Kitabı oku: «Münchhausen», sayfa 15
Achtes Kapitel
Worin der Hofschulze eine dreifache Moral aus der Geschichte des Jägers zieht
»Erstens«, sagte der Hofschulze, »lehret die Geschichte, daß, wenn Ihre Passion wirklich von Ihrer Frau Mutter sich herschreibt, der Herr noch jetzunder seinen Spruch wahr macht, welcher lautet: Ich will die Sünden der Väter heimsuchen an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied. Denn an und vor sich ist die Jägerei eine erlaubte und lustige Sache. Nun aber sündiget der Mensch jederzeit, wenn er sich wider etwas setzt, was Herkommens ist bei seinesgleichen, dadurch kriegt die Gleichgültigkeit ein Gewicht und hat Folgen, wie Pestilenz darnach kam, als David sein Volk zählen ließ, weil das nicht Herkommens bei den Juden war. Ihre Frau Mutter nun verfiel in Sünde, weil sie den Herrn Vater nicht auf die Jagd gehen lassen wollte, da das zu seinem Stande gehörte, und darum ist an Ihnen eine Torheit gesetzt, das Schießen ohne Treffen. Sie sollten aber suchen, mit der Gewalt davon loszukommen, weil solche Neigungen nicht aus den Wirkungen in der dunkeln Kammer, nicht aus den Kräften und den eigenen Rechten, wie Sie es nannten, herrühren, sondern einzig und allein aus der Torheit, durch welche Sie groß Unglück anrichten können. Auch die Mädchen haben mitunter das Gelüst, Feuer anzulegen, sie lassen es aber wohl bleiben, wenn sie scharf zusammengenommen werden. Es kann und soll aber der Mensch, über den kein anderer gesetzt worden, an ihm selber der Herr und Zuchtmeister sein.
Zweitens tut die Geschichte lehren, daß im Ehestande gar zu viel Liebe schädlich ist. Denn Ihr Herr Vater würde mit dem Pferde nicht gestürzt sein, wenn Ihre Frau Mutter nicht so besorgt aus der Türe gesprungen wäre. Sie wollte ihn vor Gefahr hüten und brachte ihn eben recht in Gefahr. Wie leicht konnte ihn einer von den Herrn niederschießen, an die er nach der Jagd Briefe schreiben wollte! Im Ehestande muß alles moderiert sein, auch die Liebe, weil die Sache für die Hitze und den Eifer zu lange währt. Vorher kann der Mensch tun, was er will, danach kommt nichts; aber der Ehestand macht einen Abschnitt und gibt ein Exempel, da muß der Mensch sich zusammennehmen, denn auf Eheleute sieht ein jeder, und Ärgernis, welches durch sie kommt, ist doppelt Ärgernis. Mit einem losledigen Menschen haben wenige Verkehr, aber auf den Haus- und Ehestand verläßt sich aller Handel und Wandel, Nachbarhülfe und Ansprache, Christentum, Kirchen- und Schulzucht, Haus und Hof, Rind und Kind, und wie sollen nun alle diese Sachen in gehöriger Ordnung und Verfassung bleiben, wenn die Eheleute selbst sich wie die Gecken betragen? Bei uns Bauern kommt der Fehler weniger vor, aber bei den Stadtleuten, mit denen ich vielfältig hier und dahaußen verkehre, und deren Gebräuche ich daher kenne, will mir in dem Punkte manches schlimm gefallen. Wenn ein Mann sein Weib schlägt, oder angrunzt ohne Not, so gibt er Ärgernis, denn der Apostel schreibt, daß die Männer ihre Weiber lieben sollen, wie der Herr Christus seine Gemeine liebt, aber wenn ein Weib ihren Mann so unterkriegt mit Karessen und süßen Reden, daß er zwischen guten Freunden vor Angst nicht mehr zu bleiben weiß, wenn die Stunde schlägt, da er hat nach Hause kommen sollen, oder daß er sich von allem zurückhalten muß, was ihm das Herze fröhlich macht, so gibt sie auch Ärgernis, denn der Apostel Paulus schreibt nicht minder, das Weib solle den Mann fürchten. Die Furcht aber besteht mit solchem Verhalten nicht, vielmehr treibet sie dahin, daß dem Manne sein freier Wille gelassen werde, denn der Ehestand soll den Mann erbauen, nicht aber ihn daniederreißen, weil abermals der nämliche Apostel Paulus an die Korinther schreibt: Der Mann ist nicht vom Weibe, sondern das Weib ist vom Manne.
