Kitabı oku: «Die Angst vor dem Tod überwinden», sayfa 3

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6Sich sterblich erfahren und neu leben lernen

In einem seiner Filme sagt Woody Allen: „Nicht, dass ich Angst hätte vor dem Sterben – ich wäre nur gerne nicht dabei, wenn es so weit ist.“ Sterbemeditation geht einen anderen Weg. Sich sterblich erfahren kann ein gutes Mittel sein, nicht nur die Einstellung zum Stress im Alltag zu verändern, sondern auch die Angst vor dem Tod zu meistern. Die Filmemacherin Doris Dörrie schreibt über ihre Methode zur Stressreduktion: „Ich stelle mir den Tod vor, seh mich als Skelett an seiner Seite und frage mich dann selbst als Tote, was ich von dem halte, was ich gerade mache.“ Diese Einstellung führe nicht selten dazu, dass ihr das, was sie gerade meint tun zu müssen, in Anbetracht der kurzen Lebenszeit auf Erden manchmal „ziemlich lächerlich“ erscheint. Zu dieser Einstellung kam sie erst, nachdem ihr Mann 1996 an Leberkrebs verstarb und sie gezwungen war, die Familie allein zu versorgen. Alle Verzweiflung brachte sie schließlich an den Punkt, alle Vernunftgedanken und Appelle über Bord zu werfen und sich zu sagen: „Das Einzige, was für mich stimmte, war: hinsetzen, Klappe halten und auf den Atem achten, sonst nichts.“45

Buddha sagte einmal: „So wie die Schritte des Elefanten gewaltiger sind als die anderer Tiere, ist die Sterbemeditation erhabener als andere Meditationen … Jung und alt, töricht und weise, reich und arm – alle sterben, so wie jeder Tonkrug, groß und klein, gebrannt und ungebrannt, irgendwann zerbricht. Entsprechend endet alles Leben mit dem Tod.“

Der buddhistische Mönch Atisha (980-1055 u.Z.), ein wichtiger Erneuerer des Buddhismus in Tibet, brachte die buddhistische Meditation und Sterbemeditation nach Tibet und entwickelte sie dort weiter. Im tibetischen Buddhismus ist die Meditation über Tod und Vergänglichkeit die dritte von 21 Meditationsweisen. Geshe Gyatsang Gyatso glaubt, dass viele Menschen gerade deshalb, weil sie so stark an weltlichen Dingen und Aktivitäten hängen, das eigene Sterben ausblenden. Dies sei aber „das größte Hindernis bei der Erkenntnis“ der wahren Natur des Seins. „Um dieses Hindernis zu überwinden, sollten wir über den Tod meditieren.“46

Der tibetische Mönch und Meditationslehrer Sogyal Rinpoche verweist darauf, dass man „erst dann angstfrei und in völliger Sicherheit sterben könne, wenn man die wahre Natur des Geistes erfasst habe“; nur diese Erfahrung … und beibehaltene Meditationsübung könne „den Geist im sich auflösenden Chaos des Todes stabil halten. Dann könne man dem Tod mit Freude begegnen.“ Sein Lehrer Dudjom Rinpoche habe oft die Geschichte von einem kranken Yogi erzählt, dessen Arzt wusste, dass es bald zu Ende geht. Der Yogi habe ihn gedrängt, ihm das Schlimmste zu sagen. Zu seiner Verwunderung soll der Yogi ganz begeistert und so voller Vorfreude wie ein kleines Kind auf Weihnachten gewesen sein und ausgerufen haben: „Welch süße Worte, welch freudige Nachricht!“ Danach soll er in den Himmel geblickt haben und auf der Stelle in tiefer Meditation gestorben sein.47

Bei der Sterbemeditation geht es darum, sich dem Unabwendbaren zuzuwenden und sich aus dem Erleben des Getrenntseins von der Schöpfung heraus zu bewegen in eine grenzenlose Seins-Erfahrung, wo wir der Angst vor dem Tod besser begegnen können, ohne sie verdrängen zu müssen. Wenn wir den Tod nicht mehr als Grenze erfahren, bleibt nur noch das Verweilen im Einen. Die irakische Sufi-Heilige Rabi’a al Adawiyya drückte es so aus:

„Ich sehe kein Leiden, ich sehe nur Gott … Ich bedauere nicht das Leid, das ich erfahren habe, ich trauere nur dem Leid nach, das ich nicht habe erfahren dürfen.“48

