Kitabı oku: «"Ich habe so viel zu erzählen..." Von Luxemburg ins Ruhrgebiet - eine Lebensgeschichte», sayfa 3

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"Meine Mutter ist mit einer Bekannten manchmal im Zug nach Trier gefahren, um dort einzukaufen ... Damals durftest du auch nur eine bestimmte Summe über die Grenze nach Deutschland mitnehmen. Und meine Mutter hat ja immer mehr mitgenommen, das hat sie immer im Schirm versteckt. ... Und die hatte immer das Pech, dass sie jedes Mal bei Kontrollen aus dem Zug geholt wurde. Und dann musstest du dich bis auf die Haut ausziehen. So streng war das ... Und einmal hat sie gesagt, hätte sie sogar noch den Schein im Mund gehabt. In der Beziehung war die ganz groß. Die konnte das gut."

Die Beziehung meiner Mutter zu ihren Eltern und Geschwistern

Meine Großmutter blieb meiner Mutter gegenüber ruhiger/gelassener bei unannehmbarem Verhalten. Der Vater reagierte hingegen jähzorniger und war strenger, so dass Probleme vor ihm verheimlicht wurden. Gelegentlich schlug der Vater wohl. Gleichwohl hatte meine Mutter zu ihrem Vater ein besseres Verhältnis. Mit ihm konnte sie auch schmusen, was bei ihrer Mutter nicht möglich war. Meine Mutter war sieben Jahre älter als ihre Schwester und drei Jahre älter als ihr Bruder. Sie hatte zu ihnen ein distanziertes Verhältnis.

"Wir haben jetzt über Deine Großeltern und Deine Eltern gesprochen. Jetzt wollen wir mal über Dich reden, und zwar über Deine Beziehung zu Deinem Vater und Deiner Mutter. Was mich mal interessiert, ist, wie Du sie so erlebt hast, wenn Du beispielsweise mal was angestellt oder ausgeheckt hast. Was haben die dann gemacht?"

"Meine Mutter war im Verhältnis zu meinem Vater sanft, sie war gelassener. Mein Vater war schon mehr so ein Jähzorniger, Strenger, der konnte schnell wütend werden. ... Man hat sich so auch nie richtig getraut, zu Hause irgendwas zu sagen. Vor allen Dingen konnte der ja nicht vertragen, wenn man gelogen hat. Oh je. Das war das Schlimmste, was man machen konnte ... Einmal hab‘ ich sie gekriegt von ihm, weil ich nach der Schule zu meinem Großvater ging und weil das so spät wurde. Ich bin im Dunkeln zurückgekommen. Die wussten keinen Bescheid ... Für die Schläge hat der den Riemen genommen ... Ich kann mich aber nur an das Ereignis erinnern und nicht an weitere."

"Wie ist denn Deine Mutter damit umgegangen, wenn da irgendetwas vorgefallen ist?"

"An und für sich war meine Mutter gar nicht so streng ... Das einzige, was die mal gemacht hat, die hat einem schon mal was hinter die Ohren gegeben."

"Du hast Dich mal an eine Situation mit Deinem Vater erinnert, als Du drei Jahre als warst."

"Mein Vater war mir da fremd, weil er lange in der Klinik in Bonn lag. Als er dann nach Hause kam, hab‘ ich wohl ungefähr so gedacht: 'Was will der Fremde von mir.' Ich hatte wohl einen Schuh in der Hand, und mein Vater sagte zu mir: 'Schmeiß, ja schmeiß, dann kannst Du was erleben'. Ich hab´ ihm den Schuh dann an den Kopf geschmissen, und er hatte dann ein blaues Auge. Da hab‘ ich sie auch gekriegt, sagte mir mal meine Mutter. Das war ihm wohl auch peinlich, dass er zur Arbeit gehen musste mit dem blauen Veilchen-Auge. Der dachte wohl, niemand nimmt mir ab, dass so ein dreijähriges Kind das macht, sondern dass es zu Hause Streit mit der Frau gegeben hätte."

"Eltern ärgern sich ja oft darüber, dass Kinder unordentlich sind. War das damals bei Deiner Mutter ein Thema?"

"Nein, da hab‘ ich gar keine Erinnerung dran. Meine Mutter war ja auch nicht gerade so die Ordentlichste. Mein Vater war dagegen ziemlich genau in allem. Der hat sehr viel Wert auch auf sich selber gelegt, auf seine Kleider."

