Kitabı oku: «Die Poesie des Biers», sayfa 3
Der Russe
Zwischen Murmansk und Moskau hat ein Russe einen Schnellzug entführt und »zwei Flaschen Bier als Lösegeld gefordert« (taz, 3. November 1999), wurde jedoch nahe Sankt Petersburg von der Polizei überwältigt und arretiert.
Vom Russ’
Taktische Ikonographie
Es wird erzählt, daß der Russ’ manchmal sehr ergrimmen konnt’. Als er mit seinem Fußvolke und seinen Rössern zum Beispiel einmal ein Wegkreuz, welches den Gottessohn in sterbender Verzehrung zeigte, zu passieren sich anschickte, hielt er bei diesem Anblick an und inne. Augenblicklich überkamen ihn ein Zorn und ein inneres Grollen, nämlich darüber, daß der Franke es wagte, ein Leid so schamlos an der Straße auszustellen – ein Leid, das doch er, der Russ’, dem Franken wollt’ angedeihen lassen.
Unschlüssig und verwirrt verweilte der Russ’ in seiner ganzen herrlichen mannschaftlichen Geschlossenheit vor dem hölzernen Gebilde, während keine acht Morgen weiter der Franke einen Becher hob und in den Wirtssaal rief: »Leut’, habt acht, des hamma für den Russ’ gemacht!«
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Virtuelle Vendetta
Weil aber der Russ’, der von alters her ein Meister in Ikonographie, Schweineschlachtung und Menschenbehandlung war, jene Niederlage von Drügendorf nicht ungesühnt lassen wollte, marschierte er gleich auf Drosendorf zu. Dort war indes niemand.
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Die Macht der Gedanken
Ein ehrlicher Franke trieb seine Kühe vom Anger auf die Weide hinaus, sprach seinen Viechern warme Worte zu und legte sich ins Maigras. Die melonengelbe Sonne bleckte und tänzelte über die Wangen des wackeren Franken, der bloß angetan war mit einem Shirt und einer Stoffhos’, und die Gefleckten mampften das dicke Gras, während sich der Franke einem Gedanken hingab, von dem er noch nicht wußte, welcher Art er sei.
So verging eine Zeit. In einem Moment jedoch schreckte der Bauersmann hoch, weil er hinten am Waldesrand, im Gebüschsaum, ein Geräusch glaubte gehört zu haben. »Ein Franke täuscht sich nicht«, dachte er da, und er fügte für sich noch einen Gedanken hinzu: »Das ist der Russ’, auf der Lauer liegt er dort, das ist mir gewiß.«
Also berappelte sich der Franke, erhob sich, zog die Stoffhos’ »auf Äquator«, schritt hinüber zu seinen grasenden Tieren und flüsterte jeder einzelnen Kuh ein Wort ins flauschige, hochgestellte Ohr.
Daraufhin taten die Tiere, wie ihnen geheißen, sammelten sich auf einer Linie und begannen, auf den Waldesrand zuzumarschieren.
Aus dem Buchen- und Tannengeflecht waren sogleich deutlich gewisse undeutliche und erschreckend blecherne Laute wie »Kuczynski, Katastrophia!« und »Kommando kehrtysky!« zu vernehmen, derweil dem wacker’n Franken schon wieder hold liegend daran lag, jenen Gedanken zu denken, an den er schon so lange gedacht hatte, ohne ihn bereits vollends zur Reife gebracht, geschweige denn begonnen zu haben.
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Fitneßfinte
Dem Russ’ fiel einmal ein, es anders zu probieren. Er machte einen Plan, den er selbst beinahe verstand, und nach diesem Plan verheerte der Russ’ sodann folgende Gemarkungen: Sachsendorf-Süd, Keilstätten, Fürth (komplett), die ebermannsstädtische Schweiz und einen erheblichen Teil von Aufseß. In Aufseß hatte der Russ’ nämlich außerdem ein Wirtshaus ausgemacht, in dem pechschwarzgebrannt wurde, und das packte ihn sehr an der eig’nen Ehr’.
Nun, der Erfolg der Mission war augenscheinlich. Aber nach zwei Tagen stellte sich heraus, daß der Russ’ nur Sachsen, Holsteiner und Albaner hingemeuchelt hatte. Dieselben waren vom Franken zu einem »Extreme Wellness Weekend« eingeladen und überall dort einquartiert worden, wo die Kunde von des Russ’ Vorhaben vorher hingedrungen war.
