Kitabı oku: «Grundlagen der Kunsttherapie», sayfa 4

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Naomi Feil (2000) hat die in Kap. II.1.3.1 skizzierten Stadien der Demenz differenziert, um grundlegende Hinweise für die BetreuerInnen und TherapeutInnen zu erhalten. Vier Stadien erforderns hiernach unterschiedliche Hilfestellungen, die auch unter kunsttherapeutischem Aspekt von Belang sind:


1. Stadium:Desorientiertheit, erfordert eher sachbezogene Interaktion;
2. Stadium:Zeitverwirrtheit, taktile Berührungen sind möglich;
sich wiederholende Bewegungen, taktile Berührungen sind möglich, assoziatives Material wie Kindheits erinnerungen tritt stärker hervor;
4. Stadium:

Die methodische Ausrichtung der Kunsttherapie hat sich der Phasenspezifik des Vergessens zu besinnen: Mit dem Realitätsorientierungsttraining wird man der Sachbezogenheit gerecht, basale Stimulation entspricht der Körperbezogenheit, Validation und Bild-Erinnerungsarbeit entsprechen der Biographiebezogenheit.

Das Verfahren der (Bild-)Erinnerungsarbeit. 1983 gründete die Theaterpädagogin Pam Schweitzer das Age Exchange Reminiscence Zentrum in London und übernahm dessen künstlerische Leitung. Die Sozialarbeiterin Caroline Osborn koordinierte dieses Projekt in den ersten fünf Jahren. In vielen Theaterproduktionen wurde das „Reminiscence Project“ mit 20 MitarbeiterInnen in 150 sozialen und klinischen Einrichtungen erprobt. Fortbildungsprogramme entstanden, ein europäisches „Erinnerungs-Netzwerk“ wurde aufgebaut. „Age Exchange“ finanzierte sich aus nationalen und europäischen Mitteln, organisierte Gastspiele, Tagungen, Fortbildungsveranstaltungen Die Theaterproduktionen gingen auf Gastreise in Altenheime, Nachbarschaftszentren, Krankenhäuser und gerontopsychiatrische Einrichtungen. Es gab ein Jugend- und ein Seniorentheater, die Texte, Szenen einstudierten, Pop-Songs zu Musicals umschrieben. Das Ziel war, Menschen dazu zu bewegen, mitzusingen, nachzuerleben, zu diskutieren. Die Atmosphäre des „Zentrums der Erinnerungen“, das gemeinsame Café von und für Alte und Junge, die inszenierten Themen regten die alten Menschen zu Erinnerungen und Erzählungen an.

Neuere Aktivierungsvorschläge von Virginia Bell, David Troxel, Tonya Cox und Robin Hamon (2007) geben unter dem Stichwort „Alzheimer-Pflege nach dem Best-Friends-Modell“ vielfältige Anregungen, mit Hilfe derer Situationen wie Körperpflege, Gemeinschafts- und Lernatmosphäre, das Nachspielen von Lebensszenen und die Lieblingsbeschäftigungen der Männer neu durchdacht sind und angeregt werden können. Das kalifornische Modell ergänzt das Londoner Reminiscence Project um ca. 150 Vorschläge.

Die Mäeutik. Mit diesem Verfahren (griech.: Hebammen-Kunst) der Niederländerin Cora van der Kooij versucht man seit Beginn der 1990er Jahre, die Erlebniswelten demenzkranker Menschen und ihrer Betreuer einfühlsam zu vermitteln. Die Bildwelten und Vorstellungskomplexe, vor allem die daraus resultierenden Bedürfnisse der altersverwirrten Menschen sollen in einem empathischen Suchprozess schrittweise erkundet, statt in einem objektivierenden Assessmentverfahren festgestellt werden. Der Weg des stufenweise dementiell bedrohten, verirrten, verborgenen und zu versinken drohenden Ichs soll einfühlsam begleitet werden – wobei die Gefühlswelt der betreuenden Person eine gleichermaßen wichtige Rolle spielt. Die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, sind bildtherapeutisch noch wenig diskutiert. Eine Vernachlässigung dieser Hinsichten, wie sie Sven Lind (2007) vermerkt, würde eine Abkehr von der Kernaussage der Mäeutik bedeuten. Das obige Schaubild vermag eindrucksvoll den Blick auf die Stufe der Erkrankung zu vermitteln.