"Konntest Du mit Deinen Eltern schmusen?"

"Anhänglich war meine Mutter nicht, weil sie ja auch so eine miserable Kindheit hatte. Mit meinem Vater konnte ich schmusen. Bei dem hab‘ ich auch immer auf dem Schoß gesessen mit einem Kamm in der Hand, und dann hab‘ ich den gekämmt. Ich fühlte mich doch auch mehr zu ihm hingezogen."

"Wenn Geschwister da sind, gibt es ja normalerweise auch untereinander Streit. Wie war das, und wie haben Deine Eltern darauf reagiert?"

"Ich wüsste gar nicht, dass wir uns da so oft gestritten haben ... schon mal mit meinem Bruder. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir so richtigen Streit miteinander hatten. Man hat sich ja schon mal was gesagt, aber das hielt sich im Rahmen. ... Das mit dem Streiten kam nachher später, wie wir älter wurden."

"Du warst die Älteste, und normalerweise ist das ja so - so sagt man jedenfalls -, dass, wenn ein 2. Kind kommt, man als Älteste erstmal weniger beachtet wird. Die Eltern wenden sich dann mehr dem Baby zu."

"Ich wollte auch keine Geschwister ... war nicht begeistert, dass die kamen ... Jedenfalls hab‘ ich die gar nicht beachtet, die waren für mich eigentlich gar nicht richtig da ... habe mit ihnen auch nicht gespielt. Meine Schwester war ja sechs Jahre jünger, als die kam. Wenn ich die dann schon mal im Kinderwagen mitnehmen sollte, da war ich auch gerade erst mal sechs oder sieben, dann hab‘ ich die irgendwo abgestellt und hab‘ dann mit den anderen Kindern, die oben an der Straße waren, gespielt."

"Hast Du denn das Gefühl gehabt, dass sich Deine Mutter dann mehr um die anderen gekümmert hat, als um Dich?"

"Ja, sagen wir mal, um die jüngste, da hat sie sich mehr bemüht, das ist klar. Die werden mehr bemuttert."

"Aber das erlebt man doch als Kind möglicherweise als unangenehm."

"Ich wüsste nicht, dass mir das etwas ausgemacht hätte ... dass ich mir irgendwie was draus gemacht hätte ... Ich war nicht eifersüchtig."

"Ich stell‘ mir mal so Folgendes vor, bezogen auf Deine jüngere Schwester: Einerseits sagtest Du, kümmert sich die Mutter mehr um sie, andererseits konntest Du Deine Freizeit auch nicht so verbringen wie Du wolltest, wenn Du mit dem Kinderwagen unterwegs warst."

"Ich hab‘ das einmal in Erinnerung, da hat sich meine Mutter wohl beschwert, jedenfalls kann ich mich nur an ein Mal erinnern. Da hat sie mir meine Schwester bestimmt nicht mehr mitgegeben."

"Was war da gewesen, erzähl mal."

"Ja, weil ich meine Schwester stehen gelassen hab‘. Weil ich mich nicht drum gekümmert hab‘. Und sie hat abseits gestanden, und ich hab‘ gespielt mit den anderen."

"Und das hat Deine Mutter mitgekriegt."

"Ja, meine Schwester hat wohl deswegen geknatscht. Mit drei Jahren kannst Du ja schon sprechen.

... Hab‘ ich mir gar nichts draus gemacht, dass meine Mutter was gesagt hatte. Ich wollte die einfach nicht verwahren. Ich wollte da nicht mit rumfahren. Ich wollte mit ihr nichts zu tun haben."

"Dein Bruder war vier Jahre jünger als Du?"

"Drei Jahre."

"An ihm warst Du ja altersmäßig näher dran."

"Nein, nein, also mit meinem Bruder war das sowieso nichts. Das war auch so, dass ich mit ihm ja nicht spielen konnte. Der hatte seine Spielkollegen ... Ich hab‘ mit Mädchen, mit meinen Schulkollegen, nur gespielt und mein Bruder mit seinen Kollegen ... An eine Begebenheit kann ich mich noch erinnern. Da hat er mir mit dem Messer in den Puppenwagen gestochen."

"Wie hast Du denn darauf regiert?"

"Das hat mir schon was ausgemacht. Ich wusste ja, dass der das war. Das hat der ja auch öffentlich gesagt."

"Bist Du denn auch für bestimmte Dinge, die Du gemacht hast, gelobt worden?"

