Kitabı oku: «Grundlagen der Kunsttherapie», sayfa 5

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Singer und Engel schließen: „In zahlreichen Arbeiten wurde inzwischen nachgewiesen, dass die Neurone des Sehsystems tatsächlich ihre Aktionspotentiale – also die elektrischen Impulse, die sie bei visueller Reizung erzeugen – präzise im Millisekundenbereich synchronisieren können. Zudem weisen viele Forschungsergebnisse darauf hin, dass diese zeitlichen Korrelationen tatsächlich bedeutsam für die perzeptive Integration und somit für die Segmentierungsleistungen des Sehsystems sind.“ (1997, 69)

Gabriele Schmid (1999) fasst zusammen: „Wahrnehmungen … sind im Gehirn doppelt kodiert: räumlich, durch die Kombination synchroner Nervenimpulse, die von örtlich getrennten Bereichen stammen, und zeitlich, durch sich überlagernde Abfolgen von Impulsen.“

Das Gehirn arbeitet im Takt elektrophysiologischer Impulse, die von thalamischen Kernen, den sog. Nuclei Intralaminares ausgehen (Ratey 2003, 163). Im Takt wird eine gemeinsame Sende- und Empfangsfrequenz von 30–80 Hertz in den wichtigen kortikalen Hirnarealen aufrechtgehalten. Diese gemeinsame Empfangs- und Sendesequenz ermöglicht es dem Gehirn, seine verschiedenen Bereiche im selben Augenblick zu verschalten. Seh-, Hör-, Fühl-, Geschmacks- etc. Inputs werden quasi auf einen Nenner gebracht.


Abb. 7: Mustersehen und neuronale Adäquanz (Damasio 2006, 149)

Die Ausführung von Singer und Engel (1997) endet mit der an Jean Piaget erinnernden Feststellung, dass es sich um „Prozesse der Selbstorganisation“ handelt, die nur aus der oben beschriebenen Koordinationsleistung des Gehirns verstehbar sind.

Für unsere Diskussion um eine Grundlegung neuro-ästhetischer Parallelverarbeitung des Gehirns ist ein entscheidender Baustein mit der Synchronisierung in Assemblies gelegt. Um mit den beiden Autoren noch einmal zusammenzufassen:

„Die Synchronisationsphänomene, die den Aufbau solcher Assemblies erlauben, stellen nach unserer Hypothese eine wesentliche Voraussetzung für den Prozess der Gestaltwahrnehmung dar“ und lassen mit Crick und Koch (1993, 144) vermuten, „dass die Synchronisation neuronaler Assemblies auch eine entscheidende Voraussetzung dafür sein könnte, dass aufgenommene sensorische Information zu einem subjektiven Wahrnehmungserlebnis wird“ (Singer, Engel 1997, 72).

Antonio R. Damasio spezifiziert das subjektiv Wahrgenommene und spricht von einer „auffallenden Übereinstimmung zwischen der Form des Reizes und der Form des neuronalen Aktivitätsmusters in einer der Schichten der primären Sehrinde“ – einer Übereinstimmung, die, wenn auch im Tierversuch gewonnen, uns tatsächlich erstaunt (Damasio 2006, 149).

Das Sehen in gestalthaften Mustern, Wahrnehmungskomplexen, so schon Piaget, geht mit den neuronalen Koordinationsleistungen einher. Die gestalttheoretischen Implikate der kunsttherapeutischen Arbeit (vgl. auch Kobbert 1986) unterstützen die Annahme, ebenso wie der neuro-ästhetische Ansatz des amerikanischen Neurologen Ramachandran (2005) Die Bildwahrnehmung basiert auf

1. Akzentverschiebung

2. Gruppierung

3. Kontrast

4. Isolation

5. Perzeptive Problemlösung

6. Symmetrie

7. Vermeidung von Zufällen

8. Wiederholung, Rhythmus und Ordnung

9. Ausgewogenheit

10. Metapher

Deren Grundlagen bilden gestalttheoretisch fassbare, gesetzmäßige Wahrnehmungsmuster.

Die Organisation des künstlerischen Ausdrucks, so das Fazit, kommt der optimalen Organisation des Gehirns nahe – und ist im Falle neurologischer Störungen brauchbar.

Seit den gestalttheoretischen Implikaten der Kunst- und Gestaltungstherapie Rudolf Arnheims ist diese Erkenntnis unwiderlegt: Die neuronale Gestalt-Herstellung unterliegt formal-ästhetischen Gesetzmäßigkeiten, die wir produktiv-therapeutisch einsetzen können. Neuere Hinweise auf die Mustererkennung des Gehirns bestätigen und präzisieren dies (Martin Heisenberg u. a. 2006).

