Kitabı oku: «7 Engel», sayfa 5
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Kapitel 9
Liebe Elina!
Die Filmcrew ist toll, es herrscht eine gute Stimmung am Set. Die Arbeit ist hart, aber ich liebe diese Tätigkeit, sie erfüllt mich. Auch wenn manche Einstellungen gefühlt hundertmal gedreht werden, nur weil immer wieder eine Kleinigkeit nicht passt. Wenn dann Feierabend ist, machen wir uns meistens auf und ziehen gemeinsam um die Häuser. Es wird gefeiert, wir machen jeden Abend Party.
Ich genieße das Leben hier, bin aber praktisch nie zu Hause. Nur fünf bis sechs Stunden zum Schlafen. Es ist echt hart, diese Disziplin aufzubringen, aber Aussehen zählt in meinem Beruf sehr viel und der Visagist kann nicht alles überschminken.
Jetzt wird mir erst so richtig bewusst, was ich dir mit einem Leben hier angetan hätte. Ich hoffe, du verzeihst mir, dass ich es dir angeboten habe. Du wärst vor Einsamkeit gestorben. Es war eine vernünftige Entscheidung, nicht mit mir zu gehen, auch wenn es immer noch wehtut.
Ich hab dich lieb!
Dein Laurenz
Elina las gerade seufzend diese Worte, als die Türglocke läutete. Sie sah auf. Wer konnte das nur sein? Sie erwartete niemanden.
Es gab nur eine Möglichkeit, das zu erfahren. Also erhob sie sich, ging zur Haustür und öffnete sie. Vor ihr stand, im strömenden Regen, ein großer Mann mit hellbraunen Haaren, haselnussbraunen Augen und schmalen, schön geschwungenen Lippen. Sein Gesicht war gleichmäßig geformt und attraktiv. Er war schlank, gut gebaut, wenn auch nicht so muskulös wie Laurenz. Er trug eine ausgewaschene Jeans, ein rotes T-Shirt und eine schwarze Lederjacke. Außerdem kam er Elina eigenartig bekannt vor.
Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Auf ihrer Schwelle stand Richard Benigna, Laurenz’ Freund und der berühmte Schauspieler. Mehr als einmal hatte Elina in der Vergangenheit davon geträumt, mit ihm händchenhaltend durch den Park zu schlendern oder in einem schönen Garten in seiner Gesellschaft Kaffee zu trinken. Immer dann, wenn sie in einer einsamen Nacht nach einem Filmabend zu Hause in ihrem Bett lag und nicht schlafen konnte. Jetzt schämte sie sich für ihre Ausflüge in die Traumwelt. Die Erinnerung ließ sie erröten. In letzter Zeit hatte sie jedoch immer an Laurenz denken müssen und niemals die Gesellschaft eines anderen Mannes in Erwägung gezogen. Ja, sie war wieder genauso einsam wie früher, bevor Laurenz im Frisiersalon erschienen war.
„Hallo, ich bin Richard Benigna. Laurenz Winter hat mich zu dir geschickt. Er meinte, du würdest mir helfen, mich hier zurechtzufinden, wenn ich dich darum bitte. Außerdem trug er mir auf, dich freundlich und mit Respekt zu behandeln, was ich ohnehin vorgehabt hätte. Du musst einen atemberaubenden Eindruck bei ihm hinterlassen haben.“ Richard grinste frech.
Elina war verwundert über so viel Aufrichtigkeit, irgendwie erwartete sie von einem Schauspieler solchen Formats eher Arroganz als Direktheit. Sie fragte sich insgeheim, was Richard von ihr und Laurenz wusste.
„Entschuldigung, ich war zu direkt, dir hat es sogar die Sprache verschlagen.“ Er legte seinen Kopf schief.
„Oh nein, ich werde nur sehr selten mit einer Berühmtheit vor meiner Tür konfrontiert. Ich bin Elina Mercy.“
„Einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen“, dachte sie bei sich, um sich selbst zu beruhigen.
„Und ich bin ein Mensch wie jeder andere, glaube ich zumindest“, bemerkte er schon wieder mit diesem ironischen Grinsen.