Ich habe hier jezuweilen bei guter Witterung große Gesellschaft von Stadtleuten, die für Pläsier den Tag im Freien zubringen, und gegen Abend wieder heimfahren. Da sehe ich nun mitunter, daß die Neugeheirateten, die etwa erst im zweiten Jahre Mann und Frau sind, denn späterhin hört dieses Wesen gemeiniglich auf, miteinander ein Anblicken und Anblinzeln, Löffeln und Schlecken treiben, als seien sie mutterseelenallein und niemand außer ihnen um sie und neben ihnen. Darin stecken nun wieder drei Ärgernisse.«
»Schade«, unterbrach ihn der Jäger lachend, »daß Euch kein Philosoph von Profession anhört, Hofschulze. Er würde die architektonische Symmetrie Eures Gedankenbaus loben. Drei Ärgernisse, entsprechend drei Moralen!«
Der Schulze fuhr, ohne sich stören zu lassen, fort: »Erstens sind immer in der Gesellschaft Leute, die gerne freien möchten und nicht können, und in denen stiftet so ein öffentliches Liebeswesen geheimen Neid und stille Abgunst, wovor der Mensch seinen Nächsten bewahren soll. Dieses ist das erste Ärgernis. Zweitens läßt, wenn sie sich vor so vielen Leuten nicht scheuen, das zu tun, was in die Verborgenheit gehört, vermuten, daß sie daheim eine Brinneiferigkeit haben, welche die Gesundheit ruiniert, und drittens denkt dieser und jener in der Gesellschaft: Was dem einen recht, ist dem andern billig, geniert ihr euch nicht, genier‘ ich mich auch nicht, dürft ihr schmatzen, darf ich kratzen; läßt nun alle geheimen Würmer und Otterngezüchte, welche er im Herzen trägt und sonst bei sich behielte, los, die schlechten, spöttischen Reden, die Schraubereien und Verleumdungen, welche denn wieder von andern aufgefangen und erwidert werden, so daß das ganze Pläsier zugrunde geht. Auf diese Weise habe ich es erlebt, daß durch so ein öffentlich löffelndes Ehepaar lauter Zank und Hader in eine Gesellschaft kam, der immer mehr stieg, je mehr die Eheleute miteinander karessierten.
Dagegen ist es eine wahre Freude, bisweilen vernünftige junge Leute zu sehen, die bescheiden und anständig sich betragen; das Frauchen sitzt da, und der Mann da, jedes diskuriert höflich mit seinen Nachbarn, keines scheint auf das andere zu achten, von Handgeben und Küssen ist nun gar nicht die Rede, und doch sieht man den roten, muntern Gesichtern an, daß sie zu Hause Glück und Segen miteinander haben; gleichsam zwei Äpfel sind sie an einem Zweige, die auch nicht nacheinander umgucken und doch zusammen wachsen, gedeihen und reifen. Der Ehestand ist ein Segensstand, aber er will mit Vernunft und Geschick und Manierlichkeit angegriffen sein, sonst macht er, wie der Wein im Übermaß, trunken, dumm und ungesund. Er ist wie der grüne Zweig am Apfelbaum; was darauf zum Gedeihen kommen soll, muß hübsch still und ruhig sich daran halten bei Sonnenschein und Regen.«
»Eure Moralien klingen zwar ziemlich hausbacken, aber es liegt doch etwas Wahres darin«, sagte der Jäger. »Der gesunde Menschenverstand behält immer recht, obschon er selbst nicht das letzte Recht ist. Was meine Eltern betrifft, so spricht deren nachheriges Verhältnis auch gewissermaßen für Eure Sätze. Meine Mutter ist nach dem entsetzlichen Schreck wie umgewandelt gewesen, er hatte auf sie wie ein Sturzbad gewirkt, der Vater hat späterhin gehen, kommen, sich kleiden dürfen, wie, vornehmen können, was er gewollt, und von der Zeit an, wo ich selbst zum Bewußtsein gelangte, erinnere ich mich der Ehe meiner Eltern, als einer zwar liebevollen, aber freien und ruhigen.«
»Ja, ja«, sprach der Hofschulze, »so mußte es sich wenden. Allzuscharf macht schartig, der Bogen, welcher zu sehr gespannt wird, bricht, und hinter heißem Wetter kommt kühles. Aber Ihnen will ich doch eine gute Lehre geben, junger Herr. Wenn Sie inkognito bleiben, und wie Sie sich mir verkündiget haben, für den Sohn von Bürgersleuten gelten wollen, so müssen Sie mir keine Geschichte erzählen von Jagdschlössern und fürstlichen Banketten und goldenen Uniformen und Bedienten und Reitknechten.«
»Ach, die Lehre kommt zu spät!« rief der junge Jäger lustig. »Das Verstellen hilft mir nichts, ich sehe es wohl ein, und wenn ich auch wie der Vogel Strauß den Kopf wegstecke, man erblickt mich dennoch. Verratet mich aber nicht; ich habe meine Gründe zu der Bitte, die Ihr mit gutem Gewissen erfüllen könnt, denn ein Verbrechen habe ich nicht begangen.«
»Nein, das soll wohl sein, Sie sehen nicht danach aus«, sagte der Hofschulze lächelnd.