"Da hab‘ ich überhaupt keine Erinnerung."

"Viel geschimpft, wenig Lob?"

"So viel geschimpft, kann ich auch nicht sagen ... Meine Mutter war ruhig, gelassen. Mein Vater war das Gegenteil von ihr. Der konnte schneller wütend werden ... das war ein Jähzorniger ... Ich kann nicht sagen, dass ich es so schlecht hatte. Das war mal hier und da, aber im Allgemeinen konnte ich es schon ganz gut zu Hause aushalten."

"Du hast einmal erzählt, dass der Nikolaus mit dem Knecht Ruprecht bei Euch vorbeigekommen ist."

" ... Das weiß ich wohl, dass die beiden reinkamen und dass ich dann auf einmal weglaufen konnte. ... Ich bin bis zum Speicher gerannt wie verrückt, als ich den Ruprecht sah. Der sah ja fürchterlich ... der ganze Kerl war so schwarz, und dann hab‘ ich mich da oben versteckt. Der kam mir ein paar Schritte, ein paar Treppen nachgerannt. Und dann bin ich oben geblieben, bis sie weg waren. Dann bin ich erstmal runter. Da hatte ich regelrechte Angst."

"Ist der Nikolaus-Tag in Luxemburg denn etwas Besonderes?"

"Die haben ja kein Weihnachten gefeiert. Das war ja nur eine deutsche Sitte. Nur am 6. haben wir immer Bescherung gehabt ... Mein Vater hat noch einen Weihnachtsbaum aufgestellt ... und eine kleine Sache gab es dann auch noch zu Weihnachten."

"Wie war das denn, wenn Du mal Probleme hattest? Konntest Du mit Deinen Eltern über Probleme sprechen?"

"Wenn mal etwas war, man hat auch vieles für sich behalten. Ich wüsste jetzt gar nicht, bei welchem Problem ich zu meinen Eltern gegangen wäre. Wenn, dann wäre ich wohl zu meiner Mutter gegangen, weil mein Vater ja die meiste Zeit nicht da war."

"Zu wem hast Du denn ein besseres Verhältnis gehabt?"

"Zu meinem Vater. Da hat mich mehr hingezogen, trotzdem er strenger, jähzorniger war, vielleicht weil ich auch auf die Seite von ihm auskam, so figürlich. Der war immer schlank. Ich hab‘ von meiner Mutter in der Beziehung nichts mitgekriegt. Mein Vater war auch genauer, sorgfältiger. Das war ich ja auch."

Externe Aufenthalte: Kinderlandverschickung

Meine Mutter hatte neben ihrem Aufenthalt bei ihrer Tante in Brüssel 1939 noch zwei andere sechswöchige Aufenthalte in Wuppertal 1937 und in Baden-Württemberg 1938. Dass es zu diesen Auslandsaufenthalten kam, lag möglicherweise daran, dass mein Großvater Mitglied in einem deutschen Verein in Luxemburg war und von dort derartige Reisen organisiert wurden.

"Gehen wir jetzt mal über zu den verschiedenen Reisen, über die Du berichtet hast. U. a. hast Du davon gesprochen, dass Du in Wuppertal und Baden-Württemberg warst. Fangen wir mal mit Wuppertal an."

Aufenthalt in Wuppertal-Sonnborn, heutiges Nordrhein-Westfalen

Die Gasteltern meiner Mutter waren Wirtsleute, die sich um sie nicht kümmerten. Das taten dann Dienstmädchen, die meine Mutter wie auch Gleichaltrige komödiantisch unterhielt - Letztere, um Süßigkeiten zu erhalten.

"Als Erstes war ich ja in Wuppertal. Das war 1937. Da war ich neun. Ich bin ja schon früh weg zu fremden Leuten. Das waren fremde Leute für mich."

"Wie bist Du denn dazu gekommen, da hinzufahren?"

"Mein Vater hat das arrangiert. Ich glaube über die deutsche Gesandtschaft ... Das war so eine Art Kinderlandverschickung. Ich hatte so einen Zettel umhängen wie die anderen Kinder, die mitfuhren, mit der Adresse von den Leuten, zu denen wir hin sollten. Als wir am Bahnhof in Wuppertal-Elberfeld ankamen, kamen die Leute und haben die Kinder mitgenommen. Ich musste dann zu Gasteltern, die eine Gaststätte in Wuppertal-Sonnborn hatten. Die hatten ein Dienstmädchen geschickt, die zu spät kam. So stand ich dann ganz alleine da, das hab‘ ich auch noch gut in Erinnerung ... 'Ach du lieber Gott‘, hab‘ ich gedacht, 'mich wird keiner abholen.‘ Und dann kam das Dienstmädchen angerannt, außer Atem, auf den letzten Drücker, und hat mich dann mitgenommen."

