, soweit nicht Ausnahmen ausdrücklich zugelassen sind.
IX. Das Umrechnungsverhältnis beträgt:
für die Niederlande: 1 niederländischer Gulden = 1,50 RM
für Belgien: 1 Belga = 0,50 RM
für Luxemburg: 1 luxemburgischer Franken = 0,10 RM
Die Anwendung eines anderen Umrechnungskurses ist strafbar. Für deutsche und landeseigene Währung besteht Annahmezwang.
X. Die Truppe und ihre Angehörigen werden ihre Käufe und ihre Arbeitsaufträge usw. bar bezahlen. Nur bei Verträgen über 500,-- RM werden anstelle der Barzahlung Leistungsbescheinigungen ausgestellt und von der deutschen Militärverwaltung eingelöst werden.
Der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe
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Diese Anschläge wurden in Deutsch und der jeweiligen Landessprache in allen besetzten Gebieten ausgehängt.
Arthur Seyß-Inquart, der nach seinem nur zwei Tage dauernden Gastspiel als österreichischer Bundeskanzler verschiedene andere Ämter innehatte, wurde am 18. Mai 1940 von Hitler zum Reichskommissar für die besetzten Niederlande ernannt.
13 Posten der »Koninklijke Landmacht« am westlichen Kopf der Brücke über die Aa um halb vier am Morgen.
12 – Sinneswandel eines Beamten
Leer, August 1940
Zunächst hatte er wohl zu zaghaft an die Tür des Amtszimmers geklopft. Er versuchte es erneut, diesmal etwas energischer.
»Herrrein!«, erscholl es laut und deutlich.
Zögerlich drückte er die Klinke herunter, öffnete die Tür. Mit den Vertretern der Obrigkeit mochte er nur ungern etwas zu tun haben. Aber nun hatte eben diese Obrigkeit ihn in die Situation gebracht, die ihm keine andere Wahl mehr ließ.
»Moin!« Er nickte dem Beamten zu. Dieser sprang zackig auf und riss den rechten Arm hoch.
»Heil Hitler, heißt das!«, brüllte der Staatsdiener. »Oder kennen Sie den deutschen Gruß nicht?«
»Doch, doch, natürlich«, beteuerte der Getadelte und beeilte sich, ein halblautes »Heil Hitler« hinterherzuschicken, das bei ihm eher wie »Heitler« klang.
»Wer sind Sie, was wollen Sie?«
»Helfried Feenders ist mein Name, ich bin Bauer aus Rheidersum.« Verlegen drehte er seine Mütze in den Händen.
»Aha, Sie gehören also dem Reichsnährstand an! Und was wollen Sie? Mann, nun reden Sie schon, wir haben hier nicht den ganzen Tag Zeit!« Der Beamte schaute zu seinem Kollegen hinüber, der grinsend nickte.
»Ja, also das ist so – man hat mir in den vergangenen Monaten die letzten jungen Landarbeiter eingezogen, zum Militär …«
»Höre ich da Kritik an den Beschlüssen unserer Regierung, unseres Führers gar?«
»Nein, nein, aber mit der Familie und den beiden älteren Arbeitern alleine ist die Arbeit nicht mehr zu bewältigen. Zuerst war ich bei der Kreisleitung, die haben mich zu Ihnen geschickt. Ich hoffe, dass ich hier beim Arbeitsamt richtig bin.«
»Bei uns sind Sie immer richtig!«, antwortete der Beamte und schickte ein dröhnendes Lachen hinterher, in das sein Kollege einstimmte. »Sie brauchen also Fremdarbeiter14?«
»Ja, so ist es. Am liebsten Holländer, von denen hatten wir vor dem Krieg einige. Da gibt es keine Sprachprobleme.«
»Die haben wir nicht zu vermitteln. Nach dem siegreichen Westfeldzug wurden die kriegsgefangenen Holländer gleich wieder nach Hause geschickt. Schließlich handelt es sich um ein germanisches Brudervolk, dessen Regierung sich nur in seiner Verblendung unseren Gegnern angeschlossen hatte. Holländer, wenn überhaupt, beschäftigen wir derzeit überwiegend als zivile Facharbeiter in der Industrie.«
»Ja … und nun?« Helfried Feenders wusste nicht, was er darauf antworten sollte.