Der Franke seinerseits aber war längst über den Wellness-Wanderweg nach Kathi-Bräu entflohen, wo er jetzt der Katze ein Prosit entbot und jene zarten Maiden orgelte, von denen der Russ’ abermals bloß schmachtend träumte.
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Von der Wendigkeit der Gefühle
Einmal verlief sich der Russ’ bei Nürnberg-Langwasser so arg, daß er nach Stunden entbehrungsreichen Marschierens schon aufgeben und die Fehde, verärgert über sich selbst, für beendet erklären wollte. Vorerst.
Gerade hatte er sich also in einem großen Kiefernwald mit seinen erschöpften Mannen auf ein Lager gebettet, um zu rasten und den Friedensvertrag aufzusetzen, da fiel ihm auf, daß er die nämliche Schrift ja gar niemandem würde überbringen können, wo man doch so furchtbar herumgeirrt war und nun in der erbärmlichsten Einöde verdammt schien, immerdar unter sich zu bleiben und nie mehr eines Franken ansichtig zu werden.
Bei dieser trüben Aussicht änderte der Russ’ seine Meinung deshalb sofort und schwor sich, in den nächsten Tagen wenigstens auf Reuth droben und jenseits des Wernsbaches alles kompromißlos kurz und klein zu hauen.
Obschon dort ja schon lange kein Stein mehr auf dem anderen lag, hatte jene Gegend früher nämlich als Übungsgebiet für die »Operation Schnatzkolkaja« herhalten müssen. Aber das war dem Russ’ in seinem Frust nun gleich ganz scheißegal. So war er eben …
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Ankündigung schlimmer Ereignisse
Von Mund zu Mund ging oft die Geschichte, daß der Russ’ etwas fürwahr Furchterregendes im Schilde führte, das schlimmste Not über die Gauen des Frankenlandes bringen würde und manches Ungemach, etwa trocken Brot, Gift in der Suppe und grüne Fahrradreifen. Was genau, wußte man nicht.
Aus der Welt der Wahrheit
Schlagfertig con Schaschlik
An einem Frankfurter Stehimbiß, an dem Eckhard Henscheid in unregelmäßigen Abständen zu einem Gemeinschaftssnack und zum anschließenden »Elendstrinken« lädt, wurde der Romancier, als er gerade einen Happen Schaschlik zum Mund führte, von einem Redakteur gefragt, ob er gedenke, demnächst wieder »einen großen Roman« zu schreiben.
»Nein«, versetzte Henscheid und kaute weiter.
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So nicht!
Vor vielen Jahren war der Dichter Henscheid mit einem Freund während einer Anhalterreise zwischen Rastatt und Iffezheim sehr lange hängengeblieben. Also beschloß Henscheid, in die nächstgelegene Ortschaft zu wandern, um durstlöschendes Bier zu holen. Es war um sechzehn Uhr herum, zudem glutheiß.
Der Wirt des ersten erreichbaren Lokals beschied das Ansinnen des jungen Henscheid, zwei kühle Flaschen Bier kaufen zu wollen: »Ein Bier für zwei genügt!«
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Perfekte Pannenhilfe
»Tatsächlich? Mit der Flasche?« Ja, er bitte ihn darum, mit der Bierflasche auf den Anlasser zu hauen, eigentlich genüge auch ein Klopfen, um den Wagen zu starten. Nur weil der Anlasser hinüber sei, liege diese Bierflasche überhaupt hier im Auto herum.
»Ach so«, sagte Eckhard Henscheid und stieg mit der Bierflasche in der Hand aus, ging um den Wagen herum, öffnete die Motorhaube, beugte sich über den Motorblock und begann, mit der Bierflasche auf den Anlasser einzuschlagen. Der Mann hinterm Steuer drehte den Zündschlüssel um, und schon lief der Motor.
»Das wäre ein Romananfang«, sagte Henscheid, als er wieder auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. »Eine interessante Szene.«
Die Bierflasche war unversehrt geblieben.
Der Staub der Seele und das Grün des Gemüts
Nach Westen, junger Mann, nach Westen! Dort findest
du Glück, Ruhm und Abenteuer.
Der Mann, der Liberty Valance erschoß
Es ist schwer.
