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EIN ROBINSON (Regie: Arnold Fanck, Kamera: Hans Ertl, 1940)

Finanziert von Goebbels’ Ministerium reiste Hans Ertl Ende der 1930er-Jahre für die Dreharbeiten zum Spielfilm Ein Robinson als Teil der Filmcrew von Arnold Fanck zum ersten Mal nach Südamerika. An der chilenischen Pazifikküste sollte der vom Reichsministerium beauftragte Streifen gedreht werden, der das Schicksal des deutschen Matrosen Hugo Weber, im Film: Obermatrose Carl Ohlsen, zum Inhalt hat, der sich in den Wirren der Nachkriegsjahre des Ersten Weltkriegs auf die Juan-Fernández-Inseln vor Chile verirrt – jene Inselgruppe, auf der einst auch der reale Robinson Crusoe, Alexander Selkirk, gestrandet war.

Die Ereignisse, die die Vorlage des Filmprojekts bildeten, lagen in der nicht allzu fernen Vergangenheit: Die Insel war die unfreiwillige Zuflucht deutscher Seeleute geworden, nachdem das deutsche Ostasiengeschwader von den Briten bei den Falklandinseln im Südatlantik vernichtend geschlagen worden war. Einem Schiff, der Dresden, gelang es, sich in sichere, da neutrale, chilenische Gewässer zu retten, akkurat vor der Robinson-Crusoe-Insel kam es zum Showdown: Die Briten missachteten die Neutralität Chiles und griffen an, der Kapitän der Dresden verordnete die Versenkung seines Schiffes. Die Besatzung wurde von chilenischer Seite auf Juan Fernandéz interniert. Fanck griff einige Momente dieser historischen Ereignisse auf und strickte daraus eine deutsche Schicksals-Robinsonade.

Von Ertl stammen die spektakulären Naturaufnahmen von kalbenden Gletschern, scharfkantigem Zackeneis und hoch aufragenden Berggipfeln, aber auch die idyllischen Aufnahmen von der Robinson-Insel Juan Fernández. Die Motive finden sich in ihrer Polarisierung von oben und unten, kalt und heiß später in Ertls Fotoband Arriba Abajo (Mal oben mal unten, 1958) wieder. Auch Ertls Farm in der Chiquitanía kann man in diesem Film erstmals besichtigen. Der »deutsche Robinson«, gespielt von Herbert A. E. Böhme, schafft im Film durch harte Arbeit und Willenskraft sein künstliches Paradies. Wie Ertl später, rodet er eine Lichtung, auf der er sein Haus errichtet.

Der Matrose, der über die unpatriotischen, revolutionären Ambitionen seiner Berufsgenossen nach dem Ersten Weltkrieg entsetzt ist, hat sich – so die Filmhandlung – ins Exil auf die Robinson-Insel begeben. Er züchtet Haustiere und Nutzpflanzen, strotzt vor Tatkraft, ist aber ein wenig einsam. Hugo Weber, das historische Vorbild für Ohlsen, hatte mit einer Annonce in deutschen Zeitungen eine Ehefrau gesucht, die dann in der Tat samt Dackel und Pfarrer auf Juan Fernández eingetroffen war und damit den Grundstock für die erfolgreichste chilenische Dackelzucht der damaligen Zeit legte. So erzählt es jedenfalls Ertl in seiner Autobiografie Meine wilden dreißiger Jahre (1982). Der Film-Ohlsen hingegen vereinsamt trotz tierischer Gesellschaft. Sein schmusendes Lama und sein plappernder Papagei sind irgendwann nicht mehr genug. Aus dem Radio erfährt er, dass seine ehemaligen Kameraden ihn suchen. Er verpasst aber die Neue Dresden, als sie an der Insel anlegt, und ist deshalb gezwungen, dem imposanten Kriegsschiff auf einer kleinen Jolle hinterherzusegeln und die Feuerlandgletscher zu Fuß zu überqueren, um sie einzuholen. Der Film endet mit Ohlsens Wiedereingliederung in die Schiffsmannschaft der selbstverständlich inzwischen unter nationalsozialistischer Flagge fahrenden Neuen Dresden, nicht ohne dass er davor seinem träumerischen Einzelgängertum und seiner egoistischen Selbstversorgerexistenz zugunsten des nationalen Kollektivs abgeschworen hätte.