Abb. 5: Das erkrankte Ich aus der Sicht der Mäeutik (nach Egenlauf 2005)

Wir wollen im Anschluss an die Beschreibung der Methoden im Umgang mit verwirrten Menschen die Frage erheben, wie eine bildnerisch-orientierte Therapie Hilfestellung bieten kann. Kunsttherapie ist mit ihren ästhetisch-elementaren, ihren daran erinnerungshaft anknüpfenden, ihren gleichzeitig realitätszugewandten Methoden vorzüglich in der Lage, die Orientierungsleistungen der Patienten zu stützen:

Sie hilft, Bezüge, Bedeutungskomplexe, Merkmalsverbindungen, die ehemals neuronal manifestiert waren und jetzt in Gefahr sind verloren zu gehen, wieder anzuknüpfen. Aphasische Störungen, also Störungen der Sprache, des Wort-Findens, des Benennens, des Bezeichnens können in Angriff genommen werden, das lautlich wie inhaltlich Zusammenhängende von Bedeutungen, bes. das Assoziieren bildnerisch-ästhetischer Anmutungen wird gepflegt.

Kunsttherapie unterstützt außerdem die Gedächtnisleistungen: Erstens wird das semantische, also das Wissensgedächtnis, dem es um das Wissen genereller Zusammenhänge geht, angesprochen. Zweitens kann man auch das episodische, also das bildhaft-emotional getönte Gedächtnis, in dem wir beispielsweise unsere typischen Kindheitserinnerungen aufbewahren, aktivieren. Und dies nicht in Form von leistungsbezogenen Kreuzworträtseln oder Hirn-Leistungs-Tests, sondern – und das ist die Domäne der musisch-künstlerischen Therapien – in Form von Bildvorstellungen, die früher stark emotional bewertet wurden und jetzt aufgesucht werden müssen. Drittens ist das prozedurale Gedächtnis, das für den Ablauf, also das Serielle der Handlungen zuständig ist, auffrischbar. Und viertens ist das Wissen, das sich gestalthaft eingeprägt hat, am ehestens erreichbar.

Zusammenfassend lässt sich also feststellen: Kunsttherapie ist in der Lage, ist aufgrund ihrer Bildorientierung geradezu prädestiniert, an der Wiedererinnerung der inneren Bilder wie der äußeren Verhaltensmuster, an deren Restituierung, Wiederherstellung, zu arbeiten – auch wenn man im Falle einiger Krankheitsbilder, beispielsweise des progredient erkrankten Alzheimer-Patienten, das Leiden nur mindern kann. Aber auch dieser Aspekt gehört zum Verständnis von Rehabilitation (Ritz 1992, 1620).

1.3.3 Kunsttherapie mit Schlaganfall-, Alzheimer- und Schädel-Hirn-Trauma-Patienten

Beispiel Schlaganfall:

„Der 70-jährige Herr K., der verwitwet im eigenen Haushalt in relativer Nachbarschaft zu seinen zwei Kindern lebte, litt seit einigen Jahrenunter latentem Bluthochdruck und vorübergehenden Schwindelattacken, gepaart mit Kopfschmerzen und leichten temporären Gedächtnisstörungen. Als er eines Tages seit den frühen Morgenstunden Sehschwierigkeiten und vermehrte Schwindelgefühle hatte, ging er zu seiner Tochter. Dort erlitt er einen massiven linksseitigen Schlaganfall, der sich in einer plötzlichen, schlaffen Lähmung der gesamten rechten Seite sowie dem sofortigen Sprachverlust äußerte. Herr K. war nicht mehr fähig, sich zu äußern und konnte sich nicht mehr bewegen. Der herbeigerufene Hausarzt diagnostizierte den Schlaganfall.“ (Hülshoff 1996, 209)

Kunsttherapie mit Schlaganfall-Patienten dient der Rehabilitation der sensorischen, motorischen und psycho-sozialen Kompetenzen durch gezielte praktisch-bildnerische Übungen, Gestaltungen und Themenstellungen. Wie Kunsttherapie dabei vorgeht, wird im Folgenden am Beispiel der Aphasie nach einem Schlaganfall beschrieben. Dabei können folgende Störungsbilder auftreten:

Der Patient verfügt u. U. bedingt über einen motorischen Ausdruck, auch den der Sprache, aber er kann sich selbst und andere nicht verstehen (= sensorische oder Wernicke-Aphasie).

Der Patient versteht, möchte sich ausdrücken, vermag dies aber motorisch nicht, vor allem nicht sprachmotorisch (= motorische oder Broca-Aphasie).

