Kitabı oku: «Truth & Betrayal», sayfa 4
»Das macht Sinn.« Jake reichte ihm sein Handy und nahm Liams entgegen. Er tippte die Nummer ein und speicherte sie in den Kontakten. Nachdem das erledigt war, lehnte er sich mit dem Glas in der Hand zurück. Er hatte ein unangenehmes Gefühl im Magen. »Wegen der Beerdigung…«
Liam winkte ab. »Schon okay. Das haben wir hinter uns.«
»Nein, haben wir nicht.« Jake stellte sein Glas ab. »Ich möchte mich dafür entschuldigen, wie einige Leute auf dich reagiert haben. Das ging zu weit. Falls es dir nicht aufgefallen ist, LaFollette ist nicht gerade…« Er dachte darüber nach, wie er es am höflichsten ausdrücken sollte.
»Ja, ich kam mir vor wie ein Schaf, das in eine Versammlung von Wölfen gestolpert ist.« Liam zuckte die Schultern. »Glaub mir, es war keine Überraschung. Caleb hat mir von seiner Heimatstadt erzählt. Um fair zu sein, meine ist nicht viel anders. Der Anteil der Afroamerikaner ist vielleicht etwas höher, liegt aber immer noch unter zwanzig Prozent.« Seine Augen funkelten. »Nichtsdestotrotz gab es bei der Beerdigung einen Moment, da hab ich erwartet, dass jemand anfangen würde, Mistgabeln zu verteilen. Ich konnte sie fast hören. Du bist nicht von hier, oder, du –? Hier bitte eine rassistische Beleidigung deiner Wahl einsetzen.«
Jake erstarrte. »Du hast das bemerkt?« Er schüttelte den Kopf. »Ich versteh es nicht. Diese Leute sind angeblich Christen und dieses… Verhalten war alles andere als christlich.«
Liam legte den Kopf schief. »Ich nehme an, du siehst das anders?«
Lieber Himmel, das war mal eine Frage. Jake nahm sein Glas und trank es halb aus. »Lass es mich so sagen: In meiner Klasse an der Highschool waren nur Weiße. Tatsächlich hatte die Schule ungefähr eintausend Schüler und nur eine Handvoll waren nicht weiß. Zwei der Kids waren Afroamerikaner und, na ja, sie taten mir leid.«
»Warum?«
Jake seufzte. »Sie waren an die Schule geholt worden, um für die Cougars Basketball zu spielen. Das ist das Schulteam. Ich sage jetzt nicht, dass sie Anfeindungen der anderen Kinder ausgesetzt waren, denn das war nicht der Fall. Sie wurden einfach… nirgends miteinbezogen.«
»Und du hattest das Gefühl, dass das falsch war«, sagte Liam leise.
»Ja.« Total falsch. »Die jüngere Generation kapiert es scheinbar langsam, aber die Leute in LaFollette? Es spielt keine Rolle, was im Rest des Landes passiert – sie sind noch nicht so weit.«
»Lass ihnen Zeit. Es gibt Hoffnung.«
Jake hatte in letzter Zeit irgendwie alle Hoffnung verloren. »Da bin ich nicht so sicher.«
»Du hast es selbst gesagt, die jüngere Generation ist auf einem guten Weg. Nun, sie sind die Zukunft. Du bist die Zukunft.«
Jake musste lächeln. »Du auch. Ich schätze, du bist so alt wie Caleb. Also sechsundzwanzig oder siebenundzwanzig? Kommt mir so vor, als hättest du auch genügend Zeit, etwas zu verändern.« Sein Blick fiel auf den Laptop und er beugte sich vor, strich mit der Hand über die mit Aufklebern übersäte Oberfläche. »Ich hätte nie gedacht, dass ich den noch mal wiedersehe. Meine Eltern haben ihn Caleb geschenkt, als er in der zwölften Klasse war. Ich war mir sicher, dass mittlerweile jemand draufgetreten ist, das Ding den Geist aufgegeben hat, oder was auch immer.«
»Ich hab ihm so oft gesagt, dass er einen neuen braucht, aber nein. Caleb bestand darauf, den hierzubehalten, obwohl er langsamer arbeitet, als Melasse fließt. Er hat so oft Dateien oder Programme gelöscht, um ihn am Laufen zu halten.«
Jake griff nach dem Laptop und legte ihn auf seine Knie. »Ich war zehn oder elf, als er ihn bekommen hat. Er wurde jedes Mal fuchsteufelswild, wenn er mich dabei erwischt hat, wie ich versuchte, sein Passwort herauszufinden. Und ich hab's nie geschafft.« Er streichelte das Gerät beinahe liebevoll. »Vielleicht habe ich jetzt mehr Glück.«
»Du nimmst ihn mit?«
Der scharfe Unterton in Liams Stimme machte Jake neugierig, er hob ruckartig den Kopf und sah Liam an. »Klar. Ich meine, es ist Calebs, richtig? Ich hab gehofft, dass ich ihn selbst benutzen kann, jetzt, wo ich weiß, dass er noch funktioniert.« Er warf Liam einen spekulativen Blick zu. »Oder wolltest du ihn haben?« Jake konnte sich keinen Grund dafür vorstellen.
