Kitabı oku: «Anschwellendes Geschwätz», sayfa 5

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»Nullpunkt-Bewußtsein« (Weigel) und »Einschnitt« (Briegleb): Die im engeren Sinn literarischen Folgen des Jahres und Ereignisses 1968 sind vielgestaltig. Ob das Beharren auf den »subjektiven Faktor« »der neuen Regionalliteratur« (Ralf Schnell: Die Literatur der Bundesrepublik – Autoren, Geschichte, Literaturbetrieb, Stuttgart 1986) Auftrieb gab, den an die sozialen Bewegungen angeschlossenen Geschichtswerkstätten oder alltagsgeschichtlichen Erkundungen (vgl. Inga Buhmann: Ich habe mir eine Geschichte geschrieben, 1977), ob dem Boom der »Väter-Bücher« (Mattenklott) Christoph Meckels, Peter Brückners oder Christa Wolfs oder einer neuen Laienschreibbewegung der »Textberührung«, einer hehren »Schwundstufe von Kunstgewerbe« (Mattenklott): Aus dem Glauben an die »Machbarkeit und Veränderbarkeit der Subjekte und ›Verkehrsformen‹« (Briegleb) resultierte in summa kaum mehr denn die »Vermehrung der Schreibweisen« (Briegleb) unterm Banner des Posthistoire – das Wissen, es sei jetzt schlicht anything machbar.

An einem Patchwork von »Literaturen« (L. Fischer), um die sich jeweils einzelne Feuilletons oder Kritiker hegend und fördernd bemühen, wird seither gestrickt. Zuzeiten stößt irgendein Murks an die Spitze vor und erheischt, Mode zu sein: Erich Frieds umgebrochene Zeitungsheadlines; das schwer profitable Schmocktum Christoph Ransmayrs (1988) und Robert Schneiders (1992); vorher der Bauern-Kroetz als meistgespielter deutscher Dramatiker hinter Brecht; der renaissancegierige »historische Roman« (Brenner); Mitte der Achtziger, in Fortsetzung Fassbinders und/oder Kluges und des Werkes eines F. C. Delius, die RAF- und Deutscher-Herbst-Romankunst; während die ökologische Prosa schon wieder schweigt.

Statt dessen, das führen uns die Almanache der Reihe Deutsche Literatur – Ein Jahresüberblick (Reclam Stuttgart, 1981-1998, hrsg. v. Adolf Fink, Franz Josef Görtz, Volker Hage, Uwe Wittstock u. a.) vor Augen, hebt 1990 und im Sog der Christa-Wolf-Debatte umgehend die Nationallyrik an und schleppt von Kerstin Hensel bis Ulrich Schacht jeden ins Schlachtfeld, der nicht nein brüllt. Flankiert von einer kontrafaktischen und nun besonders (zweck-)freien »Literatur als Literatur« (Günter Kunert), verwesen beide zügig, um 1991 von den allerneusten Weltflüchtern beerbt zu werden, die ein Rennen Richtung »einsame Insel« (Görtz) veranstalten, wahrscheinlich fliehen sie vor der nach wie vor kurrenten Heinermüllerei.

Derweil die epische »Vereinigungsliteratur« (Brenner) zwischen Walser und Hochhuth zäher zu sein scheint und Stasiaktendossiers über Jahre hinweg den Markt fluten, läuft 1994 ungefähr alles glatt, da ist lediglich »die Kritik in der Krise« (Johannes Wilms), weshalb Durs Grünbein seinen Aufstieg einleitet und bereits 1995 »die deutsche Literatur [...] reich an Stoffen und Formen und [...] auf der Höhe der Zeit« (Hubert Winkels) rangiert und bald keine Sau mehr durchblickt.

1996 läutet man freilich ein unabgeschlossenes Th.-Bernhard-Revival plus Kopistenkonjunktur ein, und wahrscheinlich geht es demnächst, nach Antiautoritarismus, 1997 ff.er Popliteratur und in konsequenter Rückwendung via National- und abermalige Vereinigungsliteratur, wieder mit Wald- und Wiesengedichten los; die wohl der zigfach preisbehängte und bisweilen katastrophal en vogue befindliche Durs Grünbein anpacken muß, um den Scheißkreis zu schließen.