Fragen wir uns, was geschieht, wenn unser neuronales Wahrnehmungssystem erregt wird: Rüdiger Vaas berichtet (2003; 2005), wie sich durch zeitliche Koppelungen einzelne Nervenzellen zusammenschließen zu gemeinsam agierenden neuronalen Ensembles, die sich auch mit voneinander getrennten Gruppen verlinken können (sog. linking, binding). Im visuellen, auditorischen, somatosensorischen, motorischen und interhemisphärischen wie subcorticalen Zusammenhang, so Vaas, findet diese Synchronisation neuronaler Aktivitäten nachweislich statt. Die Oszillationen betragen bei einer Bandbreite von 30 bis 80 Hz um 40 Hz, liegen also im Gamma-Frequenzband. Sie basieren auf wechselseitig verschalteten hemmenden und erregenden Nervenzellen. Die Synchronisationen basieren auf großräumigen Nervennetzen. Neurons that fire together wire together – so seine Zusammenfassung, die weltweite Übereinstimmung findet.

„Wenn wir sehen, hören oder riechen“, so die Wissenschaftler vom Bernstein Zentrum für Computational Neuroscience (BCCN) und der Universität Freiburg, senden die Nervenzellen Signale und „das Gehirn verarbeitet die aufgenommenen Informationen Schritt für Schritt in aufeinander folgenden Verschaltungsebenen. Neurone in jeder Ebene geben Signale in Form von elektrischen Impulsen an die nächste Ebene weiter. Die neuronalen Verschaltungen, die einem solchen ,Feed Forward System‘ zu Grunde liegen, wurden schon vielfältig untersucht. Meist wurde dabei aber nicht berücksichtigt, dass das Feed Forward System in die komplexe neuronale Architektur des Gehirns eingebettet ist, von dessen Hintergrundaktivität beeinflusst wird und seinerseits auf diese zurückwirkt … Nicht jede Form der Informationsweitergabe bei jeder Art von Hintergrundaktivität (ist) möglich“, so die Wissenschaftler des Instituts. „Eine allzu synchrone neuronale Hintergrundaktivität macht nahezu jede gezielte Signalweiterleitung unmöglich. Ein asynchrones Hintergrundrauschen hingegen erlaubt eine zuverlässige Verarbeitung von Sinnesinformationen und kann sogar konstruktiv zur stabilen Weitergabe des Signals beitragen.“ Die Wissenschaftler betätigen die bisherige Forschung und ergänzen sie: Impulspakete synchroner neuronaler Aktivität lassen sich ggf. weit verlässlicher weiterleiten als erhöhte Impulsraten. Die neuen Forschungen zeigen, dass wir, wie Vaas (2003; 2005) verdeutlicht hat, die Arbeit der neuronal-ästhetischen Gestalt-Erkennung als Netzwerk-Leistung des Gehirns betrachten müssen. Die Forschungen zeigen, dass wir die Hintergrundaktivitäten des Gehirns bei Erkennensprozessen mit einbeziehen müssen (Katrin Weigmann, Bernstein Koordinationsstelle; idw-Nachrichten 24.7.08).


Abb. 8: Unser Gehirn – wie eine Karthothek (Edelman 1995, 150)

Welche Netzwerke, so die weitere Frage, entstehen nun angesichts dieses Settings, oder anders gefragt: Gibt es spezielle Neurone, die zueinander finden? Die Bestätigung haben Edelman (1995) und die beiden Forscher Crick und Koch gegeben. Edelman (1995, 150) geht davon aus, dass unser Gehirn aus einer Art Karthotek besteht, in der bestimmte Karten oder Kategorien bestimmten Eindrücken zugeeignet sind. Diese Karten empfangen unabhängig und jede für sich Reize, die sich selegierend und korrelierend sehr schnell verschalten und dieseswegs zu einer schnittmengenhaften Erkennung führen (Edelman 1995, 126 f). Abweichungen und Veränderungen als Ergebnis von Veränderungen in der Kategorisierung wirken sich hiernach als Störungen des Seh- oder Bewegungsvermögens, spez. in den Gedächtnis- und Symbolisierungsleistungen, verstärkt aus, verantworten u. U. Krankheitserscheinungen wie Schizophrenie (Edelman 1995, 258).