Liam lächelte. »Nein, natürlich nicht. Wahrscheinlich macht er es eh nicht mehr lange.«
Selbst wenn der Laptop den Geist aufgab, sobald er zu Hause ankam, würde sich Jake niemals davon trennen. Dies war ein Teil von Caleb, ein Teil von Jakes Kindheit. »Ich werd gut darauf aufpassen.« Beinahe ehrfürchtig legte er ihn neben sich auf die Couch. »Okay, wie wär's, wenn wir uns jetzt um diese Kisten kümmern? Dann schaffe ich es vielleicht, noch bei Tageslicht nach Hause zu kommen.«
»Klar.« Liam stand auf. »Wird nicht allzu lange dauern.« Er schaute auf seinen Arm hinunter. »Andererseits… Gott sei Dank werd ich den Gips nächste Woche los.«
»Tu dir nicht weh«, schleuderte Jake ihm entgegen.
»Schau, du kannst nicht all diese Kisten allein –«
»Ich schaff das allein.« Jake schob das Kinn vor.
Liam biss sich auf die Lippe. »Einen Moment klang es so, als würde ich Caleb zuhören. Er konnte auch ein stures Arschloch sein.«
Damit konnte Jake leben.
***
»Das war alles«, sagte Liam, als Jake durch die Haustür kam. Ich hab deine Flasche mit Eistee gefüllt und dir Chips und Snacks eingepackt.
Jakes Magen zog sich zusammen. »Das war nicht nötig.«
»Und ob.« Liam sah ihn freundlich an. »Du bist Calebs kleiner Bruder.«
Jake schlug ihm auf den gesunden Arm. »Hey, so klein nun auch wieder nicht.« Was für einen Unterschied ein paar Stunden gemacht hatten. Beschämt erinnerte er sich an die Wut und Feindseligkeit, mit denen er Liam begegnet war, als er hier ankam. »Es tut mir leid, wie ich vorhin mit dir gesprochen hab. Ich –«
»Du musst wirklich aufhören, dich zu entschuldigen«, sagte Liam mit finsterem Blick. »Ernsthaft. Ich dachte, wir kommen jetzt gut miteinander aus.«
»Tun wir doch«, protestierte Jake. Es hatte sich herausgestellt, dass Liam ein netter Kerl war.
»Dann verabschieden wir uns jetzt. Es tut mir leid, dass wir uns unter diesen Umständen kennengelernt haben.« Liam hielt ihm die linke Hand hin und Jake schüttelte sie. »Pass auf dich auf und gute Fahrt zurück nach Tennessee. Du könntest mir allerdings einen Gefallen tun.«
»Klar, welchen?«
»Du hast meine Nummer. Schreibst du mir, wenn du da bist? Nur damit ich weiß, dass du gut nach Hause gekommen bist.«
Liams Worte ähnelten frappierend denen seiner Mutter, in ihnen schwang dieselbe Sorge mit – und die gleiche unausgesprochene Angst.