Eine Blaupause für Hans Ertls spätere Urwaldexistenz: Nicht nur ähnelt seine Farm La Dolorida visuell der Robinson-Farm. In Interviews inszeniert sich Ertl als durch das Radio mit der Heimat verbundener politisch Vertriebener, als von der Bonner Republik Enttäuschter; als einer, der unter den gegebenen Umständen nicht anders kann, als sich zurückzuziehen. Subtext: Ich bin ein aufrechter Patriot, aber Deutschland hat meine Dienste zurückgewiesen. Nichts hätte er sich wahrscheinlich mehr gewünscht, als dass eine Neue Dresden an La Dolorida angelegt und ihn heimgeholt hätte. Vielleicht auch nicht, vielleicht waren seine Ambitionen auch eher denen des realen und nicht des Film-Carl-Ohlsen ähnlich. Wenn er sich als hochbetagter Greis nichts sehnlicher wünscht als ein deutsches »Frauchen«, ist die Dackelzucht nicht weit.



Brandrodung der Robinson-Farm. Ein Vorbild für Hans Ertls Hazienda La Dolorida.

DIE/DAS »FREMDE«

Südamerika birgt seit dem Beginn der europäischen Expansion das Versprechen von Freiheit und Reichtum. Im 16. Jahrhundert waren es Landsknechte wie Ulrich Schmidel aus Regensburg, die für ihren Kaiser in Übersee einfielen. Schmidel kam bis in den Chaco im Osten Boliviens. Auf ihn berufen sich bis heute die deutschstämmigen Geschäftsleute in der Gegend von Santa Cruz. Sucht man nach Vorbildern für Hans Ertls Südamerika-Leidenschaft, wird man Abenteuer- und Entdeckerberichte zur Hand nehmen, wie die von Percy Harrison Fawcett, der bei der Royal Society im Dienst stand und dem Typus des Entdeckers des 19. Jahrhunderts entsprach. Hinzu kamen Forschende, etwa der aus einer Wiener Industriellenfamilie stammende Arthur Posnansky, der im Anschluss an seine Karriere als Militäringenieur zu einem der Pioniere der Archäologie Südamerikas wurde und das Inka-Heiligtum Tiwanaku der Forschung zugänglich machte. Im 20. Jahrhundert kamen dann die Ethnologen und Ethnologinnen verschiedener, auch deutscher, Universitäten.

Die Entdecker des 20. Jahrhunderts reisten mit der Kamera, und insofern ist Hans Ertl in der Nähe des nationalsozialistischen Dokumentaristen, Journalisten, Kriegsberichterstatters, Filmemachers und Geopolitik-Theoretikers Colin Ross zu verorten, der in Südamerika in den frühen Zwanzigerjahren eine »aufsteigende Welt« sah. In einer zeittypischen Mischung aus kulturrevolutionärer und zivilisationskritischer Denkweise, die das Bürgerliche als absterbend verachtete und die sich später – zumindest teilweise – mit der NS-Ideologie eines neuen Barbarentums vermählen konnte, beschreibt Ross 1928 Bolivien als einen Ort, der mit der Revolution schwanger geht. Hans Ertls Berichte sind zwar weniger geopolitisch und kulturkritisch ausgerichtet, ähneln in der Grundtendenz aber Ross’ Reiseberichten, die dieser auch während der Zeit des Nationalsozialismus weiter publizierte. Ertls Berichte sind meist im Plauderton gehalten und machen damit die kulturpolitischen Hintergründe ihrer Entstehung schwerer greifbar.