Kwulst und Kwalst

»Welch ein Theater um Labels und Personalien heutzutage«, hat Matthias Politycki im Frühjahr 2004 geklagt, den Zustand der Literaturwelt vor Augen. Hochstapelei, Nazipornos, verbotene Bücher und hysterisch diskutierte Verlagswandlungen und -wechsel scheinen die These zu bestätigen, daß der Literaturbetrieb endgültig auf den Hund gekommen ist. Jörg Schröder, der 1969 den März Verlag gründete, die hiesige Verlagslandschaft prägte, durch spektakuläre Publikationen und camouflageartige Aktionen für allerhand Wirbel sorgte und seit 1990 zusammen mit Barbara Kalender viermal jährlich etwa dreihundert Subskribenten mit der Serie Schröder erzählt beglückt, äußert sich zu den zahllosen jüngeren Fällen literarischer und feuilletonistischer Skandalisierung – und zwar auch aus dem Anlaß, daß im area Verlag jetzt die wichtigsten Bücher des März Verlags wiedererschienen sind.

In den aufgeregten Feuilletons ist von einer neuen Zeit der Literaturskandale und einer »neuen Klagelust« (Frankfurter Rundschau) die Rede. Warum dieser Lärm um das ganze Kuddelmuddel von Maxim Biller über die offenbar erfundenen Spionageabenteuergeschichten der Pseudonyma Nima Zamar bis zu Thor Kunkel, um Fragen der Urheberschaft, der Kolportage und Echtheit oder der Verquickung von Authentizität und Dichtung, von realen und fiktiven Figuren? Man könnte doch auch einfach sagen: Na ja, es geht halt mal was in die Hose, und damit hat es sich. Nein, Enzensberger keult gegen die Feuilletonisten, die Feuilletonisten keifen sich untereinander an usf. Oder interessiert dich das alles überhaupt nicht?

Was heißt interessieren? Es interessiert mich in der Weise, wie einen ein Feuilleton immer interessiert. Man liest das sehr intensiv, und wenn man’s weglegt, ist es egal, ob man’s gelesen hat oder nicht. Deswegen heißt das ja Feuilleton. Und jetzt wird halt alles mögliche versucht, weil die Zahlen rot sind und weil sich die Leute in den Feuilletons ihrer Nichtigkeit wenigstens in ökonomischer Hinsicht bewußt werden. Da treibt man eben ein Schwein nach dem anderen durchs Dorf, ob Walser und Reich-Ranicki oder wen und was auch immer. Nun haben sie vor allem die alte Geschichte mit der Würde der Person am Wickel. Zu den Feuilletons gesellen sich dann aber noch die Nachfolgetäter. Wenn es ernstgenommen wird, daß sich die ehemalige Freundin von Biller in dessen Roman wiedererkennt und deshalb die Justiz anruft, kommen sofort zwei, drei andere Figuren angewackelt – die Frau von Alban Nikolai Herbst usw. Die Feuilletons steigen darauf natürlich ein, weil man da nicht viel nachzudenken braucht. Was auf der Boulevardebene Bohlen ist, wird im Feinfeuilleton mit Biller abgehandelt.

Rainer Moritz, der als (Noch-)Verlagsleiter von Hoffmann und Campe durch den frei erfundenen Kriegsreporterbericht von Ulla Ackermann, Mitten in Afrika, selbst betroffen ist, hat die Fälle Biller und Kunkel in einem Atemzug genannt mit dem Theater um Bohlen und davon gesprochen, daß die Literaturkritik mehr oder weniger am Ende sei, weil sie im Grunde jede Seriosität eingebüßt habe und sich mit großem Aufwand der Skandalisierung widme.

Na ja. Die Biller-Geschichte z. B. wird ja vom Verlag, von Kiepenheuer & Witsch, sehr ehrenhaft betrieben. Die lassen sich von den jeweiligen Gerichtsinstanzen dieses und jenes sagen und tun aber nicht, was man von Verlegern erwarten sollte, nämlich ein bißchen listig dafür zu sorgen, daß das Buch irgendwie weiterverbreitet wird. Ich habe in einem solchen Fall – wie z. B. beim Siegfried, der acht Verfahren nach sich gezogen hat – dafür gesorgt, daß das Buch auf irgendeine, natürlich illegitime Weise lieferbar blieb. Es nützt nichts, nur vor Gericht zuzuschlagen. Man muß die Gegner durch Aktivitäten zermürben.

Sind die Verleger heute so unfähig, daß sie noch nicht mal ihr Produkt präsent halten können?