Der Patient verfügt nicht über seine Gedächtnisfunktionen, sie erscheinen wie blockiert. Er sucht nach Worten, bricht Sätze ab, äußert Paraphrasien (ähnliche Worte wie das beabsichtigte). Seine Merk- und Konzentrationsfähigkeit sind beeinträchtigt (= amnestische Aphasie).

Der Patient kann nur noch ein paar wenige Worte und diese auch nur entstellt äußern. Er ist auf Sprachautomatismen angewiesen, ist „apraktisch“ sprachbehindert.

Die bildnerisch orientierte Rehabilitation begegnet diesen Störungen mit folgenden Strategien:

Sie wird das Wort-Finden, das Benennen, das Bezeichnen, das Zusammenhängen von Bedeutungen, besonders das Assoziieren bildnerisch-ästhetischer Anmutungen pflegen – ohne den Patienten unter Druck zu setzen.

Sie wird Worte, Sätze, Geschichten ergänzen, serielle Folgen, Bezüglichkeiten herstellen. Dabei empfiehlt sich beispielsweise folgendes Vorgehen (Wais 1990): Man kann dem Patienten einfache zeichnerische Muster vorlegen, auf denen zunächst nur gestrichelte Punkte oder Umrisse zu verbinden sind. Der nächste Schritt ist, Ergänzungen von unvollständigen Umrisszeichnungen anzuregen; schließlich Reihenfolgen von Bildern bestimmen lassen: Die Spielkarten „Vater und Sohn“ (Plauen 1982) können hierbei anregend sein. Wenn die Patienten der Zusammenhänge mächtig sind, könnten Versuche im Jeux Dramatiques mit kleinen Patientengruppen den spielerischen und spieltechnischen Hintergrund der Arbeit bieten (Weiss 1999): Einfache Geschichten werden hierbei vorgelesen, erzählt und nachinszeniert / -gestellt. Einfache Tücher dienen der Verkleidung, ein Kassettenrekorder steht für die Untermalung bereit, und die Patienten übernehmen kleine Rollenacts – wobei der therapeutische Begleiter laut anweisen, kommentieren darf, auch neue Rollen während des Spiels kreiert.

Tab. 3: Der Schlaganfall – klinisch-diagnostische, psychosomatische und psychosoziale Phänomene



Im Benehmen mit der Ergo- und Beschäftigungstherapeutin versucht die Kunsttherapeutin spielerisch und kreativ, also ohne den Leistungsdruck des Künstlerischen, die Sinne zu stimulieren (Dinge wahrnehmen, zeigen, berühren). Durch Gestalten mit unterschiedlich festem Material (vom warmen Wasser zum Kleister zum weichen Stoff / Samt zum Sand zum Gips zum Ton zum Zement) werden motorische Animationen eingeleitet, wenn möglich in dem erzählerischen Zusammenhang einer Geschichte, eines dem Patienten bekannten Märchens.

Die Kunsttherapeutin wird versuchen, die sensorisch und motorisch geschädigten Regionen zu erfassen und sich ein Bild davon zu machen, welche Hirnareale tangiert sind. Sie wird nicht anders als die Ergo- und Beschäftigungstherapeutin versuchen, in den Restarealen Hirndurchblutungsmuster zu erzeugen – also die verbliebenen oder die dem geschädigten Gebiet benachbarten Hirnzellen zu aktivieren. Ästhetisch-basale Stimulation haben wir dieses Vorgehen genannt. Es lebt von der Hoffnung, alte Zellstrukturen wieder zu aktivieren bzw. mit ausgiebigem Training die alten, noch brauchbaren, oder neue Zellkomplexe zu verschalten. Mithilfe der genannten Gedächtnisstrukturen können die entsprechenden Zusammenhänge erarbeitet werden. Neuropsychologen konnten außerdem zeigen, dass das bloße Betrachten einer Handlung beim Betrachter zu ähnlichen neuronalen Verschaltungen führt wie beim Handelnden. Dieses Forschungsergebnis findet schon lange Anwendung in der Sport- und Arbeitspsychologie. Auch in der Kunsttherapie stützt man sich darauf, dass schon bloßes Zeigen, Zuschauen, Sich-Hineinversetzen neuronale Leistungen fördern kann.