Elina suchte verzweifelt nach irgendetwas, um ins Gespräch zu kommen. Sie kam sich vor wie eine dumme Gans, wenn sie so stumm in der Tür stand und kein Wort herausbrachte.
„Wie geht es Laurenz?“, platzte es schließlich aus ihr heraus.
„Er lässt dich grüßen. Ist wieder in seine Arbeit vertieft, hängt sich noch mehr rein als vorher. Er wäre gerne mitgekommen, aber er möchte dir nicht noch mehr wehtun.“
„Du weißt Bescheid?“ Elina wirkte verlegen. Sie hätte sich am liebsten beide Ohren zugehalten, so einen Bammel hatte sie vor der Antwort.
„Wir sind die besten Freunde. Er vermisst dich, aber er möchte, dass du glücklich bist. Er hofft, du kannst ihn irgendwann loslassen. Wenn seine E-Mails das verhindern, möchte er, dass du es ihm mitteilst, dann wird er sich nicht mehr melden.“
„Nein, ich ...“ Elina brach abrupt ab. Sie spürte erneut den Schmerz, wenn auch in abgeschwächter Form, aber er war da. Wieder stockte der Redefluss, irgendetwas machte sie eindeutig falsch.
Gott sei Dank fuhr Richard fort: „Laurenz weiß, dass es falsch war, eine Affäre mit dir einzugehen. Er weiß jetzt, dass man eine Frau, die man gerne hat, nicht so behandelt. Er fühlt sich schlecht, weil er dich in deinem Schmerz allein ließ.“
Elina war vor den Kopf gestoßen wegen des Gesprächsverlaufs. War sie nicht gerade froh gewesen, dass er weiterredete? Jetzt wollte sie ihm die Tür vor der Nase zuknallen, um einer weiteren Bloßstellung durch einen Fremden zu entgehen. Sie wollte sich dieser Scham nicht weiter aussetzen, noch dazu zwischen Tür und Angel.
Erst da bemerkte sie, wie nass Richard Benigna war. Er stand mitten im strömenden Oktoberregen. Sie biss sich auf die Lippen, nachdem sie sich selbst sagen hörte: „Komm herein, ich bin unhöflich, lass dich draußen stehen, noch dazu bei diesem Unwetter.“
„Macht nichts, ich falle ja auch mit der Tür ins Haus“, sagte Richard entschuldigend. „Es war Laurenz ein Anliegen, dir auszurichten, dass er jeden Moment mit dir genossen hat, aber er weiß auch, dass er kein Recht hatte, diese Nähe zu dir zuzulassen“, erklärte er auf dem Weg ins Wohnzimmer.
Elina schluckte, am liebsten hätte sie erneut geweint, wollte sich aber keine Blöße geben, nicht jetzt. Sie holte ein Handtuch für ihren Gast, um sich abzulenken. Für einen Moment schloss sie die Augen und atmete tief durch.
Dann ging sie zurück und reichte ihm das Frotteetuch. Dankbar nahm er es an und trocknete sich seine nassen Haare ab, die nun zerzaust in alle Richtungen standen. „Irgendwie sexy“, schoss es Elina durch den Kopf, den sie gleich darauf schüttelte, um den unerwünschten und unangebrachten Gedanken zu vertreiben.
„Er hofft, dass die Zeit eure Wunden heilt“, unterbrach Richard die Stille.
„Wie bitte?“ Sie konnte seinen Worten nicht folgen.
„Laurenz. Er hofft, dass die Zeit eure Wunden heilt.“
„Danke“, sagte Elina erleichtert.
Laurenz war nicht der Mann fürs Leben, so viel hatte sie mittlerweile begriffen. Wenn sie das früher erkannt hätte, wäre ihr viel Leid erspart geblieben. Die Engel wollten sie warnen, doch sie weigerte sich, es wahrzunehmen, und sah zu spät, was sie ihr eigentlich vor Augen führen wollten.
Welche Rolle Richard Benigna in dieser Geschichte spielte, war Elina noch unklar. Sein Erscheinen war zu überraschend. Vielleicht verschwand er auch gleich wieder und sie sah ihn nie wieder. Vielleicht würde er sich von ihr helfen lassen beim Einleben in Sevenoaks und sie wurden Bekannte, typische Nachbarn.