Sie sind feige. In solchen Fällen muß man samisdatartige Strategien entwickeln. Im Konflikt zwischen Kunst und Persönlichkeitsrecht obsiegt ja immer die Würde, die angebliche, über die künstlerische Freiheit. Dagegen ist kein Kraut gewachsen. Du kannst noch so lange zum BGH rennen, es wird immer so entschieden werden wie im Mephisto-Urteil, also in dem alten Käse Klaus Mann vs. Gustav Gründgens. Man darf sich auf die Gerichte gar nicht einlassen – und auf diese Würdediskussion genausowenig. Da hast du es sowieso immer mit einer Blase zu tun.

Einer Blase?

Es geht doch der ehemaligen Freundin von Biller nicht um ihre Würde. Die ist verletzt, weil die Beziehung auseinandergegangen ist und aus Futt und grünen Bohnen, und deshalb macht die sich wichtig. Tatsächlich kräht doch kein Hahn nach dieser Frau. Kein Mensch weiß, wen diese Figur verkörpern soll, außer Billers Ex-Freundin und fünf anderen Leuten, und die wissen viel mehr, als Biller ausgeplaudert haben kann. Die Würdediskussion ist eine Farce für eine winzige Blase von Aufgeblasenen. Ich hab’ mich damals um die Würdedebatte ziemlich rigoros gar nicht gekümmert.

Solche Kläger bewirken doch das Gegenteil dessen, was sie bezwecken wollen.

Sowieso. Und es geht um Rache, darum, es einem Autor heimzuzahlen. Das ist legitim. Dann ist es aber auch legitim, wenn sich der Verleger unterwirft und trotzdem dafür sorgt, daß das Kunstwerk da ist, um den Wettkampf am Laufen zu halten. Ich habe das außerhalb der üblichen Vertriebswege hingekriegt – andernfalls zahlst du natürlich hochnotpeinliche 250.000 Euro Zwangsgeld. Nachdem siebenhundert Exemplare vom Siegfried über den Buchhandel vertrieben waren, wurden die ersten Einstweiligen Verfügungen erlassen. Damit war das Buch in Deutschland offiziell vom Markt. Ich habe dann – da das verjährt ist, kann ich das ruhig erzählen – eine Rechnung fingiert und die gesamte Auflage an einen Schweizer Buchhändler verkauft, und der konnte das Buch jederzeit weitervertreiben.

Woher wußten die Käufer, wo es zu kriegen war?

Das hat sich rumgesprochen. Wenn die Leute was haben wollen, finden sie Mittel und Wege. Heute wäre das übers Internet noch einfacher. Ich halte hier diesen extrem unseriösen Vortrag, um klarzumachen, daß das, was in den Feuilletons steht, eigentlich wurscht ist. Die käuen nur Gerichtsurteile wieder. Verleger müssen flexibel sein. Diese Skandale sind natürlich insgesamt evtl. wenigstens noch interessanter als der Kram, den der Schirrmacher regelmäßig über die Verrentung oder das Genom losleiert.

Schirrmacher hat die gegenwärtige Welle losgetreten anläßlich von Walsers Tod eines Kritikers.

Feuilletonisten sind Konkurrenten. Das ist alles. Sie versuchen sich unentbehrlich zu machen.

Es ist doch recht schön, wie sich die Feuilletons augenblicklich gegenseitig beschimpfen. Die taz beschimpft die Süddeutsche Zeitung, weil die Thor Kunkels Endstufe zerreißt, die Süddeutsche Zeitung beschimpft die Schmalspurfeuilletonisten und Karrieristen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Endlich kommt mal ein bißchen Dampf in den lahmen Haufen.

Glaubst du denn, daß das die Leser wirklich interessiert? Das Feuilleton ist doch lediglich ein geschlossenes Wahnsystem, das längst nicht so einflußreich ist, wie es sich die Feuilletonisten einreden.

Die Frankfurter Rundschau hat ausdrücklich gebilligt, daß sogar die Streichfassung von Billers Esra verboten wurde. Du hast mit dem Siegfried keinen Schlüsselroman geschrieben, sondern Roß und Reiter genannt. Welche Strategie stand dahinter, den Kulturbetrieb aus der Nahperspektive darzustellen?