Jake schluckte. »Ich versprech's.« Er nahm die Tasche mit der Flasche und den Snacks und wandte sich zum Gehen. Als er die Türschwelle erreichte, blieb er abrupt stehen. »Moment. Calebs Laptop.«
»Ich hol ihn.« Liam ging ins Wohnzimmer und kam mit dem kostbaren Gegenstand zurück. »Pass auch darauf gut auf. Ich denke immer noch, es wäre ein Wunder, wenn er weiter funktioniert, also mach dir keine Hoffnungen, ihn allzu lange benutzen zu können. Und er kann ein bisschen… launisch sein. Vielleicht solltest du die Möglichkeit in Betracht ziehen, den Speicher löschen zu lassen. Vielleicht verlängert es seine Lebensdauer ein bisschen, ihn auf die Werkseinstellungen zurückzusetzen.«
Jake klemmte ihn sich unter den Arm. »Ich schätze, das wäre eine Möglichkeit.« Insgeheim war er von der Idee wenig begeistert. Wer wusste schon, welche Informationen der Speicher des Laptops enthielt? Er nickte Liam zu und trat auf den überdachten Gehweg hinaus. Als er die Straße erreichte, drehte er sich noch einmal um. Liam stand am Geländer und beobachtete ihn. Jake hob die Hand und Liam erwiderte die Geste.
Jake stieg in den Pick-up, deponierte den Laptop vorsichtig auf dem Beifahrersitz und legte seine Jacke darauf.
Zeit, nach Hause zu fahren.
Kapitel 7
Als Jake den Motor abstellte, stand Mama bereits an der Tür. Lächelnd kam sie zu ihm herüber, um ihn zu begrüßen.
»Ich hab nicht erwartet, dich schon so früh zu sehen.« Sie umarmte ihn fest. »Ich bin so froh, dass du daheim bist. Alles gut gegangen?« Bevor Jake antworten konnte, ließ sie ihn los und schaute auf die Ladefläche des Pick-ups. »Meine Güte. Ich schätze, das kann erst mal alles in Calebs Zimmer.«
Jake streckte sich. Er hatte nur einmal angehalten, um zur Toilette zu gehen, da er schnell nach Hause wollte. »Ich mach das nach dem Abendessen.«
»Das wirst du nicht.« Mama starrte ihn grimmig an. »Dein Daddy kann sich um die Kisten kümmern. Du gehst rein und isst. Ich hab Brathähnchen im Ofen und heut Vormittag frisches Maisbrot gebacken.«
Jake lief das Wasser im Mund zusammen. »Aww, Mama. Extra für mich?«
Mama küsste ihn auf die Wange. »Jeder Junge, der an einem Tag über acht Stunden fährt, verdient eine Belohnung, wenn er nach Hause kommt.« Sie zerzauste seine kurzen Haare. »Weißt du, ich hab mir Sorgen gemacht. Wenn du so weit fährst.«
Jake duckte sich, um aus der Reichweite ihrer Hand zu gelangen. »Komm schon. Caleb hat es auch getan, oder? Und es war nicht so schlimm. Ich hatte die ganze Zeit das Radio an.« Aber er war müde. Er griff durch das Fenster auf der Beifahrerseite nach seiner Jacke und dem Laptop. Auf gar keinen Fall würde er den im Auto lassen.
Nachdem er Brathähnchen, Kartoffelbrei und Gemüse sowie mehrere Scheiben Maisbrot verdrückt hatte, fühlte sich Jake wieder menschlicher, auch wenn er pappsatt war. Daddy lud die Kisten aus und kam zu ihm und Mama in die Küche, als er fertig war.
»Also, wie war seine Wohnung?«, fragte Mama, während sie Eistee in drei Gläser goss.
»Schien ein nettes Viertel zu sein. Ruhig, mit vielen Bäumen. Irgendwie friedlich. Und die Wohnung war okay.« Jake verputzte den letzten Bissen seines Maisbrots, bevor er weitersprach. »Caleb hatte einen Mitbewohner.«
Seine Eltern starrten ihn mit offenen Mündern an.