Sie wehrte sich gegen die Anbetung unnützer Gegenstände, die nichts mit Gott zu tun hätten, und soll ausgerufen haben: „Was nützt mir die Kaaba, wenn ich sie hätte? Das berühmteste Heiligtum dieser Welt – Gott – ist nicht drinnen, er ist nicht draußen. Die Wahrheit ist, dass er sie nicht braucht.“

Johann Wolfgang von Goethe schreibt im „West-Östlichen Diwan“:

„ Und so lang du das nicht hast,

dieses Stirb und Werde,

bist du nur ein trüber Gast auf der dunklen Erde.”49

Dieses Stirb und Werde findet sich nicht in der Anbetung äußerer Gegenstände, sondern im eigenen Inneren. Mit Recht verweist der amerikanische Management-Trainer und Autor S. R. Covey darauf, dass das Paradies „kein Ort ist, wo man hingeht, sondern ein Bewusstseinszustand“. Dieser Bewusstseinszustand entsteht nicht, wenn wir unsere Sehnsucht nach Glück durch die Befriedigung materieller Wünsche oder durch die Suche nach irgendeinem weltlichen Ort des Glücks zu stillen versuchen und damit eher noch vertiefen. Auch die Flucht vor dem Alltag hilft nicht. Wir finden nirgendwo, was wir eigentlich suchen: einen stillen Geisteszustand, einen Bewusstseinszustand voller Gleichmut und Gelassenheit, in dem „jeder Tag ein guter Tag ist“50 und der uns hilft, auch schlimmes Leid in Ruhe und Gelassenheit zu ertragen. Zwanghaftes Festhalten an Perfektionismus und Zeitdruck, an selbstgesteckten Zielen und am „Funktionierenmüssen“ sind große Hindernisse. Wir sollten den Mut haben, weniger zu funktionieren und mehr zu sein wie die Kinder. Was hat uns früher einmal zum Lachen und Leuchten gebracht? Worin waren wir so vertieft, dass eine vollkommene, eine heilige Stille entstand?

Es geht darum, dass wir uns dieses Paradies zurückholen, indem wir unser Anhaften an allzu festen Zielen lösen und zulassen, dass Stille entsteht, anstatt unser Glück in äußeren Dingen, Zielen und dem Anklammern an Bindungen zu suchen. „Das größte Glück, das dir zuteilwerden kann, ist das Bewusstsein, dass du nicht unbedingt Glück brauchst“, schrieb der US-amerikanische Schriftsteller William Saroyan, und schon Aristoteles lehrte vor 2000 Jahren, dass jeden Menschen etwas anderes glücklich macht. Kranke sehen in der Gesundheit das höchste Gut, Arme im Reichtum, manch alter Mensch im Jungsein. Wir glauben vielleicht, dass uns die interessante Reise, der vollkommene Lebenspartner oder der Besitz eines Hauses glücklich macht. Dabei jagen wir äußeren Dingen hinterher, Dingen, die allesamt vergänglich sind und uns bestenfalls kurze Augenblicke der Freude ermöglichen.


Abb. 6: Der Prophet Mohammed im Siebenten Himmel vor Gott

Genauso können das Festhalten an erlebtem Leid oder die Sorge um zukünftiges Leid zu endlosen Beschäftigungen werden und den Blick auf die Endlichkeit des Daseins verdecken. Der verstorbene Kabarettist Hanns-Hermann Kersten drückt dies in seinem Gedicht „Ganz still und stumm“ eindrücklich aus:

Wir sitzen still auf unserm Stern,

und wer uns lieb hat, hat uns gern.

Und wer uns hasst, der lässt es bleiben.

So kann man sich die Zeit vertreiben.

Wenn sich die Erde dreht und dreht,

dann merkt man, wie die Zeit vergeht.

Zermürbend wirkt die Rotation.

Wo bleibt der Tod? Da kommt er schon.51

Wenn Sören Kierkegaard in seiner Rede „An einem Grabe“ fordert, den Tod ins Leben mit Ernsthaftigkeit einzubeziehen, dann will er zu Bedachtheit aufrufen: „Der Tod im Ernst [bedacht] gibt Lebenskraft wie nichts anderes, er macht wachsam wie nichts anderes.“52 Ohne die Begrenzung des Todes, so Wilhelm Schmid, wäre unser Leben bedeutungslos, denn „es gäbe keinen Grund, sich um ein schönes und erfülltes Leben zu sorgen. Und gelänge es einst, das Leben ewig dauern zu lassen, schwände die Anstrengung, es wirklich zu leben, dramatisch, und die Individuen brächten ihr Leben wohl erst recht damit zu, auf ‚das Leben’ zu warten.“53


7Wie sollten wir leben, um nichts versäumt zu haben?