Aber vielleicht war auch eine Freundschaft zwischen den beiden möglich. Aber wie kam sie jetzt nur auf solche Ideen? Es lohnte sich nicht, so weit vorauszudenken, wer wusste schon, was die Zukunft brachte?
Als er sich nach zwei überraschend kurzweiligen Stunden von Elina verabschiedete, kam es ihr vor, als wären es nur zwei Minuten gewesen. Durch seine unkomplizierte Art machte er das unangenehme Gespräch über Laurenz vom Beginn ihrer Zusammenkunft wieder wett. Es war eine Wohltat für Elina, wieder ungezwungen lachen zu können.
Richard rang ihr noch einmal mit Nachdruck das Versprechen ab, ihn beim Eingewöhnen in seinem neuen Zuhause zu unterstützen. Er gab ihr sogar seine Handynummer, verbunden mit der Bitte sie vertraulich zu behandeln. Sie freute sich darauf, mit ihm unterwegs zu sein, die Gesellschaft eines anderen Menschen tat ihr gut. Die Hoffnung auf eine beständige Freundschaft keimte erneut in ihr auf.
Wenige Tage später erhielt Elina die letzte E-Mail von Laurenz Winter. Es war ein Abschiedsbrief, der irgendwie längst überfällig war. Ihre unterschiedlichen Leben hatten nichts gemeinsam außer den schmerzhaften Erinnerungen. Es war an der Zeit, einen Bruch herbeizuführen, um wieder nach vorne schauen zu können.
Liebe Elina!
Ich hoffe, Richard hat dir alles ausgerichtet. Ich Feigling habe mich nicht getraut, dir all das zu schreiben. Sehnsüchtig erwarte ich deine kurzen Antworten auf meine Nachrichten. Ich versuche immer noch, unsere gemeinsamen Momente krampfhaft festzuhalten. Aber ich spüre auch, dass es uns nicht weiterbringt, wenn wir uns gegenseitig schreiben. Wir müssen beide lernen loszulassen. Dies wird meine letzte Nachricht an dich sein, wenn du es nicht anders wünschst.
Lebe wohl, wunderschöne Elina. Ich werde dich niemals vergessen.
Dein Laurenz
Elina wusste, es war das Beste. Traurig tippte auch sie ein paar Worte des Abschieds und unterschrieb sie mit den paar Tränen, die noch übrig waren. Sie zögerte, bevor sie auf Senden drückte. Doch es musste sein, schweren Herzens strich sie Laurenz Winter aus ihrem Leben. Sie schickte ihm ihre Nachricht. Ja, auch sie würde seine Worte vermissen.
Lange saß sie noch am Schreibtisch, die Stirn auf ihre Handfläche gestützt. Sie spürte ihren gleichmäßigen Atem kommen und gehen. Es war ein inneres Zur-Ruhe-Kommen, ein Ordnen der Seele. Bevor sie aufstand, bat sie Gott um seinen Segen.
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Kapitel 10
Er war gestolpert, Blut rann ihm am Bein hinunter, seine Kleider waren zerfetzt. Die Wunde war tief, aber er musste weiter. Die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben. Hinter sich hörte er das Keuchen des Tigers, der ihn verfolgte. Ein letztes Mal kämpfte er sich hoch und rannte, so schnell er konnte, aber die Raubkatze war zu wend ig.
Instinktiv bog er in das enge Dickicht ab, dort konnte ihm das Tier nicht so leicht folgen. Die Pflanzen schnitten ihm weitere Wunden in die Arme und Beine, aber es war ihm egal, er musste weg, weg von diesem Ungetüm. Er brauchte ein Versteck oder einen Ort, an dem sich andere Menschen befanden, die ihm helfen konnten. Was gäbe er nun für eine Fackel oder einen brennenden Ast, um den Tiger zu vertreiben.
Aber mit bloßen Händen hatte er keine Chance, über kurz oder lang würde das Raubtier ihn einholen. Seine Tage waren gezählt. In seiner Brust begann es, höllisch zu stechen, er war am Ende seiner Kräfte. Bald würde er ein leichtes Opfer für die hungrige Raubkatze sein, wenn nicht umgehend ein Wunder geschah.