Beispiel Alzheimer-Erkrankung:

„5 Uhr morgens. Helen wacht immer um diese Zeit auf. Sie öffnet die Augen – aber sie sieht nichts. Alles ist schwarz um sie. Helen greift nach der Nachttischlampe, schaltet sie ein, aber es bleibt dunkel. Sind alle Sicherungen durchgebrannt? Helen blinzelt die Tränen weg und versucht, ihre Beklemmung zu unterdrücken. Je mehr sie ihrer Tränenflut Einhalt gebieten will, desto größer wird die Panik. Ihr Herz schlägt heftig. Gesicht und Hände sind schweißnass. Sie verspürt Übelkeit. Entsetzen erfasst sie. Helen ist blind. Sie schreit: ‚Hilfe, ich kann nicht sehen! Hilfe!‘ Die Nachbarn rufen die Ambulanz. Ein Rettungswagen bringt sie in die Notstation eines Spitals. Helen erhält eine Beruhigungsspritze gegen ihr Schreien. Innerhalb von zwei Wochen bekommt Helen einen Platz in einem Pflegeheim. Sie kennt weder Uhrzeit noch Ort, sitzt im Rollstuhl, ihr Kopf ist auf die Brust gesackt, die Augen sind geschlossen, die Hände schlaff, der Mund geöffnet, sie atmet kaum – ein lebender Leichnam.“ (Feil 1999, 42)

Methodische Ansätze einer bildnerisch orientierten Therapie mit Alzheimer-Patienten: Ähnlich wie beim Schlaganfall geht es in der Rehabilitation darum, die sensorischen, motorischen und psychosozialen Kompetenzen durch gezielte praktisch-bildnerische Übungen, Gestaltungen, Themenstellungen zu restituieren, kompensieren bzw. substituieren. Aber die Rehabilitation der an Alzheimer Erkrankten stellt auch spezifische Anforderungen:

Die bildnerisch orientierte Rehabilitation wird neben den aphasischen Störungen besonders das semantische, also das Wissensgedächtnis für generelle Zusammenhänge ansprechen. Auch das episodische, also das bildhaft-emotional getönte Gedächtnis, in dem wir unsere typischen Kindheitserinnerungen aufbewahren, wird gefördert, und zwar in der Form von Bildvorstellungen, die früher stark emotional bewertet wurden und jetzt aufgesucht werden müssen. Mithilfe dieser Vorstellungsbilder kann die eingeschränkte Verbindung zwischen informationsspeicherndem und -abrufendem Kortex und dem emotional bewertenden limbischen System und Mandelkern unterstützt werden, damit die Wahrnehmungen nicht chaotisierend sind und in der Folge schließlich nur depressiv oder aggressiv beantwortet werden.

Das Verfahren der Validation lässt im Anklang an die gesprächspsychotherapeutisch-empathische Methode Rogers’ die innere Erlebniswelt des dementen Menschen für wert gelten und nimmt sie ernst. Akzeptanz der Gefühle, mit eben diesen in Kontakt kommen, eindeutig sein, keine Empfindungen und Gefühle erpressen etc. sind Feils Ziele in der Alzheimer-Rehabilitation.

Tab. 4: Die Alzheimer-Erkrankung – klinisch-diagnostische, psychosomatische und psychosoziale Phänomene


Die katathym-imaginative Bildarbeit von Hanscarl Leuner, bislang eher bei neurotischen Erkrankungen angewandt, kommt zunehmend bei funktionellen Störungen des alternden Menschen in Betracht. Als katathym-imaginative Psychotherapie (KIP) gilt sie in der gerontopsychiatrischen Behandlung der Demenz zwar als kontraindiziert (Erlanger 1997). Das Verfahren der inneren Bild-Einstellung und dessen Erarbeitung kann aber auf niederem Niveau durchaus hilfreich sein, um das Episodische wieder zu erinnern – ohne die psychotherapeutisch-intendierten Methoden des ursprünglichen Verfahrens überanstrengen zu müssen.

Mittels ästhetisch-basaler Stimulation kann man auch bei der Alzheimer-Erkrankung versuchen, mit bildnerischen Mitteln die Farben, Tönungen, Akzente, Formgebungen, auch die Stimmungen und Anmutungen des Lebens auszuskizzieren.