Townes Van Zandt
Das Lagerfeuer lodert, orange und honiggelb züngeln die Flammen. Unterhalb der Terrasse neben dem Hauptgebäude der 71 Ranch im Nordosten von Nevada erstrecken sich im Halbdunkel riesige Weiden, die in die Ausläufer der Ruby Mountains übergehen. Gütig konturieren die »Alpen von Nevada« den Horizont, die Szenerie einhegend und beschützend.
Es riecht nach Bohnen, gegrilltem Huhn, gegarten Kartoffelscheiben. Jay Dalton, eine optisch präzise Inkarnation des Marlboro-Mannes, greift zur Gitarre, legt sie noch mal zur Seite, nimmt einen Schluck Bier und beginnt sie dann zu besingen, die unstillbare Sehnsucht nach dem Westen, nach dem Leben im »Big Empty«, nach der Unabhängigkeit, aber auch nach der Familie, der Geborgenheit, der Sicherheit, die die tradierten Werte gewähren. Oder gewähren sollen.
Der Mythos vom weißen Mann, der sich kraftstrotzend, hartgesotten und selbstbewußt, mit Entschlossenheit, Unerschütterlichkeit und Gottes Segen ein wildes, unermeßlich weites Land untertan gemacht hat, ist melancholisch legiert. Die verflossene Liebe, die ausgespannte Braut, »heartache and tears«, all das kennt das Liedgut der Cowboys nur zu gut, und Jay Daltons schwebender, wellenförmig an- und abschwellender Gesang zeichnet die Welt bisweilen tief anrührend nach dem Melos der Schwermut. Das Leben, »sometimes it makes me mellow« – manchmal macht mich das Leben mürbe.
Nicht, daß Jay Daltons Darbietung an die Auftritte des großen, verlorenen Sohns der Country- und Bluesmusik heranreicht, an Townes Van Zandt, der laut Willie Nelson »Poesie und Musik« wie kein zweiter Songwriter und Folksänger vermählte; an den abgewetzten, ausgemergelten, verstörten Tramp und Troubadour, der das Bild vom gebrochenen Cowboy, der auf der Straße die Freiheit und Reinheit des Lebens sucht und dabei scheitert, verkörperte wie sonst kaum jemand: »Alleinsein ist ein Zustand. Einsamkeit dagegen ist ein Gefühl.« – »Ich habe ein paar Lieder, die sind nicht traurig, nur hoffnungslos.« Aber der Staub, der sich auf die Seele legt und die Hoffnung, die im Gemüt noch grünen mag, endgültig erstickt, den spült auch Jay Dalton – bildlich – mit dem einen oder anderen Bier an der Bar herunter, »just watching the bubbles in my beer«, bloß auf die Bläschen in meinem Bier starrend, und dabei fühlt er sich »as empty as the bubbles in my beer«. Da hilft vielleicht nur noch Jodeln, American Yodeling, und das beherrscht Jay Dalton so virtuos, daß man sich in den Alpen wähnt oder mitten unter Kojoten.
Nun nimmt er einen weiteren Schluck Buckaroo-Bier, das benannt ist nach den in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts in der hiesigen Gegend ansässig gewordenen baskischen Schäfern, den »vaqueros«. »I like beer, it makes me a jolly good fellow«, sagt Dalton, »ich mag Bier, das macht aus mir einen fröhlichen, guten Kerl«, und dann setzt er seinen Ritt durch den Reigen berühmter Cowboylieder, berühmter Weisen amerikanischer Kuhhirten und ihrer Panegyriker und Rhapsoden, fort, von Hank Williams über die Titelmelodie des Jahrhundertwesterns High Noon und »Ring Of Fire« bis zu einer glänzenden Willie-Nelson-Parodie.
Jay Dalton ist witzig, ist komisch, er erzählt Räuberpistolen und Grotesken über eine Stampede, über ein Rodeo in Elko, der nächsten Stadt Richtung Westen, er veralbert mitunter die Grasnarbenfolklore, und er beschließt den Abend, die Bierflasche in den wie auf einem Gemälde von Frederic E. Church oder Albert Bierstadt glühenden Himmel hebend, mit John Denvers Zeile »Sunshine on my shoulders makes me happy«.