Das muß man ja nicht begründen. Das ist die einzige Möglichkeit, gegen diesen in sich verschworenen Saustall vorzugehen. Auch wenn es nicht viel gebracht hat, hat es zumindest mir eine große Erleichterung gebracht. Und vielleicht hat es auch für Leute, die zuviel Angst haben aus Gründen der Rücksichtnahme und der Macht in diesem Betrieb, stark entlastend gewirkt, wenn mal jemand blankzieht – was wohl auch für die Folgen von Schröder erzählt gilt. Aber die Debatte über die Wirkung von Literatur ist vollkommen sinnlos. Literatursoziologisch gesehen ist der Siegfried, das ist womöglich entscheidender, eines der ersten Bücher gewesen, das Ich gesagt hat. Mit derartigen Büchern entstehen Tendenzen. Übrigens scheint es heute so zu sein, daß Autoren wieder stärker Ich sagen.

Da würde ich widersprechen. Verglichen mit dem Siegfried-Aufruhr sind die heutigen Auseinandersetzungen um gefälschte Lebensberichte und Urheberschaftsfragen eher läppisch.

Klar. Dieser Kokolores um Fälschungen wie das Zeug von Ulla Ackermann oder Frau Posemuckel ist keine Minute Aufregung wert. Der Prinz-Asfa-Wossen-Asserate-Quatsch ist auch ein komplett belangloser Blödsinn. Autoren arbeiten oft mit Lektoren, selbst Thomas Mann hat das gemacht. Und daß Dieter Wellershoff Heinrich Böll redigiert hat, ist ja bekannt. Ob ein Lektor oder ein Freund an diesem grauenhaften, ekligen, widerlichen Schleim von höchstem Adel mitarbeitet, ist egal. Ich verteidige nicht das Buch, aber die Selbstverständlichkeit der technischen Hilfestellung. Was soll das?

Ich weiß aus sicheren Quellen, daß Martin Mosebach der Autor ist.

Ich bezweifle das. Diese Frankfurter Kreise wissen immer alles ganz genau, nämlich noch genauer. Die waren wahrscheinlich dabei, als Mosebach das Ding geschrieben hat. Ich hab’ das Buch unter Qualen durchgeblättert. Ich kenn’ diesen Typen aus der Zeit, als er aus Äthiopien kam und in Frankfurt unter die Fittiche der Freifrau von Bethmann schlüpfte. Er tauchte bei einem der Jours auf, die ich damals in der Günthersburgallee veranstaltet habe. So fett wie heute war er natürlich noch nicht. Er wollte ein Buch über die Königin von Saba schreiben. Plötzlich hielt da ein RCDS-Bursche dumme Reden, so ein Verschnitt von Christian Kracht, bevor sich der irgendwo in Asien existentiell verbissen hat – der Kracht kann überhaupt nicht schreiben, bei dem wird dir als Lektor angst und bange, aber das merkt ja keiner mehr –, also, diese blonde RCDS-Tolle redete außerordentlich dummes Zeug über Elite usw. zusammen, und das hat den jungen Prinzen ziemlich irritiert. Ich hab’ die Tolle dann rausgeschmissen. Na ja, jedenfalls, der Mosebach kann so einen Mist nicht geschrieben haben, wahrscheinlich hat er halt redigiert. Vielleicht hat auch Hans Magnus noch ’n bißchen mitgequakt. Einige Passagen riechen sehr nach Enzensberger. Aber im Grunde ist die ganze Aufregung um die Wossen-Arie nur Dorfklatsch.

Ernst Herhaus, der Co-Autor des Siegfried, war ein richtiger Hochstapler. Seine Alkoholikerbiographie ist erstunken und erlogen gewesen. Das hat Mosebach, der wohl eine Zeitlang so etwas wie eine Art Sekretär von Herhaus war, mal erzählt.

Herhaus hat mehrere Leben gelebt. Als Co-Autor, der die von mir besprochenen Tonbänder abgeschrieben hat, hat er in meine Erzählung nicht eingegriffen. Das war eine große Leistung. Heute bearbeite ich meine Texte zusammen mit Barbara sehr viel eingehender. Herhaus’ Säufergeschichte, Kapitulation, ist ganz und gar stilisiert. Vieles ist schlicht gelogen. Ich weiß das aus eigener Anschauung sehr genau. Die echte Geschichte des damaligen Herhaus wäre jene gewesen, die mir er und seine Frau Lore über ihre Ehe erzählt haben. Das wäre eins der komischsten Bücher geworden, aber Herhaus hat ein riesiges Gezeter veranstaltet und mit Einstweiligen Verfügungen gedroht, weshalb das Buch nie erschienen ist. Vorher verantwortet er den Siegfried mit – und dann das.