„Am Ende des Lebens sollst du nicht fragen“, so Rabbi Zusya, „warum du nicht Jesus, Buddha oder wer auch immer gewesen bist, sondern warum du nicht du selber gewesen bist.“ Aber wer bist du in Wahrheit? Du kommst als Niemand auf die Welt, entwickelst eine Persönlichkeit, wirst ein Jemand, um dann wieder ein Niemand zu werden. Aber nun bist du ein anderer Niemand als der, der du bei deiner Geburt warst, ein Niemand, der das eigene Ich-Gebäude geformt, durchlebt, bereichert und überschritten hat.

Die Schriftstellerin George Eliot, eigentlich Mary Anne Evans (18191880), ruft uns auf, die kostbare Zeit dafür zu nutzen, die eigene Persönlichkeit – sie gab sich selbst je nach Lebenslage sieben verschiedene Namen – voll zu entfalten: „Es ist nie zu spät, das zu werden, was du hättest sein können.“54 Aber wer und wie solltest du sein? Wie solltest du gelebt haben? Vielleicht gibt der argentinische Dichter Jorge Luis Borges, der im Alter von 85 Jahren das folgende Gedicht schrieb, eine Antwort darauf:

AUGENBLICKE

Wenn ich mein Leben

noch einmal leben könnte, im nächsten Leben,

würde ich versuchen, mehr Fehler zu machen.

Ich würde nicht so perfekt sein wollen,

ich würde mich mehr entspannen.

Ich wäre ein bisschen verrückter, als ich gewesen bin,

ich würde viel weniger Dinge so ernst nehmen.

Ich würde nicht so gesund leben.

Ich würde mehr riskieren, würde mehr reisen,

Sonnenuntergänge betrachten,

mehr bergsteigen, mehr in Flüssen schwimmen.

Ich war einer dieser klugen Menschen,

die jede Minute ihres Lebens fruchtbar verbrachten;

freilich hatte ich auch Momente der Freude,

aber wenn ich noch einmal anfangen könnte,

würde ich versuchen, nur mehr gute Augenblicke zu haben.

Falls du es noch nicht weißt,

aus diesen besteht nämlich das Leben;

nur aus Augenblicken, vergiss nicht den jetzigen!

Wenn ich noch einmal leben könnte,

würde ich vom Frühlingsbeginn an

bis in den Spätherbst hinein

barfuß gehen.

Und ich würde mehr mit Kindern spielen,

wenn ich das Leben noch vor mir hätte.

Aber sehen Sie …, ich bin 85 Jahre alt und weiß,

dass ich bald sterben werde.55

Dieses Gedicht macht deutlich, wie sehr der herannahende Tod die Zeit immer kostbarer werden lässt, „wie ein Tag, unterweilen eine Stunde im Preis hochgeschraubt ward, wenn der Sterbende mit dem Tode marktete…“56

Der amerikanische Psychotherapeut Sheldon Kopp empfiehlt in seinem Buch „Triffst Du Buddha unterwegs“57, sich selbst einen – wie er formuliert – ‚eschatologischen Waschzettel’ zu schaffen, der vielleicht in Form einer Auflistung wie bei Kopp, vielleicht aber auch in Form eines Gedichtes wie oben, das auflistet, was für Sie im Leben bis in die letzten Stunden vor Ihrem Sterben wichtig ist. Angehörige, Sterbende und Begleiter können sich damit besser vor Augen halten, auf welche Dinge sie besonders achten wollen. Hier ein paar Vorschläge aus meinem eigenen Waschzettel:

• Tu nur eine Sache zu einer Zeit.

• Tu das, was du tust, mit ganzem Herzen.

• Atme wenigstens einmal tief durch, ein Seufzer, und halte inne, bevor du loslegst, etwas zu tun.

• Bedenke: Der jetzige Augenblick ist alles, mehr gibt es nicht.

• Tu das, was du tust, so gut du kannst.

• Bewahre dir ein inneres Lächeln.

• Mach dich nicht zum Opfer, indem du in Selbstmitleid badest.

• Stopfe die Zeit nicht mit Aktivitäten voll. Geistiges Entleeren bringt das Wesentliche zum Vorschein.

