Kitabı oku: «Münchhausen», sayfa 20
Fünftes Kapitel
Der Autor fährt fort notwendige Erklärungen zu geben
Aber der alte Mann hatte noch andern Verdruß. Es ist eine bewährte Erfahrung, daß der Mensch Leckerbissen, wie Kaviar und Gansleberpasteten schleunig müde wird und nur die einfachste Speise, das Brot, immer essen mag. So geht es auch mit den Nerven des geistigen Gaumens. Sie stumpfen sich rasch gegen den wollüstigen Kitzel ab; Erschütterung und Staunen werden ihnen bald trivial. Wer Märchen hörte, sehnt sich doch wieder bei Gelegenheit nach der trockensten Zeitung; woraus abzunehmen, daß alle, welche mit Wundern auf die Menschen wirken wollen, mit Wundern sparsam sein müssen.
Wie groß war dem alten Schloßherrn sein Gast im Anfang vorgekommen, wie hatte seine Seele sich in dessen Erzählungen so ganz befriedigt gefühlt, und wie bald erlosch dieser Genuß! Es liefen nicht vierzehn Tage ins Land, so fühlte sich der Baron von Schnuck-Puckelig-Erbsenscheucher in der Boccage zum Warzentrost unmustern, wie damals, als er seiner Erwartungen müde zu den Journalen griff, und damals, als er der Journale müde, sich nach einem gleichgestimmten Freunde sehnte, und damals, als er des gleichgestimmten Freundes, nämlich des Schulmeisters müde, heftig nach, er wußte selbst nicht wem? verlangte. Zuerst glaubte er, es liege ihm im Unterleibe und nahm ein Brechmittel ein. Das Mittel wirkte, sein Zustand blieb aber derselbe. Allgemach erkannte er die wahre Ursache — Münchhausen war ihm langweilig geworden, wie seine Erwartungen, die Journale, der Schulmeister.
Seine Geschichten klangen ihm jetzt lange nicht seltsam genug, die ausschweifendsten Abenteuer kamen ihm schal vor. Er pflegte nunmehr, wenn Münchhausen einen Bericht vollendet hatte, zu versetzen: »Ist noch gar nichts, Liebster, Bester, mir ist einmal ganz etwas anderes widerfahren.« Worauf er seinerseits sich bemühte, Überbietendes vorzutragen, freilich selten über den ersten Anlauf hinausgelangte.
Der Freiherr hatte nach der Novelle von seinen sechs Geliebten viel und mancherlei hören lassen, was leider durch das Sieb der Geschichte gefallen ist. Einiges ist indessen aufbehalten geblieben.
Münchhausen erzählte von dem Fürstentume Sprenkel, worin er einstmals, da man nach Ständen verlangend gewesen, Stände aus Blätterteig verfertiget habe. Diese Repräsentanten von Blätterteig hätten allen verfassungsmäßigen Nutzen gebracht, bis der Nachfolger gekommen wäre und sie aufgegessen hätte, weil er willens sei, neue von Spritzkuchenteig backen zu lassen.
Der alte Baron versetzte: Das sei gar nichts, Blätterteig könne ein jeder essen. Er habe einmal gesehen — — —
Münchhausen erzählte von dem Kaisertume Kleinchina, rechts von Großchina im stillen Weltmeere über Formosa hinaus gelegen, worin der Patriotismus im Frieden so stark geworden sei, daß alle Jahre am Geburtstage des großen Goldfisches (so heiße nach orientalischer Sprechsitte der Kaiser von Kleinchina) die Mandarinen der ersten drei Rangklassen in den Thronfarben anliefen, nämlich braun und blau.
Der alte Baron versetzte: Das sei gar nichts; die Färbung der Haut möge wohl von einem Ausschlage, von einer Art Nesselsucht herrühren; dergleichen pflege sich rasch wieder zu verlieren. Er habe einmal gesehen — — —
Münchhausen erzählte vom tiefsinnigen polnischen Starosten, der ein tiefsinniges Buch über die Kunst der Gegenwart geschrieben, und selber aus Kunstenthusiasmus in Tiefsinn verfallen sei, worin er sich für einen Pinsel gehalten habe und zwar für den Pinsel seines Lieblingsmalers. Die Geschichte war wirklich anmutig und lieblich anzuhören, denn sie lehrte weiter, daß der tiefsinnige Pole oder polnische Tiefsinn als Pinsel gerade so sich benommen und ausgedrückt habe, wie früherhin, so daß zwischen dem ehemaligen Starosten und nachmaligen Pinsel durchaus kein Unterschied bemerkbar gewesen sei. Er folge, sagte Münchhausen, in diesen Angaben nur dem Kammerdiener des Polacken, dem grimmen Hagen aus Nibelungenland, welcher für eine Zulage von sechs polnischen Gulden zum Jahresliedlohn das tiefsinnige Buch seines Brotherrn den Deutschen zugänglich gemacht habe.