Gerade ist im relativ jungen area Verlag die dreizehnbändige März-Kassette erschienen, auch mit Peter Kupers Hamlet, einem herausragenden Beispiel für die von dir begründete protokollarische Literatur. Hast du die Biographien, die sich so eindrücklich erzählt haben, bzw. das Leben deiner Co-Autoren weiterverfolgt?

Herhaus hat sich in seinem Literatenkopf schließlich zurechtgelegt und herumerzählt, der Siegfried sei sein Buch, seine Erfindung. Das ging mir irgendwann auf den Wecker. Diesen Sabberkopf, bei allem Verdienst, mußte ich mir ja nicht dauernd antun. Inzwischen sitzt er am Bodensee als hochangesehener deutscher Dichter in einem Schweizer Dorf, das sei ihm gegönnt, und macht in regelrecht sektiererischem Christentum. Der ist jetzt eine richtig penetrante Betschwester. Das muß ich ja nicht haben. Was Kuper angeht: Der hat immer gerne gemalt, und in der Frankfurter Halbwelt gibt es etliche Kunden, die seine Bilder sehr schätzen. Auf einem der Bilder stand hinten drauf: »Ich male jetzt im Photorealismus.« Ich möchte das nicht weiter kommentieren. Auf jeden Fall geht es dem Kuper wohl gar nicht schlecht. Neulich hat er mich angerufen und mich mal wieder haltlos beschimpft. Weil das früher auch so war, hab’ ich den Kontakt schon vor längerer Zeit abgebrochen. Der Hamlet bleibt davon selbstverständlich unberührt – ein durch und durch gelungenes, simplicissimushaftes Buch, denn der Kuper ist im besten Sinne ein tumber Tor, der einen besonderen Blick hat und tolle Geschichten erzählt, wenn er nicht gerade am Telephon rumblökt und behauptet, er würde ein neues Buch schreiben. Da vergißt er, daß er gut erzählen, aber gar nicht schreiben und redigieren kann.

Wie ist die Auswahl für die März-Kassette zustande gekommen?

Ich muß vorausschicken, daß der area Verlag sein Geld im Bereich modernes Antiquariat verdient. Man druckt große Auflagen und zahlt ein relativ niedriges Autorenhonorar. Deswegen sind die Bücher so billig. Die März-Kassette umfaßt über 6.000 Seiten und kostet 49,95 Euro. Bruno Hof, der Chef von area, wollte das im Rahmen des sonstigen Kraut-und-Rüben-Programms unbedingt machen. Wir haben aus rund zweihundertachtzig März-Originalausgaben einundzwanzig Titel ausgewählt.

Warum fehlt skandalöserweise Cosmic?

Weil Siegfried drin ist. Da paßt nur ein Schröder-Buch rein.

Cosmic ist unverzichtbar.

Weil es von mir ist, widerspreche ich da nicht. Aber man muß sich bescheiden. Außerdem hatte Bruno Hof auch seine Favoriten. Die verschiedenen März-Abteilungen sollten abgedeckt werden. Von Cohen konnten wir nur eins nehmen, Blumen für Hitler, dann, keine Frage, eins der wichtigsten März-Bücher, Amendts Sexfront, mit dem Buch – Auflage 350.000 im Laufe der Jahre – ist wirklich plötzlich die sexuelle Repression in der erweiterten Bewegung weggedampft, und Craig Kee Stretes Jim-Morrison-Roman sowie der Erotik-Reader usf. – bis hin zu Uve Schmidts und Fee Zschockes Beziehungsbüchern, Joe Brainards total verkifften Literaturcomics und zwei großen Romanen von Upton Sinclair, Der Dschungel und Am Fließband. Und, als Beispiel für die Weltliteratur bei März, Jules Vallès Kommune-Roman, eins der besten Bücher der französischen Literaturgeschichte, ein Vorbild, der Erzählweise wegen, auch für mich.

Der area Verlag vermeldet ein »offizielles März-Revival« und kündigt die Wiederkehr einer Zeit an, »als Bücher noch echte Skandale auslösten«. Das klingt euphorisch.

Das sind Blumen deutscher Werbelyrik. Das interessiert mich überhaupt nicht. Die können erzählen, was sie wollen.

Du glaubst nicht, daß du dich mit der März-Kassette und auch mit der Wiederauflage von ACID, dem einstigen März-Pilotbuch, in den Reigen der Klatsch- und sonstigen Skandale einreihen und vom Getöse profitieren wirst?