• Lass das Grübeln über gestern und morgen, lerne aber aus den Fehlern.

• Drei Angelegenheiten gibt es: meine, deine, seine. Ob die Erde sich dreht, ist seine, die des andern – nicht die deine. Sei deshalb nicht überverantwortlich.

• Hetze nicht durch die Zeit. Sie läuft schneller als du.

• Hafte nicht an Dingen, leidenschaftlichen Gefühlen und verpassten Gelegenheiten.

• Alle Dinge vergehen schnell. Du bist nur eine Sternschnuppe in der Zeit und kannst nichts festhalten.

• Du bist nur, was du bist. Alle, die edler sein wollen, als sie können, verfallen der Neurose. Es wäre besser, wenn es ihnen möglich gewesen wäre, schlechter zu sein (nach S. Freud). Steh also zu dir.

• Sei im Wesentlichen einfach und klar.

• Achte auf deine Inspiration, folge deiner Intuition.

• Was kommen wird, ist noch nicht da und entspricht dann sowieso nur selten der Realität.

• Hoffnung und Befürchtung besetzen den klaren Geist und vernebeln das Sein.

• Erleuchtung hin oder her – man muss trotzdem Holz hacken und Wasser holen.

• Wenn du gefrühstückt hast, dann geh und wasch deine Ess-Schalen.58a

• Einatmen, ausatmen – frage dich, wer da atmet.

• „Ein Samurai entscheidet in sieben Atemzügen. Langes Überlegen stumpft den scharfen Rand der Entscheidung ab.“58b

• Das eigentliche Leben ist jenseits von Denken und Nichtdenken.

• Übe dich in Bescheidenheit und Demut.

• „Sei weise und wuchere mit dem Augenblick. Nur einmal machst du diese Reise. Lass eine Segensspur zurück.“ (Spruch der Salesianer)

• Sei beweglich wie fließendes Wasser.

• Sei im Geben großzügig. Gib, was dir möglich ist, aber wisse um deine Grenzen.

• Sitze so viel wie möglich in stiller Meditation. Im Sitzen setzt sich auch der Geist und die Klarheit tritt einfach hervor.

• „Du musst nicht alles erzählen, was wahr ist. Aber das, was du sagst, sollte wahr sein.“ (Konfuzius)

• „Fürchte dich nicht.“ (Jesus)

• Vergiss die Liebe nicht! Unbefleckt offenbart sie die Schönheit des Seins in jedem Augenblick.


8Der Umgang mit der eigenen Sterblichkeit

„Das Aufleuchten der Gewissheit des eigenen Todes bedeutet, sich zu vergegenwärtigen, dass mit dem Tod endgültig alles vorbei ist und dass das Lebensende eine Grenze darstellt, jenseits derer keine Möglichkeit mehr besteht, zu handeln, etwas zu korrigieren oder einen Fehler wiedergutzumachen. Alle Projekte und Zukunftsplanungen finden ihr jähes Ende.“59

Mitunter haben wir keine Zeit, uns auf unseren Tod einzustellen, er überrascht uns völlig unerwartet, inmitten irgendeiner Tätigkeit. So wie plötzlich eine Krankheit über uns hereinbricht, genauso kann uns der Tod ereilen. Tatsache ist, dass der Augenblick des Todes nicht vorausgeschaut und eingeschätzt werden kann. Wie vieles andere entzieht er sich unserem Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle. Treffend meint die Psychoonkologin Sabine Lenz in einem Bericht über eine krebskranke Frau, die ihr Leben und alles um sie herum im Griff hatte: „Sie hatte eine Krankheit bekommen, die mit unkontrolliertem Zellwachstum zusammenhing.“ Sie war an Kontrollverlust erkrankt.60

„Stirb jeden Morgen“, heißt es im Hagakure, dem Kodex der Samurai. „Stell dir jeden Morgen aufs Neue vor, dass du bereits tot bist. Halte dich jeden Morgen, wenn dein Geist friedvoll ist, ohne Unterlass für tot, denke über verschiedene Arten des Todes nach, stelle dir deinen letzten Augenblick vor, wie du von Pfeilen, Kugeln und Schwertern in Einzelteile zerfetzt wirst, von einer Woge weggespült wirst, in ein rasendes Feuer springst, von einem Blitz erschlagen wirst, in einem großen Erdbeben untergehst, von einer schwindelerregenden Klippe stürzt, an einer tödlichen Krankheit leidest oder plötzlich tot umfällst.“61 Dieser Text ermahnt den Samurai, eine geistige Einstellung zu entwickeln, die seine Bereitschaft, den Tod in jedem Augenblick mit in das Leben einzubeziehen, möglich machen soll.