Panisch warf er einen Blick zurück. Blankes Entsetzen trat ihm in die Augen. Der Tiger war nicht mehr allein, ein zweiter hatte sich dazugesellt. Das spornte ihn noch einmal an, alle Kraft in seinen aussichtslosen Kampf zu legen. Kurz steigerte er sein Tempo, ehe seine Beine ihren Dienst versagten.
Hilflos sank er zu Boden. Jetzt war der Moment gekommen, der Zeitpunkt seines Todes war nah. Er würde seinen Eltern in die Ewigkeit folgen. Es machte ihm plötzlich nichts mehr aus, eine eigenartige Ruhe legte sich über ihn. Endlich würde er seinen Vater kennenlernen. Den verschwommenen Erinnerungen an seine Mutter würden neue und viel schönere folgen. Endlich würden sie wieder eine Familie sein.
Er musste nur noch den bevorstehenden Schmerz erdulden, wenn ihn die beiden Raubkatzen in Stücke zerrissen, dann wäre es endgültig vorbei. Für immer. Sein kurzes leidgeschütteltes Leben hätte ein Ende. Er war bereit.
Er spürte, wie die Zähne der Bestien in sein Fleisch drangen, immer und immer wieder. Er schrie unter Todesqualen auf, ehe er zum letzten Mal die Augen schloss.
Joshua fuhr aus dem Traum in die Höhe. Wo war er? Neben ihm sahen ihn besorgt zwei vertraute Männeraugen an. Von ihnen ging keine Gefahr aus.
Hatte er wirklich geschrien? Er wusste, welche Folgen ihm ein solches Verhalten einbringen konnte. Hoffentlich hatte ihn keiner gehört von denen da draußen. Übelkeit stieg in ihm auf, er musste sich erbrechen, inmitten dieser Menschenmenge, die auf dem dreckigen Boden schlief.
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Kapitel 11
Elina föhnte Mrs Gardener, der Frau des Vizebürgermeisters, die frisch geschnittenen Haare. Neben dem herkömmlichen Smalltalk über das Wetter und den brandneuesten Klatsch der Stadt, bei dem Elina am liebsten die Augen verdreht hätte, erkundigte sie sich beiläufig nach Miss Cabello. Es wäre ihr aufgefallen, dass sie sich vernachlässige, sie wirke fast krank. Elina tat das Ganze als schlechte Phase ihrer Chefin ab, meinte höflich, diese würde zu wenig schlafen. Was sollte sie sonst vor der Kundschaft sagen? Selbst wenn sie bis ins kleinste Detail Bescheid wüsste, war sie als Angestellte verpflichtet, den Mund zu halten. Alleine der Respekt ihrer Chefin gegenüber gebot ihr, Schweigen zu bewahren. Außerdem machte sie sich selbst große Sorgen, was sie sicher nicht vor Mrs Gardener breittreten würde.
Savina wurde für Elina zu einem Rätsel. Ihr Äußeres veränderte sich immer mehr, sie nahm entfernt die Charakterzüge eines Raubvogels an. Elina musste sich zusammenreißen, sich nicht zu ducken, wenn ihre Chefin mit ihrer ungestümen Art erschien, so als wollte sie sich vor einem Angriff von oben schützen.
Aller Korrektheit zum Trotz, die sie früher an den Tag gelegt hatte, kam Savina nun unpünktlich zur Arbeit. Es war ihr egal, ob Elina ihre Pflichten erfüllte oder nicht. Sie ließ sogar ihre eigenen Kundinnen sitzen, was sich in einer Stadt wie Sevenoaks herumsprach. Die einen tuschelten hinter vorgehaltener Hand, andere zerrissen sich lautstark das Maul. Auch die Kundschaft war zweigeteilt: Die einen fingen an, den Laden zu meiden, oft langjährige und treue Damen, die noch nie einen anderen Friseur aufgesucht hatten. Die anderen kamen, weil sie neugierig waren, so wie die Tratschtante Mrs Gardener. Jeder, der in ihr Visier geraten war, bezahlte es teuer.