Abb. 9: Merkmale und Gegenstände in der visuellen Verarbeitung (Treismann 1990, 144)

Edelman schlägt in seinen Studien vor, dass Sehen auf der untersten Stufe einige einfache und zweckmäßige Eigenschaften einer Szene in Form zahlreicher Merkmalskarten kodiert, die möglicherweise die räumlichen Beziehungen der visuellen Welt bewahren, aber nachfolgenden Verarbeitungsstufen selbst keine räumliche Information zur Verfügung stellen. Statt dessen wählt dann gerichtete Aufmerksamkeit mittels einer Originalkarte der Positionen die Merkmale aus, die an bestimmten Orten vorhanden sind, und fügt sie zusammen. Auf späteren Stufen dient schließlich die zusammengefügte Information dazu, Akten über Wahrnehmungsgegenstände anzulegen und auf den neuesten Stand zu bringen. Der Reihe nach werden die Akteninhalte mit Beschreibungen verglichen, die in einem Wiedererkennungsnetzwerk gespeichert sind. Das Netzwerk vereinigt Merkmale, Verhalten, Namen und Bedeutung vertrauter Gegenstände.


Abb. 10: Reziproke Koppelung visueller Bereiche (Edelman 1995, 128)

Eine Studie von Martin Heisenberg u. a. (2006) kann anhand neuester Forschung illustrieren, dass die Kartierung des neuronal Gegebenen sich durchaus auf neuronal angelegte Orte, sozusagen auf Stammplätze bezieht. Diesbezüglich hat Gerald Edelman auf die Vernetzung dieser Karthothek hingewiesen. Er verdeutlicht, „dass nicht nur sensorische Eindrücke und motorische Handlungsmuster, sondern alle Interaktionen zwischen Person und Umwelt in neuronalen Netzwerken des Gehirns kodiert werden“ (Edelman 2000; 2001).

Der Neurologe Zeki (1993) nennt solche Orte „Sortierfächer“, in denen die Signale zusammenlaufen. Engel und Singer haben in dem viel beachteten Artikel „Neuronale Grundlagen der Gestaltwahrnehmung“ (1997) die bis dato vorliegenden Ergebnisse zusammengefasst:

Erstens erklärten sie: „Insgesamt lässt sich aus den hier beschriebenen Untersuchungen die Vermutung ableiten, daß der vom Assembly-Modell postulierte zeitliche Bindungsmechanismus im Gehirn tatsächlich existiert. Die bisher vorliegenden Ergebnisse sprechen dafür, dass neuronale Objektrepräsentationen in ausgedehnten und über weite Hirnbereiche verteilten Assemblies bestehen, die durch eine Synchronisation der jeweils relevanten Neurone gebildet werden. Die Synchronisationsphänomene, die den Aufbau solcher Assemblies erlauben, stellen nach unserer Hypothese eine wesentliche Voraussetzung für den Prozess der Gestaltwahrnehmung dar.“ (S. 66 f.)

Zweitens konnten sie unter Bezugnahme auf die Forschungen des englischen Neurologen Zeki nachweisen, wo die neuronalen Assemblies sich verorten.

Der Neurologe M. Zeki führte 1993 aus: Getrennte Nervenbahnen übermittelten Farb-Form-Bewegungssignale zu einem Verteiler – „Sortierfächern, in denen die verschiedenen Signale zusammenlaufen“ (S. 30) –, der wiederum kodiere und zuordne. Auch er konnte diese Behauptung aufgrund seiner Forschungen genau spezifizieren. Singers und Engels Zuordnung zu bestimmten Arealen (vgl. Abb. 10: V1–V5) fußt auf den Ergebnissen Zekis. Dieser wählte als Untertitel seiner Veröffentlichung: „Indem das Gehirn die Einzelattribute der einlaufenden visuellen Information analysiert und integriert, erschafft es sich ein Bild der Außenwelt.“ (Zeki 1993, 26)

Zeki recherchiert, dass der Ausfall bestimmter Areale (z. B. V1, hinteres visuelles Zentrum; vgl. Abb. 10) „die Verarbeitung visueller Informationen gänzlich unterbindet“ (Zeki 1993, 32) und dass „eine Läsion in V5 … die Richtung oder Koordination von Bewegungen“ zutiefst beeinträchtigt (S. 33) – dass jedoch „keines der Sehfelder … eine blosse Relaisstation zur Weiterleitung von Signalen an andere Regionen“ ist, sondern immer „bruchstückhaft zur bewussten Wahrnehmung“ beiträgt und auch kompensiert werden kann (S. 34).