Auffällig ist, dass beide, Hans Ertl und Colin Ross, aufgrund ihrer Tätigkeit für das NS-Regime in den späten 1930er-Jahren überhaupt erst die Gelegenheit hatten, weite Reisen anzutreten, die von entsprechend hoher Stelle, in Ertls Fall dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, finanziell unterstützt wurden. Wenn Hans Ertl später von den Jahren 1937/38 – als auch Luis Trenkers Liebesbriefe aus dem Engadin entstanden, an dem er mitgewirkt hat – von einer der unbeschwertesten, schönsten und fröhlichsten Zeit in seiner Laufbahn spricht, ist das Auskunft genug, wie sehr er vom NS-Regime profitieren konnte.

Dem reinen, unschuldigen Weiß des Engadiner Pistenvergnügens ist Hans Ertl dann etwas später auf dem Dampfer Virgilio wiederbegegnet, auf dem er sich als Teil der Filmcrew von Arnold Fanck 1938/39 Richtung Südamerika befand. Wie das Engadiner Ski-Idyll in dieses Szenario kam? In Gestalt einer ehemaligen Skischülerin von Ertls Kameramann Robert Dahlmeier, die er 1938 auf der Virgilio wiedertrifft. Dahlmeier, der Ertl auch bei diesem Dreh assistiert, hilft der jüdischen Emigrantin, die im »zauberhaften Sommerkleidchen« auftritt, bei der Landung in Valparaíso Wertgegenstände von Bord zu schmuggeln.

Es muss eine ungeheuerliche Bootsgemeinschaft gewesen sein. Da war die vom Propagandaministerium finanziell satt ausgestattete Filmcrew von Arnold Fanck, der Regisseur reiste samt Familienanhang – in komfortabel ausgestatteten Kabinen, versteht sich. Die Fotografien von Fancks Sohn von der Reise zeigen den Regisseur als ernsthaften, etwas dandyhaften, stets in Weiß gekleideten Mann, der eher den Eindruck eines Touristen als den eines arbeitenden Regisseurs erweckt. Der Großteil der Menschen an Bord war jedoch auf der Flucht. Hans Ertls Schilderung des Ausbootens von zu Flucht Getriebenen bei stürmischer See in Iquique ist ein Klartraum, in dem an die Oberfläche kommt, was eigentlich darunter bleiben sollte:

Deshalb [aufgrund des hohen Seegangs, KH] wurde ein großer Metallgitterkorb, der am Ladebaum hing, über Bord gehievt, angefüllt mit Männern, Frauen und weinenden Kindern, von denen sich manche noch außen an dieser schwebenden Menschtraube festklammerten. Bald schlug das zappelnde Bündel an die Bordwand, bald unten auf den schwimmenden Kasten auf, bald purzelten einzelne hinunter und mitten hinein unter die rudernden Männer. Die Hilferufe verzweifelter Menschen, die lauten Kommandos von Kapitän und Ladeoffizier, die schrille Trillerpfeife des Bootsmanns und das Dröhnen der Brecher gegen die Schiffswand, die heiseren Schreie umherflatternder Seevögel, aufgeschreckt durch die herumtastenden Lichtkegel der Scheinwerfer, und der widerliche Gestank von Guano, verwesenden Fischen und gestrandeten Quallen ergänzten das schaurige Geschehen in dieser Nacht.

Ertl betont in seinen autobiografischen Schriften, kein Antisemit gewesen zu sein. Es sind »deutsche Rufe der Not«, die ihn, angeblich, mit Wut gegenüber den »eigentlichen Urhebern einer solchen Barbarei« erfüllen. Dennoch muss man sich fragen, wie das alles für ihn – und zwar zeit seines Lebens – zusammenging: die Propagandatätigkeit für den Nationalsozialismus, das ostentative Genießen der mondänen Welt der Kultureliten des »Dritten Reichs«, die Bewunderung für Rommel im Gegensatz zur Verachtung für bestimmte nationalsozialistische Funktionäre. Darüber hinaus gibt es noch seine Annäherung an nicht-europäische Lebensstile und sein ausgeprägtes Nomadentum, das wenig nationalistisch oder heimattümelnd wirkt. Wie kommt er zu der Überzeugung, nie ein Nazi gewesen zu sein und gleichzeitig der Sache immer korrekt gedient zu haben?