»Jetzt nehmt von meiner Seite eine Lehre an. Ihr seid ein alter, gesetzter Mann, dem mehr daran liegen muß, seine Absichten für sich zu behalten, als mir. Wenn Ihr Eure Geheimnisse, welche Ihr zweifelsohne habt, vor mir und meinem Nachspüren bewahren wollt, so müßt Ihr meine Aufmerksamkeit nicht selbst rege machen, müßt mir nicht das Schwert Karls des Großen mit so feierlicher dunkler Rede zeigen.«
Der Hofschulze richtete sich in die Höhe. Seine große Gestalt schien noch zu wachsen, und der Mond, welcher inzwischen aufgegangen war, warf seinen Schatten lang in den Hof. Er sagte mit tiefem Tone und mit einem Nachdruck, der dem andern durch Mark und Bein ging: »Wehe dem, welcher die Geheimnisse des Schwertes Caroli Magni sieht oder hört, wenn es dergleichen gibt!« — Darauf setzte er sich nieder, schenkte seinem Gaste das letzte Glas ein, und tat, als ob nichts vorgefallen sei.
Dieser schwieg verlegen. Er merkte, daß mit dem Alten in manchen Dingen nicht zu scherzen sei. Um wieder ein Gespräch in Gang zu bringen, sagte er endlich: »Ihr verspracht drei Moralen aus meiner Geschichte, habt aber bis jetzt mir nur zwei mitgeteilt.«
»Die dritte«, versetzte der Hofschulze, »ist keine Rede, sondern eine Handlung und Verrichtung.« Mit diesen Worten, deren Sinn er nicht weiter aufklärte, ging er in das Haus.
Neuntes Kapitel
Der Jäger erneuert eine alte Bekanntschaft
Am folgenden Tage zur Mittagsstunde hörte der Jäger unter seinem Fenster ein Geräusch, sah hinaus und bemerkte, daß viele Menschen vor dem Hause standen. Der Hofschulze trat in sonntäglichem Putze soeben aus der Türe, gegenüber aber hielt am Eichenkampe ein zweispänniger Karren, auf welchem ein Mann in schwarzen Kleidern, anscheinend ein Geistlicher, zwischen mehreren Körben saß. In einigen derselben schien Federvieh zu flattern. Etwas hinterwärts saß eine Frauensperson in der Tracht des Bürgerstandes, welche steif vor sich hin auf dem Schoße ebenfalls einen Korb hielt. Vorn bei den Pferden stand ein Bauer mit der Peitsche, den Arm über den Hals des einen Tiers gelegt. Neben ihm hielt sich eine Magd, auch einen Korb, mit schneeweißer Serviette überlegt, unter dem Arme.
Ein Mann in weitem, braunem Oberrocke, dessen bedächtiger Gang und feierliches Antlitz ohne Widerspruch den Küster erkennen ließ, schritt mit Würde von dem Wagen dem Hause zu, stellte sich vor den Hofschulzen hin, lupfte den Hut und gab folgenden Reimspruch von sich:
»Wir sind allhier vor Eurem Tor,
Der Küster und der Herr Pastor,
Des Küsters Frau, die Magd daneben,
Die Gift und Gabe zu erheben,
So auf dem Oberhofe ruht;
Die Hühner, Ei‘r, die Käse gut.