Wie sagten die amerikanischen Kollegen während der Anreise von Salt Lake City über den Highway Interstate 80, der auch die legendären Siedler- und Goldsucherrouten California Trail und Oregon Trail touchiert? »Nevada is a drinking state« – Nevada ist ein Staat der Trinker. Yeah.
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Es fällt einem kein anderes Wort ein als: Weite. Der Himmel, die Weite. Eine Landschaft, die prähistorisch wirkt. Eine Kulturlandschaft jedoch, zum Teil zumindest. The Great Basin, Cowboy Country, das wahre, das unverfälschte. »The unspoiled drama of the West« – so bewirbt man den Nordosten Nevadas, den wilden, rauhen, das »Territorium des Bieres«, wie die amerikanischen Kollegen immer wieder anmerken, zumal jene aus Kalifornien, die beim Anblick einer glimmenden Zigarette gleich dem Vampir im Angesicht der Knoblauchzehen dreinschauen.
Wir kommen aus der faden Mormonenkapitale Salt Lake City. SLC, eine Abbreviatur der Lustfeindlichkeit. Die Stadt am Großen Salzsee, der quecksilbrig unterm tranig-quarkigen Himmel in seiner Pfanne vor sich hin schwappt. SLC, such a lust killing community. In Salt Lake City, der womöglich ernüchterndsten Stadt des Westens, sind Alkohol und Tabak des Teufels.
Graue Berge säumen den Horizont. Milchig-bläulich fläzt das Licht über strohig-blaßbrauner Vegetation. Der Wüstenbeifuß behauptet sich, dazwischen nichts, kein Haus, kein Mensch, kein Pferd. Die Wolken kleben am Himmel, als seien sie dort begraben. Zerfurchte, kahle Hänge hinter olivgrün gesprengselten Ebenen. Zwergsträucher, Krüppelbüsche, stille Prärie, ausgetrocknete Heide. Zementfarbene, endlose Flächen. In der High Desert seien sie auch noch nicht gewesen, gestehen die amerikanischen Kollegen und betonen, abgelegener, unberührter gehe es nicht.
Es tauchen die ersten Salzplacken auf, sie werden größer, dehnen sich aus, und plötzlich sind wir auf den Bonneville Salt Flats. Die Berge in der Ferne ragen kantig, spitz, schwarzbraun und abweisend auf, und davor liegt eine betonharte, wie gewalzte, gleißend weiße, tödliche Ebene, auf der mit Raketenautos Geschwindigkeitsweltrekorde en suite aufgestellt und in die vielerlei Namen von denen, die hier eine Rast einlegten, eingeritzt wurden – mit Bierflaschen, wie uns später ein Cowboy auf der 71 Ranch erklärt.
Die Cowboys der Landstraße, die Trucker, hetzen ihre Riesenkähne brummend und heulend über den schnurgeraden Asphalt. Ob Geschwindigkeit und Zielstrebigkeit der Gütertransporteure das Äquivalent zum Pioniergeist des 19. Jahrhunderts sind? Die motorisierte Unentwegtheit den einstigen Eroberungsdrang beerbt? Zitiert? »24 hours truck wash«, lesen wir an einer Tankstelle, und am Heck eines Lkws steht: »Without Trucks America Stops«.
Und die Kollegin aus Kalifornien sagt: »Sarah Palin hat den Cowboy in sich. ›Bring it on!‹ – ›Mach hin!‹ Das fordert sie.«
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Wir halten in West Wendover, etwa hundertsiebzig Kilometer vor Elko und einen Fußbreit hinter der Grenze zwischen Utah und Nevada. Dort kann man, von einer Anhöhe aus und der Weite wegen, sehen, wie sich die Erde krümmt, in die Salzwüste hinein. Am Ortseingang grüßt die größte Neoncowboyfigur der Staaten, der »Wendover Will«, auf einem massiven Podest, mit, man glaubt es kaum, Zigarette im Mundwinkel. Lucky Luke, der rechtschaffene Widersacher der rund um Carson City ihr Unwesen treibenden Dalton-Brüder, darf das schon seit Jahren nicht mehr. Er kaut im Comic auf einem Strohhalm herum. Lustlos.