Es wäre schön, wenn Sterben einem festen biologischen Rhythmus folgte. „Kommt der Tod am Ende eines langen Lebens, dann hat der Mensch gelebt, dann ist er gewesen. Und das ist auch vom Tod ein nicht wieder rückgängig zu machendes Plus. Gelebt zu haben, gewesen zu sein, ist nicht nichts.”62 Kommt der Tod früh in jungen Jahren, dann ist der Lebenslauf unterbrochen. Ein Zen-Meister meinte einmal auf die Frage, was das größte Glück sei: „Vater stirbt, Sohn stirbt, Enkel stirbt.”63 Wenn unser Leben einen natürlichen Verlauf nimmt, wäre das die Reihenfolge, in der wir aus der Welt scheiden, die natürlichste Möglichkeit, in der das Leben seinen Abschluss finden kann. Hermann Hesse verweist in seinem Gedicht „Stufen“ darauf, dass Werden und Vergehen im Verlauf eines Lebens sich in vielfachem Abschied und Neubeginn zeigen können, ja, sogar jeder Augenblick dem nächsten weicht und einen Anfang und ein Ende markiert:

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend

dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,

blüht jede Weisheit auch und jede Tugend

zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe

bereit zum Abschied sein und Neubeginne,

um sich in Tapferkeit und ohne Trauern

in andre, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,

der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,

an keinem wie an einer Heimat hängen,

der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,

er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise

und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,

nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,

mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde

uns neuen Räumen jung entgegensenden,

des Lebens Ruf an uns wird niemals enden …

Wohlan denn, Herz, nimm’ Abschied und gesunde!64


9Im Jetzt leben, was heißt das?

Auf einer Postkarte las ich kürzlich ein Zitat von John Lennon: „Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen.“ Das erinnerte mich an Jean-Jacques Rousseau, der einmal schrieb: „Nicht der Mensch hat am meisten gelebt, welcher die höchsten Jahre zählt, sondern derjenige, welcher sein Leben am meisten empfunden hat.“65

Ein Bild davon, wie dieses ‚Jetzt-Leben‘ denn aussehen könnte, gibt uns der folgende Krankenbericht:

„An der Wand über meinem Bett hängt seit gestern ein großes Blatt: ‚Wenn das der letzte Tag meines Lebens wäre, wie möchte ich ihn dann gelebt haben?’ Ich will mich in den nächsten Tagen und Wochen immer wieder dieser Frage stellen, will, dass sie mich begleitet. Mein erster Impuls am Morgen ist: ‚Ja, es ist okay, wenn der Tod am Abend kommt, weil ich am Nachmittag eine wichtige und schöne Verabredung habe. Die möchte ich gerne noch erleben.’ … Der Gedanke an den möglichen Tod wird zunächst sehr mächtig und einengend. … Aber zum Glück kann ich mich dann wieder zurückholen und denke: ‚Wenn der Tod kommen soll, wird er auch zu Hause kommen. Wenn es dir bestimmt ist zu sterben, kannst du ihn nicht durch so etwas austricksen. … Was mir angesichts des Todes bleibt, ist, jeden Moment zu bejahen, zu begrüßen, ihn so intensiv wie möglich zu erleben. Und da ist es egal, was ich mache: ob ich im Wald jogge und die Natur, meinen Atem, meine Kraft ganz intensiv aufnehme oder bei einer langen Autofahrt die Natur wahrnehme und nicht nur an das Erreichen des Zieles denke oder bei einer langweiligen Sitzung mich nicht ärgere, sondern die Menschen beobachte, sie wahrnehme, meinen Atem spüre – spüre, dass ich lebe. Immer wieder erinnere ich mich daran, dass der jetzige Moment mein letzter sein könnte. … Ich bemerke, dass ich eigentlich in jedem Moment, egal, was ich tue, etwas Kostbares entdecken kann … Der Gedanke an den jederzeit möglichen Tod hat mich also zunächst geängstigt, wollte mich einengen, aber dann konnte ich mich dem stellen, und der Moment öffnete sich für mich. … Jetzt begleitet die Frage mich immer wieder im Alltag und öffnet mich für die Einmaligkeit dieses Augenblickes. Sie ist für mich ein wichtiger Schlüssel in meinem Leben geworden.“66