So sagt uns an, ob alles bereit,
Was fällig wird zur Sommerszeit.«
Der Hofschulze hatte bei Anhörung dieses Spruchs den Hut tief abgenommen. Nach demselben ging er zum Wagen, verbeugte sich vor dem Geistlichen, half ihm in ehrerbietiger Stellung herunter und blieb dann mit ihm seitwärts stehen, mancherlei Reden wechselnd, welche der Jäger nicht hören konnte, während die Frau mit dem Korbe auch abstieg und sich nebst dem Küster, dem Bauer und der Magd wie zu einem Zuge hinter jenen beiden Hauptpersonen aufstellte. Der Jäger ging, um den Zusammenhang dieses Auftritts zu erfahren, hinunter, sah im Flur weißen Sand gestreut, und die daranstoßende beste Stube mit grünen Zweigen geschmückt. Die Tochter saß darin, ebenfalls sonntäglich geputzt, und spann, als wolle sie noch heute ein ganzes Stück Garn liefern. Sie sah hochrot aus und blickte von ihrem Faden nicht auf. Er ging in das Zimmer und wollte eben bei ihr Erkundigung einziehen, als schon der Zug der Fremden mit dem Hofschulzen die Schwelle vom Flure aus betrat. Voran ging der Geistliche, hinter ihm der Küster, dann der Bauer, dann die Küsterfrau, dann die Magd, zuletzt der Hofschulze; alle einzeln und ungepaart. Der Geistliche trat auf die spinnende Tochter, welche noch immer nicht emporsah, zu, bot ihr freundlichen Gruß und sagte: »So recht, Jungfer Hofschulze, wenn die Braut noch so fleißig ihr Rädchen dreht, da kann sich der Liebste volle Kisten und Kasten erwarten und verhoffen. Wann soll denn die Hochzeit sein?« — »Auf Donnerstag über acht Tage, Herr Diakonus, wenn es erlaubt ist«, versetzte die Braut, wurde womöglich noch röter, als zuvor, küßte dem Geistlichen, welcher noch ein jüngerer Mann war, demütig die Hand, nahm ihm Hut und Stock ab und reichte ihm zum Willkomm einen Erfrischungstrunk. Die andern, nachdem sie Reihe herum die Braut ebenfalls mit Handschlag und Glückwunsch bedacht hatten und durch einen Trunk erquickt worden waren, verließen die Stube und gingen auf den Flur, der Geistliche aber unterhielt sich mit dem Hofschulzen, der beständig seinen Hut in der Hand, in ehrerbietiger Stellung vor ihm stand, über Gemeindeangelegenheiten.
Gern hätte der junge Jäger, welcher, von den übrigen unbeachtet, aus einer Ecke der Stube den Auftritt mit angesehen hatte, schon früher den Geistlichen begrüßt, wenn es ihm nicht unbescheiden vorgekommen wäre, die Anreden und Antworten der Fremden und Hofesgenossen, welche trotz der bäuerlichen Szene etwas Diplomatisches hatten, zu stören. Denn in dem Diakonus war von ihm mit Erstaunen und Freude ein ehemaliger akademischer Bekannter wiedergefunden worden. Jetzt verließ der Hofschulze auf einen Augenblick das Zimmer und nun ging der Jäger zum Diakonus, ihn bei seinem Namen begrüßend. Der Geistliche stutzte, fuhr mit der Hand über die Augen, erkannte jedoch auch den andern sogleich wieder und freute sich nicht weniger, ihn zu sehen. »Aber« — fügte er den ersten Grußworten hinzu — »jetzt und hier ist keine Zeit zur Unterhaltung, kommen Sie nachher mit, wenn ich vom Hofe abfahre, dann wollen wir zusammen plaudern; hier bin ich ein öffentlicher Charakter und stehe unter dem Banne des gebietendsten Zeremoniells. Wir dürfen voneinander keine Notiz nehmen, fügen auch Sie sich passiv dem Ritual; vor allen Dingen, lachen Sie über nichts, was Sie sehen, das würde die guten Leute auf das höchste beleidigen. Und diese alten, festen Sitten, so seltsam sie aussehen mögen, haben doch auch immer ihr Ehrwürdiges.« — »Sorgen Sie nicht«, versetzte der Jäger, »aber ich möchte doch wissen...« — »Alles nachher!« flüsterte der Geistliche, nach der Türe blickend, durch welche soeben der Hofschulze wieder hereinkam. Er trat vor dem Jäger, wie vor einem Fremden, zurück.
Der Hofschulze und seine Tochter trugen die Speisen auf dem Tische, welcher in dieser Stube gedeckt stand, selbst auf. Da kam eine Hühnersuppe, eine Schüssel grüner Bohnen mit einer langen Mettwurst, Schweinsbraten mit Pflaumen, Butter, Brot und Käse, wozu eine Flasche Wein gestellt wurde. Alles dies wurde zu gleicher Zeit auf den Tisch gestellt. Der Bauer war von den Pferden ebenfalls hereingekommen. Als alles stand und dampfte, lud der Hofschulze den Diakonus höflich ein, es sich gefallen zu lassen.