Colin Ross, bei dem man eine ähnliche Mischung, wenngleich ideologisch stärker unterfüttert, finden kann, hat zum Kriegsende einen anderen Schluss gezogen, nämlich den, dass »es« sich nicht ausgeht, dass man das alles nicht unter einen Hut bringt. Gemeinsam mit seiner Frau Elisabeth tötete er sich im April 1945 selbst. Ross muss klar gewesen sein, dass die von ihm in seinen Büchern entworfene rassistische Geopolitik ohne deutsche Vorherrschaft keine Zukunft haben würde. Seine politische Vision ähnelte dem heutigen »Ethnopluralismus« der Neuen Rechten stärker als der gnadenlosen Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten. Ross bekannte sich zum Nationalsozialismus, sprach sich aber offen gegen den Antisemitismus aus. Wegen seiner Freundschaft zur Familie des Reichsjugendführers Baldur von Schirach blieb er unbehelligt und konnte weiter seinem Beruf als Filmer und Autor nachgehen. In Ross’ Geopolitik waren die »Völker« und Nationen auf einer Skala der kulturellen Wertigkeit und geopolitischen Funktionalität (nach physischen und intellektuellen Stärken) hierarchisch geordnet. Die sogenannten »Urrassen« und »Naturvölker« spielten dabei eine ambivalente Sonderrolle. Im kulturrevolutionistischen Kippbild konnten sie sowohl das Höchste als auch das Niedrigste repräsentieren. Sie konnten den von der bürgerlichen Zivilisation nicht korrumpierten, rohen Ursprung darstellen, ein Ideal, dem in den Masseninszenierungen des Propagandaministeriums, aber auch im Elitenverständnis der SS gehuldigt wurde. Das Bild konnte aber auch umspringen und damit zur Legitimation der »natürlichen« Dominanz der »Herrenrasse« über ein vermeintlich in der Kindheit verbliebenes Volk verwendet werden. Nicht nur die ethnologische Literatur der Nazizeit legt von diesem perfiden double-bind Zeugnis ab, sondern auch Dokumentarfilme der Zeit, wie etwa der damals populäre Film über die Amazonas-Jary-Expedition Rätsel der Urwaldhölle (1938) von Otto Schulz-Kampfhenkel. Oder eben die Bücher und Filme von Colin Ross.

Hans Ertls Sichtweise war nicht explizit kultur- oder rassentheoretisch unterlegt. Sie ist aber insofern relevant, weil Ertl als wacher und gut informierter Zeitgenosse wohl das handelsübliche Sammelsurium an Vorstellungen über »das Fremde« in seiner Kameraarbeit in Bilder gefasst und später in seinen autobiografischen Texten verarbeitet hat. Deutlich wird dabei, dass, wie in der Orientalismus-Theorie von Edward Said herausgearbeitet, in den populären Bildern alles Mögliche legiert ist: überlegen-männliche Selbstdarstellungen, schwelende Sehnsüchte, halb und nicht gewusstes Begehren, Überschreitungsfantasien, Ängste. Das Kapitel über die Dreharbeiten für Ein Robinson aus Meine wilden dreißiger Jahre, aus dem die oben zitierte Passage stammt und in der er seine erste Begegnung mit Südamerika erzählt, präsentiert ein solches, ebenso schreckliches wie halbgares Mischmasch aus Faszination und Überheblichkeit. Da wird die Erhabenheit und Unberechenbarkeit der Natur zelebriert, schlüpfrige amouröse Abenteuer werden geschildert, die Professionalität und der Glamour der Filmwelt werden als durch den Krieg vernichtetes kosmopolitisches Milieu gefeiert. Auffällig ist die ambivalente Anziehungskraft, die vom »Jüdischen« im Verlauf des Robinson-Kapitels ausgeht. Zum einen ist da das hübsche, unschuldige, jüdische Mädchen, die ehemalige Skischülerin, der galant geholfen wird. Zum anderen ist aber auch die Rede von einem verstörend deutsch Aussehenden (ein »auffallend blonder Mann«), dessen deutscher Dialekt sich als Jiddisch herausstellt und der verdächtigt wird, die Verhaftung von Ertl und seinem Assistenten in Buenos Aires bewirkt zu haben. Es ist ein im Kern antisemitischer Plot: Die jüdische Bedrohung ist dem Umstand geschuldet, dass man »sie« nicht von »uns« unterscheiden kann.