"Und wie viele Wochen warst Du dann da?"

"Sechs Wochen."

"Du sagtest, dass die Leute, bei denen Du wohntest, eine Gaststätte hatten."

"Ja, die hatten eine Gaststätte, und die hatten auch noch ein großes Kino. Die haben sich gut gestanden. Die hatten zwei Dienstmädchen und einen Kellner."

"Die Gasteltern hatten aber keine Zeit für Dich?"

"Ja, die Leute hatten für mich keine Zeit, richtig. Der Mann war übrigens gar nicht da, als ich ankam. Der war irgendwo auf einer Tagung.

... Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich mit den Leuten in der Wirtschaft immer zu Abend gegessen hatte. Da hatten wir einen bestimmten Tisch. Das war der einzige Zeitpunkt, an dem ich mit meinen Gasteltern zusammenkam. Und sonst haben sich die Dienstmädchen um mich gekümmert."

"Die haben sich über Dich köstlich amüsiert."

"Die waren morgens in der Küche. Da hab‘ ich mein Frühstück gekriegt. Und die haben sich derart über mich amüsiert: Ich muss denen unheimlich viel Spaß gemacht haben, weil ich denen immer so Witziges erzählt hab‘ ... Wenn die eine mich da oben geweckt hat, dann wollte sie mir immer so auf den Po kloppen, und dann hab‘ ich gesagt, die Luxemburger, die hätten alle Schwänze da hinten, und die würden 50 cm lang ... Und wenn die 50 cm lang wären, dann würden die abfallen. Und jetzt hätte ich den aber eingezogen. Den könntest du jetzt nicht sehen. Ja, guck mal, wie komm‘ ich da drauf? Schon so eine lebhafte Phantasie."

"Wie war das noch mit dem freien Ausgang der Dienstmädchen?"

"Wenn eine von denen Ausgang hatte ... dann bin ich der nachgelaufen, ... dann hat sie sich immer umgedreht. Ich bin weiter hinterher, ... bis sie irgendwo reingegangen ist ... und mir was gekauft hat, irgendwie so eine Tüte voll Obst oder sonst was ... Dann bin ich dann zurück."

"Du hast von den Gasteltern auch zunächst keine Süßigkeiten bekommen."

"Was die ja versäumt haben: Die haben ja nicht dran gedacht, dass ich ein Kind bin, dass ich also gerne Süßigkeiten haben möchte ... Ich kriegte wohl Himbeersaft, und das war es denn auch. Aber gar nichts zu schnuppen, keine Schokolade und keine Bonbons. Ja, da hab‘ ich mir selber zu helfen gewusst. Nebenan im Haus war eine Familie, die hatten 8 Kinder, und dann hab‘ ich gedacht, du musst dir jetzt was einfallen lassen. Da bin ich 'rauf zu denen, und die haben sich alle dahin gesetzt, und dann hab‘ ich denen was vorgesungen und getanzt, und dann hab‘ ich von denen Groschen kassiert. Und dann bin ich rüber in die Bäckerei und hab‘ mir da was zu schnuppen geholt.

Und die Familie hatte dann nichts Eiligeres zu tun, als den Gasteltern das zu erzählen. Und dann wurden die hinterher helle ... Die haben hinterher gedacht, ja guck, da haben wir überhaupt nicht dran gedacht."

"Du hast denen also eine Vorstellung gegeben?"

"Ja, ich hab‘ da getanzt und gesungen. Ich wollte ja schon immer Schauspielerin werden. Und das war auch schon damals in mir drin."

"Deine Gasteltern haben Dich dann nach einiger Zeit in die Waldschule geschickt?"

"Ja, damit ich ein bisschen Abwechslung hatte. Und zwar konnte ich mit der Schwebebahn fahren. Jeden Tag bin ich dann hin und zurück gefahren ... In der Waldschule haben die dann auch viele Lieder gesungen ... Das war dann für mich Abwechslung ... Da wurde ich auch verpflegt."