Beispiel Schädel-Hirn-Trauma

„Auf einer Tour in den Bergen stürzte Franz S. mit seinem Rennrad so unglücklich, dass er eine schwere Kopfverletzung erlitt und zehn Wochen lang bewusstlos war. Bei dem Unfall wurde ein großer Teil seiner Hirnrinde und der Nervenfasern, die Informationen in die Hirnrinde schicken, zerstört. Nach dem Unfall und dem wochenlangen Koma war für Franz S. nichts mehr wie früher. Er konnte nur schwer verstehen, was andere zu ihm sagten, und er konnte selber allenfalls einfache Alltags- und Funktionswörter sprechen. Bei komplizierten Wörtern brachte er nur Silbenfolgen heraus, deren Bedeutung nicht nachvollziehbar war. Er sprach eine Kunstsprache, zusammenhanglos und unverständlich. Eine solche Kunstsprache, die gekennzeichnet ist durch neu erfundene Wörter (sogenannte Neologismen) und daher wie ein unbekannter Jargon klingt, wird auch als Jargon-Aphasie bezeichnet. Aber obwohl das, was Franz S. mitzuteilen versuchte, völlig unverständlich war, trug er es doch in der üblichen Sprachmelodie vor. – Während die linke Gehirnhälfte für die Grammatik und das Verstehen der Sprache hauptverantwortlich ist, bestimmt die rechte Gehirnhälfte die Melodie der Sprache, die so genannte Prosodie, mit der wir unseren Gefühlen sprachlich Ausdruck verleihen, und die rechte Gehirnhälfte war ja bei Franz S.’ Unfall unbeschädigt geblieben. So konnte er mit seiner Kunstsprache anderen zwar keine Inhalte vermitteln, denn seine Worte waren nicht zu verstehen, doch er konnte seinen Gefühlen noch Ausdruck verleihen. Franz S. berichtet selber über seine Bemühungen, wieder Herr seiner Sprache zu werden: ‚Ich wollte lernen. In der Zeit, als ich auf der Intensivstation war, wurde bereits mit der Sprachtherapie angefangen, jeden Tag einige Minuten. Ich musste die Sprache neu lernen, und zwar ganz anders als ein Kind. Ich brauche achtzigmal, bis ich ein Wort drinnen habe. Es geht manchmal auch wieder weg . . . Ich arbeite in einem Archiv. Der Hauptgrund waren Bilder für . . .‘ – er sucht nach einem Wort. Dann spricht er weiter: ‚Es geht um Formulare. Die Bilder müssen auf Formularen beschrieben werden . . . die verschiedenen technischen Worte, die auch in den – jetzt finde ich das Wort schon wieder nicht.‘ ‚Welches?‘ ‚Das gleiche wie vorhin – Formular.‘ ‚Sie haben es gefunden.‘ Er nickt mit dem Kopf und sieht traurig aus . . . ‚Mein Gehirn ist wie ein Sekretär mit sehr vielen Schubladen mit Wörtern . . . Ich muss dann versuchen, eine große Schublade aufzumachen und dann die nächst kleinere. Und auf einmal bin ich in ‚Natur‘. In ‚Biologie‘ und dann bei ‚Blumen‘. Bei ‚Orchideen‘. . . .‘ Der Patient schildert also, wie er für sich eine Technik entwickelt hat, um Sachverhalte in seinem Gedächtnis aufzufinden.“ (Pöppel / Edinghaus 1994, 108 f.)

Tab. 5: Schädel-Hirn-Trauma – klinisch-diagnostische, psychosomatische und psychosoziale Phänomene


Methodische Ansätze einer bildnerisch orientierten Therapie mit S-H-T-Patienten:

Solange der Patient im Koma liegt, kümmern sich Pfleger, Physiotherapeuten und Ergotherapeuten um die Grundversorgung des Patienten (Körperlage, Körperbewegung, Reinigung und Animation des Mund- und Schluck-Traktes, Verabreichung flüssiger Nahrung, Stimulation der haptisch-taktilen, der vestibulären und der propriozeptiven Sinnessysteme etc.). Sinnes- und Körperstimulation sollen vermittels der Regulation des Körpertonus das Wachwerden, die Aktivierung der zentralen funktionalen Hirnstrukturen anregen. Eine wichtige Rolle als Schaltstelle der Gedächtnisfunktionen spielt dabei das limbische System. Es soll mit allen emotional-getönten Sinnesmitteln erreicht, animiert werden. In Pumppressuren wird der Körper durchgeknetet, wird er gedreht, hingesetzt, gestellt, wird der Blick stabilisiert. Vor allem müssen die affektiven Tönungen unserer Welt-Wahrnehmung wieder zugänglich gemacht werden. (Feuereissen, 1998)