»Damit hat er aber hinterm Berg gehalten«, brummte Daddy. »Mit wem hat er sich denn die Wohnung geteilt?«
»Er heißt Liam. Scheint ein netter Kerl zu sein.« Jake begegnete dem Blick seines Daddys. »Du hast ihn bei der Beerdigung getroffen.«
Daddys Augen weiteten sich. »Dieser… dieser Kerl?« Er errötete. »Verstehe.«
»Ich versteh's nicht. Wieso hat er diesen… Liam nie erwähnt?« Mama biss sich auf die Lippe. »Ist er erst kürzlich eingezogen? Ist das der Grund?«
Jake atmete tief durch. »Mama, er hat von Anfang an mit Liam zusammengewohnt. Sie sind zusammen aufs College gegangen. Da haben sie sich kennengelernt.«
Der Schmerz in ihren Augen war nicht zu übersehen. »Und er hat's uns nicht erzählt. Du denkst, du kennst jemanden, und dann…«
Jake war klar, was sie meinte. »Ich weiß. Ich hab's auch nicht verstanden. Aber dann hab ich ein bisschen länger darüber nachgedacht. Caleb hat nicht viel über sein Leben in Atlanta geredet, stimmt's? Mir keinem von uns.« Er hatte während der Heimfahrt darüber nachgedacht. »Vielleicht wollte er einfach die beiden Teile seines Lebens getrennt halten. Allerdings hab ich auch keine Ahnung, warum er das tun sollte. Und es ist nicht so, dass wir den Grund je erfahren werden.«
»Tja, das ist jetzt gesessen«, stellte Daddy fest. »Wir müssen einfach mit unserem Leben weitermachen. Ist ja nicht so, als würden wir nicht dauernd an Caleb denken.« Seine Züge verhärteten sich. »Entschuldigt mich. Ich muss im Schuppen was überprüfen.« Er stand auf und entfernte sich rasch.
Jake sah ihm schweren Herzens hinterher. Als könnten sie Caleb je vergessen. Er nahm an, dass es lange dauern würde, bis der Schmerz über Calebs Tod bei einem von ihnen nachlassen würde.
Mama legte ihre Hand auf seine. »Bist du okay?«
Jake zwang sich zu einem Lächeln. »Mir geht's gut. Bin nur hundemüde. Ich glaub, ich geh ins Bett.« Eine Welle der Müdigkeit überrollte ihn, drang ihm bis tief in die Knochen. Er stand auf und wollte seinen Teller abräumen, aber Mama hielt ihn zurück.
»Ich kümmre mich drum. Geh du nur ins Bett. Morgen früh wirst du dich besser fühlen. Dein Daddy erwartet, dass du morgen arbeitest.«
Was momentan wahrscheinlich das Beste war, was er tun konnte.
Jake küsste sie auf die Wange und ging in sein Zimmer. Nachdem er sich gewaschen hatte und unter der Decke lag, sah er zu dem Laptop hinüber, den er auf seinem Nachttisch abgelegt hatte. Er war körperlich und mental zu erschöpft, um sich jetzt damit zu beschäftigen.
Das konnte warten, bis er ausgeschlafen hatte. Er musste hellwach sein, wenn er das Passwort knacken wollte. Denn wenn er aus der Vergangenheit eines gelernt hatte, dann, dass Caleb kein offensichtliches verwendet hatte. Der Gedanke brachte ihn zum Lächeln und er umarmte sein Kissen und schlief sofort ein.
***
»Gottverdammt, Caleb, was auf diesem verfickten Laptop ist so schrecklich wichtig?« Jake stand kurz davor, sich die Haare zu raufen. Zwei Wochen waren vergangen, seit er das verdammte Stück Schrott nach Hause gebracht hatte, und er hatte das Passwort immer noch nicht herausgefunden. Er hatte alle offensichtlichen durchprobiert, Zum Beispiel Geburtstage, aber kein Glück gehabt. Auch einprägsame Daten wie die Tage, an denen Caleb seine Führerscheinprüfung bestanden oder seinen Abschluss gemacht hatte, führten nicht zum Erfolg. Damit blieben die Namen von Calebs Lieblingsbands, Fernsehserien, die Namen der Mädchen, mit denen er während seiner Highschoolzeit ausgegangen war… Nichts.