»Polen können Sie haben und Franzosen!«
»Franzosen, das geht auch. Wegen der Sprache, meine ich.«
»Wieso? Sprechen Sie französisch?«
»Nee, ich nicht, aber meine Mutter!«
»Wie das? Kommt sie aus Frankreich?«
»Nein, sie hat es in der Schule gelernt.«
»Eine Bauerntochter?«, warf der zweite Beamte ein.
»Meine Mutter ist keine Bauerntochter. Sie war auf einem Internat in der Schweiz.«
»Wollen Sie uns einen Bären aufbinden?«
»Nein, keineswegs. Als höhere Bürgerstochter, so sagte man damals, hat ihr Vater sie dorthin geschickt.« Mit einem gewissen Stolz in der Stimme setzte er hinzu: »Sie ist immerhin eine geborene Capellarius!«
»Was? Aus der Apothekersfamilie? Und dann hat sie einen Bauern geheiratet?« Die beiden Beamten schauten ihn ungläubig an.
»Na, erlauben Sie mal!« Bei aller Obrigkeitshörigkeit kam Helfried Feenders langsam die Wut hoch. »Wie reden Sie über meine Mutter und unsere Familie? Uns gehört einer der größten Milchviehbetriebe in Ostfriesland! Und meinen Kindern lasse ich eine gute Erziehung angedeihen!« Bei den letzten Sätzen war er – eher ungewollt – immer lauter geworden. »Wie heißen Sie überhaupt?« Woher er den Mut, und vor allem den entsprechenden Tonfall, für diese Frage genommen hatte, wusste er später nicht mehr.
Aber siehe da! Der eben noch auftrumpfende Beamte schrumpfte plötzlich auf Normalmaß zurück. »Schon gut. Reinders ist mein Name, Obersekretär.« Der Beamte hob beschwichtigend die Hand. »Ich wollte Sie nicht beleidigen. Es ist doch etwas ungewöhnlich – das mit Ihrer Mutter, meine ich. Eine geborene Capellarius. Nicht zu fassen!«
Helfried Feenders schmunzelte ein wenig, nicht nur über den Beamten, sondern auch wegen seiner ungewöhnlichen Familiengeschichte. Die Sache hatte damals, lange vor dem Weltkrieg, in Leer und Umgebung für Aufsehen gesorgt. Die junge, recht ansehnliche Apothekerstochter und Gottfried Feenders hatten sich auf einem Tanzvergnügen kennengelernt. Der alte Capellarius war zunächst außer sich gewesen. Schließlich hatte er die Zukunft seiner Tochter an der Seite eines der Honoratioren der Stadt gesehen und nicht bei einem Bauern. Er drohte zunächst mit Enterbung, worüber seine Tochter nur lachte. Gottfried Feenders mit seinem großen Hof und als Vorsitzender der Sielacht stellte schließlich etwas dar.
»Kind, Melitta, sei vernünftig! Du als Bäuerin?«
»Traust du mir das etwa nicht zu?«
»Doch, leider!«
»Außerdem liebe ich ihn!«
»Auch das noch!«
Der Pharmazierat Dr. Capellarius führte zunächst ein sehr ernstes Gespräch mit dem Auserwählten seiner Tochter. Dieses war zu seiner größten Verblüffung zur absoluten Zufriedenheit ausgefallen. Von wegen dummer Bauer! Gottfried Feenders verfügte über ein erstaunliches Maß an Bildung und hatte trotz seiner noch jungen Jahre schon eine respektable Persönlichkeit dargestellt. Kurz gesagt, der Apotheker hatte schlicht und ergreifend keine Einwände mehr gefunden und den beiden eine rauschende Hochzeit ausgerichtet. Wenn schon, denn schon!