Ist der Patient aus dem Koma erwacht und bei Bewusstsein, kann man mit einem umfangreichen Therapie-Programm in der Früh-Rehabilitation beginnen: Der Patient wird mithilfe des stufig angelegten Wahrnehmungskonzepts von Affolter sinnesstimulativ begleitet. a) Die Sinne werden je nach ihrer Art, also modal, trainiert: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Spüren. b) Die intermodale Verschaltung der Sinneswahrnehmungen wird animiert: Hören-Sehen, Sehen-Greifen etc. c) Die Sinneszusammenhänge in ihren komplexen Kombinationen werden wieder geübt. d) Ganze Reaktions- und Handlungsketten werden ausgelöst: den Apfel sehen, ihn ergreifen, das Messer ertasten, heranholen, es aufsetzen und in den Apfel einschneiden etc., natürlich am Schluss etwas auf der Zunge (mehr geht noch nicht) lustvoll zergehen lassen – zur Stimulierung des limbischen Systems.

Neben der ästhetisch-basalen Stimulation kommen auch ergotherapeutisches Schlucktraining, neuropsychologisches Computertraining, das per Sensor den Computer mit dem Mund zu bedienen trainiert, zum Einsatz. Dabei dürfen die Formen des medialen und spielerischen Stimulierens nicht unterbewertet werden, die doch zu den Verfahren der Leistungs- und Funktionsertüchtigung ein heilsames, da entspannendes Gegengewicht darstellen. Bilder, Sprichwörter, Lieder helfen, an die alte und neue Welt wieder anzudocken (Feuereissen 1998).

Fassen wir zusammen: Wir haben Formen schwerer Demenz vorgestellt. Formen von Schlaganfall angesprochen, von Verunfallung, von Verwirrung, die das gewohnte familiale Leben unterbrechen, die aus der Sozialität ausgrenzen. Wir haben Unterschiede und Gemeinsamkeiten der klinischen Bilder aufgespürt. Dabei sind wir früh auf den Umstand gestoßen, dass unterschiedliche Gedächtnissysteme betroffen sind, dass fast immer auch, manchmal unter den klinisch-rehabilitativen Bedingungen verborgen, Gefühle im Spiel sind, schwer tragbare, auf das Ende des Lebens, auf den Tod ausgerichtete Gefühle.

Wir haben fünf Formen der künstlerisch wichtig erscheinenden Therapien skizziert: Die Ästhetisch-Basale Stimulation, das Realitätsorientierungstraining, die Validationstechnik, die Erinnerungsarbeit und die vorstellungs- und gefühlsorientierte Suche der Mäeutik. Wo Worte fehlen, das sahen wir, sprechen zuweilen die Bilder, manchmal nur noch gefühlshaft-angedeutete Impressionen, die sich einstellen. Sie sind nicht unlogisch, auch nicht „averbal“, sondern haben konnotative, denotative, syntaktische Bezüge, um es sprachwissenschaftlich auszudrücken. Sie sind eingebettet in eine verschüttete Textur. Wie in einer Metapher, die „bestehende Referenzbeziehungen (zerschneidet), um einen Freiraum zu schaffen“ (Häußling 1999, 151), haben sich die Bildausschnitte, die zugeordneten Wortschnipsel eigenständig gemacht, haben neue Referenzen, Bezugnahmen gestiftet. An dieser Stelle war uns die Neurophysiologie der Gedächtnissysteme hilfreich: Wie in der Arbeit mit und an der Metapher können sie, die Worte und Gefühle, wieder geerdet, wieder an ihren ursprünglichen Ort versetzt werden, so dass eine Verständigung, ein Verstehen der Helfer und Betroffenen entsteht.

1.4 Ergebnisse neurologischer Forschung: Wie Bilder im Kopf entstehen

Zwei Neurophysiologen haben entwickelt, wie wir beim Erkennen der Dinge über die Schwelle einer natürlich uns mitgegebenen Rezeptionsstruktur gehen müssen. Der Münchener Neurologe Ernst Pöppel nennt es „Ordnungsschwelle“, erforscht die zeitliche Reihenfolge von Wahrnehmungsreizen – und kommt zu einem bemerkenswerten Ergebnis, das sein Frankfurter Kollege Wolf Singer bestätigt: Wir benötigen zum Erkennen von Reizen etwa 30 bis 40 Millisekunden (ms), mit einem solchen zeitlichen Abstand von einem Reiz zum nächsten, damit dieser für sich als eigenständig erkannt und möglicherweise mit einem anderen in Zusammenhang gebracht werden kann (Singer 1990, Pöppel 1993). Bei diesem Vorgang werden in eben diesem Zeitraum von 30 bis 40 ms Nervenzell-Areale in Schwingung versetzt, finden Entladungen in den stimulierten Nervenzellen statt – Pöppel nennt sie „oszillatorische Entladungen“ – die sich mit anderen Entladungen in anderen Arealen in demselben Augenblick vergleichen – und möglicherweise zu einem Komplex verbinden, sozusagen eine Synthese eingehen. Die beiden Wissenschaftler nennen das „Gestaltbildung“.


