Kitabı oku: «Fußball! Vorfälle von 1996-2007», sayfa 5

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Rückblicke auf große Radiotage

Ein Gespräch mit Ror Wolf über die Entstehung seiner Fußballradiocollagen.

Wie viele Fußballcollagen gibt es von dir?

Es gibt sieben kürzere, dazu zähle ich auch die Expertencollagen, die ich am Trainingsplatz und im Bus aufgenommen habe; dann gibt es Cordoba; dann gibt es eine ganz lange, die nicht geglückt ist: Die Stunde der Wahrheit, das war meine erste Radiocollage, und ich hatte zu wenig Zeit; sie sollte zur WM 1974 fertig sein. Man hatte damals den Hessischen Rundfunk zur WM-Sendezentrale umgebaut, es gab wenig Möglichkeiten zu schneiden. Ich fuhr also immer von Mainz nach Frankfurt: für eine Stunde Schnitt. Ich mußte immer wieder mit anderen Cutterinnen zusammenarbeiten, ich mußte immer wieder erklären, was ich vorhatte, und kam dann eben nur in ganz winzigen Stücken weiter. Wie viele Bänder ich hatte? Ach, frag mich nicht, unendlich viele. Ich hab’ sie zu Hause vorbereitet, ich hatte Apparate: die Nagra und die Revox, hab’ also Grobschnitt gemacht zu Hause, um dann alles erst mal zu transkribieren und um ein Gefühl für das Material zu bekommen. Ich hatte jahrelang gesammelt, und wenn man vor diesem riesigen Materialhaufen sitzt, weiß man am Anfang nicht genau, was man daraus machen kann, inhaltlich und im formalen Ablauf. Deshalb ist eine genaue Transkription ganz unumgänglich. Und dann habe ich mit diesen Sätzen gespielt, ich hab’ sie ausprobiert. Man weiß, wenn man sie abgeschrieben hat, nicht genau, ob sie an einen anderen Satz passen: akustisch. Das hört man erst im Studio. Ich habe dann oft einsehen müssen, daß es am Schneidetisch nicht so ging, wie ich wollte. Ich mußte viele eingeplante Sätze weglassen. Und dann hat man eben improvisiert, das ist klar, das ist kein Problem, wenn man eine so riesige Auswahl an Sätzen hat. – Die Transkriptionen waren ganz genau. Ich weiß nicht, wie viele Monate ich gebraucht habe. Ich bin fast wahnsinnig geworden in dieser Zeit, irgendwann hab’ ich’s dann aufgegeben, unter Zurücklassung großer Mengen von brauchbarem Material. Ich habe irgendwann gesagt: Es geht nicht mehr. Wenn du unter Kopfhörern sitzt, stunden-, tage-, wochenlang, dann pappst du zusammen, dann knickst du weg. Ab und zu steigst du ins Auto und fährst zum Hessischen Rundfunk, für zwei Stunden Schneidezeit; manchmal hatte ich Glück und konnte einen ganzen Nachmittag schneiden. So ist dann dieses lange Stück Die Stunde der Wahrheit entstanden. Es ist zu lang, und die Proportionen stimmen nicht. Eigentlich müßte man da noch mal rangehen und weiterschneiden. Aber das werde ich bleiben lassen.

Ein Pionier? Ich? Na ja. Als ich das gemacht habe, im Rundfunk, hatte ich mein erstes Fußballbuch, Punkt ist Punkt, schon geschrieben. Ich war mir im klaren, als ich so ’66 damit anfing, daß ich ein Thema behandle, das literarisch noch ziemlich unberührt war. Unbearbeitet, ungebraucht. Ludwig Harig hat sich etwa zur gleichen Zeit damit befaßt [1966 wurde sein Hörspiel das fußballspiel urgesendet, das sich den militaristischen Konnotationen der Reportersprache widmet]. Ich habe mich allerdings jahrelang damit beschäftigt – sehr konsequent, neben meinen anderen Arbeiten. Es war so ein langsames Hineingleiten. Es war der Versuch, aus der Leidenschaft zum Fußball etwas zu entwickeln, was dann schließlich, ja, wenn man gnädig ist, sich in eine Art Kunstwerk verwandelt, in ein Sonett oder in eine Ballade oder in eine Geschichte oder in eine Textcollage.