Der alte Baron versetzte: Es sei gar nichts, daß ein Mensch sich für einen Pinsel halte, da so viele Pinsel überzeugt seien, Menschen zu bedeuten. Er habe einmal gesehen — — —
Münchhausen sagte, wenn ihm diese Geschichte keine Verwunderung abzwinge, so werde ihn doch ein Beweis seines eigenen Genies in Erstaunen setzen. Er habe nämlich bei dem jetzigen Aufschwunge künstlerischer Begabung auch in sich das plastische Element gefühlt und sei deshalb Diszipel einer berühmten Akademie geworden. Die Methode und Influenz habe sich zum Erstaunen an ihm bewährt, denn er sei in der ersten Woche schon Leonardo da Vinci, in der zweiten Michelangelo, in der dritten Raffael gewesen — öffentlichen gedruckten Nachrichten zufolge. In der vierten sei aus ihm eine Komplikation von Vinci-Angelo-Raffael geworden. Späterhin habe er sich auf das Niederländische geworfen und nach vierundzwanzig Stunden der kleine Rembrandt geheißen.
»Mich ennuyierte aber die Malerei«, fuhr Münchhausen fort, »beschloß Bildhauer zu werden und zwar fürs erste Phidias. Natürlich auch durch höhere Richtung, Vorsatz und Erleuchtung von oben. Ich schlief eines Abends mit diesem Gedanken in einem Butterkeller ein. Wie ich hineingekommen, gehört nicht zur Sache; genug, ich schlief im Butterkeller. In der Nacht hatte ich Träume von Götter- und Heldengeschichten, merkte wohl, daß ich mit den Fäusten umherhantierte, wußte aber doch nicht, was ich eigentlich machte, weil ich immer halb im Schlaf blieb. Am andern Morgen kam der Butterhändler in den Keller, mit der Lampe, leuchtete umher und schrie: »Herr Jemine, was ist aus der Butter geworden!« — Ich wachte nun auf, sah mich um und erstaunt‘ ein wenig, denn siehe da, ich hatte im Schlaf, bloß mit der Hand die Gruppe der Zentauren und Lapithen gebildet aus Butter, im ersten, strengen, erhabenen Stil. Die Töpfe waren alle leer, so hatte ich in der Butter gewirtschaftet. Mein Butterhändler wollt‘ anfangs keifen, nachher beruhigte er sich, weil er merkte, daß mit dem Werke ein gut Stück Geld zu verdienen sei. Wir trugen die Buttergruppe vorsichtig die Treppe hinauf und setzten sie in die Sonne, um ihr die rechte Beleuchtung zu geben. Das war aber wohl nicht bedacht, denn in der Sonne schmolzen die Figuren, erst die Lapithen und dann die Zentauren. War das nicht wundersam?«
»Was? Daß Sie Zentauren und Lapithen aus Butter machten, oder daß dieses Gebilde, als Sie ihm die rechte Beleuchtung gaben, schmolz?« fragte der alte Baron. — »Letzteres«, erwiderte Münchhausen. »Um ein solches Kunstwerk hätte der Himmel schon einmal den Gang der Naturgesetze unterbrechen können. Daß die Butter in der Sonne zerging, daß kein Wunder geschah, finde ich wundersam.«
Der alte Baron versetzte: »Das ist vollends nichts, denn es lautet zu subtil.«
So wollte keine Erzählung vor dem Sinne des Schloßherrn mehr Stich halten. Münchhausens Genie hatte sich in der Meinung seines Wirtes rascher abgebraucht, als ein Ministerium des Julithrons verwittert. »Kann er mir denn nicht echte Merkwürdigkeiten erzählen?« rief der alte Mann oft bitterböse, wenn ihn sein Gast verlassen hatte, »so etwas — so etwas — — was sich gar nicht erzählen läßt?«
Nur zwei Abenteuer waren es, auf welche die Wißbegierde des alten Barons sich noch einigermaßen gespannt hielt: Münchhausens Fata unter dem Vieh, insbesondere unter einer Ziegenherde am Helikon, und dann, wie er unlängst in Schwaben Poltergeister und Dämonen kennengelernt. Auf beide hatte der Freiherr zu öfterem im voraus hingewiesen, immer aber war die Erzählung durch zufällige Ereignisse verschoben worden, wie denn noch jüngst das erste Kapitel dieses Buches nicht halten konnte, was seine ersten Worte versprachen.