Helfried Feenders schaute den Obersekretär an. Warum sollte er vor diesem Bürohengst buckeln? Seine Gestalt straffte sich. »Wie gesagt, Landarbeiter aus Frankreich, das dürfte kein Problem sein.«
»Wie viele benötigen Sie?«
»Zunächst vier bis fünf Leute. Später vielleicht noch weitere. Ich möchte abwarten, wie es mit denen läuft.«
»Ich werde das veranlassen.« Obersekretär Reinders nickte ihm freundlich zu. »Es kommt noch jemand vom Amt zu Ihnen, um die Formalitäten zu klären.«
»Besten Dank, Herr Obersekretär!«
»Herr Reinders reicht! Zu förmlich wollen wir nicht werden!«
Wieso war der auf einmal so freundlich? Helfried Feenders staunte nur, ließ sich aber nichts anmerken.
»Ja, also besten Dank noch mal, Herr Reinders!« Er wandte sich zum Gehen.
»Ach, Herr Feenders, da fällt mir noch etwas ein!«
»Ja?«
»Bei Ihrer Milchviehhaltung, wie halten Sie das eigentlich mit dem Melken?«
»Wie meinen Sie das?«
»Nun, bringen Sie die Kühe abends alle in den Stall?«
»Nee, das ginge gar nicht in jedem Fall. Auf den weiter entfernten Weiden haben die Kühe Unterstände, als Wetterschutz meine ich, und dort werden sie meist gemolken. Die Milchkannen transportieren wir mit Pferdegespannen zum Kühlhaus.«
»Es fällt zwar nicht in mein Ressort«, antwortete der Beamte, »aber würde es Ihnen helfen, wenn Sie einen Traktor bekämen? Dazu einen Gummiwagen – was meinen Sie?«
»Ich habe schon hin- und hergerechnet, aber dafür reicht das Geld derzeit nicht. Außerdem hat das Militär bei Fahrzeugen wohl Vorrang.«
»Der Reichsnährstand ist auch kriegswichtig. Hinsichtlich der Bezahlung ließe sich etwas machen. Ich sage nur, zinsloses staatliches Darlehen, lieber Herr Feenders! Die Regierung lässt verdiente deutsche Volksgenossen nicht im Stich!« Reinders zwinkerte ihm zu.
Der Beamte schrieb etwas auf einen Zettel und reichte ihn Feenders. »Nun muss ich Sie doch noch einmal zur Kreisleitung schicken. Dort melden Sie sich und schildern Ihr Anliegen. Ich rufe den Kollegen vorher an.«
Helfried Feenders verschlug es regelrecht die Sprache. Woher kam der Sinneswandel dieses Beamten? Der brachte sich ja auf einmal fast um vor Höflichkeit. Er dankte ein weiteres Mal, grüßte und verließ das Amtszimmer.
Nachdem sich die Tür geschlossen hatte, zog Obersekretär Reinders hörbar die Luft durch die Nase ein. »Da hätte ich beinahe einen gewaltigen Bock geschossen!«
»Wieso?«, fragte sein Kollege ahnungslos.
»Capellarius! Klingelt’s da bei dir?«
»Du meinst …?«
»Ich meine nicht, ich weiß es. Der Bruder unseres heutigen Apothekers ist ein hohes Tier im Reichsfinanzministerium!« Er griff zum Telefon und ließ sich mit einer Dienststelle der Leeraner Kreisleitung verbinden.