Da sind wir mit der Serie Schröder erzählt doch schon viel länger dran und dabei. Nur: Die Skandale, von denen ich erzähle, sollen ja gar nicht diskutiert werden. Nimm den Fall Bertelsmann. Jetzt, da der Mohn kaum mehr Piep sagen kann, erscheint ein Buch über die braune Vorgeschichte des Konzerns und die furchtbare Beziehungskiste zwischen Reinhard und Liz Mohn. Das war in Schröder erzählt bereits vor acht Jahren nachzulesen, in der Folge »Brot und Spiele«, die junge Welt hat’s auch gedruckt. Das ist nur ein Beispiel. Du mußt andererseits nicht denken, daß die vielen Skandale, von denen wir erzählen, ohne daß sie in der großen Öffentlichkeit Beachtung finden, wegen der kleinen Auflage von Schröder erzählt nicht zur Kenntnis genommen werden. Unter den Subskribenten sind eine Menge Multiplikatoren und Medienfritzen, die unsere Sachen z. T. wie Tresorpublikationen lesen. Ich bin ja kein Rutengänger, ich rede von Fakten – du weißt ja auch vieles aus gutunterrichteten Frankfurter Kreisen –, weil ich Insider bin. Im Feuilleton breitet das selbstverständlich niemand aus. Wenn ich noch irgendwas hätte mit Mohn zu tun haben wollen, hätte ich das nie erzählen dürfen. Das kommt bei denen sofort an. Die haben, ob bei Bertelsmann oder Holtzbrinck oder sonstwo, spezielle Abteilungen, die solche Publikationen wie Schröder erzählt genau checken.

Wenn dich die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, wie im Vorfeld des Erscheinens der März-Kassette geschehen, auf einer ganzen Seite, übrigens zusammen mit Reich-Ranickis Kolumne und einer Anzeige für Helmut Kohls Autobiographie, u. a. als ehemaligen »Pornokönig Schröder«, wie dich der stern Anfang der siebziger Jahre genannt hat, porträtiert, dann bist du doch wieder im Feuilleton angekommen.

Barbara hat sofort gesagt: Ich muß mich spalten. Als Geschäftsfrau begrüße ich einen solchen Riesenartikel, als Frau dieses widerlichen Typen Schröder, der da, eingerahmt von zwei nackten Weibern, vor seinem Herrenhaus und seinem Jaguar posiert, möchte ich damit nichts zu tun haben. Mir geht es ähnlich. Eigentlich möchte man die Figur nicht sein, über die geschrieben wird: ein großer Verleger und ein Arschloch. Nur Masochisten möchten ein Arschloch sein oder freuen sich darüber, wenn sie ein Arschloch genannt werden.

Besagtes Image hast du ja schon im Siegfried selbstdistanzierend zurechtgerückt. Davon war in der FAS nichts zu lesen. Die stern-Geschichte hast du als »ungeheure Scheiße« bezeichnet.

Das wird nicht zur Kenntnis genommen, weil die von nichts eine Ahnung haben. Als wir z. B. endlich den Prozeß gegen die VG Wort gewonnen hatten – die VG Wort wollte Schröder erzählt nicht als Sachliteratur anerkennen und hat deshalb die Ausschüttung der uns zustehenden Gelder verweigert –, war die Biller-Sache im ersten Durchgang gerade abgeflacht, und es mußte eine neue Sau von der Leine gelassen werden. Was in den Feuilletons über das Urteil zu lesen war, war ausnahmslos vollkommen ahnungsloser Mist. Die können allesamt nicht mehr recherchieren – oder wollen nicht mehr. Die sind halt strukturell dumm.

Ich will versuchen, eine Brücke zu schlagen zwischen deinen früheren, halb emanzipatorischen, halb rein ökonomischen Erwägungen folgenden pornographischen Unternehmungen mit Olympia Press und dem Zirkus, der um die Sachsenwaldfilme und Thor Kunkels Nazipornoroman veranstaltet wird. In der Debatte über Kunkel bricht sich auch, anders als vor dreißig Jahren womöglich, ein ungeheurer biedermeierlicher Stumpfsinn und eine handfest reaktionäre Gesinnung Bahn, oder?