Zum Hörspiel bin ich relativ spät gekommen. Ich hätte ja als Radiomane, als den ich mich manchmal bezeichne, im Grunde ganz früh damit anfangen können. Ich bin als Achtundzwanzigjähriger Literaturredakteur beim Hessischen Rundfunk gewesen, aber ich habe mich eigentlich nicht für das damalige Hörspiel interessiert. Es wurden zu viele Theaterstücke ins Radio gequetscht, »eingesperrtes Theater« sozusagen. Ich dachte, das Radio müßte eigentlich andere Möglichkeiten haben. Jedenfalls wollte ich andere Möglichkeiten ausprobieren.

Im Hörspielbereich gab es viele Traditionen. Aber eigentlich kaum das, was ich machen wollte. Ich bin nicht auf Widerstände gestoßen, aber auf Unverständnis, als ich da im Studio stand mit diesen unglaublich vielen Schnipseln und Spulen. Gelegentlich kam ein Redakteur und fragte: »Was soll denn das werden? Wie lange wollen Sie denn daran arbeiten?« Es gab auch die Befürchtung, daß mir die Fußballreporter übelnehmen könnten, daß ich einfach so mit ihren Sätzen umgehe. Daß ich sie als Material nehme. Daß ich einfach einen Satz von Oskar Klose nehme und dann einen Satz von Brumme oder Faßbender oder Hauffe, ohne zu fragen, ob ich das darf. Ich behaupte: Das darf ein Collagenmacher, er muß es dürfen.

Die Reaktionen der Reporter waren übrigens absolut positiv. Im Rundfunk hatten Sportreporter damals oft das Gefühl, als würden sie von den Leuten des kulturellen Worts nicht so ganz ernst genommen. Und natürlich wollten sie ernst genommen werden, wer will das nicht? Sie waren ja viel berühmter als ihre kulturellen Kollegen, und für meine Begriffe waren sie auch die besseren Radioleute. Sie waren schnell, sie hatten die Fähigkeit, eindrucksvoll das zu schildern, was man nicht sehen konnte. Eine außerordentlich kreative Leistung, fand ich. – Und plötzlich kommt einer und bedient sich einfach dieser Kreativität. Es hätte vielleicht rechtliche Einwände geben können. Aber meine Partikel waren ja so winzig, und die Arbeit war so groß im Zusammenschnitt, und die Reporter waren zunächst wohl erstaunt darüber, daß jemand sich solche Arbeit macht, daß jemand derart penibel umgeht mit ihren Worten und Sätzen, um daraus etwas anderes zusammenzubauen. Wahrscheinlich hat ihnen das gefallen.

Ja, und die Expertengespräche. Ich war oft am Riederwald mit dem Aufnahmegerät. Damals war Erich Ribbeck Trainer der Eintracht. Ich hab’ ihn gefragt, ob ich in der Spielerkabine Tonaufnahmen machen könne, vor dem Spiel, in der Halbzeitpause, nach dem Spiel. Eigentlich war das zu dieser Zeit unmöglich. Aber er hat ja gesagt. Er hat mir sehr geholfen. – Ich wohnte damals in der Nähe des Trainingsgeländes. Und wenn ich mir die Nagra umhing und morgens zum Riederwald ging, traf ich immer zwei Dutzend Experten mit Hut und Mantel, Rentner, die sahen so aus, als seien sie auf einem Sonntagsspaziergang. Aber sie brachten alles! Ich mußte mich nur dazwischen stellen und den Apparat anstellen – und los ging’s. Später bin ich auf die Tribünen gestiegen und bin mit den Fans zu Auswärtsspielen gefahren: in Bussen.