Abbildung 7: Lackschilduhr mit Sensenmann, Museum St. Märgen, Hochschwarzwald, um 1860

Bei ganz einfachen alltäglichen Arbeiten können wir die Einmaligkeit und Kostbarkeit jedes Augenblicks auf- und entdecken, ganz egal, ob wir Wäsche waschen oder die Wohnung aufräumen, ob wir als Sterbende den Geschmack von etwas Tee im Mund erfahren oder als Begleiter helfen, eine wunde Stelle zu versorgen. Wenn wir diesem Hinspüren still und ruhig Raum geben, ihm in die entstehende Stille folgen und die Ruhe, die in jedem Augenblick sichtbar werden kann, in uns aufnehmen, kann das Gefühl entstehen, dass etwas ‚Ewiges’, nicht vom Tod Bedrohtes in jeder alltäglichen Handlung spürbar wird.


10Was ist wichtig im Leben?

Der Tod eines nahen Angehörigen kann einen in eine Krise stürzen, gleichzeitig kann diese Krise aber auch einen Anstoß geben, sich mit der Frage nach den Wichtigkeiten im Leben auseinanderzusetzen, wie der folgende Bericht eines Mannes zeigt:

„Mein Vater ist vor sechs Jahren sehr plötzlich an einem Herzinfarkt gestorben. Seitdem ist nichts mehr, wie es war. Es hat mich damals total aufgerüttelt. Mir wurde damit alles, was vorher so wichtig war, sinnlos. Ich hatte eine gute Stelle als Elektriker, hatte sogar noch den Meister gemacht, es lief eigentlich alles so, wie man es sich träumt. Ich hatte ein großes Motorrad, ging jedes Wochenende in die Disco, war beliebt unter meinen Freunden, plante, meine Freundin irgendwann zu heiraten und eine Familie zu haben. Aber das alles schien mir nach dem Tod so fragwürdig, so vom Äußeren her bestimmt. Es war das, was die Gesellschaft für einen bestimmt, so wie es alle tun. Aber stimmte das für mich?

Mir ging es dann so schlecht, dass ich auch gar nicht mehr arbeiten konnte. Ich war in der Zeit sehr verzweifelt. Warum das alles machen, wenn es nachher sowieso aus ist? Was sollte das Leben? Die anderen konnten mit mir überhaupt nichts mehr anfangen. … Dann, nach zwei Monaten, fasste ich den Entschluss, meine sichere Stelle zu kündigen und für ein Jahr nach Griechenland zu gehen. Mit dem Entschluss, mir einen so großen Traum zu erfüllen, ging es mir gleich schon wieder besser. Das war es, was mich erfüllte. Als ich nach dem Jahr zurückkam, fand ich eine Halbtagsstelle. Ja, ich verdiene jetzt nicht mehr so viel Geld wie früher, aber ich habe jetzt viel mehr Zeit für mich selbst, für die Begegnung mit anderen Menschen und um meine Träume zu leben. So habe ich mir eine eigene kleine Werkstatt eingerichtet und tüftle da vor mich hin. In diesen Momenten geht es mir sehr gut, da bin ich ganz ich selbst, ganz zufrieden und erfüllt. Für diese Momente lohnt sich das Leben.“67