Es war nur für zwei Personen dort gedeckt; der Geistliche, nachdem er ein Tischgebet gesprochen, setzte sich und etwas von ihm entfernt der Bauer. »Esse ich hier nicht mit?« fragte der Jäger. »Ei behüte«, antwortete der Hofschulze, und die Braut sah ihn verwundert von der Seite an. — »Hier ißt bloß der Herr Diakonus und der Kolonus, Sie setzen sich draußen bei dem Küster zu Tische.« Der Jäger ging in ein anderes, gegenüberliegendes Zimmer, nachdem er noch zu seiner Verwunderung bemerkt hatte, daß der Hofschulze und seine Tochter auch die Bedienung jenes ersten und vornehmsten Tisches selbst übernahmen.
In dem andern Zimmer traf er den Küster, die Küsterin und die Magd um den dort gedeckten Tisch stehen, und, wie es schien, mit Ungeduld ihres vierten Genossen warten. Auch auf diesem Tische dampfte dieselbe Speise, wie auf der Pastorstafel, nur fehlte Butter und Käse, auch zeigte sich dort statt des Weines Bier. Mit Würde trat der Küster an den Oberplatz und ließ, die Augen in den Schüsseln, abermals folgenden Spruch vernehmen:
»Alles, was da fleucht und kreucht auf der Erden,
Ließ Gott der Herr für den Menschen erschaffen werden;
Hühnersuppe, Bohnen, Wurst, Schweinsbraten, Pflaumen sind allerwegen
Gottesgaben, gib, o Herr, dazu uns deinen Segen!«
Worauf die Gesellschaft Platz nahm, der Küster obenan. Dieser wurde von seiner Gravität nicht verlassen, wie die Küsterin nicht von ihrem Korbe, den sie dicht neben sich hinstellte. Dagegen hatte die Pastorsmagd den ihrigen anspruchslos beiseite gesetzt. Bei dem Mahle, welches aus wahren Bergen auf den Schüsseln bestand, wurde kein Wort gesprochen; der Küster verschlang in ernster Haltung ungeheuer zu nennende Portionen, und die Frau blieb wenig hinter dem Manne zurück; am bescheidensten zeigte sich in diesem Punkte auch wieder die Magd. Was den Jäger betrifft, so beschränkte er sich fast nur auf das Zusehen; das heutige Zeremonialessen war nicht nach seinem Geschmack.
Nach beendigtem Mahle sagte der Küster zu den beiden Mägden, welche diesen Tisch bedient hatten, feierlich schmunzelnd: »Jetzt wollen wir denn, geliebt es Gott, die allhier erfallende Gebühr und den guten Willen in Empfang nehmen.« Die Mägde hatten vorher schon den Tisch abgeräumt und gingen jetzt hinaus, der Küster aber setzte sich auf einen Stuhl mitten in der Stube, die beiden Frauenspersonen, die Küsterin und die Magd, setzten sich ihm rechts und links zur Seite, vor sich die neugeöffneten Körbe. Nachdem die Erwartung, welche diese drei ausdrückten, einige Minuten gedauert hatte, traten die beiden Mägde, begleitet von ihrem Herrn, dem Hofschulzen, wieder ein. Die erste trug einen Korb mit weitläuftigem Flechtwerk oben, in welchem Hühner ängstlich gackerten und mit den Flügeln plusterten. Sie stellte ihn vor den Küster hin und dieser sagte, hineinschauend und nachzählend: »Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs; es ist ganz richtig.« Darauf zählte die zweite Magd aus einem großen Tuche ein Schock Eier in den Korb der Pastorsmagd, und sechs Stück runder Käse, nicht ohne genaues Nachzählen des Küsters. Dieser sagte, als es geschehen war: »So, nunmehro hätten der Herr Diakonus das Ihrige; jetzunder käme der Küster.« — Ihm wurden in den Korb seiner Ehehälfte dreizehn Eier und ein Käse zugeteilt. Sie prüfte jedes Ei durch Schütteln und Geruch, ob es auch frisch sei, und merzte zwei aus. Nach diesen Verhandlungen erhob sich der Küster und sprach zum Hofschulzen: »Wie ist es, Herr Hofschulze, von wegen des zweiten Käses, welchen Küsterei annoch vom Hofe zu gewärtigen hat?« — »Ihr wißt selbst, Küster, daß der zweite Käse vom Oberhofe nimmer anerkannt worden ist«, versetzte der Hofschulze. »Dieser angebliche zweite Käse ruhte auf dem Baumannserbe, welches vor hundert und mehreren Jahren mit dem Oberhofe in einer Hand vereinigt war. Hernachmalen ist die Trennung wieder eingetreten, und es haftet demnach hier auf dem Hofe nur ein Käse.«