Es wurde zu einer Besessenheit.
Jake wusste genau, was ihn antrieb. Was machte Caleb die ganze Zeit, wenn er nicht zu Hause war? Gab es einen Hinweis darauf, warum er sich verändert hat? Warum er weggeblieben war? Verdammt noch mal, Jake wollte es wissen. Und während all der Zeit, in der diese Fragen unbeantwortet blieben, hatte Jake das Gefühl, dass er es nicht ruhen lassen konnte. Erst am Samstagabend hatte er einen Geistesblitz.
Was, wenn Liam das Passwort kennt?
Kaum war ihm der Gedanke gekommen, tat Jake ihn wieder ab. Wenn Liam es gewusst hätte, hätte er es ihm gesagt.
Ihm kam ein anderer Gedanke, so schnell, als würde in seinem Kopf jemand Tischtennis spielen. Ach ja? Denk mal nach. Er schien nicht wirklich scharf drauf zu sein, dass du ihn zum Laufen bringst, oder? Hat sogar vorgeschlagen, den Speicher zu löschen. Zu dem Zeitpunkt schien es keine große Sache zu sein, aber rückblickend…
Jake griff nach seinem Handy, scrollte durch die Kontakte und schickte eine Nachricht.
Hey. Haste kurz Zeit?
Liams Antwort kam umgehend. Klar. Alles okay?
Jakes Daumen flogen über das Display. Hast du das PW für Calebs Laptop? Er wartete darauf, dass Liam antwortete. Nichts. Jake begann eine weitere Nachricht zu tippen, wurde aber unterbrochen, als das Handy klingelte. Es war Liam.
»Hey. Kann ich dich was fragen?« Er klang fast verhalten.
»Sicher.«
»Warum ist es dir so wichtig, Zugang zu dem Laptop zu bekommen?«
Nicht die Reaktion, die Jake erwartet hatte, und für einen Moment war er verwirrt, wusste nicht, was er darauf antworten sollte. »Ist das nicht offensichtlich?«
»Nicht wirklich. Er hat Caleb gehört. Was auch immer da drauf ist, war wichtig für ihn, nicht für jemand anderen. Es ist wie… zu versuchen, jemandes Tagebuch zu lesen.«
Jake wurde die Brust eng. »Okay, schön und gut, aber…« Er kämpfte darum auszudrücken, was ihn bedrückte. »Es fühlt sich an, als wäre da dieses… Loch, und ich muss es füllen. Seit Caleb aufs College gegangen ist, war es, als…« Verdammt, das war schwer. Jake atmete tief durch. »Ich möchte sehen, was ich verpasst hab. Es ist Jahre her, dass er gegangen ist, und ich hab keine Ahnung, was er in all der Zeit gemacht hat. Wie er mit dem Studium zurechtkam, wie er seinen Job gefunden hat…« Jake schluckte, seine Kehle zog sich zusammen. »Schau, Liam, mir ist scheißegal, was da drauf ist. Im Moment ist es so, dass das Nichtwissen… na ja, es hindert mich daran, abschließen zu können. Macht das überhaupt Sinn?«
Kurz herrschte Schweigen, dann hörte Jake Liam seufzen. »Hast du einen Stift? Du musst es dir aufschreiben.«
Jake schaute zu seinem Schreibtisch unter dem Fenster, auf dem ein Glas mit Kugelschreibern und Bleistiften stand. Er hechtete durch das Zimmer, schnappte sich einen Bleistift und einen Notizblock, dann setzte er sich wieder auf sein Bett, den Rücken gegen die Kissen gelehnt. »Okay, bin so weit.«
»Es ist eine Buchstaben- und Zahlenfolge. Bereit? I-A-B-W-W-T-2011.«
Jake schrieb alles auf, dann starrte er mit gerunzelter Stirn auf das Blatt. »Was hat das für eine Bedeutung?«
»Caleb hat ständig seine Passwörter gewechselt. Nicht, dass er sonderlich auf Sicherheit bedacht war. Er hatte einfach ein schlechtes Gedächtnis. Am Ende nahm er eine Textzeile aus einem seiner Lieblingslieder und verwendete den ersten Buchstaben jedes Wortes zusammen mit einem Datum, das ihm wichtig war.«
»Also, was war die Textzeile?« Jake las das Passwort noch einmal und versuchte es herauszufinden.