Von der Suche nach Erfüllung und Erleuchtung getrieben, unruhig im Herzen, übte ich nach dem Tod meiner Schwester 1982 viel Zen-Meditation. Sie starb in Spanien und meine Mutter ließ die Leiche im Sarg nach Deutschland bringen. Nachdem Leute ihr erzählten, dass auch schon leere Särge aus dem Ausland geliefert worden seien, veranlasste sie, dass der Sarg ausgegraben wurde, und schickte mich zur Sargöffnung; sie selbst hatte zu große Angst davor. Nun, meine Schwester lag fast so, als ob sie erst gestern gestorben wäre, ganz entspannt darin. Anders als üblich lag sie auf dem Bauch, den Kopf zur Seite gedreht. Es war ein friedlicher Anblick, der mich nur noch mehr dazu aufrief, den Frieden im Leben zu suchen. Ich entschloss mich daher, mein ganzes Geld aus BAföG und Minijobs in die Suche nach innerem Frieden zu investieren. Sechs bis zehn Wochen im Jahr verbrachte ich in Klöstern mit Zen-Meditation in der Hoffnung, dadurch weiterzukommen. Nach dem Semester kündigte ich meine WG-Zimmer, stellte die wenigen Habseligkeiten zuhause unter und ging auf die Suche nach Erlösung. Von 1993-94 hatte ich eine Stelle als Lektor für Germanistik in Korea und verbrachte die Zeit zwischen den Unterrichtseinheiten in der Gynäkologie der Universität. Der Chefarzt, der in Frankfurt Medizin studiert hatte, wollte sein Deutsch üben. Viele Wochenenden und die Semesterferien ging ich in Zen-Klöster, immer noch auf der Suche nach Erleuchtung für meinen ruhelosen Geist. Mehrfach flog ich bei meiner Suche nach Japan. Dort brachte mich ein Esperanto-Freund einmal in ein Zen-Kloster in die Berge. Ich verbrachte dort knapp einen Monat. Die ersten drei Tage musste ich in einem von Bambusstangen umfassten Feld von etwa drei Quadratmetern essen und schlafen. Von drei Uhr morgens bis zehn Uhr abends verbrachte ich die Zeit zwischen Meditationskissen im Vorraum der Meditationshalle und in meinem Bambusviereck. Neuankömmlingen war es nicht gestattet, gemeinsam mit den Mönchen zu üben. Deren innere Unruhe sollte die Mönche nicht stören. Voller Frustration und wütend ging ich nach Ablauf der Zeit zum Abt und klagte darüber, dass ich nicht wüsste, warum ich seit Jahren in diese Übung meine ganze Freizeit steckte. Der Abt, sein Name war Ekai San, meinte nur: „Dieser Moment jetzt ist wirklich alles“, und forderte mich auf, meine Arbeit zu machen. Dieser Satz war für mich völlig unerwartet und traf mich mitten ins Herz. Ich ging weg, um die Petroleumlampen zu reinigen, denn es gab dort keinen Strom. Beim Reinigen erlebte ich erstmals in meinem Leben, dass nicht ich, sondern das ‚Eine Ganze‘ die Lampen putzte. Als ich aufschaute erstrahlte der Wald um mich herum in einer eigenartig zu Herzen gehenden Schönheit. Ich hatte nie gesehen, wie die Natur so aus sich heraus leuchtete, und ich erlebte mich darin so eingebettet. Wie lange ich mit der Lampe in der Hand gebannt dastand, weiß ich nicht. Tränen liefen mir über das Gesicht, als ich zum Abt ging und reden wollte. Aber ich brachte keinen Satz heraus. Der Abt schmunzelte nur und meinte: „Es braucht nichts, damit alles erscheint.“

Heute weiß ich, dass es kein Ende von spiritueller Entwicklung gibt und dass diese Erfahrung nur der Anfang war, der mir die Zweifel daran, warum ich meditiere, nahm.

Unentwegt in Bewegung bleiben

Immer wieder das so Nahe

Aber auch so Unfassbare suchen

Damit es aufleuchten kann

In einem Staubkorn

Während du den Boden wischst68

Oft aber kommt es anders. Fast das ganze Leben vergeht, bis erst eine Krankheit im Angesicht des Todes dazu aufruft, zu entdecken und zu leben, was man ist:

„Unter den niedrigen, schattenspendenden Tamarindenbäumen liegt Christel auf einer einfachen Liege mit einer leichten Wolldecke bedeckt und einem bequemen Kissen im Nacken. Sie hält die Augen geschlossen und scheint dem vielfältigen Gezwitscher der Vögel in den Bäumen zu lauschen. Christel ist 42 Jahre alt. Sie ist unter schwierigsten Umständen hierher auf eine der Kanarischen Inseln geflogen. Es gab Schwierigkeiten, da es lange niemanden gab, der sich zutraute, als Begleitperson mitzugehen. … Ihr Zustand? Christel hat Krebs im Endstadium. Die Arme und Beine sind so mager, dass sie Mühe hat, zu gehen und das Gleichgewicht zu halten. Der Bauch wölbt sich zu einer erschreckenden Dimension … ‚ die Metastasen, wie Christel weiß. Das Gesicht ist quittegelb und an manchen Tagen, den schlechteren Tagen, ist es auch das Weiß der Augen. … Menschen, die es wagen, sie genauer zu betrachten, sehen vielleicht eine große Schönheit und Klarheit in ihren abgezehrten Zügen. … Christel hat ihren Mann mit den drei kleinen Kindern verlassen. Wenn sie von ihnen erzählt, hat sie Tränen in den Augen. Sie sagt von sich: ‚Ich musste das tun. Ich weiß, dass das kaum jemand versteht. Ich fühle mich auch schuldig. Und trotzdem, ich hatte das Gefühl, noch mein ganz eigenes Leben leben zu müssen.’ – Wenn Christel redet, spricht sie knapp und genau, und man hat das Gefühl, dass jedes Wort aus einer vertieften Wahrhaftigkeit kommt. Wenn es nichts Besonderes zu sagen gibt, schweigt sie. Oft sitzt sie bis tief in die Nacht hinein in eine Wolldecke gekuschelt auf ihrem Balkon und hört Musik von Mozart. Die Töne klingen einzigartig schön und unwirklich unter dem südlichen Sternenhimmel.