Über des Küsters rotbräunliches Gesicht hatten sich die stärksten Falten gelagert, welche dasselbe nur aufzutreiben vermögend gewesen war, und zerlegten es in mehrere bedenkliche Abschnitte von viereckter, rundlichter, winklichter Gestalt. Er sprach: »Wo ist das Baumannserbe? Zersplittert und zerspellt wurde es in den unruhigen Zeitläuften. Soll Küsterei darunter leiden? Dem sei nicht so. Jedennoch, unter ausdrücklichem Vorbehalt aller und jeder Rechtszuständigkeiten wegen des seit hundert und mehreren Jahren strittigen, vom Oberhofe erfallenden zweiten Käses, empfange ich und nehme ich hiemit an auch den einen Käse. Sonach wäre die Zinsgebühr an Pastor und Küster abgestattet, und es käme nunmehr der gute Wille.«
Dieser bestand in frischgebackenen Rollkuchen, wovon sechs in den Pastorskorb und zwei in den des Küsters gelegt wurden. Hiemit war das ganze Empfangsgeschäft beendigt. Der Küster trat dem Hofschulzen näher und sagte folgenden dritten Spruch her:
»Die Hühner waren alle sechs richtig,
Und die Käse alle vollwichtig;
Die Eier sind befunden worden frisch,
Und was sich gebührte, stand auf dem Tisch.
Deshalb der Herr Euren Hof bewahr‘
Vor Hungersnot und Feuersgefahr!
Bei Gott und Menschen ist beliebt,
Wer Gift und Gaben richtig gibt.«
Der Schulze machte darauf eine dankende Verbeugung. Die Küsterin und die Magd trugen die Körbe hinaus und packten sie auf den Wagen. Zu gleicher Zeit sah der Jäger, daß die eine Hofesmagd aus dem Zimmer, worin der Geistliche gespeist hatte, Schüsseln und Teller auf den Flur trug, und sie, indem jener auf die Schwelle des Zimmers trat, vor seinen Augen wusch. Nachdem sie diese Reinigung verrichtet, näherte sie sich dem Geistlichen, er holte aus einem Papiere eine kleine Münze und gab sie ihr.
Der Küster ließ sich indessen den Kaffee schmecken, und da auch für den Jäger eine Tasse hingestellt worden war, so setzte sich dieser zu ihm. »Ich bin hier fremd«, sagte der junge Mann, »und verstehe zum Teil die Gebräuche nicht, welche ich heute gesehen habe; wollen Sie mir dieselben nicht erklären, Herr Küster? Ist es eine Verpflichtung, daß die Bauern den Herrn Diakonus in Naturalien unterhalten müssen?«
»Verpflichtung in betreff der Hühner, Eier und Käse, nicht der Rollkuchen, welche der gute Wille sind, jedoch auch jederzeit unweigerlich abgestattet werden«, erwiderte der Küster höchst ernsthaft. »Zum Diakonat oder zur Oberpfarre in der Stadt sind drei Bauerschaften als Filiale eingepfarrt, und ein Teil der Pfarr- und Küstereieinkünfte bestehet in der Zinsgebühr, welche von den einzelnen Hofesstellen alljährlich erfället. Diese nun, wie sie überall seit undenklichen Zeiten feststeht, einzusammeln, halten wir per Jahr zwei Gänge, oder Fahrten, nämlich die gegenwärtige Sommer- oder kleine Fahrt, und dann die Winter- oder große Fahrt, kurz nach Advent. Bei der Sommerfahrt erfallen die Zinshühner, die Zinseier und Zinskäse, an dem einen Hofe so viel, an dem andern so viel; erstere Rubrik, nämlich die der Hühner, erfället jedoch nur pro Diaconatu, Küsterei hat sich mit Eiern und Käsen zu begnügen. — Im Winter erfallen die Kornzinsen an Gerste, Hafer und Roggen; da kommen wir mit zwei Karren, weil eine die Säcke nicht zu fassen vermöglich wäre. So halten wir denn zweimal per Jahr die Rundfahrt durch die drei Bauerschaften.«
»Und wohin geht die Reise von hier?« fragte der Jäger.