Erneut eine kurze Pause. »Das musst du nicht wissen. Du hast das Passwort. Also mach dich an die Arbeit und füll dein Loch.« Er legte auf, bevor Jake antworten konnte.
Was nagt an ihm? Liams schroffe Art schien nicht zu dem sympathischen Mann zu passen, den er in Atlanta getroffen hatte, und der scharfe Gegensatz ließ Jake erschauern. Dann schob er sein Unbehagen beiseite. Endlich, ein Passwort.
»Jacob? Zeit zum Abendessen.«
Jake unterdrückte sein Stöhnen. Was für ein Timing…
Der Laptop würde warten müssen.
***
Jake wartete, bis es im Haus ruhig war und eher unwahrscheinlich, dass seine Eltern an seine Tür klopfen würden, bevor er nach dem Laptop griff, auf dem der Notizblock lag. Er klappte das Gerät auf und war überrascht, wie schnell sein Herz schlug.
Was glaubst du, was du da drin finden wirst?
Wie bei seinen vorherigen Versuchen dauerte das Laden des Anmeldebildschirms eine Ewigkeit und Jake wurde klar, dass Liam nicht gescherzt hatte, als er sagte, dass das Gerät langsam war. Als das Anmeldefeld endlich aufpoppte, tippte Jake sorgfältig das Passwort ein. Er atmete schneller – und hielt vor der letzten Zahl inne.
Aus irgendeinem Grund hatte er Angst, aber keine Ahnung, wovor.
Jake wusste, dass seine Angst unlogisch war. Er sagte sich, dass ihn die späte Stunde daran hinderte weiterzumachen. Dass er hiermit anfangen sollte, wenn er genügend Zeit hatte und Unterbrechungen unwahrscheinlich waren.
Ihm war klar, dass das nur Ausreden waren, aber es reichte aus, dass er auf den Ausschaltknopf drückte.
Morgen. Ich mache es, wenn Mama und Daddy in die Kirche gehen.
Jake legte den Laptop zusammen mit dem Notizblock auf den Nachttisch und schaltete das Licht neben seinem Bett aus. Er lehnte sich gegen die Kissen zurück und schloss die Augen, atmete den Duft des nachtblühenden Jasmins auf dem Hof ein, der von der warmen Brise hereingeweht wurde.
Zwei Dinge hielten ihn jedoch davon ab einzuschlafen – das Rätsel um das Passwort und Liams seltsames Verhalten. Songtexte gingen ihm durch den Kopf, bis er das Kissen packte und es sich über den Kopf legte, als würde das den konstanten Strom irgendwie aufhalten.
Irgendwann klappte es.
***
Durch das Wohnzimmerfenster beobachtete Jake, wie Daddy die Zufahrt hinunterfuhr. Mama saß auf dem Beifahrersitz, auf dem Kopf ihren schönsten Sonntagshut. Als der Pick-up nicht mehr zu sehen war, ging er in sein Zimmer, schloss die Tür und setzte sich aufs Bett. Er klappte den Laptop auf und wartete darauf, dass der Anmeldebildschirm lud. Sein Herz pochte heftig, als er das Passwort eintippte.
Endlich baute sich die Benutzeroberfläche auf und Jake musterte die Symbole. Der ganze Bildschirm war mit Icons übersät, vom Hintergrundbild war kaum noch etwas zu erkennen. Jake gluckste und seine Nervosität löste sich auf. Kein Wunder, dass das verdammte Ding langsam ist. Da waren die üblichen Programme und eine Menge Ordner, von denen einer sofort seine Aufmerksamkeit erregte. Bilder.