Zurückgekehrt von ihrem letzten Urlaub, mietet Christel sich eine leerstehende schöne Wohnung. Sie denkt nicht ans Geld, und nur wenige, einfache Möbel reichen aus. Sie ist nicht zu ihrer Familie zurückgekehrt. ‚Ich muss das tun’, sagt sie ganz klar. ‚Ich möchte noch ganz zu mir kommen und ganz ich selber werden, und dazu brauche ich viel Ruhe.’ Hin und wieder kommen die Kinder zu Besuch. – An Weihnachten will die Familie für ein bis zwei Stunden beisammen sein. Christel ist aber so erschöpft, dass der gemeinsame Abend sich auf eine knappe Stunde reduzieren muss. ‚Ich wollte Weihnachten so gerne noch erleben’, sagt sie. Dann kommen zwei Tage lang sehr starke Schmerzen. Christel kämpft, ohne Schmerzmittel auszukommen, dann nimmt sie doch Morphin. Sie ist nun ruhig und gelassen wie jemand, der alles erledigt hat. Am 28. Dezember stirbt Christel. Es ist ein schneller und leichter Übergang.“69

Für einen leichten Übergang empfiehlt Karlfried Graf Dürckheim die Beschäftigung mit fünf Bereichen:

1. Die eigenen Erfahrungen wertschätzen, weitergeben, aufschreiben

2. Die Einfachheit entdecken: spielen, ruhen, Leistung loslassen, dabei aber die Form wahren

3. Das innere Gleichgewicht finden: Konflikte klären, Kummer von der Seele reden, schreiben, malen, aber nicht jammern. Freude erleben, erinnern und wertschätzen, den Körper spüren

4. Beziehungen und Kontakte pflegen: Gemeinsam Nichtverbales tun, wie singen, Karten spielen, wandern; altersgemäße Funktion und Rolle übernehmen, wie Ruhepol sein und aus dem Leben erzählen

5. Transzendenz erleben: sich einstimmen auf die Unendlichkeit, auf Sinn und Sterben70

Genügt es also, wie im ersten Beispiel gezeigt, sich aufgerüttelt vom Tod eines Menschen darauf zu besinnen, was man vom Leben haben möchte?

Der Philosoph, Politiker und Essayist Michel Eyquem de Montaigne (1533-1592), der durch die Pestepidemien den Tod vieler vor Augen geführt bekam, hielt es für ratsam, sich durch wiederholtes Bedenken des Todes, der ohnehin unausweichlich ist, an ihn zu ‚gewöhnen’ und ihm seine Fremdheit zu nehmen:

„Man muss sich früher darauf [auf den Tod] gefasst machen. … Wär’s ein Feind, dem man ausweichen könnte, ich würde anraten, einer alten Memme ihre Waffen abzuborgen. Weil das aber nicht tunlich ist, weil er euch erhascht, ihr möget feig sein oder fliehn oder tapfer sein und Fuß halten, … so lasst uns lernen, ihm Fuß zu halten, und nicht Reißaus geben. Und, um damit anzufangen, ihm seinen großen Vorteil über uns abzugewinnen, müssen wir eine der gewöhnlichen ganz entgegengesetzten Methode einschlagen. Nehmen wir ihm das Fremde, machen wir seine Bekanntschaft, halten wir mit ihm Umgang und lassen uns nichts so oft vor den Gedanken vorbeieilen als den Tod. Halten wir ihn alle Augenblicke unserer Einbildung vor, und zwar unter allen seinen Gestalten … Sinnen auf den Tod ist Sinnen auf Freiheit.“71

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