Abb. 6: Computersimulation des Wahrnehmungsprozesses am Beispiel eines Stuhls (Restak 1989, 54)

Bezieht man diese Kenntnisse beispielsweise auf die therapeutische Arbeit mit altersverwirrten und entsprechend wahrnehmungs-, gefühls- und verhaltensbehinderten Menschen, so kann man zu folgendem Ergebnis kommen: Was wir in der kunsttherapeutischen Arbeit gemeinsam tun, heißt, sozusagen im Takt unserer Wahrnehmung, Reize, die wir kennen, die wir identifizieren, auf der Grundlage einer zeitlichen Vorgegebenheit und Ordnung wieder in Zusammenhang zu setzen. Laut Pöppel (1993, 7 f.) muss die „Gestaltbildung“ des Wahrnehmens und Fühlens im Verlauf von drei Sekunden geschehen, in einem Zeitfenster von ein paar Sekunden, in dem das Gehirn jenen „zeitlichen Integrationsmechanismus“ (S. 13) zur Verfügung stellt.

Bei all dem, was wir in unserer stimulierenden Arbeit mit dementierenden Patienten tun, bleiben wir – wenn wir unser Augenmerk auf die Farb- und Formgebungen, Werkprozesse und speziell deren Abfolgen richten – in den Zeitspannen, die unser Gehirn benötigt, die Dinge unserer Wahrnehmung zusammenzubringen, zu synthetisieren. Hierbei sind alle Sinne angesprochen, sagen die Neurologen. Und wir haben eine Erkenntnis praktisch gewonnen: dass mittels eines ästhetischen Produktes, eines duftenden Kuchens, eines Werkmodells, eines Bildes ein Gefühl von Selbstwert und -bewusstsein aufkommt, das neuronal verantwortet wird.

Exkurs: Neuronale Grundlagen des Wahrnehmens

Die Orientierung in der Welt fußt auf Erfahrungen, die wir schon erarbeiteten Strukturen des Gehirns zuordnen können. Jean Piaget, der Entwicklungspsychologe, sagt:

„Der Grundgedanke ist der, dass Erkenntnisse weder allein aus der Erfahrung der Gegenstände, noch aus einer im Subjekt vorgeformten, angeborenen Programmierung hervorgehen, sondern aus aufeinanderfolgenden Konstruktionen mit fortwährender Elaboration neuer Strukturen.“ (1976, 7)

Diese Strukturen sind Resultat der Interaktion zwischen Subjekt und Umwelt, Piaget spricht von „nicht-präformierten Strukturen“ (Piaget 1974, 23). Diese entwickeln sich durch die tätige Auseinandersetzung mit den Gegenständen der Erkenntnis. Je komplexer diese tätige Auseinandersetzung ist, umso komplexer sind die logischen Strukturen des Erkennens und seiner Weiterführung im Denken.

Diese Formen des Handelns sind unterschiedlich komplex: miteinander verbunden (1), aufeinander folgend (2), sich gegenseitig zuordnend (3) oder sich überschneidend (4) (Piaget 1973, 26). In jedem Fall führen solche koordinierten Handlungen zu mentalen Operationen, die zu neuronalen Strukturen unterschiedlich komplexer Art werden. Ihre Komplexität basiert auf logisch-mathematisch nachvollziehbaren Regeln, so Piaget (1973, 50). Piaget begreift an diesem Punkt seines Denkentwurfs, dass seine Forschungsergebnisse Auswirkungen auf die „Koordination innerhalb des Nervensystems und des neuronalen Netzwerkes“ haben (Piaget 1973, 27). Singer und Engel (1997) betonen wie Jean Piaget die Koordinationsleistung des Gehirns:

„In der Debatte um die neuronalen Grundlagen von Bewusstsein rückt in den letzten Jahren zunehmend die Annahme in den Mittelpunkt, dass Bewusstsein als ein integrativer Prozess betrachtet werden muss. Dies wird besonders deutlich, wenn man den Fall des Wahrnehmungsbewusstseins betrachtet. Eine Leistung, die unser Gehirn ständig erbringen muss, besteht in der Integration von Sinnesdaten zu kohärenten Wahrnehmungseindrücken. Eine solche Integrationsfähigkeit ist die Voraussetzung dafür, dass wir Objekte und Ereignisse in unserer Umwelt voneinander unterscheiden und klassifizieren können. Hierzu müssen die von den Sinnesorganen aufgenommenen Signale einem Ordnungs- und Strukturierungsprozess unterworfen werden, in dem elementare Sinnesdaten in gestalthafte Kontexte eingebettet und mit Bedeutung versehen werden. Ohne diese von den Sinnessystemen geleistete Integration bliebe unsere Wahrnehmungswelt eine Anhäufung bedeutungsloser Farbflecken, Geräusche und Gerüche, ein unübersichtlicher Wirrwarr von Sinneseindrücken – dem vergleichbar, was man beim Blick in ein Kaleidoskop sieht. Obwohl die Bedeutung solcher Integrationsprozesse in der Wahrnehmungspsychologie schon sehr lange bekannt ist, wissen wir bis heute nur relativ wenig über deren physiologische Grundlagen. Erst in jüngster Zeit konzentriert sich die Hirnforschung verstärkt auf die Frage, durch welche Mechanismen integrative Prozesse wie Gestaltbildung und Figur-Grund-Trennung auf der biologischen Ebene realisiert werden, die dann die Entstehung bewusster und emotional getönter Wahrnehmungseindrücke ermöglichen.“

Singer und Engel führen aus, wie „… sich das Sehsystem durch eine hochgradig parallele Architektur aus(zeichnet). Aus zahlreichen Untersuchungen“, so weisen sie nach, „geht hervor, dass verschiedene Klassen von Objektmerkmalen in unterschiedlichen Arealen der Hirnrinde analysiert werden, die verschiedene Merkmalsdimensionen – wie etwa Farbe, Form oder Bewegung – repräsentieren … Diese Befunde belegen, dass Objekte“ zwar durch einen kleinen Nervenzellverbund stimuliert (so die neueste Studie des Tübinger Instituts für Klinische Hirnforschung vom 1.8.2008, Anm. K.-H. M.) aber „nicht durch einzelne oder sehr wenige Neurone in der Hirnrinde repräsentiert werden, sondern durch ausgedehnte und über weite Bereiche verteilte Neuronenverbände – sogenannte Assemblies“. Damit wird freilich deutlich, dass es hier tatsächlich ein Integrationsproblem oder – wie man auch sagt – ein Bindungsproblem gibt. „Es stellt sich nämlich die Frage, auf welche Weise große Anzahlen von räumlich verteilten Neuronen zu solchen Assemblies – und damit zu kohärenten Objektrepräsentationen – zusammengefasst werden.“ (Singer / Engel 1997, 69)

Wir sind auf einen wichtigen Umstand aufmerksam gemacht: dass ästhetische Gegebenheiten neuronal angeeignet werden und sich neuronal repräsentieren. Die kalifornischen Wissenschaftler Francis Crick und Christoph Koch haben Anfang der 1990er Jahre auf die neuronale Bündelung sensorischer Stimuli zu sog. Assemblies aufmerksam gemacht, haben im selben Zusammenhang auf die Verbindung zu den Wahrnehmungsgegebenheiten verwiesen. Die Diskussion um die neuronalen Korrelate von Wahrnehmungs- und Bewusstseinsprozessen war eröffnet.

Der fehlende Baustein in der Argumentation hieß, wie die Herstellung solcher Assemblies zeitlich und räumlich erfolgen könnte: „ein zeitlicher Integrationsmechanismus (könnte) die Lösung für das beschriebene Bindungsproblem sein“. Man vermutet weiter:

„dass die von einem gesehenen Objekt aktivierten Neurone durch eine Synchronisation ihrer Impulse zu Assemblies zusammengeschlossen werden könnten … Die zeitliche Korrelation zwischen den neuronalen Impulsen sollte dabei … die Genauigkeit von wenigen Tausendstel Sekunden aufweisen. Somit wäre also das synchrone Feuern der Hirnrindenneurone Ursache für die ganzheitliche Struktur unserer Wahrnehmungen – etwa für die Gestaltnatur der visuellen Eindrücke. Die zeitlichen Korrelationen würden nämlich – wenn das Modell zutrifft – die Zusammengehörigkeit der Merkmale eines Objektes repräsentieren und wären auf diese Weise für die Erzeugung eines kohärenten Perzepts von entscheidender Bedeutung.“ (Singer / Engel 1997, 68)

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