Crick und Koch (1993, 106 f.) haben die Repräsentanzleistungen der Neuronenverbände des Großhirns untersucht:

„So können sich einige Neuronen darauf spezialisieren, die Kategorie ‚Gesicht‘ zu repräsentieren: das heisst, sie werden in Zukunft immer dann aktiv sein, wenn der Mensch ein Gesicht sieht oder die Assoziation an ein solches sich einstellt.“ (S. 110)

Sie beschreiben, wie einige Neuronen „optimale Koalitionen zu bilden versuchen“ (S. 110) um die Gestaltmuster, die sich ihnen präsentieren, schneller kategorisieren und dedektieren zu können. Zusammenfassend, so die beiden Forscher:

„Ein Netz von Verbindungen zwischen den Arealen sorgt für einen beständigen Abgleich, koppelt jeweils zurück nach Empfang, sendet die Bestätigung wiederum an das umfassendere Areal, das z. B. das Gesichtsfeld topografisch präzise abbildet. „Ein Gegenstand kann auf mehr als eine Weise repräsentiert sein: als Bild, als eine Gruppe von Worten in geschriebener oder gesprochener Form oder gar als Berührungs- oder Geruchsreiz … Jede (dieser Repräsentationen, Anm. K.-H. M.) ist zudem auf viele Neuronen verteilt … in verschiedenen Teilen des Gehirns repräsentiert … Es gibt zunächst die Repräsentation für ein Gesicht als solches: zwei Augen, Nase, Mund und so weiter … Daraus konstruiert das Gehirn eine betrachterzentrierte Repräsentation, die ohne Aufmerksamkeit nicht zustande kommt.“ (Crick u. Koch, 1993, 108)

Die Theorie der Kartierung des Gehirns von Edelman (1995) hat sich als ein brauchbarer Ansatz erwiesen, die Entstehung der Bild-Wahrnehmung zu verstehen.

Wir sehen, wie mehrere visuell orientierte Areale zur Erkennung beispielsweise eines Gesichtes zusammenspielen, wie „dispositionelle Repräsentationen … als potentielle Muster von Neuronenaktivität“ sozusagen sich anbieten, wie sie „in kleinen Neuronenkomplexen (existieren)“ (Damasio 2006, 147) – um „durch eine vorübergehende synchrone Aktivierung weitgehend der gleichen neuronalen Entladungsmuster in den frühen sensorischen Rindenfeldern …, in denen einst auch die den Wahrnehmungsrepräsentationen entsprechenden Entladungsmuster auftraten“ (S. 146), dazu zu verhelfen, „ein Bild zu rekonstruieren“ (S. 147).

Um es noch einmal in Damasios Worten zu verdeutlichen: „Die in unserem Gehirn erzeugten Vorstellungsbilder beruhen auf Prozessen, die regelhaft und strategisch zunächst in dispositionellen Repräsentationen Muster neuronaler Aktivierung erzeugen, um erst im nächsten Schritt zu topographisch kartierten Wahrnehmungsrepräsentationen zu gelangen“ (2006, 153) und hiermit erst die Grundlage für unsere Vorstellungsbilder zu legen. Im Gyrus Fusiformis, einem Areal zwischen Schläfenlappen und visuellen Zentren, käme beispielsweise das Gehirn schließlich zur Gesichtserkennung.

Die Annahme eines für die Wahrnehmung notwendigen Zusammenspiels neuronaler Prozesse schließt allerdings nicht aus, dass schon einzelne neuronale Aktivitäten den Anstoß für den geschilderten Synchronisationsvorgang geben können, wie eine ddp-Meldung Ende 2007 berichtet:

Empfindungen – Einzelne Neurone reichen als Auslöser, Berlin, ddp, 22. Dezember 2007:

„Im menschlichen Gehirn befinden sich viele Milliarden Nervenzellen, die Nervensignale verarbeiten und weiterleiten. Wie genau diese sogenannten Neurone funktionieren, ist noch nicht abschließend erforscht. Wie die Bernstein Zentren für Computational Neuroscience mitteilen, haben Wissenschaftler nun herausgefunden, dass bereits die Aktivität eines einzelnen Neurons bewusst wahrgenommen werden kann. An der Humboldt Universität und dem Bernstein Zentrum für Computational Neuroscience Berlin konnte in Versuchen mit Ratten nachgewiesen werden, dass schon kleinste Impulse eines Neurons von den Tieren bemerkt werden. Die Wissenschaftler Arthur Houweling und Michael Brecht reizten mit winzigen Strömen im Bereich einiger Nanoampere einzelne Neurone, die am Tastsinn der Ratte beteiligt sind. Da die Nager darauf trainiert waren, mit einer Leckbewegung auf Berührungsempfinden zu antworten, konnten die Forscher feststellen, dass der Impuls von der Ratte wahrgenommen wurde. Das Experiment zeigt, dass die Aktivität einzelner Neurone viel bedeutungsvoller ist, als bisher vermutet. Es ist jedoch nach Ansicht der Forscher nicht anzunehmen, dass die Aktivität eines jeden Neurons ins Bewusstsein gelangt. Das Gehirn wäre damit überfordert. Verschiedene Faktoren wie der Neuronentyp und die Ansprechschwelle nachgeschalteter Neurone beeinflussen, wie gut die Ratte auf die erhöhte Aktivität eines Neurons reagiert und ob sie diese überhaupt wahrnimmt.