Seit 1931 ist das Glücksspiel in Nevada, dem »Silver State« mit seinen zahlreichen Gold- und anderen Edelerzminen, legal. West Wendover besteht im Grunde einzig aus Hotels mit Spielkasinos, das heißt aus vollklimatisierten Übernachtungsbunkern mit verspiegelt-labyrinthischen, in den grell-giftigsten, abscheulichsten Farbkombinationen gehaltenen Hallen und Foyers, in denen zwischen Roulettetischen, Restaurantbuchten und verchromten Bars Tausende von Spielautomaten jiepen, rattern, pfeifen, singen, klingeln, scheppern, schnarren. Tinnituspatienten sollten diese Orte meiden.
Gleich hinter den Rezeptionen öffnen sich die Höllenreiche, in denen Rentner, Trucker, Hausfrauen, Kettenraucher, Studenten, Geschäftsleute, Handelsreisende ihr materielles Glück suchen. Sie drücken die Knöpfe der in die Tresen eingelassenen Pokermaschinen, die die Pokertische in den verqualmten Saloonhinterzimmern ersetzt haben, und ordern per Fingerzeig schweigend Whisky und Bier. Die Cowboys an den Slot Machines, den Einarmigen Banditen, genießen nicht nur den Vorzug, von all den Restriktionen, Bevormundungen und Schikanen im Alltag verschont zu bleiben und ungestört-entspannt dicke Zigarren dampfen zu können; sie genießen obendrein die in solchen hochdemokratischen Instituten übliche Sonderbehandlung: Solange du vor einer bunten Kiste hockst und Münzen in sie versenkst, gehen Bier und sonstige Getränke in unbegrenzten Mengen aufs Haus.
Hier drinnen, in der überirdischen Katakombe, scheint die Sonne nie. Selbst die Zimmer sind weitenteils verdunkelt. Damit die Spieler das Gefühl für die Zeit verlieren und tagelang an den Geräten kleben, wenden die Kasinobetreiber diverse Tricks an. Die Spielhallen haben keine Fenster, nirgendwo hängt eine Uhr. Für die Teppiche wählt man die allerabstoßendsten Muster, so daß der Blick stets auf die Slot Machines gerichtet bleibt. Die wiederum werden in kurzen Abständen umgestellt, um zu suggerieren, es seien neue angeschafft worden. Eine außergewöhnlich sauerstoffreiche Luft sorgt für immens ausgedehnte Wachphasen.
Draußen stülpt sich eine erbarmungslose trokkene Hitze über eine Topographie, die man mit unbewohnten Planeten assoziiert. Daß auf der anderen Seite der Straße, auf der in den sechziger Jahren geschlossenen Wendover Air Force Base, die Besatzung der Enola Gay ausgebildet wurde, die die erste Atombombe über Hiroshima abwarf, dünkt einem nicht unschlüssig.
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Siebzig, sechzig Kilometer vor Elko beginnt es zu grünen. Vieh steht in der Landschaft herum, an den Berghängen vereinzelt niedrige Bäume. In Richtung Süden, auf die Ruby Mountains und das Ruby Lake National Wildlife Refuge zu, werden die gelblich leuchtenden Weiden immer saftiger und – wie von der Hand eines Landschaftsmalers des 19. Jahrhunderts dirigiert – gruppieren sich pechschwarze Angus-Rinder unter flockig am blauen Firmament arrangierten Schäfchenwolken.
Die »einzigartige, unermeßliche, wunderbare Landschaft« und »das grenzenlose Licht: die amerikanische Verheißung« (Robert Hughes: Bilder von Amerika, München 1997) – sie, diese Elemente eines unvergleichlichen Seelentableaus, wirken vollendet schön und überwältigend ein paar Meilen weiter im sonnenüberfluteten Lamoille Canyon mit seinen buntgescheckten Bergflanken. Auf der im späten 19. Jahrhundert errichteten, zweitausend Meter hochgelegenen 71 Ranch, gewissermaßen um die Ecke, gut vierzig Kilometer von Elko entfernt, versuchen wir nach einem Cowboyfrühstück mit Rührei, Kartoffeln, gegrillten Tomaten, stocktrockenem Speck, Geselchtem und Pfannkuchen mit Sirup, dem »folklife« auf den Grund zu gehen, die »working cowboy experience« zu machen, also zu erfahren, was es mit dem autarken »buckaroo way of life« auf sich hat, einem Lebensstil, den viele als Berufung verstehen oder verklären, etwa das Ranch & Country Magazine, das das »Leben in Harmonie mit der Natur« preist, »in dem die Erde tagein, tagaus als ein Ort des Friedens und der Sicherheit erscheint«, das »Leben, in dem man wertschätzt, sich frei im offenen Gelände bewegen zu können«, jenseits der Grenzen und Beschränkungen, die einem die Zivilisation auferlegt. Freiheit, heißt das so betrachtet wohl, findet man auf dem Rücken eines Pferdes, alleine durch die unendlichen Gefilde streifend – beziehungsweise im Rahmen einer Beschäftigung, die in einem Handbuch der 71 Ranch wie folgt definiert wird: »Ein Cowboy ist eine Person, die mit Rindern vom Rücken eines Pferdes aus arbeitet.«
»Nie fragen, wie viele Rinder und wieviel Land ein Rancher besitzt«, lautet ein ungeschriebenes Gesetz des Cowboykodexes im »Open Range«. Greg Titus, der »Buckaroo Boss«, der Chef der 71 Ranch, die Teil eines Verbundes von neun Höfen ist, sieht das weniger eng und gibt bereitwillig Auskunft: 2.500 Rinder, zirka 15.000 Hektar – und fünfzig Pferde, die nur die versiertesten Cowboys »mit einer starken Persönlichkeit« zähmen und zureiten könnten.