Manchmal war das nicht ungefährlich. Einmal im Bus nach Schalke [am 5. Mai 1973] – am Anfang waren die Jungs ganz lieb und artig, sie haben mir von ihren Reisen erzählt und für mich gesungen. Ihre Gesänge brauchte ich für meine Stücke. Also: Die waren richtig nett. In Gelsenkirchen ging ich dann in die Schalke-Ecke, um dort Originaltöne aufzunehmen. Schalke gewann einsnull oder zweieins. Ich ging zurück in den Bus, und dann kam diese Gruppe – völlig alkoholisiert, teilweise blutbeschmiert, mit zerrupften Fahnen –, und sie kannten mich nicht mehr. Sie wußten wirklich nicht mehr, wer ich war. Ich war allein, zehn, fünfzehn Fans um mich herum, grölend, aber ich hab’ mich schon nicht mehr getraut, das Gegröle aufzunehmen. Ich hab’ mich ziemlich ruhig verhalten, und irgendwann sagt dann der eine, der Nette, der am Morgen für mich gesungen hatte: »Du, sag mal, wie haben wir eigentlich gespielt?« – Die wußten das nicht. Die sind damals, 1973, schon nicht so sehr wegen des Spiels hingefahren, sondern um sich mit Schalke-Fans zu kloppen. Ich hab’s ihm dann gesagt, einsnull verloren, und es hat ihn nicht weiter gestört, daß sie verloren hatten.

In solchen Fällen sollte man eben zu zweit sein oder zu dritt, aber Eckhard Henscheid kannte ich damals noch nicht. Den hab’ ich erst 1974 kennengelernt. Wir haben sofort ein Interview zusammengebastelt: »Das ideale deutsche Mittelfeld«, das erschien in der FAZ. Wir haben den Titel geholt. Das ist klar. Er und ich. Ohne uns wäre Hölzenbein nämlich nicht aufgelaufen. – Oder?

Jedenfalls, die Arbeit damals, das war Harakiri.

Erdrückende Kompetenzübermacht

Am 15. Mai, gut zwei Wochen vor dem Anpfiff zur siebzehnten Fußballweltmeisterschaft, erschien im Olympia-Verlag, Nürnberg, das kicker-Sonderheft WM 2002.

Das 188 Seiten umfassende Magazin beeindruckt noch mehr als seine Vorgänger. Es vereint all die bewährten Stärken, die aus einer langen Tradition und einem umfänglichen Fachwissen erwachsen, und zugleich übertrifft es in Inhalt und Erscheinung sogar den Klassiker, das jährliche Bundesligasonderheft. Wenn der Verlag jenem Produkt stolz attestiert, »für Fußballfans mittlerweile zum echten Kult-Objekt geworden« zu sein, so darf man dem WM-Heft getrost eine mindestens ähnlich mächtige Aura bescheinigen, eine Qualität, die es bald zum begehrten Sammlerobjekt werden läßt.

Sachliche Angemessenheit, journalistische Distanz, unbestechliche Urteile und Nüchternheit sind die Tugenden, derer sich kicker-Redakteure seit jeher befleißigen. Bereits der erste flüchtige Blick signalisiert, daß man auch bei der Fertigung des aktuellen Sonderheftes keinen Fußbreit von dieser Kardinalgesinnung abgewichen ist. Der Rückumschlag wird präsentiert von Krombacher, den Titel ziert auf erprobt rotem Hintergrund ein freigestelltes Bild des 1990er Weltmeisters Rudi Völler, der die »FIFA World Cup Trophy« in die Höhe stemmt – eine graphisch überzeugend prophetische Lösung, ein Eyecatcher bester, nämlich zweifellos unzweifelhaft eindeutiger Manier.

Diese klare Linie setzt sich auf jeder Heftinnenseite konsequent fort. Der seiner unerbittlichen Formulierungskünste wegen geachtete Chefredakteur Rainer Holzschuh läßt gleichfalls keine Zweifel an der Bedeutung des kommenden Großereignisses aufkeimen. »Liebe Leser«, beginnt sein Editorial, »kein Zweifel: Die 17. Fußballweltmeisterschaft nimmt einen außergewöhnlichen Platz in der Fußball-Geschichte ein. Das erste WM-Turnier in Asien, das erste in einem neuen Jahrhundert, dazu das erste von zwei Gastgebern. Es ist der Reiz der Veränderungen«, öffnet er uns mit elliptisch hämmernden Sätzen Augen und Ohren für Aspekte, die wir wahrzunehmen bislang nicht den Mut besaßen, und diskutiert auf knappstem Raum und babyblauem Papier gewandt den »völlig anderen Lebens- und Erlebens-Rhythmus«, der die Stätten der sportlichen Begegnungen beherrsche.