Dennoch hat man durch die Versuche gemerkt, dass das Gehirn weit weniger redundant arbeitet als bisher gedacht. Die Wissenschaftler schließen daraus, dass die neuronale Aktivität in der sogenannten somatosensorischen Hirnrinde, die Wahrnehmungen des Tastsinns verarbeitet, wesentlich niedriger ist als bisher angenommen. Die somatosensorische Hirnrinde einer Ratte enthält ungefähr zwei Millionen Neurone. Angesichts dieser großen Zahl war man bisher davon ausgegangen, dass nur große Gruppen von Neuronen durch ihr Zusammenspiel eine bewusste Wahrnehmung erzeugen können.“

Der Anstoß zu den sich formenden Bildern im Kopf, so können wir schließen, kann durchaus von einzelnen Neuronen ausgehen, die jedoch, wenn in der vorhandenen Karthothek verortet, auf viele andere Neuronengruppen angewiesen sind, um schließlich zu einer eigenen Bildgestalt zu kommen. Aber nicht nur das Gehirn, auch die Netzhaut ist an der Gestaltbildung beteiligt:

„Was unsere Aufmerksamkeit erlangt, können einerseits die Augen steuern, aber auch das Gehirn“, schildert der Neurologe Karnath. „Wenn die Kaffeetasse angeschaut werden soll, befiehlt die Denkzentrale dies den Pupillen. Umgekehrt können auch die Augen das Gehirn auf ein Objekt aufmerksam machen, etwa ein Kind auf einem Dreirad, das am Rand des Blickfeldes auftaucht. Für beide Strategien, die kopf- und die augengesteuerte Wahrnehmung, sind im Gehirn unterschiedliche Areale verantwortlich. Einzelne dieser Zentren können bei Schlaganfallpatienten zerstört sein: Sie können beispielsweise die Kaffeetasse nicht ansehen, auch wenn sie dies wollen.“ (Informationsdienst Wissenschaft, idw, 11. / 13.9.2007)

„Spezielle Zellen in der Netzhaut helfen bei der Formerkennung: Die Netzhaut im Auge kann nicht nur passiv Sehinformationen wahrnehmen, sondern hier findet bereits eine erste Verarbeitung statt. Das haben amerikanische Wissenschaftler nachgewiesen. Nach den Ergebnissen der Wissenschaftler um Ernest Greene von der Universität von Kalifornien in Los Angeles werden bereits in der Netzhaut Informationen über die erzeugten Halbbilder für die beiden Gehirnhälften durch spezielle Zellen miteinander verbunden. Dies geschieht sogar in weniger als einer Millisekunde. Schon lange ist bekannt, dass jede der beiden Gehirnhälften von den Augen nur eine Hälfte des erfassten Bildes zur Weiterverarbeitung übermittelt bekommt. Beide Teile müssen zu einem Gesamtbild zusammengesetzt werden. Diese Verbindung scheint bereits im Auge geschlossen zu werden, schließen Greene und seine Kollegen aus ihren Experimenten …

Greene hat auch schon eine bestimmte Zellart in der Netzhaut im Verdacht, diese Verbindung herzustellen. Die sogenannten Polyaxonalen Amakrinzellen weisen Merkmale auf, die zeitliche und räumliche Unterschiede in Signalen registrieren und koordinieren könnten.“ (Greene o. J., vgl. Webseite)

Diese Forschungsergebnisse werden im Jahr 2015 weitestgehend von T. R. Vidyasagar und U. T. Eysel (2015) bestätigt. Die bisher geschilderte Informationsaufnahme und -gewinnung über Netzhaut- und Gehirnareale, speziell mittels Synchronisierung ist – so die neueste Forschung – nicht nur auf der Grundlage neuronaler Aktivierung, sondern mehr noch mit der Hemmung von Zellen möglich. Wie eine koordinierte, aber mithilfe von Hemmung produzierte Erregung geschieht, wird seitens einer Berner Forschungsgruppe um M. Larkum wie folgt zusammengefasst:

„Die menschliche Hirnrinde bedeckt das Gehirn und besteht aus einer wenige Millimeter dicken Schicht von Nervenzellen. In dieser hochkomplexen Struktur verarbeitet das Gehirn den ununterbrochenen Zustrom von Nervensignalen aus den Sinnesorganen und konstruiert daraus ein Abbild der Welt, die uns umgibt. Eindrücke von Farbe, Form oder Bewegung werden wie geschildert in verschiedenen, teilweise weit auseinander liegenden Hirnarealen verarbeitet. Damit im Gehirn eine einheitliche Wahrnehmung zustande kommt, müssen die elementaren Sinnesinformationen (wie z. B. Farbe, Form usw.) zu einer übergeordneten, funktionellen Einheit zusammengebunden werden. Dieses Zusammenführen der verschiedenen Informationsströme wird durch einen zellulären Mechanismus realisiert, der die Nervenzellen in einen speziellen Zustand versetzt, sobald sie Informationen aus unterschiedlichen Hirnstrukturen gleichzeitig erhalten. Die Sinnesinformation wird auch anhand von Erfahrungen aus dem Gedächtnis interpretiert. Zudem wird uns nicht jede Sinnesinformation auch bewusst, sondern nur diejenige, worauf das Gehirn seine Aufmerksamkeit lenkt.

Die geschilderten Vorgänge funktionieren aber auch nur über gezielte Hemmung: Diese Vorgänge erlauben eine gerichtete Aufmerksamkeit sowie die Einbindung von Sinneseindrücken zu einer einheitlichen Wahrnehmung. ,Ohne Hemmungsmechanismen‘, so ein Mitarbeiter der Forschungsgruppe, Lüscher, ,wären alle sensorischen Hirnrindenareale maximal erregt, ähnlich einem elektrischen Gewitter‘. Dies würde eine bewusste und differenzierte Wahrnehmung unserer Umwelt verunmöglichen.“ (Larkum u. a. 2006, 603 f.)

Fassen wir zwischenzeitlich den Stand unserer Erörterungen zusammen: Auge und Gehirn arbeiten erregend, hemmend, dispositionell ermöglichend, schließlich synchronisierend und topographisch repräsentierend zusammen, nach dem Motto „Neurons that fire together wire together“, um alle Erfahrungen, selbst die zwischenmenschlichen, „zu einem neuronalen Skript“, „zu spezifischen Simultanaktivierungen zahlreicher Nervenzellverbände“ (Bauer 2001, 265), schließlich zu einem Vorstellungsbild zusammenzuführen. Den Prozess der Vorstellungsbildung haben wir aus einer derzeit gültigen neurologischen Perspektive betrachtet. In einer umfassenden Einführung in die Gestalttheorie wollen wir die These nun aus einem anderen Blickwinkel, dem der Gestalttheorie beleuchten. Sie erklärt die Gesetzmäßigkeit der Gestalt-Herstellung aus psychologischer, – neuerdings auch neuro-analytischer Sicht. Das Hinzukommen der Neuro-Analyse spiegelt sich in der folgenden Wissenschaftsmeldung (idw 10.1.07):

„Unbewusste Wahrnehmung kann zuverlässiger sein als bewusstes Nachdenken. Sich auf seinen Instinkt zu verlassen und Entscheidungen schon nach einem einzigen Blick zu treffen, liefert manchmal bessere Ergebnisse als langes Nachdenken. Das ist das Fazit einer Studie britischer Psychologen. Verantwortlich dafür ist eine ausgeprägte Hierarchie der Vorgänge während der Wahrnehmung: Schon in den ersten Sekunden-bruchteilen werden bestimmte Eigenschaften eines Objektes unbewusst registriert. In dem Moment jedoch, in dem das übergeordnete Bewusstsein übernimmt, werden diese durch Informationen mit einer höheren Priorität überschrieben – und das kann wiederum dazu führen, dass schnelle Entscheidungen zuverlässiger sind als wohlüberlegte Reaktionen. Zuerst nimmt das Gehirn auf einer unbewussten Ebene ganz grundlegende Eigenschaften des Gesehenen wahr, wie beispielsweise die Farbe oder die Orientierung eines Gegenstandes, erklären die Forscher. Dann greift das Bewusstsein ein und setzt die Merkmale zu vollständigen Objekten zusammen. Dabei überschreibt es aufgrund seiner höheren Position in der Hierarchie manchmal das zuvor Wahrgenommene, selbst wenn es korrekt ist. So wird in dem Moment, in dem das Gehirn den Gegenstand etwa als Apfel erkennt, die Identität des Objektes zum wichtigsten Merkmal und verdrängt die zuvor herausstechende Eigenschaft.“

Die Tagung der APA 2001 hat die Rolle der unbewussten Informationsaufnahme und -verarbeitung verdeutlicht. Im Bericht von Joachim Bauer heißt es (2001, 266):