Daß Verleger froh sind, auf ein Thema gestoßen zu sein, das eine Menge Geld einbringt, steht außer Frage. Mir hat die Beschäftigung mit Pornographie aber obendrein Spaß gemacht, und man konnte sie als Instrument gegen den Muff handhaben. Außerdem funktionierte literarische Pornographie – ganz im Sinne des Postmodernepostulats von Leslie Fiedler – als Agitation gegen den Kanon der Moderne. Heute schreit wieder alles nach dem Kanon, obwohl dabei vorrangig ist, welche und wie viele Kanonkassetten man verkaufen kann. Z. B. die März-Kassette. Fiedlers Thesen, Stichwort »Cross the border, close the gap«, trafen sich gut mit einer neuen, offenen Literatur, die man Pop nennen könnte, einer Literatur mit Einsprengseln von Pornographie, Comics, Journalismus, so, wie es Brinkmann und Rygulla in ACID dokumentiert haben. Die Pornographie wurde mir nach zwei Jahren allerdings zu langweilig, weil sie sich viel zu stark kommerzialisierte. Kommerzialisierte Sexualität ist etwas sehr Fades. Mir hat das die Lust am Vögeln verdorben. Das ist die ganze Kohle nicht wert. Und als sog. Pornokönig war ich nur noch ein Mediensubstrat, überall als solches wahrgenommen. Du kannst unter diesem Druck gar keine persönlichen Beziehungen mehr eingehen.

Du warst eine »Rollenhure« geworden. Das ist die Selbsttitulierung im Siegfried.

Ja.

Du hast in dem Zuge die wunderbare Bismarc Media gegründet – als Einrichtung zur Leistungs- und Rollenverweigerung.

Das ist mit zuviel Aplomb gesagt. Bismarc Media war eine Agentur ohne Auftrag und Ziel. Reine Business-Art. Nichts, aber Schein, und das in ausgesuchtester Form. Eine Weile haben wir die Leute richtig verrückt gemacht. Wir haben richtig rumgeschwafelt.

Eine Art Medienguerillakonzept?

Medienkunst. Ich hab’ das eigentlich als die einzig mögliche Form betrachtet, auch gegen den eigenen Blödsinn, den man ständig in seinem Verlag betreibt, Stellung zu beziehen.

Im Siegfried findet sich die bedenkenswerte Formulierung vom »staatlich geförderten Kälbergehorsam« und der Satz: »Jede Gesellschaft war zu jeder Zeit katastrophal.« Dann war sie das auch in den sechziger und siebziger Jahren, und trotz allem Gerede über Befreiung und Emanzipation waren Hörigkeit und Autoritätsfixierung unvermindert vorherrschend.

Natürlich. Rückschauend betrachtet, muten die Katastrophen der 68er jedoch eher paradiesisch an. Wir hätten niemals geglaubt, daß sich der Imperialismus derart massiv potenziert und derart unverfroren präsentiert, wie er das heute tut. Wir haben es nicht ernsthaft für möglich gehalten, daß die apokalyptischen Szenarien über Big Business und Krieg tatsächlich Wirklichkeit und dabei noch weit übertroffen werden.

D. h., wir leben in der Apokalypse?

Ja. Ich will die damaligen Bedrohungen, etwa die Nuklearminengürtel in Europa, nicht herunterspielen. Aber was jetzt läuft, ist wirklich katastrophal.

Zurück von der großen in die kleine Welt der Verlagswandlungen und -verwicklungen. Wir müssen über das hervorragende Interview reden, das Joachim Unseld mit dem stern über seinen Vater, seine Schwiegermutter, die »Verlegerdarstellerin« Ulla Berkéwicz-Unseld, und Martin Walser geführt hat.

Hör mal, wenn Walser den Eindruck hat, er wird bei Suhrkamp nicht mehr gut vertreten, ist es sein gutes Recht zu gehen.

Joachim Unseld sagt: »Walsers Entscheidung ist fürchterlich. [...] Sein Weggang trifft den Verlag in seiner Substanz.« Eine Katastrophe also.

Ganz unrecht hat er da nicht. Im Gegensatz etwa zu Handke ist Walser ein Bestsellerautor, mein lieber Freund.

Davon abgesehen ist das Interview ein grandioser Seelenstrip vom Allerpeinlichsten. Wie er auf die Stiefmutter losgeht und sich in den schillerndsten Paradoxien verstrickt – von solchen Semiskandalen oder Schmarrereien hätte ich gerne mehr.

Aber bitte! Das ist ein postmodernes Interview, inkl. Grimms Märchen, Psychogefasel und Stories über Intrigen. So was möchte man lesen. Diese Hamlet-Pose, in die er sich da begibt – wunderbar! Daß er auch noch denkt, Berkéwicz und Konsorten könnten seinen Alten um die Ecke gebracht haben – phantastisch!