Aber das war Elina gerade egal, sie hatte Angst vor dem, was mit ihrer Chefin geschah. Seit Savina von dem Wahrsager gesprochen hatte, hatte sich keine Gelegenheit ergeben, die Erzählung fortzuführen. Es schien, als winde sich Miss Cabello wie eine Schlange, um einem aufrichtigen Gespräch zu entgehen.
Elina spielte ernsthaft mit dem Gedanken zu kündigen, wollte sie sich doch voll und ganz ihrer Bestimmung widmen. Sie wollte Savina nicht im Stich lassen, aber die Arbeitsbedingungen wurden unerträglich. Sie konnte sich dem täglichen oberflächlichen Gegacker dieser Hühner nicht mehr länger aussetzen. Es machte sie wahnsinnig, ständig unfreiwillig mit den Problemen ihrer Chefin konfrontiert zu werden. Mittlerweile brachte sie all ihre Sorgen im Gebet vor Gott, auch Savina war eines dieser Anliegen. Sie war sich jetzt ganz sicher, dass Jesus sie begleitete wie ein Freund. Wenn sie nur wüsste, wie sie ihren Unterhalt beziehen sollte, ohne jemandem auf der Tasche zu liegen, wäre sie gegangen. Sie spürte, es war an der Zeit, einen anderen beruflichen Weg einzuschlagen. Aber Gott würde ihr auch auf diese Frage eine Antwort geben.
„Gott, wenn es das Richtige ist, dass ich hier aufhöre zu arbeiten, dann zeig mir bitte die Alternative auf. Danke“, betete Elina im Stillen.
Die Salontür wurde aufgerissen. Savina stürmte wie ein kreischender Raubvogel und nicht Herr ihrer Sinne in den Friseurbetrieb und schrie lautstark: „Alles raus hier! Der Laden wird für immer geschlossen.“
Sie zerrte an Mrs Gardeners Stuhl, deren Augen vor Angst stark geweitet waren. Die beiden wartenden Kundinnen verließen entsetzt den Frisiersalon, nicht ohne einen bösen Blick zurückzuwerfen. Elina wollte Savina daran hindern, die verstörte Mrs Gardener vor die Tür zu setzen. Vor lauter Verzweiflung schnappte sie zu und bugsierte ihre Chefin zur Abstellkammer, schob sie hinein und verriegelte die Tür.
„Das wird ein Nachspiel haben, Miss Mercy. Es tut mir leid für Sie, aber diese Frau“, Mrs Gardener deutete auf die verschlossene Tür, „ist untragbar und nicht gesellschaftsfähig. Sie ist eine Gefahr für die Allgemeinheit. In dieses Frisiergeschäft wird keine Dame aus Sevenoaks mehr ihren Fuß setzen, dafür wird mein Mann höchstpersönlich sorgen. Guten Tag!“ Mit diesen Worten machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand. Oje, das musste ja so kommen. Elina atmete tief durch und legte die Hand auf die Türklinke. Sie riss die Tür auf, hinter der ihre Chefin hockte. „Was ist in dich gefahren? Spinnst du komplett?“
Savina weinte, wirkte gebrochen, alles, was sie sich in ihrem Leben aufgebaut hatte, war innerhalb weniger Sekunden zerstört worden. Elina hatte den Eindruck, es wäre ihr gerade erst in den Sinn gekommen, was sie angerichtet hatte mit ihrem unpassenden Verhalten. Jetzt war es zu spät. Was geschehen war, war geschehen.
Sie hatte dennoch Mitleid. „Komm, gehen wir einen Kaffee trinken und du erzählst mir endlich, was es mit dem Wahrsager auf sich hat.“
Mit geröteten Augen sah ihre Chefin sie an und nickte dankbar. Tief verborgen hinter dem ängstlichen Blick erkannte Elina etwas von dem alten Glanz, für den sie Savina immer noch bewunderte. Sie war noch nicht ganz verschwunden, irgendwo da drin verbarg sich die Respekt einflößende, gut organisierte Miss Cabello. Aber irgendetwas drängte sie in den Hintergrund.