"Haben die Gasteltern denn mit Dir auch was unternommen?"

"Nein, das konnten die ja gar nicht. Die hatten doch gar keine Zeit ... Deshalb haben sie mich ja in die Waldschule geschickt."

"Hast Du denn eine Erklärung, warum die Dich genommen haben, obwohl sie gar keine Zeit für Dich hatten?"

"Vielleicht sind sie angehalten worden, ein Kind zu nehmen. Das war ja damals, da suchten die ja Leute, die auch so Kinder nehmen ... Die haben sich gut gestanden und sich vielleicht verpflichtet gefühlt."

"Du hattest davon gesprochen, dass sie Dich ganz gerne als Tochter gehabt hätten."

"Die hätten mich gerne dabehalten. Und dann haben sie runtergeschrieben zu meinen Eltern. Ist ja klar, meine Eltern waren damit nicht einverstanden, dass sie mich abgeben sollten."

"Hast Du denn in dieser Zeit auch eine Freundin gehabt?"

"Ich hatte eine Freundin, die wohnte direkt nebenan, und mit der bin ich dann mit dem Gehroller, der drei Räder hatte, gefahren. Die konnte Radschlagen ... dann hab‘ ich versucht, das nachzumachen, aber den Bogen hab‘ ich nicht rausgehabt."

"Was kannst Du abschließend zum Wuppertaler Aufenthalt sagen?"

"Also das war an und für sich eine ganz schöne Zeit. Aber dann bin ich doch trotzdem ganz gerne nach Hause gefahren. Das zweite Mal war ich 1938, schon direkt ein Jahr darauf, in Baden-Württemberg. Das war 'ne Katastrophe."

Aufenthalt in Baden-Württemberg: Dellingen an der Iller

Meine Mutter war bei einer Bauernfamilie untergebracht, fühlte sich dort nicht wohl und wollte deshalb weglaufen. In ganz besonderer Erinnerung ist bei ihr ein Erlebnis mit Pferden geblieben.

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"Da haben mein Vater und eine Schwester von ihm den Zug der Kinderlandverschickung von Luxemburg bis Stuttgart begleitet... Und als ich in Dellingen ankam, da wurden die anderen Kinder alle abgeholt. Ich stand da schließlich noch alleine. Und ich sollte ja zu einem Lehrer hin, und der hat die Sache verschwitzt. Der ist weggefahren. ... Jetzt stand ich da. Ich musste aber unterkommen ... Notgedrungen hat mich dann da so ein Bauer genommen."

"Hatte der Bauer auch Kinder?"

"Der war verheiratet und hatte eine 17-jährige Tochter und auch noch einen Sohn. Der war aber, glaube ich, schon in den Wehrdienst eingezogen."

"Haben die sich um Dich gekümmert?"

"Die hatten auch keine Zeit für mich. Die waren den ganzen Tag auf dem Feld ... Die haben wohl gedacht, wir waren nicht verpflichtet, sie zu nehmen, wir hatten uns ja nicht dafür gemeldet, wir haben sie notgedrungen genommen, und da muss sie sich eben mit allem abfinden, was passiert. Und dann haben sie gesagt, 'das Essen steht im Backofen, das kannst Du Dir rausholen.' Die hatten da ja diese großen Öfen, die man heizte, ... da blieb das ja immer warm drin. Dann hatten die einen Hund, und der war da zu Hause, den hatten sie nicht auf das Feld mitgenommen."

"Und wie war das mit dem Hund?"

"Ich hatte vor dem Hund aber auch Angst. ... Weil der so gebellt hat, dachte ich, der springt mich an, da hab‘ ich dem schon einen Teil von meinem Essen mitgegeben, damit der ja weglief."

"Konntest Du Dich denn frei bewegen?"

"Ich war eingeschlossen, ich bin sogar noch nicht mal durch die Tür nach draußen gekommen ... ich mein', ich wär' da durch das Fenster gegangen."

"Erzähl mal die Geschichte von den Pferden."

"... Eines Tages haben sie zu mir gesagt, ich sollte mal mit zwei Pferden zum Feld kommen. Stell Dir mal vor, was ich alles so gemacht hab‘. Ich hab‘ zwei Pferde aus dem Stall mitgenommen, und die Pferde sind mir durchgebrannt und ich habe Panik bekommen. Und ich hatte meine Sandalen verloren, bin über Stoppelfelder mit nackten Füßen, hatte die noch blutig und hab‘ gerufen: 'Halt, halt.' Und was war das! Die haben genau den Weg zum Feld gewusst, die waren vor mir angekommen. Und ich hab‘ mir solche Sorgen gemacht und war erleichtert, als ich die Pferde auf dem Feld sah."

