Kitabı oku: «Münchhausen», sayfa 19
Drittes Kapitel
Blätter aus Emerentias Tagebuche
»Was Vorläufer! Es kommt uns niemand nachgelaufen« — und: »Ich kenne keinen Größeren, diese Kondition gefällt mir nicht, ich setze mich auf meine eigene Hand.« — So hat denn also des Schicksals Zeichen recht. Blumenhut und Lauferschurz deuten nicht in die ungewisse Ferne, nein, in der nächsten Nähe hält sich, den meine Seele ewig lieben wird, mein Fürst, mein Freund, der Birmane von Nizza! Nach langen Prüfungsjahren schlägt die Stunde der Wiedervereinigung, die Augen meines Freundes suchen mich unter den Töchtern von Zion, und Sulamith schläft nicht, die Taube. Niemanden sendet er voraus, »gleich kommt er selbst, er ist im Schlosse, denn es läuft ihm ja niemand nach« — er ist da, denn »er kennt ja keinen Größeren«. — Glückliche Emerentia!
Aber welcher von beiden ist‘s? — Ist‘s der Freiherr, oder bist du es, Karl? Hier prüfe, hier sei bedachtsam, hier zeige deinen ganzen Scharfsinn, Herz! —
Ach, das Herz ist stumm. Münchhausen und Karl sind mir beide gleichgültig. Das ist nun herrlich für die ferneren Beschlüsse des Geschicks, da ich dem Fürsten nur Freundin im reinsten Sinne des Wortes sein will, aber übel für den Augenblick.
Denn ich erkenne den Plan des Prätendenten von Hechelkram. Unter der Verkleidung will er seine Emerentia erforschen, und wie herrlich würde sie ihre Aufgabe lösen, wenn sie plötzlich vor den Wahren träte und spräche: »Fürst, Sie sind erkannt; Liebe sieht mit Adlersblicken, Treue hält, was sie gefaßt, teuren Hauptes leisestes Nicken kündet den ersehnten Gast!«
Daß mir beide so gleichgültig sind! — Eigenartige Qual, seltsame Verwirrung, festgeschürzter Knoten!
Ich glaube, der Freiherr ist‘s. Wir standen heute am Entenpfuhl, friedlich fischte das Gefieder nach dem grünen Flott zu unsern Füßen, ein erquickender Landregen fiel sanft vom grauen Himmel, der Freiherr erzählte mir eine seiner sinnigen Geschichten, wie er vorlängst durch ein Senfpflaster, auf das Haupt gelegt, und dessen Ziehkraft sich ein ausgefallenes Bein wieder eingerenkt habe — mein Busen wurde so weit, mir wurde so wohl und so weh, so — so —
Dumme Störung! Da werde ich gerufen, um Speck auszugeben. Wo die Lisbeth nur bleibt, die Landstreicherin, das unnütze Geschöpf? Kommt sie wieder, soll sie es entgelten.
Nein! Nein! Nein! Das Geheimnis ward offenbar, Karl ist Rucciopuccio! Da sitze ich in der tiefen Stille der Mitternacht auf meiner einsamen Kammer und vertraue euch stummen Blättern die wundersame Post. Ja, wundersam muß ich wohl diese Fügung nennen, welche zum zweiten Male den Nußknacker entscheidend in mein Leben blicken läßt.
Ich stand heute in der Frühe schon mit einer Fülle von Ahnungen von meinem Lager auf. Die Strümpfe sahen mich so bedeutend an, in den Pantoffeln war ein stilles Wesen und Weben, die lange Schnuppe des Nachtlichts, welches herabgebrannt war, wies tiefsinnige Figuren. Ist es mir doch einmal bestimmt, daß nichts gewöhnlich um mich sein kann, bin ich doch in allen meinen Tagen das Spielwerk dunkler, hoher Mächte gewesen!