»Directe nach Hause«, versetzte der Küster, knöpfte seinen Oberrock los und zog ein Federkissen hervor, welches er, ungeachtet der warmen Witterung zum Schutze seines Magens aufgelegt hatte. Nunmehr aber, nach der starken Mahlzeit mochte ihm dasselbe doch beschwerlich fallen. — »Gegenwärtige Bauerschaft ist die letzte, und gegenwärtiger Oberhof der letzte Hof in selbiger, auf welchem denn auch das herkömmliche Zinsessen vor sich geht«, sagte er.
Der Jäger bemerkte, daß, wie es ihm vorgekommen, in der Mahlzeit, bei den Begrüßungen, bei der Empfangnahme der Lebensmittel, ja sogar bei dem Waschen der Teller und Schüsseln eine vorherbestimmte Ordnung geherrscht habe, worauf sich der würdige Küster, wie folgt, weiter vernehmen ließ: »Allerdings; in jeglichem bei diesen Zinsfahrten ist eine Observanz und ein striktes Recht, von welchem nicht abgewichen werden darf. Morgens um sechs Uhr rücken wir aus der Stadt aus, der Herr Diakonus, ich, meine Frau und die Pastorsmagd. Vom Reymannskotten wird, jedoch auf höfliches Suchen und Erbitten, die Karre gestellt, welche das liebe Gut lädt, und der Kolonus geht mit und verläßt den Herrn Diakonus nun und nimmer, setzt sich auch, wie Sie gesehen haben, einzig und allein mit ihm zu Tisch. Den ersten Hühnerkorb nahmen wir aus der Stadt mit, da dieser aber bei dem ersten Hofe schon voll wird, so leihet nunmehr letzterer einen neuen für den zweiten, und so fort bis hieher. Der Kolonus füttert hier seine Pferde mit einem Scheffel Hafer, der vom Balstrup erhoben und mitgenommen worden ist, und die Magd, welche die Teller und Schüsseln vor den Augen des Herrn Diakonus wieder rein waschen muß, erhält dafür ihre drei und einen halben Stüber, gleichfalls heute zu diesem Zweck und Ende erfallen und empfangen auf dem kleinen Beek, Bauerschaft Branstedde.«
»Und die Sprüche, die Sie so laut und vernehmlich vortrugen, Herr Küster, rühren diese auch von alters her?« fragte der Jäger.
»Ja freilich«, versetzte der Küster. »Indessen«, fuhr er wohlgefällig fort, »habe ich einiges, was darin an die finstern Zeiten erinnerte, weggelassen oder verbessert, wie es sich für die Gegenwart schicken will. So lautet der Text in der Danksagungsrede eigentlich zum Schluß:
»Wenn ihr aber uns verkürzen wollen,
So soll euch alle der Teufel holen,
Und fehlt am Käs‘ ein einzig Lot,
So kriegt ihr gar die schwere Not!«
Diese unschicklichen Reime habe ich nach und nach eingehen lassen, indem ich Jahr für Jahr einen nach dem andern bei mir behielt, oder so tat, als ob ich den Husten dabei kriegte, und was dergleichen Anschläge mehr waren, denn mit den Bauern muß man freilich bei allen Neuerungen langsam zu Werke gehen. Es hat doch Widerspruch abgesetzt, und einige von den Dorfmicheln wollen durchaus diese Grobheiten nicht fahren lassen, weil sie sagen, daß selbige einmal dazugehören. Sie entrichten die Zinsgebühr nicht, wenn ich ihnen den Teufel und die schwere Not nicht anwünsche; der Hofschulze ist darin vernünftiger.«
Der Küster wurde abgerufen, denn die Karre war angespannt, und der Geistliche nahm von dem Hofschulzen und seiner Tochter, die jetzt ebenso ehrerbietig und freundlich vor ihm standen, wie bei allen übrigen Verhandlungen dieses Tages, mit herzlichen Händedrücken und Worten Abschied. Nun schwankte der Zug einen andern Weg, als den er gekommen war, zwischen Kornfeldern und hohen Wallhecken fort. Der Kolonus mit der Peitsche vor seinen Pferden, die Karre langsam hinterdrein bewegt, auf ihr jetzt außer den beiden Frauenspersonen der Küster sitzend zwischen den Körben, und der Fürsorge wegen wieder das Federkissen vor die Magengegend gestopft.