Im Kaffeehaus wirkte Savina bereits wie ausgewechselt. Die Worte sprudelten nur so aus ihr hervor. Sie berichtete von dem Abend im Hotelzimmer des Wahrsagers namens Lucio Lumen. Er meinte, in Savina ein Talent zur Wahrsagerei entdeckt zu haben. Sie müsste sich nur auf ein Ritual einlassen, damit ihre Mächte an die Oberfläche stiegen. Sie glaubte, er wolle sie auf diese Art und Weise ins Bett bekommen, was ihr schmeichelte, sehnte sie sich doch schon lange nach einem Partner. Und er war so gutaussehend. Warum sollte sie nicht einfach einmal ein Risiko eingehen? Sie hielt zwar sein Gefasel anfänglich für Humbug, was diese Dunkelheitssache betraf, aber sie beschloss, sein Theater mitzumachen, nur um etwas Nähe zu erfahren.
Er verlangte von ihr sich auszuziehen und sprach ihr Formeln von der Macht der Finsternis vor. Sie wollte ihn beeindrucken und sagte alles brav nach, vielleicht würde er sie begehrenswert finden, wenn sie seine Spielchen, ohne sich zu beklagen, mitspielte. Doch dann fühlte sie, wie sich etwas veränderte. Ihr wurde schlecht und ihr Kopf schien zu bersten. Sie musste sich mehrfach übergeben, fühlte sich wie vergiftet. Ihre Innereien schienen sich nach außen zu drehen. Kurz glaubte sie zu sterben, noch nie hatte ihr Körper einen solchen Kampf ausgefochten, und gegen etwas, das man nicht sehen konnte, derartig rebelliert. Es dauerte mehrere Stunden, ehe sie sich etwas von der Tortur erholt hatte. Doch dann fühlte sie sich stärker als je zuvor, sie hatte das Gefühl, sie könnte Bäume ausreißen. Am liebsten wäre sie losgezogen, um irgendjemandem wehzutun, nur um ihre neue Macht zu demonstrieren. Aber so weit kam es nicht, Lucio zügelte sie vorerst mit seiner sanften Stimme und seinen vorsichtigen Berührungen umgarnte er sie gekonnt. Savina ließ sich von ihm zähmen. Noch etwas hatte sich seit diesem Zeitpunkt grundlegend verändert. Eine Stimme, die nur sie selbst hören konnte, flüsterte ihr zu. Sie sprach von der Zukunft anderer Menschen, die sie gar nicht kannte. Alles an ihr fühlte sich anders an. Lucio verführte sie mit aller Kunst. Sie waren nun ein Paar. Sie wollte mit ihm gehen, ihr Geld mit der Vorhersage der Zukunft verdienen. Er hatte recht, das Talent war in ihr verborgen gewesen, er vermochte ihr das zu zeigen. Die überstandenen Qualen zahlten sich im Nachhinein betrachtet aus, die stetig aufkeimende, rasende Wut in ihr würde sie mit Sicherheit in den Griff bekommen. Außerdem war der Sex mit Lucio fantastisch.
Jetzt war das Maß voll. Elina schlug mit der Hand auf den Tisch. Bis jetzt hatte sie ihren Mund gehalten, um alles zu erfahren. Aber nun reichte es. Sie musste eingreifen, konnte die Blindheit ihrer Chefin nicht im Geringsten fassen.
„Savina, du lädst böse Geister ein, um sich in dir breitzumachen. Das wird dich vernichten. Merkst du nicht, dass es dich jetzt schon zerstört, der böse Geist hat dich gefangen genommen. Bete zu Jesus, er kann dich wieder befreien.“
„Ich dachte, du verstehst mich“, schrie Savina mitten im Kaffeehaus, fuhr in die Höhe, stolperte über ihren Stuhl und rannte wie von der Tarantel gestochen davon. Große Angst, gepaart mit unendlicher Grausamkeit, war in ihren Augen zu erkennen, als sie ein letztes Mal zurückblickte. Zwei Seelen schienen in ihrer Brust zu wohnen, was Elina nach ihren Erzählungen nicht wunderte.
Sie atmete tief durch und betete still für Savina Cabello. Zu diesem Zeitpunkt ahnte sie nicht, dass Monate vergehen sollten, ehe sich die beiden Frauen wiedersahen.
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