Wer aber ein Holzschuh, der ein Hegel, ein Dialektiker, der die Würze der Widersprüche schätzt: »Ganz anders unsere Nationalspieler, die auf ebenso gepflegtem Rasen antreten wie in München, Mailand oder Manchester«, und über die – dialektisch geforderte – dreifache Alliteration, den Inhaltsgleichschritt bei stabreimendem Anklang, über eine rhetorische Figur mithin, die vor Holzschuh nur ein Richard Wagner annähernd so geschickt zu handhaben verstand, findet Holzschuh zurück zur Appellation als der eigentlich sinnstiftenden Textart des Fußballjournalismus. Unmißverständlich gibt er für Völler und dessen Mannschaft das »Nahziel« aus, »mit Schwung und Kampfgeist das Vertrauen der Fans zurückzugewinnen«, um dann spätestens 2006 den Titel zu erringen.

Das Ringen um Gehalt, der Kampf um Größe: Nicht allein die imposant monomotivlichen Farbphotographien, die oft genialen Wort-Bild-Korrespondenzen (die Überschrift »Alles steht und fällt mit Käpt’n Keane« kommentiert eine Spielszene, in der um den aufrecht stürmenden irischen Spielführer herum alles fällt und liegt) und die biblische Flut an Fakten, an statistischem Material (Stadiongrößen etc.), historischen Daten (Qualifikationsergebnisse etc.) und Spielernamen (Zinedine Zidane etc.) machen das kicker-WM-Sonderheft zum unentbehrlichen Begleiter während vier aufregender Wochen. Zudem prägt dieses auch haptisch höchst passable Resultat eines gigantischen publizistischen Kraftaktes ein selten gewordenes Gefühl für die harmonische Komposition, ein, cum grano salis, klassizistisches Konzept mit zeitnaher Zielrichtung und knallbunten, dem objektiven Preßgeist geschuldeten Boulevardeinsprengseln. Im Abschnitt über die deutschen Gegner aus Gruppe E heißt es z. B.: »Kamerun – das sind nicht nur die ›unzähmbaren Löwen‹, es ist auch Patriotismus pur.«

Den Willen zur Innovation pur unterstreicht zumal die formale Klammer der zwei Spielpläne – vorne der reizvoll kolorierte und durch Bitburger-Bildchen verzierte zweiseitige Klappspielplan, hinten die einseitige Kadenz des WM-Kalenders. Dazwischen regiert der Gedanke der Synthese von »Pflicht-Informationsangebot« und sprachlicher Kür. Unter zahllosen journalistischen Topofferten wie Taktikschemen, Regelerläuterungen (»Jeder Spieler trägt im Verlauf des Turniers eine feste Nummer, […] die jeweils auf dem Rükken, der Brust und der Hose angebracht ist. Über der Rükkennummer ist der Familienname des betreffenden Spielers anzubringen«) und intimen Insidernews (Lizarazu, »der Vater eines Sohnes, ist ein begeisterter Surfer, auf dem Brett auf dem Atlantik genauso wie im Internet«) wären die Tabellen gesondert zu erwähnen: Exakte senkrechte schwarze Linien treffen auf graue Horizontalstriche, darüber liegt ein roter Querbalken mit beispielsweise der Zeile »Spieler, Tore, Noten«, und in den viereckigen Freiflächen tummeln sich ganz unterschiedliche Zahlen.