Mein Haupt war wirr und wüst! Ich stieß das Fenster auf, die glühende Wange im Morgenwinde zu kühlen. Von Nizza hatte ich in der Nacht geträumt, vom Meer, von den Alpen. Die beiden Juden hatte ich auf dem höchsten Gipfel gesehen, die mich nach der schrecklichen Katastrophe den Eltern brachten. Sie standen in einer Glorie von Sonnenstrahlen, hatten Schmerz in den Zügen, und ich hörte den einen zum andern sagen: »Daß man uns gemacht hat zu guten Staatsbürgern, das ist die Trauer von unsren Leuten in der Gegenwart, woraus sie malen Bilder und schreiben Verse. Die alte Zeit, die alte Zeit war besser, Jakob, wo wir rumliefen, wie unsre Väter in der Wüste Sin, die da lieget zwischen Elim und Sinai.«
Ein bedeutender Traum, ein prophetischer Traum! Was weiß ich von der Wüste Sin, die da lieget zwischen Elim und Sinai? Im Traume lernte ich diese ebräischen Namen; die höhere Hand wollte mir einen Wink geben: »Siehe, ich bin da und werde wirken ein Wunder in deiner Nähe.«
Ich sah zum Fenster hinaus.
Karl trat unten in den Hof. »Himmeltausend Sakrament!« rief er, »kriege ich heute wieder nichts zu fressen?« — Entsetzliche Ausdrücke für das Tagebuch eines zarten Mädchens! aber ich muß ja alles treu mit den kleinsten Zügen berichten.
Der Laut jener Worte brachte mir alte Erinnerungen zugetragen. Wie aus weiter Ferne drang es, gleich der Stimme, die mir einst lieb war, in das Ohr! Diese sonderbare Ähnlichkeit der Töne, das Fluchen — der Fürst pflegte auch bisweilen zu fluchen, doch bediente er sich mehr der sogenannten schweren Angst — mein Traum von Nizza, die trauernden Juden, die Wüste Sin, die Zeichen am Nachtlicht, das Pantoffelwesen, die bedeutenden Strümpfe — — —
Karl setzte sich auf einen Stein im Hofe, sagte: »Ich muß ‚mal in den Taschen suchen« — suchte in der linken Jackentasche, rief: »Na, wenigstens noch ein paar alter, überjähriger Nüsse gegen das Verhungern« — griff in die andere Tasche, zog daraus hervor — — —
Ich hielt mein Herz mit bebender Hand, ging in die Speisekammer und schnitt für Karln ein Butterbrot — —
Ich kann nicht weiter schreiben — die Erinnerung überwältigt mich — meine Pulse fliegen — —
Ich bin ruhiger. Gestern schwamm der Segen, der mir geworden, ein buntverwirrender Farbenschimmer vor meinen Augen, heute hat er sich zum entzückenden Landschaftsbilde auseinandergesetzt, in welchem jeder Baum spricht: »Mein Schatten gehört dir«, und die gemalte Quelle flüstert: »Schwester, ruhe an meinem Borde!«
Ich trat mit dem Butterbrote leise hinter Karl Buttervogel. Zum letzten Male stehe der Name in den Blättern! Er hatte mich nicht kommen hören und knackte ruhig mit dem Instrumente, welches er aus der rechten Jackentasche gezogen hatte, seine Nüsse auf.
Ich sah ihm über die Schulter. Aber ach! da wankten meine Kniee, ich ließ das Butterbrot fallen, Karl ließ den Nußknacker fallen, ich hob den Nußknacker auf und Karl hob das Butterbrot auf! Ich drückte den Nußknacker an meine Lippen. Er war es, er war es! — Der alte, treue Knacker, die erste, auf Rucciopuccio hindeutende Liebe! O ihn, ihn hatte ich gleich erkannt. Und hätte ich ihn denn auch verkennen können? des Menschen Antlitz und Gestalt wandelt sich leider mit den Jahren, ein Nußknacker bleibt, was er war.
Ach, bitter-schmerzlich war dennoch dieses Wiedersehen! Das teure Heiligtum meiner Jugend sah mich an, wie eine Ruine. Von dem Rot der Uniform war der brennende Glanz gewichen, die Farbe der Unterkleider ließ sich kaum noch erkennen, erloschen waren die schönen, grellblauen Augen, der Mund hatte durch das beständige Knacken seine beste Kraft verloren, einen Hut trug er kaum noch, nur den Schnurrbart hatte die Mißgunst der Zeiten verschont; er hing schwarz und voll wie in jenen goldenen Tagen über den alt und müde gewordenen Lippen.