In seiner gelangweilten Stimmung warf der alte Baron ein Auge forschender Verdrießlichkeit, oder verdrießlichen Forschens auf die Person des Freiherrn, und da wurde ihm nun so manches Gegenstand der Verwunderung. Die ergrünenden Wangen und die doppelfarbigen Augen mußten freilich durch die Erläuterungen Münchhausens für vorläufig beiseitegestellt gelten, dagegen hatten sich an dem außerordentlichen Manne neue geheimnisvolle Phänomene in Menge aufgetan. Schon daß der Freiherr stets traurig und dunkel sprach, wenn er im allgemeinen der Umstände bei seiner Erzeugung gedachte, war ein seltsames Ding, hiezu kam aber noch das ungewöhnliche Verhältnis zwischen Herrn und Diener, welches sich bald im Schlosse bemerklich machte.
Es ist eine weitverbreitete Klage der Zeit, daß ihre Fortschritte auch den Übermut der Dienstboten gesteigert haben. Unter den vielen schlechten Bedienten aber, welche die Gegenwart gebiert, war Karl Buttervogel (denn für uns behält er diesen Namen) sicherlich einer der schlechtesten. Wenn ihm sein Herr etwas befahl, so tat er es auf das erste Geheiß gar nicht, auf das zweite auch noch nicht, und auf das dritte tat er es zwar, aber so, als tue er es um Gottes willen. Den Rock klopfte er dem Gebieter aus, wenn er Lust hatte, und alles übrige, was zu seinem Dienste gehörte, verrichtete er, insofern er dazu Belieben trug. Fuhr ihn aber sein Herr an, oder drohte er, ihn zu schlagen, so warf der Bursche mit so spitzigen, frechen und sonderbaren Reden um sich, daß auch der Argloseste darüber erstaunen mußte.
Einstmals sagte der alte Baron, als er Zeuge eines derartigen Auftritts geworden war, bei welchem Karl Buttervogel ausgerufen hatte, Münchhausen solle sich hüten, er wisse ja wohl, daß — — zum Freiherrn: »An Eurer Stelle, Freund, jagte ich den Unverschämten fort.« — »Ich darf nicht«, versetzte Münchhausen, schmerzlich gen Himmel blickend, »weil — —«
»Daß? — — Weil? — — Was für ein Daß? Was für ein Weil?« murmelte der alte Baron.
An einem andern Tage hatte Münchhausen im Zorn wirklich den Rücken des Widerspenstigen bestrichen. Karl Buttervogel lief fort, schimpfte wie ein Rohrsperling und wiederholte unaufhörlich: »Mich prügeln? So ein Munkel?«
»Munkel?« fragte der alte Baron. »Was ist ein Munkel?« — Es lag am Tage, dieser Bediente wußte etwas von seinem Herrn, was nicht für jedermanns Ohr taugte.
Die Geheimnisse Münchhausens fanden ihren Gipfel in seinen heimlichen Experimenten. Er schickte nämlich wöchentlich Karln in die Apotheke der nächsten Stadt, darauf nahm er ihm die Spezies ab, verschloß sich in seiner Stube, verhing die Fenster, und dort hinter Schloß und Riegel und nesseltuchnen Vorhängen tat er Dinge, welche nur das Auge Gottes sah. Es verbreitete sich, wenn er so experimentierte, durch das Schlüsselloch ein feiner mineralischer Dunst im Hause; daß Münchhausen selbst hernach wie eine starke Schwefelquelle duftete, haben wir schon aus dem Munde des alten Barons gehört. Einst hatten die Bewohner des Schlosses während eines solchen geheimen Experiments einen großen Schrecken. Es geschah nämlich in der Stube ein starker Knall, Münchhausen stieß heftig die Türe auf, Dampf quoll heraus, Dampf erfüllte die Stube, im Dampfe aber stand Münchhausen bleich und entsetzt. Allerhand Flaschen und sonstiges Geräte, mit seltsam schillernden Feuchtigkeiten erfüllt, stand auf dem Tische umher. Münchhausen räumte es eilig und verstört hinweg, als er nach einigen Augenblicken sich wieder zu sammeln wußte.