"Und weil Du Dich da nicht wohlgefühlt hattest, wolltest Du einmal abhauen?"

"Das war so, da war noch eine mit von Luxemburg – ob die jetzt von Düdelingen war, weiß ich nicht genau. Mit der hab` ich auch schon mal was unternommen. Jedenfalls hatten wir ausgemacht, wir halten das nicht aus, wir laufen weg, nach Hause. Und ich hab‘ mich angezogen, ich hab‘ meinen Koffer gepackt, und ich hatte mir vor dem Schlafen eine Leiter an die Hauswand gestellt, was keiner bemerkte ... Und da stand ich auf der Leiter für runter, und da kommt die Tochter da an und hat das gesehen. Und dann hat die gesagt: 'Was gibt das denn hier?' 'Ja', sag' ich, 'ich wollte nach Hause.' ... Dann haben die wohl gemerkt, dass ich mir da viel selber überlassen war."

"Hat sich denn dann was geändert?"

"Groß geändert hat sich da nichts. Die konnten sich nicht nach mir richten. Die haben ihre Arbeit gemacht. Es war ja Haupt-Erntezeit."

"Also die sechs Wochen bist Du aber dageblieben."

"Ja, musste ich ja."

"Und wie die Zeit zu Ende war, bist Du abgeholt worden von Deinem Vater und seiner Schwester?"

"Ja, da sind wir alle abgeholt worden ... Und da hat meine Tante gemerkt, dass mir die Läuse runterliefen. Ich hatte keine Pflege. Du kannst dich doch als Neunjährige auch nicht schon alleine pflegen. Ich wurde nicht gekämmt, es hat keiner darauf geachtet, ob ich mich gewaschen hab‘. Ja, so verschludert war das ... Wenigstens in Wuppertal-Sonnborn ist mir das nicht passiert, weil die Dienstmädchen darauf geachtet haben. Die haben mich gebadet."

Besondere Ereignisse

Jeder Mensch kann von besonderen Ereignissen in seiner Kindheit berichten, so auch meine Mutter. Derartiges hängt einmal mit dem Brauchtum zusammen, das Bestandteil einer bestimmten Kultur ist. In Luxemburg gab es dabei die Bräuche

Kindern zu Nikolaus etwas zu schenken,

bei Taufen Kindern Süßigkeiten zu geben,

in einem bestimmten Kindesalter als Katholik zur Heiligen Kommunion zu gehen,

an einer Marienprozession teilzunehmen.

Daneben gibt es Freizeitereignisse, die einen prägenden Eindruck hinterlassen können, wie bei meiner Mutter ein Kino- oder Kirmesbesuch, Schulausflüge oder der Geburtstag der Großherzogin von Luxemburg.

Nikolaus

"Der Nikolaus-Tag war wohl für Dich ein besonderes Ereignis?"

"Ich weiß wohl, dass ich vor Nikolaus den Schuh auf die Fensterbank gestellt hab‘. Und dann bin ich den anderen Morgen runtergerannt wie verrückt."

"Ist der Nikolaus-Tag in Luxemburg denn etwas Besonderes?"

"Die haben ja kein Weihnachten gefeiert. Das war ja nur eine deutsche Sitte. Nur am 6. haben wir immer Bescherung gehabt ... Mein Vater hat noch einen Weihnachtsbaum aufgestellt ... und eine kleine Sache gab es dann aber auch noch zu Weihnachten."

"Du hast einmal erzählt, dass der Nikolaus mit dem Knecht Ruprecht bei Euch vorbeigekommen ist."

" ... Das weiß ich wohl, dass die beiden reinkamen und dass ich dann auf einmal weglaufen konnte ... Ich bin bis zum Speicher gerannt wie verrückt, als ich den Ruprecht sah, der sah ja fürchterlich ... der ganze Kerl war so schwarz, und dann hab‘ ich mich da oben versteckt. Der kam mir ein paar Schritte, ein paar Treppen nachgerannt. Und dann bin ich oben geblieben, bis sie weg waren. Dann bin ich erstmal runter. Da hatte ich regelrechte Angst."