Wenige Wochen später wurde Helfried Feenders ein Traktor mit Anhänger zugeteilt. Sowohl der Trecker, ein Lanz Bauernbulldog mit Einzylinder-Zweitaktdiesel, der zwanzig PS leistete, als auch der Zweiachshänger waren luftbereift. Es handelte sich zwar nicht um Neufahrzeuge, dafür bekam er sie zu sehr günstigem Preis, zinslos in bequemen Raten, zahlbar an die Kreisbehörde. Feenders erhielt Lanz und Anhänger über den Landmaschinenbetrieb Dierkes in Hesel, der beide noch einmal technisch durchgesehen hatte. Merkwürdig war allerdings, dass sowohl die Papiere als auch die hektographierte Betriebsanleitung des Treckers völlig neu waren. Als Helfried Feenders die zum Lanz gehörende Werkzeugkiste später einmal vollständig ausleerte, fand er auf dem Boden des Kastens eine alte Zeitung. Es war eine Ausgabe des »Journal d’Amiens/Dept. Somme« vom Herbst 1937.
14 Damalige Bezeichnung für Zwangsarbeiter.
13 – Arme Menschen, fern der Heimat
Rheidersum, September 1940
»Moin, Ilse, lässt du dich auch mal wieder sehn?« Alwine Oltmanns hantierte am Herd mit ihren Kochtöpfen. »Musst eben entschuldigen, ich mach schon mal das Mittagessen!«
»Ja klar!« Ilse Feenders sah ihre Nachbarin an.
»Ilseken, du schaust so ’n büschen bedröppelt aus. Setz dich! Watt is’ mit di?«
»Wir kriegen ja nun auch Fremdarbeiter. Ich weiß nicht so recht, was ich davon halten soll. Aber wir schaffen die Arbeit einfach nicht mehr. Unsere jungen Leute haben sie alle zum Militär eingezogen.«
Alwine hatte ihrer Nachbarin unterdessen eine Tasse hingestellt und schenkte ihr Tee ein. »Ja, das war bei uns genauso. Unsere Schweinemast macht ja viel Arbeit. Aber seit gut einer Woche haben wir drei Polen, das ist schon eine ziemliche Erleichterung.«
»Und wie ist das mit denen?«
»Wie meinst du? Die arbeiten hier!«
»Nee, ist schon klar. Aber …« Ilse Feenders druckste ein bisschen herum. »Ich meine, was die Partei ständig verlauten lässt. Dass die Polen Untermenschen seien. Ich meine, muss man nicht irgendwie Angst vor denen haben?«
»Wir haben uns natürlich Gedanken gemacht. Ja, wie sind die? Wie soll ich das sagen?«
»So schlimm?«
Alwine sah Ilse an, dann begann sie leise zu lachen. »Nee, da mach dir man keinen Kopp. Eigentlich sind die Polen nicht viel anders als unsere früheren Landarbeiter, nur dass sie katholisch sind und eine andere Sprache sprechen. Das sind ganz arme Menschen, weit weg von zu Haus.«
»Aber warum erzählt man uns so was?«
Alwine Oltmanns zuckte mit den Schultern und setzte leise hinzu: »Das habe ich mich auch schon gefragt. Na ja, sie sind natürlich keine Arier wie unsere …« Sie ließ den Satz unvollendet. »Aber das habe ich natürlich nicht mal gedacht.«
Ilse Feenders verzog das Gesicht. »Nee, sonst geht’s ab ins Konzertlager!«
»Aber da gibt es ein anderes Problem.« Alwine stemmte die Hände in die Hüften. »Die Sache mit den Essensrationen.«
Ilse nickte nachdenklich. »Wir haben gerade die Unterlagen mit den ganzen Vorschriften und Verhaltensmaßregeln bekommen. Die Rationen liegen für die Fremdarbeiter noch erheblich unter dem, was der normale deutsche Volksgenosse auf Marken bekommt. Wir können als Bauern nur von Glück sagen, dass wir sozusagen an der Quelle sitzen.«
Alwine nickte: »Da muss man mittlerweile vorsichtig sein. Hast du das von dem Bauern aus Papenburg gehört?« Ohne eine Antwort abzuwarten, fügte sie hinzu: »Den haben sie wegen Schwarzschlachten drangekriegt und als Volksschädling zu vier Monaten Gefängnis verurteilt, weil er der Heimatfront in den Rücken gefallen sei.«
»Ja, ich hab davon gehört. Wie ist das überhaupt entdeckt worden?«
»Vielleicht hat ihn jemand verraten. Jedenfalls gab es eine plötzliche Kontrolle, gleich nach der Schlachtung. Zwei Schweine hatte der Bauer angemeldet. Und gefunden hat die Gestapo drei Schweineköpfe. Sie haben ihn sofort verhaftet.«
»Großer Gott!« Ilse Feenders erbleichte.