Dieser Auftritt vollendete die Spannung des alten Barons. Alles Interesse, welches er früher an den Erzählungen seines Gastes gehabt hatte, übertrug sich nun auf dessen Person. Und so gewann der Held durch die Grobheit seines Bedienten, durch mineralischen Geruch, durch Dampf und Knall den Anteil, welchen er auf dem einen Felde eingebüßt hatte, auf dem andern sich zurück. »Ein langweiliger Erzähler, aber eine merkwürdige historische Person, vielleicht das einzige Exemplar seiner Gattung!« sagte der alte Schloßherr.
Leider blieb seine brennende Neugier ohne Befriedigung, denn niemand konnte ihm ein Licht über den Mann anzünden, der unter den Menschen kaum seinesgleichen zu haben schien. Münchhausen wich mit siegreicher Gewandtheit allen Versuchen, ihn bis über einen gewissen Punkt hin zu erforschen, aus. Den Bedienten aber über den Herrn zu verhören — diesen Gedanken hatte er, als er flüchtig in ihm einstmals emporgestiegen war, weit von sich hinweggewiesen. Trotz aller seiner Narrheiten war der Baron von Schnuck ein Mann von altdeutscher Sitte und Höflichkeit. Noch niemals hatte er vergessen, was er seinem Gaste schuldig war. So, zwischen Verlangen und Unmöglichkeit, den Schleier zu heben, umgetrieben, wurde sein Herz bis zum Rande voll von Unruhe und Verdrießlichkeit.
Der Schulmeister endlich war in den Zustand ernster Selbstbetrachtung hineingeraten. Er begann sich noch mehr, als früher, von den Zusammenkünften der Schloßbewohner fernzuhalten, und saß tagelang einsam auf dem Gebirge Taygetus, wie ein indischer Büßer seine Nasenspitze betrachtend.
Kam er dann doch wieder einmal zu den übrigen, so zog er sich immer bald wieder zurück, denn niemand achtete seiner, Münchhausen nicht, weil er den Abkömmling des Königs Agesilaus nicht bedurfte, das Fräulein nicht, weil sie, wie wir wissen, allem Irdischen überhaupt bereits entrückt war, der alte Baron nicht, weil er über den Munkel nachsann.
Was Münchhausen betrifft, so erhielt sich dieser wunderbare Charakter zwar äußerlich die Fassung, in welcher er so stark war; durch seinen Busen aber stürmten auch manche Sorgen. Daß er den alten Schloßherrn mit seinen Erzählungen langweile, hatte er schon seit geraumer Zeit bemerkt, daß sich ein gefährliches Grübeln an seine Person zu heften beginne, mußte er nun gewahr werden. Dieses war ihm unangenehm. Ihm lag daran, noch eine Zeitlang als ruhiger, wenn auch höchst geistreicher und vielerfahrener Privatmann das Obdach und die Speise des Schlosses zu genießen. — Er nahm sich daher vor, einen wahren Heroismus im Erzählen zu entfalten und den Baron dadurch womöglich abzulenken, solchergestalt aber dem Schicksal die freie und männliche Stirn zu weisen, welche von keinem Schlage bisher zu zerschmettern gewesen war.
Während auf diese Weise die Bewohner des Schlosses sich entscheidenden Begebenheiten näherten und ihre Charaktere zu reifen begannen, war Karl Buttervogel der einzige Glückliche. Er aß Rindfleisch, Bratwurst und Eier, soviel ihm das Fräulein von diesen Nahrungsmitteln zustecken konnte, bediente seinen Herrn mit der Überzeugung, daß es nur von ihm abhänge, denselben zu stürzen, und empfand alle Zauber einer geheimen, hohen Liebe.