Kommunion

" Du bist in Luxemburg zur Kirche gegangen?"

"Ja, die Kirche war im Zentrum von Düdelingen ... Das war von uns noch ein Stück weiter. Da konnte man aber hinlaufen."

"Einmal in der Woche war Gottesdienst?"

"Ja, sonntags musste ich ja per se schon in die Kirche immer."

"Deine Eltern waren ja katholisch, und deswegen bist Du dann auch zur Kommunion gegangen. War die Kommunion denn ein großes Ereignis für Dich?"

"Ja, das war schon gut. Wir waren schon ganz anders gekleidet. Wir hatten ja lange Kleider, und ich hatte so ein Kränzchen um ... Ich glaub‘, ich hab‘ ja sogar einen Schleier gehabt ... Und ein Gebetbuch hatte ich dann auch, in Leder gebunden. Das war schon aufwändig, die Kommunion. Und dann hatten wir Besuch von meinen Tanten und Onkeln .. Wir hatten doch extra ein neues Wohnzimmer gekauft ... Das war alles angefertigt worden. Mein Vater hatte meistens Möbel, die angefertigt wurden .. . Meine Tante sagte immer, der war der einzige in Düdelingen, der sich damals ein Schlafzimmer hat anfertigen lassen."

"Dann habt Ihr die Kommunion bei Euch zu Hause gefeiert?"

"Ja sicher, unten im Wohnzimmer, das neben der Küche lag."

"Gab es besondere Geschenke zur Kommunion?"

"Ich weiß wohl, dass ich eine Uhr von meinem angeheirateten Onkel väterlicherseits bekommen habe."

Marienprozession

"Du sprachst davon, dass Du einmal an einer Marienprozession teilgenommen hast?"

"Ich war einmal mit meiner Mutter bei der Marien-Prozession. Die ging ja in die Stadt Luxemburg und begann früh morgens ... Die Nachbarschaft und weitere Bekannte gingen auch mit. Und dann sind wir vor der Prozession noch in eine Gaststätte gegangen. Es wurde dort ein Schnäpschen oder Likör getrunken".

"Wie lange war dann die Prozession?"

"Das waren, glaube ich, achtzehn Kilometer. Das war schon viel. Überleg' mal, ich war ja vielleicht gerade mal zehn ... Da bin ich schon solche Strecken gelaufen. Ich bin eigentlich immer gerne gelaufen ... Und dann sind wir mit dem Zug zurückgefahren ... Das war schon ein Erlebnis."

Taufen

"Dann hast Du darüber gesprochen, dass es bei Taufen einen besonderen Brauch gab mit Bonbons."

"Ja, das stimmt ... Dann kamen die Kinder, wenn sie gewahr geworden sind, dass da ein Kind getauft wird, dann liefen sie überall hin, und dann gab es so Tüten Bonbons. Die hatten die alle in so einen Korb gelegt ... Ich erinnere mich noch an die Taufe meiner Schwester. Da hatte jedes Kind, das ankam, eine Bonbontüte gekriegt. ... Mitunter waren zwei, drei Taufen am Ort an einem Tag."

Geburtstag der Großherzogin

"Dann hast Du mal vom Geburtstag der Großherzogin berichtet."

"Ja, das war ja in der Schule. Jedes Jahr war das ... Man bekam schulfrei ... In der Schule gab es dann eine kleine Feier ... Im Ort wurde auch geflaggt."

Schulausflüge

"Du hast auch mal davon gesprochen, dass von der Schule aus Ausflüge gemacht wurden."

"Ja, das gab es einmal im Jahr … Wir waren mal in der Stadt Luxemburg und haben dort die Kasematten besichtigt. Und wir waren einmal in Remich an der Mosel. In der Weinkellerei, die haben wir besichtigt. Aber anderes habe ich überhaupt nicht mehr in Erinnerung."

Kirmes

"Du hast auch mal von der Kirmes gesprochen im Ort."

"... Ich bin da alleine hingegangen ... das war ein gutes Stück zu laufen."

"Ein Ereignis hast Du dabei besonders gut behalten."

"Ich weiß wohl, dass ich da mehreres gewonnen hatte, weil ich Lose gezogen hatte ... Und dann haben andere mir ein Teil des Gewinns mit der Schirmspitze wegstibitzt, als ich auf einem Ketten-Karussell fuhr und die Teile in der Hand hielt ... Das war ja auch so eine wacklige Angelegenheit auf dem Karussell ... Bevor ich nach Hause kam, bin ich dann auch noch ausgerutscht und hatte da auch noch was verloren ... Jedenfalls war nicht mehr viel da, als ich zu Hause ankam."