»Ich meine, ihr solltet das wissen.«
»Aber wir haben doch gar nicht …«
»Pscht, pscht, ich will da gar nicht drüber reden. Ich hab nichts gehört.« Alwine Oltmanns beruhigte ihre Nachbarin, die nervös mit dem Löffel in ihrer Teetasse rührte. »Lass uns wieder über die Fremdarbeiter sprechen. Du hattest da noch ein paar Fragen?«
Ilse Feenders hatte sich mittlerweile wieder gefangen: »Ja, wie soll das gehen? Mit dem Essen, meine ich. Helfried sagte schon, wer zehn oder zwölf Stunden arbeiten muss, kann davon nicht satt werden.«
»Nee, die wären uns vom Stängel gekippt! Unsere Polen kriegen einiges mehr, damit sie satt werden. Im Lager bekommen die nur dünne Suppe. Das reicht einfach nicht.«
Ilse Feenders nickte.
»Außerdem, wir müssen dafür zahlen wie früher für die Landarbeiter. Nur, dass die Polen gerade mal ein schmales Taschengeld kriegen. Das meiste zahlen wir an den Staat. Und wenn die Leute vor lauter Hunger nicht richtig arbeiten können, da geht die Rechnung hinten und vorne nicht auf.« Alwine Oltmanns werkelte immer heftiger mit ihren Kochtöpfen herum. »Aber damit braucht man unseren hohen Herrschaften gar nicht zu kommen. Da handelt man sich höchstens Ärger ein.«
Ilse nickte erneut.
Alwine Oltmanns war noch nicht fertig: »Aber alles können die auch nicht kontrollieren, jedenfalls nicht so wie bei der Firma Eilers.«
»Ist das die Eisengießerei?«
»Genau. Ich hab es von einem unserer Polen erfahren, der ein bisschen deutsch spricht. Bei Eilers haben sie einen Meister oder Vorarbeiter, der muss ein richtiger Schinder sein. Er prügelt die Fremdarbeiter wegen der kleinsten Kleinigkeit und wacht genau darüber, dass die nur die vorgeschriebenen Essensrationen bekommen. So ’n Hundertfünfzigprozentiger! Und das Resultat? Denen fallen laufend Leute um, weil sie gar nicht mehr in der Lage sind zu arbeiten!«
*
»Miłosz Woźniak! Zbignew Pawlak! Jaroslaw Zylinski! Jakob Dudek! Agnieszka Wieczorek!«
Helfried Feenders schaute etwas ungläubig zu dem Bewacher des kleinen Trupps herüber, einem SA-Mann. »Mit Obersekretär Reinders vom Arbeitsamt war ausgemacht, dass wir Franzosen bekommen. Das sind alles Polen!«
Der Uniformierte zuckte nur die Achseln: »Andere haben wir im Moment nicht. Wenn Sie die nicht wollen, nehme ich sie wieder mit!«
»Nee, das Problem ist nur, wie verständige ich mich mit denen?«
»Ich spreche Ihre Sprache«, kam die Antwort von der jungen Frau. »Ich habe vor dem Krieg in einem deutschen Haushalt in Oliva bei Danzig gearbeitet.« Sie sprach zwar mit deutlichem Akzent, war aber gut zu verstehen. »Ich kann übersetzen.«
»Dann wäre das Problem ja gelöst!«, warf der SA-Mann ein. »Das Formelle wurde schon geklärt? Das Merkblatt, wie mit den Leuten umzugehen ist, wurde Ihnen ausgehändigt?«
Helfried Feenders nickte.