Sechstes Kapitel
Die Ereignisse eines Abends und einer Nacht
An jenem Abende, an welchem Münchhausen und der Schloßherr gegenseitig offen geworden waren, ließ sich Karl Buttervogel fünfmal rufen, bevor er zu seinem Herrn kam, der sich entkleiden wollte. Als er endlich erschien, holte der Herr mit den Worten: »Du Gauch! Du Bestie!« nach ihm aus, der Diener aber ergriff einen Stuhl, hielt ihn zu seiner Verteidigung vor sich hin und schrie, als ob er am Spieß stäke. Auf dieses Geschrei eilte der alte Baron im Nachtkleide die Treppe hinauf, Emerentia aber, tief in ihre Welt versunken, hörte davon nichts, sondern fuhr in ihren Eröffnungen gegen die Wand fort, in welchen sie noch begriffen war. Der alte Baron, das Nachtlicht in der Hand, fragte: »Was gibt es denn hier schon wieder?« Münchhausen versetzte: »Mit diesem Racker ist nichts mehr anzufangen, jeden Tag wird er fauler, ich weiß nicht, was dem Ungeheuer im Kopfe steckt!« »Liebe steckt dem Ungeheuer im Kopfe!« schrie der Mensch erbost; »Liebe von einer ganz vornehmen Person, und es gibt Schwiegerväter, die noch von nichts wissen und sich sehr verwundern werden, wofern fernerweite gute Verköstigung ausgemacht wird.«
»Ist der Kerl verrückt?« sagte der alte Baron.
»Und am Dienst habe ich keinen Geschmack mehr, und am allerwenigsten mag ich so einem Munkel noch ferner dienen, der mich noch überdem prügeln will!« rief Karl Buttervogel. »Und ich begehr‘ meinen Lohn, zwölf Gulden, vierundzwanzig Kreuzer seit vier Monaten, und was ich ausgelegt habe, tut auch zweiundvierzig Stüber, drei Heller, und das begehre ich und fordre ich, und dann gehe ich gleich fort, denn ich kriege doch außerdem mein gutes Essen und Trinken durch meine Konnexionen, und wenn mir noch ein Wort zu nahe gesagt wird, so gebe ich alles an bei meinem Schwiegervater von der unnatürlichen Erzeugung und den chemischen Schmierereien —«
Münchhausen setzte sich erschöpft auf sein Bett. Er zitterte, wie gewöhnlich, mit den Nasenflügeln, seine Miene war äußerst leidend. »Schreckliches Verhängnis, welches mich in die Hand eines Buben gibt!« stöhnte er. »O warum schwieg ich nicht auch gegen dich, Unmensch, wie ich gegen jeden sonst geschwiegen habe? Ich öffnete dir mein Herz, ich bedurfte einer Seele, die ich in die Apotheke schicken konnte, und du wirst hingehen und mich verraten.«
»Alteriere dich nicht, Bruder«, sagte der Schloßherr. »Dieses Individuum bleibt ewig ein Bedienter; über solches Pack müssen sich Männer unserer Extraktion nicht ärgern. Freilich, was die unnatürliche Erzeugung und das Chemische angeht, da wäre ich äußerst verlangend —«
Münchhausens Gebärde wurde groß. »Verlange nicht danach«, sagte er erhaben. »Ich kenne dich, du bist schwach, Baron Schnuck, du kannst Offenheit ertragen, du kannst ertragen, daß der deutsche Mann zum deutschen Manne sagt »Schafskopf!« aber das würdest du nicht ertragen. Du hängst an Ideen, die du mit der Ammenmilch eingesogen hast, du willst den Menschen menschlich gezeugt. Die Entdeckung, welcher dein unseliger Fürwitz zusteuert, würde dich deinen Freund kosten!« Er warf mit leidenschaftlicher Heftigkeit seine Kleidungsstücke ab und sah im Hemde zum Fenster hinaus, den Anwesenden den Rücken kehrend.
Karl Buttervogel rief, ohne sich stören zu lassen, in dieses Konzert: »Und es ist schändlich von so einem Herrn, wenn so ein Herr immer lügen tut. Das Lügen ist für uns geringe Leute, wir können oft nicht darüber hin, und der liebe Gott vergibt es uns, weil wir sonst unser Brot nicht haben, und wenn ich erst meinen gnädigen Schwiegervater besitze und auf meine fernerweite gehörige Beköstigung rechnen darf, so will ich‘s auch lassen, und von so einem Herrn, wie von meinem Herrn von Münchhausen ist es sehr unrecht, und allen Leuten lügt er etwas vor, und allerorten hat er gelogen, und sie sind so dumm und glauben ihm auch immer, obgleich kein wahres Wort aus seinem Munde geht.«
»Es ist gut, Karl, bringe das andere draußen an«, sagte Münchhausen, sich umwendend. Der Ton seiner Stimme war sanft aber fest geworden. Er band einen rot- und gelbseidnen Tuch mützenartig um den Kopf, so, daß die Zipfel an seinen Ohren herunterfielen. »Gute Nacht, Bruder Schnuck, du hast recht, man muß sich über dergleichen Leute nicht ärgern. Ich werde mich ohne Diener zu behelfen wissen. Du kannst gehen, Karl, ich brauche dich nicht weiter, deine zwölf Gulden vierundzwanzig Kreuzer sollst du morgen ausgezahlt erhalten. Geh, Karl, folge deinen höheren Sternen, du kannst nun gut und gern deinen Anteil an der Luftverdichtungsaktienkompanie, den ich dir zugedacht hatte, entbehren.«
Karl Buttervogel machte ein langes Gesicht, ließ den Stuhl, den er bis jetzt noch immer vor sich hin gehalten hatte, sinken, und sagte, so kleinlaut, als er vorher trotzig gesprochen hatte: »Wie, mein Herr von Münchhausen?«
»Luftverdichtungsaktienkompanie?« fragte der alte Baron.