Ein Strom von Tränen befreite die Brust. Dann faßte ich mich und dachte an mich und mein Geschick. Karl hatte das Butterbrot verzehrt und sah mich groß an. »Gelt«, rief er (ich muß ja seine eigenen Worte brauchen) »das ist ein närrischer Kerl? — Ich habe den Schurken einmal vor vielen Jahren in einem italienischen Badenest auf‘m Kehricht hinter‘m Hause gefunden. Ich steckte ihn zu mir und brauche ihn seitdem fortwährend, und der Racker (ich erliege fast der Qual solche Worte zu schreiben) ist immer noch ganz. Dazumal diente ich bei vierzehn Berliner Edelleuten, die das Bad brauchten und sich zusammen einen Bedienten hielten.«
»Fürst«, sagte ich ernst und gehalten, »verstellen Sie sich nicht länger. Weder Ihre Bedientenjacke noch die scheußlichen Ausdrücke, zu denen Sie Ihre edeln Lippen zwingen, um unerkannt zu bleiben, täuschen mich ferner. — »Was Vorläufer! Es kommt uns niemand nachgelaufen«, und: »Ich kenne keinen Größeren«, die bedeutenden Strümpfe, das Pantoffelwesen, die Zeichen an der Schnuppe des Nachtlichts, mein Traum von Nizza, die trauernden Juden, die Wüste Sin, die da lieget zwischen Elim und Sinai, das waren schon Symbole, welche nicht trügen konnten. Nun die Melodie Ihrer Stimme, Ihr Fluch, jetzt gar der geliebte Nußknacker in Ihrer Hand, und endlich, daß Sie von dem Kehricht wissen und von der finstern Tat meiner verklärten Mutter, welche Nußknackern in jenes Elend verstieß — — alles das — — mein Gott, leugnen Sie doch nicht weiter, häufen Sie nicht unnütze Qual auf ein armes Mädchen, die immer Ihrer wert geblieben ist! Sein Sie gut und liebevoll, lassen Sie die Maske fallen und sprechen Sie: Emerentia, ja, ich bin es.«
»Was soll ich denn sein?« rief er. »Ich bin kein es. Ich bin, was ich bin — Donnerwetter!«
Seine rauhe Festigkeit machte mich doch einen Augenblick wieder zweifelhaft. »Wenn Sie es nicht sind«, sagte ich entschlossen, »so ist es Ihr Herr, denn einer von Ihnen beiden muß es sein.«
Ich wollte gehn. Karl hielt mich aber am Kleide zurück. Mein Mittel hatte gewirkt. »Ich sehe wohl«, sagte er, »daß es Ihnen ein Ernst ist, wenn ich es bin. Also wollte ich Sie nur fragen, was daraus wird, wenn ich es bin?«
»Wenn Sie es sind«, versetzte ich, »so bin ich Ihre Freundin im reinsten Sinne des Worts. Mein ganzes bisheriges Leben war eine Vorbereitung auf diesen großen Moment. Gnädigster Herr! In den Blütentagen der Jugend opferten wir der Leidenschaft auf dem Altare unserer Herzen! Für dieses Opfer ist uns der Weihrauch ausgegangen. Aber der Altar blieb stehen; lassen Sie uns auf demselben der Freundschaft ein Opfer entzünden, für welches ich ewig, Ihnen gegenüber Vorrat besitzen werde.«
Karl kratzte sich am Kopfe (der Ungeheure! so tat er) und sagte: »Ich denke nur immer noch, Sie haben mich bloß zum besten. Indessen aber will ich‘s versuchen, und wer mich anführt, den soll der Teufel holen. Das heißt also, Sie sind meine Freundin, heißt nämlich, wenn Sie meine Freundin sind, so müssen Sie auch dafür sorgen, daß ich mehr zu essen und zu trinken kriege. Wenn Sie auf diese Manier meine Freundin sind, so will ich‘s sein. Dann sehen Sie nur gleich heute zu, daß ich einmal ein rechtschaffen Stück Fleisch kriege.«
Er spielte fürchterlich mit mir. Daß er seinen wilden Humor selbst in diesem großen Momente nicht ablegte! O Männer, Männer, wie geht Ihr mit uns um! — Eine Lustigkeit der Verzweiflung ergriff mich, und in den Bahnen seiner ausschweifenden Laune ihm folgend, rief ich: »Sie sollen heute zwei Pfund Rindfleisch haben!«
Das erschütterte ihn. Er sah mein Leiden, welches durch den Scherz schauerte. Tränen traten in sein Auge, er sagte: »Sie sind doch sehr gut, und ich bin‘s denn also.« Er ging, übermannt von edler, menschlicher Rührung.