Diese Informationspolitik der Reichhaltigkeit ergänzt der abgeklärte Stil einfühlsamer Hintergrundberichte und Analysen, elaborierter Rückblicke und (Experten-)Prognosen. Sie bilden das seriöse Passepartout für Inseln der Lust am plastischen Ausdruck. Erst wo journalistische Dezenz obwaltet, kann der schmückende Wortwitz zu Höchstform auflaufen und in die philosophische Tiefe geflankt werden. »Das deutsche Team kurz vor der WM: Sicher ist nur, daß kaum etwas sicher ist«, weiß Wolfgang »Sokrates« Tobien und faßt im unverwechselbaren kicker-Substantivierungssound zusammen: »Mit seiner großen Popularität und Beliebtheit beschleunigte Rudi Völler den Wiedergewinn des öffentlichen Wohlwollens beim Neubeginn nach der EM 2000.«

Allen voran wirft Karl-Heinz Heimann sein Scheinwerferlicht mit erkenntnistheoretischer Verve und Spaß an der Formulierungsfreude auf sämtliche Phänomene des »Welt-Fußballs«. Ein paar Kostproben aus dem Einführungsessay müssen leider genügen: »Deutschland kann, wenn der Start gelingt und die Spieler ihr Selbstvertrauen finden, weiter kommen, als viele denken.« Oder: »Viel wird von den Schiedsrichtern abhängen.« Oder: »Die sportlich wichtigste aller Fragen heißt natürlich auch diesmal: Wer wird Weltmeister?«

Schon vor Beginn der Weltmeisterschaft bleibt festzuhalten: Der Ball läuft rund durch die Zeilen. »Der syntaktische Schaum« (S. 92), aus dem der adidas-WM-Ball »Fevernova« hergestellt wurde, seift das prächtige Extrablatt allseitig ein. Mit dem kicker-WM-Sonderheft hat der Olympia-Verlag eine weltmeisterliche Leistung abgeliefert. An diesem Wurf werden die Konkurrenten von Focus bis Fit For Fun schwer zu blättern haben, und sie werden angesichts der erdrückenden Kompetenzübermacht der kicker-Truppe ebenso ins Schwitzen geraten wie die Akteure auf den gepflegten Rasenflächen Südkoreas und Japans.

O du, Türkei

Türkei, nicht ganz unglücklich / Sollst Du Dich schätzen / Ob Deiner Mannen. / Hand und Fuß meist hat, was hinten / Aktas tut, und / Den Kopf wissen jeweils zu benutzen die / Zwei vor ihm, dem Wächter des Tores, die beiden, welche / Hören auf die Namen schön und hell: Asik und Akyel. //

Nicht also sollst noch wirst Du zagen, Türkei, nicht / Die Flinte ins Korn werfen und den Ball schlagen ins Aus. / Nein, über Özalan und Özat möcht’ er laufen geschwind, und wie der Wind vom Bosporus / Herüberwehen soll es Flanken auf mittellinks, wo das / Leder sich schnappt Belözoglu und treibt es voran, vielleicht / Gibt er auch mal ab auf Buruk, der schickt / Davala steil oder Dursun oder / Den jungen Sas. //

Außerdem, Türkei, ist da / Ja noch Bastürk, der Kleine, / Der Feine und Flinke und Fabelhafte, derjenige / Bastürk, liebe Türkei, den wir lieben / Von Leverkusen her. / Ihm, Türkei, vertraue Dich an, / Ihm, Bastürk, schenke Dein Herz, und / Du wirst selbst in den bitteren / Momenten der Niederlage, der Schmach, / Den Mut nicht verlieren, denn / Es wird kommen ein neuer Tag, und mit dem neuen Tag / Wird kommen ein neues Spiel. //

Türkei, auch wenn Rüstü Recber zwischen / Den Pfosten verharrt und Korkmaz, Temizkanoglu und Ünsal die Kette schmieden, / Auch dann, wenn Ercan in der Mitte wühlt und Havutcu ihm zur Seite steht, auch / Dann, Türkei, und sollte gar den Sturm bekränzen Mansiz von Besiktas, Türkei, auch dann / Ist nichts verloren und alles offen. / Und so laßt hoffen uns und erträumen mehr, / Mehr Tore und Torschüsse und Torschußversuche, / Denn dann, Türkei, / Sei dem Halbmond glanzvoll der Weg gewiesen zum / Silbrig beschienenen güldnen Pokal. //

Aber, Türkei, hier unten, vor meiner Tür, machst / Du bitte das nächste Mal nicht ein solches Geschrei. / Dafür ist doch ein »Türkischer Sozialdienstverein e. V.« nicht gedacht!