»Ja«, antwortete Münchhausen und streifte den Strumpf vom linken Beine, »in Paris haben sie ein Mittel gefunden, die neueren Chemiker, Luft körperlich zu machen, sie in fester Gestalt darzustellen.«
»Körperlich? In fester Gestalt?«
»In einer Masse zwischen Schnee und Eis, ungefähr wie steifer Brei. Als ich von der Sache hörte, ließ ich mich näher in sie ein und überzeugte mich sehr bald, daß die also körperlich und fest gemachte Luft, vermöge Präzipitierens, Kalzinierens, Oxydierens und gewisser anderer Mittel, die vorderhand mein Geheimnis bleiben, in eine solche Dichtigkeit, Härte und Schwere zu treiben sei, daß sie sich vom Steine nicht unterscheide.«
»Vom Steine nicht unterscheide?«
»Nein. Warum erstaunst du, Schnuck? Was Brei ist, kann doch auch Stein werden. Willst du die Probe? Karl, erzeige mir die Freundschaft, denn befehlen darf ich dir nichts mehr, und bringe aus der Reisetasche mir die grüne Kapsel Nummer vierzehn.«
Karl Buttervogel, dessen ganzes Benehmen sich, seitdem von der Luftverdichtungsaktienkompanie die Rede war, in die fügsamste Demut verwandelt hatte, lief beflissentlich nach der Reisetasche und holte die grüne Kapsel Nummer vierzehn, aus welcher Münchhausen einen faustgroßen Stein nahm. Er zeigte dem alten Baron den Stein und fragte ihn, was er wohl glaube zu sehen?
Der alte Baron versetzte, indem er den Stein gegen das Nachtlicht hielt und ihn blinzelnd beschaute: »Meines Erachtens ist das ein Feldquarz.«
»Festgemachte, präzipitierte, kalzinierte, oxydierte und durch gewisse andere geheime Mittel versteinerte Luft ist es«, sagte Münchhausen gähnend und tat den Stein wieder an seinen Ort. Er streifte den Strumpf auch vom rechten Beine und fuhr fort: »Du siehst nun mit deinen Augen; haue mit Stahl dagegen, so gibt der Luftstein Feuer, solche Festigkeit hat derselbe.«
»Das ist ja eine ganz ungeheure, unermeßliche, unberechenbare Erfindung!« rief der alte Baron.
»Ziemlich wichtig ist sie allerdings«, sagte Münchhausen kalt. »Gebaut wird allenthalben jetzo zu Friedenszeiten, Häuser, Brücken, Straßen, Paläste, Narrenhäuser, Monumente. Das Material ist nur in manchen Gegenden zu teuer. Das will ich denn für solche steinarme Landstriche liefern, nämlich versteinerte Luft. Luft ist überall zu haben. Die Bereitungskosten sind so gar groß eben nicht, es kommt hauptsächlich bei dem ganzen Prozesse auf die Beschaffenheit der Luft selbst an, und der rechten Steinluft glaube ich hier auf der Spur zu sein. Deshalb rieche ich und schnüffle ich so viel im Winde umher. Hier wollte ich die Fabrik anlegen; die Mutterfabrik, von der dann gelegenen Orts die Tochterfabriken ausgehen sollen, quantum satis. Das Unternehmen wird auf Aktien gegründet, die Bestätigung des Statuts habe ich in der Tasche. Es muß, wenn das Geschäft einigermaßen schwunghaft getrieben wird, schon nach einem Jahre, schlecht gerechnet, eine Dividende von einhundertsechsunddreißig drei achtel Prozent geben. Dieses ist denn die Luftverdichtungsaktienkompanie, nach welcher du fragtest. Zwei Direktoren werden angestellt mit offenem Kredit, zwölf besoldete Verwaltungsräte; die Zahl der Sekretäre und der übrigen Unterbeamten ist vorläufig auf einige und vierzig bestimmt. Karln da, meinen ehemaligen Diener, wollte ich zum technischen Mitdirektor machen — nun, das geht denn nun jetzt nicht mehr an, und ich muß mich nach einem andern umsehen.«
Hier stieß Karl Buttervogel einen solchen Seufzer aus, daß die Stube widerhallte. Der alte Baron aber blies die Backen auf, warf seine Nachtmütze gegen die Decke und tat einen Schritt, den man einen Satz nennen konnte, so daß seine Kerze wild aufflackerte. »Hast du noch Aktien?« fragte er Münchhausen, der sich gleichgültig zu Bette legte.