In seinen Tränen fand ihn mein Gefühl, wie mein Verstand ihn schon früher erkannt hatte. Seiner Rolle blieb er sonst treu. Mittags meldete er sich um die zwei Pfund Rindfleisch. Ich gab sie ihm und bereitete für uns einen Pfannkuchen, den Vater täuschend mit der Nachricht, die Katze habe das Fleisch gefressen. Er hat es rein aufgegessen; seine Verstellung muß ihm doch schwergefallen sein.
Wo die alberne Lisbeth nur bleiben mag, der Aschenbrödel? Mit dieser Welt im Busen muß ich nun jetzt am Feuerherde stehen! Auch war der Pfannkuchen versalzen und ungenießbar.
Heute ist es zu einer vollständigen Erklärung zwischen uns gekommen. Ich erinnerte ihn an unsere Spaziergänge bei Nizza, an die Wechselverfertigung, an die sechste Elefantenkompanie und an die Kabale des Kaisers aller Birmanen. Ich erinnerte ihn an Hechelkram und an seine Rechte darauf. Ich nannte ihm den süßen Namen jener Zeit: Rucciopuccio. Ich fragte ihn, ob er wohl an alles das noch denke? Er sagte zu allem ja.
Auch in dieser vertrauten hingebungsvollen Stunde blieb er Bedienter in Wort, Gebärde, Haltung. Ich bat ihn herzlich, er möge doch mir gegenüber diese häßliche Hülle aufgeben und der Fürst sein. Er versetzte, es gehe nicht an, ich möchte ihn um Gottes willen zufriedenlassen. — Ich will nicht weiter in ihn dringen, er fürchtet vermutlich, daß, wenn er sich vor mir demaskiert, er sich auch sonst vergessen könne, denn welche unendliche Mühe muß den Hohen dieses angelegte niedere Wesen kosten!
Sein Inkognito hat vermutlich einen Doppelzweck. Mich wollte er unerkannt prüfen, und dann will er auch im Verborgenen abwarten, welchen Erfolg seine Verwendungen an einige Mächtige des Hofes um Hechelkram haben werden. Ich sagte ihm diese meine Vermutungen in das Antlitz, und er antwortete: Es sei alles so, wie ich meine.
Wie es ihm nur möglich gewesen ist, mich zu finden, da ich in Nizza Marcebille von Schnurrenburg-Mixpickel hieß? Darüber werde ich ihn doch nächstens befragen.
Die Entwickelung unserer Angelegenheit muß in Geduld abgewartet werden. Erfolgt seine Anerkennung als Fürst, so wird sich auch für mich das Stift finden. Ich erfülle mein Schicksal und bin ruhig.
Eins geht mir aber im Kopfe umher. Er hat keine Gemahlin. Das wird meiner Stellung eine ihrer Blüten abstreifen. Ich wollte ja der segnende Schutzgeist seines Hauses sein, die Gatten miteinander versöhnen. Das fällt nun weg. So hält uns das Leben doch nie ganz Wort.
Daß er so gar nicht Rucciopuccion ähnlich sieht! — Vergebens mühe ich mich ab, einen Zug der Vorzeit in seinem Gesichte zu erspähen. Aber freilich ist es denn auch einige Jahre her, daß wir auseinander kamen —
— Die dumme Lisbeth hat mir vor ihrem Abzuge mein Schreibzeug verkramt, ich muß mich mit Federn behelfen, die alle bequemen schriftlichen Ergießungen unmöglich machen. Sie ist ein abscheuliches Geschöpf —
— und dann hat er viel auszustehen gehabt. Er bekam selbst hin und wieder von seinem Herrn Schläge. Natürlich! Die indischen Fürsten sind Barbaren.
Auch Münchhausen ist mir nun entziffert. Dieser hohe Geist, dieser neue Prophet der Natur und Geschichte wird der Kammerherr des Fürsten sein, oder sein Adjutant, oder sein Hofstaatssekretär, oder eine andre dieser reinen, idealen Gestalten.
Auch ihm wird seine Rolle schwer, ich sehe es wohl. Sein schmerzliches Zucken, wenn er den Gebieter zum Scheine anfahren muß! Neulich tat er so, als ob er den Stock gegen ihn brauche, und der Fürst tat, als schreie er.