Anschließend trägt er den kategorischen Cowboy-Imperativ vor, das »Cowboy Up!«: »Mach hin! Hör auf, dich zu beschweren! Leg die Extrameilen zurück! Unternimm die Extraanstrengung!« Daneben gibt es weitere Gebote, beispielsweise diese: »Mach nie eine Kuh verrückt!« – »Wenn du neu bist in der Gegend, halte die Klappe und mach die Augen auf!« – »Schrei nie den Hund eines anderen an!« – »Hetze dein Pferd nie nach Hause zurück in den Stall!« – »Bevor du ißt, füttere dein Pferd!«
»Entdecke den Cowboy in dir!« Das ist die Aufforderung, die an uns ergeht. Gleichwohl, auf einem Gaul durch die Gegend zu zuckeln, das hat wenig gemein mit der Arbeit der »Cattlemen«, die bei jedem Wetter den ganzen Tag das Vieh observieren. Während unsereins »die heilige Ruhe der Natur« (James F. Cooper) genießt, den Blick ins »great wide open«, auf das flirrende Panorama, über gewellte Wiesen, auf die gestaffelten Anhöhen der Ruby Mountains, die gebüschgesäumten Weiher, während unsereins die Linien der Schotterwege und Zäune, die erdigen Farben der Hügel, die ausgedehnten, verdorrenden Grasflächen adoriert und das Säkulare kontemplativ poetisiert, erläutert Greg unter seinem grauen Stetson trocken: »Wir tun hier alles im Hinblick auf das Ende der Kuh. Wir sind Fleischproduzenten.«
»Jeder Cowboy ist ein Doktor und ein Apotheker«, fährt er fort, aber kranke Rinder, die in den Ruby Mountains grasen, müßten erschossen werden. »Pferde sind Teil unserer Produktion und keine niedlichen Haustiere«, meint er dann, um uns auf die Kastration eines Hengstes in der alten Scheune vorzubereiten – »ein trauriger Tag für ihn«. Dem Vorgang möchte man, weiß man hinterher, nicht noch mal beiwohnen und lugt verlegen hinüber zum ehemaligen Schlachthaus, einem spitzgiebeligen, weißen Holzverschlag am Rande einer Koppel.
Die Viehgroßhändler würden traditionell mit rüden Scherzen bedacht, sagt Greg und zupft an seinem gezwirbelten Schnurrbart. Das »cowbusiness« sei hart, die Rindfleischbörse unterliege erheblichen Schwankungen, die Globalisierung dränge die amerikanischen Rancher in die Enge, deshalb verlege man sich verstärkt auf den Tourismus, auf das Konzept »Ferien auf dem Bauernhof«. Da gelte es, die Artenvielfalt zu konservieren, die Natur zu schützen, »alles im Gleichgewicht zu halten, darauf sind wir stolz«. Und er setzt hinzu: »Viehzüchter sind in allererster Linie Landmanager. Kühe sind lediglich Graspakete. Was bleibt, ist das Land.«
Einen feinfühligen, indes keineswegs nostalgisch eingefärbten Vortrag hält der Sprecher einer befreundeten Ranch. Er ist bemüht, das Bild des Cowboys als eines unzivilisierten, unbändigen Raufbolds zu revidieren, die Cowboydichtung als der Nachsicht zugeneigte, zarte Ausdrucksform zu würdigen und die heutigen Herausforderungen der Landschaftspflege, des sorgsamen Umgangs mit der Kreatur zu skizzieren. Das schließt die Frage der Wiederansiedlung der Bisons ein, die im kolonialistischen Besiedlungskampf vernichtet wurden. Warum man einst die Bisons nicht domestiziert hat, legt Greg dar: Ein Büffel würde ein Pferd innerhalb von zehn Sekunden aufspießen und in Stücke reißen.