Kinobesuch

"Du hast davon berichtet, dass das einmal für Dich ein großes Ereignis war, als Du mit Deinen Eltern ins Kino gehen durftest."

"Ja, abends spät haben sie mich mit in die Vorstellung genommen. Das durfte man ja mit Eltern zusammen ... Das war so eine richtige Aufregung ...Weiß ich wohl noch, das war ein deutscher Film."

"Und was ist dabei das Besondere für Dich gewesen?"

"Ja, dass ich mitgehen konnte und das mal sehen konnte. Ich war da vielleicht so sieben oder acht Jahre ... Ich hatte ja gar keine Vorstellung vom Kino ... Und dass das abends war ... Sonst musste ich ja um die Zeit im Bett sein ... Ich glaub‘, das war so eine Art Heimatfilm."

Freizeitgestaltung

Ihre Freizeit verbrachte meine Mutter als Kind häufig draußen im Grünen. Mit zwei Mädchen war sie besonders viel zusammen. An einzelne Ereignisse wie eine Schlittenfahrt, einen Ausflug mit ihrem Vater oder ein Abenteuer kann meine Mutter sich besonders gut erinnern.

Freizeit im Grünen

"In der Nähe der Gasse, wo wir wohnten, fing das Grün an, viele Wiesen. ... Wir sind dann immer in den Ferien dort hingegangen und haben uns was zu essen und trinken mitgenommen."

Schlittenfahrten

"Was habt Ihr denn im Winter gemacht?"

"Ja, im Winter sind wir Schlitten gefahren. Ist ja normal, wenn Schnee liegt, dass man das als Kind dann auch macht. Ich selber hatte keinen Schlitten, aber die Jugoslawen, die in unserer Gasse wohnten, die hatten einen."

"Du hast einmal davon erzählt, dass bei einer Schlittenfahrt etwas passiert ist."

"Da ist der ältere Sohn von den Jugoslawen einmal mit mir gefahren. Da war aber noch jemand mit drauf ... Ich hab‘, glaube ich, hinten gesessen ... Vor dem Herunterfahren einer Wiese war so eine Toreinfahrt, und die war offen, und da konnte man dann rausfahren. Die Wiese selbst war seitlich mit Stacheldraht abgeteilt. Bei der Fahrt die Wiese runter ist der Jugoslawe dabei in den Stacheldraht reingesaust und hat sich eine blutende Verletzung am Oberschenkel zugezogen, da er nicht richtig gelenkt hatte. Das musste dann genäht werden."

Freundinnen

"Hast Du öfters was mit Jungen gemacht, so wie das Schlittenfahren?"

"Nein, eigentlich nicht. Das mit dem Schlittenfahren hatte sich so ergeben ... Gewöhnlich war ich doch immer nur mit Mädchen zusammen, mit zweien aus meiner Klasse, die in der Nähe gewohnt haben. Mit denen hab‘ ich dann auch gespielt ... Das war ein Mädchen aus der Metzgerei oben an der Hauptstraße und nebenan von uns ein anderes französisches Mädchen ... Eine, wie man sagt, feste Freundin hatte ich eigentlich nicht."

"Was habt Ihr denn zusammen gemacht?"

"Draußen haben wir zusammen gespielt, Fangen und Verstecken."

Im Wald verlaufen

"Ich hatte mich mal im Wald verlaufen. Das war der französische Wald, der direkt in unserer Nähe war. Da wollte ich Schlüsselblumen pflücken. Und da hat man mir gesagt, die sind tief im Wald, da musst du zum Ginsterberg. Und dann ging ich runter in den Wald, immer ein Stück weiter runter, bis ich die Blumen auch gefunden hatte. Aber ich wusste nachher nicht mehr raus ... Das war unheimlich, denn das war ein großer Wald ... Da hab‘ ich gedacht, geradeaus kannst du nicht immer gehen, dann kommst du hinterher weiß Gott wo aus. Wär' ich vielleicht in Frankreich ausgekommen … Da kam mir die Idee, du musst wieder schräg nach oben, denn du bist doch von oben runter ... Und dann war ich wieder auf dem richtigen Weg. Da war ich doch heilfroh."

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