Die Schönheit der Eigentlichkeit

Und es sprach der Allmächtige, bürgerlich Franz Beckenbauer, im Kundenserviceblatt Premiere Magazin (5/2002): »Ach, das sind doch populistische Aussagen von Politikern. Die sagen: Alle Spiele müssen ins Free-TV und dürfen kein zusätzliches Geld kosten. Klar, die Leute klatschen und denken: Bravo, das ist unser Mann! Aber ich sage Ihnen, das ist ein Populist! Wo gibt’s denn heute noch etwas umsonst?« Bei e-plus?

Es ist nicht so, daß Franz Beckenbauer zu den Intellektuellen zählt, deren öffentliche Worte den populistischen Verkürzungen, Verdrehungen und Verfälschungen das nüchterne, nicht interessengeleitete Urteil entgegenhalten. Es scheint eher so zu sein, daß sich Franz Beckenbauer nicht zu schade ist, der Postille seines Haussenders ein Interview zu gewähren, in dem er tatsächlich derart haltlos daherredet, wie das nur einer tun kann, der gar nicht mehr wahrnimmt, was er ventiliert. Und als genüge das nicht, entblößt er seine aufdringliche Opportunität zudem aufs gravierendste, indem er dem Arbeitgeber ein Zeugnis ausstellt, das zwischen Propaganda und einem irgendwie Westerwelle-affinen Dauerbekenntnis zu Wettbewerb und Leistung changiert: »Was gut ist, kostet Geld, und da gibt es im Fußball zu Premiere überhaupt keine Alternativen. Das ist das beste Programm, das es jemals in Europa gegeben hat.«

So ähnlich dürfte das auch Premieres Starreporter Marcel Reif sehen, und je schwächer das Produkt Premiere nachgefragt wird, desto lauter schallt es aus dem Blätterwald der eigenen Fernsehgemarkung. »Die Weltmeisterschaft ist einfach der absolute Höhepunkt in diesem Sportjahr«, rührt Reif verzweifelt die Trommel, und das aktuelle Premiere Magazin (6/2002) assistiert ihm angstbeladen, man warte »mit den besten Kommentatoren und Experten« auf und schaffe »mit weltmeisterlichem Aufwand« »das beste WM-Programm aller Zeiten«.

Nicht ganz. Aber ungefähr. Premiere ist gut, weil man nicht anders kann. Es fehlt das Geld, lediglich zwei Reporter weilen vor Ort, Reif und der erstaunlich engagiert-kenntnisreiche, unprätentiöse Fritz von Thurn und Taxis, und der Rest muß im Münchner Studio am Bildschirm kommentiert werden. Kein Fieldreporter nervt, kein Waldi-Hartmann-Gekumpel stört. Weit davon entfernt, »WM total« (Premiere) zu servieren, präsentiert Premiere – aus der nackten Not ward tadellose Tugend – eine entschlackte, aufs Spiel konzentrierte Weltmeisterschaft, gemäß dem ehernen Fernsehgesetz: weniger Leute, weniger Geschwätz.

Während die Öffentlich-Rechtlichen, die pro Tag lediglich ein »Topspiel« übertragen dürfen, ein beklagenswertes Schauspiel der Maßlosigkeit, d. h. der völlig aus dem Ruder gelaufenen Rand- und Rundumberichterstattung bieten, ja eine diabolisch aufgeblasene Trinität aus Delling-Netzer- oder Poschmann-Rehhagel-Duetten, Schaltungen und – z. T. sehr »lustigen« – Filmen ins Werk richten, konzentriert sich das Nischenprogramm Premiere bei vollem Fußballprogramm – gezwungenermaßen – auf die Sache selbst.