Und diese Widersprüche! Ulla Berkéwicz »hat ihm«, seinem Vater, »eine Liebe produziert, die es nicht gab. Aber dadurch, daß sie diese Liebe jahrelang produziert hat, gab es sie doch.«

Ein erstklassiger Satz. Über diesen Seelenkwulst und -kwalst sollte man trotzdem nicht reden, sonst gerät man in die Nähe eines solchen Boulevardkokolores. Aber daß Siegfried Unseld den Verlag nicht seinem Sohn übermacht hat, war sicher schofel. Der hatte seinen Joachim ja zum Verleger und Nachfolger erzogen und bestimmt. Das hab’ ich mit eigenen Augen gesehen. Mit seinem fünfzehn- oder sechzehnjährigen Sohn ist der auf die Tagung einer evangelischen Akademie marschiert. Da hielt er einen Vortrag, thronte da als Schwabenliteraturkönig, und der Dauphin saß rum und verstand nur Bahnhof. Er sollte aber sowieso bloß hergezeigt und eingeführt werden in die Gesellschaft. Der ist überall hingeschleppt worden. Der wurde regelrecht getrimmt nach schwäbischer Art, nach dem Motto: Ich bin Schuster. Du wirst Schuster! Ende! Feierabend! Später war er bei Suhrkamp ja auch wirklich gut.

War Siegfried Unseld also doch ein höchst zweifelhafter Charakter?

Nein. Mensch, die Berkéwicz hat sich den Laden einfach unter den Nagel gerissen, zum Kuckuck! Was brauchen wir da lange rumzureden! Diese Lamentos überall in den blöden Feuilletons! Berkéwicz hin, Berkéwicz her! Und Verteidigungsreden hin und her! Mein Gott, müssen wir die jetzt auch noch bedauern, weil sie sich den Verlag unter den Nagel gerissen hat, oder was? Es hat doch geklappt! Ist doch normal! Und mir ist das egal. Auch wenn es moralisch inferior sein mag, daß der Alte seinem Sohn nach dreißig Jahren die lange Nase gezeigt hat. Als der Mohn noch tacko war und nicht als alter Schnarchsack in den Fängen dieser Liz hing, da – also, labile, alte Säcke werden natürlich von solchen Hyänen völlig plattgemacht, da hat der Sohn Unseld völlig recht. Ich sage dir, ich habe diese Liz Mohn einmal in der Glotze gesehen, bei B. trifft ..., diese Böttinger hat unglaublich gesülzt, wahrscheinlich, weil der Mohn der Sender gehört, keine Ahnung – der WDR ist das? Na, dann eben nicht –, also, weißt du, was die da gemacht haben? Die haben drei unterschiedlich angezogene Schauspielerinnen hingestellt, und dann tauchte Frau Mohn auf mit ihrem Truthahnhals und sollte entscheiden, welche der drei sie einstellen würde. Und da hat sie ein original BDM-Mädchen ausgewählt und erklärt, daß Frauen heute so auszusehen haben. Das ist die Chefin des zweitgrößten Medienkonzerns der Welt! Und nicht einfach ’ne Pißnelke!

Siegfried Unseld soll sinngemäß zu seinem Sohn gesagt haben: »Jetzt spiele ich deinen Hitler und enttäusche dich! Ich bin dein Vater, ich enttäusche dich! So wie Hitler mein Vater war, der mich enttäuschte. Und ich enttäusche dich.«

Das könnte auch von Ulla Berkéwicz stammen. Solche Sachen schreibt die auch. Kein Verleger ist im übrigen verpflichtet, ein guter Autor zu sein, noch muß er intelligente Interviews geben. Ich glaube dem Joachim, daß sein Alter solche Klöpse gesagt hat. Ob man post mortem derart deutlich äußern muß, daß der alte Unseld so ein Idiot war, ist eine andere Frage. Aber wenn das ein Skandal sein soll, dann muß man zu dem gegenwärtigen Skandalmurks doch noch mal deutlich sagen, daß das Schreckliche an diesen Skandalen ist, daß sie überhaupt keine sind. Wären es welche, würden sie nicht durchgeritten.

Wir haben Thor Kunkel völlig aus den Augen verloren. Sein Roman Endstufe ist ein echter Skandal. Zumindest meint das die Süddeutsche Zeitung. Man könnte da auch an die allgemeine Hitlerei von Guido Knopp bis zu den jährlich dreizehn Führer-Titelblättern des Spiegel denken.

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