»Also, keine Gefühlsduselei! Diese Untermenschen sollen arbeiten, von mir aus bis zum Umfallen!« Der Uniformierte ließ noch ein zackiges »Heil Hitler!« folgen, schulterte seinen Karabiner und marschierte davon.
Die Polen starrten ihm mit düsterem Gesichtsausdruck nach. Einer von ihnen machte eine Bemerkung und eine wegwerfende Handbewegung.
»Was hat er gesagt?«, wollte Helfried Feenders von der jungen Frau wissen.
»Ach, ist nicht so wichtig!« Agnieszka winkte ab.
»Es klang irgendwie nicht sehr nett.«
Die junge Frau antwortete: »Bitte, das war wirklich nicht wichtig!« Sie schaute Helfried Feenders ein wenig ängstlich an.
»Na, ist auch egal.« Der Landwirt zuckte nur gleichmütig mit den Schultern. »Kommen Sie! Ja, Sie alle!« Er machte eine entsprechende Geste. »Ich zeige Ihnen den ganzen Betrieb. Danach besprechen wir, wo Sie arbeiten.«
Die Fremdarbeiter kamen aus dem Lager auf der Nesse, einer kleinen von einem Seitenarm der Leda umflossenen Halbinsel nahe dem Leeraner Hafen. Dort befand sich ein umzäuntes und bewachtes Areal, auf dem Holzbaracken errichtet worden waren. Morgens kamen die Polen in aller Herrgottsfrühe als Marschtrupp aus Leer, bewacht von einem SA- oder manchmal auch SS-Mann. Abends wurden sie von ihren Aufpassern wieder abgeholt. Tagsüber war der Bauer verantwortlich für die Vollzähligkeit der Fremdarbeiter. Sollte einer verschwinden, so hatte er dies sofort dem nächsten Polizeiposten zu melden.
Die Atmosphäre war gespannt und entsprach keineswegs der Situation, wie Alwine Oltmanns sie beschrieben hatte. Konnte das überhaupt gut gehen mit diesen Leuten, die gezwungenermaßen arbeiten sollten? Wie sollte Helfried Feenders mit den Fremdarbeitern umgehen?
Die erste Auseinandersetzung kam bereits nach wenigen Tagen bei der Heuernte. Einer der Polen, Zbignew Pawlak mit Namen, machte nach der Mittagspause keinerlei Anstalten mehr, sich wieder zu erheben. Er spuckte nur zur Seite und grinste höhnisch. Helfried wusste, wenn er das durchgehen ließ, würden ihm die anderen Fremdarbeiter binnen kürzester Zeit auf der Nase herumtanzen. Und zu allem Überfluss gab es die Verständigungsprobleme. Er holte Agnieszka dazu und drohte dem Aufsässigen an, ihn bei der Lagerleitung zu melden und dafür zu sorgen, dass er in Zukunft im Moor arbeiten müsse. Nachdem Agnieszka übersetzt hatte, ging der Pole wieder an die Arbeit. Da Pawlak aber weiterhin mit deutlich zur Schau getragenem Widerwillen und entsprechenden Äußerungen, die keiner Übersetzung bedurften, arbeitete, teilte Helfried ihn nur noch zu Tätigkeiten ein, bei denen der Pole nicht unbedingt Werkzeuge wie eine Heugabel in die Hand bekam. Die Furcht vor einer möglichen Affekttat war vielleicht übertrieben, bezeichnete aber die angespannte Situation recht deutlich. Schließlich wandte sich Helfried Feenders an die Lagerleitung mit der Bitte, ihm einen anderen Fremdarbeiter zu schicken. Er nannte allerdings nicht den wahren Grund, sondern die große Ungeschicklichkeit des Mannes in der Landwirtschaft.