Münchhausens Geschichten werden mir jetzt klar. Der Vater nimmt sie wörtlich und glaubt daran zum Teil. Ich ahnete gleich eine geheime Bedeutung — und habe mich nicht getäuscht. Die smaragdgrüne Bergebene Apapurin... u.s.w. ist unsere Jugend, goldgelbe Kälber der Empfindung grasen auf ihr, die Gedanken der Jungfrau sind pfirsichrot und alle Äußerungen ihres Wesens herb und keusch, wie Schlippermilch. Nachher spaltet sich die Welt ihres Inneren, diese Spaltungen und Unterspaltungen werden durch die sechs Gebrüder Piepmeyer angedeutet, einander zum Verwechseln ähnlich, wie unsere Spaltungen, dann kommt die Prosa des Lebens unter dem Bilde des Wachtfriseurs Hirsewenzel und flicht den großen Knoten widerstrebender Verhältnisse, den Rattenkönig gemischter Empfindungen.
Manches einzelne bleibt mir freilich in jener Symbolik noch dunkel. Welcher Moment des weiblichen Lebens wird z.B. durch die Folgen der einzigen Lüge Münchhausens dargestellt?
Ein köstlicher Genuß ist es, zu sehen, wie das Hohe, das Göttliche unter der Knechtsgestalt, in welcher es hin und wieder erscheinen muß, siegreich für den Kundigen hervorblitzt. Wiewohl mein erlauchter Freund den Bedienten zum Erschrecken natürlich spielt, so läßt sich Fürstenblut dennoch nicht verleugnen, und davon wurde mir heute die Erfahrung.
Der Prätendent von Hechelkram putzte die Stiefeln seines sogenannten Herrn. Ich habe nun wohl sonst bemerkt, wenn ich die Diener dieses Geschäft verrichten sah, daß sie es in unedler gebückter Stellung, mit widerlich kurzen, schnellen, heftigen Bewegungen ausführten — ein unerfreulicher Anblick!
Ganz anders, was ich heute sah.
Karl saß. Er hielt sich vornehm nachlässig zurückgebeugt, er sah kaum den Stiefel an, langsam fuhr seine Hand mit der Bürste über diesen, der so tief unter seiner Würde war, hin und her — und berührte das gemeine Leder obenhin, nur zum Schein.
Freilich wurde der Stiefel nicht ganz blank, und Münchhausen schalt Karln, sich verstellend, Faulpelz. — Das ist eine der schwersten Prüfungen, welche mir dieses Verhältnis auflegt, daß ich, um es in seiner ganzen Wahrheit zu zeichnen, so viele gemeine Fluch- und Schimpfwörter, euch, o ihr meine reinen Blätter, aufdrängen muß!
Der Fürst hat einen unglaublichen Appetit. Heute verzehrte er wieder eine ganze Bratwurst, und sie gehörte zu den größeren im Kreise ihrer Schwestern! Das indische Klima wird so an ihm gezehrt haben. Wenn sie ihm nur bekömmt!
Vor meinen Ohren summt ein altes Lied:
Einst liebtest du den Nußknacker,
Nach dem Nußknacker liebtest du mich...
So weit kann ich‘s, aber die folgenden Verse wollen mir nicht beifallen, wie oft ich‘s auch für mich hin singe. Dabei uns zu erkennen war in der fürchterlichen Stunde, wo uns die Juden schieden, das heilige Gelöbnis. Ich habe den Fürsten daran erinnert, aber auch er kann die folgenden Verse nicht finden.
Mir ist es unmöglich geworden, dem wilden Humor, der in dem Namen: Karl Buttervogel flattert, mich ferner zu fügen. — Bin ich denn nicht ein Weib, d.h. ein Wesen ohne allen Sinn für Ironie; tiefem, schlichtem Ernste einzig hingegeben? Um mich nicht aus dem Bilderkreise, den der Fürst gewählt, zu entfernen, nenne ich ihn vor den andern Karlos den Schmetterling. Der Vater lachte, als er diese Bezeichnung zum ersten Male von mir hörte. Er versteht mich nie. Münchhausen begriff mich wieder ganz, begriff mich, ohne daß ein Wort der Erklärung zwischen uns gewechselt wurde.
Er sagte: »Wenn der Esel« (o Gott, wie leide ich!) »nur dadurch nicht stolz wird!« Ja freilich wird, wenn so nach und nach über ihm das Licht verklärender Beziehungen und Bezeichnungen aufgeht, der angestammte Stolz sich herrlich zeigen.