Nein, der Cowboy sitzt nicht um die Mittagszeit im Schaukelstuhl auf der Veranda und guckt versonnen oder wohlig versponnen ins Nichts. Die Popularreligion der ruralen Ruhe überdauert höchstens in der Werbung. Der Mythos verblaßt endgültig, als wir beim Tontaubenschießen kollektiv versagen. Und wer jemals beobachtet hat, wie ein Kalb eingefangen wird – von hinten schleichen sich vier Männer an, werfen Lassos um die Hörner, die Beine und den Leib, fixieren das randalierende Wesen und zwingen es nieder –, der weiß: Die Artistik des Cowboys lebt von der Kraft und der Kondition derer, die zuweilen auch zur Gitarre greifen und von Hoffnungslosigkeit kündende Weisen anstimmen.
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An der Bar des Red Lion Hotel & Casino in Elko gerät der Kollege aus Boston nach den Erlebnissen auf der 71 Ranch ins Schwärmen. »Ich fühl’ mich wie John Wayne. In jedem Mann steckt ein Cowboy. Und in jedem Cowboy steckt ein Poet.« Und Poeten trinken Bier. Der Kollege aus Boston greift zur Bierflasche. Buckaroo-Bier. It’s all about ridin’, shootin’, drinkin’, women.
Molly vom Western Folklife Center in Elko, einer dieser vielen pragmatischen kleinen Städte in den USA, läßt die Luft raus: »Es ist die neuste Mode in Amerika, daß sich Millionäre in Cowboyklamotten werfen.« Baxter Black, den die New York Times zum »wahrscheinlich erfolgreichsten lebenden Poeten Amerikas« kürte, obendrein zum renommiertesten Cowboydichter des Planeten, Baxter Black, der ehemalige Tierarzt, der auf einer Ranch in Benson, Arizona, haust, Baxter Black, angetan mit polierten schwarzen Cowboystiefeln, einer gewaltigen silbern-ellipsenförmigen Gürtelschnalle und einem schwarzen, seidenen Halstuch, Baxter Black, der in mehr als hundert Tageszeitungen des Landes kolumniert, eine eigene Radiosendung und Fernsehclips produziert, Baxter Black, dieser skurrile, hagere Mann mit dem walroßartigen Cartoonschnurrbart, beschwört einerseits den Geist des Wilden Westens, die imaginierten Urgründe, »why the cowboy sings«. Andererseits beherrscht der sentimentale Patriot, Geschichtensammler und -erzähler und gewiefte Entrepreneur die hohe sinnzerstäubende Kunst des Nonsens, der Stegreifzerstörung der Idee des gefügten Daseins. Denn nämliches sei eine Häufung peinlicher Pannen, schauderhafter Schwachmatenhampeleien, unbegreiflicher Blödheiten dämlicher Cowboys. Da helfe allein die Hingabe gegenüber dem Gefühl des »Wabi-Sabi«, der demütigen Freude an der herben Schönheit eines Lebens in der Isolation.
Baxter Black gilt als der unumstrittene Star des National Cowboy Poetry Gatherings, des bedeutendsten Festivals in den USA, das der Cowboykultur gewidmet ist. Im Januar dieses Jahres fand es zum fünfundzwanzigsten Mal statt, eine Woche lang strömten Tausende Besucher zu ungezählten Veranstaltungen – von Workshops über Filmvorführungen, Tanzperformances, Konzerte bis zu Lesungen.