In den folgenden Monaten kamen bei den Bauern der Umgebung weitere Polen hinzu. Den Fremdarbeiterinnen gegenüber setzte sich die Praxis durch, dass sie nicht mehr im Lager einquartiert wurden, sondern – allgemein gesprochen – bei den Bauernfamilien wohnten, da sie ohnehin meist im Haushalt arbeiteten.
Im Herbst 1940 kamen mehrere Franzosen hinzu, die von Melitta Feenders recht erfreut begrüßt wurden. Konnte sie doch endlich wieder ihre Sprachkenntnisse anwenden – und diesmal praktisch, nicht nur mit der Lektüre französischer Romane, die sie grundsätzlich im Original las. Weit gingen ihre Erinnerungen zurück, in das herrlich am Lac Léman gelegene Internat, in dem nach wenigen Wochen nur noch in dieser schönen Sprache parliert wurde.
Im Laufe der Zeit entspannte sich die Atmosphäre etwas. Arbeiten mussten sie, die Fremdarbeiter, aber auch die Familienmitglieder. Nur Lilli war häufig wegen ihrer recht langen Dienste im Leeraner Marinehospital, wie das Borromäus seit Kriegsbeginn hieß, davon ausgenommen, Georg bemächtigte sich nachmittags gerne des Traktors, obwohl er leichte Probleme hatte, die Pedale zu erreichen. Mit dem Lanz mähte er die Wiesen und wendete das Heu.
Wenig später passierte die Geschichte mit den Franzosen und den Fröschen. Sie klingt wie ein Klischee, war aber keines.
Nahe einer Viehtränke, die von einem der Entwässerungsgräben gespeist wurde, sammelten einige der Franzosen eine Anzahl von Fröschen ein. Abends kam in der Kellerschmiede eine Pfanne aufs Feuer und bald schmurgelten die Froschschenkel darin. Melitta Feenders hatte für diese Vorliebe vieler Franzosen zwar nichts übrig, wäre aber nicht auf die Idee gekommen, den Fremdarbeitern dies zu verbieten. Sie schüttelte nur den Kopf, wollte wortlos wieder weggehen – und erstarrte förmlich in der Bewegung: »Êtes-vous devenu fous?«15
Da lagen neben der Esse die ihrer Beine beraubten Frösche. Aber die Tiere lebten noch. Man hatte ihnen die Schenkel ausgerissen und die sterbenden Tiere einfach liegen lassen. Melitta Feenders explodierte förmlich und las den Franzosen die Leviten in ihrer Landessprache. Die übrige Familie, von der lauten Standpauke alarmiert, konnte sich später nicht erinnern, die Großmutter jemals so zornig erlebt zu haben. Die Franzosen schauten sie erst überrascht, dann betroffen, schließlich entsetzt an. Kleinlaut begannen sie gerade damit, die Frösche ins Jenseits zu befördern, da erscholl eine laute Männerstimme vom Eingang: »Was ist hier los?«
Sie gehörte dem Bewacher, der die Fremdarbeiter abends abholen sollte.
Ach du lieber Gott, der fehlte gerade noch! Melitta Feenders hatte es bei der deutlichen Ansprache bewenden lassen wollen. Nun wurde daraus nichts, zumal die teils noch zuckenden Frösche ein deutliches Zeugnis von der Missetat der Franzosen ablegten. Tierschutz, da waren die Nationalsozialisten recht eigen. Sie gingen mit Tieren häufig besser um als mit Menschen. Die Sache lief für die beteiligten Franzosen noch einigermaßen glimpflich ab. Für diese Tierquälerei mussten sie an ihrem jeweils freien Tag vier Arresttage absitzen.
Probleme gab es zunehmend mit Agnieszkas Seelenzustand. Sie hatte schreckliches Heimweh, nach ihren Eltern, ihren Geschwistern, ihrer Heimat. Als sie noch bei der deutschen Familie in Oliva gearbeitet hatte, konnte sie wenigstens von Zeit zu Zeit ihre Angehörigen besuchen.
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