Klarer fällt die Rahmung bei der Schilderung »anderer Anderer«, der Schilderung der natives des Feuerlandes aus. Dem »alten Feuerlandjäger« Willi Haedike legt Ertl einen langen Monolog in den Mund, in dem er, halb Karl May, halb ethnologisch-bewahrend, die Zivilisierung und Missionierung der Indigenen als Beginn ihrer Vernichtung brandmarkt. Sämtliche Topoi der zivilisatorischen Degeneration werden aufgerufen: die Aufgabe der eigentlichen, ursprünglichen Werte durch die amoralischen Handelspraktiken der Weißen, Gier, Alkoholismus, Prostitution, Verlust der Autonomie und der Jagdfertigkeiten etc. In seinen bolivianischen Filmen aus den Vierzigerjahren werden Elemente dieser zivilisationskritischen Indienstnahme der »Naturvölker« als »das Andere« der Zivilisation erneut auftauchen.

BÖCKE, FEUERKRABBEN, POLYPEN

Der Verstrickungs- und Schuldkomplex findet in Ertls autobiografischen Schriften keine Ebene des Bewusstseins, aber ein Bild, das in seiner Traumgestalt nicht deutlicher sein könnte. Ertl schildert, wie er mit Hugo Weber, ebenjenem deutschen Robinson, dem echten ehemaligen Obermaat der gesprengten Dresden, auf Juan Fernández auf die Jagd geht. Es werden kapitale, verwilderte Ziegenböcke gejagt. Ertls Jagdbeute stürzt in seinen letzten Zuckungen über die Felskante und bleibt am Wasser liegen. Ertl klettert ihm nach und erblickt ein infernalisches tableau vivant:

Da lag der Bock – wie auf einem riesigen Felskatafalk, zu dem die Schaumkronen des Pazifik (sic!) emporzüngeln. Das Haupt mit dem mächtigen Gehörn und der Körper des toten Tieres schienen unverletzt. Die weitgeöffneten Augen leuchteten smaragdgrün und sprühten Feuer im Reflex der tiefstehenden Sonne des zur Neige gehenden Tages.

Um den Kadaver des Tieres aber bewegten sich Hunderte dieser mächtigen feuerroten Krabben, die – ausgewachsen – ein Gewicht von mehreren Kilo erreichen, mit hocherhobenen Zangen in einem schauerlichen Totentanz, und aus einer riesigen finsteren Höhle im Hintergrund dröhnte in gleichmäßigen Intervallen der Wellenschlag des großen Ozeans wie eine donnernde Anklage, während Unmengen von schwarzen Vögeln durch diese makabre Szene flatterten. Mir war, als hätte ich einen Mord begangen an diesem Leittier eines glücklichen Rudels friedlicher Pflanzenfresser.

Ich hatte das Gefühl, ein riesiges Untier in Gestalt eines vielarmigen Polypen könnte jeden Augenblick aus der Höhle kriechen, um an mir den Frevel im Auftrag einer geschändeten Natur zu sühnen. Ein nie gekanntes Angstgefühl kroch in mir hoch und umklammerte meine Kehle. Ich wollte schreien und konnte nicht. Da riß ich mein Gewehr von der Schulter und jagte drei Schuß hintereinander in den schwarzen Grund von mir.