Es gebe eine »Renaissance der Cowboypoesie«, sagt Charly Seaman, der Direktor des 1980 gegründeten Western Folklife Centers im ehemaligen Pioneer Hotel im Zentrum der »letzten Kuhstadt in Amerika«. Seaman und sein aus Spenden und öffentlichen Geldern finanziertes Institut treten für den Erhalt und die Weitergabe cowboykultureller Errungenschaften ein. Man pflegt die Dokumentation der »horse based cultures« durch aufwendige Photoausstellungen, Film- und CD-Produktionen, pädagogisch inspirierte Kurse und Oral-history-Projekte. Identitätsstiftung und -vertiefung, unter Einbeziehung der ethnischen Pluralität selbstverständlich, sind explizite Ziele der Bemühungen.
»Die Leute sind hungrig nach Authentizität«, sagt Charly. »In Zeiten des Internets gibt es einen Run auf Cowboyfestivals«, erklärt Molly. Ja, das sei wohl vergleichbar mit dem Boom der Mittelaltertreffen in Deutschland, bestätigt sie und spricht von einer regelrechten »Cowboyindustrie«, die traditionalistisch und ungebrochen romantizistisch Klischees bediene und ausbeute. Während Hollywood spätestens seit John Fords Klassiker Der Mann, der Liberty Valance erschoß der Destruktion der »Ideologie des amerikanischen Traums« (Kurt Scheel: Ich & John Wayne, Berlin 1998) Raum gibt und ein atemberaubendes Kunstwerk wie Clint Eastwoods Erbarmungslos die Grausamkeiten der Gesetzlosigkeit als tiefgreifende Korrektur am Cowboymythos und seinen Lügen der Autonomie und des Heldentums in Szene setzt, lebt in der florierenden Westernpopindustrie die zum Teil konstruierte, zurechtgebastelte Vergangenheit fort, nicht selten in Gestalt restaurativ historisierender, mythisch aufgeladener Kitschwaren: von Wyatt-Earp- und »Real Life«-Comics über legendäre Shoot-outs, von Outlaw-Historiographien und -Hagiographien über Heimatfilme, kunstgewerblich aufgemotzten Sattel- und Sporenklimbim, Billy-the-Kid-Büsten, Jesse-James-Gürtelschnallen und John-Wayne-Statuen bis zur – recht profanen – Werbeprosa: »Buffalo Bill Cody! Wyatt Earp! Billy the Kid! Sie wußten es aus erster Hand! Die Waffe, mit der der Westen erobert wurde, trug das Colt-Warenzeichen.«
Baxter Black trinkt auf der Bühne stilles Mineralwasser. Dem erdverbundenen Entertainer ist es nicht um das Mästen des Cowboymythos und die Aufblähung kultischer Figuren zu tun. Spöttisch dankt er John Travolta, daß er Anfang der achtziger Jahre »den neuen John Wayne gegeben« und die »Urban-Cow-boy-Welle« ausgelöst habe: »Das war die Zeit, als die Leute anfingen, gebrauchte Jeans zu tragen, komische große Hüte und alberne Stiefel.«
Johnny Carson entdeckte Baxter Black und andere Cowboydichter schließlich fürs Fernsehen. Seit 1984 tritt Baxter Black beim National Cowboy Poetry Gathering auf, und dann flicht er keine pseudometaphysischen Girlanden, sondern wendet sich, Metrik und Reim mitunter streng achtend und mit einer erstaunlichen Vielfalt an mimischen Ausdrucksformen, dem Cowboy als Witzfigur zu, etwa als Melker, der auf »die Kuh, das unbekannte Wesen«, trifft.
Abends verdrücken wir im Traditionsrestaurant The Star ein seraphisches, nach baskischer Art zubereitetes Achthundertgrammsteak, zugeschnitten in Herzform. Die Fleischfasern zerschmelzen auf der Zunge, der Knoblauch rundet die monumentale Feinheit aufs himmlischste ab. Danach trotten wir hinüber zu Stockmen’s, einem der zwei ältesten Kasinos in Elko. Auf einer Reklametafel an der Front des häßlichen Baus schräg gegenüber vom schmucken Backsteinquader des Western Folklife Centers wird ein Konzert der Asphalt Cowboys angekündigt, und am Tresen hängen beim Buckaroo-Bier tatsächlich ein paar echte Cattlemen rum. Ob sie die erste Zeile aus dem Song »National Park« von Wally McCrae, dem vielgerühmten und verehrten Cowboypoeten, präsent haben?
»One year with hangover …« – »Ein Jahr lang Kater …«