»Alle untergebracht«, versetzte dieser, die Decke über sich ziehend, »stehen schon höher als pari. Ich will dir aber doch deine Gastfreundschaft vergelten, Schnuck. Dein Schloß ist etwas baufällig; sobald meine Fabrik und die Aktienkompanie ins Leben getreten ist, baue ich dir ein neues aus meinem Material.«
Der alte Schloßherr setzte heftig sein Licht weg, schoß auf den im Bette zu, nahm ihn mit beiden Händen beim Kopfe und rief: »So werde ich ja künftighin gleichsam in einem Luftschlosse wohnen, du Mordskerl!«
»Meinetwegen kannst du es so nennen, alter Junge«, antwortete Münchhausen. »Reiße mir nur die Ohren nicht ab. Siehst du, das ist ja eben das Große in der Gegenwart, daß so vieles, was lange nur als uraltes Märchen, Bild oder Gleichnis galt, aufgebracht durch die Kinderphantasie der Anfangszeiten, nunmehr durch die Forschungen der Wissenschaft sich als historische Realität ausweiset. Und so kommt denn auch das verjährte Sprichwort von Luftschlössern durch meine Aktienkompanie zur Würde wahrer Existenz. Luftbauten werden nicht mehr phraseologisch gemeint sein, sondern die Menschen werden wirklich ihr Geld hineinstecken. Aber geh zu Bette, Schatz, ich bin müde und will schlafen.«
Münchhausen wendete sich um und schlief ein. Der alte Baron murmelte: »Das gewinnt denn freilich jetzt eine andere Gestalt, wir kommen ins Praktische. Er muß — Er muß — —« der Alte ging in so tiefen Gedanken fort, daß er selbst sein Nachtlicht mitzunehmen vergaß.
Von dem Scheine dieser Kerze düster beleuchtet, blieb Karl Buttervogel neben dem Bette stehen. Sein Gesicht war von Bestürzung ganz aufgelaufen, bisweilen schlich eine dicke Träne die Nase entlang, regungslos stand er da, wie eine Bildsäule, und ließ die Tränen, ohne sie abzuwischen, still fließen. Der Urheber der Betrübnis schnarchte dazu. Nachdem der traurige Diener über eine Stunde also gestanden, gab er sich daran, die Kleidungsstücke des Freiherrn, welche am Boden und auf den Stühlen zerstreut umherlagen, sacht zu erheben. Er legte sie sorgfältig geordnet an die ihnen bestimmte Stelle, nahte sich auf den Zehen dem Bette, zupfte den Freiherrn am Hemde und flüsterte: »Gnädiger Herr!«
Münchhausen fuhr auf, rieb sich die Augen und fragte: »Warum weckst du mich, Impertinenter?«
»Ich wollte Sie nicht wecken«, erwiderte Karl Buttervogel schüchtern, »sondern nur fragen, wann Sie morgen früh befehlen, geweckt zu werden?«
»So!« rief Münchhausen. »Willst wieder bei mir im Dienst bleiben, du Vieh? Nein, mein Sohn, halte fest an deinem Entschlusse, geh, geh von dem Lügner, sei nicht so dumm, ihm zu glauben, ihm, dem kein wahres Wort aus dem Munde kommt, mit einem Worte: pack dich, du Schuft!«
Karl Buttervogel sank am Bette auf seine Kniee, ergriff die Hand des Freiherrn, küßte sie, heulte und schluchzte, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen, selbst einen aus Luft, und rief: »Gnädiger Herr, ich weiß ja, daß ich ein Schuft gewesen bin. Aber ich will es in meinem ganzen Leben nicht mehr tun. Ach, vergeben Sie mir doch nur dieses eine Mal, damit ich technischer Mitdirektor bleibe, ich habe schon so sehr auf diesen Posten und auf dieses gute Brot gerechnet, und wäre ein geschlagener Mann, wenn mir‘s entginge, denn mit dem Herrn Schwiegervater kann es noch im weiten Felde stehen, und wer weiß auch, ob mir die fernerweite gute Verköstigung ausgemacht wird, wofür ich‘s allein tue, und ich will nimmer wieder von der unnatürlichen Erzeugung plappern und vom Munkel und von den chemischen Schmierereien, weil ich sehe, daß es Sie kränkt, und von Lohn, und was ich ausgelegt, soll gar keine Rede mehr sein, nein, alles gratis, Aus- und Anziehen und Wasserholen und sonst, und ich wollte doch so gern Ihr Bedienter bleiben.«