O Münchhausen, Münchhausen, großer Herzenskündiger!«
Viertes Kapitel
Blätter aus dem Tagebuche eines Bedienten
Auch Karl Buttervogel führte ein Tagebuch. Da er sich viel in der Welt umhergetrieben und bei hundert Herrschaften gedient hatte, so war es ihm zur Gewohnheit geworden, kleine kurze Notizen in seine Brieftasche einzutragen, die sich denn dort vermischt mit Anzeichnungen seiner Auslagen fanden. Die Brieftasche hatte Decken von ehemals rotem Schafsleder. Denn ihre Farbe war durch die rauhe Faust der Zeit allgemach ausgetilgt worden; sie sahen jetzt fast aschgräulich aus. Vier Blätter gelben, oftbenutzten Pergamentes, auf welchem der Bleistift kaum noch eine Spur nach sich lassen wollte, waren eingeheftet; die Seitentasche enthielt eine gemalte Blume, mit einem Reime darunter, einen kleinen immerwährenden Kalender und einen Kamm.
Dieses ehrwürdige Altertum schloß folgende Herzensergießungen Karlos des Schmetterlings in sich:
Erstes Blatt
»Den sechszehnten Juni: Ausgerissen von Stuttgart.
Hab‘ mein Putzzeug im Wirtshaus stehen lassen.
Von der Rieke keinen Abschied nicht genommen.
Ging zu rasch.
*
Den zweiundzwanzigsten Juni: Angekommen auf‘m Schloß durch Pferdsturz.
Sehr viel Hunger und Durst gelitten, Flöh‘, Wanzen und sonstiges Ungemach.
Gefallt mir hier gar nicht.
*
Vor Wachs 3 Stüber
Vor blauen Zwirn 1 Stüber
Vor Sachen aus der Apotheke 18 Stüber
Vor einen Brief 12 Stüber
Vor waschen zu lassen 8 Stüber
Vor meinen Herrn vor eine gemeinnützliche Kollekte 3 Heller
was mir alles mein Herr noch zahlen muß.
Seit Lichtmeß keinen Lohn nicht gekriegt. Tut drei Gulden sechs Kreuzer per Monat, zusammen zwölf Gulden vierundzwanzig Kreuzer.
*
Den sechsundzwanzigsten Juni: Seit drei Tagen nichts zu fressen gehabt. An mein‘ Rieken kontinuierlich immerwährend gedacht. Ist kaum noch auszustehen. Sichtlich mager geworden.
O Rieke, dein Getreuer
Aus Schwaben oder Bayern,
Dem ist es nicht gegonnen,
Wenn abends sinkt die Sonnen,
Daß er an deiner Brust
Dich küßt nach Herzenslust.
Vorstehenden Spruch gemacht gestern nacht als den achtundzwanzigsten Juni, da ich nicht schlafen konnt‘ von wegen Hunger und Flöh‘.
Zweites Blatt
Den fünften Juli: Lange nichts eingeschrieben in die Brieftafel. War zu beschäftigt die Zeit her. Außerordentlich mich verbessert in meiner ganzen Lag‘ und Kondition. Fräulein verliebt in mich.
Durchaus nicht gewißt und erfahren, wie sich‘s zugetragen. Gefragt und getribeliert und endlich auf den Kopf mir zugeschworen, ich sei‘s.
Nicht ausweichen gekonnt und endlich zugesichert, ich wollt‘s sein, wenn und wofern ich meine gehörige Verköstigung erlange.
Meinen alten Nußkracher mir fortgenommen und dazu geweint. Glaub‘, sie ist verrückt.
Sogleich am nämlichen Tag zwei Pfund Rindfleisch gegessen. Sehr schönes Gefühl danach gehabt. Zum ersten Mal wieder in Ruh‘ an mei‘ Rieken gedacht.
*
Den siebenten Juli: Über alles und jedes befragt, als zum Exempel von Fürst und Hechelkram und seligen Spaziergängen in Nitze und von Rutscheputsche. Kein Wort verstanden, indessen aber mir alles gefallen gelassen und immerdar ja gesagt.
*
Den achten Juli: Große Gewissensbisse gehabt um mei‘ Rieken. Bratwurst gessen, wornach sich die Beängstigung gemindert.
Nicht dafür gekonnt, daß ich in dies Malheur verfallen.