Der Jäger hatte sich bei der Abfahrt bescheidentlich zurückgehalten, war aber, als die Zinskarre sich eine Strecke weit entfernt hatte, mit raschen Sprüngen nachgeeilt, und fand den Diakonus, welcher ebenfalls hinter seinem eingesammelten Gute zurückgeblieben war, auf einem anmutigen Baumplatze schon seiner harren. Hier, frei vom Zeremoniell des Oberhofes, umarmten sie einander, und der Diakonus rief lachend: »Das hätten Sie wohl nicht gedacht, in Ihrem ehemaligen Bekannten, der in jener großen Stadt seinen jungen schwedischen Grafen so säuberlich auf dem schlüpfrigen Boden der Wissenschaft und des eleganten Lebens umherführte, eine Figur wiederzufinden, welche Sie an Ehrn Lopez in dem »Spanischen Pfarrer« von Fletcher erinnern muß?«
»Ihr Küster ist, wenn auch kein lustiger Diego, doch ein ganzer Mann«, versetzte der Jäger. »Er hat mir wie ein wahrer Zeremonienmeister der Zinspflicht das ganze Ritual ausgelegt, und sich bei dem Empfangen, Verwahren und Spruchsprechen mit solcher Würde und Klugheit benommen, daß ich ihn jedem bevollmächtigten Minister, welcher eine verwickelte Angelegenheit seines Hofes zu schlichten hat, als Muster empfehlen möchte.«
»Ja«, sagte der Geistliche, »das ist heute sein Ehrentag, auf den er sich schon sechs Wochen vorher freut. Überhaupt gibt es unter den Küstern noch viele komische Figuren, welche sonst so sehr jetzt abnehmen. Das beständige Anhören hoher und erbaulicher Worte von ihrem Standpunkte der Dienstbarkeit dabei, das Läuten, das Ansagen der Geburten und Sterbefälle gibt ihrem Wesen einen wundersamen Schwung, mit welchem nun wieder ihr glücklicher Appetit, oder besser zu sagen, ihre maßlose Freßgier seltsam kontrastiert. Denn da sie zu Hause nicht viel zu beißen und zu brechen haben, so versorgen sie sich auf Kindtaufen, Hochzeiten und Leichenschmäusen für ganze Wochen, und verschlingen die außerordentlichsten Portionen, aber immer mit einem Anstriche von Salbung, und nicht selten die hellen Tränen der Mitfreude oder Mittrauer in den Augen. Der meinige hat nun zu allen diesen Standeseigenschaften noch den Privatcharakter der Feigheit; er ist ein ausgemachter Poltron und ich habe mit ihm auf einsamen nächtlichen Wanderungen zu Kranken oder Sterbenden schon die lustigsten Szenen erlebt.
Doch lassen wir den Küster und seine Narrheiten. Was die Prozedur betrifft, welcher Sie heute beiwohnten, so ist es unumgänglich notwendig, daß ich mich ihr in Person unterziehe; mein ganzes Verhältnis zu den Leuten wäre gebrochen, wenn ich zu ekel wäre, die alte Sitte mitzumachen. Mein Vorgänger im Amte, der nicht aus hiesiger Gegend war, schämte sich der terminierenden Fahrten, und wollte schlechterdings nichts damit zu tun haben. Was war die Folge davon? Er geriet in die übelsten Zwistigkeiten mit diesen Landgemeinen, welche selbst auf den Verfall des Kirchlichen und des Schulwesens Einfluß hatten. Zuletzt mußte er gar um seine Versetzung einkommen und ich nahm mir gleich vor, als ich die Pfarre erhielt, in allen Dingen mich nach Ortsgebrauch zu verhalten. Hiebei habe ich mich denn bisher sehr wohl befunden, und weit gefehlt, daß der Schein der Abhängigkeit, welchen mir diese Fahrten geben, meinem Ansehen schaden sollte; es wird vielmehr dadurch erhöht und befestiget.«
»Wie sollte es auch anders sein!« rief der Jäger. »Ich muß Ihnen gestehen, daß bei dem ganzen Einhergange, ungeachtet alles Komischen, was Ihr Küster darüber auszubreiten wußte, mich ein Gefühl der Rührung nicht verließ. Ich sah in diesem Empfangen der einfachsten leiblichen Gaben einerseits, und in der Ehrfurcht, womit sie anderseits dargeboten wurden, gewissermaßen das frömmste, schlichteste Bild der Kirche, welche zu ihrem Bestande des täglichen Brotes nötig hat, und das Bild der Gläubigen, welche ihr das irdische Bedürfnis in der demütigen Überzeugung, daß sie damit sich ein Höchstes und Ewiges erhalten, darreichen, so daß weder auf der einen noch auf der andern Seite eine Knechtschaft, vielmehr bei beiden nur die Innigkeit des vollkommensten Wechselbezuges entsteht.«