»Dein scheußlicher Eigennutz läßt dich so eifrig diese Bitte aussprechen«, sagte Münchhausen ernst. »Die technische Mitdirektorschaft ist es allein, welche dir im Sinne liegt. Aber tröste dich, mein Freund, du wirst nichts verscherzen, wenn du von mir gehst. Wie sollte ein Lügner jemals Wahrheit sagen? Auch die Luftverdichtungsaktienkompanie habe ich nur vorgespiegelt.«
»O nein, nein, nein!« rief Karl Buttervogel laut und begeistert. »Ich lass‘ mich nicht irremachen. Nein, wenn der gnädige Herr auch sonst jezuweilen aus Liebhaberei ‚n bissel flunkern, damit hat es seine volle Richtigkeit. Ach, ich sehe wohl, der gnädige Herr prüfen mich nur noch und spaßen schon; und ich bleibe bei Ihnen.«
»Nun denn«, sagte Münchhausen, »für dieses Mal will ich dir verzeihen; es ist aber das letzte Mal. Ob du indessen technischer Mitdirektor wirst, hängt lediglich von deiner ferneren Aufführung ab. Und nun hole mir den Stock da her, du Spitzbube, denn der neue Kontrakt, welchen wir beide abschließen, will seine Bekräftigung und Draufgabe haben.«
Karl Buttervogel brachte den Stock, welcher in der Nähe des Bettes stand, getragen, sein Herr zog ihm damit einige sogenannte Jagdhiebe über den Buckel; der Diener ächzte zwar unter der Last dieser Streiche, schüttelte sich aber nachher und sagte getröstet: »Es wird einem doch gleich wieder so wohl, wenn man wieder seine feste Anstellung hat.«
Nach seinem Abgange blieb der Freiherr im Bette emporgerichtet sitzen und sprach: »Erstaunlich, was für eine Gewalt ich über meine Umgebungen ausübe!« Er warf sich auf sein Kissen nieder, wandte sich um und schlief abermals ein. Indessen sollte ihm noch keine dauernde Nachtruhe gegönnt sein. Denn nachdem er etwa eine halbe Stunde geschlummert haben mochte, erwachte er wieder von einem Geräusche am Fenster. Im ersten Augenblicke meinte er, daß Diebe sich zum Einsteigen rüsteten; halb schlaftrunken fuhr er aus den Federn und an das Fenster, sah aber, nun durch den kühlen Nachtwind völlig geweckt, unten im Hofe eine dunkle Gestalt, mit einer überlangen Stange in der Hand. »Wer ist da? Und was soll das?« rief Münchhausen die Gestalt an.
Dieser erwiderte: »Ich bin es, der Schulmeister, auch Agesilaus geheißen, und diese aus mehreren Bohnenstiefeln zusammengefügte große Stange klopfte an Ihr Fenster, um Ihre Aufmerksamkeit mir zuzuwenden, Herr von Münchhausen, da mein leises und bescheidenes Rufen Ihres werten Namens nicht verfangen wollte. Noch Licht in Ihrem Zimmer sehend, hielt ich es nicht für unhöflich, eine Zwiesprach mit Ihnen zu begehren, welche ich denn hiemit begehrt haben will. Mich verlangt sehnlichst nach einer Unterredung über einen mir hochwichtigen Gegenstand. Wollen Sie mir wohl leise, auf daß die Hausbewohner nicht erwachen, die Türe öffnen und den Zutritt in Ihr Gemach verstatten?«
»Zum Teufel, Herr, das werde ich bleibenlassen!« rief Münchhausen ärgerlich. »Wer erlaubt Ihnen, die Leute aus dem Schlafe zu stören? Was Sie mir zu sagen haben, können Sie mir von da unten sagen.«