„Inzwischen ist empirisch gesichert, dass Vernachlässigung oder frühe bzw. frühere Traumatisierungen bei einigen klinischen Störungen eine pathogenetisch erstrangige Rolle spielen: bei dissoziativen Störungen, bei den ‚Borderline‘-Syndromen, bei einem Teil der schweren depressiven Störungen und Angsterkrankungen, bei Schmerzerkrankungen sowie beim Posttraumatischen Stresssyndrom. Vor dem Hintergrund des oben Gesagten erfuhr die letztgenannte Störung (engl. ,PTSD‘) bei der diesjährigen APA-Tagung besondere Beachtung. Symposien, bei denen Rachel Yehuda, Donald Klein, Jeremy Coplan und andere ihre Ergebnisse präsentierten, zeigten, wie verheerend sich Erfahrungen in neuronale Strukturen eingraben können: PTSD-Betroffene erleiden nicht nur psychische Symptome (Intrusionen, Hyperarousal, Angst, Schlafstörungen etc.), sondern unterliegen auch neurobiologischen Folgeschäden (Volumenverminderung des Hippokampus, massive endokrine Dysregulation der hypothalamisch-hypophysären-adrenalen Achse). Angst-auslösende Stimuli erzeugen bei PTSD-Patienten eine exzessive Aktivierung der Amygdala, gefolgt von einer massiven Freisetzung von Noradrenalin. Auch ,masked fearful stimuli‘, d. h. Angstauslöser, die vom Bewusstsein des Betroffenen nicht wahrgenommen werden, führen zu dieser Aktivierung des Mandelkerns: nebenbei ein eleganter neurobiologischer ,Nachweis‘ des Unbewussten und seiner dynamischen Kräfte.“

Wie unbewusst-ästhetische Programmierung mithilfe gestalt-ästhetischer Vor-Einstellungen unser Sehen und gefühlsbesetztes Beurteilen bestimmt, demonstriert der schwedische Neurophysiologe Torsten Wiesel, der Ende der 1950er Jahre schon herausfindet, dass Hirnareale auf die ästhetische Anordnung der wahrgenommenen Elemente reagieren. 1981 erhält er zusammen mit David Hubel für seine Forschungen den Medizinnobelpreis. Er meldet sich wieder in der gegenwärtigen Diskussion.

Eine ästhetisch wohlproportionierte Anordnung der Elemente unserer Wahrnehmung erregt das Areal der Insula, leichte Veränderungen in dieser Anordnung bringen sie zum Verstummen. Folglich kann Wiesel die neuronal-ästhetische Taxierung dessen, was wir sehen, in der sog. Insula, einem Areal des Schläfenlappens verorten (vgl. Bild der Wissenschaft 6, 2008, 49). Vilayanur Ramachandran (2005) mit seiner Behauptung einer Art neuronalen, gestalt-theoretisch aufgebauten Grammatik unseres Wahrnehmens wird bestätigt. Nunmehr kann die Neurobiologie erklären, wie die gefühlsmäßige Besetzung einer proportionierten Anordnung von Elementen unserer Wahrnehmung mittels Neurotransmitter und Peptiden (Endorphine) geschieht: Vom sog. Ventralen Tegmentalen Areal (VTA) werden ob des wohlgefälligen Anblicks Dopamine ausgeschüttet, die auf ihrem Weg zum NAc (Nucleus Accumbens), einem der wichtigsten Wohlfühlorte des Gehirns, Endorphine beim Hypothalamus aufnehmen und zum ACC (Anteriorer Cingulärer Cortex), dem Motivationszentrum des Gehirns, bringen. Der Anblick gefällt uns infolge.

Besonders die Motivations- und Leistungszentren des ACC und NAc, die uns seit frühesten Geborgenheits- und Lustgefühlen begleiten, werden angesprochen und nehmen Kontakt mit dem Areal der Insula auf.

Die Forschungen Edelmans, Cricks, Zekis, Pöppels, Singers, Heisenbergs und anderer erläutern den Beginn der Gestalterkennung bis zu jenem Zeitpunkt, an dem eine andere Form des Bewusstseins die Erklärung übernimmt – und im Verein mit den neurologischen bisherige psychoanalytische Verstehensmodelle durchaus eine Neuauflage erhalten (Kaplan-Solms / Solms 2005).