List der »freien Marktwirtschaft« (G. Westerwelle), des Kapitalismus: Weil die Ressourcen fehlen, wächst, quasi hölderlinsch rettend in der größten Gefahr, das Lösende, zerstäubt der Krampf des hybriden Event-TVs, wird Bescheidenheit zur Zier der Sachlichkeit, entsteht aus dem Mangel Qualität, aus der Kargheit die Schönheit der uneitlen »Eigentlichkeit« (Adorno), erwirkt die Verknappung der Mittel eine Besinnung aufs »Wesen« (Hegel) des nach wie vor ziemlich großartigen Sportspiels Fußball.

Bloß ARD und ZDF begreifen es nicht, sie begreifen nichts. Die ARD läßt Heribert Faßbender die »Veronkelung der Fußballreportage« (Süddeutsche Zeitung, 3. Juni) vorantreiben und Adlatus Wilfried Mohren lustlos möhren, es sei »ein bißchen wirbelig da hinten«, einstweilen Günter Netzer seine hochavantgardistischen Schnarchsackstatements ins Hamburger Studio stottert, etwa die sagenhafte Einschätzung: »Barthez hat eine Reaktion mit dem Fuß.«

Charmant hingegen die Sekundanten und Sekundärkommentatoren von Premiere. »Man sieht es ganz knallhart schon«, beweist Lothar Matthäus zu München-Unterföhring knallklar-glasharten Durchblick, und Studiopartner Dieter Nickles grinst, gähnt auch mal und erläutert frei flottierend: »Vor dem Spiel weiß man eigentlich gar nicht viel.« Diese schlichte Einsicht konterkariert allerdings Allstar Bekkenbauer und verrät, vor dem Anpfiff hätten die Spieler »Zeit, um sich die letzten Rituale noch mal zu machen«, was Beckenbauers Ziehsohn Matthäusmatze wiederum durch den gescheiten Einwurf auf den Kopf des Fußballs stellt: »Im ersten Spiel muß man gewisse Weichen setzen.«

Die Premiere-Mannschaft agiert seit dem ersten Spiel ohne Fehl, ohne Tadel und mit viel Taktgefühl. »Das ist natürlich alles ’ne Riesennummer kleiner«, sprach Marcel Reif bei Deutschland – Saudi-Arabien nolens volens ein wahrhaftiges Wahrwort, und zwischen kurzen Vorberichten und konzisen Zusammenfassungen geben die Reporter unaufgeregt ihr Bestes, zum besten der Reportage. Ein Ire sei »die personifizierte Standardsituation«, hörten wir da, oder Michael Pfadt schuf die Kausalität: »Boris Zivkovic ist per Platzverweis nicht mehr da«; indessen des Mexikaners Luis Hernandez Einsatz so erhellt wurde: »Dreiunddreißig Jahre alt, hat aber natürlich Platz.«

Premiere wurde binnen weniger Tage zum Quell der Freude. »Das ist eine Erkenntnis, die wir gefunden haben«, pflichten wir Dieter Nickles bei und ergänzen mit Premiere-Deuter Toni Schumacher: »Das ist alles so ’n bißchen ins Fröhliche gehalten.« Nur einmal befand sich selbst das weithin des Platzes verwiesene ZDF auf der Ballhöhe der neuen Zurückhaltung. Während der Begegnung England – Schweden sinnierte man beklommen, weshalb die üblichen Kameraschwenks hinüber zur Haupttribüne der Wichtigtuer dieser Welt ausblieben, und Béla Réthy (ZDF) lüftete den Schleier der Unwissenheit: »Aus Sicherheitsgründen dürfen keine Prominente gezeigt werden.« Nicht mal die popeligen Beckenbauers.

Das Gebührenfernsehen braucht eine politisch erzwungene antipopulistische Regie, das alternativlose Bezahlfernsehen bloß weniger Zahlende. Der Kapitalismus, heißt es bei Karl Marx, ist die revolutionärste Kraft der Menschheitsgeschichte. Zumindest der jüngeren Fernsehgeschichte.

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