Na bitte, geht doch. Er klickte den Ordner an und wurde vom Anblick mindestens zwanzig weiterer Ordner begrüßt. Einige hatten Namen, andere waren lediglich nummeriert. Als Jake einen Ordner Familie entdeckte, öffnete er ihn schnell und lächelte, als er Fotos von sich und Caleb sah, die während der Feiertage aufgenommen worden waren, als Jake noch ein Baby war. Aww. Dass Caleb solche Bilder behalten hatte, wärmte ihm das Herz.
Dann sah er eines, das ihn verwirrte, und er klickte es an. Alle Personen darauf waren schwarz. Das Foto zeigte eine Gruppe von Menschen, die um einen Esstisch saßen, und alle lächelten in die Kamera. Jake fragte sich, wer zum Teufel sie waren, bis er sich einen der Männer genauer ansah.
Es war Liam.
Warum zum Geier ist er hier mit drin?
Da waren noch mehr solcher Fotos und dann entdeckte Jake eines von einem weiteren Treffen, aber dieses Mal war auch Caleb mit auf dem Bild. Und auf einem anderen. Und auf noch einem.
Sekunde mal. Vielleicht hat er Liams Familie besucht. Nicht so abwegig, oder? Ich meine, wie lang waren sie Freunde? Es beantwortete allerdings nicht die Frage, warum die Bilder sich in diesem speziellen Ordner befanden. Es war kein Irrtum, es waren nicht nur ein paar Bilder versehentlich dort abgespeichert worden. Dafür waren es zu viele.
Jake schloss den Ordner und überflog den Rest. Reisen, College, Projekte… und einer mit der Bezeichnung US. Das trug nur noch mehr zu Jakes Verwirrung bei. Soweit er wusste, hatte Caleb kaum Gelegenheit gehabt, Orte außerhalb Tennessees und Atlantas zu besuchen. Dann ging ihm auf, dass sein Wissen leider sehr zu wünschen übrig ließ. Er hatte keine Ahnung, wo in den Vereinigten Staaten Caleb in den acht Jahren, seit er sein Zuhause verlassen hatte, gewesen sein könnte.
Noch mehr Geheimnisse. Der Gedanke tat weh. Er öffnete den Ordner, um mehr herauszufinden – und erstarrte.
Was zum Teufel?
Jake stellten sich die Nackenhaare auf, als ihn die Erkenntnis traf wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Das ist nicht US für U.S. wie Vereinigte Staaten – das ist US für WIR.
Er hatte unzählige Fotos von Caleb vor sich – zusammen mit Liam.
Im Zoo. Im Aquarium. Am Strand. Sie sahen beide glücklich aus. So viele Bilder.
Wow. Sie standen sich wirklich sehr nahe.
Als er einen Ordner entdeckte, dessen Namen aus einem Smiley bestand, wusste Jake, dass er nachsehen musste. Seine Hand zitterte, als er ihn anklickte, und er sah –
Liam im Bett, auf der Seite liegend, wie er schläfrig in die Kamera lächelte.
Liam, auf dem Rücken im Bett liegend, mit nackter Brust und lachend, der zur Kamera über seinem Kopf aufschaute.
Und…
Jake starrte ungläubig das Bild von Caleb und Liam an, die zusammen im Bett lagen, nackt von der Taille aufwärts. Calebs Kopf ruhte auf Liams Brust, den Arm hatte er ausgestreckt, um das Selfie zu machen, der Kontrast von Calebs hellbraunen Haaren zu Liams dunkelbrauner Haut…
Caleb – und Liam. Sie sahen so unglaublich sorglos aus, so glücklich.
Und da waren noch mehr Bilder. Nicht nur Selfies, auch Aufnahmen, die offensichtlich mit dem Selbstauslöser gemacht worden waren. Auf denen sie einander umarmten. Einander in die Augen sahen.
Es gab keine andere Art, diese Fotos zu interpretieren, außer der offensichtlichen. Die Intimität zwischen den beiden Männern ließ sich nicht ignorieren.
Caleb, du Mistkerl! Warum hast du es mir verfickt noch mal nicht gesagt?