2 Formwahrnehmungsstörung und Gestaltrekonstruktion

2.1 Form – Ganzheit und Gestalt

Im 20. Jahrhundert werden zunehmend ästhetisch orientierte Ganzheits- und Gestaltpsychologien zur Grundlage des bildnerischen Arbeitens mit mental oder kommunikativ beeinträchtigten Kindern und Erwachsenen. Die Lehre von der Gestalt besagt, dass die Gegenstände unserer sinnlichen Wahrnehmung sich vor oder während des Erkenntnisaktes zu einer Form, einer Figur, einer Struktur fügen. Die Lehre von der Ganzheit sagt, dass jenes formhaft, figurativ, strukturiert sich Zeigende wahrnehmungs- oder erlebnismäßig vielleicht anfänglich diffus, letztlich aber als einheitlich erscheint. Erkenntnistheoretisch gesagt: Das unmittelbar Gegebene sei bzw. werde ein Geformtes; oder mit den Worten Ernst Blochs: Das „qualitative Quantum, als das sich jede Gestaltkategorie darstellt“ (1975, 155), gelange in der Wahrnehmung zur Einheit seiner selbst, indem es auf sich reflektiere. Es liegt auf der Hand, dass diese Annahmen die einer konstruktivistischen Weltbetrachtung herausfordern, nach denen wir unsere Welt, so der empirische Konstruktivismus, biographiegeschichtlich aneignen, erobern und herstellen.

Nach Jahrzehnten des sozial- und naturwissenschaftlichen Umgehens mit den Begriffen „Ganzheit“ und „Gestalt“ haben wir uns angewöhnt, mittels dieser Begriffe eine erfahrbare Einheit des Bewusstseins oder des Verhaltens zu beschreiben. Der Ganzheits- bzw. Gestaltbegriff ist aber, so wissen wir heute, ein Begriff des Komplex- bzw. des Systemdenkens, den wir wie ein Konstrukt gebrauchen, um verschiedene Dinge, Wahrnehmungselemente auf einen Nenner zu bringen, zusammenzubringen. So konstruieren wir weiße oder schwarze Punkte / Kreise zu Dreiecks-, Kreis- oder Trapezfiguren je nachdem, wie die einzelnen schwarz-weißen Elemente zueinander stehen; ähnliches tun wir mit Flächen.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts nimmt die Wissenschaft der Ästhetik an, sie könne, wie die Kunst, das Chaos der Welt zu einem wohlproportionierten Ganzen fügen (Allesch 2006): Der Kunsttheoretiker Coleridge meint, die Imagination schaffe die Einheit der Mannigfaltigkeit. Er bezieht sich auf den Philosophen Schelling, der Einbildungskraft als „eigentlich die Kraft der Ineinsbildung“ begreift und Maler wie Delacroix und Géricault letztlich animiert, das Ganze im Bild zu sehen, es ins Bild zu setzen (nach Körner 1988, 203).

Dieses kunstphilosophische Theorem hat Auswirkungen auf all jene Wissenschaften, die sich um Wahrnehmungs- und Bewusstseinsphänomene kümmern. Ende des 19. Jahrhunderts stellt Ernst Mach (1838–1916) die erste Gestalt- und Ganzheitstheorie auf. Die frühe systemtheoretische Betrachtung des Gestalt- und Ganzheitsbegriffs geht auf ihn zurück.

Der Physiker Mach, der sich u. a. für die Organisiertheit der Sinneserfahrung interessiert, unterscheidet einfache und komplexe unmittelbare Empfindungen (z. B. Raumgestalten, Tongestalten). Er stößt damit einen Forschungszweig an, der die vielen wissenschaftlichen Bemühungen um die Ganzheitstheorien in der Physik, der Biologie, auch in der Psychologie in Gang setzt. Ganzheitliche, komplexe unmittelbare Empfindungen begreift er in der Art funktionaler Beziehungssysteme, die, um ihr Gleichgewicht zu erhalten, auf Einzelreize reagieren. Diese Gedanken nimmt der Philosoph und Psychologe Christian von Ehrenfels auf: Im Anschluss an Mach versucht er, jene noch sensualistisch gefasste Komplexität zu spezifizieren. Ehrenfels fragt 1880, „ob bestimmte Vorstellungsgebilde (etwa Melodien) Zusammenfassungen von Elementen (Komplexionen) oder etwas ‚Neues‘ (Gestaltqualitäten) seien“. Er weist in seinem Beitrag auf die „Übersummenhaftigkeit“ der Gestaltqualitäten und deren Transponierbarkeit hin: „So ist die Melodie gegenüber der Summe der Einzeltöne ein ‚Mehr‘, ein ‚Neues‘; sie bleibt dieselbe, wenn auch jeder Einzelton ein anderer wird (beispielsweise Transponierung von C-Dur nach A-Dur)“ (Ehrenfels 1880, zit. nach Balmer 1976, 578).

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