Man braucht keine Psychoanalytikerin zu sein, um die psychische Arbeit der Verschiebung vom Sündenbock zum unschuldigen Ziegenbock zu bemerken. Auch die Krabben mit den von Ertl verachteten und gefürchteten Nazifunktionären zu identifizieren und das Bild vom vielarmigen Polypen als unbenennbarem Schuldkomplex ist nicht allzu schwierig. Die psychotaktische Verschlingung von Identifikation und Desidentifikation mit dem Nationalsozialismus mag bewirkt haben, dass Ertl bis ins späte Alter, in seiner tropischen Kulisse, als er immer paranoider wurde, stets in Gebirgsjägeruniform und mit Wehrmachtsgewehr auftrat. Es mussten noch viele Schüsse in den schwarzen Grund abgefeuert werden, das subjektive Gefühl der Bedrohtheit ging trotzdem nicht weg.

FAMILIENBILD

Das Schwarz-Weiß-Foto zeigt die Familie Ertl Anfang der Fünfzigerjahre, vermutlich am Titicacasee. Andengipfel im Hintergrund rahmen die Gruppe ein, davor ist die Familie arrangiert. Rechts, außerhalb des frames, stand wohl ein Zelt, man sieht die Zeltschnüre ins Bild ragen. Im Vordergrund ist es heimelig: Ein Teekessel steht auf einem Gasöfchen, Blechtassen, eine Pfanne. Hans thront neben seiner Frau Aurelia. Er überragt die Gruppe, scheint grade etwas zu erzählen oder einen Witz zu machen. Er hat die Gebirgsjägermütze auf dem Kopf, wie immer. Aurelia mit wildem Haar, konzentriert oder nachdenklich, man weiß es nicht. Die drei Mädchen im Bild sind alle Tomboys. Sollten sie lange Haare haben, sind sie in die dunklen Mützen mit Bommel gesteckt. Die Kleinste, Beatrix, mit auf die Knie gestützten Ellbogen, schaut direkt und frech in die Kamera, weite Hose, schicke Turnschuhe. Die Mittlere, Heidi, mit Ringelpulli, hochgekrempelte Hosenbeine, Arme verschränkt, irgendwie abwehrend, aber ebenfalls lachend. Am rechten Bildrand die Älteste, Monika; breitbeinig sitzt sie da, sie ist ganz in ihrem Element, die Funktionskleidung passt zur Haltung. Sie schaut auf irgendetwas außerhalb des Bildes und sie lächelt amüsiert und entspannt. Ich glaube, so ähnlich hat unsere Familie auch ausgesehen, wenn wir mit Fahrrädern oder später mit einem ausgebauten Bus auf Urlaub waren. Christian hat mir die Familie Ertl als hippiemäßig beschrieben, was ich nicht so ganz glauben wollte, bei all dem Militärischen von Hans. Aber auf dem Bild sehen die Ertls tatsächlich ein wenig wie Fahrende aus, eine Familie, die gemeinsam Abenteuer erlebt. Solche entspannten, gemeinsamen Tage dürften jedoch rar gewesen sein, wie Tochter Heidi, kurz bevor das Bild in der TV-Dokumentation von Christian Baudissin, Gesucht: Monika Ertl (1988), eingeblendet wird, erzählt hat. Während des Krieges war Hans Ertl meist unterwegs. 1948 ergriff er die erste Gelegenheit, um nach Bolivien aufzubrechen, wo er drei Jahre lang mit einer Expedition quer durchs Land reiste. Als die Familie 1953 nach La Paz nachkam, war Hans bereits auf dem Sprung in den Karakorum für das Nanga-Parbat-Projekt. Die Mädchen und die Ehefrau mussten selbst sehen, wie sie in der neuen Umgebung zurechtkamen – was sie taten.

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