Drittes Blatt
Den neunten Juli: Schönes Gefühl empfunden durch die neue Lieb. Sehr geschmeichelt gefühlt von der Lieb vornehmer Person. Gar nicht mehr den Bedienten gefühlt in der neuen Lieb. Stiefeln in diesem Gefühl geputzt. Angeschnauzt von meinem Herrn und abgeschwartet in der Still‘, weil Stiefeln nicht blank gewest. Alles verschmerzt im Gefühl der Lieb.
Abends zwölf harte Eier gessen. Äußerst selig zu Bette gangen.
*
Vor Flecke aus dem Tuch zu bringen nimmt man Tobak, kocht ihn ab und schmiert‘s Tuch mit ein. Dann gebürstet und am Sonnenschein getrocknet, ist alles ‚raus.
Viertes Blatt
Den zwölften Juli: Heut meinen Entschluß gefaßt nach langem Kampf. Mich risalfiert, Rieken ewig zu lieben und das Fräulein zu heiraten, wofern mir mei fernere gute Verköstigung zugesagt wird.
Alle Andenken verbrannt von Rieken, um nicht wieder Kampf zu leiden.
Dennoch äußerst viel Furcht gehabt vor dem alten Baron, von wegen Zumhausnausschmeißens, wenn‘s ‚raus kommt.
Vier Stüber vom Fräulein geschenkt gekriegt, um mir ein‘ Erholung zu machen.
*
Angespielt heute von ferne auf fernerweite gute Verköstigung, wofern geheiratet werden soll. Mißverstanden geworden. Mich entschlossen, nächstes Mal mich deutlicher zu machen.
*
Den vierzehnten Juli: Künftigem Schwiegervatern heute vor Pläsier die Stiefeln ausgezogen. Ihn dabei bedeutsam angeblickt, um die Entdeckung vorzuspielen. Auch nicht verstanden geworden. Nachgerade bänglicht.
Gar keine Lust mehr zum Dienen bei Münchhausen. Gar zu viel gewißt von seinen Geheimnissen und seit jeher keinen rechten Respekt nicht vor einem chemisch-präparierten Menschen gehabt. Durch die neue Lieb‘ vollends ganz stolz geworden. Mich erniedrigt gefühlt durch die einförmigen Rockausklopfereien und sonstigen Amtsverrichtungen. Will Fürst von Hechelkram werden, wann‘s nicht anders ist und das Fräulein darauf besteht. Soll mir sagen, wo‘s Fürstentum liegt, damit ich drum einkommen kann.
*
Am selbigen Tag, nachts: Mein Herr von Münchhausen heute abermals seine Schmierereien vorgenommen und mir dadurch ganz widerwärtig geworden. Mir vorgenommen, bei erster Gelegenheit grob zu werden, um auf eine feine Manier aus dieser Sklaverei zu kommen.
Gefallt mir jetzt recht wohl hier. Übrigens doch eigne Lag‘, und weiß der Schinder, was draus werden soll.«
In ein so wunderbares Verhältnis war Fräulein Emerentia mit ihren Gedanken, Träumen und Empfindungen geraten. Man kann sich daher vorstellen, wie es ihr Bewußtsein verletzen mußte, als der Vater die Besorgnis vor einer Mariage zwischen ihr und Münchhausen äußerte.
Übrigens wußte sie kaum noch, ob sie auf der Erde wandelte. Sie dachte und sah nur den Prätendenten von Hechelkram, den Altar der Freundschaft und das ihr winkende Stiftskreuz. Der kleine Haushalt litt freilich sehr unter dieser glücklichen Entwirrung schwieriger Verhältnisse. Auf die Suppe mußte nach und nach ganz verzichtet werden, da sie niemals zu genießen stand, oder der Schulmeister hatte mit seiner schwarzen auszuhelfen. Alles Fleisch aber stahl regelmäßig die Katze, weil der maskierte Fürst unersättlich war. Der alte Baron wünschte sich hundertmal des Tages über verdrießlich seine Lisbeth zurück. Wo er die Katze, die vermeintliche Räuberin der Speisen sah, schlug er nach ihr; ach, er wußte nicht, daß Karlos der Schmetterling die Schlange war, die er am Busen nährte. Nannte nun gar seine Tochter diesen Namen (und sie nannte seit der großen Entdeckung Buttervogeln nie anders) so wollte er, nachdem er einige Male über den blühenden Tropus gelacht hatte, schier verzweifeln, denn er begann zu fürchten, daß sein armes Kind sich mit starken Schritten einer unglückseligen Verwandlung nahe.